Die Bedeutung kleiner Feuchtgebiete für den Artenschutz: Synthese einer Populationsstudie an der Rohrammer Emberiza schoeniclus
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Der Ornithologische Beobachter / Band 109 / Heft 3 / September 2012 201 Die Bedeutung kleiner Feuchtgebiete für den Artenschutz: Synthese einer Populationsstudie an der Rohrammer Emberiza schoeniclus Gilberto Pasinelli und Karin Schiegg PASINELLI, G. & K. SCHIEGG (2012): The role of small wetlands for species per- sistence: synthesis of a population study on the Common Reed Bunting Em- beriza schoeniclus. Ornithol. Beob. 109: 201–220. Many species persist in fragmented populations as a consequence of past and ongoing habitat destruction. Despite this, the importance of remnant fragments varying in size for the conservation of species is often unclear. From 2002 to 2006, we studied the role of small and large wetland fragments (2–247 ha) within a 200 km2 area in northeastern Switzerland for the persistence of the Reed Bunting Emberiza schoeniclus, a characteristic species of wetlands. Re- sults from both artificial nest experiments and real nests showed that nest suc- cess increased with vegetation cover around and above the nest, distance from the water-sided reed edge, and to a lesser extent also with distance from the land-sided reed edge, and the size and shape (expressed as the ratio between edge length and area of the patch) of the reed patch containing the nest. These findings suggest that nest success of the Reed Bunting fundamentally depends on the quality of the reed patches: large and old reed patches with dense vegeta- tion are habitats of good quality and conducive to nest success, whereas young and small patches, such as one-year-old reed stripes («rotational fallows»), are suboptimal habitats. Probability of nest predation was not related to whether or not a nest was visited by observers. Reproductive performance of the Reed Bunting in small and large wetland fragments did not basically differ, although small fragments were better reproductive grounds in one of four years. Recruit- ment probability, defined as probability that individuals born and ringed in our study area were re-sighted as breeders in a subsequent year, was not related to fragment size either. Based on demographic and population genetic analyses, the local populations in the different fragments were strongly connected, thus forming a patchy population (and not a metapopulation, despite the fragmented distribution). Small and large fragments turned out to be mostly sinks, and the annual growth rate of the entire population network was insufficient for self- maintenance. Both findings imply that the persistence of the local populations and of the entire patchy population depended on immigration, which was found to annually range from 43.8 to 61.4 %. We conclude from this study that small and large wetland fragments contributed equally to the population network of the Reed Bunting in northeastern Switzerland, even though they have to be considered as sinks from a demographic perspective. For the conservation of the Reed Bunting, future management of wetlands should aim at sparing large reed patches along the water’s edge to provide adequate nest sites. Gilberto Pasinelli, Schweizerische Vogelwarte, Seerose 1, CH–6204 Sempach, E-Mail gilberto.pasinelli@vogelwarte.ch; Karin Schiegg, Psychiatrische Universitätsklinik Zü- rich, Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen, Selnaustrasse 9, CH–8001 Zürich
202 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz Ornithol. Beob. Habitatverlust und -fragmentierung zählen se intensive Schilfmahd in den Zürcher Natur- nach wie vor zu den bedeutendsten Bedro- schutzgebieten auf den Erfolg von Rohrammer- hungen für die Biodiversität (z.B. Baillie et al. bruten auswirkt, (2) ob sich die Reproduktions- 2004). Eine Konsequenz dieser beiden Prozes- leistung in grossen und kleinen Gebieten un- se ist, dass heute viele Arten eine fragmentierte terscheidet, (3) wie die Population im Zürcher Verbreitung aufweisen. Wie wichtig Habitat- Oberland räumlich strukturiert ist, (4) ob sich fragmente unterschiedlicher Grösse sind, um der demografische Beitrag kleiner und grosser regionale Populationen oder Arten zu erhalten, Lokalpopulationen zum Populationsnetzwerk ist jedoch nach wie vor unklar. Aufgrund theo- der Rohrammer unterscheidet und (5) inwie- retischer und empirischer Studien wird davon fern die lokalen Populationen und das Popu- ausgegangen, dass sowohl grosse als auch klei- lationsnetzwerk auf Immigration angewiesen ne Fragmente für die Dynamik fragmentierter sind, um zu überleben. Der Artikel beruht auf Populationen wichtig sein können (Hanski einem Vortrag während des Ala-Symposiums 2005), wobei grossen Fragmenten meist eine «Ornithologische Forschung in der Schweiz», höhere Bedeutung zugesprochen wird. Da fi- das anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Ala nanzielle Mittel im Naturschutz limitiert sind, in Basel im Mai 2009 durchgeführt wurde. ist es wichtig zu wissen, welche Fragmente für den Schutz einer Art besonders relevant sind und allenfalls spezielle Bewirtschaftungsmass- 1. Untersuchungsgebiet und Methoden nahmen erfordern. Feuchtgebiete stellen ein natürlicherwei- Die Studie wurde in 21 Feuchtgebieten im Zür- se fragmentiertes Habitat dar. Durch massive cher Oberland (47°16’/8°47’) durchgeführt Entwässerung und Melioration während der (Abb. 1, Tab. 1). Das Betreten der Feuchtge- letzten beiden Jahrhunderte wurden jedoch vie- biete erfolgte mit Bewilligung der Fachstelle le Feuchtgebiete zerstört (Knaus et al. 2011), Naturschutz des Kantons Zürich (Ausnahme- wodurch der Grad der Fragmentierung von bewilligungen Nr. 2007 vom 21. Februar 2002 Feuchtgebieten zweifellos stark zugenommen und Nr. 6003 vom 8. Februar 2006). Die Grös- hat. Entsprechend kommen heute viele auf se der untersuchten Feuchtgebietsfragmente Feuchtgebiete angewiesene Arten nur noch in variierte zwischen 1,9 und 247,2 ha (Median inselartig verteilten, kleinen lokalen Populatio- 10,5 ha, Interquartilsbereich 4,2–16,7 ha). Die nen vor. Dies trifft auch auf die Rohrammer Feuchtgebiete am Pfäffikersee, Greifensee und Emberiza schoeniclus zu, die für die Nestanla- Lützelsee wiesen pro Jahr 20–60 Brutpaare der ge auf Altschilfflächen und für die Nahrungs- Rohrammer auf und werden nachfolgend als suche auf Riedwiesen angewiesen ist (Schiess grosse Fragmente