Die Bedeutung der Emder Synode für die Evangelische Kirche im Rheinland
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Die Bedeutung der Emder Synode für die Evangelische Kirche im Rheinland Stefan Flesch Im Anfang war Alba. Nun, das hieße dem brutalen weisungen organisieren. Erste gemeinsame Quar- spanischen Herzog entschieden zu viel Ehre an- tiersversammlungen von Predigern und Ältesten zutun, der ab 1567 den Versuch unternahm, die sind im Jülicher Raum bereits 1570 in Hückelho- „Ketzerei“ in den unter spanischer Herrschaft ste- ven belegt. Begnadete Netzwerker wie die beiden henden Niederlanden im Wortsinn auszumerzen. an der Pest verstorbenen Johannes Christianus Aber dennoch: Waren bereits seit den 1540er Jah- (ca. 1525-1597) und Johannes Badius (ca. 1548- ren lutherische und dann zunehmend reformierte 1597) initiieren den synodalen Betrieb am Nieder- Glaubensangehörige dem Verfolgungsdruck in rhein und halten ihn über alle politischen Krisen den habsburgischen Territorien ausgewichen, so hinweg am Laufen. Unterschätzt wird vielfach der brachte erst Albas Terrorpolitik eine unglaubliche Einfluss der Kurpfalz auf die Ausprägung der re- Dynamik in diese bislang eher latente Migrations- formierten Kirche der Rhein-Maas-Region und in bewegung. In der neuen großen Flüchtlingswelle den habsburgischen Niederlanden. Es lassen sich retteten sich etwa 60.000 Menschen nach Eng- vielfache personelle Rochaden zwischen diesem land, in die Kurpfalz, nach Frankfurt, Emden und Großraum und der Pfalz rekonstruieren, in denen eben auch in die niederrheinischen Herzogtümer pfälzische „Diener des göttlichen Worts“ rheinab- Kleve und Jülich-Berg, die Reichsstädte Köln und wärts zeitweise Gemeindedienste leisteten. Aachen sowie die vielen adligen Kleinterritorien. Zeitweise betrug ihr Bevölkerungsanteil in Emden Der Doyen der rheinischen Kirchengeschichtsfor- und Wesel 40 Prozent, in Aachen und Frankfurt schung Gerhard Goeters hat es so auf den Punkt zwischen 10 und 20 Prozent, in Köln und Hamburg gebracht: „Die Organisation im Synodalwesen ist nur knapp 5 Prozent. Unabhängig von der kon- die reformierte Antwort auf die jetzt einsetzende fessionellen Frage gestaltete sich das örtliche obrigkeitliche Eindämmung und auf den Verlust Zusammensein vielfach schwierig, wirtschaftliche öffentlicher Existenzmöglichkeit im Rahmen der Konkurrenz und unterschiedliche Mentalitäten überkommenen kirchlichen Ordnung.“ Die her- führten zu mannigfachen Konflikten, Integration kömmlich hergebetete rheinische Traditionstrias und Assimilation gelangen eher im Ausnahmefall. lautet: Weseler Konvent 1568, Emder Synode 1571, Duisburger Generalsynode 1610. Hier ist eine Diese versprengten Fremdengemeinden bestan- Korrektur vorzunehmen: Die Existenz des soge- den zunächst neben den reformatorisch orien- nannten Weseler Konvents ist durch die neuere tierten Kreisen der einheimischen Bevölkerung, Forschung gründlich dekonstruiert worden. Bei die sich unter Verfolgungsdruck nur als „heim- dessen „Protokoll“ handelt es sich um ein reines liche Gemeinden“ halten konnten. Erst in der Fol- Positionspapier des auch noch in Emden agie- ge, vor allem nach der Rückwanderungswelle in renden Petrus Dathenus, das dieser im Umlauf die Niederlande seit 1574, gingen sie in diesen auf Mitstreitern zur Unterschrift vorlegte. Ersetzt man und es bildete sich ein Amalgam zweier unter- dieses Fake-Event aber durch die sicher belegte schiedlicher Traditionslinien. und inhaltlich wegweisende erste Jülicher Synode zu Bedburg (3.-4. Juli 1571, drei Monate vor Em- Auf jeden Fall benötigten diese oft nur von Wan- den), ist dem Grundbedürfnis nach Trilogie wie- derpredigern versorgten Gemeinden von Anfang der Genüge geleistet. an schlichtweg zum Überleben belastbare Kom- munikationskanäle und eine pragmatisch an- Um ein Haar hätte ja auch die Emder Synode im passungsfähige Struktur über den engen lokalen Rheinland stattgefunden. Noch im Heidelberger Kirchenrand hinaus. Im akuten Notfall ließen sich Einladungsschreiben vom 30. Juni 1571 wird Köln so personelle Hilfestellungen oder Kollektenzu- als geplanter Tagungsort benannt. Erst vier Tage 1
