Die CDU in der Großstadt: Probleme, Potentiale und Perspektiven

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Die CDU in der Großstadt: Probleme, Potentiale und Perspektiven
Dr. Matthias Zimmer, MdB, Marcus Weinberg, MdB

Internes Diskussionspapier

Stand 13. 11 2012

   1. Unsere Werte integrieren

Die CDU ist die Volkspartei der Mitte. Ihre Grundwerte und ihre Prinzipien richten sich an
alle, unabhängig von Konfession, sozialem Status, Herkunft oder sonstiger
Differenzierungen. Unser christliches Menschenbild und die abgeleiteten Grundwerte in
unserer verfassten Demokratie integrieren in die politische Mitte hinein. Deswegen sind wir
die Partei der Mitte: Wir definieren Politik aus der Mitte heraus zur Mitte hin, und nicht von
den partikularen Sonderinteressen her. Gleichzeitig findet die CDU immer mehr
ausdifferenzierte unterschiedliche Lebenswelten vor. Städte unterscheiden sich in der
sozialen und kulturellen Form des Zusammenlebens von ländlichen Regionen. Dies kann
nicht ohne Auswirkungen auf die Frage bleiben, wie sich die CDU in Städten politisch
positioniert und Politik und Zusammenleben konkret gestaltet. Das Menschen- und Weltbild
der Union, unsere Grundwerte und unsere politischen Prinzipien sind nicht starr und
schematisch, sondern erlauben unterschiedliche Antworten aus unterschiedlichen
Lebenswelten und ihren Problemlagen heraus. Dieses Potential sollten wir nutzen und die
notwendige Differenzierung unserer Aussagen vornehmen, ohne unsere Grundwerte und
Prinzipien zu kompromittieren. Gerade die Markenkerne christliches Menschenbild, Soziale
Marktwirtschaft und Europäische Integration sind aktueller denn je und weitgehend
unabhängig von den Unterschieden zwischen Land und Stadt. Grundwerte, Markenkerne
und politische Prinzipien bilden den Rahmen für eine differenzierte Farbgebung auch mit
spezifisch urbanem Antlitz. Dies kann helfen, die Attraktivität und Durchschlagkraft der CDU
als Volkspartei zu erhöhen und uns als gestaltende Kraft in der Gesellschaft dauerhaft zu
etablieren, zumal wir gerade in den urbanen Milieus durchaus eine Renaissance der Suche
nach unseren Werten und politischen Prinzipien erleben.

   2. Die CDU kann auch Großstadt

Die CDU kann, trotz einer schwierigen konjunkturellen „Wahl- und Wahrnehmungslage“,
durchaus optimistisch sein. Die CDU kann auch Großstadt. Die Union hat es in der
Vergangenheit in größeren Städten nicht nur geschafft, Regierungsmehrheiten zu stellen,
sondern auch Modelle erfolgreichen Regierens implementiert. Als eindrucksvolles Modell
der letzten Jahre kann man die „wachsende Stadt“ der Hamburger CDU-Regierungen unter
Ole von Beust bezeichnen. Hier ist es der Elb-CDU gelungen, sowohl bei der personellen
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Zusammenstellung der Verantwortlichen wie der Schwerpunktbildung der Politikfelder
inklusive eines neuen Erscheinungsbildes des „big pictures“ Maßstäbe zu setzen. Nach der
Regierungsübernahme 2001 mit nur 26 Prozent eigenem Stimmanteil gelang es der CDU
unter Ole von Beust im Jahre 2004 über 47 % und im Jahre 2008 über 42 % der
Wählerstimmen zu erlangen. Eine nachhaltige Wahrnehmung als tragende Regierungspartei
in einer Großstadt ist also durchaus möglich.

In den traditionellen Kompetenzfeldern Wirtschaft, Finanzen und Sicherheit profilierten
starke Köpfe traditionelle Bilder der CDU. Bekannte - auch nicht parteigebundene -
Persönlichkeiten aus Stadt und Gesellschaft haben Bereiche der Wissenschaft und Kultur mit
urbaner Verankerung überzeugend dargestellt. Hohe persönliche Akzeptanz, eine
ausgewiesene Fachkompetenz und die Authentizität als Stadtbürger wirkten. Traditionelle
Bilder der Wahrnehmung der CDU wurden angereichert und ergänzt durch eine Öffnung der
CDU für urbane Themen, wie dem Ausbau der Kindertagesbetreuung als Antwort auf die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Verstärkung der Integrationsmaßnahmen oder aber
dem Ausbau der Infrastruktur in benachteiligten Stadtteilen. Die CDU wurde als
konservative, liberale und christlich-soziale Partei erlebbar, gebündelt unter der
Begrifflichkeit einer „wachsenden Stadt“, die sich nicht nur auf die Wirtschaft oder auf den
Wohnungsbau bezog, sondern auf alle Politikbereiche der Stadt. Am Ende von Schwarz-Grün
ist dieser moderne CDU-Ansatz von Großstadtpolitik kollabiert. „CDU pur“ als Alternative
scheiterte.

