Press X to Unify Europe: Digitale Spiele und ihr Potenzial für eine kollektive europäische Identität.
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
ÖGfE Policy Brief 13’2019 Press X to Unify Europe: Digitale Spiele und ihr Potenzial für eine kollektive europäische Identität. Von Eugen Pfister Wien, 29. Mai 2019 ISSN 2305-2635 Handlungsempfehlungen 1. Im Sinne der besseren Kommunikation einer kollektiven europäischen Identität gilt es aktiv die Kreativität der europäischen Zivilgesellschaft einzubinden, in diesem Fall konkret die der europäischen SpieleentwicklerInnen. 2. Junge europäische SpieleentwicklerInnen müssen dementsprechend gezielt gefördert werden, um Ihnen in einem europäischen Rahmen eine Zukunftsperspektive zu bieten. 3. Als erster Schritt in diese Richtung sollten regelmäßig, nachhaltig sowie in einem möglichst öffentlichkeitswirksamen Rahmen “Game Jams” zu konkreten europäischen Themen veranstaltet werden. Parallel dazu sollten auch an Schulen gemeinsam mit SchülerInnen in Projektwochen Ideen für digitale Spiele zu Europathemen gesammelt und gemeinsam umgesetzt werden. Zusammenfassung Der Brexit hat in aller Deutlichkeit die Notwendigkeit die regelmäßige und nachhaltige Veranstaltung von einer kollektiven europäischen Identität gezeigt. Das lokalen und überregionalen Game Jams an, das heißt Bewusstsein für eine gemeinsame politische „Schick- die Einladung an Interessierte innerhalb eines kurzen salsgemeinschaft“ (Habermas) lässt sich aber nicht Zeitrahmens konkrete Themen – etwa „die Arbeit des alleine durch die Öffentlichkeitsarbeit der EU-Politik europäischen Parlaments“, oder „Europa vor dem Ruin (top-down) erreichen, sondern bedarf der aktiven Be- nach 1945“ in Spiele umzusetzen. Ziel wäre dabei vor teiligung der Zivilgesellschaft (bottom-up). Ein einfacher allem bei den EntwicklerInnen ein Bewusstsein für die Schritt in diese Richtung könnte die Aktvierung der ex- Sinnhaftigkeit der Europäischen Integration und die trem aktiven und gut vernetzten SpieleentwicklerInnen- Notwendigkeit der Kommunikation zu erreichen. Da- Szene innerhalb der EU sein. Langfristig bedarf es da- bei geht es auch darum gezielt kritischen Perspektiven für gezielter Förderungen. Als erster Schritt bietet sich eine Stimme zu geben. Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 1
ÖGfE Policy Brief 13’2019 Press X to Unify Europe: Digitale Spiele und ihr Potenzial für eine kollektive europäische Identität. 1. Einleitung und Motivation: könnte, beziehungsweise was sowohl PolitikerInnen Europa in der Krise als auch Zivilgesellschaft dafür konkret tun könnten. „Vor allem der Brexit zeigte einer europä- 2. Kulturelle vs. politische Identität ischen Öffentlichkeit in bisher ungesehener Brutalität, dass die Europäische Integration Der in seiner derzeitigen Verwendung ursprüng- längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist.“ lich aus der Psychologie und Soziologie stammende Begriff der „kollektiven Identität“ bezeichnet grund- Seit einem Jahrzehnt scheint die Europäische sätzlich die affektive Bindung von Menschen zu ei- Union geradezu in einem Zustand der andauernden ner sozialen Bezugseinheit.3 Das gilt für die Fami- Krise gefangen zu sein.1 Die Finanzkrise, Eurokrise, lie aber auch für abstraktere gesellschaftliche und griechische Staatsschuldenkrise, „Flüchtlingskrise“ politische Gebilde wie zum Beispiel Berufsgrup- und Brexit gingen – so hatte es zu mindestens in pen, Gemeinden, Regionen und Nationen. Für