DIE BEDEUTUNG DER BUSINESS JUDGEMENT RULE INSBESONDERE AM BEISPIEL DER COVID- 19 KRISE

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Eingereicht von
                                        Mag.(FH) HARTER
                                        Christoph

DIE BEDEUTUNG DER                       Angefertigt am
                                        Institut für

BUSINESS
                                        Unternehmensrecht

JUDGEMENT RULE
                                        Beurteilerin
                                        Assoz. Univ.-Prof.in Dr.in
                                        Helene HERDA

INSBESONDERE AM
BEISPIEL DER COVID-
                                        April 2021

19 KRISE

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades

Magister der Rechtswissenschaften

im Diplomstudium
der Rechtswissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        www.jku.at
                                        DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw die wörtlich
oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Wiener Neustadt am 29.04.2021

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Mag. (FH) HARTER Christoph

29. April 2021                                  HARTER                                        2/49
Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis.................................................................................................................. 5

1            Einleitung ......................................................................................................................... 7

2            Die Rolle der Leitungsorgane .......................................................................................... 9

2.1          Unterschied zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften .......................................... 9

2.1.1        Trennungsprinzip ........................................................................................................... 10

2.1.2        Selbstorganschaft vs Fremd-/ Drittorganschaft ............................................................. 10

2.2          Der Begriff des Geschäftsführers .................................................................................. 11

2.2.1        Unterschiede in der Geschäftsleitung einer GmbH und einer AG ................................. 11

2.2.2        Pflichten der Leitungsorgane am Beispiel des Geschäftsführers .................................. 12

2.3          Die Haftung des Geschäftsführers ................................................................................ 13

2.3.1        Sorgfaltsmaßstab .......................................................................................................... 13

2.3.2        Beginn und Ende der Haftung ....................................................................................... 15

2.4          Die Entwicklung einer Haftungsprivilegierung ............................................................... 15

2.4.1        Die Entwicklung der Vorstandshaftung am Beispiel der AG.......................................... 16

2.4.2        Das StrRÄG 2015 als Geburtsstunde einer neuen Haftungsprivilegierung ................... 17

3            Business Judgement Rule ............................................................................................. 20

3.1          Entwicklung der BJR im internationalen Vergleich ........................................................ 20

3.1.1        Ausgangspunkt in den Vereinigten Staaten .................................................................. 20

3.1.2        Die Entwicklung in Deutschland .................................................................................... 21

3.1.3        Die Entwicklung im Fürstentum Liechtenstein ............................................................... 22

3.1.4        Die österreichische BJR im internationalen Vergleich ................................................... 23

3.2          Verhältnis zur bisherigen Rechtsprechung .................................................................... 24

3.3          Tatbestandsmerkmale der BJR ..................................................................................... 26

3.3.1        Unternehmerische Entscheidung .................................................................................. 27

3.3.2        Keine sachfremden Interessen ...................................................................................... 29

3.3.3        Handeln auf Grundlage angemessener Information...................................................... 30

3.3.4        Handeln zum Wohle der Gesellschaft ........................................................................... 32

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3.4          Zielsetzung der BJR ...................................................................................................... 34

3.4.1        Prüfung anhand einer kompensatorischen Gesamtbeurteilung .................................... 34

3.4.2        Grenzen beim Eingehen von Risiken ............................................................................ 34

4            Die BJR in der COVID-19 Krise ..................................................................................... 36

4.1          Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen aufgrund COVID-19 ......................................... 37

4.2          Leitungsorgane in der COVID-19 Krise ......................................................................... 37

4.2.1        Die Notwendigkeit von Ermessensentscheidungen ...................................................... 37

4.2.2        Die Notwendigkeit einer nachvollziehbaren Dokumentation ......................................... 38

4.3          Die BJR am Beispiel der Gewinnausschüttung während COVID-19 ............................. 39

4.4          Die BJR am Beispiel drohender Insolvenz während COVID-19 .................................... 41

4.5          Die BJR in der COVID-19 Krise am Beispiel Kanadas .................................................. 43

5            Schlussfolgerungen ....................................................................................................... 45

Literaturverzeichnis ..................................................................................................................... 47

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Abkürzungsverzeichnis

 ABGB                   Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch
 AG                     Aktiengesellschaft
 AktG                   Aktiengesetz
 BGH                    Bundesgerichtshof (D)
 BJR                    Business Judgement Rule
 bzgl                   bezüglich
 bzw                    beziehungsweise
 dh                     das heißt
 dAktG                  deutsches Aktiengesetz
 E                      Entscheidung
 etc                    et cetera
 EZB                    Europäische Zentralbank
 FMA                    Finanzmarktaufsicht
 gem                    gemäß
 GesbR                  Gesellschaft bürgerlichen Rechts
 ggstdl                 gegenständlich
 GmbH                   Gesellschaft mit begrenzter Haftung
 GmbHG                  GmbH Gesetz
 hA                     Herrschende Ansicht
 HGB                    HGB (D)
 hL                     herrschende Lehre
 iaR                    in aller Regel
 idF                    in der Fassung
 idR                    in der Regel
 iFv                    in Form von
 insb                   insbesondere
 IO                     Insolvenzordnung
 iSd                    im Sinne des
 iSv                    im Sinne von
 iVm                    in Verbindung mit
 iW                     im Wesentlichen
 mE                     meines Erachtens
 mM                     Mindermeinung
 oa                     oben angeführt

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OG              Offene Gesellschaft
 OGH             Oberster Gerichtshof
 PGR             Personen- und Gesellschaftsrecht (LIE)
 Rsp             Rechtsprechung
 sog             so genannt(e)
 SARS-CoV-2      severe acute respiratory syndrome
                 coronavirus 2 (COVID-19)
 StGB            Strafgesetzbuch
 StrRÄG          Strafrechtsänderungsgesetz
 stRsp           Ständige Rechtsprechung
 ua              unten angeführt
 UMAG            Gesetz zur Unternehmensintegrität und
                 Modernisierung des Anfechtungsrecht (D)
 vgl             vergleiche
 vs              versus
 zB              zum Beispiel

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1      Einleitung

Spätestens seit der ersten Jahreshälfte 2020 ist die, durch das Corona-Virus (COVID-19)
verursachte, Ausnahmesituation ein Umstand, der jeden Einzelnen auf eine gewisse Art und
Weise betrifft. Die jüngsten Gesetze und Verordnungen, deren Regelungszweck darauf abstellt,
eine weitere Ausbreitung des Virus bestmöglich zu unterbinden, bewirken nicht nur
Einschränkungen im täglichen Privatleben, sondern stellen insbesondere die heimische Wirtschaft
auf eine Bewährungsprobe.

Zwar wird seitens der Regierung versucht, mit Hilfe von Überbrückungskrediten, Ermöglichung
der Kurzarbeit etc die Auswirkungen weitestgehend abzufedern, dennoch löst dieser
Ausnahmezustand bei vielen Unternehmen eine wirtschaftliche Krise aus. Speziell in derartigen
Krisensituationen sind die Leitungsorgane von Gesellschaften gefordert, die gesetzlichen
Vorgaben zu beachten und dennoch zum besten Wohl der Gesellschaft zu handeln.