bezeichnet. Um Informatio- 1989, Glutz von Blotzheim & Bauer 1997, Sur- nen über die Demografie der Rohrammer in den macki 2004). Aufgrund der geringen Grösse grossen Fragmenten zu erhalten, untersuchten der übrig gebliebenen Feuchtgebiete beherber- wir dort pro Jahr das Brutgeschäft in mindes- gen diese heute in der Schweiz oft nur wenige tens 10 Revieren innerhalb von im Jahr 2002 Brutpaare. Ob solche Kleinstbestände für die ausgewählten, am Seeufer gelegenen Altschilf- Erhaltung der Rohrammer wichtig sind oder ob flächen (rote Kreise in Abb. 1). Die Lage dieser diese Gebiete besser zugunsten anderer Arten Flächen blieb über den Untersuchungszeitraum (z.B. Orchideen, Libellen) bewirtschaftet wer- gleich. Die 18 anderen Feuchtgebiete werden den sollen, ist unklar. als kleine Fragmente bezeichnet (grüne Krei- Von 2002 bis 2006 wurde die Populations- se in Abb. 1). Sie wiesen jährlich 0–5 Reviere ökologie der Rohrammer in grossen und klei- auf, in denen das Brutgeschäft jeweils vollum- nen Feuchtgebieten im Zürcher Oberland unter- fänglich überwacht wurde. sucht. In diesem Artikel werden die wichtigs- Von 2002 bis 2005 wurden ab Mitte März ten, bereits andernorts publizierten Resultate die Reviere kartiert und zwischen Ende April des Projekts zusammengefasst. Näher erläutert und Mitte Juli die Nester gesucht, überwacht werden insbesondere, (1) wie sich die teilwei- und der Nest- und Bruterfolg ermittelt. Ausser-
109, 2012 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz 203 Ho Pfäffikon We 0 1 km Uster Pf Sa Su Gr Wetzikon Mönchaltorf Gossau Hinwil Egg Am Mo Ob He Grüningen It Oetwil a. S. Be Bubikon Ad Hg Hü Kä Ue Lü Se Eg Hombrechtikon Stäfa Fe Rapperswil Abb. 1. Lage der untersuchten Feuchtgebietsfragmente in der Nordostschweiz von 2002 bis 2006. Die ro- ten Kreise bezeichnen die drei grossen, die grünen Kreise die 18 kleinen Fragmente. Abkürzungen: Ad = Adletshausen, Am = Ambitzgi, Be = Bergli, Eg = Egelsee, Fe = Feldbach, Gr = Greifensee, He = Hellberg, Hg = Herrgass, Ho = Hopperen, Hü = Hüsli, It = Itzikerriet, Kä = Kämmoos, Lü = Lützelsee, Mo = Moos, Ob = Oberhöfler, Pf = Pfäffikersee, Sa = Sackried, Se = Seeweidsee, Su = Sulzbach, Ue = Uerzikon, We = Werrikon. Quelle: Bundesamt für Landestopografie. – Location of the wetland fragments studied in northeas- tern Switzerland from 2002 to 2006. Red circles refer to the three large fragments, green circles indicate the 18 small fragments. For abbreviations, see above. dem wurden die Altvögel und die Nestlinge 2. Ergebnisse und Diskussion farbig beringt. Weitere Informationen über das 2.1. Nesterfolg in Abhängigkeit von Nest- Untersuchungsgebiet und die Feldarbeit sind kontrollen in Pasinelli et al. (2008, 2011) zu finden. Zu- sätzliche methodische Angaben werden hier Besonders bei bodenbrütenden Vogelarten jeweils bei den entsprechenden Resultaten prä- stellt sich die Frage, ob die Wahrscheinlich- sentiert. keit der Nestprädation durch regelmässige
204 Tab. 1. Übersicht über die untersuchten Feuchtgebietsfragmente, die Anzahl überwachter Reviere (Rev.) und die mittlere Anzahl Flügglinge (Flügglinge) pro Paar pro Jahr (± Standardabweichung) im Zürcher Oberland von 2002 bis 2005. Die Grösse der Fragmente basiert auf Feuchtgebietskartierungen im Kanton Zürich in den Jahren 1976/77; die Altschilffläche basiert auf eigenen Erhebungen mit GPS und bezieht sich in den grossen Feuchtgebieten (Grei- fensee, Lützelsee, Pfäffikersee) auf die in dieser Studie effektiv überwachte Fläche, in den kleinen Feuchtgebieten (alle anderen) auf die gesamte Altschilf- fläche. Zu beachten ist, dass die Altschilffläche aufgrund unterschiedlicher Mahd von Jahr zu Jahr variieren kann. Zwei Gebiete ohne Rohrammerreviere während der Studienjahre sind nicht aufgeführt (Moos bei Gossau, Itzikerriet bei Grüningen). – Overview on the wetland fragments studied, the number of territories («Rev.») monitored and the mean number of fledglings («Flügglinge») per pair per year (± SD) in north-eastern Switzerland from 2002 to 2005. Size of fragments («Gebietsgrösse») based on wetland censuses of the canton of Zurich in 1976/77; old reed area («Altschilffläche») based on own censuses with GPS and referring to area actually monitored in the three large fragments (Greifensee, Lützelsee, Pfäffikersee) and to the entire wetland (in all other fragments), respectively. Note that old reed area may vary among years as a consequence of wetland management. Two study sites without Reed Bunting territories over the study years are not listed (Moos near Gossau, Itzikerriet near Grüningen). Name Koordinaten Gebiets- Altschilf- 2002 2003 2004 2005 grösse fläche (ha) (ha) Rev. Flügglinge Rev. Flügglinge Rev. Flügglinge Rev. Flügglinge Adletshausen 47° 16’/8° 47’ 4,2 0–0,022 1 3,5 ± 0,7 0 0 0 0 0 0 Ambitzgia 47° 18’ /8°48’ 16,7 0–0,543 0 0 1 0 0 0 0 0 Bergli 47° 16’ /8°48’ 5,6 0,300–0,356 1 2,3 ± 2,1 2 1,3 ± 2,3 2 3,0 ± 2,2 2 1,0 ± 1,4 Egelsee 47° 15’ /8° 49’ 16,3 0,059–0,559 3 2,5 ± 2,9 2 1,3 ± 2,5 3 3,8 ± 2,2 1 4,0 Feldbach 47° 14’ /8°48’ 2,7 0,383 2 1,3 ± 2,5 3 1,9 ± 2,1 1 5,0 2 1,0 ± 0,0 Greifensee 47° 19’/8°42’ 44,1 0,972–1,382 10 1,8 ± 2,2 14 2,4 ± 2,2 11 1,0 ± 1,8 13 2,1 ± 1,7 Hellberg 47° 18’ /8°48’ 1,9 0–0,096 1 5,0 1 4,0 0 0 0 0 Herrgass 47° 16’ /8° 46’ 2,4 0,181 1 2,0 ± 2,8 0 0 0 0 0 0 Hopperen 47° 22’/8° 42’ 8,7 0,244–0,376 1 0 2 1,3 ± 2,3 0 0 0 0 Hüsli 47° 16’/8°49’ 14,0 0,133 4 2,6 ± 2,2 2 1,8 ± 1,8 1 2,0 ± 2,8 2 0 Kämmoos 47° 16’/8° 50’ 10,5 0,028–0,413 1 2,3 ± 2,1 3 3,6 ± 1,5 0 0 1 0 Lützelsee 47° 16’ /8°47’ 54,7 1,314–1,812 13 1,6 ± 1,9 13 2,1 ± 2,2 11 0,8 ± 1,8 11 2,8 ± 2,2 Oberhöfler 47° 18’/8° 48’ 38,5 0,201 0 0 0 0 1 4,0 1 5,0 Pfäffikersee 47° 21’/8°47’ 247,2 2,581 10 2,0 ± 1,8 11 2,5 ± 2,1 11 1,2 ± 1,7 9 2,6 ± 1,7 Sackried 47° 21’ /8°45’ 5,7 0,522–0,881 1 4,0 ± 1,4 1 2,0 ± 2,8 1 4 2 2,5 ± 3,5 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz Seeweidsee 47° 16’/8°47’ 5,2 0,364 2 0 1 4,0 1 2,5 ± 3,5 2 2,0 ± 0,0 Sulzbach 47° 15’ /8°45’ 2,9 0,195 0 0 1 2,5 ± 3,5 1 2,5 ± 3,5 1 3,0 ± 0,0 Uerzikon 47° 15’ /8° 45’ 10,9 0,478 3 0,8 ± 1,6 2 0 5 1,5 ± 1,8 5 2,0 ± 2,4 Werrikon 47° 22’ /8°42’ 13,0 0,626–0,853 2 0 2 2,0 ± 2,3 3 4,5 ± 0,7 4 1,0 ± 1,4 aNur ein Brutversuch wurde in diesem Fragment gemacht und das konnte nicht gefangen werden, weshalb wir das Gebiet nicht in die Analysen einbezo- gen. – Only one breeding attempt was made in this fragment and the could not be ringed, so we did not include it in the analysis. Ornithol. Beob.
