DIE FINANZIALISIERTE WOHNUNGSWIRTSCHAFT IST SOZIALISIERUNGSREIF - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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STANDPUNKTE 4 / 2022

                          KNUT UNGER

                          DIE FINANZIALISIERTE
                          ­WOHNUNGSWIRTSCHAFT IST
                           ­SOZIALISIERUNGSREIF
                          FÜR EINE VERGESELLSCHAFTENDE REGULATION DER IMMOBILIENÖKONOMIE

                          In den letzten drei Jahrzehnten hat sich das Wohnungswesen in mehreren Schüben in ein Terrain der globalen Finanzin-
                          dustrie verwandelt. Im Zuge der Durchsetzung von Shareholder Value und Investmentbanking, von Steuer- und Föderalis-
                          musreformen löste sich die im 20. Jahrhundert geschaffene Wohnungsinfrastruktur des güterindustriellen Kapitalismus
                          in «Anlageklassen» globaler Finanzströme auf. Ein wichtiger Schauplatz dieser Entwicklung war die Finanzialisierung der
                          einstmals «gemeinnützigen» unternehmerischen Wohnungswirtschaft. Auf die Abschaffung der Wohnungsgemeinnüt-
                          zigkeit 1990 folgten in den Nullerjahren der Ausverkauf ihrer Wohnungen an die Private-Equity-Fonds und dann ab 2012
                          die Börsengänge der von ihnen geschaffenen Wohnungsplattformen.

                          Kaum zehn Jahr später hat eine dieser Plattformen, die in Vo-    Sektors privatisierter Gebrauchtimmobilien, sondern die in-
                          novia umbenannte ehemalige Deutsche Annington, meh-              dustriell organisierte Abschöpfung von Renditen aus dem
                          rere Konkurrenten geschluckt. Seit der Übernahme von             gesamten Produktions-, Bewirtschaftungs- und Erneue-
                          Deutsche Wohnen im Jahr 2021 besitzt die Vonovia rund            rungsprozess der Wohngebiete.
                          ein Drittel der etwa 1,2 Millionen Mietwohnungen, die in            Der Gedanke, diesen Selbstermächtigungsprozess des
                          Deutschland für die Zirkulation von Finanzkapital direkt zur     Immobilienkapitals umzukehren, indem man ihm seine ei-
                          Verfügung stehen.1 Noch nie konzentrierte sich so viel woh-      gene Melodie vorspielt, liegt nahe. Mit dem Vergesellschaf-
                          nungswirtschaftliche und wohnungspolitische Macht in ei-         tungsartikel 15 Grundgesetz scheint die verfassungskonfor-
                          nem börsennotierten Konzern.                                     me Lösung für die Vergesellschaftung des Grundeigentums
ROSA LUXEMBURG STIFTUNG

                             Die Mitwirkung von Teilen des Berliner Senats an der Orga-    und der Produktionsmittel der Wohnungskonzerne bereits
                          nisation des Deutsche-Wohnen-Deals2 und die zahlreichen          vorformuliert. Die Berliner Initiative «Deutsche Wohnen &
                          wohnungspolitischen Empfehlungen von Vonovia-Chef Rolf           Co enteignen» hat den Zorn über die Mietenexplosion erfolg-
                          Buch3 zeigen, dass wir in eine dritte Phase der Finanzialisie-   reich in dieser transformativen Idee gebündelt und im Herbst
                          rung des Wohnungswesens eingetreten sind. Vonovia & Co.          2021 einen Volksentscheid mit fast 60 Prozent Zustimmung
                          bieten sich dem Staat als Partner an und beanspruchen zu-        für eine Vergesellschaftung gewonnen. Eine Umsetzung ist
                          gleich offen eine maßgebliche Einflussnahme auf die Spiel-       angesichts der starken Gegenkräfte damit aber noch lange
                          regeln der Wohnungswirtschaft. Ihr Interesse gilt stabilen       nicht erreicht. Viele Hürden türmen sich auf. Die Garantie
                          Rahmenbedingungen für stetig steigende Mieteinnahmen             des privaten Grundeigentums gilt als ein Pfeiler der bürger-
                          und für einen rentierlichen Neubau. Unter diesen Bedingun-       lichen Gesellschaft und ihrer Freiheitsrechte. Es ist erstaun-
                          gen nehmen sie gewisse Beschränkungen bei den Mieterhö-          lich, dass sich die Stimmung in Berlin überhaupt so schnell
                          hungen und – gegen staatliche Zuschüsse – zeitweise Sozi-        von diesem Basismythos des Liberalismus abwenden konn-
                          albindungen in Kauf. Verlässliche Rahmenbedingungen und          te. Ein Stimmungsumschwung allein schafft aber noch kei-
                          öffentliche Förderung wünschen sie sich auch für den lukra-      ne neue Realität. Das konzentrierte Immobilienkapital ist ein
                          tiven Ausbau regenerativer Energien in den Quartieren. Ihre      wesentliches Element des finanzdominierten Akkumula­
                          Aktien und Anleihen wollen sie nach politisch legitimierten      tions­regimes. Seine Netzwerke und Strukturen, Verfahrens-
                          Standards4 weltweit als «grüne» Investments vermarkten.          weisen und Ideologien durchziehen das ganze wohnungs-
                          Ihr Ziel ist nicht mehr nur die Verwertung eines begrenzten      wirtschaftliche Feld. Ein Erfolg bei einer Volksabstimmung
ist nicht gleichbedeutend mit der Gewinnung der staatlichen      den renditeorientierten Konzernen würde eine demokrati-
Gestaltungsmacht, die erforderlich wäre, um all dies zu än-      sche Verfassung der Wohnungsgemeinwirtschaft treten.
dern. Die Vergesellschaftung ist Ziel eines langwierigen und     5. Das frustrierende Konzernkommando über den Wohnall-
vielschichtigen Transformationsprozesses, dessen legislati-      tag könnte durch Elemente der Mitbestimmung und Selbst-
ve Seite hier jetzt als «vergesellschaftende Regulation» be-     organisation überwunden werden. 6. Dabei müsste auf den
zeichnet wird.                                                   mit der Betriebsgröße verbundenen Effizienzgewinn nicht
                                                                 verzichtet werden.