   3. Altersklassen und Wählbarkeit

Die Union hat traditionell ihre Stärke eher in den ländlichen Räumen als in der Stadt. Sie
spricht konservative und traditionsbewusste Wähler eher an als das progressive und
aufgeschlossen-experimentierfreudige oder das leistungsorientierte städtische Bürgertum.
Richtig ist auch, dass die früher einmal existierenden engen Verknüpfungen zwischen der
CDU und einem ihren Anliegen aufgeschlossenen politischen Vorfeld (wie beispielsweise die
Katholische Arbeitnehmerbewegung oder Kolping) problematisch geworden sind, ohne dass
die CDU in anderen vorpolitischen Räumen kompensatorisch hätte Fuß fassen können. Wir
haben den Anschluss an wichtige Multiplikatoren und gemeinwohlorientierte
Interessengruppen weitgehend verloren.

Dort, wo man sich der jeweiligen Community etwa in der Jugendhilfe, dem Umwelt- oder
Sozialbereich offen genähert hat, gibt es einen fruchtbaren Dialog. Aber trotz verstärkter
Annäherungen an einzelne Themenbereiche kommt die CDU in den Großstädten in
wichtigen wegweisenden Diskursen der Stadtgesellschaft nicht vor und kann diese nicht mit
bestimmen. Sie verhält sich allzu oft als Nachhut der öffentlichen Debatte, meist in
defensiver Abwehr- oder Erklärungshaltung, ohne Themen zu setzen oder gestaltend in die
Diskurse eingreifen zu können. Die öffentliche Wahrnehmung der CDU in den Städten ist
überdies allzu häufig exklusiv mit den Themenfeldern Sicherheit und Ordnung und einer
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konservativen Grundausrichtung verbunden und spricht damit eher ältere Wählerschichten
an. Dies bestätigt zwar die Rolle der Union als Hüter von Sicherheit und Ordnung, doch ist
dies eine zu einseitige Rollenkonstruktion.

Erst- und Jungwähler finden häufig ebenso wenig den Weg zur Union wie die traditionelle
Bürgerschicht gutverdienender Familien mittleren Alters. Dies wird aus einem
exemplarischen Vergleich einiger großer Städte bei der Bundestagswahl 2009 deutlich, der
die Stimmenanteile der Zweitstimmen für die Union bei unterschiedlichen Altersgruppen
ausweist:1

             m/w           18-24         25-34         35-44         45-59         Ü 60         insgesamt
Berlin       21.2/25.1     16.6          17.2          18.5          19.8          32.9         23.3
Hamburg      24.6/29.1     20.0          24.6          21.9          21.0          37.5         27.0
Köln         24.1/28.8     19.7          21.8          22            23            37.6         26.5
Frankfurt    22.8/28.5     15.5          20.7          21.2          18.7          39.5         25.7

Auffällig ist der sprunghafte Anstieg des Zuspruchs der CDU bei den über 60jährigen im
Vergleich zu der vorherigen Alterskohorte. Ebenso auffällig ist aber auch, dass gerade das
mittlere Segment der 24-bis 59-jährigen sich von der CDU offensichtlich wenig angesprochen
fühlt – und das, obwohl die CDU für traditionelle Werte wie Familie steht und wir gerade in
diesen Alterskohorten häufig die Familienphase vorfinden. Es spricht also wenig dafür, dass
die CDU in den Städten als Familienpartei auch „angenommen“ ist. Den weitreichenden
Maßnahmen in diesem Bereich (wie der Ausbau der Angebote der Kindertagesbetreuung)
durch eine regierende CDU folgte keine Wirkung im Wahlverhalten. Wir machen Politik für
die Familien, werden aber als Familienpartei nur unzureichend wahrgenommen und
angenommen.

Eine wichtige Frage wird sein, ob der starke Anstieg bei den über 60jährigen ein
wiederholbarer oder einmaliger Generationeneffekt ist. Die sozialwissenschaftliche
Forschung ist hier nicht eindeutig.2 Einerseits wandeln sich Einstellungen und Präferenzen im
Lebensverlauf, sodass die Kennzeichnung „junge Wilde, alte Milde“ eine gewisse Plausibilität
aufweist. Unterstellen wir aber andererseits dass die politische Sozialisation bestimmend auf
die politischen Einstellungen im Lebensverlauf wirkt, würden sich die starken Zuspruchwerte
für die Union bei den über 60jährigen durch das Nachwachsen einer neuen Generation bald
auflösen. Aus dieser Sicht ist es notwendig, dass wir auch im Lebensverlauf andere
Alterskohorten stärker ansprechen, um nicht Gefahr zu laufen, unsere Wählerbasis durch
Überalterung sukzessive zu verlieren.

1
  Eigene Zusammenstellung; wir haben München nicht aufgenommen weil wir dezidiert nur den Blick auf die
CDU in der Großstadt nehmen wollen. In Bayern, so wurde uns versichert, ist ohnehin alles ganz anders.
2
  Vgl. die gründliche Studie von Sabine Pokorny, Junge Wähler: Hoffnungslos verloren? Das Wahlverhalten der
Generationen. St. Augustin/ Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung 2012.
                                                                                                              3
4. Individualisierung und Fluktuation

Stärker als in ländlichen Regionen sind in den Städten Tendenzen der Individualisierung zu
beobachten. Die Alleinlebenquote nimmt mit der Größe der Städte zu. In Großstädten über
500,000 Einwohner lebten im Jahr 2011 knapp 29% der Bevölkerung alleine, in kleinen
Gemeinden mit weniger als 5,000 Einwohnern waren es lediglich 14%.3 Daraus ergibt sich: So
wichtig es ist, die Familien besonders zu fördern, die Union muss auch Rezepte entwickeln,
wie und mit welchen Ansprachen sie auf die zunehmende Anzahl von Singlehaushalten in
den unterschiedlichen Altersgruppen reagiert. Hier erscheint zur Zeit in der Programmatik
der Union ein blinder Fleck. Am ehesten noch scheint eine Strategie möglich, die Zunahme
der Singlehaushalte in der Altersgruppe der über 60jährigen anzusprechen und Angebote zu
entwickeln, bis hin zu Modellen der Betreuung und Pflege. Unterstützt werden sollten auch
Formen der Interaktion zwischen Alten und Jungen, etwa durch gemeinsame Angebote.