109, 2012 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz 205 Nestkontrollen beeinflusst wird. Regelmässige (a) 100 Kontrollen sind oft nötig, um die Gelegegrös- se, den Schlüpfzeitpunkt und somit das Alter 80 % ausgeraubt der Nestlinge und die Überlebenswahrschein- 60 lichkeit der Nester zu ermitteln. In einem ers- ten Schritt untersuchten wir deshalb mit ei- 40 nem Nestexperiment, ob Nester, die alle zwei Tage kontrolliert wurden, häufiger ausgeraubt 20 wurden als Nester, die erst nach 13 Tagen, der 46 46 0 durchschnittlichen Bebrütungsdauer von Rohr- Kontrolle keine Kontrolle ammergelegen (Glutz von Blotzheim & Bauer (b) 100 1997, eigene unpubl. Daten), wieder besucht wurden. Wir verwendeten dazu echte Rohram- 80 mernester, die im Vorjahr nach der Brutsaison % ausgeraubt gesammelt worden waren, und bestückten die- 60 se mit je vier Kunsteiern und einem Wachtelei 40 (Eger 2004, Schiegg et al. 2007). Da Rohr- ammern für jeden Brutversuch ein neues Nest 20 bauen, konnten die alten, verlassenen Nester 9 24 39 20 bedenkenlos eingesammelt werden; bis zur 0 0–5 5–10 10–15 15–20 nächsten Brutsaison wären sie sowieso zerfal- Distanz (m) zum Schilfrand len (eigene Beob.). Von den 92 ausgelegten Nestern wurden Abb. 2. Relative Häufigkeit (%) der Prädation von 62,0 % ausgeraubt. Wir fanden keinen Un- Kunstnestern in Abhängigkeit (a) von den Nest- terschied bezüglich der Nestprädationswahr- kontrollen und (b) der Distanz zum wasserseitigen Schilfrand. Ziffern innerhalb der Balken entsprechen scheinlichkeit von regelmässig besuchten und der Anzahl Nester (nach Schiegg et al. 2007, verän- nicht besuchten Nestern (Abb. 2a). Regelmäs- dert). – Predation on artificial nests in % in relation sige Kontrollen scheinen demnach die Wahr- to (a) nest controls every other day («Kontrolle») scheinlichkeit der Nestprädation weder positiv and no nest controls («keine Kontrolle»), respec- tively, and (b) distance of a nest from the water-sided noch negativ zu beeinflussen (Schiegg et al. reed edge. Numerals inside bars indicate number of 2007). Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen nests (adjusted from Schiegg et al. 2007). Ibáñez-Álamo et al. (2012), die in einer umfas- senden Analyse keinen generellen Einfluss von Nestkontrollen auf das Überleben echter Nes- (Lahti 2001, Batáry & Báldi 2004, Báldi & Ba- ter von Vogelarten aus verschiedenen Ordnun- táry 2005). Randeffekte konnten auch für die gen feststellten. Interessanterweise fanden sie Rohrammer erwartet werden, da die Altschilf- bei bodenbrütenden Arten einen positiven Ef- streifen, in denen die Nester gebaut werden, oft fekt der Nestkontrollen auf das Überleben der nur wenige Meter breit sind. Im gleichen Expe- Nester, aber keine Effekte bei Nestern von über riment wie in Kap. 2.1 beschrieben untersuch- dem Boden brütenden Arten. Zudem zeigten ten wir deshalb, ob die Wahrscheinlichkeit der sich positive Effekte bei Küstenvögeln, nicht Nestprädation mit der Distanz eines Nests zum aber bei wiesen- und waldbrütenden Arten. Schilfrand korrelierte. Nester wurden umso häufiger ausgeraubt, 2.2. Nesterfolg in Abhängigkeit vom Neststandort je näher sie beim wasserseitigen Schilfrand lagen (Abb. 2b). Die Distanz zum landseiti- In fragmentierten Lebensräumen wurde mehr- gen Schilfrand spielte hingegen keine und die fach festgestellt, dass Vogelnester, die nahe Schilfdichte beim Nest nur eine marginale Rol- den Rändern von Habitatfragmenten gebaut le (Schiegg et al. 2007). wurden, häufiger ausgeraubt werden als mehr An 177 echten Rohrammergelegen wurde im Inneren von Fragmenten liegende Nester eingehender untersucht, welche weiteren Fak-
206 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz Ornithol. Beob. toren die Wahrscheinlichkeit der Nestpräda- von 1 m2 um das Nest, Wassertiefe (cm) unter tion beeinflussen könnten (Pasinelli & Schiegg dem Nest, Wasserdeckung (vier Kategorien: 2006). Dabei wurden die Beziehungen zwi- 0–25 %, 26–50 %, 51–75 % oder 76–100 %) schen der täglichen Prädationswahrschein- innerhalb von 1 m2 um das Nest, Schilfhalm- lichkeit eines Nests und den folgenden Habi- dichte und Anzahl Seggenbülten innerhalb von tatvariablen untersucht: Nesthöhe (cm) über 0,25 m2 um das Nest, Grösse (ha) der Schilfflä- Boden, Höhe (cm) toter Vegetation (Blätter, che (in der ein Nest gebaut wurde), Distanzen Gräser, etc., ohne Schilf) über dem Nest, Ve- (m) eines Nests zum wasser- und landseitigen getationsdeckung (vier Kategorien: 0–25 %, Schilfrand, Randlinie (m) pro Altschilffläche 26–50 %, 51–75 % oder 76–100 %) innerhalb (ha), Grösse (ha) des Feuchtgebiets, gesam- 0.10 Abb. 3. Zusammenhänge zwischen täglicher Nest- Tägl. Nestprädationswahrsch. (a) prädationswahrscheinlichkeit während der Bebrü- 0.08 tungsphase und verschiedenen Umweltfaktoren. Die Symbole entsprechen den vorhergesagten Werten aus 0.06 einer multiplen Regressionsanalyse mit vier Haupt- komponenten (HK, s. Text) als unabhängige Varia- blen. Auf den x-Achsen dargestellt sind die Haupt- 0.04 komponenten, denen folgende Variablen zugrunde liegen: (a) Vegetationsdeckung innerhalb eines Qua- 0.02 drats von 1 m2 mit dem Nest als Zentrum, Höhe to- ter Vegetation (Blätter, Gräser, etc., aber nicht Schilf) 0.00 über dem Nest und Höhe des Nests über Boden (bzw. -2.5 -1.5 -0.5 0.5 1.5 2.5 3.5 über der Wasseroberfläche), alle positiv mit der HK «Vegetation» korreliert; (b) Distanz (m) eines Nests HK «Vegetation» zum wasserseitigen Schilfrand, Grösse (ha) und Form, ausgedrückt als Umfang (m) pro Fläche (ha), 0.10 des Schilffragments mit Nest, alle positiv mit der HK Tägl. Nestprädationswahrsch. (b) «Nestlage» korreliert; (c) Distanz (m) eines Nests 0.08 zum landseitigen Schilfrand, positiv korreliert mit der HK «Distanz Land». Lesebeispiel für Abb. 3a: Die 0.06 tägliche Nestprädationswahrscheinlichkeit sank mit zunehmender Vegetationsdeckung, grösserer Höhe 0.04 toter Vegetation über dem Nest und grösserem Ab- stand eines Nests zum Boden (bzw. zur Wasserober- 0.02 fläche). N = 177. Verändert nach Pasinelli & Schiegg (2006). – Relationships between daily nest predation probability during the incubation period and various 0.00 environmental factors. Symbols represent predicted -2.8 -1.9 -1 -0.1 0.8 1.7 2.6 values from a multiple logistic regression analysis HK «Nestlage» with four principle components as independent varia- bles. On the x-axis, the principal components («HK») 0.10 are shown, which are associated to the following en- Tägl. Nestprädationswahrsch. (c) vironmental variables: (a) vegetation cover estimated as the percentage per 1 m2 (square plot centred on the 0.08 nest) covered by vegetation in steps of 25 %, height of dead vegetation matter (leaves, grass and other veg- 0.06 etation, except reed) over the nest, and nest height above ground/water, all positively correlated to the 0.04 principal component «Vegetation»; (b) distance (m) of a nest from the water sided reed edge, size (ha) and 0.02 shape (edge-to-area ratio) of the reed patch contain- ing the nest, all positively correlated to the principal 0.00 component «Nestlage»; (c) distance (m) of a nest -1.5 -0.6 0.3 1.2 2.1 3 3.9 4.8 from the land sided reed edge, positively correlated to the principal component «Distanz Land». N = 177. HK «Distanz Land» From Pasinelli & Schiegg (2006), with amendments.