DIE FINANZIALISIERTE WOHNUNGSWIRT-                                 Reale Vergesellschaftung ist nie als ein einmaliger Akt vor-
SCHAFT IST SOZIALISIERUNGSREIF                                   stellbar. In der Praxis geht es immer um einen langwierigen,
Es ist nicht allein die Gewalt existenzbedrohender Mietstei-     vielschichtigen und auch mehrdeutigen Prozess. Sozialisie-
gerungen. Es sind vor allem die Dynamik und Effizienz der        rungsreife der Wohnungswirtschaft kann bedeuten, dass die
Übernahme von immer mehr Lebensbereichen, öffentlichen           Überführung bestimmter Segmente des Immobilieneigen-
Funktionen und Zukunftsoptionen durch die Wohnungsfinan-         tums in Gemeineigentum geeignet und gesellschaftlich er-
zindustrie, die uns vor Augen führen, dass eine grundlegen-      wünscht erscheint. Sozialisierungsreife kann man aber auch
de Umkehr nötig ist. Egal ob man die soziale Wohnungsfra-        generell als Handlungsbedarf verstehen, die bestehende Re-
ge, den Klimawandel, die Gefahren für die Demokratie oder        gulation der Wohnungswirtschaft neu auszurichten.
schlicht die Empörung über die systematischen Täuschungen
durch Vonovia & Co. in den Mittelpunkt stellt: Der finanziali-   DAS BERLINER SIGNAL
sierte Sektor der Wohnungswirtschaft muss dringend unter         Die Berliner Initiative «Deutsche Wohnen & Co enteignen»
gesellschaftliche Kontrolle gebracht werden. Oder, um es mit     hat die Enteignung und Vergesellschaftung von Wohnungen
einem historischen Begriff zu umschreiben: Die finanzialisier-   großer Eigentümer zu einer basisbewegenden und realpoli-
te Wohnungswirtschaft ist sozialisierungsreif.                   tischen Option auf Landesebene gemacht. Bei einem Erfolg
   Als es nach der Novemberrevolution 1918 zu starken ge-        dieser Initiative könnte zumindest in Berlin ein Teil der Fol-
sellschaftlichen Bewegungen für die «sofortige Sozialisie-       gen der Deregulierungen und Privatisierungen vergangener
rung» der Großindustrie, insbesondere des Bergbaus, kam,         Jahrzehnte rückgängig gemacht werden. In Berlin könnte ei-
wurde von Vertretern der Mehrheitssozialdemokratie gern          ne starke gemeinwirtschaftliche Basis für ein leistungsfähi-
mit vulgärmarxistischen Formeln bestritten, dass die Ent-        ges und soziales Wohnungswesen geschaffen werden, das
wicklung der Produktivkräfte für einen derartigen Schritt        den Finanzmärkten zum Teil entzogen wäre.
«reif» sei.5 In der radikalen Linken wurde diese Rhetorik um-       Mit dem am 26. September 2021 gewonnenen Volksent-
gekehrt, die Sozialisierung wurde zur Voraussetzung der Pro-     scheid (59,1 Prozent derjenigen, die sich an der Abstimmung
duktivitätssteigerung erklärt. In der «Sozialisierungs-Kom-      beteiligten, das sind mehr als eine Million Berliner*innen,
mission über die Neuregelung des Wohnungswesens»6 ging           votierten für die Enteignung großer privater Wohnungsun-
es, wie schon der Name sagt, um ein breites Spektrum all         ternehmen) hat die eigentliche Auseinandersetzung aber
dessen, was man auch als Regulation der Vermietung und           erst begonnen. Die Vergesellschaftungsidee muss sich ge-
Förderung des Wohnungsbaus bezeichnen könnte, aller-             gen den seit Jahrzehnten in den Köpfen, Parteien, Behörden
dings immer unter Einschluss der Option einer gemeinwirt-        und Gesetzen verankerten neoliberalen Mainstream durch-
schaftlichen Organisationsform. Später in der Weimarer Re-       setzen. Wichtige Teile der Berliner Landesregierung setzen
publik entwickelte sich eine differenziertere Diskussion dazu,   lieber auf Deals mit den Konzernen als auf deren Abschaf-
welche Betriebe für eine Vergesellschaftung geeignet seien       fung. Egal, welche Ergebnisse die vom Senat eingesetzte
und wie sie jeweils organisiert werden sollte. Der bekannte      «Expertenkommission» zur Umsetzung des Volksentscheids
Wohnungsreformer Klaus Novy meinte in den utopiekritisch         erarbeiten wird, Hauseigentümerverbände, Finanzlobby
werdenden 1970er-Jahren, es sei sinnvoller, anstatt von «So-     und neoliberale Parteien werden Sturm laufen gegen diese
zialisierungsreife» von «Bedingungen», «Voraussetzungen»         grundsätzliche Alternative zum Wohnraum als Anlageob-
oder «Ansatzpunkten» der Sozialisierung zu sprechen.7 Da-        jekt. Sie werden alles versuchen, das Vorhaben vor den Ver-
bei geht allerdings die Dimension des gesellschaftlichen Be-     fassungsgerichten zu Fall zu bringen, so, wie es ihnen beim
dürfnisses und Begehrens nach sozialisierender Umgestal-         «Berliner Mietendeckel» schon gelungen ist. Sie werden im
tung ebenso verloren wie die Tatsache, dass die Entwicklung      Bedarfsfall sicherlich auch noch das europäische Beihilfe-
des Kapitalismus zwar nicht mit teleologischer Notwendig-        recht, die Kapitalverkehrsfreiheit, den internationalen Inves-
keit auf seine sozialisierende Aufhebung hinausläuft, sehr       titionsschutz und überhaupt den drohenden Niedergang
wohl aber der Akkumulationsprozess des Kapitals die Frage        Deutschlands als Finanzstandort ins Feld führen. Und sie
nach seiner sozialisierenden Aneignung auf immer wieder          werden Entschädigungen einfordern, die für sie noch lukrati-
neuem Niveau aufwirft.                                           ver wären als die Fortsetzung der jetzigen Geschäfte.