uns der Medienberichterstattung den Anschein – naht- ist relevant, dass politische Gebilde – vereinfacht los ineinander über. Vor allem der Brexit zeigte einer dargestellt – immer erst dann Legitimität und Sta- europäischen Öffentlichkeit in bisher ungesehener bilität entwickeln, wenn man sich politisch (und im Brutalität, dass die Europäische Integration längst weitesten Sinne auch kulturell) mit ihnen identifiziert: keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Akzeptiert so- „Eine Europäische Union, deren Menschen sich auf lange alles gut lief, wurde die Europäische Union an Dauer verweigerten, eine politische Identität als Uni- sich im Moment der Krise plötzlich in Frage gestellt, onsbürger auszubilden, also [...] als ihr zugehörig was sich unter anderem im Erstarken nationalis- zu empfinden, bliebe im Leben der Einwohner ein tischer und EU-kritischer Parteien in ganz Europa Fremdling und in ihrem Selbstbewusstsein ein Ein- zeigt. Bereits in den frühen 2010er Jahren wurde dringling, dessen Existenz sie vielleicht hinnehmen, vermehrt das Fehlen einer europäischen Identität solange ihnen Vorteile daraus erwachsen, der aber diskutiert.2 Eine Identitätskrise Europas wurde ver- in dem Augenblick in Frage gestellt wäre, da er un- mehrt in Tageszeitungen und Feuilletons, aber auch bequem wird oder gar begänne, Opfer und Solida- im wissenschaftlichen Europadiskurs und inner- rität zu fordern.“4 halb der existierenden Institutionen diagnostiziert. Im Folgenden werde ich untersuchen, warum eine „Versuche eine gemeinsame (notgedrun- kollektive Identität für eine stabile Europäische Uni- gen diffuse) kulturelle Identität zu beschwö- on notwendig ist und wie eine solche funktionieren ren, sind bisher daran gescheitert Massen- wirksamkeit zu entfalten.“ 1) In Gablers Wirtschaftslexikon bekam die Krise der Europä- Der Gedanke ist nicht neu, und so gab es von An- ischen Union – vielleicht etwas voreilig – bereits einen eigenen Eintrag. „Krise der Europäischen Union“ in wirtschaftslexikon. beginn der Europäischen Integration vielfältige An- gabler.de, URL: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/ krise-der-europaeischen-union-54290 (16.05.2019). 2) Die Diskussion über die europäische Identität lässt sich bis 3) Frank R. Pfetsch, Die europäische Union, München 2005, in die 1980er Jahre unter diesem Begriff zurückverfolgen. Unter 125. anderen Bezeichnungen „Europabewusststein“, „europäische Idee“ lässt sie sich aber noch weiter zurückverfolgen. Siehe 4) Thomas Meyer, Die Identität Europas, Frankfurt am Main dazu Wolfgang Schmale, Geschichte und Zukunft der Europäi- 2004, 38 (Nicht zu verwechseln mit dem österreichischen Jour- schen Identität, Stuttgart 2008. nalisten). 2 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 13’2019 sätze ein europäisches Gemeinschaftsbewusstsein nen Politik, sowie ein Bewusstsein dafür, wie euro- zu entwickeln und zu stärken.5 Jedoch: Versuche päische BürgerInnen selbst daran teilhaben können eine gemeinsame (notgedrungen diffuse) kulturelle (via EU-Parlamentswahlen, europäische Bürgeriniti- Identität zu beschwören, sind bisher daran geschei- ative, usf.). Verantwortung für diese Kommunikati- tert Massenwirksamkeit zu entfalten. Das liegt auch on tragen vorrangig die europäischen Institutionen an einem inhärenten Problem des Konzepts kulturel- selber, sowie die beteiligten nationalen Regierun- le Identität.6 Die historisch aus den Erfahrungen der gen, aber auch die (nationalen) Medien. Soll eine unmittelbaren Nachkriegszeit erwachsene europäi- gemeinsame europäische Identität von den EU-Bür- sche Integration ließ und lässt sich nicht einwandfrei gerInnen übernommen werden, darf sie aber zum als natürliche Folge mehrerer tausend Jahre europä- anderen nicht allein auf der Initiative der politischen ischer Geschichte darstellen. Sie ist nicht Ergebnis Akteure (top-down) beruhen, sondern muss aktiv einer europäischen judeo-christlichen Kultur, son- von der Bevölkerung mitkonstruiert werden (bot- dern einer kollektiven Anstrengung der (west-)euro- tom-up). Erfolgreiche Beispiele kollektiver Identität päischen Politik. Auch der Versuch die interne Diver- lassen sich entsprechend auch immer eindeutig in sität der europäischen Kultur(-en) als gemeinsamen der (Populär-)Kultur nachzeichnen. Für einen nach- Nenner anzurufen – “United in Diversity” – ist zwar haltigen Erfolg einer kollektiven europäischen Iden- ästhetisch und moralisch ansprechend, kann aber tität bräuchte es ein Zusammenspiel der politischen alleine nicht ein Gefühl der politischen Zusammen- Akteure, der Medien aber auch der Zivilgesellschaft gehörigkeit und Solidarität hervorrufen. Glaubt man selbst. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass TheoretikerInnen wie Thomas Meyer, Jürgen Haber- der Prozess der Identifikation ein fortlaufender sein mas, u.a. ist das auch gar nicht notwendig. Diese muss, er kann nie erfolgreich abgeschlossen wer- bestätigen vielmehr die Notwendigkeit einer konkre- den. Entsprechend sind kollektive Identitäten auch ten politischen Identität der Europäischen Union.7 nicht Ergebnis einzelner abgeschlossener Bemü- Laut Habermas gilt es zum Beispiel, ein Bewusst- hungen, sondern eines andauernden vielgestaltigen sein für das gemeinsame politische Schicksal sowie Prozesses. (Im Folgenden werde ich der Komplexi- eine überzeugende Perspektive auf eine gemeinsa- tät des Themas entsprechend keine umfassenden me Zukunft an alle EuropäerInnen zu kommunizie- Lösungsansätze anbieten können.) Ein spannen- ren.8 Eine kollektive politische Identität lässt sich nur des populär-kulturelles Medium, welches sich hier- erreichen, wenn bei allen europäischen BürgerInnen für anbieten würde sind digitale Spiele. Allerdings dieses Bewusstsein erreicht werden kann. Voraus- kann es nicht nach dem Vorbild der Werbefilme der setzung dafür ist zum einen eine transparente und Nachkriegszeit Zielvorgabe sein, ein eigenes Wer- nachvollziehbare öffentliche Kommunikation der in- bespiel zu finanzieren. Nein, Ziel muss es vielmehr nerhalb der europäischen Institutionen entschiede- sein, SpieletwicklerInnen dazu zu motivieren, von sich aus europäische Themen aufzugreifen und in ihren Spielen auszuverhandeln. Langfristiges Ziel 5) Ausführlich nachzulesen hier: Eugen Pfister, „Europa im ist dabei, aber naturgemäß, dass so SpielerInnen in Bild. Imaginationen Europas in Wochenschauen in Deutschland, ganz Europa viel häufiger als jetzt in Spielen mit eu- Frankreich, Großbritannien und Österreich 1948–1959“, Göttin- ropäischen Themen und Bildern in Kontakt treten gen 2014, insbesondere 111-152. und, dass so diese Themen zu einem natürlichen 6) Siehe auch Eugen Pfister und Katharina Prager: “How We (Spiel-)Umfeld werden, wie es im Augenblick eigent- Learned to Stop Worrying and Utilize European Lieux de Mé- moire as a Historical Instrument” in Der Donauraum 1 (2011), lich nur die USA sind. 21-33. 7) Thomas Meyer, Die Identität Europas, Frankfurt am Main 2004, 52. 8) Ebenda 59 und Jürgen Habermas, „Der gespaltene Wes- ten“, Frankfurt a. Main, 2004, 46. Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 3