109, 2012 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz 207 te Altschilffläche (ha) pro Gebiet, Randlinie ren, die sich entlang eines Habitatrands bewe- (m) pro gesamter Altschilffläche (ha), Distanz gen, überblicken deshalb bei kleinen Flächen (km) zum nächsten Feuchtgebiet mit Schilf einen grösseren Teil der Gesamtfläche als bei sowie Distanz (km) jedes Feuchtgebiets zum grossen Flächen. Die Grösse und die Form des nächsten Wald. Da diese Habitatvariablen un- Altschilfstreifens scheinen demnach wichti- tereinander korreliert waren, wurden sie mittels ge Faktoren für den Reproduktionserfolg der Hauptkomponentenanalyse zu voneinander Rohrammer zu sein, da die nur in genügend unabhängigen Hauptkomponenten zusammen- breiten Streifen Nistplätze in ausreichender gefasst (vgl. Elle 2005), die eine oder mehrere Distanz zum Schilfrand finden. Randeffekte der oben erwähnten Variablen repräsentierten. wurden bei zahlreichen Vogelarten nachge- Diese Hauptkomponenten wurden dann in den wiesen (Lahti 2001, Batáry & Báldi 2004), multiplen logistischen Regressionsanalysen als aber dass Rohrammernester in der Nähe des unabhängige Variablen verwendet. wasserseitigen Schilfrands mindestens so stark Die tägliche Nestprädationswahrscheinlich- gefährdet waren wie jene in der Nähe des land- keit war umso geringer, je grösser die Vege- seitigen Schilfrands, hatten wir nicht erwartet. tationsdeckung um das Nest und je höher die Als Prädatoren, die im Bereich des wassersei- tote Vegetation über dem Nest waren sowie je tigen Schilfrands vorkommen bzw. von dort höher über Boden (bzw. Wasser) das Nest lag in die Altschilfflächen eindringen, kommen (Abb. 3a). Wir fanden eine geringere Präda- in unseren Gebieten Wasserralle Rallus quati- tionswahrscheinlichkeit für Nester in grösseren cus (eigene Beob.) und wohl auch Blässhuhn Altschilfflächen und in Flächen mit kürzerer Fulica atra sowie Reiherartige in Frage. Über Randlinie (pro Fläche) und, wie bereits beim den landseitigen Schilfrand eindringende Nest- Kunstnestexperiment, eine Abnahme der Präda- prädatoren sind Rotfuchs Vulpes vulpes (eigene tionswahrscheinlichkeit mit zunehmender Dis- Beob.) und vermutlich auch Wieselartige. tanz eines Nests zum wasserseitigen Schilfrand Auch die Vegetationsdeckung in der unmit- (Abb. 3b). Zudem nahm die Prädationswahr- telbaren Nestumgebung sowie die Ausprägung scheinlichkeit mit der Distanz eines Nests zum einer Schicht abgestorbener Vegetation über landseitigen Schilfrand ebenfalls ab (Abb. 3c). dem Nest schienen die Erfolgschancen eines Interessanterweise fanden wir diese Beziehun- Nests zu beeinflussen: Je grösser die Deckung gen nur für Nester im Eistadium, nicht aber für und je höher die Vegetation über dem Nest, solche im Nestlingsstadium. Auch Brickle & desto geringer war die Prädationswahrschein- Peach (2004) stellten bei der Rohrammer nur lichkeit. Einen positiven Einfluss der Deckung für das Eistadium einen positiven Einfluss der durch Vegetation auf das Überleben von Nes- Vegetationsdeckung auf das Überleben von tern wurde bei der Rohrammer (Brickle & Nestern fest. Diese Befunde könnten darauf Peach 2004, Keiser 2007) wie auch bei zahlrei- hindeuten, dass besonders gefährdete Nester chen anderen Vogelarten gefunden, z.B. beim bereits im Eistadium ausgeraubt werden (vgl. Schilfrohrsänger Acrocephalus schoenobaenus Martin et al. 2000). und beim Teichrohrsänger A. scirpaceus (Gra- Die Resultate des Kunstnestexperiments und veland 1999), bei der Goldammer Emberiza ci- der Auswertungen mit echten Nestern belegen trinella und der Mönchsgrasmücke Sylvia atri- das Vorliegen sogenannter Randeffekte («edge capilla (Weidinger 2002), beim Drosselrohr- effects») auf der Ebene der Altschilffläche, in sänger A. arundinaceus (Batáry & Báldi 2005), der das Nest gebaut wurde. Nester in der Nähe beim Neuntöter Lanius collurio (Müller et al. von Schilfrändern und in kleinen Schilfflächen 2005) und beim Waldlaubsänger Phylloscopus wurden häufiger ausgeraubt als solche weiter sibilatrix (Grendelmeier 2011). Ältere Schilf- im Innern von grösseren Schilfflächen. Bei ei- flächen, in denen über die Jahre eine dichte Ve- ner kleinen oder langgezogenen Fläche liegt, getation entstehen kann, sind somit für den Re- relativ gesehen, mehr Habitat im Randbereich produktionserfolg der Rohrammer besonders als bei einer grossen oder kreisförmigen Fläche wertvoll (Widmer 2001, Pasinelli & Schiegg gleicher Grösse. Nahrungssuchende Prädato- 2006, Keiser 2007, Schiegg et al. 2007).
208 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz Ornithol. Beob. Abb. 4. Streifen bestehend aus im vorangegangenen Sommer gewachsenem Schilf («Rotationsbrachen») im Auslikerriet am Pfäffikersee (Kanton Zürich). Aufnahmen 10. Februar 2005, G. Pasinelli. – Stripes («rota- tional fallows») consisting of reed grown during the preceding summer at Pfäffikersee (canton of Zurich).