   Aktualisieren wir den Begriff Sozialisierungsreife und           Um den eröffneten, voraussichtlich langen Kampf um den
wenden ihn auf die heutige Wohnungsfrage an, so lassen           Charakter des Wohnungswesens durchzuhalten, braucht es
sich die folgenden Argumente identifizieren: 1. Die Verge-       deswegen nicht nur in Berlin Kampagnen und Konzepte und
sellschaftung der unternehmerischen Wohnungswirtschaft           zunächst vor allem: eine viel breitere Diskussion über die Zie-
könnte die Abschöpfung von Mieten für private Renditen be-       le und Strategie der Vergesellschaftung der Wohnungsbe-
enden. 2. Die Mieten könnten gesenkt oder für den gemein-        stände in Deutschland und darüber hinaus. Diese darf sich
wirtschaftlichen Neubau verwendet werden. 3. Die bei den         nicht auf einen bestimmten Sektor der Wohnungswirtschaft
Großvermietern angehäuften knappen Güter Wohnung, Bo-            beschränken. Wenn alle Wohnungen finanzmarktorientier-
den und Baukapazität würden für die gesellschaftliche Be-        ter Großvermieter in Deutschland vergesellschaftet würden,
darfsdeckung umverteilt bzw. umorganisiert. 4. An die Stel-      würde das immerhin gut fünf Prozent des Mietwohnungsbe-
le weiterer Machtansammlung und Markbeherrschung bei             stands ausmachen, in einigen Städten und Regionen – Ber-          2
lin, Dresden, Kiel, Ruhgebiet usw. – auch wesentlich mehr.        durch das Planungs- und Mietrecht. Der aktuelle Entwick-
    Für eine reale Vergesellschaftung fehlen aber die Rahmenbe-       lungsstand dieser Eingriffe erlaubt aber offensichtlich kei-
    dingungen wie geeignete Träger, für diesen Umfang erprobte        ne befriedigende Lösung der bestehenden Wohnungskrise.
    nicht-renditeorientierte Steuerungsmodelle, an Gemeinwohl-        Um das Recht auf Wohnung und die Sozialpflichtigkeit des
    zielen orientierte Manager*innen, in vielen Städten auch das      Eigentums durchzusetzen, sind heute ergänzend zum Zivil-
    benötigte zivilgesellschaftliche Engagement und nicht zuletzt     recht öffentlich-rechtliche Regulationen erforderlich, wie ge-
    ein Bewertungs- und Entschädigungsgesetz, das nicht dar-          meinwohlverträgliche Mietoberwerte, Grundsätze der Woh-
    auf hinausläuft, dass die Anleger*innen von Vonovia & Co. am      nungsbewirtschaftung und der Wohnungsüberlassung.
    Ende zu den Gewinner*innen werden und die Mieter*innen            Insoweit diese nicht ausreichen, kommen in Einzelfällen als
    jahrzehntelang die Schulden der Übernahme abbezahlen              letztes Mittel auch Enteignungen gemäß Artikel 14 GG in Be-
    müssen. Die vergesellschaftende Enteignung kann als iso-          tracht. Eine bundesweite gesetzliche Grundlage dafür gibt es
    lierte Maßnahme also kaum funktionieren. Neben konkre-            aber nicht. Und insofern die Wohnungskrise Ausdruck eines
    ten Vorstößen wie in Berlin braucht es auf allen Ebenen einen     grundsätzlichen «Marktversagens» ist, wäre eine spezifische
    programmatischen Ansatz, bei dem unterschiedliche Instru-         Enteignung auch nicht zielführend. Hier kommt die Verge-
    mente und Experimente mit ihren diversen Handlungsebe-            sellschaftung eines Wohnungswirtschaftsbereichs im Sinne
    nen, Akteuren, Zeithorizonten und Realisierungschancen in         von Artikel 15 GG ins Spiel. Da auch diese zu Eingriffen in das
    einen vielstimmigen Prozess einfließen können.                    Eigentumsrecht führt, bedarf es der Prüfung ihrer Verhältnis-
                                                                      mäßigkeit.
    DIE VERFASSUNG DES WOHNENS                                           Die Eigentumsgarantie ist ein elementares Grundrecht. Sie
    NEU ­V ERHANDELN                                                  ist aber weder statisch noch unbestimmt oder grenzenlos.