Darüber hinaus stehen die Leitungsorgane von Gesellschaften in einer derartigen Krise vor einer
Situation, in der sie Entscheidungen zu treffen haben, deren Ergebnis im höchsten Maß ungewiss
ist. Ausgehend von der allgemeinen Sorgfaltspflicht iSd § 84 AktG bzw § 25 GmbHG intensivieren
sich deren Pflichten in der Krise. Die allgemeinen Aufgaben der Leitungs- und Führungsfunktionen
in Unternehmen (wie etwa Planung, Organisation, Personalführung und Kontrolle) werden durch
die gegenwärtig unklare Entwicklung der wirtschaftlichen Tragkraft des heimischen Marktes
zusätzlich erschwert. Dabei ist stets zu beachten, dass Geschäftsführer bzw Vorstände iSd
§ 25 Abs 2 GmbHG bzw § 84 Abs 2 AktG für pflichtwidriges Verhalten einzustehen haben.

Um dennoch handlungsfähig zu bleiben, bedarf es in einer derart ungewissen Situation eines
gewissen Haftungsprivilegs für Leitungsorgane. Gerade in dieser, durch COVID-19 verursachten
Ausnahmesituation,          besteht   ein   breiter   Ermessensspielraum   bei   unternehmerischen
Entscheidungen. Dies beinhaltet ua das bewusste Eingehen von geschäftlichen Risiken sowie die
Gefahr           von   Fehlbeurteilungen.   Der   sog    Business   Judgement    Rule   (BJR)   als
rechtsformübergreifender Rechtsgrundsatz kommt hierbei besondere Bedeutung zu.

Die vorliegende Diplomarbeit beschäftigt sich eingangs mit der allgemeinen Rolle des
Geschäftsführers bzw des Vorstandes. In diesem Kontext wird ebenfalls die Haftung dieser
Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften näher erörtert.

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Darauf aufbauend soll die praktische Relevanz eines Haftungsprivilegs für Entscheidungen,
welche auf oft kaum einschätzbaren Prognoseentscheidungen gründen, dargelegt werden. In
diesem Zusammenhang wird die Entstehung sowie die Grundkonzeption der BJR im nationalen
wie internationalen Kontext (Hauptaugenmerk auf die Entwicklung in Österreich, Deutschland und
Liechtenstein) näher erörtert.

Überleitend auf die aktuellen Herausforderungen soll sich die Diplomarbeit mit generellen
‚Problemfeldern‘ rund um die COVID-19 Krise im Hinblick auf das Gesellschaftsrecht
auseinandersetzen.     Dabei     werden   exemplarisch    allgemeine   gesellschaftsrechtliche
Themenbereiche dargelegt und kurz erörtert, um die Tragweite der mit der ‚Corona-Krise‘
einhergehenden Komplexität in Bezug auf die Einhaltung der Gesetzeskonformität aufzuzeigen.

In weiterer Folge wird der Fokus jedoch auf die Erschwernis von Prognoseentscheidungen in der
gegenwärtigen COVID-19 Krise gelegt. Verdeutlicht werden soll dies durch praxisrelevante
Beispiele, wie etwa das Problem der Gewinnausschüttung bei Kapitalgesellschaften in
Krisenzeiten bzw der Haftungsgefahr von Leitungsorganen bei drohender Insolvenz während der
Pandemie. Die grenzüberschreitende Relevanz der BJR soll schließlich anhand der Sichtweise
der kanadischen Rsp hinsichtlich Haftungsprivileg und COVID-19 dargestellt werden.

Aufbauend auf den bis dahin erörterten Themenbereichen (Rolle des Geschäftsführers,
Entwicklung und Grundkonzeption der BJR, Gesellschaftsrecht und Prognoseentscheidungen in
der COVID-19 Krise) soll letztendlich folgende forschungsleitende Fragestellung beantwortet
werden:
Welche Rolle spielt die BJR beim unternehmerischen Handeln von Kapitalgesellschaften und
welche Auswirkungen ergeben sich insbesondere durch die COVID-19 Krise im Hinblick auf
dieses Haftungsprivileg?

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2      Die Rolle der Leitungsorgane

Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit den Leitungsorganen von Gesellschaften. Aufgrund
der ohnehin unmittelbaren und unbeschränkten Haftung von Personengesellschaften (siehe unten
2.1) wird im Folgenden lediglich auf Kapitalgesellschaften Bezug genommen. Im Hinblick auf die
nationale gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung in quantitativer Hinsicht, werden hierbei speziell
die Leitungsorgane der GmbH (iFv Geschäftsführer) und jene der AG (iFv Vorständen) näher
erörtert.

Um die Relevanz der in der forschungsleitenden Fragestellung zu behandelnden BJR besser
verstehen zu können, ist es zunächst erforderlich, die Bedeutsamkeit der Leitungsorgane sowie
die Kompetenzen und Verpflichtungen selbiger näher zu beleuchten. Im Hinblick auf mögliche
Haftungsfragen ist vorab zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften zu unterscheiden. Hier
bilden im Speziellen die Begrifflichkeiten des ‚Trennungsprinzips‘ und der Art und Weise der
‚Organschaft‘ eine wesentliche Trennlinie zwischen den Gesellschaftsformen. Nach einer
folgenden näheren Beleuchtung der Pflichten und Kompetenzen von Leitungsorganen, richtet sich
der Fokus dieses Kapitels auf die allgemeinen Haftungsbestimmungen bezüglich Geschäftsführer
und Vorstände sowie auf die Entwicklung einer Haftungsprivilegierung im Falle von
unternehmerischen Ermessensentscheidungen.

2.1 Unterschied zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften

Als generelle Definition, was eine Gesellschaft ist, kann auf die Diktion der Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GesbR) iSd § 1175 Abs 1 ABGB verwiesen werden. Demnach liegt eine
Gesellschaft       vor,   wenn      sich   zwei    oder    mehrere      Personen      durch    einen    Vertrag
zusammenschließen, um durch eine bestimmte Tätigkeit einen gemeinsamen Zweck zu
verfolgen.1

Gesellschaftsformen können nicht beliebig geschaffen werden, vielmehr hat der Gesetzgeber eine
geschlossene Anzahl von möglichen Gesellschaftsformen vorgegeben. Man spricht hierbei vom
„numerus clausus“ der Gesellschaftsformen.2 Eine generelle Trennlinie zwischen den zur
Verfügung stehenden Gesellschaftsformen bildet die Unterscheidung zwischen Personen- und
Kapitalgesellschaften. Die Grundelemente der oa Definition (Mehrpersonalität, gemeinsamer
Zweck sowie auf Basis eines zugrundeliegenden Vertrags) beziehen sich zwar sowohl auf die

1
    Vgl dazu ua Artmann/Rüffler, Grundriss des österreichischen Gesellschaftsrechts2 (2020) Rz 1.
2
    Karollus/Huemer/Harrer/Haglmüller, Casebook – Allgemeines Unternehmens- und Gesellschaftsrecht6 (2020) 155.

