Die Bedeutung der Cryptosporidiose für die Kälbergesundheit in der Schweiz - SAT - Schweizer Archiv für Tierheilkunde
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Übersichtsarbeiten | Reviews Die Bedeutung der Cryptosporidiose für die Kälbergesundheit in der Schweiz P. Olias1, I. Dettwiler1, 4, A. Hemphill2, P. Deplazes3, A. Steiner4, M. Meylan4 1 Institut für Tierpathologie und 2 Institut für Parasitologie, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern; 3 Institut für Parasitologie, Vetsuisse-Fakultät, Universität Zürich; 4 Wiederkäuerklinik, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern Zusammenfassung The significance of cryptosporidiosis https://doi.org/ 10.17236/sat00163 for the health of calves in Switzerland Durchfall bei Kälbern ist eine der häufigsten Rinder- Eingereicht: 05.02.2018 krankheiten in der Schweiz. Die ursächliche Diagnose Diarrhea in calves is one of the most important cattle Angenommen: 16.04.2018 und Behandlung des Kälberdurchfalls stellen eine grosse diseases in Switzerland. The diagnosis and treatment of Herausforderung dar. Cryptosporidien sind in der calf diarrhea represent a major challenge. Single-celled Schweiz neben Rotaviren die am häufigsten vorkommen- Cryptosporidium parasites are the most prevalent causa- den Erreger des Kälberdurchfalls in den ersten Lebens- tive agents of calf diarrhea besides rotavirus in the first wochen und für etwa 50% der Fälle verantwortlich. Der weeks of life, and are responsible for about 50% of di- einzellige Parasit Cryptosporidium parvum wird seit den arrheal cases. Cryptosporidium parvum has been de- 1970er Jahren als Durchfallerreger bei ein bis drei Wo- scribed as a cause of diarrhea in one to three weeks old chen alten Kälbern beschrieben. Nach oraler Aufnahme calves since the 1970s. Oral ingestion of persistent en- von in der Umwelt persistierenden Oocysten kommt es vironmental oocysts results in severe diarrhea lasting nach wenigen Tagen zu einem vier bis sechs Tage dauern- four to six days and shedding of large numbers of infec- den starken Durchfall mit massiver Ausscheidung von tious oocysts. A tiny amount of 10 oocysts is already bereits infektiösen Oocysten. Bereits wenige in der Um- sufficient to cause disease. Detailed knowledge about welt persistierende Oocysten können krankheitsauslö- the epidemiology and virulence of the different C. par- send sein. In der Epidemiologie herrschen noch grössere vum strains is still lacking. In addition, current diagnos- Erkenntnislücken zu der vermuteten unterschiedlichen tic tests cannot reliably distinguish between non-path- Virulenz verschiedener C. parvum-Stämme. Zudem kom- ogenic (e.g. C. bovis) and pathogenic Cryptosporidium men auch als apathogen angesehene Spezies (unter ande- species. Until now, no effective therapeutic drug or rem Cryptosporidium bovis) in Kälbern vor, die von den vaccine against calf cryptosporidiosis has been found. gängigen diagnostischen Tests nicht verlässlich unter- Water-borne epidemics and the zoonotic potential of schieden werden können. Bisher wurden kein therapeu- Cryptosporidium in immunodeficient patients are of great tisch wirksames Medikament und keine Vakzine gegen medical importance. The increasing number of crypto- die Kälbercryptosporidiose gefunden. In der Human- sporidiosis cases associated with high infant mortality medizin spielen wasservermittelte Epidemien und die in less industrialized and impoverished regions (includ- zoonotische Bedeutung von Cryptosporidien bei im- ing South-East Asia and sub-Saharan Africa) has inten- mundefizienten Menschen eine grössere Rolle. Die hohe sified the research in recent years. The recent discoveries Krank heitslast der Cryptosporidiose assoziiert mit einer of new therapeutics against C. parvum may benefit calf hohen Kindersterblichkeit in wenig industrialisierten und medicine in the near future. This review article reports verarmten Regionen (u.a. in Süd-Ostasien und in Afrika on these new developments, highlights calf crypto- südlich der Sahara) hat in den letzten Jahren erneut die sporidiosis in Switzerland and draws attention to a new Forschung an dem Parasiten befeuert. Besonders die Ent- research project. deckung neuer Wirkstoffe gegen C. parvum dürfte in näherer Zukunft auch der Kälbermedizin zu Gute kom- Keywords: Beef, calf, calf diarrhea, diarrhea, Cryptosporidi- um, cryptosporidiosis men. In diesem Übersichtsartikel wird über diese neuen Entwicklungen berichtet, vor allem aber die Kälbercryp- tosporidiose in der Schweiz beleuchtet und auf ein neues Forschungsprojekt aufmerksam gemacht. Schlüsselwörter: Rind, Kalb, Kälberdurchfall, Diarrhoe, Cryptosporidium, Cryptosporidiose Band 160, Heft 6, Juni 2018, 363–374, © GST | SVS SAT | ASMV 6 | 2018 363