    In Artikel 15 Grundgesetz (GG) heißt es, dass Grund und Bo-       Das Eigentum existiert nach Artikel 14 GG nur im Rahmen
    den, Naturschätze und Produktionsmittel «zum Zwecke der           seiner gesetzlich regulierten Inhalts- und Schrankenbestim-
    Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß           mungen und diese sind einem historischen Wandel unter-
    der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder eine an-         worfen. Artikel 15 GG fügt diesen Bestimmungen in Bezug
    dere Form der Gemeinwirtschaft überführt werden» können.          auf Immobilien die Möglichkeit eines Wechsels der Eigen-
    Der Artikel war 1949 nach intensiven Verhandlungen in Kraft       tums- oder Wirtschaftsform hinzu. Dieser Wechsel ist aber
    getreten.8 Bei der Vergesellschaftung im Sinne von Artikel 15     nur dann verhältnismäßig, wenn er besser als regulatorische
    GG handelt es sich um einen Zweck, der sowohl durch die           Maßnahmen mit geringerer Eingriffstiefe dazu geeignet ist,
    Überführung von Privateigentum in Gemeineigentum (ent-            das Recht auf eine angemessene Wohnung sicherzustellen.
    eignende Vergesellschaftung) als auch durch eine Transfor-        Zudem muss es zu einem Interessenausgleich kommen, für
    mation in andere Formen der Gemeinwirtschaft, die nicht           den im Falle der enteignenden Vergesellschaftung ausdrück-
    unbedingt eine Enteignung voraussetzen, erreicht werden           lich eine Entschädigung vorgeschrieben ist. Diese kann je-
    kann. Anders als die Enteignung nach Artikel 14 GG muss die       doch, anderes als bei der Enteignung nach Artikel 14 GG, un-
    Vergesellschaftung nicht aus einer spezifischen Notwendig-        terhalb der Verkehrswerte liegen.12
    keit in einem spezifischen Allgemeininteresse erfolgen. Es           Die Forderung nach Wohnungsvergesellschaftung, ins-
    handelt sich um eine Option des Gesetzgebers im Rahmen            besondere in ihrer enteignenden Variante, würde ohne Er-
    des hinsichtlich der Wirtschaftsverfassung grundsätzlich          wägung möglicher Änderungen der Inhalts- und Schranken-
    «neutralen» Grundgesetzes.9 Da die Ausübung dieser Option         bestimmung des Eigentums zu einer Fehlbewertung ihrer
    jedoch zu Einschränkungen von Grundrechten führen kann,           Zulässigkeit führen. Im Rahmen einer Sozialisierungsstrate-
    insbesondere des Eigentumsrechts, muss sie gleichwohl le-         gie müssen alle das Wohnen betreffenden Rechtsverhältnis-
    gitim, geeignet und verhältnismäßig sein.                         se auf ihre Gemeinwohlwirkung hin überprüft werden.
      Zur Legitimation der Wohnungsvergesellschaftung kann
    man sich auf das Menschenrecht auf eine angemesse-                DIALEKTIK DER MIETWOHNUNG
    ne Wohnung berufen. Der deutsche Staat ist aufgrund des           Die verfassungsrechtlichen Festschreibungen der Sozial-
    völkerrechtsverbindlichen Internationalen Pakts über wirt-        pflichtigkeit des Eigentums und der Vergesellschaftungsop-
    schaftliche, soziale und kulturelle Rechte10 dazu verpflichtet,   tion erfolgten historisch in Reaktion auf die Krisen- und Kata-
    sich darum zu kümmern, dass jeder Mensch Zugang zu ei-            strophenerfahrungen des entfalteten Industriekapitalismus
    ner für sie/ihn bezahlbaren, sicheren physisch erreichbaren       des 19. und 20. Jahrhunderts. Dieser basiert bekanntlich
    und der Gesundheit zuträglichen Wohnung hat. Das Grund-           auf Warenproduktion und dem Privateigentum an Produk-
    gesetz erwähnt zwar nicht ausdrücklich ein Recht auf Woh-         tionsmitteln und Land. Die Wohnung ist unter diesen Be-
    nung, aber die garantierten Grundrechte müssen angesichts         dingungen ebenso eine Ware wie andere Güter, auch wenn
    der Wohnungskrise konsequenter im Lichte des Menschen-            sie Besonderheiten aufweist. Dazu gehören ihre Immobi-
    rechts auf Wohnen interpretiert werden. Dem kommt ent-            lität, ihre hohen Erstellungskosten, ihre Langlebigkeit, die
    gegen, dass das Bundesverfassungsgericht das Besitzrecht          eingeschränkte Reproduzierbarkeit und ihre Beleihbarkeit,
    an der Mietwohnung dem Recht auf Eigentum gleichgestellt          alles Eigenschaften, die sie für die Nutzung als Wertspei-
    hat.11 Im Falle der Mietwohnung muss es demnach zu einem          cher akkumulierten Kapitals besonders tauglich machen.
