Zehn Thesen zu einer Archäologie der Moderne

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Zehn Thesen zu einer Archäologie der Moderne

                                                                                                                         Ulrich Müller

Zusammenfassung – Anhand von zehn Thesen werden Potenziale, aber auch Probleme einer Archäologie des 19. bis 21. Jahrhunderts
aufgezeigt und zur Diskussion gestellt. Der Verfasser sieht dabei die Archäologie der Moderne als notwendigen Bestandteil einer globalen
Archäologie an, die zudem in der denkmalpflegerischen Praxis und ihrem administrativ-rechtlichen Rahmen in Deutschland verankert ist
und zunehmend auch in der musealen Landschaft an Bedeutung gewinnt.

Schlüsselwörter – Archäologie; Archäologie der Moderne; Historische Archäologie; Ur- und Frühgeschichte; Universität; Lehre; Curricu-
lum; DGUF Tagung 2020

Title – Archaeology of the Contemporary Past – Ten theses

Abstract – On the basis of ten theses, potentials but also problems of an archaeology of the 19th to the 21st century are shown and brought
up for discussion. The author regards the archaeology of contemporary past as a vital part of a global archaeology, which is embodied
in monument conservation practice and its administrative and legal framework in Germany and which is increasingly gaining importance
whithin the museum landscape.

Key words – archaeology; contemporary archaeology; historical archaeology; prehistoric archaeology; university; teaching; DGUF con-
ference 2020

Einleitung1                                                             land (Landschaftsverband Rheinland) und Ber-
                                                                        lin (Zweiter Weltkrieg; NS-Zeit) zu verzeichnen.
Im anglophonen Raum ist die Beschäftigung                               Auch die „Sachkulturforschung“ – insbesondere zu
mit materiellen Zeugnissen des 19. bis 21. Jahr-                        Glas und Keramik – sowie die „Hausforschung“
hunderts ein Themenfeld, das spätestens seit                            kann auf eine längere Tradition der Einbeziehung
den 1970er-Jahren profiliert und etabliert ist. Als                     von neuzeitlichen Quellen (18.-20. Jahrhundert)
Teil einer „Historical Archaeology“, die seinerzeit                     zurückblicken. Dieser Entwicklung förderlich
vor allem als eine Archäologie des nordameri-                           war, dass Disziplinen wie die Volkskunde/Euro-
kanischen Kontinents verstanden wurde und                               päische Ethnologie, Geografie oder auch Kunst-
den Spuren des 16./17. bis 19./20. Jahrhunderts                         geschichte sich seit den späten 1960er/1970er-Jah-
nachging, öffnete sich die Forschung nicht nur                          ren zunehmend von einer Materialorientierung
räumlich vor dem Hintergrund kritischer postko-                         entfernt haben. Diese (scheinbare) Aufgabe der
lonialer Diskurse, sondern erweiterte auch ihren                        materiellen Kompetenz mag man bedauern – sie
Zeithorizont bis in die Gegenwart hinein. Eine                          hat aber insbesondere in der Volkskunde/Euro-
„Contemporary Archaeology“, eine „Archaeology of                        päischen Ethnologie nicht nur zu einer starken
the Contemporary Past“ oder eine „Archaeology of                        kulturwissenschaftlichen Theoriebildung geführt,
Modernity“ ist inzwischen in jeder Hinsicht glo-                        sondern den Blick dieses Faches zunehmend auf
bal aufgestellt (Orser et al., 2020). Im deutsch-                       die Moderne gelenkt. Man kann also festhalten,
sprachigen Raum wird die Entstehung einer „Ar­                          dass die Archäologie der Moderne in den letzten
chäo­logie der Moderne“ oftmals in die 1990er-Jahre                     50 Jahren historisch gewachsen ist, sich aber in
datiert, und in der Tat ist seit dieser Zeit ein ge-                    ihren derzeitigen Schwerpunkten durchaus spe-
stiegenes öffentliches Interesse sowie eine zuneh-                      zifische Entwicklungen der 1990er- und 2000er-
mende fachwissenschaftliche Beschäftigung mit                           Jahre widerspiegeln. Hierzu möchte ich vor allem
diesem Thema zu verzeichnen (vgl. Beitrag C.                            folgende Punkte namhaft machen:
Theune in diesem Band). Die Ansätze sind aber                               Die verstärkt einsetzenden Diskurse um die
älter. Auch wenn die Archäologie der Moderne                            Relevanz der Restaurierung/Konservierung von
in den 1970er/1980er-Jahren in der ehemaligen                           Architekturen des 20. Jahrhunderts in der Denk-
Bundesrepublik noch nicht institutionalisiert                           malpflege. Auch wenn sie im internationalen
und/oder als Konzept vorhanden war, so ist doch                         Rahmen bereits deutlich früher angestoßen wor-
in dieser Zeit eine Beschäftigung mit Relikten des                      den sind, gewannen sie in Deutschland zuneh-
19. und 20. Jahrhunderts insbesondere im Rhein-                         mend seit den 1990er-Jahren an Bedeutung.

