DIE BEDEUTUNG DER BUSINESS JUDGEMENT RULE INSBESONDERE AM BEISPIEL DER COVID- 19 KRISE
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Eingereicht von Mag.(FH) HARTER Christoph DIE BEDEUTUNG DER Angefertigt am Institut für BUSINESS Unternehmensrecht JUDGEMENT RULE Beurteilerin Assoz. Univ.-Prof.in Dr.in Helene HERDA INSBESONDERE AM BEISPIEL DER COVID- April 2021 19 KRISE Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister der Rechtswissenschaften im Diplomstudium der Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Wiener Neustadt am 29.04.2021 !"# Mag. (FH) HARTER Christoph 29. April 2021 HARTER 2/49
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis.................................................................................................................. 5 1 Einleitung ......................................................................................................................... 7 2 Die Rolle der Leitungsorgane .......................................................................................... 9 2.1 Unterschied zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften .......................................... 9 2.1.1 Trennungsprinzip ........................................................................................................... 10 2.1.2 Selbstorganschaft vs Fremd-/ Drittorganschaft ............................................................. 10 2.2 Der Begriff des Geschäftsführers .................................................................................. 11 2.2.1 Unterschiede in der Geschäftsleitung einer GmbH und einer AG ................................. 11 2.2.2 Pflichten der Leitungsorgane am Beispiel des Geschäftsführers .................................. 12 2.3 Die Haftung des Geschäftsführers ................................................................................ 13 2.3.1 Sorgfaltsmaßstab .......................................................................................................... 13 2.3.2 Beginn und Ende der Haftung ....................................................................................... 15 2.4 Die Entwicklung einer Haftungsprivilegierung ............................................................... 15 2.4.1 Die Entwicklung der Vorstandshaftung am Beispiel der AG.......................................... 16 2.4.2 Das StrRÄG 2015 als Geburtsstunde einer neuen Haftungsprivilegierung ................... 17 3 Business Judgement Rule ............................................................................................. 20 3.1 Entwicklung der BJR im internationalen Vergleich ........................................................ 20 3.1.1 Ausgangspunkt in den Vereinigten Staaten .................................................................. 20 3.1.2 Die Entwicklung in Deutschland .................................................................................... 21 3.1.3 Die Entwicklung im Fürstentum Liechtenstein ............................................................... 22 3.1.4 Die österreichische BJR im internationalen Vergleich ................................................... 23 3.2 Verhältnis zur bisherigen Rechtsprechung .................................................................... 24 3.3 Tatbestandsmerkmale der BJR ..................................................................................... 26 3.3.1 Unternehmerische Entscheidung .................................................................................. 27 3.3.2 Keine sachfremden Interessen ...................................................................................... 29 3.3.3 Handeln auf Grundlage angemessener Information...................................................... 30 3.3.4 Handeln zum Wohle der Gesellschaft ........................................................................... 32 29. April 2021 HARTER 3/49
3.4 Zielsetzung der BJR ...................................................................................................... 34 3.4.1 Prüfung anhand einer kompensatorischen Gesamtbeurteilung .................................... 34 3.4.2 Grenzen beim Eingehen von Risiken ............................................................................ 34 4 Die BJR in der COVID-19 Krise ..................................................................................... 36 4.1 Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen aufgrund COVID-19 ......................................... 37 4.2 Leitungsorgane in der COVID-19 Krise ......................................................................... 37 4.2.1 Die Notwendigkeit von Ermessensentscheidungen ...................................................... 37 4.2.2 Die Notwendigkeit einer nachvollziehbaren Dokumentation ......................................... 38 4.3 Die BJR am Beispiel der Gewinnausschüttung während COVID-19 ............................. 39 4.4 Die BJR am Beispiel drohender Insolvenz während COVID-19 .................................... 41 4.5 Die BJR in der COVID-19 Krise am Beispiel Kanadas .................................................. 43 5 Schlussfolgerungen ....................................................................................................... 45 Literaturverzeichnis ..................................................................................................................... 47 29. April 2021 HARTER 4/49
Abkürzungsverzeichnis ABGB Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch AG Aktiengesellschaft AktG Aktiengesetz BGH Bundesgerichtshof (D) BJR Business Judgement Rule bzgl bezüglich bzw beziehungsweise dh das heißt dAktG deutsches Aktiengesetz E Entscheidung etc et cetera EZB Europäische Zentralbank FMA Finanzmarktaufsicht gem gemäß GesbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts ggstdl gegenständlich GmbH Gesellschaft mit begrenzter Haftung GmbHG GmbH Gesetz hA Herrschende Ansicht HGB HGB (D) hL herrschende Lehre iaR in aller Regel idF in der Fassung idR in der Regel iFv in Form von insb insbesondere IO Insolvenzordnung iSd im Sinne des iSv im Sinne von iVm in Verbindung mit iW im Wesentlichen mE meines Erachtens mM Mindermeinung oa oben angeführt 29. April 2021 HARTER 5/49
OG Offene Gesellschaft OGH Oberster Gerichtshof PGR Personen- und Gesellschaftsrecht (LIE) Rsp Rechtsprechung sog so genannt(e) SARS-CoV-2 severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (COVID-19) StGB Strafgesetzbuch StrRÄG Strafrechtsänderungsgesetz stRsp Ständige Rechtsprechung ua unten angeführt UMAG Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrecht (D) vgl vergleiche vs versus zB zum Beispiel 29. April 2021 HARTER 6/49