Städte sind typischerweise einer hohen Fluktuation unterworfen und damit einer sich immer
wieder erneuernden Bevölkerungsentwicklung. Frankfurt am Main etwa erneuert in den Zu-
und Abzügen alle 15 Jahre komplett seine Bevölkerung – aber eben nur statistisch, denn es
handelt sich um eine bestimmte Schicht hochmobiler Dienstleister, sowie um Auszubildende
und Studierende, die nicht unerheblich zu dieser Fluktuation beitragen. Dies bleibt nicht
ohne Konsequenzen für das Zusammenleben in der Stadt. Traditionelle
Sozialisationsinstanzen, die in ländlichen Regionen noch starke Wirkung ausüben (können)
wie etwa die Kirchen, Vereine, aber auch Parteien, sind in den Städten lediglich ein Angebot
unter vielen. In Großstädten wachsen die Menschen weniger in Bindungen hinein als in
ländlichen Regionen. Bindungen werden gewählt aus einem Angebot unterschiedlicher
Lebens- und Themenbereiche. Sie bleiben Lebensstilentscheidungen, nicht aber
Sozialisationsinstanzen mit einer gewissen Autorität auch über den Bereich der originären
Bindung hinaus. Sie können gewählt und wieder abgewählt werden, ohne dass es
Auswirkungen auf den sozialen Status oder das Ansehen der Person hat. Deswegen finden
sich in Großstädten häufiger auch volatile Formen der Vergemeinschaftung, die sich etwa an
einem Protest gegen ein bestimmtes Vorhaben oder einem issue-orientierten Anliegen
festmachen können. Dieses wird durch die neuen Formen der medialen Präsenz noch
gestärkt. In Großstädten werden Bindungen freiwillig eingegangen unter den Bedingungen
der Gleichheit. Sie werden aber auch einfacher gelöst; Städte sind die Räume der
Möglichkeiten, stetig neuer Chancen, nicht aber Orte, an denen dauerhaft Verantwortung
für das Gemeinwohl übernommen wird. Es bleibt dafür nicht die Zeit. Man mag darüber
spekulieren, ob dies auch der Grund ist, warum in Städten die Anzahl der Singlehaushalte
höher ist als in nicht urbanen Regionen. Zumindest aber belegen die statistischen Daten dass
der Anteil der Alleinerziehenden in Großstädten signifikant über dem Bundesdurchschnitt

3
 Zahlen des statistischen Bundesamtes unter
https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2012/Alleinlebende/pm_allein_PDF.pdf
?__blob=publicationFile
                                                                                                     4
liegt.4 Es nutzt wenig den Verfall der Familie zu beklagen; verantwortlich sind
gesellschaftliche Entwicklungen, die außerhalb der politischen Gestaltungsmöglichkeit
scheinen.

    5. Neue Formen der Gemeinschaftsbildung und der Zusammenarbeit in der
       Stadtgesellschaft

Die Union sollte aus ihrem Grundverständnis heraus vielfältige Formen der
Gemeinschaftsbildung in Städten als Gegengewicht zu einer zunehmenden Anonymisierung
und Individualisierung unterstützen. Die Moderne entbettet den Menschen aus seinen
sozialen und gesellschaftlichen Bezügen, leistet dem Verfall von Gemeinschaften Vorschub.
Zu diesem Prozess ist ein Gegengewicht erforderlich. Gemeinschaften sind die
Voraussetzung für Beheimatung, für Formen der Verwurzelung, die in den Städten nicht
mehr so selbstverständlich sind. Gemeinschaften können sich in Vereinen bilden, in
Nachbarschaften, in den Familien, aber eben auch in nichttraditionellen
Lebenspartnerschaften. Die Förderung (und Anerkennung) solcher Gemeinschaften ist ein
Stück Beheimatung des Menschen. Wir „ertragen“ die Zumutungen der Moderne dann,
wenn wir nicht alleine sind, sondern von Gemeinschaften getragen werden.

Der Verlust von Bindungen und soziale Isolation sind häufig nicht freiwillig und aufgrund je
unterschiedlicher Problemlagen auch mitunter schwierig zu überwinden. Die Union sollte
deshalb Modelle des generationenübergreifenden Miteinanders besonders fördern und
darin vor allem alleinstehende Menschen in der Alterskohorte der über 60jährigen
einbeziehen. Sie sollte schließlich den Alleinerziehenden zusätzliche Möglichkeiten bieten,
soziale Beziehungen zu erleben und zu gestalten. Dies könnte beispielsweise schon dadurch
erreicht werden, dass regelmäßige Treffen für Alleinerziehende durch die CDU in den
Stadtteilen organisiert werden.