Eingereicht: 6. Okt. 2020                                                              Archäologische Informationen 43, 2020, 35-44
angenommen: 22. Okt. 2020                                                                                                 CC BY 4.0
online publiziert: 13. Nov. 2020                                   35                      DGUF-Tagung 2020: Archäologie der Moderne
                                                                                        DGUF-Tagung 2020: Archäologie der Moderne
Ulrich Müller

    Die Debatten um Erinnerungsorte sowie die               These 1: Die Archäologie der Moderne ist
Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe                 die Fortsetzung der Ur- und Frühgeschichte
der real-sozialistischen Länder sowie ein neuer             und der Archäologie des Mittelalters und der
Blick auf die „Inwertsetzung“ von Orten der Un-             Neuzeit
terdrückung, des Terrors – nicht nur der national-
sozialistischen Diktatur, sondern auch der DDR.             Auch wenn sich trefflich über eine zeitliche oder
    Ein steigendes öffentliches Interesse an au-            thematische Untergliederung der weltweiten
thentischen Materialitäten („Objekten“), aber auch          Archäologien streiten lässt und solche Grenz-
Orten oder Techniken usw., die heute nicht oder             ziehungen nicht nur historisch fundamentierte
kaum mehr vorhanden sind, bzw. Bedeutung ha-                (westliche oder eurozentristische) Vorstellungen
ben („Magie der Industrie“ vs. „Industrie 4.0“).            (Archäologie der römischen Provinzen, Archä-
    Die Tagung der DGUF fügt sich ein in ein                ologie des Mittelalters usw.), sondern auch ge-
weites Spektrum an Projekten, die das 19. bis               nerelle Kulturkonzepte wie die Errungenschaft
21. Jahrhundert in den Blick genommen haben.                der „Kulturtechnik“ Schrift widerspiegeln, so
Nachdem bereits 2012 die Archäologie der Mo-                ist „Ur- und Frühgeschichte“ nach wie vor in der
derne in einem Workshop in Österreich thema-                wissenschaftlichen wie außerwissenschaftlichen
tisiert worden war (Bundesdenkmalamt, 2012),                Wahrnehmung im deutschsprachigen Raum die
veranstaltete die Deutsche Gesellschaft für                 traditionelle Fachbezeichnung. Die Archäologie
Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit                des Mittelalters und der Neuzeit – sie basiert auf
(DGAMN) 2014 eine Tagung zur „Archäologie im                Kulturkonzepten eines latein-europäischen Mit-
19. und 20. Jahrhundert“ (Arndt & Müller, 2015;             telalters – wiederum hat sich seit den 1970er-Jah-
DGAMN, 2015), der dann 2018 ein weiteres Kol-               ren als eigenständige Disziplin etabliert.
loquium in Kiel folgte (Müller & Jürgens, 2020).                Wo steht die Archäologie der Moderne? Nach
Darüber hinaus entwickelte 2016/17 eine Fach-               meinem Verständnis ist Archäologie eine Wissen-
gruppe im Deutschen Verband für Archäologie                 schaft, die unabhängig von Ländern und Epochen
(DVA) unter der Leitung von Matthias Wem-                   die Konnektivitäten und Interaktionen des Men-