Übersichtsarbeiten | Reviews Die Bedeutung der Einleitende Übersicht einer Rotavirusinfektion11, 13, 30, 60. Weniger häufig wer- Cryptosporidiose für den dagegen Coronaviren und Escherichia coli sowie die Kälbergesundheit in der Schweiz Die Cryptosporidiose ist eine Kälbererkrankung mit Salmonellen als Ursache beschrieben. C. parvum ist eine typischer Durchfallsymptomatik, welche vor allem in wenig wirtsspezifische Art mit zoonotischem Potential. P. Olias et al. den ersten drei Lebenswochen des Kalbes eine grosse Die Epidemiologie und Virulenz unterschiedlicher Bedeutung hat. Sie ist weltweit verbreitet und gehört zu Stämme von C. parvum sind bislang noch weitgehend den häufigsten und ökonomisch bedeutsamsten Infek- unerforscht. Häufig erfolgt der diagnostische Nachweis tionskrankheiten in der Rinderaufzucht mit einer Prä- einer Infektion anhand einer ja/nein Aussage ohne wei- valenz je nach Untersuchung zwischen 8 und 81% 45. In tere Abklärung der verantwortlichen Spezies. Da Kälber der Schweiz ist sie als zu überwachende Seuche (TSV jedoch von mehreren, auch apathogenen, Cryptospori- Art. 5) klassifiziert. dien-Spezies infiziert werden können, muss eine Infek- tion nicht zwangsläufig von klinischer Relevanz für das Kernpunkte Tier sein. So können bei juvenilen Kälbern Koinfektio- – Cryptosporidien (Cryptosporidium spp.) – einzellige nen mit anderen pathogenen Durchfallerregern oder Darmparasiten von der Grösse eines Erythrozyten - alimentäre Faktoren bei Annahme einer C. parvum-In- und Rotaviren sind die bei Kälbern in der Schweiz fektion unter Umständen übersehen oder falsch einge- am häufigsten vorkommenden Durchfallerreger. schätzt werden. – Die Arten Cryptosporidium parvum (pathogen in Käl- bern) sowie Cryptosporidium bovis (als apathogen an- Die derzeitigen Therapiemöglichkeiten gegen die Cryp- gesehen) kommen in Europa am häufigsten vor. tosporidiose sind seit Jahren unbefriedigend, da unter – In der Schweiz wurde bisher C. parvum bei Kälbern anderem die vorhandenen Präparate keine zufriedenstel- mit Durchfall charakterisiert, der Anteil von C. bovis lende Wirksamkeit zeigen. Neueste Forschungsentwick- ist jedoch nicht bekannt. lungen aus der Grundlagenforschung geben jedoch – In einer aktuellen wissenschaftlichen Studie soll das Anlass zur Hoffnung, dass in naher Zukunft neue Me- Befallsprofil in Schweizer Kälberbeständen bestimmt dikamente zur Verfügung stehen werden. Diese Arbeit werden, um langfristig eine bessere Diagnostik und fokussiert auf die Cryptosporidiose der Kälber. Eine Handlungsempfehlung für die Behandlung anbieten Übersicht der Erkrankung in anderen Haustierarten zu können. (etwa kleinen Wiederkäuern) findet sich unter anderem – Derzeit gibt es keine wirksamen Chemotherapeutika in weiterführenden Literaturvorschlägen45, 58. gegen den Parasiten. – Aus der Grundlagenforschung sind aktuell neue er- folgversprechende Entwicklungen publiziert worden, Durchfallerkrankung neonataler Kälber die in Zukunft zur Verbesserung der Bekämpfung der Kälbercryptosporidiose beitragen könnten. Der Durchfall junger Kälber tritt oft bestandsweise ge- häuft in den ersten Wochen nach der Geburt auf (Ab- Ausgelöst wird die Erkrankung durch einzellige Parasi- bildung 1, 2A). In der Schweiz ist Durchfall bei Auf- ten der Gattung Cryptosporidium aus dem Stamm der zuchtkälbern nach Pneumonien die zweithäufigste Apicomplexa. Cryptosporidien sind nahe verwandt mit Kälberkrankheit mit einer Prävalenz von 33% 42. Auch den Erregern der Toxoplasmose, Toxoplasma gondii, bei Mastkälbern sind Verdauungskrankheiten (u.a. und der ebenfalls für die Viehwirtschaft bedeutsamen Durchfall) mit 33% die zweithäufigsten Todesursachen Neosporose (Neospora caninum) und Besnoitiose nach Pneumonien33. Als infektiöse Ursachen zeigen sich (Besnoitia besnoiti). Der gesamte Lebenszyklus der Cryp- in Europa massgeblich Rotaviren und Cryptosporidien tosporidien kann in einem einzigen Wirt stattfinden zu etwa gleichen Teilen verantwortlich11, 13, 30, 58. Dane- (monoxene Entwicklung). Gegenwärtig werden etwa ben finden sich Coronaviren und E. coli, die jedoch zu 26 Cryptosporidien-Arten beschrieben, die Säugetiere, einer weit geringeren Zahl vorkommen. Zu beachten ist Vögel und Reptilien befallen46. Die Artabgrenzung in- hierbei jedoch, dass Infektionen mit E. coli in den ersten nerhalb der Gattung Cryptosporidium ist bislang nicht drei Tagen nach der Geburt von besonderer Relevanz geklärt und genetische Daten sprechen dafür, dass we- sind, was bei vergleichenden Studien zur Prävalenz von nigstens 40 weitere, noch nicht ausreichend charakteri- Erregern des Kälberdurchfalls oft nicht ausreichend be- sierte Genotypen existieren. Für Rinder sind primär vier rücksichtigt wird (Abbildung 1). Drei Studien zur Situ- verschiedene Spezies infektiös: C. parvum, C. bovis, ation des Kälberdurchfalls in der Schweiz zeigen folgen- C. ryanae und C. andersoni. Für den Kälberdurchfall ist des Bild: Luginbühl et al.34 zeigten, dass 43% von an hauptsächlich C. parvum verantwortlich. Die aktuelle- Durchfall leidenden Kälbern in den ersten drei Lebens- ren verfügbaren Studien aus der Schweiz und angren- wochen Cryptosporidien ausschieden. In 46% der Fälle zenden Ländern schreiben Cryptosporidien dabei eine wurden Rotaviren nachgewiesen, nur in einem Fall fand ebenso häufige Beteiligung am Kälberdurchfall zu wie sich eine E. coli Infektion und Coronaviren wurden von 364 SAT | ASMV 6 | 2018 Band 160, Heft 6, Juni 2018, 363–374, © GST | SVS