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Personen- wie auch auf die Kapitalgesellschaft, aber speziell hinsichtlich Leitung und Haftung ist
zwischen diesen beiden strikt zu differenzieren. Als Grundlage für die weiterführende Diplomarbeit
dürfen zwei wesentliche Unterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften
vorangestellt werden.3

2.1.1      Trennungsprinzip

In Kapitalgesellschaften gilt ist das sogenannte Trennungsprinzip. Demnach werden die
Vermögensmassen zwischen der Kapitalgesellschaft und den Gesellschaftern strikt getrennt. Für
die Gesellschaftsschulden haftet idR nur das Gesellschaftsvermögen. Hingegen haften bei
Personengesellschaften ein oder mehrere Gesellschafter unbeschränkt und persönlich mit ihrem
Privatvermögen.4

2.1.2      Selbstorganschaft vs Fremd-/ Drittorganschaft

Personengesellschaften arbeiten nach dem Prinzip der Selbstorganschaft. Am Beispiel der OG
(dem „Prototyp“ der Personengesellschaften) obliegt die Geschäftsführung in Ermangelung
anderer Vereinbarungen jedem Gesellschafter. Darüber hinaus wird die OG von jedem ihrer
Gesellschafter nach außen hin vertreten. Bei Personengesellschaften gibt es demnach keinen
besonderen Akt, wonach Organe bestellt werden. Im Unterschied dazu können bei
Kapitalgesellschaften fremde, dritte Personen zu Organen bestellt werden.5 Es kommt demnach
das Prinzip der Dritt- oder Fremdorganschaft zur Anwendung; dh die Mitglieder der Verwaltungs-
und Aufsichtsorgane müssen – anders als im Personengesellschaftsrecht – nicht selbst
Gesellschafter sein. Die Organfunktion wird vielmehr durch einen formellen Bestellungsakt
erworben.6

Die Prototypen der Kapitalgesellschaften in Österreich bilden einerseits die GmbH (mit 104.991
Gesellschaften) und andererseits die AG (mit 1.255 Gesellschaften).7 Demzufolge wird bei der
folgenden näheren Betrachtung der Leitungsorgane – insbesondere der Geschäftsführer – auf
diesen beiden Gesellschaftsformen Bezug genommen.

3
  Auf die darüber hinaus zu unterscheidenden Strukturmerkmale (wie Aufbau, Arbeitsleistung, Mitgliedschaft oder
Auflösung) wird aufgrund der Fokussierung auf die forschungsleitende Fragestellung nicht näher eingegangen.
4
  Herda, Geschäftsführerhaftung gem § 25 GmbHG, JAS 2018, 155 (160).
5
  Herda, Geschäftsführerhaftung, JAS 2018, 155 (161).
6
  Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 598.
7
  WKO Statistik, Kammermitglieder nach Rechtsformen 2019 (Stand 02.10.2020, wko.at).

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2.2 Der Begriff des Geschäftsführers

Unter Geschäftsführer (oder Geschäftsleitung) versteht man im Gesellschaftsrecht eine oder
mehrere natürliche Personen, die bei Unternehmen oder sonstigen Personenvereinigungen mit
der Führung der Geschäfte im Innenverhältnis, sowie der Vertretung der Gesellschaft im
Außenverhältnis betraut sind.8

Ein wichtiger Aspekt im Gesellschaftsrecht ist also die Abgrenzung der Vertretung von der
Geschäftsführung. Die Position der Geschäftsführer im Außenverhältnis (Vertretungsmacht) ist
gem dem Regelungskonzept des § 20 Abs 2 GmbHG nicht beschränkbar. Wohingegen im
gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis weitestgehend Gestaltungsfreiheit besteht.9 Dieses
Modell entspricht dem oben beschriebenen Institut der Fremd-/ Drittorganschaft bei
Kapitalgesellschaften. Durch die Organe der jeweiligen Gesellschaft werden selbige erst
handlungsfähig.10 Als juristische Person kann eine Kapitalgesellschaft dementsprechend nur
durch ihre Organe handeln.

Die GmbH sowie die AG werden gerichtlich und außergerichtlich durch ihre Geschäftsführer bzw
ihre Vorstände vertreten.11 Am Beispiel der GmbH hat sich der OGH dahingehend
ausgesprochen, dass der Geschäftsführer einer GmbH, wenn er für die juristische Person tätig
wird, nicht im eigenen Namen handelt, sondern als organschaftlicher Vertreter der Gesellschaft.
Der Geschäftsführer verpflichtet oder berechtigt demgemäß unmittelbar die GmbH.12 Folgt man
daher der hL und Rsp sind Geschäftsführer nicht als Bevollmächtigte, sondern als Organ der
Gesellschaft anzusehen. Im Folgenden soll kurz auf die Unterschiede der Geschäftsleitung in den
Kapitalgesellschaftsformen der GmbH und AG eingegangen werden.

2.2.1      Unterschiede in der Geschäftsleitung einer GmbH und einer AG

Zwar sind die Aufgaben der Geschäftsleitung einer AG und einer GmbH durchaus miteinander
vergleichbar, doch ergeben sich im Detail einige Unterschiede im Bereich der jeweiligen
Leitungsfunktionen. Die Leitung der GmbH erfolgt durch den Geschäftsführer, die der AG durch
den Vorstand. Grundsätzlich kann die Organisation einer GmbH im Vergleich zu jener einer AG
als etwas einfacher angesehen werden. Bei einer GmbH sind beispielsweise als zwingende
Organe lediglich die Geschäftsführer zu bestellen und die Generalversammlung einzurichten.

8
  Karollus/Huemer/Harrer/Haglmüller, Casebook6 226.
9
  G&W Steuerberatung Hasch & Partner, Der GmbH- Geschäftsführer, Rechte und Pflichten (2013) 21.
10
   Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte (2013) 16.
11
   § 18 Abs 1 GmbHG bzw. § 71 AktG.
12
   OGH 26.09.1991, 6 Ob 607/91.

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§ 29 GmbHG regelt darüber hinaus die Voraussetzungen, nach welchen zwingend ein Aufsichtsrat
einzurichten bzw ein Abschlussprüfer zu bestellen sind. Die Bestellung der Geschäftsführer erfolgt
gem § 15 GmbHG durch Beschluss der Gesellschafter. Im Vergleich dazu, ist bei der AG stets
zwingend ein Aufsichtsrat iSd § 86 AktG einzurichten. Dieser wiederum bestellt gem
§ 75 AktG die Vorstandsmitglieder. Eine wesentliche Unterscheidung betrifft die Weisungsfreiheit
bzw Weisungsgebundenheit. Die Geschäftsführer einer GmbH unterliegen in allen ihren
Maßnahmen den Weisungen der Generalversammlung bzw des Aufsichtsrates.13 Im Gegensatz
dazu unterliegt der Vorstand einer AG weder den Weisungen der Hauptversammlung noch
solchen des Aufsichtsrates.14 Er führt die Geschäfte vielmehr weisungsfrei und unter eigener
Verantwortung.15

Im Hinblick auf die in weiterer Folge zu behandelnde Haftungsthematik ist dieser Unterschied
insofern relevant, als ein Geschäftsführer für Schäden der Gesellschaft, welche durch
Geschäftsführungsmaßnahmen auf Grundlage einer Weisung durch die Generalversammlung
entstanden sind, dementsprechend nicht haftet (die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers
vorausgesetzt).

2.2.2      Pflichten der Leitungsorgane am Beispiel des Geschäftsführers

§§ 24 ff GmbHG normieren die überwiegenden Verhaltenspflichten des Geschäftsführers einer
GmbH. Im Rahmen der Ausübung seiner gesellschaftlichen Tätigkeiten ist es demzufolge die
gesetzlich       auferlegte   Pflicht   des    Geschäftsführers,       die   Sorgfalt    eines     ordentlichen
Geschäftsmannes anzuwenden.16 Die Pflichten des Gesellschafters lassen sich überblicksmäßig
in folgende Bereiche aufgliedern:
     -     Sorgfaltspflicht
     -     Treuepflicht und Loyalität
     -     Sonstige gesellschaftsrechtliche Pflichten
     -     Öffentlich-rechtliche Pflichten17

Neben der Regelung der Verhaltenspflichten normieren die §§ 24 ff GmbHG gleichfalls die Frage
der Haftung der Geschäftsführer bei Verstößen gegen diese Pflichten. Speziell hinsichtlich
Haftungsfragen empfiehlt es sich, den Begriff der „Sorgfalt“ etwas näher zu beleuchten.