hoff die „Leitlinien für eine Archäologie der Moder­        schen mit seinesgleichen und der Umwelt er-
ne“ (Arndt et al., 2017). In einem Fachgespräch             forscht. In diesem Sinne ist Archäologie „global“,
der Leopoldina zum Thema „Kulturerbeschutz                  auch wenn ihre Befunde zunächst lokal „verankert“
in Forschung und Lehre“ 2018 standen auch die               sind. Die Archäologie der Moderne wendet diesel-
archäologischen Zeugnisse der Moderne zur                   ben Techniken und Methoden an, die aus anderen
Diskussion, und die Deutsche Forschungsge-                  Archäologien bekannt sind. Sie erweitert diese
meinschaft (DFG) organisierte 2019 ein Treffen,             aber insofern, als dass aufgrund der parallelen
um „Forschungsperspektiven zur Archäologie der              und der verdichteten Überlieferungen stets wei-
Neuzeit und Moderne“ interdisziplinär zu disku-             tere historische Materialien in den Blick geraten.
tieren und Förderungsperspektiven zu eröffnen.              Ob diese immer miteinbezogen und berücksich-
Diesen und weiteren Tagungen können eine                    tigt werden müssen, bleibt in methodologischer
Vielzahl von Publikationen aus dem deutsch-                 Hinsicht eine spannende Frage. Ein Beispiel:
sprachigen Raum an die Seite gestellt werden, in            Wohnplätze von „Obdachlosen“ lassen sich sowohl
denen Themenfelder des 19. bis 21. Jahrhunderts             unter Hinzuziehung aller verfügbarer Daten bis
anhand von Einzelbefunden, Fundkomplexen,                   hin zu Befragungen der jeweiligen Menschen un-
aber auch vergleichend untersucht werden (z. B.             tersuchen. Es ist aber auch möglich, solche Plätze
Bernbeck, 2017; Theune, 2020). Stellvertretend für          allein mit „prähistorischen“ Methoden und Tech-
die zunehmende Beachtung dieser jüngsten Epo-               niken zu analysieren. Somit könnte man formu-
che unserer Zeit sind die Beiträge (Mehler, Kra-            lieren: Die Archäologie der Moderne erzielt ihre
bath & Kluttig-Altman, 2019; Theune et al., 2019            Erkenntnisse auf der Grundlage unterschiedlicher
) zur Archäologie des 16. bis 20. Jahrhunderts zu           historischer Materialien und ihrer Materialitäten.
nennen, die in dem vom DAI herausgegebenen                  Dabei stellt sich dann die Frage, wie mit Objekten
Band „Spuren des Menschen. 800.000 Jahre Ge­                umzugehen ist, die nicht aus „klassischen“ archäo­
schichte in Europa“ (Bánffy et al., 2019) breiten           logischen Befundzusammenhängen stammen
Publikum Funde, Befunde und Fragestellungen                 oder solche repräsentieren. Gemeint sind damit
einer Archäologie der Moderne anschaulich vor               nicht Sammlungsbestände und Vergleichbares,
Augen führen.                                               sondern z. B. noch bestehende technische Anlagen
                                                            oder heutige Kulturlandschaften. Solche „Quel­
                                                            len“ für die Archäologie der Moderne werden

DGUF-Tagung 2020: Archäologie der Moderne              36
Zehn Thesen zu einer Archäologie der Moderne