Übersichtsarbeiten | Reviews keinem Kalb mit Durchfall isoliert. In einer weiteren Durchfall ist gelblich-grünlich, oft übelriechend und Die Bedeutung der Untersuchung von Kälbern der gleichen Altersgruppe von wässriger Konsistenz; er geht mit einer katarrhali- Cryptosporidiose für die Kälbergesundheit mit Durchfallsymptomatik wurden in 54% der Proben schen Enteritis und Symptomen wie Lethargie, Inappe- in der Schweiz Cryptosporidien und in 56% Rotaviren nachgewiesen; tenz und Dehydratation einher. Es kommt je nach Coronaviren fanden sich in 9%, E. coli in 10% der Pro- Schweregrad der Erkrankung zu einer mehr oder weniger P. Olias et al. ben60. Das gleiche Bild bezüglich der Häufigkeit von ausgeprägten Gewichtsabnahme der Kälber. Betroffene Cryptosporidien zeigte sich in einer weiteren Studie: Tiere erholen sich unter symptomatischer Behandlung Während 53% der Kälber mit Cryptosporidien infiziert meist innerhalb von ein bis zwei Wochen. Je nach Kon- waren, fanden sich dagegen nur in 28% der Tiere Rota- stitution und Immunstatus des Kalbes, Koinfektionen viren, in 3% E.coli und in keinem Tier Coronaviren62. mit anderen Erregern und womöglich der Virulenz des Häufig kommt es zu Koinfektionen. In einer Untersu- Parasitenstammes kann es starke individuelle Unter- chung in England aus den Jahren 2007–2011 fanden sich schiede in Verlauf und Schwere der Erkrankung geben, in 20% der Cryptosporidiose-Fälle Koinfektionen mit die letztlich bis zum Tod des Kalbes führen können. anderen Durchfallerregern58. In der Schweiz waren in Dabei ist davon auszugehen, dass für die meisten Todes- 19% Doppelinfektionen mit Cryptosporidien und Ro- fälle der hohe Flüssigkeits- und Elektrolytverlust und taviren nachweisbar60. In einer grösseren schwedischen die sich daraus ergebenden metabolischen Störungen Studie von 82 Rinderbeständen mit Durchfallsympto- verantwortlich sind. Verlässliche Zahlen zur Mortali- matik in Kälbern traten neben Cryptosporidien meist tätsrate der Cryptosporidiose liegen nicht vor. In einer Rotaviren auf 52. Diese Koinfektionen können die klini- Untersuchung des Sektionsguts von 2311 Kälbern < 35 sche Symptomatik der Cryptosporidiose verschlim- Tage am California Animal Health and Food Safety mern8. Laboratory (CAHFS), USA, in den Jahren 2008 bis 2011 waren 37% der Tiere positiv für Cryptosporidien, 31% An Cryptosporidiose können Kälber bereits ab dem für Coronaviren, 27% für Rotaviren und 16% je für vierten Lebenstag erkranken. Besonders häufig sind Tie- Salmonellen beziehungsweise E. coli 8. Von betriebswirt- re in den ersten drei Lebenswochen von der Durchfall- schaftlicher Relevanz ist, dass nach Rekonvaleszenz des symptomatik betroffen (Abbildung 1), wobei Kälber Kalbes eine Entwicklungseinbusse zurückbleiben kann. auch später infiziert werden können und ohne Durchfall Verlässliche Angaben zu den ökonomischen Verlusten über einen langen Zeitraum infektiöse Oocysten aus- durch eine durchgemachte Cryptosporidien-Infektion scheiden48. Die Präpatenz der Infektion beträgt drei bis gibt es für Kälber nicht. Eine kürzlich erschienene aus- sechs Tage, die Patenz in der Regel sieben bis 14 Tage, tralische Studie, die über 1000 Lämmer untersuchte, wobei nicht immunsupprimierte Tiere in der Regel vier berichtet von einem im Durchschnitt um 2.6 kg redu- bis sechs Tage unter starkem, selbstlimitierendem zierten Schlachtgewicht der Tiere, die eine Infektion mit Durchfall leiden. Der durch die Infektion ausgelöste C. parvum durchlaufen hatten 27. Behandlungskosten, Abbildung 1: Bedeutung der häufigsten Durchfallerreger bei Kälbern im ersten Lebensmonat in der Schweiz im zeitlichen Verlauf basierend auf unseren Beobachtungen. Die Angaben sind weitestgehend übereinstimmend mit Daten anderer in- ternationaler Studien10, 21, 23, 52. Escherichia coli spielen massgeblich bis zum dritten Lebenstag eine Rolle. Ab dem vierten Lebenstag folgen zu gleichen Teilen Rotaviren und Cryptosporidien und erst ab etwa drei Wochen Eimerien. Coronaviren und Salmonellen sind im Vergleich von untergeordneter Bedeutung. Band 160, Heft 6, Juni 2018, 363–374, © GST | SVS SAT | ASMV 6 | 2018 365
Übersichtsarbeiten | Reviews Abbildung 2: A. Kalb mit Durchfall wie er bei einer Cryptosporidieninfektion auftritt. B. Histopathologische Aufnahme von geschädigten Darmepithel- zellen mit massenhaften Befall durch Cryptosporidien. Auf der Oberfläche der Enterozyten, die bereits teilweise ins Lumen (l) zwischen den Darmzotten (z) abschilfern (*), reihen sich dicht gedrängt Cryptosporidien (Pfeilspitzen). e, Erythrozyten in Blutgefäss. Haematoxylin und Eosin (HE) Färbung. C. Ele- ktronenmikroskopische Aufnahme von zwei Parasiten (Pfeile) in typischer extrazytoplasmatischer Lokalisation eingehüllt von der Zellmembran (m) der infizierten Epithelzelle (e). n, Nukleus. Zufütterung, erhöhter Arbeitsaufwand und ein niedri- ten Lebenswoche. Die Oocysten werden sporuliert aus- geres Schlachtgewicht dürften sich daher auch bei Käl- geschieden und sind sofort infektiös. Eine Übertragung bern summieren. der Erkrankung erfolgt über infektiöse Oocysten, die oral aufgenommen werden. Übertragen wird die Infek- Die Durchfallsymptomatik der Cryptosporidiose wird tion direkt von Tier zu Tier, indirekt über Gegenstände dadurch ausgelöst, dass sich Cryptosporidien an die oder über kontaminiertes Futter oder Trinkwasser (Ab- Oberfläche der Darmepithelzellen anheften, wo sie sich bildung 3). Die experimentell bestimmte minimale In- mit der Wirtszellmembran umgeben (Abbildungen fektionsdosis (ID50) für die Auslösung von Durchfall 2 B–C und 3). Der Pathogenesemechanimus des Durch- durch C. parvum liegt bei zehn Oocysten64. Infizierte falls ist nicht vollständig aufgeklärt. Ursächlich dürften Tiere können mehrere Millionen Oocysten pro Gramm jedoch eine Entzündung der Submukosa, eine Atrophie Kot ausscheiden und dadurch die gesamte Stall- und und Verschmelzung der Darmzotten und eine Schädi- Weideeinrichtung kontaminieren. Symptomatische Käl- gung der Mikrovilli beteiligt sein. Ähnlich wie Rotavi- ber scheiden bis über 10 8 Oocysten pro Gramm Kot ren infiziert C. parvum massgeblich den distalen Dünn- aus52. In geringerer Zahl können C. parvum-Oocysten darm und führt dort zu einer Zottenathrophie. Zu auch von asymptomatischen Kälbern und adulten