1 Einleitung Spätestens seit der ersten Jahreshälfte 2020 ist die, durch das Corona-Virus (COVID-19) verursachte, Ausnahmesituation ein Umstand, der jeden Einzelnen auf eine gewisse Art und Weise betrifft. Die jüngsten Gesetze und Verordnungen, deren Regelungszweck darauf abstellt, eine weitere Ausbreitung des Virus bestmöglich zu unterbinden, bewirken nicht nur Einschränkungen im täglichen Privatleben, sondern stellen insbesondere die heimische Wirtschaft auf eine Bewährungsprobe. Zwar wird seitens der Regierung versucht, mit Hilfe von Überbrückungskrediten, Ermöglichung der Kurzarbeit etc die Auswirkungen weitestgehend abzufedern, dennoch löst dieser Ausnahmezustand bei vielen Unternehmen eine wirtschaftliche Krise aus. Speziell in derartigen Krisensituationen sind die Leitungsorgane von Gesellschaften gefordert, die gesetzlichen Vorgaben zu beachten und dennoch zum besten Wohl der Gesellschaft zu handeln. Darüber hinaus stehen die Leitungsorgane von Gesellschaften in einer derartigen Krise vor einer Situation, in der sie Entscheidungen zu treffen haben, deren Ergebnis im höchsten Maß ungewiss ist. Ausgehend von der allgemeinen Sorgfaltspflicht iSd § 84 AktG bzw § 25 GmbHG intensivieren sich deren Pflichten in der Krise. Die allgemeinen Aufgaben der Leitungs- und Führungsfunktionen in Unternehmen (wie etwa Planung, Organisation, Personalführung und Kontrolle) werden durch die gegenwärtig unklare Entwicklung der wirtschaftlichen Tragkraft des heimischen Marktes zusätzlich erschwert. Dabei ist stets zu beachten, dass Geschäftsführer bzw Vorstände iSd § 25 Abs 2 GmbHG bzw § 84 Abs 2 AktG für pflichtwidriges Verhalten einzustehen haben. Um dennoch handlungsfähig zu bleiben, bedarf es in einer derart ungewissen Situation eines gewissen Haftungsprivilegs für Leitungsorgane. Gerade in dieser, durch COVID-19 verursachten Ausnahmesituation, besteht ein breiter Ermessensspielraum bei unternehmerischen Entscheidungen. Dies beinhaltet ua das bewusste Eingehen von geschäftlichen Risiken sowie die Gefahr von Fehlbeurteilungen. Der sog Business Judgement Rule (BJR) als rechtsformübergreifender Rechtsgrundsatz kommt hierbei besondere Bedeutung zu. Die vorliegende Diplomarbeit beschäftigt sich eingangs mit der allgemeinen Rolle des Geschäftsführers bzw des Vorstandes. In diesem Kontext wird ebenfalls die Haftung dieser Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften näher erörtert. 29. April 2021 HARTER 7/49
Darauf aufbauend soll die praktische Relevanz eines Haftungsprivilegs für Entscheidungen, welche auf oft kaum einschätzbaren Prognoseentscheidungen gründen, dargelegt werden. In diesem Zusammenhang wird die Entstehung sowie die Grundkonzeption der BJR im nationalen wie internationalen Kontext (Hauptaugenmerk auf die Entwicklung in Österreich, Deutschland und Liechtenstein) näher erörtert. Überleitend auf die aktuellen Herausforderungen soll sich die Diplomarbeit mit generellen ‚Problemfeldern‘ rund um die COVID-19 Krise im Hinblick auf das Gesellschaftsrecht auseinandersetzen. Dabei werden exemplarisch allgemeine gesellschaftsrechtliche Themenbereiche dargelegt und kurz erörtert, um die Tragweite der mit der ‚Corona-Krise‘ einhergehenden Komplexität in Bezug auf die Einhaltung der Gesetzeskonformität aufzuzeigen. In weiterer Folge wird der Fokus jedoch auf die Erschwernis von Prognoseentscheidungen in der gegenwärtigen COVID-19 Krise gelegt. Verdeutlicht werden soll dies durch praxisrelevante Beispiele, wie etwa das Problem der Gewinnausschüttung bei Kapitalgesellschaften in Krisenzeiten bzw der Haftungsgefahr von Leitungsorganen bei drohender Insolvenz während der Pandemie. Die grenzüberschreitende Relevanz der BJR soll schließlich anhand der Sichtweise der kanadischen Rsp hinsichtlich Haftungsprivileg und COVID-19 dargestellt werden. Aufbauend auf den bis dahin erörterten Themenbereichen (Rolle des Geschäftsführers, Entwicklung und Grundkonzeption der BJR, Gesellschaftsrecht und Prognoseentscheidungen in der COVID-19 Krise) soll letztendlich folgende forschungsleitende Fragestellung beantwortet werden: Welche Rolle spielt die BJR beim unternehmerischen Handeln von Kapitalgesellschaften und welche Auswirkungen ergeben sich insbesondere durch die COVID-19 Krise im Hinblick auf dieses Haftungsprivileg? 29. April 2021 HARTER 8/49
2 Die Rolle der Leitungsorgane Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit den Leitungsorganen von Gesellschaften. Aufgrund der ohnehin unmittelbaren und unbeschränkten Haftung von Personengesellschaften (siehe unten 2.1) wird im Folgenden lediglich auf Kapitalgesellschaften Bezug genommen. Im Hinblick auf die nationale gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung in quantitativer Hinsicht, werden hierbei speziell die Leitungsorgane der GmbH (iFv Geschäftsführer) und jene der AG (iFv Vorständen) näher erörtert. Um die Relevanz der in der forschungsleitenden Fragestellung zu behandelnden BJR besser verstehen zu können, ist es zunächst erforderlich, die Bedeutsamkeit der Leitungsorgane sowie die Kompetenzen und Verpflichtungen selbiger näher zu beleuchten. Im Hinblick auf mögliche Haftungsfragen ist vorab zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften zu unterscheiden. Hier bilden im Speziellen die Begrifflichkeiten des ‚Trennungsprinzips‘ und der Art und Weise der ‚Organschaft‘ eine wesentliche Trennlinie zwischen den Gesellschaftsformen. Nach einer folgenden näheren Beleuchtung der Pflichten und Kompetenzen von Leitungsorganen, richtet sich der Fokus dieses Kapitels auf die allgemeinen Haftungsbestimmungen bezüglich Geschäftsführer und Vorstände sowie auf die Entwicklung einer Haftungsprivilegierung im Falle von unternehmerischen Ermessensentscheidungen. 2.1 Unterschied zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften Als generelle Definition, was eine Gesellschaft ist, kann auf die Diktion der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GesbR) iSd § 1175 Abs 1 ABGB verwiesen werden. Demnach liegt eine Gesellschaft vor, wenn sich zwei oder mehrere Personen durch einen Vertrag zusammenschließen, um durch eine bestimmte Tätigkeit einen gemeinsamen Zweck zu verfolgen.1 Gesellschaftsformen können nicht beliebig geschaffen werden, vielmehr hat der Gesetzgeber eine geschlossene Anzahl von möglichen Gesellschaftsformen vorgegeben. Man spricht hierbei vom „numerus clausus“ der Gesellschaftsformen.2 Eine generelle Trennlinie zwischen den zur Verfügung stehenden Gesellschaftsformen bildet die Unterscheidung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften. Die Grundelemente der oa Definition (Mehrpersonalität, gemeinsamer Zweck sowie auf Basis eines zugrundeliegenden Vertrags) beziehen sich zwar sowohl auf die 1 Vgl dazu ua Artmann/Rüffler, Grundriss des österreichischen Gesellschaftsrechts2 (2020) Rz 1. 2 Karollus/Huemer/Harrer/Haglmüller, Casebook – Allgemeines Unternehmens- und Gesellschaftsrecht6 (2020) 155. 29. April 2021 HARTER 9/49