109, 2012 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz 209 2.3. «Rotationsbrachen» 80 % (a) Die in Naturschutzgebieten des Kantons Zü- 60 % rich gängige Praxis des «Rotationsmähens» (Abb. 4), bei dem das im Sommer in den Ried- 40 % wiesen nachgewachsene Schilf bis auf wenige Streifen geschnitten wird, ist für die Rohram- 20 % mer eher nachteilig (Sautter 2006). Im Ver- gleich zu Paaren in Altschilfstreifen am Seeufer begannen jene in den schmalen, einjährigen 0% 1 2 3 Schilfstreifen («Rotationsbrachen») später mit Anzahl Brutversuche pro Paar der Brut (Sautter 2006), produzierten weniger Gelege und letztlich auch weniger Rohram- 40 % merjunge (Abb. 5). Altschilfstreifen am See- (b) ufer sind demnach die besseren Habitate für die 30 % Rohrammer als Rotationsbrachen, was auf die grössere Ausdehnung und höhere Vegetations- 20 % dichte der Altschilfstreifen zurückzuführen ist (Sautter 2006). 10 % Rotationsbrachen scheinen aber lokal gewis- se Spinnen- (Schmidt et al. 2008), Insekten- und Pflanzengruppen (Gigon et al. 2010) zu 0% 0 1 2 3 4 5 6 7 begünstigen. Bewirtschafter sind angehalten, Totale Anzahl Flügglinge pro Paar einen bestimmten Prozentsatz der Schilffläche in Feuchtgebieten zu belassen. Aus Sicht der Abb. 5. Häufigkeit (a) der Brutversuche pro Paar Rohrammer wäre es vorteilhaft, mehr Altschilf und (b) der totalen Anzahl Flügglinge pro Paar in entlang der Seeufer anstatt einjährige, über das Abhängigkeit vom Neststandort. Weisse Balken = Nester im Altschilf am Seeufer (n = 18), graue Feuchtgebiet versprengte Schilfflächen stehen Balken = Nester in den Rotationsbrachen (n = 15). zu lassen. Verändert nach Sautter (2006). – Frequency of (a) breeding attempts per pair and (b) the total number of fledglings per pair in relation to nest location. 2.4. Reproduktion und Feuchtgebietsgrösse White bars = nests in old-reed habitat along the lake border (n = 18), grey bars = nests in stripes («ro- Wir untersuchten den Zusammenhang zwi- tational fallows») consisting of reed grown during schen der Feuchtgebietsgrösse und der Re- the preceding summer (n = 15). From Sautter (2006) produktionsleistung der Rohrammer anhand with amendments. folgender Masse: Legebeginn der Erstgelege (Datum des 1. Eies pro Nest), Nestverlustrate (verursacht sowohl durch Prädation als auch Weder die Reproduktionsleistung noch die durch andere Faktoren, z.B. Überflutung), An- Rekrutierungswahrscheinlichkeit hing mit zahl Flügglinge (ermittelt zwischen dem 6. und der Fragmentgrösse zusammen (Pasinelli et 9. Nestlingstag) und Kondition der Flügglinge al. 2008). Interessanterweise war jedoch die (s. Pasinelli et al. 2008 für Details). Zudem Anzahl Flügglinge in den kleinen Gebieten in analysierten wir, ob die Wahrscheinlichkeit, einem Jahr (2004) deutlich höher als in den dass sich eine in unserem Untersuchungsgebiet grossen Gebieten (Abb. 6). Dies lag daran, dass geborene Rohrammer in einem späteren Jahr starke Niederschläge Ende Mai zu einem star- als Brutvogel hier etablierte (also in unser Un- ken Anstieg des Wasserstands führten, wodurch tersuchungsgebiet rekrutierte), mit der Grösse die Rohrammern in den drei grossen Gebieten, ihres Geburtsfragments korrelierte. Tab. 2 gibt die alle an Seen liegen, in diesem Zeitraum einen allgemeinen Überblick über die brutbio- praktisch alle Nester verloren. Zudem dauerte logischen Daten. es in den grossen Gebieten bis zu drei Wochen,
210 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz Ornithol. Beob. Tab. 2. Reproduktionsleistung der Rohrammer im Zürcher Oberland von 2002 bis 2005. Beim Legedatum des 1. Eies der Erstbruten sind der Median und Interquartilsbereich angegeben, n = Anzahl Erstbruten. Die Nestverlustrate ist mit der «Mayfield logistic regression» nach Hazler (2004) für ein Gelege mit 5 Eiern be- rechnet; B = Bebrütungsphase (13 Tage Dauer), N = Nestlingsphase (Schlupftag bis zum 9. Nestlingstag, weil danach keine Nestkontrollen mehr erfolgten), G = gesamter Brutzyklus eines Nests (Datum des 1. Eies bis zum 9. Nestlingstag). Bei der Anzahl Flügglingen und der vom logistischen Modell vorhergesagten mittleren Rekrutierungswahrscheinlichkeit sind der Mittelwert und Standardfehler pro Revier angegeben, n = Anzahl Reviere. Nach Pasinelli et al. (2008). – Reproductive performance of the Reed Bunting in northeastern Swit- zerland from 2002 to 2005. Indicated are: Laying date of the first egg of first clutches per territory («Legeda- tum des 1. Eies der Erstbruten»), median and interquartile range, n = number of first clutches. Nest failure rate («Nestverlustrate»), calculated with Mayfield logistic regression following Hazler (2004) for a clutch of five eggs; B = incubation stage (duration of 13 days), N = nestling stage (hatching day to nestling day 9, as no nest checks thereafter), G = entire nesting cycle (day of the first egg to nestling day 9). Average (± SE) number of fledglings per territory («Anzahl Flügglinge»), n = number of territories. Predicted average (± SE) recruitment probability per territory («Rekrutierungswahrscheinlichkeit»), n = number of territories. From Pasinelli et al. (2008). Jahr Legedatum des 1. Eies Nestverlustrate Anzahl Rekrutierungs- der Erstbruten (%) Flügglinge wahrscheinlichkeit Median (Interquartilsbereich) n B N G Mittel ± SE n Mittel ± SE n 2002 8. Mai (19. April – 16. Mai) 28 35,92 21,10 49,44 3,98 ± 0,39 51 0,24 ± 0,03 54 2003 4. Mai (26. April – 25. Mai) 32 29,35 14,28 39,43 3,86 ± 0,36 58 0,25 ± 0,02 58 2004 4. Mai (29. April – 19. Mai) 23 45,96 21,89 57,79 3,24 ± 0,45 38 0,18 ± 0,03 49 2005 29. April (18. April – 22. Mai) 37 35,23 30,37 54,90 3,39 ± 0,41 54 0,17 ± 0,02 59 Total 4. Mai (29. April – 16. Mai) 120 36,16 22,00 50,20 3,65 ± 0,20 201 0,21 ± 0,01 220 bevor die Wasserspiegel soweit gesunken wa- als in kleinen Habitatfragmenten dokumentier- ren, dass die mit einer Ersatzbrut beginnen ten (Burke & Nol 2000, Luck 2003, Mazgajski konnten (falls sie dies dann überhaupt noch & Rejt 2006) oder gerade zum umgekehrten taten). Vögel in den kleinen Gebieten verlo- Ergebnis führten (Smith et al. 1996, Zanette ren zwar auch einige Gelege, aber nie in dem 2000, Brooker & Brooker 2001). Masse wie ihre Artgenossen in den grossen Ge- Es sei noch darauf hingewiesen, dass wir we- bieten. Diese Resultate zeigen, dass kleine und der Zusammenhänge der Rohrammerdichte mit grosse Gebiete grundsätzlich gleich gut geeig- den oben beschriebenen Massen der Repro- nete Brutgebiete für die Rohrammer darstellen, duktionsleistung noch solche mit der Rekrutie- und dass kleine Gebiete in gewissen Jahren of- rungswahrscheinlichkeit fanden (Pasinelli et al. fenbar sogar besser sind als grosse (Pasinelli et 2008). Ähnliche Befunde haben z.B. Stenning al. 2008). Für den Schutz der Rohrammer lohnt et al. (1988) für den Trauerschnäpper Ficedula es sich also, auch die kleinen Gebiete «rohram- hypoleuca, Vickery et al. (1992) für nordame- merfreundlich» zu bewirtschaften. rikanische Ammerarten und Both & Visser Ein allgemeiner Zusammenhang zwischen (2003) für die Blaumeise Parus caeruleus prä- der Reproduktionsleistung von Vögeln und sentiert, obwohl die Evidenz für dichteabhän- der Grösse der besiedelten Habitatfragmente gige Reproduktion bei Vögeln insgesamt be- scheint nicht vorzuliegen. Wie bei der Rohr- deutend ist (Newton 1998, Müller et al. 2005, ammer im Zürcher Oberland wurde auch in Poysa & Pesonen 2003, Smith et al. 2006, einigen anderen Studien kein Zusammenhang Mallord et al. 2007). Die Beziehung zwischen festgestellt (Tjernberg et al. 1993, Matthysen & Dichte und Reproduktion könnte vom Territo- Adriaensen 1998, Nour et al. 1998, Tewksbury rialsystem einer Art abhängen (Both & Visser et al. 1998, Huhta & Jokimaki 2001, Cooper et 2003): Arten, die primär um Nahrung (eine al. 2002), während andere Studien entweder teilbare Ressource) konkurrieren und grosse, eine höhere Reproduktionsleistung in grossen klar abgegrenzte Reviere aufweisen, sollten