Rin- beachten ist jedoch, dass auch andere Darmabschnitte dern über einen langen Zeitraum ausgeschieden werden betroffen sein können und je nach Immunstatus des und zur Infektion neonataler Kälber beitragen. Die Kalbes auch weitere Organe wie die Gallenblase oder Oocysten sind sehr widerstandsfähig und bleiben in der die Lunge von C. parvum befallen werden können. Da- Umwelt, vor allem unter feuchten Bedingungen, über rüber hinaus befällt C. andersoni den Labmagen von ein Jahr lang infektiös. Aufgrund der hohen Kontami- meist älteren Kälbern (> 1 Monat). Dies kann eine re- nation im Betrieb und der Widerstandsfähigkeit gegen duzierte Gewichtszunahme zur Folge haben43, 47. C. bo- gängige Desinfektionsmittel und Chlorbehandlungen vis und C. ryanae sind nicht-zoonotische Arten, die persistiert der Erreger auch in Betrieben mit guten Hy- ebenfalls primär den Dünndarm von Rindern befallen. gienestandards. Es wird derzeit angenommen, dass sie in Kälbern keine Klinik verursachen. Allerdings basieren diese Vermu- Im europäischen Vergleich sind C. parvum oder C. bovis tungen hauptsächlich auf klinischen Beobachtungen für Infektionen in den ersten Lebenswochen der Kälber natürlicher Infektionen und kaum auf kontrollierten, verantwortlich. In Schweden waren Prävalenzen von experimentellen Daten17, 18, 54, so dass weitere Untersu- 74% für C. bovis und von 21% für C. parvum nachweis- chungen angezeigt sind52. bar53, in Frankreich von 25% C. bovis und 23% C. par- vum 44, während in anderen Studien unter anderem aus Dänemark, Slowenien und Deutschland 82%–100% der Epidemiologie der Kälbercryptospori- Kälber mit C. parvum infiziert waren9, 32, 56. Für die diose Schweiz wurde bisher nur C. parvum als Durchfallerre- ger identifiziert, molekularepidemiologische Studien Die Ausscheidung von Cryptosporidien-Oocysten folgt fehlen jedoch. Wichtig für die Diagnostik ist, dass nicht bei Kälbern einem wellenförmigen Muster und erreicht nur C. parvum sondern auch C. bovis Ausscheidungsra- die höchste Ausscheidungsrate in der Regel in der zwei- ten von mehreren Millionen Oocysten in den ersten 366 SAT | ASMV 6 | 2018 Band 160, Heft 6, Juni 2018, 363–374, © GST | SVS
Übersichtsarbeiten | Reviews Die Bedeutung der Cryptosporidiose für die Kälbergesundheit in der Schweiz P. Olias et al. Abbildung 3: Schematische Darstellung des Lebenszyklus von Cryptosporidium parvum. Der Infektionsort von Cryptospori- dien liegt auf der Zelloberfläche der Enterocyten zwischen den Mikrovilli. Die einzelnen Stadien des Parasiten werden dabei durch die Wirtszellmembran eingehüllt. Lebenswochen verursachen kann7, 44. Somit ist noch (~ 10 Oocysten) 40. Eine Infektion des Menschen erfolgt nicht geklärt, ob die Bedeutung von Cryptoporidien durch orale Aufnahme von Oocysten. Als Durchfaller- beim Kälberdurchfall in der Schweiz mit der derzeit reger sind Cryptosporidien vor allem für Kinder und gängigen Diagnostik (Koproantigen-Nachweis oder immunsupprimierte Erwachsene von Bedeutung16, je- Oocystennachweis) überschätzt wird, da die als apatho- doch können auch gesunde Erwachsene erkranken6. In gen angesehene Art C. bovis bisher nicht ausgeklammert gesunden Kindern und Erwachsenen ist die Infektion werden konnte. in der Regel selbstlimitierend. Dagegen kann es in Per- sonen mit einer immunsuppressiven Therapie oder In- fektion (u.a. AIDS Patienten) zu persistierenden Verläu- Cryptosporidien als Durchfallerreger fen mit einer ganzen Bandbreite an verschiedenen des Menschen Cryptosporidien-Spezies kommen. In einer Untersu- chung in der Schweiz fanden sich bei AIDS Patienten Weltweit sind für den grössten Anteil (> 90%) der Hu- hauptsächlich Infektionen mit C. parvum 38. Einzelne maninfektionen humanspezifische C. hominis und zoo- Infektionen durch C. parvum sind in der Schweiz auch notische C. parvum verantwortlich63. Die Infektionsdo- bei immunkompetenten Personen beschrieben19. Die sis von C. parvum für den Menschen liegt im Mittel Häufigkeit von Cryptosporidien-Infektionen in zwei wie für das Kalb im niedrigen zweistelligen Bereich Studien von Kindern mit einer Durchfallerkrankung in Band 160, Heft 6, Juni 2018, 363–374, © GST | SVS SAT | ASMV 6 | 2018 367
Übersichtsarbeiten | Reviews Die Bedeutung der der Schweiz lag bei etwa 5%14, 22. Bei den Kindern wur- Ganz anders sieht die Situation in Gebieten mit man- Cryptosporidiose für de vor allem C. hominis mit Reiseanamnese nachgewie- gelnder Infrastruktur aus, wo die Cryptosporidiose eine die Kälbergesundheit in der Schweiz sen, lediglich in 1% der Fälle fand sich C. parvum 22. Bei gefährliche Infektionskrankheit für Kinder darstellt und der Betrachtung von Infektionsfällen in der Schweiz mit Unterernährung und langfristigen kognitiven Schä- P. Olias et al. sind als Risikofaktoren eine vorangegangene Reisetätig- digungen assoziiert ist. Eine im Jahr 2013 veröffentlich- keit, das Vorliegen einer Immunsuppression und der te, vielbeachtete epidemiologische Studie zeigte, dass Kontakt mit symptomatischen Personen zu berücksich- Cryptosporidien neben Rotaviren in Afrika (Kenia, tigen5. Auch Infektionen von Personen mit direktem Mali, Mosambik, Gambia) und Südostasien (Banglade- Kontakt zu erkrankten Tieren wie etwa Veterinärmedi- sch, Indien, Pakistan) eine der Hauptursachen für schwe- zinstudierende sind gut dokumentiert6, 29. Dadurch er- re Durchfallerkrankungen bei Kleinkindern darstellen31. geben sich Implikationen für die zu treffenden Hygie- Jedes Jahr sterben über 100’000 Kinder an den direkten nemassnahmen der