    Interessenausgleich zwischen zwei Rechtssubjekten kom-            In der Mietwohnung liegt zudem unmittelbar «Leihkapital
    men, die beide mit dem Freiheitsrecht auf Eigentum ausge-         in Warenform»13 vor. Die Nutzung der Mietwohnung als Fi-
    stattet sind.                                                     nanzanlage ist also keine ihre übergestülpte Entartung, sie ist
      Artikel 14, Absatz 2 GG verpflichtet die Rechtssubjekte         in ihrem spezifischen Warencharakter angelegt, auch wenn
    zu einem Gebrauch des Eigentums, der zugleich dem All-            sich diese Eigenschaft unter den gegenwärtigen Bedingun-
    gemeinwohl dient. Diese Sozialpflichtigkeit rechtfertigt seit     gen des globalen Finanzmarktkapitalismus besonders stark
3   Langem Eingriffe in das Immobilieneigentum, zum Beispiel          zeigt.
Ökonomie und Geschichte der Mietwohnverhältnisse sind           nungskrisen durch ein bloßes «Bauen, bauen, bauen». Die
geprägt von dem Widerspruch zwischen dem Charakter                 Beschränkung der natürlichen Ressourcen radikalisiert die
der Wohnung als einem lebensnotwendigen Gut einerseits             soziale Wohnungsfrage als Verteilungsfrage. Das Bundes-
und ihrem Charakter als handelbare Finanzanlage anderer-           verfassungsgericht hat vor Kurzem in seinem Urteil zum Kli-
seits. Dieser widersprüchliche Charakter der Ware Wohnung          maschutz den Verfassungsrang der intergenerationellen Ge-
schließt einen «naturwüchsigen» Ausgleich zwischen An-             rechtigkeit hervorgehoben.16 Die bedeutet auch: Der Staat
gebot und Bedarf aus. Produktion, Verteilung und Finanzie-         muss dafür sorgen, dass der aktuelle Verbrauch natürlicher
rung der Ware Mietwohnung sind stets reguliert. Schon dass         Ressourcen für das Wohnen nicht die Erfüllung des Rechts
Grundstücke und die darauf errichteten Gebäude gehandelt,          zukünftiger Generationen auf gutes Wohnen verunmöglicht.
beliehen und verliehen werden, beruht auf der rechtlich ko-          Es geht heute nicht mehr lediglich darum, Fehlentwicklun-
dierten Grundeigentumsfiktion der bürgerlichen Gesell-             gen des liberalistisch gefassten Grundeigentums unter Beru-
schaft.14 In diesen Code muss immer wieder regulativ einge-        fung auf die Sozialpflichtigkeit gelegentlich einzuschränken
griffen werden, um die Reproduktion von Gesellschaft und           oder durch öffentliche Förderung auszugleichen. Es geht
Kapital zu sichern.                                                auch nicht nur darum, in einem Teilsegment des Wohnungs-
   In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstand         markts die Grundeigentümer auszutauschen. Es geht dar-
Wohnungspolitik aus Notstandseingriffen in die Privatauto-         um, die Inhaltsbestimmungen des Eigentums an Wohnim-
nomie. In zahlreichen Ländern kam es zu zunächst tempo-            mobilien neu vorzunehmen, und zwar in Übereinstimmung
rär angelegten Maßnahmen zur Begrenzung von Mieten,                mit dem Menschenrecht auf gutes Wohnen und Anforde-
deren baldige Abschaffung dann an der unveränderten Woh-           rungen gerechter Naturverhältnisse. Da wo privatnütziger Fi-
nungsnot und starken Protesten scheiterte.15 Das knappe            nanzmarkt war, soll und muss gemeinnütziges Wohnungs-
Gut Wohnung musste mittels einer öffentlichen Zwangsbe-            wesen werden.
wirtschaftung zugeteilt werden, da trotz der Bemühungen
des gemeinnützigen Wohnungsbaus keine Bedarfsdeckung               SOZIALISIERENDE REGULATION
erreicht werden konnte. Diese Wohnungsnotstandspolitik             Die erforderliche Politik «sozialisierender Regulation» be-
wurde im Zuge des Wirtschaftswachstums nach dem Zwei-              trifft das ganze Feld des Wohnungswesens und der sozia-
ten Weltkrieg in die Phase fordistisch regulierter Massenpro-      len Raumentwicklung: Bodennutzung, Preisbestimmungen,
duktion übergeleitet. Durch starke Eigenheimförderung und          Verteilung und Bewirtschaftung. Sozialisierend und nicht nur
die Einbindung des Wohnungsbaus in die durch Staat und             übergreifend ist sie zu nennen, weil jeder ernst gemeinte Ver-
Banken koordinierten industriellen Wachstumsschübe sollte          such, Symptome der Systemkrise zu bekämpfen, einen Be-
die Wohnungsfrage in absehbarer Zeit den staatlich gepush-         darf nach weitergehenden Marktregulierungen erzeugt. Dies
ten «Marktkräften» überlassen werden. Öffentlich-rechtli-          zeigt sich nicht zuletzt an der Idee eines «Mietendeckels».
che Mietpreisbindungen und Wohnungsbewirtschaftungen               Unter den Bedingungen einer von Produktion und Löhnen
wurden stückweise abgeschafft und durch das marktorien-            entkoppelten Immobilienpreisentwicklung ist nicht mehr
tierte Vergleichsmietensystem sowie das zivile Mietrecht er-       vorstellbar, dass die Bezahlbarkeit allein mithilfe des an der
setzt. Ab den 1980er-Jahren erfolgte dann der neoliberale          Marktpreisentwicklung orientierten Vergleichsmietensys-
Abbau der fordistischen Wohnungsregulation, vor allem der          tems («Mietspiegel») gesichert werden kann. Die konse-
Wohnungsgemeinnützigkeit (1990) und der Zuständigkeit              quente Antwort wäre eine dauerhafte Festsetzung von lo-
des Bundes für die Wohnungsbauförderung (Föderalismus-             kalen Miethöchstwerten oder andere Formen drastischer
reformen). Das «Wohnungswesen», das zuvor als ein spezifi-         Mietpreiskontrollen, die die Mietrenditen zwangsläufig be-
scher staatlicher Aufgabenbereich galt, löste sich damit fast      schränken. Soweit dies gelingt, folgt daraus eine geringere
vollständig in Eigentumsförderung und eine finanzkapitalisti-      Investitionsneigung des Kapitals in Neubau und die Erneue-
sche «Wohnungswirtschaft» auf.                                     rung des Wohnungsbestands. Dem ersten Problem müsste
   Heute handelt es sich bei der Wohnungsfrage um den auf          mit der Schaffung geförderter gemeinnütziger Wohnungs-
erweiterter Stufenleiter der finanzkapitalistischen Akkumu-        bauträger, dem zweiten mit Instandhaltungsverpflichtungen
lation entfalteten systemischen Widerspruch der Wohnung            entgegengewirkt werden.