109, 2012 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz 211 dichteabhängige Reproduktion zeigen, wäh- mender Vernetzung der lokalen Populationen rend Arten, die primär um Nester (eine unteil- geordnet, darstellen. Bei der «patchy popula- bare Ressource) konkurrieren und kleine Re- tion» sind die lokalen Populationen durch häu- viere haben, mehrheitlich keine dichteabhän- figes Dispersal von Jung- und/oder Altvögeln gige Reproduktion zeigen sollten. Unsere Re- verbunden und bilden deshalb trotz der frag- sultate unterstützen die zweite Vorhersage von mentierten Verteilung der lokalen Populationen Both & Visser (2003), denn die Rohrammer eine (grosse) zusammenhängende Population verteidigt nur kleine Nestreviere, und die Re- (Harrison 1991). Bei der Metapopulation sind produktion scheint nicht dichteabhängig zu die lokalen Populationen teilweise voneinan- sein. der isoliert, so dass diese vorübergehend aus- sterben; in der Folge können die betreffenden 2.5. Räumliche Strukturierung Gebiete aber wieder besiedelt werden (Hanski 1991). Isolierte Populationen liegen vor, wenn Die räumliche Strukturierung oder Organisa- kein Austausch zwischen den einzelnen Po- tion von fragmentierten Populationen lässt pulationen mehr stattfindet und diese deshalb sich in drei Haupttypen einteilen, die Zustände eine eigenständige Dynamik aufweisen (Frank- innerhalb eines Kontinuums, hier nach abneh- ham et al. 2002). Für die Charakterisierung der 10 10 Anzahl Flügglinge, 2002 Anzahl Flügglinge, 2003 8 8 6 6 4 4 2 2 0 0 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 10 10 Anzahl Flügglinge, 2004 Anzahl Flügglinge, 2005 8 8 6 6 4 4 2 2 0 0 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 Log. Fragmentgrösse Log. Fragmentgrösse Abb. 6. Zusammenhang zwischen der Anzahl Flügglinge und der Fragmentgrösse. Dargestellt sind für jedes Jahr die Mittelwerte (und Standardfehler) pro Revier und Fragmentgrösse. Die Werte in ha der Fragment- grösse sind log10-transformiert. Anzahl Reviere (pro Jahr): 51 (2002), 58 (2003), 38 (2004), 54 (2005). Nach Pasinelli et al. (2008). – Number of fledglings in relation to fragment size. For each year, annual means and SEs calculated per territory and fragment size are shown. Fragment size is log10 of hectare values. Number of territories (per year): 51 (2002), 58 (2003), 38 (2004), 54 (2005). After Pasinelli et al. (2008).
212 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz Ornithol. Beob. räumlichen Organisation der Rohrammer im Sowohl die demografischen als auch die ge- Zürcher Oberland verwendeten wir Daten über netischen Analysen legen demnach nahe, dass die Bewegungsmuster farbig beringter Indivi- die von der Rohrammer in unserem Untersu- duen. Zusätzlich war allen beringten Individuen chungsgebiet besiedelten Feuchtgebietsfrag- wenig Blut entnommen worden (Tierversuchs- mente nicht voneinander isoliert sind, sondern bewilligungen des kantonalen Veterinäramts dass die Art in einem Netzwerk lokaler Popu- Zürich: Nr. 169/2001, 202/2004, 34/2006), lationen organisiert ist, die durch erheblichen das für die genetische Analyse der räumlichen Austausch von Individuen verbunden sind. Die Strukturierung herangezogen wurde. Rohrammer im Zürcher Oberland ist demnach Basierend auf demografischen Analysen räumlich als «patchy population» organisiert. zeigte sich, dass die Bestände der Rohrammer Dass eine fragmentierte Verbreitung nicht in den einzelnen Feuchtgebieten nicht als un- zwangsläufig auf eine Metapopulationsstruktur abhängige Einheiten anzusehen sind (Mayer hinweisen muss, wurde auch bei anderen Vo- et al. 2009). In allen Feuchtgebietsfragmenten gelarten gefunden (Ball & Avise 1992, Mila et (ausser Ambitzgi, Hellberg, Oberhöfler und al. 2000, Ruegg & Smith 2002, Lovette et al. Feldbach, s. Abb. 1) fanden wir Rohrammern, 2004, Veit et al. 2005). Hinweise für das Vor- die in anderen Fragmenten unseres Untersu- liegen einer Metapopulation aufgrund geneti- chungsgebiets geboren worden waren. Umge- scher Daten wurden für verschiedene taxono- kehrt lieferten alle Fragmente (ausser jene bei mische Gruppen gefunden (z.B. Pflanzen: Tero Sack und Sulzbach) mindestens einen Rekru- et al. 2003, Fische: Garant et al. 2000, Amphi- ten zu einem anderen Fragment. Fragmente mit bien: Rowe et al. 2000, Säugetiere: Stewart et geeignetem Habitat waren in allen Jahren von al. 1999), bei Vögeln unseres Wissens aber nur Rohrammern besiedelt; vorübergehende «Aus- beim Auerhuhn Tetrao urogallus (Segelbacher sterbeereignisse» wurden nur in jenen Frag- & Storch 2002). Die Seltenheit der Metapopu- menten beobachtet, die aufgrund intensiver lationsstruktur bei Vögeln liegt wohl in ihrer Schilfmahd kein Altschilf mehr aufwiesen und vergleichsweise hohen Mobilität begründet, deshalb der Rohrammer keinen Lebensraum wodurch genetische Unterschiede zwischen lo- boten. Diese auf Beringungsdaten gestützten kalen Populationen verwischt werden. Befunde deuten auf eine hohe Vernetzung der Fragmente hin. 2.6. Demografischer Beitrag der einzelnen Frag- In dieselbe Richtung weisen die genetischen mente zum Populationsnetzwerk Analysen, denn die Rohrammerbestände in den verschiedenen Feuchtgebieten im Zürcher Bisherige Abschätzungen des Source-Sink-Sta- Oberland waren genetisch nicht differenziert tus von Habitaten bzw. lokalen Populationen (Mayer et al. 2009). Die Analyse von 9 Mikro- beruhten auf habitat- bzw. populationsspezi- satelliten-Markern zeigte, dass die Unterschie- fischen demografischen Raten unter Verwen- de in den Allelhäufigkeiten zwischen den lo- dung der von Pulliam (1988) publizierten Me- kalen Populationen bei allen Paarvergleichen thode. Dabei wurden die Reproduktions- und unter 2,8 % lagen (Mayer et al. 2009). Das die Überlebensraten von Juvenilen und Adul- bedeutet, dass nur knapp 3 % der genetischen ten verrechnet und die Habitate aufgrund der Gesamtvariation auf Unterschiede zwischen resultierenden Populationswachstumsrate als lokalen Populationen entfielen und mindes- Source ( > 1) oder Sink ( < 1) klassiert. Die- tens 97 % in der Variabilität der Individuen ser wegen seiner Einfachheit relativ verbreitete innerhalb der lokalen Populationen begründet Ansatz ist jedoch ungenügend für die Source- lagen. Wurden die Alleldaten ohne geografi- Sink-Abschätzung, da der Beitrag eines Habi- sche Information über die Herkunft der Proben tats bzw. einer lokalen Population zu anderen analysiert, wies das entsprechende Programm nicht berücksichtigt wird. Eine von Runge et «Structure» (Pritchard et al. 2000) alle Proben al. (2006) publizierte Methode erlaubt, gleich- nur einem genetischen Cluster, d.h. einer Popu- zeitig den demografischen Beitrag einer loka- lation zu. len Population zu sich selbst (wie bei der Me-