später in Bedburg verständigt man sich auf Em- Johannes Lippius (* ? Nieuwpoort + vor 1589): den. Von deren 29 protokollierten Teilnehmern 1564-1567 Prediger in Breda, 1567-1572 Pastor in waren 19 Pastoren, 3 Vikare, 2 Emeriti und immer- Wesel, später Pastor in Dordrecht und Hulst hin 5 Älteste. Sieben Teilnehmer waren damals Henrik Holtenus (* ? Harderwijk +1574 Emden): im Rheinland tätig, sie stammten alle aus den 1570-1572 Pastor der Gemeinde in Emmerich, Niederlanden: dann in Harderwijk, Dyckhausen und Emden tätig Carolus Niellius (Charles de Nielle) (* ca. 1534 Johannes de Roy (Jan de Roye), Ältester der nie- Tournai +1604 Hanau): Pastor in Antwerpen, 1569- derländischen Gemeinde in Köln: Er könnte mit 1598 Pastor der französischen Gemeinde in Wesel, Jean de Roy identisch sein, der 1573 Lehrer an der später in Heidelberg und Hanau tätig wallonischen Schule zu Frankenthal war. De Roy Sybert Loo (Lohn) (* ca. 1535 Venray + nach 1584): hat eine besondere Bedeutung für die Überliefe- Pastor der Gemeinde in Köln. Von 1562-1584 ist er rungsgeschichte der Emder Beschlüsse, da er in ansonsten belegt in Hoerstgen, Essen, Nimwegen den Wochen nach der Synode die älteste nieder- Breda, Goch und Rheinberg. ländische Übersetzung der ursprünglich in Latein abgefassten Emder Beschlüsse anfertigte. Johannes Hueckelom (Huckelen) (* ? Nimwegen + vor 1606 Middelharnis): 1568 aus Maastricht ver- Hermann Meranus, Ältester aus Wesel: zuvor trieben, seit 1568 Pastor der Gemeinde in Aachen, Kaufmann und Ältester in Antwerpen, seit 1572 in seit 1589 Pastor in Nijland und Middelharnis Gennep Abb. 1: Karte mit den Herkunftsorten der Teilnehmer (Freudenberg/Siller, S. 12f.)1 1 Matthias Freudenberg/ Aleida Siller: Emder Synode 1571. Wesen und Wirkungen eines Grundtextes der Moderne, Göttingen 2020. Erstellt von Crimi Design. 2
Die Grundprinzipien der Emder Beschlüsse sind Die Emder Beschlüsse wurden in allen drei nie- wohlbekannt: derrheinischen Territorien sogleich als verbind- lich anerkannt und als Quasi-Kirchenordnung - Presbyterial-synodale Austarierung statt ge- interpretiert. Wenn später im Zuge der weiteren meindlichem Kongregationalismus bzw. hierar- Untergliederung neue Synodal- oder Klassika- chischer Leitung von oben lordnungen erarbeitet wurden, so „atmen sie den Geist der Emder Artikel bis in die Diktion hinein“ - Dreistufiger Ausbau des reformierten Kirchen- (so der Kirchenrechtler Herbert Frost). In den wesens: Gemeinde, Classis, Synode folgenden vier Jahrzehnten lässt sich am Nieder- - Transparenz der Beschlüsse rhein, bedingt nicht zuletzt durch die politische Entwicklung, ein allmählicher Entfremdungspro- - Subsidiarität zess von der Einbindung in die niederländische - Pragmatismus und Flexibilität bei der Ausge- Synodalorganisation beobachten. Diese Eman- staltung organisatorischer Fragen zipation findet ihren Abschluss in der ersten - Zurückhaltung gegenüber aktuellen politischen reformierten Generalsynode für die vereinigten Konfliktlagen Herzogtümer in Duisburg 1610. Abb. 3: Kupferstich einer Synode in der Nieuwe Kerk Die Sprache der Beschlüsse hat der bereits zi- Amsterdam 1730 tierte Bonner Kirchengeschichtler Goeters knapp und kernig umschrieben: „Das Protokoll besticht durch knappe, präzise und würdige Formulierung. Theologische Plerophorie und kirchliche Ge- schwätzigkeit fehlen völlig.