Diabetes bewegen Potenzial der Bewegungstherapie besser nutzen P. Zimmer, P. Borchert, R. Klare, M. Kornmann

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Diabetes bewegen Potenzial der Bewegungstherapie besser nutzen P. Zimmer, P. Borchert, R. Klare, M. Kornmann
Diabetes bewegen
Potenzial der Bewegungstherapie besser nutzen

P. Zimmer, P. Borchert, R. Klare, M. Kornmann

Aus dem Gleichgewicht
Trotz Entwicklung neuer Antidiabetika, trotz enormer medialer Präventionsarbeit nimmt die
Prävalenz des Typ 2 Diabetes in den letzten Jahren weiter zu. Die 8% Marke in
Deutschland ist erreicht [1]. Bewegungsmangel und eine hyperkalorischen Ernährung
bringen unsere Energiebilanz aus dem Gleichgewicht. Sind Menschen dann auch noch
genetisch vorbelastet, ist der Entstehung des Typ 2 Diabetes Tür und Tor geöffnet [2].
Obwohl in letzter Zeit enorme neue Erkenntnisse über die zentrale Steuerung von Hunger
und Sättigung gewonnen wurden[3], hat sich am Grundprinzip der Behandlung nichts
geändert: Das richtige Maß an Bewegung und Ernährung kann den „Teufelskreis“
durchbrechen, der zu einer zunehmenden Verschlechterung der Glukosetoleranz und zum
manifesten Typ 2 Diabetes führt [4].

Bewegung als Kausaltherapie
Ist der Diabetes eingetreten, gilt es vorrangig, die Entstehung makro- und mikrovaskulärer
Spätschäden zu verhindern. Körperliche Betätigung wirkt dabei über eine Verbesserung des
Stoffwechsels, der Fitness und der Beeinflussung der kardiovaskulären Risikofaktoren.
Deshalb muss die Bewegungsintervention als eine kausale Therapieform bezeichnet
werden.
Aber trotz dieser bewiesenen Wirksamkeit und ihrer erstrangigen Position in den Leitlinien,
ist die Bewegungstherapie unter Medizinern wenig anerkannt. Eine Lebensstiländerung, die
unbewegten Menschen die regelmäßige körperliche Aktivität näherbringen soll, wird als
schwierig bis unmöglich eingestuft.
Aus diesem Grund soll im Folgenden, nach einer kurzen Einführung zu den Auswirkungen
der Bewegung auf den Stoffwechsel, dargelegt werden, wie es gelingen könnte, Menschen
für das Thema Bewegung zu erreichen, auch wenn die motivationalen Voraussetzungen
sehr schwierig sind. Informieren Sie sich, welche Bewegungsangebote die AG Diabetes und
Sport anbietet und welche sportmedizinischen Untersuchungen abhängig von den bereits
eingetretenen Vorschädigungen sinnvoll und notwendig sind.

Unbewegte Gesellschaft
Die Veränderung der Arbeitswelt mit verminderter körperlicher Beanspruchung und der un-
gebrochene Trend zu verstärkten Fernseh- und Computerkonsum haben dazu geführt,
dass Menschen oft nur noch 700 Meter pro Tag zurücklegen. Das für eine normale
Gewichtsentwicklung notwendige Maß an körperlicher Betätigung wird bereits bei 13
Jährigen unterschritten [5]. Auch wenn im Mittel die Kalorienaufnahme seit den 70ziger
Jahren tendenziell rückläufig ist, kompensiert diese nicht den fehlenden Kalorienverbrauch.
Die Folgen dieser permanent positiven Energiebilanz kennen wir alle: Übergewicht und
metabolisches Syndrom. Laut Schätzungen fallen darunter ca. 23 % der deutschen
Bevölkerung [6].

Dran bleiben
Von körperlicher Aktivität reden wir dann, wenn durch Bewegung (Muskelaktivität) ein
Energieverbrauch erzielt wird, der über dem Ruhegrundumsatz oder der Alltagsaktivität liegt
[7]. Entscheidend für den Therapieerfolg bei Menschen mit Typ 2 Diabetes sind
Regelmäßigkeit und Intensität [8].
Günstige metabolische Auswirkungen einer erhöhten körperlichen Aktivität schwächen sich
innerhalb von 72 Stunden nach dem körperlichem Training wieder ab [8]. Daher ist eine
regelmäßige körperliche Betätigung mit dem Ziel von ca. 1000 kcal kumulativen
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Mehrverbrauchs pro Woche in der Basistherapie des Typ 2 Diabetes angeraten. Soll
darüber hinaus die kardiopulmonale Fitness, wichtiger Prädiktor vor allem für die Mortalität
verbessert werden, ist eine Anpassung (Erhöhung) der Trainingsintensität an die durch das
Training gesteigerte Leistungsfähigkeit notwendig [9].