Personen- wie auch auf die Kapitalgesellschaft, aber speziell hinsichtlich Leitung und Haftung ist zwischen diesen beiden strikt zu differenzieren. Als Grundlage für die weiterführende Diplomarbeit dürfen zwei wesentliche Unterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften vorangestellt werden.3 2.1.1 Trennungsprinzip In Kapitalgesellschaften gilt ist das sogenannte Trennungsprinzip. Demnach werden die Vermögensmassen zwischen der Kapitalgesellschaft und den Gesellschaftern strikt getrennt. Für die Gesellschaftsschulden haftet idR nur das Gesellschaftsvermögen. Hingegen haften bei Personengesellschaften ein oder mehrere Gesellschafter unbeschränkt und persönlich mit ihrem Privatvermögen.4 2.1.2 Selbstorganschaft vs Fremd-/ Drittorganschaft Personengesellschaften arbeiten nach dem Prinzip der Selbstorganschaft. Am Beispiel der OG (dem „Prototyp“ der Personengesellschaften) obliegt die Geschäftsführung in Ermangelung anderer Vereinbarungen jedem Gesellschafter. Darüber hinaus wird die OG von jedem ihrer Gesellschafter nach außen hin vertreten. Bei Personengesellschaften gibt es demnach keinen besonderen Akt, wonach Organe bestellt werden. Im Unterschied dazu können bei Kapitalgesellschaften fremde, dritte Personen zu Organen bestellt werden.5 Es kommt demnach das Prinzip der Dritt- oder Fremdorganschaft zur Anwendung; dh die Mitglieder der Verwaltungs- und Aufsichtsorgane müssen – anders als im Personengesellschaftsrecht – nicht selbst Gesellschafter sein. Die Organfunktion wird vielmehr durch einen formellen Bestellungsakt erworben.6 Die Prototypen der Kapitalgesellschaften in Österreich bilden einerseits die GmbH (mit 104.991 Gesellschaften) und andererseits die AG (mit 1.255 Gesellschaften).7 Demzufolge wird bei der folgenden näheren Betrachtung der Leitungsorgane – insbesondere der Geschäftsführer – auf diesen beiden Gesellschaftsformen Bezug genommen. 3 Auf die darüber hinaus zu unterscheidenden Strukturmerkmale (wie Aufbau, Arbeitsleistung, Mitgliedschaft oder Auflösung) wird aufgrund der Fokussierung auf die forschungsleitende Fragestellung nicht näher eingegangen. 4 Herda, Geschäftsführerhaftung gem § 25 GmbHG, JAS 2018, 155 (160). 5 Herda, Geschäftsführerhaftung, JAS 2018, 155 (161). 6 Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 598. 7 WKO Statistik, Kammermitglieder nach Rechtsformen 2019 (Stand 02.10.2020, wko.at). 29. April 2021 HARTER 10/49
2.2 Der Begriff des Geschäftsführers Unter Geschäftsführer (oder Geschäftsleitung) versteht man im Gesellschaftsrecht eine oder mehrere natürliche Personen, die bei Unternehmen oder sonstigen Personenvereinigungen mit der Führung der Geschäfte im Innenverhältnis, sowie der Vertretung der Gesellschaft im Außenverhältnis betraut sind.8 Ein wichtiger Aspekt im Gesellschaftsrecht ist also die Abgrenzung der Vertretung von der Geschäftsführung. Die Position der Geschäftsführer im Außenverhältnis (Vertretungsmacht) ist gem dem Regelungskonzept des § 20 Abs 2 GmbHG nicht beschränkbar. Wohingegen im gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis weitestgehend Gestaltungsfreiheit besteht.9 Dieses Modell entspricht dem oben beschriebenen Institut der Fremd-/ Drittorganschaft bei Kapitalgesellschaften. Durch die Organe der jeweiligen Gesellschaft werden selbige erst handlungsfähig.10 Als juristische Person kann eine Kapitalgesellschaft dementsprechend nur durch ihre Organe handeln. Die GmbH sowie die AG werden gerichtlich und außergerichtlich durch ihre Geschäftsführer bzw ihre Vorstände vertreten.11 Am Beispiel der GmbH hat sich der OGH dahingehend ausgesprochen, dass der Geschäftsführer einer GmbH, wenn er für die juristische Person tätig wird, nicht im eigenen Namen handelt, sondern als organschaftlicher Vertreter der Gesellschaft. Der Geschäftsführer verpflichtet oder berechtigt demgemäß unmittelbar die GmbH.12 Folgt man daher der hL und Rsp sind Geschäftsführer nicht als Bevollmächtigte, sondern als Organ der Gesellschaft anzusehen. Im Folgenden soll kurz auf die Unterschiede der Geschäftsleitung in den Kapitalgesellschaftsformen der GmbH und AG eingegangen werden. 2.2.1 Unterschiede in der Geschäftsleitung einer GmbH und einer AG Zwar sind die Aufgaben der Geschäftsleitung einer AG und einer GmbH durchaus miteinander vergleichbar, doch ergeben sich im Detail einige Unterschiede im Bereich der jeweiligen Leitungsfunktionen. Die Leitung der GmbH erfolgt durch den Geschäftsführer, die der AG durch den Vorstand. Grundsätzlich kann die Organisation einer GmbH im Vergleich zu jener einer AG als etwas einfacher angesehen werden. Bei einer GmbH sind beispielsweise als zwingende Organe lediglich die Geschäftsführer zu bestellen und die Generalversammlung einzurichten. 8 Karollus/Huemer/Harrer/Haglmüller, Casebook6 226. 9 G&W Steuerberatung Hasch & Partner, Der GmbH- Geschäftsführer, Rechte und Pflichten (2013) 21. 10 Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte (2013) 16. 11 § 18 Abs 1 GmbHG bzw. § 71 AktG. 12 OGH 26.09.1991, 6 Ob 607/91. 29. April 2021 HARTER 11/49
§ 29 GmbHG regelt darüber hinaus die Voraussetzungen, nach welchen zwingend ein Aufsichtsrat einzurichten bzw ein Abschlussprüfer zu bestellen sind. Die Bestellung der Geschäftsführer erfolgt gem § 15 GmbHG durch Beschluss der Gesellschafter. Im Vergleich dazu, ist bei der AG stets zwingend ein Aufsichtsrat iSd § 86 AktG einzurichten. Dieser wiederum bestellt gem § 75 AktG die Vorstandsmitglieder. Eine wesentliche Unterscheidung betrifft die Weisungsfreiheit bzw Weisungsgebundenheit. Die Geschäftsführer einer GmbH unterliegen in allen ihren Maßnahmen den Weisungen der Generalversammlung bzw des Aufsichtsrates.13 Im Gegensatz dazu unterliegt der Vorstand einer AG weder den Weisungen der Hauptversammlung noch solchen des Aufsichtsrates.14 Er führt die Geschäfte vielmehr weisungsfrei und unter eigener Verantwortung.15 Im Hinblick auf die in weiterer Folge zu behandelnde Haftungsthematik ist dieser Unterschied insofern relevant, als ein Geschäftsführer für Schäden der Gesellschaft, welche durch Geschäftsführungsmaßnahmen auf Grundlage einer Weisung durch die Generalversammlung entstanden sind, dementsprechend nicht haftet (die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers vorausgesetzt). 