Die Union sollte darüber hinaus in den Großstädten neue Formen der Zusammenarbeit mit
der Stadtgesellschaft anbieten. Dazu gehören das Angebot partieller Kooperation unterhalb
einer Mitgliedschaft zur Erreichung bestimmter Ziele, um mit Bürgerbewegungen und issue-
orientierten Anliegen kooperieren zu können. Die heute schon möglichen Mitgliedschaften
in Vereinigungen der CDU ohne gleichzeitige Mitgliedschaft in der CDU sind auszubauen; so
können engagierte Bürgerinnen und Bürger Mitglieder in Arbeitskreisen werden ohne
gleichzeitig Mitglied der CDU zu sein. Zweitens sollte die CDU die Möglichkeit erweitern,
Bürgerinnen und Bürger auch ohne Mitgliedschaft in der CDU für Wahlen vor allem auf
kommunaler Ebene aufstellen zu können. Hilfreich könnten hier auch so genannte „wild
cards“ sein mit denen die CDU Kandidaten auf Listen aussichtsreich platzieren kann. Parteien
wirken, so das Grundgesetz, an der politischen Willensbestimmung mit; damit ist aber nicht

4
 Der Bundesdurchschnitt liegt bei 19%, der Durchschnitt in Großstädten (2009) bei 26%;
https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2010/Alleinerziehende/pressebroschue
re_Alleinerziehende2009.pdf;jsessionid=A526EBD4E8FBBA4D43D135A1F72C647C.cae2?__blob=publicationFile
                                                                                                     5
gesagt, dass für die Ausübung eines Mandats eine Mitgliedschaft in der Partei zwingend
erforderlich ist. Eine moderne Mitmach-Partei muss sich lösen von den Zwängen einer
reinen Mitglieds-Partei. Wenn es die Nachfrage nach temporären und punktuellen
Partizipationswünschen gibt, dann müssen sich die Angebote anpassen. Das Ziel einer
dauerhaften Bindung bleibt dabei natürlich bestehen und muss auch einen Mehrwert für das
Mitglied haben. Die Partei mit ihren Grundwerte und Grundpositionen muss auf die
Anforderungen und der Wünsche der Stadtbevölkerung reagieren, ohne sich selbst in Frage
zu stellen. Der politische Rahmen ist bestimmt durch unsere Grundwerte und Prinzipien.
Innerhalb dieses Rahmens besteht in der Farbgebung weitgehende Gestaltungsfreiheit.

   6. Kulturelle Vielfalt - Leitkultur – Diskurs der Religionen

Städte, besonders große Städte, sind in erheblichem Maß durch internationale
Verflechtungen gekennzeichnet. Sie sind Ziele von Zuwanderung und damit in besonderem
Maß der politische Rahmen für die Integration anderer Menschen und Kulturen. Städte sind
darüber hinaus Standorte internationaler Firmen und Marken. Sie sind „mit Ähnlichkeit
geschlagen“, weil die internationalen Marken überall vorhanden sind und eigenständige
kulturelle Traditionen marginalisieren. Dies trifft in besonderem Maß für die so genannten
„global cities“ (Saskia Sassen) zu, die als Steuerungszentralen für die Globalisierung wirken
und vor allem im Bereich der Finanzen, der Versicherungen und des Immobilienhandels stark
vertreten sind. Durch die Anforderungen einer Schicht von Agenten der Globalisierung ist die
Funktionalität von global cities sich ähnlich geworden. Gegenüber den nivellierenden
Tendenzen der Globalisierung ist die Bewahrung und Pflege kultureller Eigenheiten schon
aus Gründen der Beheimatung der Menschen in der Stadt unabdingbar. Hier kann die CDU in
besonderer Weise Punkte sammeln, weil sie sowohl als Anwalt der Wirtschaft als auch der
kulturellen und traditionellen Verwurzelung der Menschen glaubwürdig ist.

Im Bereich der Integration hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten auch in der Union viel
getan. Die Aussage, dass Deutschland ein Zuwanderungsland ist, wäre noch vor wenigen
Jahren ebenso Anathema in der Union gewesen wie die Beschreibung der deutschen
Gesellschaft in terminologischen Formen der Multikulturalität. Gleichwohl ist die Realität in
vielen Städten sehr nüchtern umschrieben mit einem hohen Anteil von Migranten, die zum
Teil ihre Herkunftskulturen in den Städten leben. Wir haben als Union gut daran getan, die
Fiktion, dass ein Großteil dieser Migranten uns wieder verlassen werde, aufzugeben. Richtig
ist es insoweit, den Erwerb der deutschen Sprache zu fördern und ihn dort, wo es um
schulische Bildung geht, auch zu forcieren. Anders als in traditionellen multikulturellen
Gesellschaften ist unser Zusammenleben durch eine Leitkultur geprägt. Dazu gehören neben
der Sprache als unabdingbarer Voraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe auch die Normen
des      Grundgesetzes      und     die     dahinter    liegenden     geistesgeschichtlichen
Begründungszusammenhänge, aber ebenso Geschichtsbilder, die in besonderer Weise noch
heute unsere kollektive Identität bestimmen. Die Befolgung der gesetzlichen Normen ist

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eine Selbstverständlichkeit, die nicht noch durch eigenständig abzuschließende
Integrationsverträge vereinbart werden muss. Die kritische Aneignung und
Auseinandersetzung mit den Wurzeln dieser Normen und den wirkmächtigen
Geschichtsbildern als zentralen Bestandteilen unserer Leitkultur ist eine gerechtfertigte
Erwartungshaltung gegenüber den hier lebenden Migranten. Die deutsche
Staatsbürgerschaft steht deshalb am Ende einer gelungenen Integration, nicht am Anfang.