Auswirkungen von Muskelarbeit auf den Glukosemetabolismus, das
kardiovaskuläres Risikoprofil und die Dyslipoproteinämie
Die Auswirkungen körperlicher Mehrarbeit auf den Stoffwechsel des Diabetikers sind
multifaktoriell und an anderer Stelle detailliert dargestellt (u.a. in DMW und Leitlinie Diabetes
und Sport der DDG) [10,11]. Im Kern kann folgender Grundmechanismus zusammengefasst
werden: Bei Muskelarbeit steigt den Energiebedarf akut und wird anfangs vorrangig durch
Glukose gedeckt. Diese wird zunächst aus muskulären Glykogenreserven, später aus
hepatischer Glykogenolyse bzw. Gluconeogenese bereitgestellt. Unter aeroben
Verhältnissen werden bei längerer körperlicher Betätigung zunehmend Triglyzeride bzw.
freie Fettsäuren zur Energiegewinnung herangezogen.

Auswirkungen auf den Glukosemetabolismus
Jede Muskuläre Arbeit führt akut und chronisch zu einer Verbesserung der Insulinsensitivität
am trainierenden Muskel. Auch Typ 2 Diabetiker mit muskulärer Insulinresistenz profitieren
von diesem Vorgang. Bereits einmalige, vermehrte Muskelarbeit führt zur nachweisbaren
Senkung erhöhter Blutzuckerwerte. Folgende biochemische Prozesse sind für die
verbesserte Situation verantwortlich [12]:
    Stimulation der Translokalisation und Expression des Glukosetransporters 4 (GLUT4);
     dies insulinunabhängig durch Aktivierung von bewegungssensitiven AMP-Kinasen
    Zunahme der muskulären Insulinrezeptoren und damit stärkere Insulinbindung
    Erhöhte Aktivität zytoplasmatischer und mitochondrialer Enzyme
    strukturelle, biochemische und molekulare Langzeitadaptation der Skelettmuskulatur
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Auswirkungen auf das kardiovaskuläre Risikoprofil
Auch die kardioprotektiven Auswirkungen regelmäßiger körperlicher Aktivität sind
hinreichend bekannt. Epidemiologische Langzeitbeobachtungsstudien konnten nachweisen,
dass ein höheres Maß an täglicher körperlicher Aktivität mit einer geringeren Inzidenz der
koronaren Herzkrankheit und einer Senkung der kardiovaskulären und Gesamtmortalität
assoziiert waren [12- 19]. Eine niedrige kardiorespiratorische Fitness gilt inzwischen als
unabhängiger Risikofaktor für das kardiovaskuläre System. Wesentliche Effekte der
gesteigerten körperlichen Aktivität auf das Herz-Kreislaufsystem bestehen in einer
langfristigen Senkung erhöhter Blutdruckwerte [20,21] und einer Verbesserung der
Endothelfunktion [22, 23], zu der auch die Reduktion zirkulierender proinflammatorischer und
prokoagulatorischer Parameter beitragen [24, 25, 26].

Auswirkungen auf den Fettstoffwechsel
Körperliches Training gehört neben einer gesundheitsfördernden Ernährung zur
Basistherapie der Fettstoffwechselstörungen. Mit Reduktion des Körpergewichts und
Modifizierung der Fettverteilung stellen sich klinisch relevante Veränderungen des
Lipidprofils ein [27,28]. Während eine Abnahme des Triglyzeridspiegels bereits nach akutem
körperlichem Training nachweisbar ist, ist die Verbesserung der Cholesterin-
Serumkonzentration eher ein chronischer Trainingseffekt [29].