ÖGfE Policy Brief 13’2019 „Für einen nachhaltigen Erfolg einer kol- Ausdruck zeitgenössischer Ängste und Wünsche lektiven europäischen Identität bräuchte es und transportieren somit diskursive Aussagen. Sie ein Zusammenspiel der politischen Akteure, imaginieren und/oder spiegeln entsprechend Wer- der Medien aber auch der Zivilgesellschaft tesysteme. Das heißt aber auch, dass insbesonde- selbst.“ re jüngere Generationen unsere Welt in zunehmen- dem Maße in Spielen kennenlernen, ja in Spielen 3. Kollektive Identität(en) sozialisiert werden.11 Dabei haben wir es mit einem und digitale Spiele extrem heterogenen Medium zu tun: Während ein- zelne Blockbuster-Spiele, mit entsprechend großen „Digitale Spiele sind hier nicht einfach nur Budgets wie zum Beispiel Grand Theft Auto V sich ein beliebiges Unterhaltungsprodukt unserer bis zu 95 Millionen Mal weltweit verkaufen, haben Zeit, sie sind ein Massenmedium geworden.“ die – für uns relevanten – Indie und Serious Games entsprechend kleinere Reichweiten.12 Wobei auch Warum ausgerechnet digitale Spiele? Im Bereich Spiele mit „schwierigen Themen“ mittlerweile ein der Soziologie gehen Untersuchungen davon aus, großes Publikum erreichen können: Das anspruchs- dass das Erlernen gesellschaftlicher Normen und volle Indie-Game Papers, Please!, in welchem die Regeln nicht nur im Elternhaus, der Ausbildung und SpielerInnen in die Rolle eines Grenzkontrolleurs im sozialen Umfeld stattfindet, sondern auch mittels eines fiktiven Ostblockstaates schlüpfen, verkaufte Medien wie Filmen, Serien und digitalen Spielen. sich etwa 500.000 Mal. This War of Mine, in wel- Dasselbe gilt für kollektive Identitäten, die ständig chem das Überleben einiger Zivilisten in einer um- neu bestätigt werden müssen, weil sie sonst ihre kämpften Stadt während eines Bürgerkriegs nach Bindungskraft verlieren. In eine ähnliche Richtung dem Vorbild Sarajewos simuliert wird, soll sich 4,5 dachte etwa der Gesellschaftstheoretiker Niklas Millionen Mal verkauft haben. Luhman: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch 4. Die EU in digitalen Spielen die Massenmedien.“9 Ein wesentlicher Teil dieser Identitätskonstruktion findet also auch in der Popu- „Das in Spielen kennengelernte Europabild lärkultur statt. Gerade das regelmäßige und beiläufi- steht in diametralem Gegensatz zum Selbst- ge Aufnehmen solch einzelner Identitätsbausteine in verständnis der Europäischen Union als Frie- einem privaten oder semiprivaten Umfeld ist von im- densprojekt. Dem gilt es langfristig entgegen- manenter Bedeutung für den Erfolg kollektiver Iden- zuwirken.“ titäten. Digitale Spiele sind hier nicht einfach nur ein beliebiges Unterhaltungsprodukt unserer Zeit, sie sind ein Massenmedium geworden. Laut der Stu- die “Gaming in Austria” spielten 2017 4,9 Millionen ÖsterreicherInnen digitale Spiele.10 Der Einfluss digi- 11) Ausführlich nachzulesen in Eugen Pfister, „Der Politische taler Spiele auf unsere Gesellschaft und Kultur be- Mythos als diskursive Aussage im digitalen Spiel. Ein Beitrag schränkt sich dabei aber nicht auf wachsende Spie- aus der Perspektive der Politikgeschichte“, in: Thorsten Junge und Claudia Schumacher (Hg.), Digitale Spiele im Diskurs. Ha- lerInnenzahlen. Computerspiele sind immer auch gen 2018. URL: http://www.medien-im-diskurs.de (15.05.2019). 