nicht nur als Primärquellen durch die Archäologie           Abnahme der Relevanz von Archäologie einher-
erschlossen, sondern durch eine Vielzahl anderer            zugehen. Mit archäologischen Daten scheinen auf
wissenschaftlicher und außerwissenschaftlicher              den ersten Blick Prozesse sozialer Ungleichheit
Mitwirkenden erhoben.                                       im Neo­lithikum beschreibbar, während z. B. die
                                                            Arbeit auf Schlachthöfen in Chicago oder der NS-
                                                            Terror durch archäologische Quellen lediglich
These 2: Archäologie der Moderne und der                    illustriert werden kann, ist doch beides durch
Gegenwart – unterschiedlich und verbunden                   andere Materialien weitaus besser dokumentiert.
                                                            Dieses „Problem“ – das keines ist – betrifft alle hi-
Neben der Archäologie der Moderne rücken zu-                storischen Archäologien, und auch die Archäo­
nehmend auch Aspekte der Gegenwart in den                   logie des Mittelalters hatte seinerzeit in Deutsch-
Blick archäologischer Forschungen. Damit wird               land mit ganz ähnlichen Vorwürfen zu „kämpfen“.
ein internationaler Trend aufgegriffen (Graves-                 Generell ist eine solche Argumentation unlo-
Brown, Harrison & Piccini, 2013; González-Ruibal,           gisch. Wie auch in anderen Epochen mit paral-
2019). Hieraus ergibt sich die Frage nach der zeit-         lelen Überlieferungen gibt es in der Moderne keine
lichen und inhaltlichen Trennung, die sich m.E.             Quellengattungen, die geeigneter oder ungeeig-
aus verschiedenen Perspektiven diskutieren lässt.           neter sind. Der Quellenwert ergibt sich aus den an
Die (bau- und boden-) denkmalpflegerische Praxis            die Quellen gerichteten Fragestellungen. Weiterhin
der „abgeschlossenen Epoche“ zieht eine Grenze von          ist „Materialität“ eine allen Quellen (-gattungen)
rund 30 Jahren vor heute. Das Konzept stammt ur-            innewohnende Eigenschaft, und dies schließt nach
sprünglich aus der Bau- und Kunstdenkmalpflege              meinem Verständnis auch orale Überlieferung
(Lukas-Krohm, 2014), wird aber implizit von der             oder digitale Daten mit ein. So zeigt sich inzwi-
archäologischen Denkmalpflege übernommen,                   schen, dass die Archäologie der Moderne sowohl
selbst dann, wenn es nicht ausdrücklich in den              punktuell hochauflösende Einblicke in Mikroer-
Denkmalschutzgesetzen erwähnt wird (vgl. die                eignisse liefern, aber auch zu einem Verständnis
Beiträge U. Ickerodt und Th. Kersting in diesem             gesamtgesellschaftlicher Prozesse beitragen kann.
Band). Dabei ist anzumerken, dass „abgeschlossene           Allerdings ist eine Quellenkritik immer notwen-
Epoche“ beinhaltet, dass sich das Arbeitsgebiet             dig, und trotz aller Begeisterung über den Mehr-
zeitlich progressiv verschiebt. Für die universitäre        wert materieller Quellen gilt es in jedem Falle zu
Lehre und Forschung scheint die Frage nach einer            fragen, welche besonderen Informationen die ar-
Trennung von Archäologie der Moderne und der                chäologische Substanz enthält, damit sie mit oder
Gegenwart zweitrangig und im Sinne einer ganz-              neben den weiteren Quellen herangezogen wer-
heitlichen Ausbildung wenig zielführend. Me-                den muss, und welche denkbaren wissenschaftli-
thodologisch interessant ist allerdings, dass eine          chen Fragen können ausschließlich, aber auch er-
Archäologie der Gegenwart sehr stark (kultur-) an-          gänzend oder kontrastierend anhand von welchen
thropologisch arbeitet. Dies zeigt sich insbesonde-         archäologischen Befunden und Funden beantwor-
re im anglophonen Sprachraum, wo die Einflüsse              tet werden (Samida, 2016). Eine solche Bewertung
der Kultur- und Sozialanthropologie auf die Ent-            ist allerdings vielfach schwierig. Zum einen ist die
wicklung archäologischer Theorien stets sehr stark          Beurteilung dieses „Informationsgehaltes“ und die
waren (Harrisson et al., 2014).                             Formulierung wissenschaftlicher Fragestellungen
                                                            stets zeit-, gesellschafts-, kultur- und politikabhän-
                                                            gig. Zum anderen besitzen Denkmale der Moderne
These 3: Die archäologische Untersuchung                    – und dies in einem weitaus stärkeren Maße als ur-
der Moderne führt zu einem nennenswerten                    und frühgeschichtliche Denkmale – vielfach auch
Erkenntnisgewinn                                            die Funktion z. B. als Mahn- und Erinnerungsort
                                                            mit einem „öffentlichen“ Interesse an der Erhaltung
Vielfach scheint die wissenschaftliche und wie              und Inwertsetzung (Harrison et al., 2020). Anzu-
außer-wissenschaftliche Diskussion über die ge-             merken ist, dass auch Quellen aus prähistorischen
sellschaftliche Bedeutung der Archäologie einem             und/oder frühgeschichtlichen Zeiträumen per
stratigrafischen Paradigma zu folgen. Je älter die          se keinen Ausschließlichkeitsanspruch besitzen.
Zeiten, die per Ausgrabung erschlossen werden,              Auch sie müssen wissenschaftlichen Standards
desto relevanter und bedeutsamer sind die Er-               genügen und sich Diskursen stellen, die durch
kenntnisse der Archäologie. Die qualitative wie             die Interpretation weiterer Daten (z. B. naturwis-
quantitative Zunahme anderer Quellen (Parallel-             senschaftlicher Daten) entstehen. Eine historische
überlieferungen) scheint demgegenüber mit einer             Konstruktion kann umso mehr Plausibilität für