Weitere nicht zu unterschätzende Effekte körperlicher Betätigung
Neben den für Diabetiker bereits erwähnten, relevanten metabolischen Auswirkungen von
Muskelarbeit gilt körperliche Inaktivität als unabhängiger Risikofaktor für mindestens 25
Krankheiten beim Menschen [30]. So kann körperliche Aktivität u. a. die Lebensqualität [31],
das Selbstwertgefühl und die allgemeine und kardiorespiratorische Leistungsfähigkeit
verbessern [32,33], zu einer Stressreduktion und verbesserten Stresstoleranz führen [34],
und die Entwicklung einer Alzheimer Demenz [35] verlangsamen. Körperliche Aktivität hat
wesentliche positive Effekte auf den Stütz- und Bewegungsapparat im Hinblick auf eine
Erhöhung der Knochenstabilität, der Muskelmasse und Verbesserungen in Beweglichkeit
und Koordination [36].

Rezept Bewegung
Zusammen gefasst, lässt sich durch regelmäßig körperliche Aktivität (Zielvorgaben der ADA
und EASD siehe Kasten) eine HbA1c Senkung von bis zu 0,7 % [37], eine Blutdrucksenkung
von 5 bis 7 mmHg sowie eine Verbesserung des Lipidprofils erzielen. Dies entspricht dem
kontinuierlichen Einsatz von jeweils einem Medikament. Dabei ist den positiven
Auswirkungen auf Lebensqualität, Fitness, Sarkopenie und Osteoporose, die im
fortgeschrittenen Lebensalter zu Einschränkung der Selbstständigkeit führen können, noch
nicht einmal Rechnung getragen.

 Zielvorgabe ADA und EASD – Die FITT - Regel

F requency        Häufigkeit                          3 mal/ Woche (Minimum)
                                                      maximal 2 Tage Abstand zwischen TE
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I ntensity        Stärke                              a) mittel – submaximal
                                                         (40 – 60% VO² max./ 50 – 70% Hf max
                                                      b) „anstrengend“ /„vigorous“
                                                          (> 60% VO² max/ > 70% Hfmax)

T ime             Dauer                               a) 45 – 60 Minuten (Gesamt > 150/Woche)
                                                      b) 30 – 40 Minuten (Gesamt > 90/Woche)

T ype             Art der Belastung                   Aerobe Ausdaueraktivitäten
                                                      Dazu: Krafttraining 3 mal/ Woche
                                                      (ca. 8 Übg., je 3 Sätze à 8 – 10 Wdh.)

Individualisierte Strategien
Würden Sachargumente allein überzeugen, könnte der Artikel hier enden. Aber jeder weiß.
Dem ist nicht so. Bewegungstherapie ist kein Selbstläufer; sie muss dem Betroffenen
verständlich gemacht, wie ein Medikament verschrieben und begleitet werden. Schon
frühzeitig wurde erkannt, wie wichtig individualisierte Vorgehensweisen sind, soll sie vom
Patienten akzeptiert und umgesetzt werden.

Die Selbstwirksamkeit stärken
Der Weg, von der Sorglosigkeit über das Gesundheitsbewusstsein zum Gesundheits-
verhalten, ist ein langer. Auf diesem Weg stoßen wir auf Fragen, deren Beantwortung alles
andere als einfach ist und sein wird:
     Wie erreichen wir durch Bewegungsangebote Menschen, die kaum bewegungsaktiv
        sind?
     Wie wecke ich deren Neugier mitzumachen, mehr zu machen und dran zu bleiben?
     Wie stoße ich Verhaltensänderungen an und begleite diese in den Alltag?
Zentraler Baustein ist die positiv vermittelte, konkrete Bewegungserfahrung, die dem
Betroffenen die Wirksamkeit des eigenen Handelns und der therapeutischen Effekte vor
Augen führt.
Einen wertvollen Denk- und Handlungenrahmen hierzu liefern schon lang bekannte und
erprobte Ansätze wie das „Self-Efficacy-Konzept [38, 39, 40] oder das Konzept der
stufenweisen Veränderung [41].
Nicht der Therapeut verändert den Patienten, es sind immer die betroffenen Menschen
selbst und deren(all)tägliche Entscheidungen für oder gegen eine bestimmt Handlungsweise.
Selbstwirksam zu sein, heißt in diesem Sinne, auf Grund bisheriger Erfahrungen auf seine
Fähigkeiten und verfügbare Mittel zu vertrauen und davon ausgehen zu können, ein
bestimmtes Ziel auch durch Überwindung von Hindernissen am Ende tatsächlich erreichen
zu können. Oder kurz formuliert: Was traue ich mir zu? Dies impliziert für die
therapeutischen Intervention: konkrete Erfahrung vermitteln und mit positiven Bewertungen
verknüpfen, die dem Betroffenen die Wirksamkeit des eigenen Handelns (Bewegung) vor
Augen führt.