12) Während Indie Games ein Sammelbegriff für kleinere Spiel- produktionen (geläufig mit einem gewissen künstlerischen An- 9) Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, Wiesba- spruch, die manchmal bewusst „schwierigere Themen“ wie den den 2009, 9. Krebstod des eigenen Kindes verarbeiten) sind, bezeichnen “Serious games” Spiele, die häufig einen erzieherischen Auftrag 10) “Gaming in Austria 2017” in: ovus.at, URL: https://www. verfolgen und nicht primär auf den Spielspaß ausgelegt sein ovus.at/news/fast-5-millionen-osterreicher-spielen-videoga- müssen oder auf ein sonstiges extrinsisches Ziel wie etwa die mes/ (15.05.2019). Therapie bestimmter Krankheiten ausgerichtet sind. 4 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 13’2019 Wie sieht es aber mit dem bisherigen Europabild Zusammentreffen von (meist jungen) EntwicklerIn- in digitalen Spielen aus? Abgesehen von zwei Wer- nen, in interdisziplinären Game Jams oft auch in bespielen der deutschen Regierung aus den 1990er Zusammenarbeit mit Menschen aus ganz anderen Jahren und zwei direkt bzw. indirekt von europäi- Betätigungsfeldern wie zum Beispiel JournalistInnen schen Institutionen finanzierten Browserspielen fin- und SoziologInnen. Ziel ist es, zu einem konkreten den sich quasi keine Darstellungen der Politik der Thema innerhalb kürzester Zeit experimentelle Spie- EU in kommerziellen Spielen.13 In diesen wird die le-Prototypen zu entwickeln, die im Idealfall später zu EU, wenn überhaupt, dann paradoxerweise als Mi- vollwertigen Spielen weiterentwickelt werden kön- litärbündnis dargestellt. Vor allem in dystopischen nen. Aber auch die innerhalb von ein bis drei Tagen Zukunftsszenarien konnte sie sich als Militärmacht entstandenen Prototypen müssen bereits spielbar konsolidieren, die in einem Fall um die militärische sein und werden meist gratis entweder auf eigens Kontrolle der ehemaligen USA mitstreitet – Shatte- zur Verfügung gestellten oder auch auf bestehenden red Union – oder gar als einzige von zwei Super- Online-Plattformen wie itch.io einem interessierten mächten auf einer verwüsteten Erde um die Vor- Publikum zum Download angeboten. Es geht vor herrschaft kämpft – Battlefield 2142. Es ist also fast allem darum, innerhalb kurzer Zeit kreative Lösun- immer ein Blick von außen, der in diesen Imaginati- gen zu entwickeln, aber auch darum, zu konkreten onen Europas mitschwingt, aus einer vermutlich vor Themen, die sich nicht auf den ersten Blick dafür zu allem US-amerikanischen Perspektive: Die EU wird eignen scheinen, Spiele zu entwickeln. Genau aus als wohlhabendes, hoch entwickeltes Militärbündnis diesem Grund eignen sich europäische Themen wie und als Alliierter dargestellt und/oder als unzuver- das Funktionieren des Parlaments, die Arbeit des lässiger und handlungsunfähiger Partner der USA. Europäischen Rats, oder aber auch geschichtliche Das in Spielen kennengelernte Europabild steht so in Episoden, wie zum Beispiel (West-)Europa vor dem diametralem Gegensatz zum Selbstverständnis der Abgrund nach dem Zweiten Weltkrieg, für solche Europäischen Union als Friedensprojekt. Dem gilt es Game Jams, da sie positiv in Herausforderungen für langfristig entgegenzuwirken. Statt aber eigene Wer- EntwicklerInnen umgedeutet werden können. bespiele zu finanzieren, wäre es wichtiger, Impulse zu setzen, die junge EntwicklerInnen dazu motivie- Hier gibt es bereits erfolgreiche Zusammenar- ren könnten, sich intensiver mit dem Thema ausein- beiten