“ Abb. 2: Stolberger Abschrift der Emder Beschlüsse | Archiv der EKiR, Best. 4KG 072, A5/2,1 Die Generalsynode fand in einer politischen Aus- nahmesituation statt, während der beide Prä- tendenten auf die Vereinigten Herzogtümer noch kurzzeitig der lutherischen Konfession angehören. Wiederum unter federführender Beratung durch einen Pfälzer, den Hofprediger Abraham Sculte- tus, halten sich die Duisburger Synodalen alle Wege offen und definieren ihre Beschlüsse als Interim: Bei günstigeren politischen Umständen (die dann freilich nie eintraten) war auch ein re- formiertes Staatskirchentum nach Pfälzer Muster keineswegs ausgeschlossen. In der Struktur bildet sich endgültig ein vierstufiger Aufbau heraus: Kirchengemeinde, Klasse, Provinzialsynode, Gene- ralsynode. Die in Emden für den Niederrhein de- finierten Klassen entsprechen den nunmehrigen Provinzialsynoden. Die abgeklärten und an der Lebenspraxis orientierten Beschlüsse in Emden bestimmen auch noch das Leitmotiv in Duisburg 1610: Leichtfertiger Aktionismus und Neuerungs- 3
drang („licentia novitatum“) und sklavisches Hän- Besetzung der Synoden mit Ältesten, also Laien, gen am Althergebrachten („servitus conscientia- nichts zu ändern. rum“) seien gleichermaßen zu meiden. Gerade bei Sichtung offiziöser Düsseldorfer Pub- Besondere rheinische Features der Synodalent- likationen und Gedenkprojekte könnte man den wicklung seit 1571 sind die Betonung der Ältesten- fälschlichen Eindruck gewinnen, das Rheinland wahlen, die die Kontinuität gerade heimlicher Ge- sei gänzlich und bis in die Wolle gefärbt eine meinden ohne feste Prediger wahrten, sowie die reformierte Kirche. In der Realität bildeten die starke Ausprägung der Gemeindediakonie. Durch- rheinischen Territorien von der Saargegend bis aus in latentem Gegensatz zum ersten Artikel der nach Emmerich auch innerprotestantisch immer Emder Generalia entwickelte sich im Rheinland eine konfessionell bunte Landschaft. Umso inter- das Vorortprinzip: Bedburg, Köln, Aachen und We- essanter ist es, wie seit dem 17. Jahrhundert auch sel nahmen hier zu wechselnden Zeiträumen eine das Luthertum im rheinisch-westfälischen Raum gewisse bestimmende Rolle ein. Auch bei der sukzessive viele Anregungen aus Emden über- späteren Aufwertung des Amtes des Synodalprä- nommen hat. Es entwickelte eine Synodalstruktur ses hin zu einem Moderamen kann man Ansätze und zumindest die lutherische Kirchenordnung zu einer Art Kirchenleitung sehen, die in Emden von Kleve-Mark 1687 postulierte auch gemeinsame so nicht beabsichtigt war. Synodalversammlungen von Pfarrern und Ältesten. Paradoxerweise hielt sich die reine Lehre der Die in Emden begründete presbyterial-synodale Emder Beschlüsse am besten im katholisch re- Traditionslinie wurde in den deutschen Territo- gierten Jülich-Berg, wo die reformierten wie lu- rien bis zum 19. Jahrhundert in der Tat nur am therischen Gemeinden im 17.-18. Jahrhundert viel- Niederrhein bewahrt. Erst nach 1815 gewinnt sie fach unter Repression oder zumindest Gängelung nunmehr im gesamten Deutschen Bund neu an zu leiden hatten. Umgekehrt interessierten sich Bedeutung und geht dabei vielfach eine Synthese die Pfalz-Neuburger Herrscher aber nicht für das mit konsistorialen Elementen ein. Die rheinisch- synodale Innenleben der Kirche. In dem von den westfälische Kirchenordnung von 1835 ist hierfür reformierten Hohenzollern regierten Kleve-Mark das bekannteste, aber nicht das einzige Beispiel. drängte sich hingegen immer deutlicher das lan- Diese bestand in überarbeiteter Form auch nach desherrliche Kirchenregiment in den Vordergrund dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments und entwickelte nicht zuletzt über das „Aerarium 1918 fort. Erst der Konflikt mit der nazifizierten ecclesiasticum“ einen finanziellen Hebel zur Ein- Staatskirche