2.2.2 Pflichten der Leitungsorgane am Beispiel des Geschäftsführers §§ 24 ff GmbHG normieren die überwiegenden Verhaltenspflichten des Geschäftsführers einer GmbH. Im Rahmen der Ausübung seiner gesellschaftlichen Tätigkeiten ist es demzufolge die gesetzlich auferlegte Pflicht des Geschäftsführers, die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden.16 Die Pflichten des Gesellschafters lassen sich überblicksmäßig in folgende Bereiche aufgliedern: - Sorgfaltspflicht - Treuepflicht und Loyalität - Sonstige gesellschaftsrechtliche Pflichten - Öffentlich-rechtliche Pflichten17 Neben der Regelung der Verhaltenspflichten normieren die §§ 24 ff GmbHG gleichfalls die Frage der Haftung der Geschäftsführer bei Verstößen gegen diese Pflichten. Speziell hinsichtlich Haftungsfragen empfiehlt es sich, den Begriff der „Sorgfalt“ etwas näher zu beleuchten. 13 § 20 Abs 1 GmbHG. 14 Mit Ausnahme der zustimmungspflichtigen Geschäfte iSd § 95 Abs 5 AktG (zB Erteilung der Prokura). 15 Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer 18. 16 § 25 Abs 1 GmbHG. 17 G&W Steuerberatung Hasch & Partner, Der GmbH- Geschäftsführer 81. 29. April 2021 HARTER 12/49
2.3 Die Haftung des Geschäftsführers Um ein Organ aufgrund eines von ihm verursachten Schadens ersatzpflichtig zu machen – sprich einen zivilrechtlichen Schadenersatz geltend zu machen – müssen ebenso im gesellschaftsrechtlichen Sinn die vier grundlegenden Tatbestandsvoraussetzungen (Schaden, Verursachung iSv Adäquanz, Rechtswidrigkeit und Verschulden) kumulativ erfüllt sein.18 Demnach ist der tatsächliche Eintritt eines Schadens infolge einer Handlung (oder Unterlassung) Grundvoraussetzung für eine zivilrechtliche Inanspruchnahme. Als rechtswidrig gilt eine Handlung (oder Unterlassung) unter anderem dann, wenn durch sie gesetzliche Pflichten aus dem Anstellungsvertrag, einem Schutzgesetz19 oder den einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Grundlagen (GmbHG, AktG) verletzt wurden.20 Hierbei wird grundsätzlich zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit unterschieden, wobei in manchen Sachverhaltskonstellationen bereits leichte Fahrlässigkeit haftungsbegründend ist. Schuldhaft iSv fahrlässig ist eine Handlung/Unterlassung dann, wenn sie dem Handelnden aufgrund dessen mangelnder Sorgfalt vorwerfbar ist.21 Die Parallelbestimmungen im AktG22 normieren analoge Pflichten der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Diese sind ebenso zur ordentlichen und gewissenhaften Leitung des Unternehmens der AG sowie zur Überwachung bzw Ausübung der Mitgliedschaftsrechte in Beteiligungsgesellschaften verpflichtet. Ebenso wird hier auf die Beachtung der Regeln einer sorgfältigen Unternehmensleitung abgestellt.23 2.3.1 Sorgfaltsmaßstab Um im Einzelfall feststellen zu können, ob oder allenfalls inwiefern die erforderliche Sorgfalt eingehalten wurde, muss zunächst der für Geschäftsführer und Vorstände geltende Sorgfaltsmaßstab näher definiert werden. Hierzu gilt es folgende Punkte zu beachten: 18 Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 958. 19 § 39 GewO beschreibt das Regelungskonzept des gewerberechtlichen Geschäftsführers. In der Entscheidung 8 Ob 57/17s vom 28.09.2017 hat der OGH erstmals eine Ersatzpflicht des gewerberechtlichen Geschäftsführers bejaht und § 39 Abs 1 GewO ausdrücklich als Schutzgesetz qualifiziert. Vgl Vrba/Unger, Persönliche Haftung des Geschäftsführers einer GmbH, in Vrba (Hrsg), Schadenersatz in der Praxis Rz 1 (41. Lfg Dezember 2019, lexis360.at). 20 Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer 35. 21 Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer 35. 22 §§ 84 ff AktG. 23 Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus (Hrsg), AktG II6 § 84 Rz 33 (Stand 01.10.2018, rdb.at). 29. April 2021 HARTER 13/49
- Keine Erfolgshaftung: Es handelt sich beim unternehmerischen Tätigwerden des Geschäftsführers um keine Erfolgshaftung. Er soll eben nicht das unternehmerische Risiko tragen, sondern nur für sorgfaltswidriges Handeln verantwortlich gemacht werden. Das unternehmerische Risiko wird weiterhin von der Gesellschaft getragen.24 Diesbezüglich hat sich der OGH in seiner Entscheidung (E) 3 Ob 287/02f ausgesprochen. Diese E besagt, dass eine (reine) Erfolgshaftung die Geschäftsführer im Rahmen des § 25 GmbHG freilich nicht trifft, denn das unternehmerische Risiko trägt die Gesellschaft. 2016 sprach sich der OGH hinsichtlich Erfolgshaftung von Leitungsorganen einer Kapitalgesellschaft folgendermaßen aus: „Damit traf auch bislang den Vorstand oder Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft keine Erfolgshaftung; sie hatten vielmehr nur für ein ex ante pflichtwidriges Verhalten einzustehen.“25 - Nach Maßstab der konkreten Gesellschaft: Der Sorgfaltsmaßstab ist grundsätzlich den Fähigkeiten und Kenntnissen, die von einem Geschäftsführer in dem betreffenden Geschäftszweig und nach Größe des Unternehmens üblicherweise erwartet werden können, zu entnehmen. Demnach sind beispielsweise die Anforderungen an den Geschäftsführer einer Bank höher als jene an einen einer kleinen Gastronomiebetriebs-GmbH.26 Der OGH hat sich bereits 2003 für die Differenzierung der jeweiligen Gesellschaften hinsichtlich Größe und Geschäftszweig ausgesprochen: „Der Sorgfaltsmaßstab für den Geschäftsführer ist den Fähigkeiten und Kenntnissen, die von einem Geschäftsführer in dem betreffenden Geschäftszweig und nach der Größe des Unternehmens üblicherweise erwartet werden können, zu entnehmen; er darf nicht überspannt werden.“27 - Sicht ex ante: Der Begriff ex ante bezeichnet eine Beurteilung aus früherer Sicht. Es gilt hierbei sog Rückschaufehler zu vermeiden. Dieser Terminus umschreibt das Phänomen, dass man geneigt ist, spätere Erfahrungen in die Beurteilung der Sorgfaltsmäßigkeit einer Handlung mit einzubeziehen.28 - Ermessensspielraum: Der unternehmerischen Praxis ist geschuldet, dass Entscheidungen immer mit einem gewissen Risiko behaftet sind. Dies betrifft nicht nur Ausnahmesituationen wie die gegenwärtige COVID-19 Krise, sondern stellt einen generellen Faktor der Unternehmenspraxis dar. Derartigen Entscheidungen wird ein breiter unternehmerischer 24 Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 959. 25 OGH 23.03.20016, 6 Ob 160/15w. 26 Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer 36. 27 OGH 17.10.2003, 1 Ob 20/03b. 28 Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 959. 29. April 2021 HARTER 14/49