                                                       37                  DGUF-Tagung 2020: Archäologie der Moderne
Ulrich Müller

sich beanspruchen, je zahlreicher und diverser die          Wenn großflächige Siedlungsagglomerationen der
berücksichtigten Quellen sind. Gefragt ist keine            Cucuteni-Tripolje-Kultur als „Mega-Cities“ (Müller
Selbstbeschränkung der Archäologie der Moder-               at al., 2016) bezeichnet werden, so ignoriert eine
ne. Facheigene Methoden und Fragestellungen so-             derartige Zuschreibung nicht nur aktuelle Diskurse
wie ein transdisziplinärer Austausch müssen der             in der Stadtforschung (Abrahamson, 2020), sondern
Maßstab sein.                                               die sehr unterschiedliche soziokulturelle Einbet-
                                                            tung scheinbar typisierter Handlungsmuster.
                                                                Bedeutet dies, die traditionellen Fach- und Epo-
These 4: Die Archäologie der Moderne endet                  chengrenzen mit dem Hinweis auf das „historisch
und beginnt nicht mit der „Höhe Null“                       Einzigartige“ beizubehalten? Keineswegs, denn
                                                            strukturelle Gemeinsamkeiten lassen sich nicht
Die insbesondere in Deutschland wirkmächtige,               auf ein oder zwei Parameter reduzieren, sondern
aber ahistorische Trennung in eine Kunst- und               ergeben sich auch vor dem Hintergrund aufein-
Baudenkmalpflege einerseits und eine archäo-                anderfolgender Handlungsformen. Um diese zu
logische Denkmalpflege andererseits hat insbe-              erkennen und vergleichend aufzuschließen, sollte
sondere für die Archäologie der Moderne Konse-              sowohl eine möglichst große Zahl an Parametern
quenzen, wenn es z. B. um industrielle Anlagen              hinzugezogen werden als auch deren Gewich-
geht, deren Strukturen noch sichtbar sind, oder um          tung offengelegt werden. Unabhängig davon: Die
Kulturlandschaften wie z. B. renaturierte Braun-            Archäologie der Moderne ist m.E. ebenso wie die
kohletagebaue. Hier spricht die Archäologie gerne           Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit stark
von der „Höhe Null“, die nicht nur die Grenze zwi-          durch geschichtswissenschaftliche Zugänge ge-
schen ober- und untertägig markiert, sondern ad-            prägt – d. h. die Frage nach dem Erkenntnispoten-
ministrative und rechtliche, fachliche und metho-           zialen einer Archäologie der Moderne wird nahezu
dische Unterschiede beinhaltet. Trotzdem sollte             ausschließlich an denjenigen der Geschichtswis-
die historisch gewachsene Höhe Null hinterfragt             senschaft gemessen. Hier öffnet ein prähistorischer
werden. Es gilt, die fachlichen Akteure mit ihren           Blick auf Prozesse und Strukturen neue Perspekti-
spezifischen Methoden und Kompetenzen nicht                 ven. Stellvertretend sei auf die Studie von Carolyn
nur ins Gespräch, sondern auch in Projekten zu-             White (2020) zum Burning Man Festival, den Ver-
sammenzubringen. Die konstruierte Wirkmacht                 gleich von Graffiti und Petroglyphen (Frederick,
der Höhe Null beinhaltet aber auch die Frage, ob            2017) oder auch die diachrone Untersuchung von
die Erkenntnisse der Archäologie der Moderne                Konflikten (González-Ruibal, 2019a) hingewiesen.
immer durch Ausgrabungen im klassischen Sinn
erzielt werden. Ich bin der Meinung, dass die Viel-
zahl archäologischer Techniken und Methoden                 These 6: Die Archäologie der Moderne ist
gewinnbringend auch jenseits des „im Boden Ver­             als (Zeit-) Konzept noch nicht genügend
borgenen“ angewendet werden können.                         ausformuliert