In besonderer Weise ist die Union aufgerufen sich in den Städten mit dem Islam auseinander
zu setzen. Als abrahamitische Religion gibt es zu den christlichen Wertvorstellungen viele
Überschneidungen. Christen und Muslime eint die Erkenntnis, dass eine Gesellschaft ohne
eine religiöse Antenne in vielfältiger Weise ärmer wäre. Sie trennt bisweilen die Frage der
Reichweite religiöser Überzeugungen in einem säkularen Staat. Gleichwohl ist die Union aus
dem Selbstverständnis einer sich auf christlichen Wurzeln berufenden Partei eher in der Lage
den Dialog mit dem Islam zu führen als der rein säkulare Liberalismus oder der
materialistisch orientierte Sozialismus – von den eher hedonistisch ausgerichteten Grünen
ganz zu schweigen. Deswegen sollte die Union diesen Dialog gerade in den Städten aktiv
führen und als einen Baustein der Integration betrachten. Dies eröffnet aber auch die
Möglichkeit, in die muslimischen Gemeinden einzuwirken, Hilfestellungen anzubieten und
damit potentiell neue Wählerschichten zu erschließen. Dies kann in besonderer Weise auch
die Aufgabe der Vereinigungen werden: In der Frauenpolitik, der Arbeitnehmerpolitik oder
der Politik für den Mittelstand. In all diesen Bereichen sind Migranten aus dem islamischen
Bereich als eigene Zielgruppe noch nicht ins Bewusstsein gerückt.

   7. Partei der Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit beruht auf drei Säulen: der ökonomischen, ökologischen und sozialen
Nachhaltigkeit. Während die Grünen die ökologische Nachhaltigkeit überbetonen, die SPD
die soziale und die FDP die ökonomische, ist es Aufgabe der CDU, die drei Ziele zu einem
wohlklingenden Dreiklang zu vereinen.

Auch in der Stadt bedarf es immer wieder der Investition in die Infrastruktur um die
Grundvoraussetzungen wirtschaftlichen Wachstums und gedeihlichen Zusammenlebens auf
Dauer garantieren zu können. Dabei zeigt sich aber, dass gerade Großprojekte heute einer
stärker kommunikativen und partizipativen Begleitung bedürfen. In Frankfurt ist dies mit
dem Mediationsverfahren zum Ausbau der Flughafens weitgehend gelungen, in Stuttgart bei
der Entscheidung zum Ausbau des Bahnhofs nicht. Wir können aber auf infrastrukturelle
Großprojekte nicht verzichten wenn wir die Grundlagen des Wohlstands nicht gefährden
wollen; dies muss auch offensiv gegenüber denjenigen eskapistisch-romantischen
Vorstellungen betont werden die jeglichen Wandel in einer Stadt zugunsten des
Hergekommenen ablehnen. Die Beschäftigungsstruktur einer Stadt wird nicht von
denjenigen dominiert, die aus dem gesicherten Unterstand öffentlicher Beschäftigung die
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Protestkultur der Stadt bestimmen. Nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung schafft die
Voraussetzungen, um auch in Zukunft noch die Möglichkeiten öffentlicher Beschäftigung
erwirtschaften zu können, selbst wenn dies den einen oder anderen in seiner individuellen
Behaglichkeit einschränkt. Das sind wir in besonderer Weise auch all jenen schuldig, die auf
„einfache“ Arbeitsplätze angewiesen sind. Die Union muss sich deshalb weiterhin als Partei
der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit des städtischen Lebens positionieren.

Bei differenzierter Betrachtung der verschiedenen Milieus in Großstädten stellen wir ein
aufwachsendes, neues prekäres Milieu fest, das von der sozialen Lage her in der unteren
Mittelschicht und Unterschicht anzusiedeln ist. Die Grundorientierung ist geprägt durch eine
konsumorientierte Grundhaltung. Dieses Milieu ein Restant der klassischen Arbeiterschicht,
die traditionell eine enge Bindung an die Sozialdemokratie hatte. Von der ehemaligen
Arbeiterpartei ist dieses Milieu so politisch enttäuscht wie von den Grünen als Life-Style
Partei im Wahlverhalten entfernt. Die Bindungsmuster, die die CDU zu diesem Milieu hat
(ähnlich wie zur bürgerlichen Mitte), sind eher die Themen Sicherheit und Ordnung. Eine
städtische CDU, immer noch Vertreter von Sozialethik und Soziallehre, muss auf dieses
Milieu zugehen, auch um sich als Anwalt der kleinen Leute darzustellen. Hier bieten sich
Chancen für ein Wiedererstarken der christlichen-demokratischen Arbeitnehmerschaft im
Hinblick auf die Verbesserung der Lebenslagen dieser Stadtbewohner und einer Bindung als
„Schaffer“ von Arbeitsplätzen und als „Schaffer“ von gut entlohnten Arbeitsplätzen. So kann
die Union sich als die Partei der sozialen Nachhaltigkeit des Lebens in der Stadt
positionieren.