Ermessensspielraum zugestanden.29 Der OGH formuliert dies in einer E aus 2002 folgendermaßen: „Verletzungen dieser […] Interessenwahrungspflicht sind nur bei eklatanter Überschreitung des Ermessensspielraums zu ahnden.“30 Demnach wird eine haftungsauslösende Sorgfaltswidrigkeit nur dann begangen, wenn man den Ermessensspielraum eklatant/evident überschreitet.31 2.3.2 Beginn und Ende der Haftung Die Haftung von Geschäftsführern sowie von Vorstandsmitgliedern beginnt grundsätzlich mit dem Zeitpunkt, mit dem sie ihr jeweiliges Amt übernehmen. Der Zeitpunkt der dementsprechenden Firmenbucheintragung ist hierfür nicht von Relevanz.32 Die Haftung endet hingegen mit der tatsächlichen Nichtausübung nach rechtlicher Beendigung der Bestellung.33 2.4 Die Entwicklung einer Haftungsprivilegierung Wie soeben erörtert sind die Geschäftsführer einer GmbH gem § 25 GmbHG bei der Ausübung ihrer gesellschaftlichen Tätigkeiten dazu angehalten, die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes walten zu lassen. Bereits aus der Diktion des § 25 Abs 1 GmbHG heraus lässt sich schließen, dass diese Verpflichtung der Geschäftsführer primär gegenüber der Gesellschaft selbst und nicht gegenüber den einzelnen Gesellschaftern oder Gläubigern zum Tragen kommt. Dies spiegelt sich gleichermaßen in der Rsp des OGH wider, wonach „der Geschäftsführer nur der Gesellschaft gegenüber zur Tätigkeit verpflichtet, verantwortlich und haftbar ist, nicht aber gegenüber den einzelnen Gesellschaftern. Direkte Rechtsbeziehungen bestehen nur zwischen dem Geschäftsführer und der Gesellschaft, nicht aber zwischen ihm und den einzelnen Gesellschaftern.“34 Darüber hinaus normiert § 61 Abs 2 GmbHG, dass für Verbindlichkeiten der Gesellschaft ihren Gläubigern gegenüber nur das Gesellschaftsvermögen haftet. In derselben E spricht sich der OGH jedoch für eine direkte Haftung der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern bzw Gläubigern aus. Demnach ist in Lehre und Rsp anerkannt, dass bei Verletzung von – speziell den Schutz von Gläubigern anstrebenden – Normen, Schadenersatzansprüche gegen den Geschäftsführer einer GmbH nach allgemeinen bürgerlichen Grundsätzen bestehen können.35 In 29 Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 959. 30 OGH 26.02.2002, 1 Ob 144/01k. 31 Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 959. 32 Einzelne Ausnahmen hierzu sind etwa im Finanzbereich iVm Abgabenerklärungen normiert. 33 Muhri/Ertl/Gerlach/Griesmayr, Persönliche Haftung der Geschäftsführer 40. 34 OGH 20.11.1991, 1 Ob 617/91. 35 OGH 20.11.1991, 1 Ob 617/91. 29. April 2021 HARTER 15/49
bestimmten Fällen kann also der Geschäftsführer direkt von Gesellschaftern oder Gesellschaftsgläubigern in Anspruch genommen werden. Man spricht hierbei vom Institut der Durchgriffshaftung, wobei zwischen ‚echter Durchgriffshaftung‘ (Außenhaftung) und ‚unechter Durchgriffshaftung‘ (Innenhaftung) unterschieden werden muss.36 Zusammengefasst kommt eine Haftung des Geschäftsführers demgemäß nur in Betracht, wenn er seine Pflichten verletzt bzw den oa Sorgfaltsmaßstab verletzt. 2.4.1 Die Entwicklung der Vorstandshaftung am Beispiel der AG Wie bereits zuvor beschrieben, ist beim Handeln der Leitungsorgane das Prinzip der Erfolgshaftung nicht einschlägig. Dies führt zu dem Umstand, dass unternehmerische Entscheidungen, die nicht den gewünschten Erfolg bringen, nicht per se haftungsbegründend sind. Bei der AG (bzw GmbH) trägt das unternehmerische Risiko die Gesellschaft. Dies beinhaltet insbesondere das Risiko, dass sich Maßnahmen infolge unvorhersehbarer Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als nachteilig erweisen können. An sich sorgfältig erstellte Prognosen können sich vor dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Unsicherheit als nichtzutreffend herausstellen. Bei einer realitätsnahen Beurteilung erfolgen zukunftsorientierte Entscheidungen stets unter Inkaufnahme eines gewissen Unsicherheitsfaktors.37 Der OGH spricht sich diesbezüglich schon früh für eine Risikotragung der Gesellschaft aus: „Damit, dass eine Maßnahme für die Gesellschaft auch ungünstig ausfallen kann, muss immer gerechnet werden; das liegt im Wesen des geschäftlichen Risikos, das die Gesellschaft und nicht deren gesetzlicher Vertreter persönlich zu tragen hat.“38 Unternehmerische Geschäfte werden folglich idR unter Unsicherheit getroffen und sind von Natur aus risikobehaftet. Dieser Umstand lässt sich kaum vermeiden, da eine Unternehmensleitung qualitativ nicht mit einer schlichten Vermögensverwaltung zu vergleichen ist und das Eingehen von Risiken notwendiger Bestandteil unternehmerischen Handelns ist. Eine Pflichtwidrigkeit des Handelns ist erst anzudenken, wenn ein Vorstandsmitglied die Bereitschaft, ein unternehmerisches Risiko einzugehen in unverantwortlicher Weise überspannt.39 Dies untermauert der OGH in einer E aus dem Jahr 2002: „Der Fehlschlag unternehmerischer Entscheidungen ist nicht schon an sich pflichtwidrig, würde dem Organ doch sonst das Unternehmerrisiko aufgebürdet, das stets bei der Gesellschaft bleibt; nur die Verletzung der Pflicht 36 Artmann/Rüffler, Gesellschaftsrecht2 Rz 1088. 37 Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 104. 38 OGH 31.10.1973, 1 Ob 179/73. 39 Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 131. 29. April 2021 HARTER 16/49
zu branchen-, größen- oder situationsadäquaten Bemühen kann dem Organ als Pflichtverletzung vorgeworfen werden.“40 2.4.2 Das StrRÄG 2015 als Geburtsstunde einer neuen Haftungsprivilegierung Handelt ein Leitungsorgan – wie eben der Vorstand einer AG – pflichtwidrig im oa Sinn, so kann sich das Vorstandsmitglied ua der Untreue iSd § 153 StGB strafbar machen. Der Tatbestand der Untreue ist (gem alter und neuer Rechtslage) bereits dann erfüllt, wenn das Vorstandsmitglied seine Befugnis wissentlich missbraucht und damit der AG einen, zumindest mit bedingtem Vorsatz ergangenen, Vermögensnachteil zufügt. Ein Missbrauch der Befugnis liegt vor, wenn das Vorstandsmitglied nach außen hin Handlungen setzt, die ihm im Innenverhältnis verboten sind.41 Viel diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die sog „Libroentscheidung“ des OGH.42 Bei diesem Fall handelte es sich um eine Sonderdividende, die durch die Libro Handels AG an den Alleinaktionär UD-AG ausgeschüttet wurde. Diese Ausschüttung basierte auf einem wissentlich grob unrichtigen und daher nichtigen Jahresabschluss. Der OGH sprach sich in seiner E dahingehend aus, dass für den Tatbestand der Untreue nicht der mittelbare Schaden der Aktionäre (welcher im gegenständlichen Fall nicht vorliege), sondern der Schaden an der AG selbst maßgebend ist.43 Diese E des OGH stieß überwiegend auf Ablehnung. In einer vorangegangenen E aus dem Jahr 1982 sprach sich der OGH dahingehend aus, dass „[…] wenn der Täter selbst (nicht nur Geschäftsführer, sondern auch) einziger Gesellschafter – und damit wirtschaftlich gesehen nach Maßgabe der Haftungsbeschränkung faktisch mit der Gesellschaft ident – ist, bei einer ökonomischen Betrachtung doch nicht gesagt werden, er habe durch eine Schädigung der Gesellschaft wirklich einem 'anderen' einen Vermögensnachteil zugefügt […].“44 Die Rsp hat im Falle einer Einmann-GmbH eine wirtschaftliche Betrachtungsweise gefordert, bei der die Vermögensverschiebung zwischen Gesellschaft und Alleingesellschafter keinen für die Untreue relevanten Schaden darstellt. Ausschlaggebend für die Diskussionen rund um die sog „Libroentscheidung“ war, dass der Begriff der Untreue iSd StGB unzureichend präzise war. 40 OGH 26.02.2002, 1 Ob 144/01k. 41 Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 141. 42 OGH 30.01.2014, 12 Os 117/12s. 43 Vgl dazu auch Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 142. 44 OGH 27.07.1982, 10 Os 170/80. 29. April 2021 HARTER 17/49