behandelnden Personen (siehe Folgen einer Cryptosporidien-Infektion39, 57. Diese neu- Prophylaxe). en Erkenntnisse bestärken intensive internationalen Anstrengungen auf der Suche nach neuen Medikamen- Die Kontamination von Oberflächenwasser durch Fä- ten gegen die Erkrankung (siehe unten). kalien sowie der Ausfall von Filtersystemen der Wasser- aufreinigung können zu grösseren Ausbrüchen mit Durchfallerkrankten führen. Global waren für trinkwas- Diagnostik des Cryptosporidienbefalls servermittelte Krankheitsausbrüche durch Protozoen der Jahre 2004–2010 in 60% der Fälle Cryptosporidien Insbesondere ist das Alter der mit Durchfall vorgestell- verantwortlich4. Der wohl bekannteste Krankheitsaus- ten Kälber ein erster Indikator für eine Cryptosporidien- bruch ereignete sich 1993 in Milwaukee im Bundesstaat Infektion (Abbildung 1). So ist laut einer umfangreichen Wisconsin in den USA. Hochgerechnet sollen mehr als schwedischen Studie eine Durchfallsymptomatik bei 400’000 Personen aufgrund von verunreinigtem Trink- Kälbern älter als vier Wochen nur in sehr wenigen Fällen wasser durch C. hominis infiziert worden sein35. Trotz auf Cryptosporidien zurückzuführen52. Makroskopisch der weiten Verbreitung von Oocysten im Oberflächen- ist der mit einer C. parvum-Infektion einhergehende wasser der Schweiz61, ist das Risiko einer Infektion über Durchfall nicht von einem Durchfall durch E. coli oder Trinkwasser sehr gering. Bislang ist es in der Schweiz Viren zu unterscheiden. nicht zu einem grösseren Krankheitsausbruch gekom- men, was auf eine funktionierende Wasserauf bereitung Zum Nachweis von Cryptosporidien im Kot kommen mit einer Reduktion der Oocystenlast unter den Grenz- routinemässig vor allem Spezialfärbungen wie die mo- wert für eine Humaninfektion schliessen lässt. Eine difizierte Ziehl-Neelson (mZN) Färbung in Frage. Die Studie zur Trinkwasserkontamination an drei Orten in mZN Färbung kann direkt an einem Ausstrich von un- der Schweiz fand eine Konzentration von bis zu fixiertem Kälberkot durchgeführt und das Vorhanden- 0.18 Oocysten pro Liter. Von den Oocysten waren je sein von Oocysten semiquantitativ am Lichtmikroskop nach Ort nur 28% bis 75% vital 20. Die hohe Resistenz beurteilt werden. Auch die Karbolfuchsin-Färbung oder gegen gängige Wasserbehandlungsverfahren erschwert der Immunfluoreszenztest bietet sich für eine lichtmik- die vollständige Eliminierung von Oocysten im Trink- roskopische Auswertung an. Die kugelförmigen Oocys- wasser. Auffällig ist die Divergenz zu den regelmässig ten von C. parvum sind mit ca. 5 µm Durchmesser etwa berichteten Krankheitsausbrüchen in anderen Indus- so gross wie ein Erythrozyt (Abbildungen 2 B und 3). trienationen wie beispielsweise den USA und Neusee- Eine Übersicht zu den Grössenangaben aller für Rinder land. Sie lässt sich am ehesten über die Nutzung anderer bedeutsamen Cryptosporidium-Arten im Vergleich zu Trinkwasserquellen und eine andere Wasserauf berei- C. hominis findet sich in Tabelle 1. Mittels ELISA kön- tung erklären. nen Koproantigene von Cryptosporidien im Kot nach- gewiesen werden. Auf Immunchromatographie basie- rende Schnelltests wurden auch in der Schweiz evaluiert, Tabelle 1: Grössenverhältnisse von Oocysten der für Rinder infektiösen Cryptosporidium- wobei für den Nachweis von Cryptosporidien-Antige- Arten im Vergleich zu C. hominis. nen eine Sensitivität von 83.5% und eine Spezifität von 100% ermittelt wurde60. Ähnliche Resultate (Sensitivität Spezies Grösse der Oocysten Referenz (Mittelwert) 100%, Spezifität 94.6%) wurden für den gleichen Test C. parvum 4.5 μm × 5.0 μm Upton and Current, 1985 in Österreich bestimmt30. Verschiedene kommerzielle immunochromatographische Schnelltests erlauben in C. bovis 4.63 μm × 4.89 μm Fayer et al., 2015 der Praxis eine schnelle Diagnose vor Ort in Betrieben C. ryanae 3.16 μm × 3.73 μm Fayer et al., 2008 mit Durchfallkälbern durch Koproantigennachweis von C. andersoni 5.5 μm × 7.4 μm Lindsay et al., 2000 Cryptosporidien, Rota-, Coronaviren sowie E. coli. C. hominis 4.86 μm × 5.2 μm Morgan-Ryan et al., 2002 368 SAT | ASMV 6 | 2018 Band 160, Heft 6, Juni 2018, 363–374, © GST | SVS
Übersichtsarbeiten | Reviews Aufgrund gleicher Grössenverhältnisse und Abwesen- phylaktisch angewendet. Es wird von einem, wenn auch Die Bedeutung der heit anderweitiger morphologischer Artmerkmale ist milden positiven therapeutischen Effekt einhergehend Cryptosporidiose für die Kälbergesundheit eine lichtmikroskopische Unterscheidung von C. par- mit reduzierter Oocystenausscheidung und reduzierter in der Schweiz vum und den als apathogen angesehenen Cryptospori- Durchfallsymptomatik berichtet. Die vorliegenden wis- dien-Arten wie C. bovis nicht möglich15. Auch die im- senschaftlichen Daten, die eine Wirksamkeit des Präpa- P. Olias et al. munologischen Tests zum Antigennachweis sind nicht rates gegen die Cryptosporidiose bestätigen würden, artspezifisch. Die Bestimmung multifaktorieller Infek- sind jedoch widersprüchlich51, 62. Zu beachten ist, dass tionen und die Bestimmung der Cryptosporidien auf Halocur nur bei Kälbern eingesetzt werden darf, die Art- oder sogar Genotypebene könnte in Zukunft be- noch nicht länger als 24 h Durchfallsymptomatik zei- sonders in Problembetrieben die ätiologische Abklärung gen. Das Medikament besitzt eine ausgesprochen gerin- des Durchfallgeschehens verfeinern. ge therapeutische Breite, eine doppelte Dosis kann be- reits zu einer schwerwiegenden Intoxikation des Kalbes In punkto Genauigkeit und Flexibilität stellt