zwischen Bedarfsgut und Finanzanlage. Dieser Widerspruch              Der Gesetzgeber müsste regeln, dass ein Teil der Miete
lässt sich nicht mit einer flexiblen kapitalistischen Regulation   verbindlich in die Instandhaltung fließt oder dafür konkurs-
im Sinne einer vorübergehenden und räumlich begrenzten             sicher zurückbehalten werden muss. Damit aber würde sich
Beschränkung des Eigentumsmissbrauchs («Mietenstopp»)              die Frage stellen, wer die Einhaltung dieser Regelung effi-
oder einer Stimulation industrieller Massenproduktion              zient kontrollieren soll. Eine Lösung wäre die Einrichtung
(«Bauen, bauen, bauen») überwinden. Heute kommt die                flächendeckender elektronischer Wohnungsregister, in de-
Mietenpolitik um die Frage nach einer Neubestimmung von            nen die Verfügungsberechtigten ihre Instandhaltungsab-
Inhalt und Schranken des Grundeigentums, nach einer sozi-          rechnungen regelmäßig veröffentlichen müssten. Diese
alisierenden Regulation der Wohnungswirtschaft nicht län-          Wohnungsregister könnten auch die entscheidende Instanz
ger herum.                                                         zur Regulierung der Kurzzeitvermietung, zur Kontrolle von
                                                                   Zweckentfremdungen und Leerstand und zur Feststellung
MENSCHENRECHT AUF WOHNUNG UND                                      von Überschreitungen von Miethöchstwerten sein. Sie könn-
DIE RECHTE DER ERDE                                                ten eine Grundlage für die öffentliche Wohnungsvermittlung
Kämpfe um das Recht auf Wohnen und das Recht auf Stadt             und den Ausbau kommunaler Belegungsrechte schaffen.
werden zu Treibern erweiterter Regulationsanforderun-              Auf diese Weise könnte die gesamte Mietwohnungsbewirt-
gen an das Immobilienkapital. Die Erfüllung dieser Rechte          schaftung öffentlich reguliert und von den Mieter*innen mit-
muss jedoch innerhalb der Belastungsgrenzen der Erde er-           bestimmt werden, ohne dass eine Enteignung der Grundei-
folgen. Schon deshalb verbietet sich eine Lösung der Woh-          gentümer erforderlich wäre. Die Frage ist nur, wie viele der     4
bisherigen Finanzinvestoren dann noch Interesse an diesem      SOZIALISIERUNG DER WOHNUNGSKONZERNE
    Geschäftsfeld hätten.                                          Im Vergleich zu diesem Konzept, dessen Umsetzung sehr
                                                                   viel Zeit benötigen und eher langsam vorankommen wird,
    DIE NEUE WOHNUNGSGEMEINWIRTSCHAFT                              wäre die Enteignung und Vergesellschaftung der Immobilien
    Wenn die private Investitionsneigung infolge wirksamer Re-     von privaten Großkonzernen gemäß Artikel 15 GG eine Art
    gulation abnimmt, wächst der Bedarf an nicht-renditeorien-     Schnellzug. Auf direktem Wege könnte ein Grundstock für
    tierten Akteuren. Zugleich wird auch die Überführung der       ein gemeinwirtschaftliches Wohnungswesen mit weit über
    Wohnungen in gemeinnützige oder gemeinwirtschaftliche          einer Million Wohnungen geschaffen werden. Konzerne wie
    Trägerschaft kostengünstiger. Mit dem Ausbau kommunaler        Vonovia und LEG benötigen deutlich weniger als die Hälfte
    Vorkaufsrechte, einer Reform der Immobilienbewertung so-       der Mieteinnahmen zur Deckung der laufenden Kosten, in-
    wie einer gerechten Besteuerung von Immobilientransaktio-      klusive Zinsen. Weit über ein Drittel der Mieteinnahmen fließt
    nen und Steuererleichterungen bei Verkauf an Gemeinnützi-      an die Anleger*innen.18 Mit der Vergesellschaftung könnten
    ge könnte dieser Trend gestützt werden. Die dafür benötigte    die Mieten gesenkt werden. Dem gemeinwirtschaftlichen
    bundesweite Trägerstruktur müsste allerdings erst geschaf-     Wohnungswesen würden dauerhaft Einnahmen zufließen,
    fen werden. Zwei Möglichkeiten kommen dabei infrage: die       die für den sozialen Neubau eingesetzt werden könnten. Die
    gewinnbeschränkte gemeinnützige Wohnungswirtschaft             Überführung so vieler Immobilien in gemeinwirtschaftliche
    und die renditefreie Wohnungsgemeinwirtschaft.                 Trägerstrukturen würde mit einem Schlag große Kapazitäten
       Gemeinnützig nennt man traditionell Organisationen, die     für die Durchsetzung von Klimaneutralität im Wohnungsbe-
    überwiegend einem anerkannten, gesellschaftlich nützli-        stand bereitstellen.