                                                            Im anglophonen Sprachraum ist der Begriff „Ar­
These 5: Von der Moderne in die Prähistorie                 chaeology of Modernity“ eher selten anzutreffen.
und zurück: strukturvergleichende Ansätze                   Dort dominiert „Historical Archaeology“ als Contai-
vermitteln                                                  nerbegriff oder auf die Neuzeit bezogen. Daneben
                                                            finden sich noch „Archaeology of the Contemporary
Wenn Archäologie raum- und zeitunabhängig ver-              Past“, „Archaeology of Capitalism“ o. Ä. In Deutsch-
standen wird, so impliziert dies auch eine (gewisse)        land ist „Archäologie der Moderne“ als Bezeichnung
Vergleichbarkeit der untersuchten Phänomene.                erst in den letzten fünf bis zehn Jahren aufgekom-
Dies ist nicht ganz unproblematisch, kann es doch           men – daneben gab und gibt es Bezeichnungen wie
zu einer Relativierung historisch gebundener Pro-           „zeitgeschichtliche Archäologie“, „Archäologie des 19.
zesse oder Strukturen führen – die Globalisierung           bis 21. Jahrhunderts“ (vgl. Beitrag C. Theune in die-
im Neolithikum, soziale Ungleichheiten in der               sem Band). Die Wahl des Begriffes „Archäologie der
Hallstattzeit oder der Beginn des Anthropozäns im           Moderne“ wirkt auf den ersten Blick elegant, denn
Mittelalter. So reduzieren manche Arbeiten histo-           er fügt sich in die üblichen archäologischen Epo-
rische Komplexität und deren spezifische Konstel-           chenbegriffe (Bronzezeit usw.) ein. Auf den zwei-
lationen auf eine Art Mustererkennung, ohne dass            ten Blick erscheint der Begriff aber nicht unproble-
sich diese aus einer historischen oder räumlichen           matisch. Wenn wir uns mit Relikten der Moderne
Verbindung untereinander erklären müssten.                  beschäftigen, müssen wir uns jedoch fragen, ob

DGUF-Tagung 2020: Archäologie der Moderne              38
Zehn Thesen zu einer Archäologie der Moderne