13
   § 20 Abs 1 GmbHG.
14
   Mit Ausnahme der zustimmungspflichtigen Geschäfte iSd § 95 Abs 5 AktG (zB Erteilung der Prokura).
15
   Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer 18.
16
   § 25 Abs 1 GmbHG.
17
   G&W Steuerberatung Hasch & Partner, Der GmbH- Geschäftsführer 81.

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2.3 Die Haftung des Geschäftsführers

Um ein Organ aufgrund eines von ihm verursachten Schadens ersatzpflichtig zu machen – sprich
einen        zivilrechtlichen   Schadenersatz       geltend     zu    machen       –    müssen      ebenso       im
gesellschaftsrechtlichen Sinn die vier grundlegenden Tatbestandsvoraussetzungen (Schaden,
Verursachung iSv Adäquanz, Rechtswidrigkeit und Verschulden) kumulativ erfüllt sein.18
Demnach ist der tatsächliche Eintritt eines Schadens infolge einer Handlung (oder Unterlassung)
Grundvoraussetzung für eine zivilrechtliche Inanspruchnahme. Als rechtswidrig gilt eine Handlung
(oder Unterlassung) unter anderem dann, wenn durch sie gesetzliche Pflichten aus dem
Anstellungsvertrag, einem Schutzgesetz19 oder den einschlägigen gesellschaftsrechtlichen
Grundlagen (GmbHG, AktG) verletzt wurden.20

Hierbei wird grundsätzlich zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit unterschieden, wobei in manchen
Sachverhaltskonstellationen bereits leichte Fahrlässigkeit haftungsbegründend ist. Schuldhaft iSv
fahrlässig ist eine Handlung/Unterlassung dann, wenn sie dem Handelnden aufgrund dessen
mangelnder Sorgfalt vorwerfbar ist.21

Die Parallelbestimmungen im AktG22 normieren analoge Pflichten der Vorstandsmitglieder einer
Aktiengesellschaft. Diese sind ebenso zur ordentlichen und gewissenhaften Leitung des
Unternehmens der AG sowie zur Überwachung bzw Ausübung der Mitgliedschaftsrechte in
Beteiligungsgesellschaften verpflichtet. Ebenso wird hier auf die Beachtung der Regeln einer
sorgfältigen Unternehmensleitung abgestellt.23

2.3.1      Sorgfaltsmaßstab

Um im Einzelfall feststellen zu können, ob oder allenfalls inwiefern die erforderliche Sorgfalt
eingehalten wurde, muss zunächst der für Geschäftsführer und Vorstände geltende
Sorgfaltsmaßstab näher definiert werden. Hierzu gilt es folgende Punkte zu beachten:

18
   Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 958.
19
   § 39 GewO beschreibt das Regelungskonzept des gewerberechtlichen Geschäftsführers. In der Entscheidung 8 Ob
57/17s vom 28.09.2017 hat der OGH erstmals eine Ersatzpflicht des gewerberechtlichen Geschäftsführers bejaht und
§ 39 Abs 1 GewO ausdrücklich als Schutzgesetz qualifiziert. Vgl Vrba/Unger, Persönliche Haftung des Geschäftsführers
einer GmbH, in Vrba (Hrsg), Schadenersatz in der Praxis Rz 1 (41. Lfg Dezember 2019, lexis360.at).
20
   Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer 35.
21
   Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer 35.
22
   §§ 84 ff AktG.
23
    Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus (Hrsg), AktG II6 § 84 Rz 33
(Stand 01.10.2018, rdb.at).

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-     Keine Erfolgshaftung:
           Es handelt sich beim unternehmerischen Tätigwerden des Geschäftsführers um keine
           Erfolgshaftung. Er soll eben nicht das unternehmerische Risiko tragen, sondern nur für
           sorgfaltswidriges Handeln verantwortlich gemacht werden. Das unternehmerische Risiko
           wird weiterhin von der Gesellschaft getragen.24 Diesbezüglich hat sich der OGH in seiner
           Entscheidung (E) 3 Ob 287/02f ausgesprochen. Diese E besagt, dass eine (reine)
           Erfolgshaftung die Geschäftsführer im Rahmen des § 25 GmbHG freilich nicht trifft, denn
           das unternehmerische Risiko trägt die Gesellschaft. 2016 sprach sich der OGH hinsichtlich
           Erfolgshaftung von Leitungsorganen einer Kapitalgesellschaft folgendermaßen aus:
           „Damit traf auch bislang den Vorstand oder Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft keine
           Erfolgshaftung; sie hatten vielmehr nur für ein ex ante pflichtwidriges Verhalten
           einzustehen.“25
     -     Nach Maßstab der konkreten Gesellschaft:
           Der Sorgfaltsmaßstab ist grundsätzlich den Fähigkeiten und Kenntnissen, die von einem
           Geschäftsführer in dem betreffenden Geschäftszweig und nach Größe des Unternehmens
           üblicherweise erwartet werden können, zu entnehmen. Demnach sind beispielsweise die
           Anforderungen an den Geschäftsführer einer Bank höher als jene an einen einer kleinen
           Gastronomiebetriebs-GmbH.26 Der OGH hat sich bereits 2003 für die Differenzierung der
           jeweiligen Gesellschaften hinsichtlich Größe und Geschäftszweig ausgesprochen: „Der
           Sorgfaltsmaßstab für den Geschäftsführer ist den Fähigkeiten und Kenntnissen, die von
           einem Geschäftsführer in dem betreffenden Geschäftszweig und nach der Größe des
           Unternehmens üblicherweise erwartet werden können, zu entnehmen; er darf nicht
           überspannt werden.“27
     -     Sicht ex ante:
           Der Begriff ex ante bezeichnet eine Beurteilung aus früherer Sicht. Es gilt hierbei sog
           Rückschaufehler zu vermeiden. Dieser Terminus umschreibt das Phänomen, dass man
           geneigt ist, spätere Erfahrungen in die Beurteilung der Sorgfaltsmäßigkeit einer Handlung
           mit einzubeziehen.28
     -     Ermessensspielraum:
           Der unternehmerischen Praxis ist geschuldet, dass Entscheidungen immer mit einem
           gewissen Risiko behaftet sind. Dies betrifft nicht nur Ausnahmesituationen wie die
           gegenwärtige      COVID-19      Krise,    sondern      stellt   einen   generellen   Faktor   der
           Unternehmenspraxis dar. Derartigen Entscheidungen wird ein breiter unternehmerischer

24
   Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 959.
25
   OGH 23.03.20016, 6 Ob 160/15w.
26
   Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer 36.
27
   OGH 17.10.2003, 1 Ob 20/03b.
28
   Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 959.

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Ermessensspielraum zugestanden.29 Der OGH formuliert dies in einer E aus 2002
           folgendermaßen: „Verletzungen dieser […] Interessenwahrungspflicht sind nur bei
           eklatanter Überschreitung des Ermessensspielraums zu ahnden.“30 Demnach wird eine
           haftungsauslösende     Sorgfaltswidrigkeit     nur    dann    begangen,         wenn   man   den
           Ermessensspielraum eklatant/evident überschreitet.31

2.3.2      Beginn und Ende der Haftung

Die Haftung von Geschäftsführern sowie von Vorstandsmitgliedern beginnt grundsätzlich mit dem
Zeitpunkt, mit dem sie ihr jeweiliges Amt übernehmen. Der Zeitpunkt der dementsprechenden
Firmenbucheintragung ist hierfür nicht von Relevanz.32 Die Haftung endet hingegen mit der
tatsächlichen Nichtausübung nach rechtlicher Beendigung der Bestellung.33