Konkretes Handeln begleiten
Um diesen Einstieg tatsächlich ernsthaft zu unterstützen, ist die therapeutische Seite
verständlicher Weise mehr gefordert, als sich in einigen unspezifische Appelle zu verlieren,
wie „Bewegen Sie sich doch etwas mehr“ oder „Nehmen Sie doch lieber die Treppen, statt
den Aufzug“. Die Logik hinter dem „Self-Efficacy-Ansatz“ liefert eine erfreulich pragmatische
Herangehensweise, die Selbstwirksamkeitsüberzeugung zu stärken:
a) konkrete Ziele setzen
b) das eigene Handeln überprüfbar machen
c) Barrieren der Umsetzung frühzeitig erkennen.
d) ergebnisbezogenes, kontinuierliches Feedback zu geben.
In Zuge dieser Herangehensweise hat in den vergangenen Jahren die Erfassung der
täglichen Bewegung mittels Schrittzählung mehr und mehr Aufmerksamkeit gewonnen. So
liegen inzwischen eine ganze Reihe an Daten vor [42, 43, 44], die darauf hinweisen, dass die
Verwendung eines Schrittzählers nachhaltig die Steigerung der körperlichen Aktivität fördern
kann (siehe unten). Die Voraussetzung: Arbeit mit konkreten Schrittzielen und Schrittzähler-
begleitung durch regelmäßige Feedback-Gespräche.

Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Sport
Eine ganze Reihe an Projekten, die gerade diesen Ansatz des selbstaktiven und
selbstwirksamen Patienten umsetzen, initiiert und unterstützt die Arbeitsgemeinschaft
Diabetes und Sport der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. Einige ausgewählte Beispiele
sollen eine kleine Auswahl geben, wie Bewegung in der Therapie kommuniziert und
umgesetzt werden kann:
     Das DiSko-Projekt (Fortführung in Disko-plus)
     Nordic Walking Trainer Diabetes
     Fitness-Training für Diabetiker
     Diabetes-Reha-Sport-Gruppen
     IDAA (die Internationale Vereinigung diabetischer Sportler)