die Poly- und dessen Tod führen. Weitere Chemotherapeutika merase-Kettenreaktion (PCR) derzeit das Verfahren der sind für den Einsatz bei Kälbern in der Schweiz nicht Wahl im Labor dar. Die Bestimmung der Art und un- zugelassen. In der Humanmedizin wird Nitazoxanid terschiedlicher Genotypen erfolgt durch die Sequenzie- (Alinia®) angewandt, dessen Wirksamkeit jedoch eben- rung von PCR-Produkten des ribosomalen 18S RNA falls fraglich ist. Alinia® sollte nicht bei Kindern unter Gens beziehungsweise des Gens des hypervariablen 12 Monaten und immunsupprimierten Personen ange- 60 kDa Glykoproteins (gp60) und dem anschliessenden wendet werden1, 2, und ist in der Schweiz, wie auch in Vergleich mit in öffentlichen Datenbanken hinterlegten ganz Europa, nicht zugelassen. Behandlungsversuche Sequenzen. Eine Genotypisierung von C. parvum wird experimentell infizierter Kälber zeigten keine Wirksam- häufig anhand der gp60 Sequenz durchgeführt. Manche keit von Nitazoxanid gegen C. parvum 50. Paramomycin, Genotypen finden sich dabei gehäuft bei Kälbern, wäh- ein Aminoglykosid-Antibiotikum, Azithromycin, Tylo- rend andere vor allem Menschen befallen63. Derzeit ist sin und Decoquinate sind weitere Präparate, zu denen nicht bekannt, ob bestimmte Genotypen mit einer er- Berichte zur Behandlung bei Tieren vorliegen. Für einen höhten Virulenz einhergehen. Trotz der Entwicklung Überblick siehe51. Allerdings zeigt keines der Präparate einiger weiterer Multilocus-Genotypisierungs-Metho- einen therapeutischen Nutzen, der über den von Halo- den für C. parvum gibt es bislang kein geeignetes Ver- fuginon hinausgeht. Unabhängig vom Gebrauch eines fahren, um pathogene von nicht-pathogenen Stämmen Chemotherapeutikums darf daher gegenwärtig die zu unterscheiden respektive die Epidemiologie von symptomatische Durchfallbehandlung noch immer als spezifisch virulenten Stämmen über Zeit und Raum der wichtigste Teil einer wirksamen Therapie angesehen nachzuverfolgen. werden. Entscheidend für das Einzeltier ist dabei der kontinuierliche Ausgleich des Flüssigkeit- und Elek- Trotz sofort eingeleiteter Diagnostik wird in einer be- trolytverlusts55. trächtlichen Anzahl von Durchfall-Kälbern ein auslö- sender Infektionserreger nicht detektiert60. In diesen Fällen spielen gegenwärtige technische Grenzen der Prophylaxemassnahmen können Diagnostik, alimentäre Durchfallursachen sowie weni- helfen ger prävalente Durchfallerreger wie z.B. Campylobacter spp. und Clostridium spp. oder andere bislang nicht cha- Solange noch keine effektiven Behandlungsmöglich- rakterisierte Durchfallerreger eine Rolle. Der weiteren keiten existieren, kommt der Prophylaxe die grösste Pathogeneseaufklärung und der Verbesserung der aktu- Bedeutung zu. Eine Infektion mit Cryptosporidien lässt ell angewandten Diagnostik kommt damit eine zentrale sich aufgrund der hohen Tenazität der Oocysten und Bedeutung der zukünftigen Forschungsarbeit zum Käl- geringen Infektionsdosis selbst mit rigorosen Hygiene- berdurchfall zu. massnahmen jedoch oft nur schwer verhindern. Nach unserer klinischen Erfahrung tragen strenge Hygiene- und Managementmassnahmen (z.B. optimierte Kolos- Eingeschränkte Therapiemöglichkeiten tral- und Mineralstoffversorgung der Kälber) in infi- zierten Betrieben am ehesten dazu bei, durch Derzeit gibt es keine geeigneten antiparasitären Behand- Cryptosporidien bedingte Kälberdurchfälle erfolgreich lungsmöglichkeiten gegen Cryptosporidien. Gegenwär- zu kontrollieren und Koinfektionen mit anderen Erre- tig ist in der Schweiz für Kälber alleinig das Präparat gern zu minimieren. Halofuginon-Laktat wird vieler- Halocur® (MDS Animal Health GmbH, Luzern) als orts in einer Dosierung von 100 µg/kg Körpergewicht oral zu verabreichende Lösung zugelassen. Es enthält als Metaphylaxemassnahme ab dem ersten Lebenstag Halofuginon-Laktat aus der Gruppe der Quinazo- der Kälber eingesetzt 28. Bei fraglicher Wirksamkeit und linon-Derivate. In der Regel wird das Präparat nur pro- hoher Toxizität bei bereits doppelter empfohlener Do- Band 160, Heft 6, Juni 2018, 363–374, © GST | SVS SAT | ASMV 6 | 2018 369
Übersichtsarbeiten | Reviews Die Bedeutung der sierung muss die Verwendung jedoch kritisch betrachtet eignet sich hingegen eine Hitzebehandlung über 56 °C, Cryptosporidiose für werden. UVC Licht (>100 mJ/cm 2), 10% H 2O2 für 2 h oder 6% die Kälbergesundheit in der Schweiz NaOCl für 12 h12. Bei der Probennahme und -untersu- Vakzinierungen werden heutzutage erfolgreich zur Kon- chung ist auf die von C. parvum ausgehende Zoonose- P. Olias et al. trolle vieler Infektionserkrankungen in der Kälberme- gefahr zu achten. dizin eingesetzt. Die Mutterkuhimpfung gegen Rota- und Coronaviren sowie enterotoxische E. coli wird breit angewendet, hat allerdings nur einen positiven Einfluss, Entwicklung neuer Medikamente wenn die Kolostralversorgung der Kälber auch optimiert wird37. Eine kommerzielle Vakzine gegen Cryptospori- Über mehrere Jahrzehnte gab es einen fast völligen Still- dien existiert derzeit nicht. Der frühe Krankheitsbeginn stand in der Entwicklung neuer wirksamer Chemothe- meist in der ersten Lebenswoche würde eine passive rapeutika gegen Cryptosporidien. Inzwischen liegen Immunisierungsstrategie bedingen 26. In der Schweiz vielversprechende Forschungsergebnisse zu potentiellen hatten > 90% von bis 3 Wochen alten Aufzuchtkälbern neuen Chemotherapeutika vor. Von diesen Neuentwick- mit akutem Durchfall tiefe Serum Ig-Konzentrationen lungen dürfte in näherer Zukunft auch die Veterinär- (< 8 g/L) 