2.4 Die Entwicklung einer Haftungsprivilegierung

Wie soeben erörtert sind die Geschäftsführer einer GmbH gem § 25 GmbHG bei der Ausübung
ihrer gesellschaftlichen Tätigkeiten dazu angehalten, die Sorgfalt eines ordentlichen
Geschäftsmannes walten zu lassen. Bereits aus der Diktion des § 25 Abs 1 GmbHG heraus lässt
sich schließen, dass diese Verpflichtung der Geschäftsführer primär gegenüber der Gesellschaft
selbst und nicht gegenüber den einzelnen Gesellschaftern oder Gläubigern zum Tragen kommt.
Dies spiegelt sich gleichermaßen in der Rsp des OGH wider, wonach „der Geschäftsführer nur
der Gesellschaft gegenüber zur Tätigkeit verpflichtet, verantwortlich und haftbar ist, nicht aber
gegenüber den einzelnen Gesellschaftern. Direkte Rechtsbeziehungen bestehen nur zwischen
dem Geschäftsführer und der Gesellschaft, nicht aber zwischen ihm und den einzelnen
Gesellschaftern.“34

Darüber hinaus normiert § 61 Abs 2 GmbHG, dass für Verbindlichkeiten der Gesellschaft ihren
Gläubigern gegenüber nur das Gesellschaftsvermögen haftet. In derselben E spricht sich der
OGH jedoch für eine direkte Haftung der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern bzw
Gläubigern aus. Demnach ist in Lehre und Rsp anerkannt, dass bei Verletzung von – speziell den
Schutz von Gläubigern anstrebenden – Normen, Schadenersatzansprüche gegen den
Geschäftsführer einer GmbH nach allgemeinen bürgerlichen Grundsätzen bestehen können.35 In

29
   Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 959.
30
   OGH 26.02.2002, 1 Ob 144/01k.
31
   Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 959.
32
   Einzelne Ausnahmen hierzu sind etwa im Finanzbereich iVm Abgabenerklärungen normiert.
33
   Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer 40.
34
   OGH 20.11.1991, 1 Ob 617/91.
35
   OGH 20.11.1991, 1 Ob 617/91.

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bestimmten         Fällen     kann   also   der   Geschäftsführer   direkt   von    Gesellschaftern      oder
Gesellschaftsgläubigern in Anspruch genommen werden. Man spricht hierbei vom Institut der
Durchgriffshaftung, wobei zwischen ‚echter Durchgriffshaftung‘ (Außenhaftung) und ‚unechter
Durchgriffshaftung‘ (Innenhaftung) unterschieden werden muss.36

Zusammengefasst kommt eine Haftung des Geschäftsführers demgemäß nur in Betracht, wenn
er seine Pflichten verletzt bzw den oa Sorgfaltsmaßstab verletzt.

2.4.1      Die Entwicklung der Vorstandshaftung am Beispiel der AG

Wie bereits zuvor beschrieben, ist beim Handeln der Leitungsorgane das Prinzip der
Erfolgshaftung nicht einschlägig. Dies führt zu dem Umstand, dass unternehmerische
Entscheidungen, die nicht den gewünschten Erfolg bringen, nicht per se haftungsbegründend
sind. Bei der AG (bzw GmbH) trägt das unternehmerische Risiko die Gesellschaft. Dies beinhaltet
insbesondere das Risiko, dass sich Maßnahmen infolge unvorhersehbarer Änderungen der
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als nachteilig erweisen können. An sich sorgfältig erstellte
Prognosen können sich vor dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Unsicherheit als
nichtzutreffend herausstellen. Bei einer realitätsnahen Beurteilung erfolgen zukunftsorientierte
Entscheidungen stets unter Inkaufnahme eines gewissen Unsicherheitsfaktors.37 Der OGH spricht
sich diesbezüglich schon früh für eine Risikotragung der Gesellschaft aus: „Damit, dass eine
Maßnahme für die Gesellschaft auch ungünstig ausfallen kann, muss immer gerechnet werden;
das liegt im Wesen des geschäftlichen Risikos, das die Gesellschaft und nicht deren gesetzlicher
Vertreter persönlich zu tragen hat.“38

Unternehmerische Geschäfte werden folglich idR unter Unsicherheit getroffen und sind von Natur
aus risikobehaftet. Dieser Umstand lässt sich kaum vermeiden, da eine Unternehmensleitung
qualitativ nicht mit einer schlichten Vermögensverwaltung zu vergleichen ist und das Eingehen
von Risiken notwendiger Bestandteil unternehmerischen Handelns ist. Eine Pflichtwidrigkeit des
Handelns         ist   erst   anzudenken,     wenn    ein   Vorstandsmitglied      die   Bereitschaft,    ein
unternehmerisches Risiko einzugehen in unverantwortlicher Weise überspannt.39 Dies
untermauert der OGH in einer E aus dem Jahr 2002: „Der Fehlschlag unternehmerischer
Entscheidungen ist nicht schon an sich pflichtwidrig, würde dem Organ doch sonst das
Unternehmerrisiko aufgebürdet, das stets bei der Gesellschaft bleibt; nur die Verletzung der Pflicht

36
   Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 1088.
37
   Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 104.
38
   OGH 31.10.1973, 1 Ob 179/73.
39
   Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 131.

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zu branchen-, größen- oder situationsadäquaten Bemühen kann dem Organ als Pflichtverletzung
vorgeworfen werden.“40

2.4.2      Das StrRÄG 2015 als Geburtsstunde einer neuen Haftungsprivilegierung

Handelt ein Leitungsorgan – wie eben der Vorstand einer AG – pflichtwidrig im oa Sinn, so kann
sich das Vorstandsmitglied ua der Untreue iSd § 153 StGB strafbar machen. Der Tatbestand der
Untreue ist (gem alter und neuer Rechtslage) bereits dann erfüllt, wenn das Vorstandsmitglied
seine Befugnis wissentlich missbraucht und damit der AG einen, zumindest mit bedingtem Vorsatz
ergangenen, Vermögensnachteil zufügt. Ein Missbrauch der Befugnis liegt vor, wenn das
Vorstandsmitglied nach außen hin Handlungen setzt, die ihm im Innenverhältnis verboten sind.41

Viel diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die sog „Libroentscheidung“ des OGH.42 Bei
diesem Fall handelte es sich um eine Sonderdividende, die durch die Libro Handels AG an den
Alleinaktionär UD-AG ausgeschüttet wurde. Diese Ausschüttung basierte auf einem wissentlich
grob unrichtigen und daher nichtigen Jahresabschluss. Der OGH sprach sich in seiner E
dahingehend aus, dass für den Tatbestand der Untreue nicht der mittelbare Schaden der
Aktionäre (welcher im gegenständlichen Fall nicht vorliege), sondern der Schaden an der AG
selbst maßgebend ist.43

Diese E des OGH stieß überwiegend auf Ablehnung. In einer vorangegangenen E aus dem Jahr
1982 sprach sich der OGH dahingehend aus, dass „[…] wenn der Täter selbst (nicht nur
Geschäftsführer, sondern auch) einziger Gesellschafter – und damit wirtschaftlich gesehen nach
Maßgabe der Haftungsbeschränkung faktisch mit der Gesellschaft ident – ist, bei einer
ökonomischen Betrachtung doch nicht gesagt werden, er habe durch eine Schädigung der
Gesellschaft wirklich einem 'anderen' einen Vermögensnachteil zugefügt […].“44

Die Rsp hat im Falle einer Einmann-GmbH eine wirtschaftliche Betrachtungsweise gefordert, bei
der die Vermögensverschiebung zwischen Gesellschaft und Alleingesellschafter keinen für die
Untreue relevanten Schaden darstellt. Ausschlaggebend für die Diskussionen rund um die sog
„Libroentscheidung“ war, dass der Begriff der Untreue iSd StGB unzureichend präzise war.