die „archäologische Moderne“ einen Epochenbegriff         ist es beispielsweise spannend zu fragen, ob und
meint oder strukturell gebunden ist.                      wie sich in den archäologischen Quellen solche
    Ein Beispiel: Zeitkonzepte spielen insbesonde-        Konzepte niederschlagen.
re für die Archäologien eine weitreichende Rolle.             Solche und weitere Diskussionen muss die
Dabei fällt auf, dass sowohl die Archäologie des          Archäologie der Moderne nicht nur aufgreifen,
Mittelalters im deutschen Sprachraum, aber auch           sondern durch ihre eigenen Methoden und Mate-
der Neuzeit eher traditionellen Epochenkonzep-            rialien mitgestalten (González-Ruibal, 2008). Ver-
ten huldigt (Müller, 2017). Mit Blick auf die Mo-         steht die Archäologie der Moderne sich als eine
derne muss die Archäologie fragen: Welche und             Archäologie westlicher („kapitalistischer“) Gesell-
wessen Moderne erforschen wir?                            schaften einschließlich postkolonialer Diskurse
    Es existieren fachspezifisch sehr unterschied-        oder fragt sie nach einer „Modernität“ in globaler
liche Konzepte von Moderne z. B. in den Litera-           diachroner Sichtung, was u.a. etablierte Epochen
tur- und Medienwissenschaften, der Architek-              wie das (globale) Mittelalter betreffen kann? In
tur und Kunstgeschichte, der Philosophie, den             welcher Form kann die Archäologie der Moder-
Geschichtswissenschaften, der Soziologie, den             ne sowohl eine eigenständige, auf Materialitäten
Politikwissenschaften usw. So muss sich die Ar-           basierende „Definition“ anbieten als auch die be-
chäologie der Moderne mit Fragen nach weite-              stehenden Konzepte hinterfragen, bereichern
ren „Modernen“ (Postmoderne, Hypermoderne)                oder ergänzen? Die Archäo­logie der Moderne
auseinandersetzen. Jürgen Osterhammel und                 ist wie jeder archäologische Teilbereich weder
Charles Maier haben beispielsweise das 20. Jahr-          ein thematisch homogenes noch theoretisch ein-
hundert aus der Perspektive der Territorialität           heitliches Feld. Im Vergleich zur ur- und frühge-
umgrenzt (Osterhammel, 1998, 374-397; Maier,              schichtlichen Archäologie, aber auch zur Archäo­
2000, 807-831) und damit den Spatial Turn auch            logie des Mittelalters in Deutschland fällt auf,
in der Zeitgeschichte eingeläutet. In den letzten         dass eine „Theorie“-Diskussion bislang kaum in
Jahren sind darüber hinaus auch Ideen entwickelt          Gang gekommen ist. Hier muss sich die Archäo-
worden, die auf einem veränderten Verständnis             logie der Moderne weiten, und ihre Erkenntnisse
von Zeitlichkeit aufbauen und für die Archäo-             auch vor dem Hintergrund soziologischer, poli-
logie besonders interessant sein dürften. Hierzu          tischer, ökonomischer usw. Theorien und Diskus-
gehört auch der Ansatz von Jakob Tanner (Tan-             sionen einordnen.
ner, 2008, 2-6), die (europäische) Moderne als
„multiple modernities“ im Sinne polyzentrischer
Konzeptionen zu betrachten und nach Prozes-               These 7: Die bisherigen Schwerpunktsetzungen
sen zu fragen, die ein bis dato teleologisches            der Archäologie der Moderne müssen erweitert
Fortschritts- oder Dekadenznarrativ überschrei-           werden
ben. In eine ähnliche Richtung geht auch Ulrich
Herbert (2007) mit seiner Vorstellung eines offe-         Die nahezu ausschließliche Beschäftigung mit der
nen, dynamischen Prozesses der Veränderung,               Industrialisierung, mit militärisch-industriellen
indem er Zeitkonzepte abseits großer Meisterer-           Komplexen sowie den Zeugnissen von Terror
zählungen einfordert. Ute Schneider (2008) wie-           und Diktatur (Bernbeck, 2017; Symonds & Vařeka,
derum hat für die Analyse der Moderne auf die             2020; Theune, 2020) prägen nach wie vor das Bild
verschiedenen „Zeitschichten“ und damit tem-              der Archäologie der Moderne in der wissenschaft-
porale Strukturen hingewiesen. Ausgehend von              lichen wie außer-wissenschaftlichen Öffentlich-
der – diskutablen – Idee eines vormodernen ein-           keit. Dies spiegelt einerseits die grundlegende Be-
heitlichen, homogenen und universalen Zeitho-             deutung dieser Themenfelder für die Geschichte
rizonts sieht sie im Rückgriff auf Konzepte von           des 19. und 20. Jahrhunderts wider. Andererseits
Kosseleck ab dem 19. Jahrhundert eine zuneh-              erhält die Archäologie der Moderne dadurch eine
mende Auflösung bzw. Destabilisierung dieser              Bedeutungszuschreibung, die insbesondere für
universalen Zeit als geschlossenes Kontinuum.             die Themen wie NS-Zeit usw. kaum Zweifel an
Die Bildung und Wahrnehmung verschiedener                 der Relevanz archäologischer Forschung aufkom-
Zeitebenen und Zeitformen im Sinne eines mehr-            men lässt. Diese Schieflage muss verändert und
schichtigen Zeitkonzeptes trägt zu einer Frag-            die gesamte globalisierte Materialität der Moder-
mentierung der Gegenwart bei und hat zugleich             ne in den Blick genommen werden (Müller & Jür-
eine spezifische Gegenwartserfahrung sichtbar             gens, 2020). Wenn eine Archäologie das Prädikat
werden lassen. Vor dem Hintergrund dieser hier            „global“ verdient, ist es im Übrigen die Archäo-
nur ausschnittsweise aufgezeigten Diskussionen            logie der Moderne. Auch wenn über die Frage