Bewegung positiv erleben - Das DiSko-Projekt
Mit Einführung des „DiSko-Schulungsmoduls“ verfügen wir seit 2007 über ein evaluiertes
und zertifiziertes Diabetes-Schulungsangebot zum Thema Bewegung. Zusammen mit dem
Verband der Diabetesberatungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V.(VDBD) wurde in
2002 eine Arbeitsgruppe gebildet, die zu dem Schluss gekommen ist, dass man die in
Deutschland flächendeckend vorhandene strukturierte Diabetikerschulung nutzen muss,
auch das Bewegungsthema zu transportieren. So wurde das erlebnispädagogische DiSko-
Schulungsmodul (Wie Diabetiker zum Sport kommen) entwickelt: In die vorhandenen
Schulungen wird zusätzlich eine Bewegungseinheit mit einem geführten halbstündigen
Spaziergang als Kernstück eingebaut. Grundsätzliche können alle Schulungsteilnehmer
mitmachen, da ein ganz individuelles Tempo eingehalten wird. Vor und nach dem
Spaziergang werden Blutzucker und Puls gemessen. Die meist eindrucksvolle
Blutzuckersenkung und Pulssteigerung werden anschließend auf einem Flipchart visualisiert
und diskutiert. Im Mittelpunkt steht die Frage ob und wie diese positiven Erfahrungen in den
Alltag übertragen werden können. Der Umgang mit dem „Inneren Schweinhund“ (Tipp:
www.myschweinehund.de) spielt hier eine zentrale Rolle. Zum Abschluss der
Schulungseinheit formulieren die Teilnehmer eine Selbstverpflichtung, in der sie sich ihre
persönlichen Bewegungs-Ziele aufschreiben. Dieses Schreiben wird eingesammelt und den
Teilnehmern 4 Wochen später als Erinnerung zugeschickt. Eine Kopie bekommt der
Hausarzt als Unterlage für motivierende Gespräche in der Folgezeit.
Die Evaluation dieser Bewegungseinheit in einer kontrollierten Längsschnittstudie hat
gezeigt, dass die Teilnehmer zu mehr Bewegung im Alltag zu motivieren sind. In der
Auswertung nach einem Jahr waren sie nicht nur messbar körperlich leistungsfähiger, sie
hatten auch im Schnitt 1,5 kg an Gewicht verloren und ihr wöchentliches Bewegungspensum
um durchschnittlich 1.400 Kcal gesteigert [45]. Das DiSko-Schulungsmodul ist
zwischenzeitlich in Baden-Württemberg und verschiedenen anderen Bundesländern im
Rahmen des DMP abrechenbar.
Wie bereits oben erwähnt, haben Studien gezeigt, dass im Wechselspiel zwischen konkreten
Bewegungszielen (Schrittanzahl) und Ergebnisrückmeldung (Schrittzähler) bemerkenswerte
Motivationseffekte entstehen. So hat u.a. eine Metaanalyse von 26 Studien hat ergeben:
Schrittzählernutzer steigern ihre körperliche Aktivität um gut 2.500 Schritte täglich, was einer
Steigerung der körperlichen Aktivität um knapp 27 % entspricht[42]. Entscheidend für den
Erfolg sind individuelle Vorgaben von „Schrittzielen“.
Die Autoren des DiSko-Schulungsmoduls haben daraus den Schluss gezogen, Schrittzähler
während der Schulung auszugeben mit der Empfehlung, diese zukünftig konsequent zu
nutzen. Verbunden ist diese Empfehlung mit konkreten Vorgaben (3.000 Schritte täglich
mehr). In einer kontrollierten Studie wird derzeit geprüft, ob durch dieses Vorgehen eine
weitere nachhaltige Bewegungssteigerung der Patienten zu erzielen ist. Wichtiger
Bestandteil des Konzepts ist die regelmäßige Auswertung des „Schrittekontos“
 und die Besprechung der Ergebnisse in der Sprechstunde während der regelmäßigen DMP-
Kontrollen.

Der Nordic Walking-Trainer Diabetes: Ein zusätzliches Tool für
Schulungseinrichtungen
Für Schulungseinrichtungen, die ihren Patienten ein eigenes zusätzliches
Bewegungsangebot machen wollen, haben die AG Diabetes und Sport der DDG und der
VDBD den „Nordic Walking-Trainer Diabetes“ geschaffen. DiabetesberaterInnen,
DiabetesassistentInnen und Arzthelferinnen mit Schulungsqualifikation können sich in einem
20-stündigen Kurs zum Nordic Walking-Trainer Diabetes ausbilden lassen und dann selbst
Kurse und/oder regelmäßige Treffs anbieten. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass die
Hemmschwelle zur Teilnahme wegen der bereits vorhandenen Kontakte zum „Trainer“
niedrig ist. Einige Krankenkassen (z.B. die BEK) erkennen die Qualifikation an und
finanzieren Kurse für DMP-Patienten (weitere Infos unter www.diabetes-sport.de).
Zwischenzeitlich stehen bundesweit etwa 450 Nordic-Walking-Trainer Diabetes zur
Verfügung.

Abb.: Diabetikersportgruppe (Foto: Dr.P.Zimmer)
Lange etabliert: Die Diabetes-Reha-Sportgruppe
Mit dem Muster 56 kann jeder Arzt Rehabilitationssport für Diabetiker verordnen. Die
Krankenkassen sind verpflichtet, die Kosten für 50 Übungseinheiten in 18 Monaten zu
übernehmen. Dieses Bewegungsangebot ist besonders geeignet für Menschen mit Diabetes,
die eine intensivere Betreuung durch speziell ausgebildete Übungsleiter brauchen und sanft
an das Training heran geführt werden müssen. Diabetes-Sportgruppen sind in allen
Bundesländern etabliert (Adressen: www.diabetes-sport.de). (Abb.)

Fitnessstudios mit dem TÜV-Zertifikat „Fitness-Training für Diabetiker“
Vom medizinischen Standpunkt her ist die Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining die
effektivste Bewegungstherapie. Also ist es sehr wünschenswert, Patienten auch
Fitnessstudios empfehlen zu können, die kompetent Menschen mit Diabetes betreuen. Mit
dem Gütesiegel „Fitness-Training für Diabetiker“ des TÜV Rheinland, das zusammen mit der
AG Diabetes und Sport der DDG erarbeitet worden ist, sind dafür jetzt Voraussetzungen
geschaffen worden [46]. Am 5. April 2011 wurde in Köln das erste zertifizierte Studio der
Öffentlichkeit vorgestellt. Zwischenzeitlich sind zahlreiche weitere Studios hinzugekommen.