40
   OGH 26.02.2002, 1 Ob 144/01k.
41
   Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 141.
42
   OGH 30.01.2014, 12 Os 117/12s.
43
   Vgl dazu auch Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84
Rz 142.
44
   OGH 27.07.1982, 10 Os 170/80.

29. April 2021                                      HARTER                                           17/49
Mit der am 01.01.2016 in Kraft getretenen Strafrechtsreform (StrRÄG 2015)45 reformierte der
Gesetzgeber § 153 StGB. Dieser stellt nun klar, dass ein Befugnismissbrauch dann vorliegt, wenn
in unvertretbarer Weise gegen Regeln verstoßen wird, die dem Vermögensschutz des
wirtschaftlich Berechtigten dienen. Es wurde dabei ausdrücklich auf die eben beschriebene
jüngere Kontroverse um den Tatbestand der Untreue Bezug genommen. Erklärtes Ziel war eine
Präzisierung dieses Terminus.46

Infolgedessen, dass Pflichtwidrigkeit eine Voraussetzung der Untreue ist, sollte im Zuge dieser
Reform klargestellt werden, wann im gesellschaftsrechtlichen Sinn ein pflichtwidriges Verhalten
vorliegt.47 Basierend auf dieser Forderung wurde mit der Strafrechtsreform in Österreich explizit
die so genannte ‚Business Judgement Rule‘ (BJR) verankert. Sowohl § 84 AktG, welcher sich mit
der Haftung von Vorstandsmitgliedern befasst, als auch § 25 GmbHG, betreffend der
Geschäftsführerhaftung, wurde ein neuer Abs 1a hinzugefügt. Damit bestätigte der Gesetzgeber
das vom OGH verfolgte Konzept eines weitgehend haftungsfreien unternehmerischen
Ermessensspielraums.48

Bei der Ausgestaltung dieses neuen § 84 Abs 1a AktG bzw § 25 Abs 1a GmbHG orientierte man
sich inhaltlich an § 93 dAktG. Ob es sich dabei jedoch tatsächlich um eine Kodifizierung der BJR
handelt, wird von Teilen der Lehre bezweifelt. Dies begründet sich dadurch, dass die BJR im US-
amerikanischen Recht als Beweislastregel gehandhabt wird. Darüber hinaus wurde durch die oa
Absätze lediglich etwas festgeschrieben bzw normiert, was ohnehin der geltenden Ansicht von
Lehre und Rsp entsprach. Die bereits oa älteren E des OGH weisen darauf hin, dass für den OGH
die BJR der Sache nach bereits vorher in der Literatur anerkannt war, gleichwohl sie erst mit dem
StrRÄG 2015 positivrechtlich verankert wurde.49

Selbst wenn es materiell-rechtlich gem diverser Argumentationen nicht von besonderer Relevanz
ist, eine Regelung zu kodifizieren, da sie ohnehin durch die stRsp des OGH in der Praxis
umgesetzt wird, ist es mE nach dennoch ein deutliches Signal des Gesetzgebers, die
unternehmensrechtliche Wichtigkeit dieses Haftungsprivilegs zum Ausdruck zu bringen. Darüber
hinaus wird durch die Normierung der BJR einem internationalen Trend gefolgt, auf welchen im
folgenden Kapitel näher eingegangen wird.

45
   Strafrechtsänderungsgesetz 2015 BGBl I 2015/112.
46
   Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 143.
47
   Man spricht hier von der sog „Zivilrechtsakzessorietät“ der Untreue; Herda, Geschäftsführerhaftung, JAS 2018,
155 (162) mwN.
48
   Karollus, Die neuen gesetzlichen Regelungen zur Business Judgment Rule im Gesellschaftrsrecht (§ 84 Abs 1a AktG
und § 25 Abs 1a GmbHG), in Kodek (Hrsg), Untreue NEU (2017) 43 (51).
49
   Herda, Geschäftsführerhaftung, JAS 2018, 155 (163).

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Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass durch die gesetzliche Verankerung der BJR im
Zuge dieser Strafrechtsreform, das StrRÄG 2015 durchaus als formelle Geburtsstunde der BJR
im österreichischen Gesellschaftsrecht gesehen werden kann, obgleich sie bereits vorher
materiell-rechtliche Anerkennung der Lehre und Rsp genoss.

Strenggenommen              ist   die     verpflichtende      Orientierung       bei     der    Bestimmung   des
Missbrauchsstandards an den Grundsätzen der BJR lediglich eine Klarstellung. Die Gerichte
hatten sich ohnehin schon bisher daran orientiert.50

50
     Voppichler, Business Judgement Rule – Strafrecht (Stand 12.9.2019, Lexis Briefings in lexis360.at).

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3       Business Judgement Rule

Aus den bisherigen Ergebnissen lässt sich also festhalten, dass die BJR dazu dient, die Haftung
von Leitungsorganen auf ein vernünftiges Maß einzuschränken. Dies bedeutet nichts anderes, als
dass        unter    bestimmten        Voraussetzungen         die     Haftung      der    Geschäftsführer       und
Vorstandsmitglieder ausgeschlossen ist, selbst wenn der Gesellschaft aufgrund ihrer
Entscheidungen ein Nachteil erwachsen ist.

Das folgende Kapitel beschäftigt sich nun eingehend mit dem Regelungskonzept und der erklärten
Zielsetzung der BJR. Um die gesamtwirtschaftliche Tragweite dieses Haftungsprivilegs zu
erfassen, wird vorab die Entwicklung im internationalen Umfeld beleuchtet, um darauf aufbauend
die Relevanz dieser Regelung zu demonstrieren. Darüber hinaus sollen in diesem Kapitel die
Tatbestandsmerkmale zur Geltendmachung der BJR erörtert werden. Dabei wird diese Regelung
im Verhältnis zur alten Rechtslage sowie zur allgemeinen Sorgfaltspflicht beurteilt.

3.1 Entwicklung der BJR im internationalen Vergleich

Die BJR als rechtsformübergreifendes Haftungsprivileg ist keineswegs ein Konstrukt des
österreichischen Gesellschaftsrechts. Vielmehr wurde mit der gesetzlichen Verankerung einem
bereits bekannten internationalen Trend gefolgt.

3.1.1      Ausgangspunkt in den Vereinigten Staaten

Ausgangspunkt der Entwicklung war wohl die Rechtsprechung der Vereinigten Staaten seit Mitte
des letzten Jahrhunderts. Im Urteil Otis & Co v. Pennsylvania R. Co. aus dem Jahr 1945 wurde
eine       sehr     weitgehende       Haftungsfreistellung       für   Gesellschaftsorgane         im    Falle   von
unternehmerischen           Ermessensentscheidungen             ausgesprochen.51          Der   Kerngedanke      der
amerikanische BJR liegt wohl darin, dass Unternehmer nicht für ihre Entscheidungen haften,
sofern diese billig und gerecht gehandelt haben.52 1988 legte der Supreme Court of Delaware in
einem Urteil einen Tatbestandskatalog für die US-amerikanische BJR fest: „[…] the business
judgment rule is but a presumption that director making a business decision, not involving self-
interest, act on an informed basis, in good faith and in the honest belief that their actions are in

51
     Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (49).
52
     Willen, Die Business Judgement Rule, Auslegung der Legalitätspflicht bei unklarer Rechtslage (2019) 8.