    chen Zweck dienen, sich und ihr Vermögen dauerhaft an die-       Wie die Initiative «Deutsche Wohnen & Co enteignen» auf-
    sen Zweck binden, ihre wirtschaftlichen Überschüsse bis auf    gezeigt hat, ist die Entschädigung für die Vergesellschaftung
    einen begrenzten Anteil nur für diesen Zweck einsetzen und     schon auf Landesebene mithilfe von Anleihen gut finanzier-
    bei überprüfbarer Einhaltung dieser Vorschriften steuerliche   bar. Niedrige Mieten wären allerdings nur dann garantiert,
    und andere öffentliche Vergünstigungen erhalten. So war es     wenn die Entschädigungssumme weit unter den aktuellen
    bei der alten Wohnungsgemeinnützigkeit und so sollte es –      Verkehrswerten bleibt. Und auch dann noch werden die
    ergänzt um Bestimmungen zur internen Demokratie und            Wohnungen auf viele Jahre hinaus mit Schulden für den
    Transparenz – eigentlich auch bei der «neuen Wohnungsge-       Rückerwerb von Wohnungen belastet sein, deren Erstel-
    meinnützigkeit» sein, einem Konzept, das Mieterorganisati-     lungskosten die Mieter*innen schon längst abgezahlt haben.
    onen und Wohnungsreformer*innen vor etwa zehn Jahren             Bei einer Vergesellschaftung auf Bundesebene gäbe es
    wieder ins Gespräch gebracht haben. Inzwischen fordert         größere Spielräume. Es könnte für alle Formen der Vergesell-
    auch eine Reihe von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden        schaftung (auch z. B. über die Wahrnehmung von Vorkaufs-
    und Parteien eine «neue Wohnungsgemeinnützigkeit». Nur,        rechten durch die Kommunen) eine eigene Bewertungs-
    was darunter verstanden wird, ist nebulös geworden.            grundlage geschaffen werden, die sich an sozialen Zielwerten
       So setzten zum Beispiel die Grünen schon seit Jahren den    orientiert und berücksichtigt, dass die Höhe von Aktienkur-
    Begriff ein, um eine Art aufgestockte soziale Objektförde-     sen nicht unter den grundgesetzlichen Eigentumsschutz fällt.
    rung zu beschreiben. Einem Gesetzentwurf aus dem Jahr          Sollten die Leitzinsen niedrig bleiben und sollte die Schulden-
    2020 zufolge soll die Wohnungsgemeinnützigkeit auf «an-        bremse, wie von vielen gefordert, ausgesetzt werden, könnte
    gespannte Wohnungsmärkte» beschränkt werden.17 Es ist          die Entschädigung günstig aus Staatsanleihen finanziert wer-
    kaum zu erwarten, dass die laut Koalitionsvertrag von der      den. So ließe sich auf einen Schlag ohne eine enorme Staats-
    «Ampel» beabsichtigte Regelung darüber hinausgehen wird.       verschuldung eine leistungsfähige Wohnungsgemeinwirt-
    Damit droht der Grundgedanke, flächendeckend ein Woh-          schaft mit Hunderttausenden von Wohnungen schaffen.
    nungssegment zu schaffen, in dem die Akteure ohne Pro-           Eine entschlossene sozialisierende Regulation des gesam-
    fitorientierung wirtschaften, untergraben zu werden. Soll-     ten Wohnungswesens und die Vergesellschaftung großen
    te es zu einer solchen «Wohnungsgemeinnützigkeit light»        Immobilienbesitzes würden nicht nur die Voraussetzungen
    kommen, werden sicherlich auch Vonovia & Co. bald mit          dafür verbessern, jedem Menschen ein sicheres Zuhause zu
    «gemeinnützigem Wohnungsbau» aufwarten, um ihre So-            geben und unsere Städte klimagerecht umzubauen. Sie wür-
    zialbilanz zu verbessern und so in den Genuss «ethischen»      de auch das Eigentum derjenigen schützen, die es auf eine
    Anlagekapitals, zusätzlicher öffentlicher Fördermittel und     Weise gebrauchen, die in Übereinstimmung mit Artikel 14
    Grundstücke zu kommen. Die praktische Wirksamkeit des          GG zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dient. Dieser Ge-
    Wohnungsgemeinnützigkeitskonzepts ist außerdem schon           danke kann vielleicht ein Ausgangspukt dafür sein, um die
    deshalb begrenzt, weil es kaum kommunale und genossen-         Idee der vergesellschaftenden Regulation des Wohnungs-
    schaftliche Wohnungsunternehmen gibt, die freiwillig dau-      wesens nicht nur einer Minderheit nahezubringen, sondern
    erhafte Sozialbindungen eingehen wollen.                       sie zu einem wirklich gegenhegemonialen gesellschaftlichen
       Ein Teil der Wohnungsbaugenossenschaften und vor allem      Projekt zu machen. Zu einer nachhaltigen Vergesellschaf-
    das Mietshäuser Syndikat und seine Projekte halten schon       tungsstrategie wird es aber wohl erst kommen, wenn die
    jetzt im strengen Sinne gemeinnützige Regeln ein, ohne da-     Menschen, insbesondere die Mieter*innen, den Widerstand
    für besonders gefördert zu werden. Um der begrifflichen        gegen die finanzregulierte Wohnungswirtschaft in ihren All-
    Schärfe willen sollten wir diese Akteure gemeinwirtschaft-     tag integrieren, sich organisieren und für ihre Interessen und
    lich nennen. Mit einem Gesetz zur Wohnungsvergesellschaf-      die praktische Wiederaneignung des Raums kämpfen.
    tung könnten sie gestärkt werden, ohne ihre Autonomie
    aufzuheben. Das Gesetz könnte auch die Grundlagen dafür        Knut Unger ist Sprecher des MieterInnenvereins Witten (Mitglied
    schaffen, die kommunale Wohnungswirtschaft in eine rendi-      im Deutschen Mieterbund NRW) und von MieterAKTIONärIn –
5   tefreie Wohnungsgemeinwirtschaft zu überführen.                Plattform kritischer Immobilienaktionär*innen.