mit politischen Akteuren und NGOs wie zum anderzusetzen. Langfristig wäre dafür eine europa- Beispiel den jährlichen Game Jam der deutschen weite Förderungsschiene für SpieleentwicklerInnen Bundeszentrale für Politische Bildung, der zuletzt zielführend, die nachhaltig die Entwicklung europä- 2018 zu dem Thema „Diskriminiert, ausgeschlos- ischer Spiele garantieren könnte. Kurzfristig und so- sen, radikalisiert? Game Jam für Respekt und ge- zusagen als ersten Schritt kann man aber auch die gen Gewalt“ veranstaltet wurde.14 Vor allem die sehr aktive junge EntwicklerInnenszene in Österreich Organisation überregionaler Game Jams (wie des und in anderen europäischen Ländern recht einfach Global Game Jam und Ludum Dare), also an der mittels sogenannter Game Jams aktivieren. sich EntwicklerInnen ungeachtet ihres Standorts online beteiligen können, ist dabei mit überschau- 5. Europa-Game Jams baren Kosten verbunden, da die einzige Voraus- setzung dafür die Vernetzung der TeilnehmerInnen Game Jams bezeichnen kurze in sich abge- ist. Die Herausforderung ist vielmehr mittels Öffent- schlossene örtlich gebundene oder auch virtuelle lichkeitsarbeit interessierte TeilnehmerInnen zu er- 13) Ausführlich nachzulesen in: Eugen Pfister, “Which Button do I have to press if I want to play Europe?” Imaginationen der 14) „Bpb:game jam wiki“ URL: https://game-jam.bpb.de/doku. europäischen Integration im digitalen Spiel in Historische Mittei- php?fbclid=IwAR113u5jmBBant5xrBEDsNRAFD6LcSRMa4YrvI lungen 29/2017, 177-192. MS5XCNWDblIEORxOMjPiI (15.09.2019). Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 5
ÖGfE Policy Brief 13’2019 reichen und anzusprechen. Hier könnte durch die tInnen, WissenschaftlerInnen usw., ein Bewusstsein gezielte Kooperation mit bereits etablierten Organi- für die Sinnhaftigkeit und Zukunft der Europäischen satorInnen innerhalb kurzer Zeit eine große Anzahl Integration zu erwecken, auf das sie dann im wei- interessierter EntwicklerInnen erreicht werden. In teren Verlauf ihrer Karrieren zurückgreifen können. Österreich könnte so zum Beispiel auf die Erfahrun- Sie funktionieren dementsprechend als Multiplikato- gen bereits etablierter Game Jam-OrganisatorInnen rInnen. Dasselbe gilt für vergleichbare Projekte an wie Johanna Pirker von der TU Graz und Phil Gosh Schulen. Die Übersetzung konkreter Themen, wie zurückgegriffen werden, die alljährlich im Rahmen z.B. die Integrationsgeschichte der unmittelbaren der Global Game Jams einen “Global Game Jam Nachkriegszeit in digitale Spiele ist dabei ein extrem Graz”15 organisieren. starker Lernmoment. Zugleich könnte aber auch die Übersetzung in einen spielerischen Rahmen dabei Eine spannende Anwendungsmöglichkeit zeigt helfen, politischen AkteurInnen zu zeigen wie sich uns auch die Arbeit von “Playfuls Solutions” (Kon- die Arbeit der EU besser kommunizieren lässt. stantin Mitgutsch und Lena Robinson), die geför- dert vom österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung im Rahmen des Projektes “We make games” an 25 österreichi- Weiterführende Literatur schen Schulen mit SchülerInnen bei der Umsetzung von Spielideen geholfen haben.16 • Thomas Meyer, Die Identität Europas, Frank- furt am Main 2004. 6. Zusammenfassung und Politikempfehlungen • Eugen Pfister, Europa im Bild. Imaginationen Europas in Wochenschauen in Deutschland, „Es könnten sowohl lokale als auch über- Frankreich, Großbritannien und Österreich regionale und europäische Game Jams zu 1948–1959, Göttingen 2014. konkreten europäischen Themen veranstaltet werden.