und die in Reaktion darauf formu- flussnahme auf die Gemeinden. lierten Thesen der Barmer Theologischen Erklä- rung 1934 bringen eine Rückbesinnung auf „Em- Ihre – aus katholischer Konkurrenzperspektive den pur“ und sind in der Folge maßgeblich für gesehen – hohe Virulenz erzielten die Emder die Verfassungsentwicklung in allen deutschen Beschlüsse im Zusammenspiel mit der über Landeskirchen nach 1945. Jahrzehnte lavierenden Religionspolitik der Via media am Düsseldorfer Hof. In diesem Vakuum Groß aufgezogen, verbunden mit einem im- sicherte das durch Emden definierte Netzwerk mensen Output an Literatur, wurde bereits das das Überleben zumindest der Mehrzahl der 400-jährige Jubiläum 1971. Der damalige rheini- vielen entstandenen kleinen reformierten Ge- sche Präses Karl Immer hielt die Festpredigt vor meinden. Die seit 1614 einsetzende massive Re- 1200 Gottesdienstbesuchern in der Neuen Kirche katholisierung in Jülich-Berg vermochte diesem zu Emden. Gustav Heinemann, ein weiterer rhei- zähen Spinnennetz nicht mehr beizukommen. nischer Protestant, konnte krankheitsbedingt Die bereits in Emden angelegte und in Duisburg nicht teilnehmen, seine Rede über den Unter- noch stärker propagierte Professionalisierung schied von Synode und Parlament wurde von der reformierten Pfarrerschaft führte letztlich seinem Mitstreiter Diether Posser verlesen. Nicht dazu, dass diese dank ihres theologischen Herr- Heinemann, wohl aber andere Sonntagsredner schaftswissens die Oberhand in den synodalen bogen damals von Emden argumentativ gern Entscheidungsprozessen errang. Daran vermochte direkt zur Mayflower 1620 und den Daten 1776 auch die paritätische, meist ohnehin minoritäre und 1789 ab; die Synode 1571 wurde mithin als 4
Ursprung der Menschenrechte und Wiege der De- man die Gelassenheit dieser Menschen spüren. mokratie interpretiert. Aber vielleicht geht es eine Sie waren bei Matthäi am letzten, waren am Ende, Nummer kleiner, realistischer und doch noch ohne Zukunft. Sie hatten wirklich Grund, unsicher, wirkmächtig genug? verzweifelt und resigniert zu sein. Was bleibt also von den Oktobertagen in Emden Aber jeder Satz ihrer Beschlüsse redet eine an- für unsere Gegenwart im Jahr 2021 im Rheinland dere Sprache. Die Synodalen, die drei Tage in und anderswo abzuleiten? Hierüber kann man Emden brauchten, um einander zu finden und in bereits viel Kluges lesen und im weiteren Ver- der Unruhe ihres Lebens eine Gemeinschaft zu lauf des Jubiläums sicherlich noch einiges mehr. werden, reden in einer Sprache, die Gelassenheit Ich möchte zur Antwort auf diese Frage nicht 450 und Ruhe ausstrahlt. Die Gegenwart Jesu Christi Jahre zurückgehen, sondern nur in die saturierte prägt Menschen bis in ihre Sprache hinein… Es Realität westlicher Volkskirchen vor 50 Jahren. ist nicht schwer zu entdecken, wo heute das Wort Unser rheinischer Präses Immer stellte 1971 seine Jesu Christi seine Bedeutung hat. Wir sind bei Festpredigt unter das Motiv „Matthäi am letzten…“ Matthäi am letzten, wenn wir an die Probleme in und er schloss mit folgenden Worten: der Kirche und in der Völkerwelt denken. Wer ist heute nicht unsicher? Für uns alle ist es nur ein „Matthäi am letzten sagt Jesus Christus: ´Siehe, Schritt bis zur Verzweiflung und Resignation. Die ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.´ Bibel sagt von Mose, dem Mann mit dem langen Die Leute von Emden damals glaubten an den Atem des Glaubens: `Er hielt sich an den, den er Christus praesens, den gegenwärtigen Herrn. Da- nicht sah, als sähe er ihn.` Darum war er ein Hel- rum konnten sie so unbekümmert und sorgfältig fer seines Volkes. Auch das können wir von den ihre Dinge ordnen. Zwischen den Zeilen kann Synodalen von Emden lernen.“ 5
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