60, während 57.1% der Kälber im gleichen Alter medizin profitieren, insbesondere da das Kalb derzeit aber ohne Durchfall genügend hohe Konzentrationen als einzig valides Modeltier für die Erforschung der (> 10 g/L) hatten, was auf eine Assoziation von unge- Cryptosporidien-Erkrankung des Menschen angesehen nügender Kolostralversorgung mit dem Auftreten von werden kann36. Mehrere Wirkstoffderivate der soge- neonatalem Kälberdurchfall hindeutet. Andere haben nannten Bumped kinase inhibitors (BKIs) zeigen eine Ak- eine reduzierte Ausscheidung von Cryptosporidienoo- tivität gegen C. parvum in in vitro und in vivo Versu- zysten und eine bessere Kotkonsistenz bei Kälbern mit chen 25. BKIs zielen auf die Blockade des für den genügender Kolostralversorgung beobachtet3. Aller- Parasiten essentiellen Calcium Dependent Protein Kinase 1 dings gibt es kaum gesicherte Daten für die spezifische (CDPK1) Proteins ab. Gegenwärtig konzentriert sich die Wirksamkeit oder für den Schutzmechanismus von Entwicklung auf einen Wirkstoff-Kandidaten, der eben- Kolostrum gegen Cryptosporidien. Versuche einer Imp- falls eine hohe Effizienz und Sicherheit bei Neonaten fung der Muttertiere mit rekombinantem C. parvum-Pro- aufweist. Versuche im Kälbermodell zeigen eine Verbes- tein zeigten in einer Studie einen gewissen Erfolg. Eine serung der klinischen Symptomatik und eine signifikan- darauffolgende Gabe des Kolostrums konnte zwar eine te Reduktion der Oocysten-Ausscheidung 24, 49. Ein Oocystenausscheidung der Kälber nicht verhindern, weiterer kürzlich beschriebener Wirkstoffkandidat jedoch wurde klinischen Durchfallsymptomen erfolg- (KDU731) aus der Gruppe der Pyrazolopyridine, der die reich vorgebeugt41. Erstaunlicherweise wurde diese in Phosphatidylinositol-4-OH Kinase des Parasiten inhi- zwei Gruppen von je nur sechs Kälbern durchgeführte biert, zeigte eine drastische Reduktion der Krankheits- Studie nicht wiederholt oder erweitert, und neuere Stu- symptomatik und Oocystenausscheidung im Kälbermo- dien zu einer Immuntherapie liegen nicht vor. dell36. Obwohl bisher keiner dieser neuen Wirkstoffe eine vollständige Elimination der Oocysten-Ausschei- Der Infektionsdruck unmittelbar nach der Geburt kann dung erreicht, zeigt sich eine vielversprechende Verbes- durch das Verbringen der kalbenden Kuh in einen des- serung der Durchfallsymptomatik der Kälber. infizierten oder zumindest sauberen Abkalbebereich deutlich reduziert werden. Die sofortige Trennung von adulten Tieren (inkl. Muttertier) und die Haltung der Schlussfolgerung neugeborenen Tiere in einem abgetrennten Stall oder die Verbringung in ein Kälberiglu reduzieren den Infek- Für die Schweiz fehlt insbesondere eine systematische tionsdruck weiter. Dabei ist eine gründliche Reinigung Bestandsaufnahme zur Epidemiologie pathogener und und Desinfektion vor jeder Neubelegung wichtig. Eine derzeit als apathogen angesehener Cryptosporidien-Ar- Hochdruck-Dampf-Desinfektion (> 130 °C) bietet sich ten. Die Erhebung dieser Daten und die Evaluation der als Methode zur Reduktion des Infektionsdrucks an, Bedeutung von Cryptosporidien im Vergleich zu anderen wobei die Exposition weiterer Tiere durch Aerosole re- Durchfallerregern in der Schweizer Kälberaufzucht und duziert werden sollte. In der Schweiz gibt es mit Neo- -mast ist essentiell, um eine genauere Diagnostik anbieten prednisan 135-1® (Vital AG, Oberentfelden) ein zuge- zu können und zukünftig gezieltere Empfehlungen für lassenes auf Kresol basierendes Desinfektionsmittel, das eine adäquate Behandlungsstrategie abgeben zu können. bei richtiger Anwendung eine Wirksamkeit gegen Cryp- Daher haben wir an der Vetsuisse-Fakultät der Universität tosporidien zeigt. Ein leicht zu reinigender und zu des- Bern ein Forschungsprojekt zur detaillierten Bestands- infizierender Zementboden erhöht den Erfolg der Pro- aufnahme des Cryptosporidienbefalls bei Kälbern in der phylaxemassnahmen59. Zur Dekontamination des Schweiz lanciert, welches in einem ersten Schritt die Be- Instrumentariums oder des Arbeitsbereichs im Labor stimmung der hier in der Schweiz prävalenten Cryp- 370 SAT | ASMV 6 | 2018 Band 160, Heft 6, Juni 2018, 363–374, © GST | SVS
Übersichtsarbeiten | Reviews tosporidien-Arten und die Etablierung einer genaueren blematik bei Kälbern sowie Kontrollbetriebe. Bei Inte- Die Bedeutung der Diagnostik zum Ziel hat. resse einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an: Cryptosporidiose für die Kälbergesundheit Ines Dettwiler (Tierärztin) in der Schweiz Forschungsprojekt «Kälbercryptospori- Institut für Tierpathologie, Vetsuisse Fakultät diose in der Schweiz» Länggassstrasse 122 P. Olias et al. Universität Bern In einer Zusammenarbeit zwischen der Wiederkäuerkli- Telefon: 031 631 2661 nik, dem Institut für Tierpathologie und dem Institut E-Mail: ines.dettwiler@vetsuisse.unibe.ch für Parasitologie untersucht die Universität Bern in einer Projektinformation: http://www.wiederkaeuerklinik. wissenschaftlichen Studie das Auftreten verschieden unibe.ch/forschung/projekte/kaelbergesundheit/ pathogener Cryptosporidien-Spezies bei Kälbern mit index_ger.html Durchfallproblematik in der Schweiz. Die Erhebung systematischer Daten dient der Optimierung der Dia- gnostik und der Erarbeitung einer besseren Behand- Danksagung lungsempfehlung. PO und AH werden durch den Schweizerischen Natio- Für diese Studie suchen wir zur Probennahme geeigne- nalfonds (Ambizione PZ00P3_173972 bzw. Projekte te landwirtschaftliche Betriebe mit einer Durchfallpro- 310030_165782 