1 Der Gesamtwohnungsbestand börsennotierter Unternehmen in Deutschland beträgt                 gen der Sozialisierungs-Kommission über die Neuregelung des Wohnungswesens, Berlin
schätzungsweise 950.000 Wohnungen (eigene Berechnungen). Zusammen mit den Be-                  1921. 7 Novy, Klaus: Strategien der Sozialisierung. Die Diskussion der Wirtschaftsreform in
ständen von Fonds sind es mindestens 1,2 Millionen Wohnungen, die sich direkt im Eigen-        der Weimarer Republik, Frankfurt a. M./New York 1978. 8 Brückner, Martin Lars: Sozialisie-
tum von Kaptalanlagevehikeln befinden. Selbstverständlich nehmen Finanzmarktateure             rung in Deutschland, München 2013. 9 Hömig, Dieter: Grundgesetz für die Bunderepublik
darüber hinaus über Kredite, den Grundstückshandel, das Development, die Ratingagen-           Deutschland, Baden-Baden 2013, Art. 15, Rn. 1. 10 Art. 11.1 des International Covenant
turen und Technologien Einfluss auf die Wohnungsmärkte. 2 Unger, Knut: Die Fusion (der         on Economic, Social and Cultural Rights (1966), unter: ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/
Täuscher). Vonovias «Zukunfts- und Sozialpakt Wohnen» im Faktenchekck, hrsg. von der           Pages/CESCR.aspx; General comment No. 4: The right to adequate housing (1991), un-
Rosa-Luxemburg-Stiftung, unter: www.rosalux.de/news/id/44404/die-fusion-der-taeuscher,         ter: tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=INT/
siehe auch Gemeinsam für gutes Wohnen: Stadt Dresden und Vonovia vereinbaren langfris-         CESCR/GEC/4759&Lang=en. 11 BVerfGE 89, 1: «Der Eigentumsschutz des Mieters un-
tige Zusammenarbeit, 6.4.2022, unter: https://presse.vonovia.de/de-de/aktuelles/220406-        terscheidet sich in seiner Struktur nicht von demjenigen des Vermieters und Eigentü-
stadt-dresden-und-vonovia-vereinbaren-langfristige-zusammenarbeit. 3 Siehe Buch for-           mers.» 12 Hömig: Grundgesetz, Art. 15, Rn. 6. 13 Brede, Helmut/Kohaupt, Bernhard/
dert Mietrechts-Enquete, mieteraktionärin.de, 4.11.2021, unter: https://mieteraktionärin.      Kujath, Hans-Joachim: Ökonomische und politische Determinanten der Wohnungsversor-
de/buch-fordert-mietrechts-enquete; Will Vonovia-Chef Buch die deutschen Mietgesetze           gung, Frankfurt a. M. 1975. 14 Siehe u. a. Pistor, Katharina: Der Code des Kapitals, Berlin
umpolen?, mieteraktionärin.de, 11.11.2021, unter: https://mieteraktionärin.de/will-vonovia-    2020. 15 Dies war schon in den 1920er-Jahren ein globales Phänomen. Siehe Fogelson,
chef-buch-die-deutschen-mietgesetze-umpolen. 4 Als politisch legitimiertes Social-and-         Robert M.: The Great Rent Wars, New York 1917–1929, New Haven 2013; Grant, Andrew:
Green-Washing könnte dabei die sogenannte Taxonomie der EU wirken. Siehe dazu Ga-              Revolution in the Street: Women, Workers, and Urban Protest in Veracruz, 1870–1927, Lan-
bor, Daniel/Kohl, Sebastian: «My Home is an Asset Class.» The Financialization of Housing      ham 2001. 16 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021, 1 BvR 2656/18:
in Europe, Januar 2022, unter: www.greens-efa.eu/en/article/document/my-home-is-an-            «Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzei-
asset-class. 5 Das passende Marx-Zitat lautet: «Eine Gesellschaftsformation geht nie un-       tig einzuleiten.» 17 Bundestag-Drucksache 19/17307, 20.2.2020, unter: dserver.bundes-
ter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere   tag.de/btd/19/173/1917307.pdf. 18 MieterAKTIONärIn: Vonovia & LEG: Von jedem Euro
Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingun-      Miete sollen 37–41 Cent als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet werden, 10.3.2020,
gen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.» (Marx,          unter: http://mieteraktionärin.de/vonovia-leg-von-jedem-euro-miete-sollen-37-41-cent-als-
Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW 13, Berlin 1952, S. 9). 6 Verhandlun-       dividende-an-die-aktionaere-ausgeschuettet-werden/.

                                                                                               IMPRESSUM
                                                                                               STANDPUNKTE 4/2022 erscheint online
                                                                                               und wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung
                                                                                               V. i. S. d. P.: Albert Scharenberg
                                                                                               Straße der Pariser Kommune 8A · 10243 Berlin · www.rosalux.de
                                                                                               ISSN 1867-3171
                                                                                               Redaktionsschluss: Mai 2022
                                                                                               Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin
                                                                                               Layout/Satz: MediaService GmbH Druck und Kommunikation

                                                                                               Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit
                                                                                               der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie wird kostenlos abgegeben
                                                                                               und darf nicht zu Wahlkampfzwecken verwendet werden.
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