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the corporation’s beset interest. Thus, good faith and the absence of self-dealing are threshold
requirements for invoking the rule.“53

Der OGH folgte in einer E aus 2016 diesem Grundsatz und fasste ihn wie folgt zusammen: „Unter
der im anglo-amerikanischen Rechtsbereich herausgebildeten Business Judgement Rule […] wird
– vereinfacht ausgedrückt – der Grundsatz verstanden, dass ein Manager, der das Wagnis einer
unternehmerischen Entscheidung eingeht, nicht dafür haften soll, wenn sich seine Entscheidung
zwar als Irrtum herausstellt und Schaden daraus resultiert, er aber bestrebt war, auf einer
informierten Grundlage und frei von Interessenkonflikten das Beste für das Unternehmen zu
bewirken.“54

Die aus der oa E des Supreme Court of Delaware ableitbaren Tatbestandsmerkmale sollen sich
im weiteren Verlauf der Entwicklung in ähnlicher Weise in der österreichischen Auslegung der
BJR wiederfinden (siehe dazu unten 3.3).

3.1.2      Die Entwicklung in Deutschland

Die heute gültige aktienrechtliche Organhaftung des dAktG hat ihren Ursprung im § 241 HGB idF
von 1897. Der Großteil der damaligen Vorstandshaftung besteht in Deutschland bis heute fort.
Die heutigen Regelungen zur Sorgfalt wurden in den damaligen § 84 dAktG idF 1937 durch
geringfügige Änderungen eingefügt, welche in weiterer Folge in den heutigen § 93 dAktG
übernommen wurden.55 Durch den BGH wurde im Jahr 1997 ein weitgehend haftungsfreier
Ermessenspielraum für Organmitglieder proklamiert: „Darüber hinaus soll dem Aufsichtsrat bei
der Erfüllung seiner Aufgaben ein weiter Ermessensspielraum zustehen […].“56

Der BGH begründet diese Auslegung in seiner E damit, dass die Kontrolle der
Aufsichtsratsentscheidungen     nicht    zu   sehr   ‚verrechtlicht‘   werden   sollen,   um   den
Gesellschaftsorganen Spielräume für autonome unternehmerische Entscheidungen zu lassen.
Die BJR, so wie wir sie heute kennen, wurde allerdings erst im Zuge der Verabschiedung des
‚Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrecht‘ (UMAG) im
Jahre 2005 als neuer Abs 1 Satz 2 des § 93 dAktG in die Organhaftungsregelung aufgenommen.

53
    Supreme Court of Delaware 15.03.1988, 539 A.2d 180, Grobow vs Perot (abgefragt am 10.01.2020,
courtlistener.com).
54
   OGH 23.02.2016, 6 Ob 160/15w.
55
   Willen, Business Judgement Rule 4.
56
   BGH 21.04.1997, II ZR 175/95.

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Mit der Einführung des UMAG verfolgte der deutsche Gesetzgeber ua das Ziel, dem erhöhten
Aufkommen von Klagen (iVm Ansprüchen der Gesellschaft) entgegenzuwirken. Um gleichzeitig
die Entscheidungsfreiheit der Organträger zu garantieren, wurde die BJR vorgeschlagen.57 Für
andere Gesellschaftsformen (wie etwa die GmbH) wurden in Deutschland allerdings keine
vergleichbaren Regelungen getroffen. Dies warf naturgemäß Fragen hinsichtlich der
rechtsformübergreifenden Anwendbarkeit der BJR auf.

Im deutschen Gesellschaftsrecht wird für die nicht erfassten Rechtsformen eine Analogie zu
§ 93 Abs 1 Satz 2 dAktG angewandt. Hierbei wird von einer Maßgeblichkeit ganz ähnlicher
Beurteilungsgrundsätze        für    Ermessensentscheidungen            ausgegangen.58         Hinsichtlich    der
                                                                                                          59
Tatbestandsmerkmale der BJR folgte der BGH in seiner ARAG/Gramenbeck Entscheidung den
Tatbestandsmerkmalen der oa E des Supreme Court of Delaware.60 Ob die deutsche BJR
letztendlich     ein   amerikanisches      Importprodukt      ist   oder    aus    der      eigenen   nationalen
Rechtsprechung entwickelt wurde, ist für den weiteren Verlauf dieser Arbeit nebensächlich.

Quintessenzen aus Sicht der deutschen Judikatur sind, dass es zum einen schwer ist, ex-post
eine Entscheidung hinsichtlich Wirtschaftlichkeit zu prüfen, wenn die Entscheidung selbst aus
einer ex-ante Perspektive getroffen wurde und zum anderen ist es für erfolgreiches
wirtschaftliches Handeln von essentieller Bedeutung, dass Leitungsorgane gegebenenfalls
zweckmäßige Risiken eingehen können.

3.1.3      Die Entwicklung im Fürstentum Liechtenstein

Eine dem deutschen Modell ähnliche Regelung zur BJR wurde durch eine Gesetzesnovelle im
Jahr 2008 im Fürstentum Liechtenstein eingeführt. Im Gegensatz zu der nur Aktiengesellschaften
betreffenden deutschen Bestimmung fand die in Liechtenstein implementierte Regelung auf
sämtliche Verbandspersonen (= juristische Personen) Anwendung. Das Personen- und
Gesellschaftsrecht (PGR)61 sieht nunmehr folgendes vor: „Ein Mitglied der Verwaltung handelt im
Einklang mit diesen Grundsätzen, wenn es sich bei seiner unternehmerischen Entscheidung nicht
von sachfremden Interessen leiten liess und vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage
angemessener Information zum Wohle der Verbandsperson zu handeln.“

57
   Willen, Business Judgement Rule 7.
58
   Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (51).
59
   BGH 21.04.1997, II ZR 175/95.
60
   Willen, Business Judgement Rule 9.
61
   Art 182 Abs 2 Satz 2 PGR.

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3.1.4      Die österreichische BJR im internationalen Vergleich

Die eben dargestellte internationale Entwicklung der BJR zeigt, dass sämtliche oa
Rechtsprechungen die Notwendigkeit einer Haftungsprivilegierung für Leitungsorgane von
Kapitalgesellschaften erkannten. Allen ist gemein, dass es von essentieller Bedeutung für den
wirtschaftlichen Verkehr ist, dass gewisse Prognoseentscheidungen nur unter Inkaufnahme von
Restrisiken gefällt werden können. Diese bewusste Akzeptanz möglicher Fehlentscheidungen
spiegelt sich in ähnlichen Ausgestaltungen der jeweiligen Tatbestandsmerkmale wider. Zwar ist
der österreichische Gesetzgeber diesem Trend zunächst nicht gefolgt, da er erst mit dem StrRÄG
2015 die BJR formell in die gesellschaftsrechtliche Rechtsordnung aufgenommen hat, dennoch
wird sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit zeigen, dass zahlreiche Analogien – speziell
hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale – zwischen der österreichischen und der internationalen
Auslegung der BJR bestehen. Nichtsdestotrotz sind im internationalen Vergleich einige
Abweichungen erkennbar.