und CRSII5_173718) unterstützt. L’importance de la cryptosporidiose L’importanza della criptosporidiosi pour la santé des veaux en Suisse per la salute dei vitelli in Svizzera La diarrhée chez les veaux est l’une des maladies du La diarrea nei vitelli è una delle più frequenti malattie bétail les plus courantes en Suisse. Le diagnostic de la dei bovini in Svizzera. La diagnosi causale e il tratta- cause et le traitement de la diarrhée des veaux repré- mento della diarrea dei vitelli sono una grande sfida. I sentent un défi majeur. En Suisse, les cryptosporidies criptosporidi con i rotavirus sono i più comuni agenti sont, avec les rotavirus, l’agent causal le plus fréquent patogeni della diarrea dei vitelli nella prima settimana de diarrhée du veau dans les premières semaines et elles di vita e sono la causa del 50% dei casi. Il parassita sont responsables d’environ 50% des cas. Le parasite unicellulare Cryptosporidium parvum viene descritto sin unicellulaire Cryptosporidium parvum a été décrit depuis dagli anni 70 come l’agente patogeno della diarrea nei les années 1970 comme un agent de diarrhée chez les vitelli di età tra 1-3 settimane. Dopo alcuni giorni veaux d’une à trois semaines. Après ingestion orale d’oo- dall’ingestione orale di persistenti oocisti dell’ambiente cystes persistants dans l’environnement, il se produit circostante si verifica una forte diarrea della durata di après quelques jours une diarrhée sévère de quatre à six quattro a sei giorni con una massiccia escrezione di oo- jours avec excrétion massive d’oocystes déjà infectieux. cisti già infetti. Solo poche oocisti persistenti nell’am- Même quelques oocystes persistants dans l’environne- biente possono causare malattie. In epidemiologia ci ment peuvent être pathogènes. Du point de vue épidé- sono ancora molte lacune nelle conoscenze della sospet- miologique, il existe encore de grandes lacunes dans la ta diversa virulenza dei diversi ceppi di C. parvum. Inol- connaissance de la variabilité suspectée dans la virulence tre, nei vitelli si aggiungono delle specie non patogene de diverses souches de C. parvum. En outre, des espèces (tra cui il Cryptosporidium bovis) che non si distinguono non pathogènes (entre autres Cryptosporidium bovis) con i test diagnostici. Finora non si sono trovati né far- peuvent être présentes chez les veaux, qui ne se dis- maci efficaci dal punto di vista terapeutico né vaccini tinguent pas de C. parvum avec les tests diagnostiques contro la criptosporidiosi nel vitello. Nella medicina actuels. Jusqu’à présent, aucun médicament efficace sur umana, le epidemie mediate dall’acqua (specialmente le plan thérapeutique et aucun vaccin contre la cryptos- negli Stati Uniti) e l’importanza zoonotica dei cripto- poridiose du veau n’ont été trouvés. En médecine hu- sporidi come agenti patogeni opportunisti svolgono un maine, les épidémies transmises par l’eau (en particulier ruolo importante per gli esseri umani immunodeficien- aux États-Unis) et l’importance zoonotique des cryptos- ti. L’alto onere della patologia della criptosporidiosi poridies comme pathogènes opportunistes chez les per- associato all’alto tasso di mortalità infantile nelle regio- sonnes immunodéficientes jouent un rôle de premier ni meno industrializzate e povere (tra cui l’Asia sud-o- plan. La forte morbidité de la cryptosporidiose associée rientale e l’Africa sub-sahariana) ha stimolato negli ul- à une forte mortalité infantile dans les régions les moins timi anni la ricerca sul parassita. In particolare la industrialisées et les plus pauvres (entre autres en Asie scoperta di nuovi farmaci contro C. parvum dovrebbe Band 160, Heft 6, Juni 2018, 363–374, © GST | SVS SAT | ASMV 6 | 2018 371
Übersichtsarbeiten | Reviews Die Bedeutung der du Sud-Est et en Afrique subsaharienne) ont relancé la portare in un futuro prossimo dei benefici anche nella Cryptosporidiose für recherche sur ces parasites au cours des dernières années. medicina per i vitelli. In questa recensione si riporta di die Kälbergesundheit in der Schweiz En particulier, la découverte de nouveaux médicaments questi nuovi sviluppi e in particolare elucida sulla crip- contre C. parvum est susceptible de bénéficier à la mé- tosporidiosi del vitello in Svizzera e richiama l’attenzio- P. Olias et al. decine du veau dans un proche avenir. Cet article de ne su un nuovo progetto di ricerca. synthèse fait le point sur ces nouveaux développements Parole chiave: Bovini, vitello, diarrea del vitello, diarrea, mais surtout sur la cryptosporidiose du veau en Suisse Cryptosporidium, criptosporidiosi et attire l’attention sur un nouveau projet de recherche. Mots-clés: Bovins, veau, diarrhée du veau, diarrhée, Cryptosporidium, cryptosporidiose Referenzen 13 Duranti A, Cacciò SM, Pozio E, Di Egidio A, De Curtis M, Battisti A, et al.: Risk factors associated with Crypto- 1 Amadi B, Mwiya M, Musuku J, Watuka A, Sianongo S, Ay- sporidium parvum infection in cattle. Zoonoses and Public oub A, et al.: Effect of nitazoxanide on morbidity and mor- Health 2009: 56: 176-182. tality in Zambian children with cryptosporidiosis: a ran- 14 Essers B, Burnens AP, Lanfranchini FM, Somaruga SG, domised controlled trial. The Lancet 2002: 360: 1375-1380. von Vigier RO, Schaad UB, et al.: Acute community-ac- 2 Amadi B, Mwiya M, Sianongo S, Payne L, Watuka A, Katu- quired diarrhea requiring hospital admission in Swiss bulushi M, et al.: High dose prolonged treatment with ni- children. 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