Die IDAA: Partner für Sport treibende Typ-1-Diabetiker
Sportliche Aktivitäten stellen im Alltag von Typ-1-Diabetikern mitunter einen Störfaktor der
Stoffwechselkontrolle dar. Trotzdem konnten Herbst et al. an einer Kohorte von über 19.000
Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes nachweisen, dass die körperlich Aktiven eine
verbesserte Stoffwechsellage ohne vermehrte Hypoglykämien aufwiesen als die Inaktiven
[47]. Außerdem gibt es Hinweise dafür, dass sportlich aktive Typ-1-Diabetiker eine signifikant
geringere kardiovaskuläre Sterblichkeit aufweisen [48]. Auch für Typ-1-Diabetiker gibt es
also gute medizinische Gründe, sportlich aktiv zu sein – ganz abgesehen vom Gewinn an
Lebensqualität, den Sport in der Regel mit sich bringt. Alle oben genannten Angebote gelten
daher auch für Typ-1-Diabetiker. Für ambitionierte Sportler bietet die Internationale
Vereinigung diabetischer Sportler/international diabetic athletes association (IDAA) e.V.
praktisch für jede Sportart Anleitungen und Erfahrungsaustausch von Aktiven für Aktive
(www.idaa.de). Die AG Diabetes und Sport der DDG führt zusätzlich einmal im Jahr an
einem Wochenende ein Arzt-Patienten-Seminar durch, wo die Insulinanpassung beim Sport
unter Anleitung erprobt wird.

Der Blick auf die Risiken
Bei aller Sinnhaftigkeit und geschilderter Vielfalt der Bewegungstherapie bei Diabetes, darf
der Blick auf mögliche Risiken nicht vergessen werden. Mit zunehmender Laufzeit des
Diabetes ist mit mikro- und makrovaskulären Folgeerkrankungen zu rechnen, die bei der
Auswahl des Trainingskonzeptes und der auszuwählenden Sportart zu berücksichtigen sind.
Der Umfang der Untersuchung richtet sich nach den bereits eingetretenen Schädigungen
bzw. den vermuteten Folgeerkrankungen.
Grundlage der Untersuchung sind die Angaben aus dem Diabetikerpass und einer sport-
medizinischen Anamnese, die bereits weitgehende Hinweise auf die Richtung und den
Umfang zusätzlicher Untersuchungen geben können. Das Ergebnis der sportmedizinischen
Untersuchung sollte auch Grundlage für Empfehlungen der zu wählenden Sportart sein.

Sinnvolle medizinische Voruntersuchungen
Die (sport)medizinische Diagnostik gewinnt im Zusammenhang mit der Zunahme von
Sportlern mit Typ1 Diabetes und den Erkenntnissen bezüglich des Benefits der Bewegungs-
therapie für alle Diabetiker zunehmende Bedeutung. Sie soll zum einen vorbestehende
Risiken einer sportlichen Aktivität erkennen, zum anderen ist sie Grundlage zur optimalen
Umsetzung von Sport und Bewegungstherapie. Art und Umfang der Diagnostik müssen
wiederum entsprechenden Standards genügen und die individuellen Gegebenheiten des
Einzelnen berücksichtigen. Bewährt haben sich die Fragenbögen und etablierten
Untersuchungsvorschläge der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention. Hier
stehen zum Download bereit ( http://www.dgsp.de/sportaerztliche-untersuchung.php)
    Eingangsfragebogen für Sport treibende Laien
       Fragebogen für Sportler
       Sportmedizinischer Untersuchungsbogen für Kinder und Jugendliche
       S-1 Leitlinie Vorsorgeuntersuchung im Sport (e Version). Die Leitlinie umfasst eine
        Anamnese, die durch verschiedene Fragebögen standardisiert ist, einen
        Erhebungsbogen „Klinischer Untersuchungsbogen“, sowie Empfehlungen hinsichtlich
        apparativer Untersuchungen.
Bei Menschen mit Diabetes sind darüber hinaus spezifische Probleme zu berücksichtigen
[ 49 – 75]. Neben Kenntnissen zur aktuellen Blutzuckereinstellung müssen einerseits
eventuell eingetretene Folgeerkrankungen, insbesondere kardiovaskuläre Probleme,
Retinopathie und Diabetisches Fusssyndrom, identifiziert werden, andererseits mögliche
Komplikationen durch die laufende Therapie, insbesondere ein mögliches
Hypoglykämierisiko erfasst werden.
Diesbezüglich soll an dieser Stelle ausdrücklich auf die Evidenzbasierte Leitlinie der
Deutschen Diabetes Gesellschaft „ Körperliche Aktivität und Diabetes mellitus“ verwiesen
werden. Eine Übersicht sinnvoller medizinischer Vorsorgeuntersuchen und dem
Krankheitsbild angepasster Bewegungsempfehlungen finden Sie in den Tabellen 1 und 2.