109, 2012 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz 213 thode von Pulliam 1988) als auch zu anderen 0.7 lokalen Populationen zu untersuchen, was eine 0.6 umfassende Abschätzung des Source-Sink-Sta- tus erlaubt und hier angewendet wurde. Basie- 0.5 rend auf 126 adulten und 374 juvenilen farbig Überlebensrate beringten ermittelten wir Überlebens- und 0.4 Emigrationsraten mit dem Programm Mark 5.0 (White & Burnham 1999) und verrechneten 0.3 diese mit der Reproduktionsrate zum sogenann- ten Cr-Wert (Runge et al. 2006). Wir konzen- 0.2 trierten uns auf den weiblichen Teil der Popu- 0.1 lation, weil das limitierende Geschlecht für das Populationswachstum darstellen. Aufgrund 0.0 ihrer geringen Bestände wurden die kleinen 2002 2003 2004 2005 Fragmente für die Schätzung der demografi- Abb. 7. Überlebensraten (mit 95-%-Konfidenzinter- schen Parameter zu einer Kategorie zusammen- vallen) einjähriger (graue Balken) und adulter gefasst (grüne Kreise in Abb. 1), da sich Über- Rohrammer- (weisse Balken). Die Schätzungen lebens- und Emigrationsraten für die einzelnen beruhen auf 374 flüggen und 126 adulten , die in den Jahren 2002–2007 farbig beringt und über- kleinen Fragmente nicht verlässlich berechnen wacht wurden. Nach Pasinelli et al. (2011). – Ap- liessen. Für die drei grossen Populationen (rote parent survival (and 95 % confidence intervals) of Kreise in Abb. 1) erfolgten die Berechnungen first-year (grey bars) and adult Reed Buntings separat (Details s. Pasinelli et al. 2011). (white bars). Estimates are based on 374 fledg- ling and 126 adult , which were color-ringed Die Beobachtungswahrscheinlichkeit («en- and monitored from 2002 to 2007. After Pasinelli counter probability») ist definiert als die Wahr- et al. (2011). scheinlichkeit, ein markiertes und sich zum Zeitpunkt t im Untersuchungsgebiet befinden- des Individuum lebend wieder zu beobach- ten. Sie betrug über alle Jahre und Fragmen- ihrem Geburtsfragment (also in ihrem zweiten te gerechnet 0,421 (95-%-Konfidenzintervall Lebensjahr), andererseits das Brüten von adul- 0,235–0,634) für als Nestlinge beringte (im ten im gleichen Feuchtgebietsfragment wie folgenden als einjährige bezeichnet) und im Vorjahr gemeint. 0,736 (0,583–0,847) für adulte . Die jährli- Die Reproduktionsrate unterschied sich we- che Überlebensrate («apparent survival») ein- der zwischen den Fragmenten noch zwischen jähriger war 0,103 (0,045–0,162), jene der den Jahren (Tab. 3). adulten 0,455 (0,340–0,570). Letztere war Die Verrechnung von Reproduktions-, Über- immer höher als erstere. Innerhalb beider Al- lebens- und Emigrationsraten ergab, dass so- tersklassen unterschieden sich die Überlebens- wohl kleine als auch grosse Feuchtgebiete raten weder zwischen den Fragmenten noch Sinks waren (Abb. 9), d.h. die lokalen Popula- variierten sie über die Jahre (Abb. 7). tionen in den Feuchtgebieten waren nicht Die Emigrationsraten einjähriger variier- selbsterhaltend. Bei den drei grossen Fragmen- ten über die Jahre und Fragmente zwischen ten im Jahr 2002 sowie den kleinen Fragmen- 0,078 und 0,097 (also zwischen 7,8 und 9,7 %) ten im Jahr 2004 enthielten die Konfidenzinter- und waren in jedem Jahr und Fragment klei- valle den Wert 1, was darauf hindeutet, dass ner als ihre Philopatrieraten (s. unten, Abb. 8), diese Fragmente in jenen Jahren nur mit Unsi- welche zwischen 0,013 und 0,025 schwankten. cherheit als Sinks zu bezeichnen sind, obwohl Die Emigrationsraten der adulten reichten ihre Punktschätzungen (Werte der Balken in von durchschnittlich 0,054 bis 0,063 und wa- Abb. 9) immer deutlich unter 1 lagen. Sowohl ren deutlich kleiner als die Philopatrieraten, die innerhalb einzelner Jahre als auch zwischen 0,375 bis 0,424 betrugen. Mit Philopatrie ist den Jahren unterschieden sich die Cr-Werte hier einerseits das Brüten von einjährigen in kleiner und grosser Fragmente jeweils nicht si-
214 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz Ornithol. Beob. 0.15 0.60 0.50 0.12 Emigrationsrate Adulte Philopatrierate Adulte 0.40 0.09 0.30 0.06 0.20 0.03 0.10 0 0.00 2002 2003 2004 2005 2002 2003 2004 2005 0.15 0.15 Gr Lü Pf K Gr LüGr Lü Pf Pf KK Emigrationsrate Einjährige 0.12 0.12 0.09 Philopatrierate Einjährige 0.09 0.06 0.06 0.03 0.03 0 0.00 2002 2003 2004 2005 2002 2003 2004 2005 Abb. 8. Jährliche Emigrations- und Philopatrieraten (und 95-%-Konfidenzintervalle) von einjährigen (untere Grafiken) und adulten Rohrammer- (obere Grafiken) pro Fragment. Gr = Greifensee, Lü = Lützelsee, Pf = Pfäffikersee, K = gepoolte kleine Fragmente (vgl. Abb. 1). Zu beachten ist die unterschiedliche Skalierung der y-Achsen. Nach Pasinelli et al. (2011). – Annual emigration and philopatry rates (and 95 % confidence intervals) of first-year (bottom graphs) and adult Reed Buntings (top graphs) per fragment. Gr = Greifen- see, Lü = Lützelsee, Pf = Pfäffikersee, K = pooled small fragments (see Fig. 1). Note the different scaling of y -axes. After Pasinelli et al. (2011). gnifikant (Pasinelli et al. 2011). Das bedeutet, reich: 0,69–0,82), was bedeutet, dass es nicht dass der relative demografische Beitrag kleiner selbsterhaltend war (Pasinelli et al. 2011). Dass Fragmente zum Populationsnetzwerk jenem die Populationsgrösse, ausgedrückt durch die der grossen Fragmente entsprach. Anzahl brütender , über die Jahre nicht ab- Zu beachten ist, dass die Einbeziehung der nahm (Abb. 10), deutet auf eine substantielle Emigrationsraten in die Source-Sink-Abschät- Immigration hin. Diese betrug gemittelt über zung gemäss der Methode von Runge et al. alle Gebiete und Jahre je nach Berechnungs- (2006) zu deutlich höheren Werten führte als methode (s. Mayer et al. 2009) mindestens 43,8 bei ihrer Vernachlässigung (Abb. 9, linke Gra- (± 0,1) % und maximal 61,4 (± 0,06) %. Die fik). Dies legt nahe, dass in anderen Situatio- Immigration scheint für die Regulierung von nen je nach angewendeter Methode eine andere Vogelpopulationen generell eine wichtige Rolle Einschätzung der Source-Sink-Situation resul- zu spielen, was beispielsweise für die Popula- tieren könnte, was zu einer unterschiedlichen tionen von Wiedehopf Upupa epops und Wen- Beurteilung des Werts eines Fragments oder dehals Jynx torquilla im Wallis gezeigt wurde einer lokalen Populationen führen könnte. (Schaub et al. 2012). Die Wachstumsrate T des Populationsnetz- Die Idee, dass sich Populationen von Arten werks war in allen Jahren kleiner als 1 (Be- selbst erhalten sollten, ist (immer noch) weit