Mit der am 01.01.2016 in Kraft getretenen Strafrechtsreform (StrRÄG 2015)45 reformierte der Gesetzgeber § 153 StGB. Dieser stellt nun klar, dass ein Befugnismissbrauch dann vorliegt, wenn in unvertretbarer Weise gegen Regeln verstoßen wird, die dem Vermögensschutz des wirtschaftlich Berechtigten dienen. Es wurde dabei ausdrücklich auf die eben beschriebene jüngere Kontroverse um den Tatbestand der Untreue Bezug genommen. Erklärtes Ziel war eine Präzisierung dieses Terminus.46 Infolgedessen, dass Pflichtwidrigkeit eine Voraussetzung der Untreue ist, sollte im Zuge dieser Reform klargestellt werden, wann im gesellschaftsrechtlichen Sinn ein pflichtwidriges Verhalten vorliegt.47 Basierend auf dieser Forderung wurde mit der Strafrechtsreform in Österreich explizit die so genannte ‚Business Judgement Rule‘ (BJR) verankert. Sowohl § 84 AktG, welcher sich mit der Haftung von Vorstandsmitgliedern befasst, als auch § 25 GmbHG, betreffend der Geschäftsführerhaftung, wurde ein neuer Abs 1a hinzugefügt. Damit bestätigte der Gesetzgeber das vom OGH verfolgte Konzept eines weitgehend haftungsfreien unternehmerischen Ermessensspielraums.48 Bei der Ausgestaltung dieses neuen § 84 Abs 1a AktG bzw § 25 Abs 1a GmbHG orientierte man sich inhaltlich an § 93 dAktG. Ob es sich dabei jedoch tatsächlich um eine Kodifizierung der BJR handelt, wird von Teilen der Lehre bezweifelt. Dies begründet sich dadurch, dass die BJR im US- amerikanischen Recht als Beweislastregel gehandhabt wird. Darüber hinaus wurde durch die oa Absätze lediglich etwas festgeschrieben bzw normiert, was ohnehin der geltenden Ansicht von Lehre und Rsp entsprach. Die bereits oa älteren E des OGH weisen darauf hin, dass für den OGH die BJR der Sache nach bereits vorher in der Literatur anerkannt war, gleichwohl sie erst mit dem StrRÄG 2015 positivrechtlich verankert wurde.49 Selbst wenn es materiell-rechtlich gem diverser Argumentationen nicht von besonderer Relevanz ist, eine Regelung zu kodifizieren, da sie ohnehin durch die stRsp des OGH in der Praxis umgesetzt wird, ist es mE nach dennoch ein deutliches Signal des Gesetzgebers, die unternehmensrechtliche Wichtigkeit dieses Haftungsprivilegs zum Ausdruck zu bringen. Darüber hinaus wird durch die Normierung der BJR einem internationalen Trend gefolgt, auf welchen im folgenden Kapitel näher eingegangen wird. 45 Strafrechtsänderungsgesetz 2015 BGBl I 2015/112. 46 Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 143. 47 Man spricht hier von der sog „Zivilrechtsakzessorietät“ der Untreue; Herda, Geschäftsführerhaftung, JAS 2018, 155 (162) mwN. 48 Karollus, Die neuen gesetzlichen Regelungen zur Business Judgment Rule im Gesellschaftrsrecht (§ 84 Abs 1a AktG und § 25 Abs 1a GmbHG), in Kodek (Hrsg), Untreue NEU (2017) 43 (51). 49 Herda, Geschäftsführerhaftung, JAS 2018, 155 (163). 29. April 2021 HARTER 18/49
Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass durch die gesetzliche Verankerung der BJR im Zuge dieser Strafrechtsreform, das StrRÄG 2015 durchaus als formelle Geburtsstunde der BJR im österreichischen Gesellschaftsrecht gesehen werden kann, obgleich sie bereits vorher materiell-rechtliche Anerkennung der Lehre und Rsp genoss. Strenggenommen ist die verpflichtende Orientierung bei der Bestimmung des Missbrauchsstandards an den Grundsätzen der BJR lediglich eine Klarstellung. Die Gerichte hatten sich ohnehin schon bisher daran orientiert.50 50 Voppichler, Business Judgement Rule – Strafrecht (Stand 12.9.2019, Lexis Briefings in lexis360.at). 29. April 2021 HARTER 19/49
3 Business Judgement Rule Aus den bisherigen Ergebnissen lässt sich also festhalten, dass die BJR dazu dient, die Haftung von Leitungsorganen auf ein vernünftiges Maß einzuschränken. Dies bedeutet nichts anderes, als dass unter bestimmten Voraussetzungen die Haftung der Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder ausgeschlossen ist, selbst wenn der Gesellschaft aufgrund ihrer Entscheidungen ein Nachteil erwachsen ist. Das folgende Kapitel beschäftigt sich nun eingehend mit dem Regelungskonzept und der erklärten Zielsetzung der BJR. Um die gesamtwirtschaftliche Tragweite dieses Haftungsprivilegs zu erfassen, wird vorab die Entwicklung im internationalen Umfeld beleuchtet, um darauf aufbauend die Relevanz dieser Regelung zu demonstrieren. Darüber hinaus sollen in diesem Kapitel die Tatbestandsmerkmale zur Geltendmachung der BJR erörtert werden. Dabei wird diese Regelung im Verhältnis zur alten Rechtslage sowie zur allgemeinen Sorgfaltspflicht beurteilt. 3.1 Entwicklung der BJR im internationalen Vergleich Die BJR als rechtsformübergreifendes Haftungsprivileg ist keineswegs ein Konstrukt des österreichischen Gesellschaftsrechts. Vielmehr wurde mit der gesetzlichen Verankerung einem bereits bekannten internationalen Trend gefolgt. 3.1.1 Ausgangspunkt in den Vereinigten Staaten Ausgangspunkt der Entwicklung war wohl die Rechtsprechung der Vereinigten Staaten seit Mitte des letzten Jahrhunderts. Im Urteil Otis & Co v. Pennsylvania R. Co. aus dem Jahr 1945 wurde eine sehr weitgehende Haftungsfreistellung für Gesellschaftsorgane im Falle von unternehmerischen Ermessensentscheidungen ausgesprochen.51 Der Kerngedanke der amerikanische BJR liegt wohl darin, dass Unternehmer nicht für ihre Entscheidungen haften, sofern diese billig und gerecht gehandelt haben.52 1988 legte der Supreme Court of Delaware in einem Urteil einen Tatbestandskatalog für die US-amerikanische BJR fest: „[…] the business judgment rule is but a presumption that director making a business decision, not involving self- interest, act on an informed basis, in good faith and in the honest belief that their actions are in 51 Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (49). 52 Willen, Die Business Judgement Rule, Auslegung der Legalitätspflicht bei unklarer Rechtslage (2019) 8. 29. April 2021 HARTER 20/49