Die Verankerung der BJR im österreichischen Gesetz geschah unter weitgehender Anlehnung an
das deutsche und liechtensteinische Vorbild. Im Folgenden soll kurz auf die eben angesprochenen
Abweichungen eingegangen werden:
       -   Im Gegensatz zur deutschen Textierung im dAktG wurde in der österreichischen Regelung
           (ebenso wie in der liechtensteinischen) die Einschränkung, dass sich das Organmitglied
           bei seiner Entscheidung nicht von sachfremden Interessen leiten lassen darf, explizit in
           den Gesetzestext aufgenommen. Zwar besteht in der Sache selbst keine Divergenz, da
           die     deutschen       Gesetzesmaterialen         ebenso       auf    das     Nichtvorliegen        von
           Interessenskonflikten und Eigennutz abstellen, jedoch ist das dezidierte Hervorheben
           dieser wesentlichen Schranke für die BJR sehr wohl zu begrüßen.62 Gleichermaßen gilt in
           Deutschland der Grundsatz, dass im Rahmen von unternehmerischen Entscheidungen
           eine adäquate Informationsgrundlage gegeben sein muss (vgl Tatbestandsmerkmale
           unten     3.3; § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG setzt demgemäß „das Handeln auf Basis
           angemessener Information“ als Tatbestandsmerkmal voraus). Ob dies der Fall ist, ist durch
           das Leitungsorgan im Sinne einer Prüfung durch Abwägung aller Umstände
           herauszufinden.63 Dass sich die deutsche Rsp ebenso auf das Vorhandensein einer
           entsprechenden         Informationsgrundlage        beruft     (ohne     explizite     Textierung     im
           Gesetzestext), zeigt ein Urteil des OLG Köln aus 2019. Diesem Urteil zufolge könnte die
           Grundlage      jeder    unternehmerischen,         nicht     pflichtwidrigen       Entscheidung     nach
           § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG nur angemessene Informationen sein. Umgekehrt folgt daraus,

62
     Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (53).
63
     Brock, Legalitätsprinzip und Nützlichkeitserwägungen (2017) 40.

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dass     eine   Entscheidung     des    Vorstands,     die   nicht   auf   einer   angemessenen
                                                             64
           Informationsgrundlage beruht, pflichtwidrig ist.
     -     Ein weiterer Unterschied in der österreichischen (sowie liechtensteinischen) Textierung im
           Vergleich zur deutschen besteht darin, dass der in § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG enthaltene
           Zusatz     „vernünftigerweise“    vor    dem    Wortlaut       „annehmen       durfte“     nicht     in
           § 25 Abs 1a GmbHG bzw § 84 Abs 1a AktG übernommen wurde. Dies soll für die weitere
           Beurteilung der nationalen BJR jedoch von vernachlässigbarer Bedeutung sein, da
           besagter Zusatz keinen ersichtlichen Mehrwert, weder im Sinne einer strengeren noch
           einer weniger strengen Prüfung, mit sich bringt.65
     -     Eine dritte Abweichung zur deutschen sowie liechtensteinischen Regelung besteht in der
           Satzstellung bezüglich der ‚angemessenen Information‘. Diese steht im österreichischen
           GmbHG und AktG bereits vor dem Verb „annehmen darf“. Aus dieser Abweichung wird
           wohl faktisch ein inhaltlicher Unterschied abzuleiten sein. Demnach ist nach den
           österreichischen Vorschriften (im Gegensatz zu den deutschen und liechtensteinischen)
           die ‚angemessene Information‘ objektiv zu beurteilen. Es genügt demnach also nicht, wenn
           das      Organmitglied    berechtigterweise      vom         Vorliegen     einer   ausreichenden
           Informationsbasis ausgehen durfte.66

Wie eben dargestellt weisen die einzelnen Vorschriften gewisse Differenzierungen im Detail auf,
jedoch besteht in Summe eine weitgehende Ähnlichkeit der einzelnen gesellschaftsrechtlichen
Regulative hinsichtlich der BJR.

3.2 Verhältnis zur bisherigen Rechtsprechung

Bereits die ältere Judikatur hat wiederholt ausgesprochen, dass Leitungsorganen im Rahmen ihrer
unternehmerischen             Entscheidungstätigkeiten          ein       weites      Beurteilungs-           und
Entscheidungsermessen einzuräumen ist. Ohne dem wären unternehmerische Tätigkeiten
(speziell in schwierigen und infolgedessen vermehrt risikobehafteten Zeiten) schlechthin nicht
möglich. Bei Erfüllen aller Voraussetzungen handelt ein Leitungsorgan iSd durch das StrRÄG
2015 festgeschriebenen Regelung „jedenfalls im Einklang mit der Sorgfalt eines ordentlichen
Geschäftsleiters.“67 Die neuen Vorschriften des § 84 Abs 1a AktG bzw § 25 Abs 1a GmbHG stellen
sohin eine lex specialis zur Generalklausel des § 84 Abs 1 AktG bzw § 25 Abs 1 GmbHG dar.68

64
   OLG Köln 01.10.2019, I-18 U 34/18.
65
   Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (53).
66
   Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (54).
67
   § 84 Abs 1a AktG.
68
   Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 158.

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Die bisherigen Ergebnisse verdeutlichen bereits, dass die neue gesetzliche Regelung einen mehr
auf das Verfahren der Entscheidungsfindung, denn auf das Ergebnis abstellenden Ansatzpunkt
aufweist. In diesem Zusammenhang muss festgehalten werden, dass es gem hL durch das
Tatbestandsmerkmal „annehmen darf, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“ sehr wohl
überdies (zumindest in einem gewissen Umfang) zu einer inhaltlichen Nachprüfung der
Entscheidung kommt. Eine mM in der Literatur geht hingegen von einer ausschließlichen formalen
Prüfung aus. Gegen diese mM spricht der Umstand, dass ein rein formales Abstellen auf
bestimmte Privilegierungsvoraussetzungen, welche kumulativ erfüllt sein müssen (bzgl
Tatbestandsmerkmale siehe unten 3.3), in effectu dazu führen kann, dass es in bestimmten Fällen
zu einer Haftungsverschärfung durch die neue Regelung kommt. Dies resultiert daraus, dass die
bisherige Regelung gerade nicht auf einen formalen Tatbestand der BJR, sondern vielmehr auf
das Endergebnis der Entscheidung abgestellt hat.69 Dies entspricht gleichermaßen der
Einschätzung des OGH gem seiner E aus 2016: „[…] setzte sich der Gedanke, den
Ermessensfreiraum anhand eines eigenen Tatbestands der Business Judgement Rule zu prüfen,
in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bislang noch nicht durch.“70

Dieser Meinungsstreit wird im Rahmen der Analyse der einzelnen Tatbestandsmerkmale näher
beurteilt (siehe unten 3.3).

In derselben E spricht sich der OGH dahingehend aus, dass die Nichterfüllung einer
Voraussetzung der BJR nicht zwangsläufig in eine Haftungsbegründung mündet: „Sind die
[…] genannten Voraussetzungen der Business Judgement Rule kumulativ erfüllt, handelt der
Stiftungsvorstand also innerhalb der von der Business Judgement Rule gezogenen Grenzen, so
befindet er sich im „Safe Harbour“ und ist haftungsfrei. Andernfalls trifft ihn zwar nicht automatisch
eine Haftung, eine solche kann aber eintreten, wenn das Verhalten im Einzelnen als
sorgfaltswidrig einzustufen ist und die übrigen Haftungsvoraussetzungen (insb Schaden und
Kausalität) gegeben sind.“71 Dementsprechend ist es denkbar, dass ein Sorgfaltsverstoß weiterhin
nach der Generalklausel zu verneinen ist. Nichtsdestotrotz wird in der Literatur einem Verstoß
gegen Sondertatbestände eine gewisse Indizienwirkung beigemessen, sodass nach den
allgemeinen Regelungen der Generalklausel dennoch eine Haftung eingreift.72

Um unsachgemäße Ergebnisse zu vermeiden und die Unterschiede zur bisherigen Rsp so gering
wie möglich zu halten, ist es wohl angebracht, die in weiterer Folge näher zu beschreibenden
Tatbestandsvoraussetzungen im Sinne einer kompensatorischen Gesamtbeurteilung zu sehen.

69
   Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (54).
70
   OGH 23.02.2016, 6 Ob 160/15w.
71
   OGH 23.02.2016, 6 Ob 160/15w.
72
   Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (56).

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