Für viele große Städte stellt sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Frage, in
welchen Formen sie Wachstum darstellen können. Trotz der demographisch gegenläufigen
Tendenz sind die großen Städte in Deutschland mit Blick auf die Bevölkerungsanzahl
Wachstumsregionen. Sie sind Zuwanderungsgebiete für Binnenmigration ebenso wie für
internationale Migration, und zwar sowohl im hochqualifizierten wie im wenig qualifizierten
Bereich. Die damit einhergehenden Wachstumsherausforderungen in den Städten können
nur dann sinnvoll gemeistert werden, wenn die Problembereiche Wohnen, Mobilität und
Energieversorgung zusammen gedacht werden. Dazu gehören neue Nutzungskonzepte im
Bereich der Mobilität (z.B. Carsharing) und neue Formen des Wohnens ebenso wie die
Nutzung von smart grids und die systematische Reduzierung von Umweltbelastungen (Lärm,
CO2-Emissionen, Feinstaub usw.). Intelligentes Wachstum in den Städten ist auch eine der
großen Zukunftschancen wirtschaftlicher Entwicklung; hier bietet sich die große Chance,
durch kluge Anreize und ordnungspolitische Leitplanken marktwirtschaftliche Prozesse für
eine sozial und ökologisch nachhaltige Stadtentwicklung nutzbar zu machen.

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8. Kompetenzen und Aufgaben

Partnerschaften in Städten sind häufig Doppelverdiener-Partnerschaften. Häufig stehen
keine weiteren Familienstrukturen zur Verfügung, mit denen Kinderbetreuung abgebildet
werden kann. Daraus ergibt sich für die Debatte um Kitagarantie und Betreuungsgeld ein
ausgesprochenes Gefälle zwischen Stadt und Land; in städtischen Strukturen ist die
Kitabetreuung erheblich wichtiger. Die Sättigung dafür dürfte erheblich über den 35% liegen
die als Erfüllung der Kitagarantie in der öffentlichen Debatte steht. Aber auch im weiteren
Bildungsverlauf der Kinder sind die Möglichkeiten erweiterter und flexiblerer Betreuung von
zentraler Bedeutung. Das wird auch in der Union erkannt. So hat etwa die CDU Hamburg ein
nachfrageorientiertes Kita-Gutscheinsystems (Rechtsansprüche bei Berufstätigkeit oder
Sprachförderbedarf) eingeführt, mit massiven Etatzuwächsen. Die Union sollte sich für einen
weiteren Ausbau von Hortplätzen ebenso einsetzen wie für einen Ausbau der
Ganztagesschulen. Solche Angebote ermöglichen die gewünschte Vereinbarkeit von Familie
und Beruf. Allerdings sollte die Ganztagesschule nicht als verpflichtende Regelschule
aufgestellt werden, sondern als den Bedarf deckendes Angebot.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Kompetenzzuschreibung für die CDU in drei Feldern
besonders hoch. Wir „können“ Wirtschaft und Finanzen, aber auch Sicherheit und Ordnung.
Damit deckt die Union die grundlegenden Bedürfnisse einer politischen Gemeinschaft ab –
Sicherheit und Ordnung sowie stabile wirtschaftliche und finanzielle Rahmenbedingungen,
die eine verlässliche Lebensperspektive auch im Arbeitsleben eröffnen, sind von nicht zu
unterschätzender Bedeutung. Allerdings werden diese Leistungen und Kompetenzen in einer
saturierten Gesellschaftsordnung als selbstverständlich angesehen und nicht mehr als
besondere, immer wieder zu erbringende Leistung honoriert. Da gerade in den Städten die
Grünen als Phänomen einer öffentlich subventionierten Dienstleistungsgesellschaft
(Verwaltung, Schulen, Hochschulen, Museen, öffentlich geförderte Teilbereiche in Kultur und
Soziales) besonders stark sind, hat sich eine eigentümliche Arbeitsteilung im öffentlichen
Bewusstsein etabliert: Die Union hat hohe Kompetenzwerte im Sicherheit, Ordnung und
Wirtschaft, die Grünen hohe Kompetenzwerte in all jenen Bereichen, die auf dieser Basis
Bildung und Kultur, gutes Leben und Lebensqualität betonen. Überspitzt formuliert: Die CDU
ist verantwortlich für die wirtschaftliche Infrastruktur, die Grünen für die
Verkehrsbeschränkungen auf 30 km/h und den Ausbau von Radwegen; die CDU steht ein für
auch mit ordnungs- und polizeirechtlichen Instrumenten herzustellende Sicherheit in der
Stadtgesellschaft, die Grünen stehen für inszenierte, leicht anarchische Spektakel, in denen
spielerisch die Voraussetzungen von Sicherheit und Ordnung unterlaufen werden; die CDU
steht für Arbeitsplätze auch im industriellen Bereich, die Grünen als Avantgarde der
postmateriellen Besserverdiener für das sanfte Verächtlichmachen einer Form des Lebens,
die noch auf körperlicher Arbeit beruht und jene höheren Ziele nicht zu kennen scheint, auf
den sich Mitglieder und Wähler der Grünen aufgrund des öffentlich-subventionierten Status
ein Anrecht zu haben glauben.

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9. CDU vs Grüne: Für eine neue städtische Kompetenzverteilung

Die Grünen sind eine Lifestyle-Partei der bürgerlichen Mitte, bei der eine Wahlentscheidung
auch viel mit einem Lebensgefühl und einer intuitiven Abneigung gegenüber den
Grundleistungen eines politischen und ökonomischen Systems zu tun hat, die dieses
Lebensgefühl erst möglich macht.