the corporation’s beset interest. Thus, good faith and the absence of self-dealing are threshold requirements for invoking the rule.“53 Der OGH folgte in einer E aus 2016 diesem Grundsatz und fasste ihn wie folgt zusammen: „Unter der im anglo-amerikanischen Rechtsbereich herausgebildeten Business Judgement Rule […] wird – vereinfacht ausgedrückt – der Grundsatz verstanden, dass ein Manager, der das Wagnis einer unternehmerischen Entscheidung eingeht, nicht dafür haften soll, wenn sich seine Entscheidung zwar als Irrtum herausstellt und Schaden daraus resultiert, er aber bestrebt war, auf einer informierten Grundlage und frei von Interessenkonflikten das Beste für das Unternehmen zu bewirken.“54 Die aus der oa E des Supreme Court of Delaware ableitbaren Tatbestandsmerkmale sollen sich im weiteren Verlauf der Entwicklung in ähnlicher Weise in der österreichischen Auslegung der BJR wiederfinden (siehe dazu unten 3.3). 3.1.2 Die Entwicklung in Deutschland Die heute gültige aktienrechtliche Organhaftung des dAktG hat ihren Ursprung im § 241 HGB idF von 1897. Der Großteil der damaligen Vorstandshaftung besteht in Deutschland bis heute fort. Die heutigen Regelungen zur Sorgfalt wurden in den damaligen § 84 dAktG idF 1937 durch geringfügige Änderungen eingefügt, welche in weiterer Folge in den heutigen § 93 dAktG übernommen wurden.55 Durch den BGH wurde im Jahr 1997 ein weitgehend haftungsfreier Ermessenspielraum für Organmitglieder proklamiert: „Darüber hinaus soll dem Aufsichtsrat bei der Erfüllung seiner Aufgaben ein weiter Ermessensspielraum zustehen […].“56 Der BGH begründet diese Auslegung in seiner E damit, dass die Kontrolle der Aufsichtsratsentscheidungen nicht zu sehr ‚verrechtlicht‘ werden sollen, um den Gesellschaftsorganen Spielräume für autonome unternehmerische Entscheidungen zu lassen. Die BJR, so wie wir sie heute kennen, wurde allerdings erst im Zuge der Verabschiedung des ‚Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrecht‘ (UMAG) im Jahre 2005 als neuer Abs 1 Satz 2 des § 93 dAktG in die Organhaftungsregelung aufgenommen. 53 Supreme Court of Delaware 15.03.1988, 539 A.2d 180, Grobow vs Perot (abgefragt am 10.01.2020, courtlistener.com). 54 OGH 23.02.2016, 6 Ob 160/15w. 55 Willen, Business Judgement Rule 4. 56 BGH 21.04.1997, II ZR 175/95. 29. April 2021 HARTER 21/49
Mit der Einführung des UMAG verfolgte der deutsche Gesetzgeber ua das Ziel, dem erhöhten Aufkommen von Klagen (iVm Ansprüchen der Gesellschaft) entgegenzuwirken. Um gleichzeitig die Entscheidungsfreiheit der Organträger zu garantieren, wurde die BJR vorgeschlagen.57 Für andere Gesellschaftsformen (wie etwa die GmbH) wurden in Deutschland allerdings keine vergleichbaren Regelungen getroffen. Dies warf naturgemäß Fragen hinsichtlich der rechtsformübergreifenden Anwendbarkeit der BJR auf. Im deutschen Gesellschaftsrecht wird für die nicht erfassten Rechtsformen eine Analogie zu § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG angewandt. Hierbei wird von einer Maßgeblichkeit ganz ähnlicher Beurteilungsgrundsätze für Ermessensentscheidungen ausgegangen.58 Hinsichtlich der 59 Tatbestandsmerkmale der BJR folgte der BGH in seiner ARAG/Gramenbeck Entscheidung den Tatbestandsmerkmalen der oa E des Supreme Court of Delaware.60 Ob die deutsche BJR letztendlich ein amerikanisches Importprodukt ist oder aus der eigenen nationalen Rechtsprechung entwickelt wurde, ist für den weiteren Verlauf dieser Arbeit nebensächlich. Quintessenzen aus Sicht der deutschen Judikatur sind, dass es zum einen schwer ist, ex-post eine Entscheidung hinsichtlich Wirtschaftlichkeit zu prüfen, wenn die Entscheidung selbst aus einer ex-ante Perspektive getroffen wurde und zum anderen ist es für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln von essentieller Bedeutung, dass Leitungsorgane gegebenenfalls zweckmäßige Risiken eingehen können. 3.1.3 Die Entwicklung im Fürstentum Liechtenstein Eine dem deutschen Modell ähnliche Regelung zur BJR wurde durch eine Gesetzesnovelle im Jahr 2008 im Fürstentum Liechtenstein eingeführt. Im Gegensatz zu der nur Aktiengesellschaften betreffenden deutschen Bestimmung fand die in Liechtenstein implementierte Regelung auf sämtliche Verbandspersonen (= juristische Personen) Anwendung. Das Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR)61 sieht nunmehr folgendes vor: „Ein Mitglied der Verwaltung handelt im Einklang mit diesen Grundsätzen, wenn es sich bei seiner unternehmerischen Entscheidung nicht von sachfremden Interessen leiten liess und vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Information zum Wohle der Verbandsperson zu handeln.“ 57 Willen, Business Judgement Rule 7. 58 Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (51). 59 BGH 21.04.1997, II ZR 175/95. 60 Willen, Business Judgement Rule 9. 61 Art 182 Abs 2 Satz 2 PGR. 29. April 2021 HARTER 22/49
3.1.4 Die österreichische BJR im internationalen Vergleich Die eben dargestellte internationale Entwicklung der BJR zeigt, dass sämtliche oa Rechtsprechungen die Notwendigkeit einer Haftungsprivilegierung für Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften erkannten. Allen ist gemein, dass es von essentieller Bedeutung für den wirtschaftlichen Verkehr ist, dass gewisse Prognoseentscheidungen nur unter Inkaufnahme von Restrisiken gefällt werden können. Diese bewusste Akzeptanz möglicher Fehlentscheidungen spiegelt sich in ähnlichen Ausgestaltungen der jeweiligen Tatbestandsmerkmale wider. Zwar ist der österreichische Gesetzgeber diesem Trend zunächst nicht gefolgt, da er erst mit dem StrRÄG 2015 die BJR formell in die gesellschaftsrechtliche Rechtsordnung aufgenommen hat, dennoch wird sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit zeigen, dass zahlreiche Analogien – speziell hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale – zwischen der österreichischen und der internationalen Auslegung der BJR bestehen. Nichtsdestotrotz sind im internationalen Vergleich einige Abweichungen erkennbar. Die Verankerung der BJR im österreichischen Gesetz geschah unter weitgehender Anlehnung an das deutsche und liechtensteinische Vorbild. Im Folgenden soll kurz auf die eben angesprochenen Abweichungen eingegangen werden: - Im Gegensatz zur deutschen Textierung im dAktG wurde in der österreichischen Regelung (ebenso wie in der liechtensteinischen) die Einschränkung, dass sich das Organmitglied bei seiner Entscheidung nicht von sachfremden Interessen leiten lassen darf, explizit in den Gesetzestext aufgenommen. Zwar besteht in der Sache selbst keine Divergenz, da die deutschen Gesetzesmaterialen ebenso auf das Nichtvorliegen von Interessenskonflikten und Eigennutz abstellen, jedoch ist das dezidierte Hervorheben