Zusammenfassung und Ausblick: Die „Wuppertaler Erklärung“ - Grundlage für
eine interdisziplinäre Initiative
Eine Bilanz möglicher Bewegungseffekte ist mehr als beeindruckend und kann kaum besser
zusammengefasst werden als in den Worten von W. Hollmann: „Gäbe es ein Medikament
auf der Welt, das so viele positive Wirkungen erzielte bei gleichzeitig so wenig
Nebenwirkungen, so wäre jeder Arzt gehalten, es permanent zu verordnen“.

Bewegungsangebote reichen von strukturierten Schulungsmodulen bis hin zu in den Alltag
hinein begleitenden Bewegungsprogrammen. Das entscheidende Bindeglied bleibt das Arzt-
Patientengespräch. Hier müssen Ziele, Veränderungsanstrengungen (einschließlich
möglicher Veränderungsbarrieren) und erreichte Ergebnisse besprochen, rückgemeldet und
verstärkt werden.
Zukünftige Anstrengungen sollten sich mehr denn je darauf konzentrieren, den Stellenwert
der Bewegungstherapie weiter zu stärken. Im Bewusstsein der Therapeuten und Ärzte
ebenso, wie im Bewusstsein der betroffenen Menschen.
Auf dem ersten interdisziplinären Symposium „Diabetes und Bewegung“ am 25.02.2012 an
der Bergischen Universität Wuppertal haben Repräsentanten der DDG, des VDBD, der
Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP), des Landessportbunds
NRW, der Sportmedizin und Sportwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal, der
Barmer Ersatzkasse und einer Fitnessstudiokette das gemeinsame Ziel formuliert,
Bewegungstherapie Patienten mit Diabetes in größerem Umfang zugänglich zu machen
(siehe Kasten). Ein solches Vorgehen, das die Grenzen der jeweiligen Arbeitsbereiche
überwindet und gemeinsame Konzepte ins Auge fasst, ist dringend erforderlich, wenn die
Bewegungstherapie des Diabetes mellitus den ihr gebührenden Stellenwert bekommen soll.
Tab. 1 Sportmedizinische Untersuchung bei Patienten mit Typ 2 Diabetes