“ • Eugen Pfister, “Which Button do I have to press if I want to play Europe?” Imaginationen Um langfristig die Etablierung europäischer The- der europäischen Integration im digitalen Spiel men in digitalen Spielen zu garantieren, wäre eine in Historische Mitteilungen 29/2017, 177-192. einheitliche Förderschiene am zielführendsten. Die zuvor genannten Beispiele zeigen aber auch ein- • Wolfgang Schmale, Geschichte und Zukunft drücklich das Potenzial von Game Jams zu europä- der Europäischen Identität, Stuttgart 2008. ischen Themen: Es könnten sowohl lokale als auch überregionale und europäische Game Jams zu kon- kreten europäischen Themen veranstaltet werden. Dabei sollte das Hauptziel weniger die Entwicklung von kommerziell erfolgreichen Spielen sein, son- dern vielmehr, bei der nachwachsenden Entwickle- rInnen-Generation und im Austausch mit Journalis- 15) „Global game Jam Graz 2019“, URL: http://gamedevgraz. at/event/global-game-jam-2018-2/ (15.09.2019) 16) „Playful Solutions“, URL: http://www.playfulsolutions.net/ we-make-games/ (15.09.2019) 6 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 13’2019 Über den Autor Dott. Ric. Dr. phil. Eugen Pfister leitet seit 2018 das SNF-Ambizione-Forschungsprojekt “Horror-Game-Politics” (https://hgp.hypotheses.org/) an der Hochschule der Künste Bern - HKB. Er hat an der Universität Wien und an der Universität Paris IV Geschichte und Politik- wissenschaft studiert und anschließend an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und an der Universita degli studi di Trento zu Europabildern in Wochenschauen promoviert. Von 2016 bis 2017 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaft und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er unterrichtet seit 2010 an der Universität Wien und an der Donau Universität Krems Geschichte und Game Studies und ist Gründungs-Mitglied des Arbeitskreises „Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele” (https://gespielt.hypotheses.org/). Kontakt: eugen.pfister@univie.ac.at Über die ÖGfE Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) ist ein parteipolitisch unabhän- giger Verein auf sozialpartnerschaftlicher Basis. Sie informiert über die europäische In- tegration und steht für einen offenen Dialog über aktuelle europapolitische Fragen und deren Relevanz für Österreich. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Bezug auf die Förderung einer europäischen Debatte und agiert als Katalysator zur Verbreitung von eu- ropapolitischen Informationen. ISSN 2305-2635 Impressum Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kom- Österreichische Gesellschaft für Europapolitik men, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder Rotenhausgasse 6/8-9 jenen, der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein. A-1090 Wien, Österreich Schlüsselwörter Generalsekretär: Mag. Paul Schmidt Europäische Identität, Computerspiele, Politische Identi- tät, Politische Kommunikation, Europäische Integrations- Verantwortlich: Dr. Susan Milford-Faber geschichte, Game Jam, Zivilgesellschaft, Öffentlichkeit Tel.: +43 1 533 4999 Zitation Fax: +43 1 533 4999 – 40 Pfister, E. (2019). Press X to Unify Europe: Digitale Spiele E-Mail: policybriefs@oegfe.at und ihr Potenzial für eine kollektive europäische Identität. Wien. ÖGfE Policy Brief, 13’2019 Web: http://oegfe.at/policybriefs Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 7
Sie können auch lesen