dieser wesentlichen Schranke für die BJR sehr wohl zu begrüßen.62 Gleichermaßen gilt in Deutschland der Grundsatz, dass im Rahmen von unternehmerischen Entscheidungen eine adäquate Informationsgrundlage gegeben sein muss (vgl Tatbestandsmerkmale unten 3.3; § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG setzt demgemäß „das Handeln auf Basis angemessener Information“ als Tatbestandsmerkmal voraus). Ob dies der Fall ist, ist durch das Leitungsorgan im Sinne einer Prüfung durch Abwägung aller Umstände herauszufinden.63 Dass sich die deutsche Rsp ebenso auf das Vorhandensein einer entsprechenden Informationsgrundlage beruft (ohne explizite Textierung im Gesetzestext), zeigt ein Urteil des OLG Köln aus 2019. Diesem Urteil zufolge könnte die Grundlage jeder unternehmerischen, nicht pflichtwidrigen Entscheidung nach § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG nur angemessene Informationen sein. Umgekehrt folgt daraus, 62 Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (53). 63 Brock, Legalitätsprinzip und Nützlichkeitserwägungen (2017) 40. 29. April 2021 HARTER 23/49
dass eine Entscheidung des Vorstands, die nicht auf einer angemessenen 64 Informationsgrundlage beruht, pflichtwidrig ist. - Ein weiterer Unterschied in der österreichischen (sowie liechtensteinischen) Textierung im Vergleich zur deutschen besteht darin, dass der in § 93 Abs 1 Satz 2 dAktG enthaltene Zusatz „vernünftigerweise“ vor dem Wortlaut „annehmen durfte“ nicht in § 25 Abs 1a GmbHG bzw § 84 Abs 1a AktG übernommen wurde. Dies soll für die weitere Beurteilung der nationalen BJR jedoch von vernachlässigbarer Bedeutung sein, da besagter Zusatz keinen ersichtlichen Mehrwert, weder im Sinne einer strengeren noch einer weniger strengen Prüfung, mit sich bringt.65 - Eine dritte Abweichung zur deutschen sowie liechtensteinischen Regelung besteht in der Satzstellung bezüglich der ‚angemessenen Information‘. Diese steht im österreichischen GmbHG und AktG bereits vor dem Verb „annehmen darf“. Aus dieser Abweichung wird wohl faktisch ein inhaltlicher Unterschied abzuleiten sein. Demnach ist nach den österreichischen Vorschriften (im Gegensatz zu den deutschen und liechtensteinischen) die ‚angemessene Information‘ objektiv zu beurteilen. Es genügt demnach also nicht, wenn das Organmitglied berechtigterweise vom Vorliegen einer ausreichenden Informationsbasis ausgehen durfte.66 Wie eben dargestellt weisen die einzelnen Vorschriften gewisse Differenzierungen im Detail auf, jedoch besteht in Summe eine weitgehende Ähnlichkeit der einzelnen gesellschaftsrechtlichen Regulative hinsichtlich der BJR. 3.2 Verhältnis zur bisherigen Rechtsprechung Bereits die ältere Judikatur hat wiederholt ausgesprochen, dass Leitungsorganen im Rahmen ihrer unternehmerischen Entscheidungstätigkeiten ein weites Beurteilungs- und Entscheidungsermessen einzuräumen ist. Ohne dem wären unternehmerische Tätigkeiten (speziell in schwierigen und infolgedessen vermehrt risikobehafteten Zeiten) schlechthin nicht möglich. Bei Erfüllen aller Voraussetzungen handelt ein Leitungsorgan iSd durch das StrRÄG 2015 festgeschriebenen Regelung „jedenfalls im Einklang mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters.“67 Die neuen Vorschriften des § 84 Abs 1a AktG bzw § 25 Abs 1a GmbHG stellen sohin eine lex specialis zur Generalklausel des § 84 Abs 1 AktG bzw § 25 Abs 1 GmbHG dar.68 64 OLG Köln 01.10.2019, I-18 U 34/18. 65 Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (53). 66 Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (54). 67 § 84 Abs 1a AktG. 68 Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG II6 § 84 Rz 158. 29. April 2021 HARTER 24/49
Die bisherigen Ergebnisse verdeutlichen bereits, dass die neue gesetzliche Regelung einen mehr auf das Verfahren der Entscheidungsfindung, denn auf das Ergebnis abstellenden Ansatzpunkt aufweist. In diesem Zusammenhang muss festgehalten werden, dass es gem hL durch das Tatbestandsmerkmal „annehmen darf, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“ sehr wohl überdies (zumindest in einem gewissen Umfang) zu einer inhaltlichen Nachprüfung der Entscheidung kommt. Eine mM in der Literatur geht hingegen von einer ausschließlichen formalen Prüfung aus. Gegen diese mM spricht der Umstand, dass ein rein formales Abstellen auf bestimmte Privilegierungsvoraussetzungen, welche kumulativ erfüllt sein müssen (bzgl Tatbestandsmerkmale siehe unten 3.3), in effectu dazu führen kann, dass es in bestimmten Fällen zu einer Haftungsverschärfung durch die neue Regelung kommt. Dies resultiert daraus, dass die bisherige Regelung gerade nicht auf einen formalen Tatbestand der BJR, sondern vielmehr auf das Endergebnis der Entscheidung abgestellt hat.69 Dies entspricht gleichermaßen der Einschätzung des OGH gem seiner E aus 2016: „[…] setzte sich der Gedanke, den Ermessensfreiraum anhand eines eigenen Tatbestands der Business Judgement Rule zu prüfen, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bislang noch nicht durch.“70 Dieser Meinungsstreit wird im Rahmen der Analyse der einzelnen Tatbestandsmerkmale näher beurteilt (siehe unten 3.3). In derselben E spricht sich der OGH dahingehend aus, dass die Nichterfüllung einer Voraussetzung der BJR nicht zwangsläufig in eine Haftungsbegründung mündet: „Sind die […] genannten Voraussetzungen der Business Judgement Rule kumulativ erfüllt, handelt der Stiftungsvorstand also innerhalb der von der Business Judgement Rule gezogenen Grenzen, so befindet er sich im „Safe Harbour“ und ist haftungsfrei. Andernfalls trifft ihn zwar nicht automatisch eine Haftung, eine solche kann aber eintreten, wenn das Verhalten im Einzelnen als sorgfaltswidrig einzustufen ist und die übrigen Haftungsvoraussetzungen (insb Schaden und Kausalität) gegeben sind.“71 Dementsprechend ist es denkbar, dass ein Sorgfaltsverstoß weiterhin nach der Generalklausel zu verneinen ist. Nichtsdestotrotz wird in der Literatur einem Verstoß gegen Sondertatbestände eine gewisse Indizienwirkung beigemessen, sodass nach den allgemeinen Regelungen der Generalklausel dennoch eine Haftung eingreift.72 Um unsachgemäße Ergebnisse zu vermeiden und die Unterschiede zur bisherigen Rsp so gering wie möglich zu halten, ist es wohl angebracht, die in weiterer Folge näher zu beschreibenden Tatbestandsvoraussetzungen im Sinne einer kompensatorischen Gesamtbeurteilung zu sehen. 69 Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (54). 70 OGH 23.02.2016, 6 Ob 160/15w. 71 OGH 23.02.2016, 6 Ob 160/15w. 72 Karollus, Business Judgment Rule im Gesellschaftsrecht, in Kodek, Untreue NEU 43 (56). 29. April 2021 HARTER 25/49
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