 Allgemein                  Alter *
                            Größe *
                            Gewicht *
                            Blutdruck *
                            Puls                      * Daten aus Diabetikerpass
 Herz                       Rhythmus
                            pathologische Geräusche
                            Insuffizienzzeichen
 Nerven                     Hinweise für Neuropathie (trockene Haut, Stimmgabel, Warm- kalt
                             Diskriminierung) *
                            Reflexe
 Füße                       Pulse
                            Nerven
                            Deformitäten
                            Wunden
                            geeignete Schuhe
 Orthopädischer Status       Gangbild, Beweglichkeit
 Augenärztliche              Augenärztlicher US - Befund
 Voruntersuchung
 Technische Untersuchungen vor Aufnahme der sportlichen Aktivität
 Labor                  BZ – Profil
                        HBA1c *
                        BB
                        Kreatinin *
                        Mikroalbuminurie *
                        Fette *
 Unmittelbar vor        BZ
 Aufnahme der           bei Insulinbehandlung zusätzlich Untersuchung auf Ketonkörper sofern
 sportlichen Aktivität   BZ über 250mg/dl
 EKG                    Belastungs-EKG
                        bei pathologischen Geräuschen. Ruhe-EKG bei auffälliger Anamnese,
                         sowie generell bei Freizeitsportlern (Männer über 45 Jahre; Frauen über
                         55 Jahre) gegebenenfalls weiterführende kardiovaskuläre Diagnostik
Sportlern oder          Laktatleistungsdiagnostik
Bewegungsprogramme  Spiroergometrie
(gegebenenfalls)        Herzfrequenzvariabilität
Tab. 2 Durchführung und Einschränkungen bei Patienten mit Diabetes
Menschen mit Typ 2 Diabetes ohne Folgeerkrankungen [53,56]
strukturiertes     Plan und Kontrolltermine, in vierwöchigen Abständen vereinbaren (BZ Verlauf,
Training             mögliche Komplikationen)
Intensität und     Trainingsbeginn bei 50 bis 60% der Vo2max mit Steigerung auf 75%
Dauer                (alternativ Karvonenformel mit Bestimmung der Trainingsherzfrequenz)
                   Mit geringer Intensität und geringem Umfang beginnen (z.B. 3 bis 5 Minuten
                     zügiges Gehen, 1 Minute langsames Gehen)
                   Gehen über 30 Minuten
                   Steigerung der intensiven Phasen, z.B. um 1 Min pro Woche; nach 3 bis 4
                     Wochen „Tripp-Trapp-Laufen“
                   Kombination mit leichtem Krafttraining
                   Zusätzlich Koordinations- und Flexibilitätstraining
Überwachung bei  cave Hypoglycämien unter Sulfonylharnstoffen und Gliniden,
medikamentöser     Anpassung der Insulindosis vor dem Sport bzw. Zufuhr zusätzlicher KH
Therapie

Menschen mit Typ 1 Diabetes
Insulintherapie    Während körperlicher Aktivitäten können Über- und Unterinsulinierungen zu
                     Hypo- und Hyperglycämien (möglicherweise mit Ketosen) führen, so dass die
                     Insulintherapie bzw. die KH Zufuhr angepasst werden muss
                   Da viele Faktoren die Insulinantwort beeinflussen können, muss ein
                     individueller Anpassungsalgorithmus der Insulintherapie erstellt werden

Bewegungstherapie bei Retinopathie
Einschränkungen  Bei NPDR kann körperliche Aktivität und Sport ohne größere Einschränkungen
                    durchgeführt werden
                   Bei PDR ist körperliche Aktivität und Sport möglich, wenn keine Belastungs-
                    hypertonie vorliegt und Blutdruckanstiege unter Belastung von systolisch
                    >180 mmHg und/oder diastolisch >100 mmHg vermieden werden. Nach
                    Laserung der Netzhaut oder Augenoperation mindestens sechs Wochen lang
                    Verzicht auf körperliche Belastung (über 180 mmHg und/oder diastolisch
                    über 100 mmHg vermeiden)
Sportarten         Optimal sind Ausdauerbelastungen im aeroben Bereich
                   Ungünstig sind Krafttraining oder Kampfsportarten
Bewegungstherapie bei Nephropathie
Einschränkungen  Körperliche Aktivität kann die Proteinurie steigern, hat aber keinen negativen
                    Einfluß auf die Progression der Nephropathie
                   Medikamentöse Normalisierung eines Belastungshochdrucks ist essentiell.
                    Krafttraining oder
Sportarten         Kampfsportarten sollten vermieden werden
Bewegungstherapie bei peripherer Neuropathie und Diabetischem Fußsyndrom
Voraussetzung      Geeignetes Schuhwerk und Strümpfe (siehe Leitlinien DFS und
                    Versorgungsleitlinie der DDG)
                   Gegebenenfalls Einlagenversorgung entsprechend Leitlinien
                   Inspektion der Füße vor und nach sportlicher Aktivität
Sportarten         Fußgymnastik und Gleichgewichtstraining
Bewegungstherapie bei autonomer Neuropathie
Sportarten         Aerobes Ausdauertraining verbessert gestörte cardiale Regelmechanismen
                   Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten
Kontraindikation
Hypertonus         Bei Belastungshypertonie > 200 mmHg systolisch zuerst Blutdruck einstellen,
                    dann das Training beginnen. Cave PDR:
                    Kein Krafttraining, keine Pressatmung
Zust. n. Herzin-   Zunächst in eine Herzgruppe
farkt              Nach kardiologischer Unbedenklichkeitserklärung auch Diabetikersportgruppe
                    möglich
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