Daraus ergibt sich für die Union dreierlei: Zum einen muss sie die allzu einfache Dichotomie
zwischen denjenigen, die für die Lebensgrundlagen sorgen und denjenigen, die für die
Lebensqualität zuständig sind, aufbrechen. Dort, wo Koalitionsregierungen bestehen oder
angestrebt werden, müssen die Grünen in die Mitverantwortung für die schwierigen
politischen Entscheidungen auch institutionell eingebunden werden. Zweitens muss die
Union selbst in den „weichen“ Themen zunehmend sprechfähig werden. Viele zentrale
gesellschaftliche Diskurse finden ohne die CDU statt oder laufen an ihr vorbei. Deswegen
erscheint es wichtig, gerade in einer Stadtgesellschaft kulturelle Kompetenz nicht nur
institutionell zu besetzen, sondern sie glaubhaft auch in den Diskursen vertreten zu können.
Drittens muss die CDU dort, wo sie die Unterstützung der grünen Basis bedarf, ein
Personalangebot stellen, das glaubwürdig Offenheit für die zentralen Anliegen der Grünen
darstellen kann, ohne sich aber als Christdemokrat zu verleugnen. Überspitzt formuliert: Ein
Politikertyp wie Alfred Dregger hätte – bei allen sonstigen Verdiensten -- von Typ und
Habitus her wenig Möglichkeiten in das grüne Milieu einzuwirken. Erfolgreiche
großstädtische Politiker wie Ole von Beust und Petra Roth haben diese Fähigkeit gehabt.5
Dies gilt es auch im personellen Angebot der Union zu beachten. Nicht an den Rändern kann
sich die Union in der Stadt profilieren, sondern in der Mitte. Dort gilt es auch das
zahlenmäßig starke Reservoir der Nichtwähler anzusprechen. Deswegen erscheint eine
Debatte um die Formen des Konservativismus in der CDU in Städten kaum sinnvoll und für
die Wahlchancen der Union in Städten insgesamt kontraproduktiv. Einmal mehr gilt das
Wort von Gottfried Benn, nicht mit den Parolen, sondern den Beständen zu rechnen.

Es ist aber ebenso wenig sinnvoll die Programmpunkte der Grünen aufzunehmen und das
Heil darin zu sehen, durch eine „grüne“ CDU Stimmen aus diesem Lager zu bekommen. Die
Wahlanalysen zeigen, dass die Wählerwanderungen zwischen Union und Grünen
ausgesprochen begrenzt sind, obwohl (oder vielleicht auch weil) viele politischen Ziele
ähnlich sind, aber aus unterschiedlichen Begründungshorizonten heraus verfolgt werden.
Die entscheidende Barriere zwischen CDU und den Grünen ist das „Lebensgefühl“: Grün ist
es, sich zur fortgeschrittenen gesellschaftlichen Avantgarde zu zählen und in einer seltsamen
Form demonstrativer Adoleszenzverlängerung jene Formen des Stils und Habitus
bürgerlicher Tugenden gering zu schätzen die zum Kanon bürgerlicher Zivilisiertheit gehört
haben oder gehören. Grün ist die permanente Verweigerung des Erwachsenwerdens. Dabei

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 Vermutlich gilt auch dass die Wirksamkeit von Petra Roth und Ole von Beust im nicht-urbanen Milieu einige
Wünsche offen gelassen hätte.
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ist die Existenz der Grünen häufig durch bürgerliche Lebensumstände geprägt: Ein Leben in
den sanierten Altbauten der gentrifizierten urbanen Stadtviertel, bildungsbürgerlichem
Habitus und einer gewissen Lust an einer diskursiven, kritischen Durchdringung der
Lebenswelt.

Die Union ist aus Sicht der Grünen nach wie vor die Partei der „Eltern“, hoch affektiv besetzt;
Protest gegen Lebensumstände und Lebensstil dieser Eltern nährt nach wie vor den grünen
Gründungsmythos. Freilich, zu einem Teil ist dies auch durch die Union selbst verursacht,
weil sie das in der Tradition der Soziallehre und Sozialethik liegende Thema der Bewahrung
der Schöpfung in den 70er Jahren auf Kosten eines ungebremsten wirtschaftlichen
Wachstums sträflich vernachlässigt und warnende Stimmen wie etwa Herbert Gruhl
innerparteilich kaum ernst genommen hat.

Mit den Grünen ist in den Großstädten als einer starken politischen Strömung (teilweise gar
mit einem höheren Stimmenanteil als die SPD) weiterhin und sogar noch stärker zu rechnen.
Die OB-Wahlen in Stuttgart belegen dies. Die Union sollte hier die inhaltliche
Auseinandersetzung aus dem eigenen Grundverständnis heraus führen – das gilt für die
Unterschiede ebenso wie die Gemeinsamkeiten. Sie sollte sich aber auch nicht scheuen, die
Grünen als bürgerliches Luxusphänomen zu thematisieren und zu stellen und den dahinter
liegenden Vorstellungen einer radikalen Fortschrittsskepsis und eines Zurück zur Natur –
freilich unter Bewahrung zivilisatorischer Errungenschaften wie dem Biobäcker und der
Raumklimatisierung – eine deutliche Absage zu erteilen. Sie sollte deutlicher als bislang
unterstreichen dass zum Gelingen des Zusammenlebens in einer Stadt die Themen
Sicherheit und Ordnung zentral sind. Sie sind es als harter Standortfaktor im Wettbewerb
der Metropolen nicht nur in Deutschland, sondern europa- und weltweit. Städte sind durch
ein hohes Maß an Individualisierung und eine schwache soziale Kohäsion und Kontrolle
charakterisiert. Deswegen kann und muss Sicherheit einen höheren Stellenwert in der Stadt
haben als in ländlichen Regionen. Diese Leistung des politischen Systems muss aber
kommunikativ vermittelt werden – hier ist die Union bislang unter ihren Möglichkeiten
geblieben.