109, 2012 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz 215 Tab. 3. Mittlere Anzahl Flügglinge pro . Die Mittelwerte wurden als Summe der Flügglinge pro Frag- ment pro Jahr dividiert durch die Anzahl brütender im gleichen Fragment und Jahr berechnet. Gr (Greifen- see), Lü (Lützelsee) und Pf (Pfäffikersee) bezeichnen die drei grossen Fragmente, K die gepoolten 16 kleinen Fragmente (ohne Moos bei Gossau und Itzikerriet bei Grüningen, vgl. Abb. 1). – Average per capita fledg- ling production across years and fragments. Per capita production calculated as the sum of fledglings produced per fragment per year divided by the number of breeding in the same fragment in that year. Gr, Lü and Pf refer to the three large fragments, K to the pooled 16 small fragments (without Moos near Gossau und Itzikerriet near Grüningen see Fig. 1). «Anzahl Nester» = number of nests. Jahr Feuchtgebietsfragment Mittel- SD Anzahl wert Nester Gr Lü Pf K 2002 3,0 1,9 2,2 1,6 2,2 0,6 110 2003 2,0 1,6 2,0 1,8 1,8 0,2 114 2004 1,1 0,7 1,4 1,9 1,3 0,5 99 2005 2,0 2,4 1,6 1,6 1,9 0,4 117 Mittelwert 2,0 1,7 1,8 1,7 SD 0,8 0,7 0,4 0,2 Anzahl Nester 103 93 80 164 verbreitet. Diese Annahme trifft aber in Wirk- Populationen sein muss, um selbsterhaltend zu lichkeit wohl meist nur in besonderen Situatio- sein, hängt von der Mobilität einer Art und der nen zu, beispielsweise für die Gesamtpopula- räumlichen Verteilung ihrer bevorzugten Habi- tion einer Art oder für den Fall, dass eine Popu- tate ab (s. auch Schaub 2012). Die Grösse der lation von anderen Populationen derselben Art Untersuchungsgebiete in den meisten Studien praktisch vollständig isoliert ist. Wie gross eine ist wohl immer noch zu gering, um eine selbst- «Population», oder besser ein Netzwerk lokaler erhaltende Population zu umfassen, insbeson- 1.4 1.4 Gr Lü Pf K 1.2 1.2 1.0 1.0 0.8 0.8 Cr Rr 0.6 0.6 0.4 0.4 0.2 0.2 0.0 0.0 2002 2003 2004 2005 2002 2003 2004 2005 Abb. 9. Jährlicher Source-Sink-Status (und 95-%-Konfidenzintervalle) der lokalen Rohrammerpopulatio- nen im Zürcher Oberland. Berechnungen des Source-Sink-Status unter Einbeziehung (Cr-Werte, links) bzw. Vernachlässigung (Rr-Werte, rechts) der Emigration zu anderen Lokalpopulationen (Abkürzungen s. Abb. 8). Werte über der gestrichelten Linie = Sources, Werte unterhalb der Linie = Sinks. Für Details s. Pasinelli et al. (2011). – Annual source-sink status (and 95 % confidence intervals) of the local Reed Bunting populations in northeastern Switzerland. Calculations of the source-sink status considering (Cr values, left) and omitting emigration (Rr values, right) to other local populations (for abbreviations see Fig. 8). Values above the dashed line indicate source status, values below the lines denoted sink status. For details see Pasinelli et al. (2011).
216 G. PASINELLI & K. SCHIEGG, Kleine Feuchtgebiete und Artenschutz Ornithol. Beob. 70 1.0 Bereich der Werte britischer Rohrammern (Si- riwardena et al. 1998) und anderer Singvögel Anzahl brütender Weibchen 60 Populationswachstumsrate 0.8 50 (z.B. Lebreton et al. 1992, Brawn et al. 1995, 0.6 Powell et al. 2000, Peach et al. 2001, Senar et 40 al. 2003). Dagegen war die Überlebensrate 30 0.4 unserer einjährigen (Mittelwert 0,10) ver- 20 gleichsweise tief (z.B. Zitronengirlitz Serinus 10 0.2 citrinella 0,28–0,37, Senar et al. 2003; Prärie- ammer Calamospiza melanocorys 0,19–0,25, 0 0.0 2002 2003 2004 2005 Yackel Adams et al. 2006). Eine Reduktion der Überlebensrate einjähriger Rohrammern wur- Abb. 10. Anzahl brütender Rohrammer- pro Jahr (linke Achse, Balken) und jährliche Wachstumsrate de als Grund für den Rückgang der britischen T des Populationsnetzwerks (rechte Achse, Linie) Rohrammerpopulation betrachtet (Peach et al. im Zürcher Oberland. Nach Pasinelli et al. (2011). – 1999), und die relativ geringen Überlebens- Relation between annual number of breeding Reed raten einjähriger Rohrammern im Zürcher Buntings (left axis, bars) and growth rate T of the population network (right axis, line) from one year to Oberland könnten entsprechend für den Sink- the next in northeastern Switzerland. After Pasinelli status der untersuchten lokalen Populationen et al. (2011). verantwortlich gewesen sein. Schliesslich hätte auch die Reproduktions- rate der Rohrammern im Zürcher Oberland dere bei so mobilen Organismen wie Vögeln. unterdurchschnittlich sein und somit den Sink- Deshalb glauben wir, dass die Sinksituation status der lokalen Populationen verursacht der Rohrammer im Zürcher Oberland eher den haben können. Wir schliessen dies aus, da im Normalzustand für Untersuchungen an Vogel- Mittel 1,7–2,0 Flügglinge pro und Fragment- populationen darstellt als eine Ausnahme. kategorie bzw. 1,3–2,2 Flügglinge pro und Dass alle von der Rohrammer im Zürcher Jahr produziert wurden (Tab. 3). Diese Werte Oberland besiedelten Feuchtgebiete trotz der entsprechen jenen aus anderen Studien (z.B. Einbeziehung der Emigrationsrate gemäss der Blümel 1995, Glutz von Blotzheim & Bauer Methode von Runge et al. (2006) als Sinks für 1997, Keiser 2007). diese Art einzustufen sind, liegt wohl teilweise an der relativen Kleinheit des Untersuchungs- 2.7. Sind kleine Feuchtgebiete relevant? gebiets, auch wenn dieses mit rund 200 km2 und 21 untersuchten lokalen Populationen ver- Kleine und grosse Feuchtgebietsfragmente eig- gleichsweise gross war. Wir gehen davon aus, neten sich im selben Masse für die Reproduk- dass sich einige «unserer» Rohrammern in Ge- tion der Rohrammer und trugen demografisch bieten niedergelassen haben, die ausserhalb der gleich viel zum Populationsnetzwerk bei. Dar- von uns überwachten Flächen liegen. Die Be- aus lässt sich schliessen, dass kleine Feuchtge- rechnungen bezüglich des demografischen Bei- bietsfragmente einen ebenso relevanten Beitrag trags Cr sind somit als Minimalwerte zu sehen. zur Erhaltung eines regionalen Rohrammer- Andererseits haben weitere Berechnungen er- Populationsnetzwerks leisten wie die grossen geben, dass die Emigrationsraten unrealistisch Fragmente. Simulationsstudien haben immer hoch sein müssten, um die Gebiete von Sink- wieder bestätigt, dass Populationsnetzwerke in Sourcepopulationen umzuwandeln (Pasinelli langfristig überlebensfähiger sind als isolierte et al. 2011). Einzelpopulationen (z.B. Stacey & Taper 1992, Verlassen Rohrammern unser Untersu- Hanski 2005). Viele kleine lokale Populationen chungsgebiet, führt dies zu einer Unterschät- können deshalb für die Erhaltung von Arten zung der Überlebensraten, was sich negativ mindestens so wichtig sein wie einige wenige auf die Berechnung des demografischen Bei- grosse Populationen, zum Beispiel indem sie trags auswirkt. Die Überlebensraten adulter Emigranten für andere Populationen liefern, in unserer Studie (Mittelwert 0,46) lagen im auch wenn die einzelnen lokalen Populatio-
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