Die Union hat umgekehrt in der Wahrnehmung der Grünen einen großen Vorteil gegenüber
der Sozialdemokratie: Sie diskutiert auf Augenhöhe und in jener Form des zivilisatorischen
Miteinanders, das den Grünen grundsätzlich sympathisch ist. Sie diskutiert und streitet aus
Grundüberzeugungen, ist aber kompromissbereit und vor allem vertragstreu. Die Grünen
wollen nach intensiver Diskussion etwas zutiefst Bürgerliches: Führung bei der Umsetzung
der gemeinsam getroffenen Entscheidungen. Die Erfahrung in den kommunalen Kontexten
zeigt, dass die Mandatsträger der Grünen kontroverse Entscheidungen dann auch gegenüber
ihrer eigenen Klientel argumentativ mittragen.

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10. Verteidiger der ethischen Grundsubstanz

Die CDU muss sowohl die traditionellen Kompetenzfelder durch profilierte Köpfe abdecken
wie auch die neueren, weicheren Politikfelder, in denen ihr zunächst einmal keine
Kompetenz nachgesagt wird. Zweitens muss sie dieses auch in der innerlichen Ausgestaltung
fortführen und die urbanen Themen der Stadt auf der Agenda weit nach oben setzen. Dieses
muss gebündelt werden in einer begrifflichen Klarheit in der politischen Zielrichtung, aber
auch ergänzt werden durch ein in sich geschlossenes, modernes und transparentes
Erscheinungsbild der CDU und das urbane Lebensgefühl authentisch vertretende
Repräsentanten der Union. Auch wenn die Ausgangslage der Veränderung des städtischen
Milieus nicht gerade Anlass zur Euphorie zu geben vermag, kann es der Union gelingen, nicht
nur Regierungsmehrheiten zu stellen, sondern auch diese Regierungsmehrheiten durch eine
kluge Stadtpolitik bestätigen zu lassen. Entscheidend ist, dass man nicht von seinen Werten
und Grundpositionen abweicht, sondern diese um die neuen Themen der Stadt und der
städtischen Bevölkerung ergänzt. Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit haben in der Stadt
eine genau so hohe Bedeutung wie in der ländlichen Region. Deshalb muss die Union ihre
Kernthemen Wirtschaft, Finanzen und Sicherheit immer auch zum Alleinstellungsmerkmal
machen. Dazu kommt aber, dass die Union sich öffnen muss bei den neuen Themen der
Stadt. Dieses betrifft insbesondere Themen wie Folgen der Globalisierung in der Stadt,
Integration, Wissensgesellschaft, Bürgergesellschaft und Qualifizierung. Nur wenn die Union
diese Themen auch inhaltlich offen ausgestaltet mit Vertretern der urbanen Milieus kann sie
ein glaubwürdiges Gesamtbild erzeugen und ihre Attraktivität in den Wahlen als bürgernahe
Mitmachpartei erhöhen. Gerade die temporäre wie punktuelle Partizipation von Mitgliedern
der Stadtgesellschaft muss die CDU führend mit transportieren. Sie erlangt auch dann mehr
Nähe zu den Menschen, wenn sie die Themen und die Inhalte gemeinsam mit den
Bürgerinnen und Bürgern besetzt und entwickelt. Dabei darf sich die CDU auch keine
Scheuklappen anlegen; wenn sich bürgerliche Unzufriedenheit etwa in Organisationen wie
dem BUND oder attac konkretisiert, muss auch hier das Gespräch gesucht werden.

Die deutsche Geistesgeschichte kennt den Affekt gegen die Stadt, mehr noch: Die
Versuchung, die Zivilisation der Stadt der deutschen Kultur entgegen zu stellen. Einer
solchen Versuchung, in der Stadt lediglich den Ort zu sehen, wo das „Anbrüchige, Anrüchige,
Lüsterne, Düstere zusammenschwärt“ (Nietzsche) gilt es zu widerstehen. Vielmehr sollten
wir die Städte als Laboratorien der Moderne sehen, in denen auch die Reflexe der Union auf
neue gesellschaftliche Entwicklungen erprobt werden. Hier erweist sich auch in besonderem
Maße die argumentative Kraft der christlich-demokratischen Idee, ihre Anpassungsfähigkeit
und Aussagekraft angesichts neuer gesellschaftlicher Entwicklungen. Nicht jeder dieser
Trends oder Moden wird gesamtgesellschaftlich wirksam, aber nicht alle Umbrüche
verschwinden als eine lediglich dem Zeitgeist geschuldete, vorübergehende gesellschaftliche
Unebenheit. Kluge Politik ist es, sich rechtzeitig auf die neuen Problemstellungen
einzulassen; kluge Politik in der Stadt ist es, aus dem Arsenal der christlich-demokratischen
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Grundüberzeugungen heraus der Modernität der Stadt gewachsen zu sein, ohne seine
Wurzeln zu verleugnen. Das bedeutet aber in besonderem Maß, sich nicht exklusiv als
Anwalt des Bewahrens zu verstehen, sondern als Verteidiger jener ethischen Grundsubstanz
der Union, die sich nur in der Veränderung immer wieder bewährt.

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