                                                     39                 DGUF-Tagung 2020: Archäologie der Moderne
Ulrich Müller

des Beginns bzw. des Verlaufs und der Phasen                gesellschaftlichen Gegenwart für die Zukunft
einer Globalisierung durchaus unterschiedliche              mitgestalten, stellt sich in besonderem Maße für
und auch fachspezifische Ansichten herrschen, so            die Moderne (Olivier, 2019; Reilly, 2019).
wird man nicht umhinkönnen festzustellen, dass
die Moderne durch weltumfassende Konnektivi-                These 9: Eine Archäologie der Moderne muss
täten gekennzeichnet ist.                                   nicht universitär als eigenständiges Fach oder
                                                            Lehrstuhl etabliert werden

These 8: Eine Archäologie der Moderne                       Mit Blick auf die (deutsche) Universitätslandschaft
muss sich den politischen und ethischen                     wird immer wieder und zu Recht der geringe An-
Verantwortungen ihrer Tätigkeiten stellen                   teil an ausgewiesenen Lehrstühlen für Mittelalter
                                                            und Neuzeit beklagt (vgl. N. Mehler, in diesem
Die Frage nach den politischen und ethischen                Band). Auch wenn das Bild sich bei Hinzuzie-
Dimensionen archäologischer Forschungen ist                 hung von Projekten „traditioneller“ ur- und früh-
weder neu noch auf die Moderne beschränkt.                  geschichtlicher Lehrstühle (z. B. in Jena, Bonn) so-
Sie stellt sich selbstverständlich für alle Epochen.        wie der Berücksichtigung des frühen Mittelalters
Aufgrund der zeitlichen Nähe zur Gegenwart ist              doch erheblich konturiert, so bleibt die Lehre und
sie aber für die Archäologie der Moderne von be-            Forschung zur Neuzeit und hier spe­ziell zum 19.
sonderer Bedeutung (Moshenska & González-Ru-                bis 21. Jahrhundert auf eine Handvoll Lehrstühle
ibal, 2015). Die gesamtgesellschaftliche Relevanz           beschränkt (z. B. in Kiel, Wien, Berlin). Demgegen-
solcher Fragen zeigen sich nicht nur im Umgang              über stehen inzwischen zahlreiche Inventarisa-
mit den Zeugnissen des nationalsozialistischen              tions- und Grabungsprojekte der archäologischen
Terrors oder den Diskussionen um die archäolo-              Denkmalpflege und Museen, sodass zu Recht auf
gische Erforschung des spanischen Bürgerkriegs.             die Unwucht hingewiesen wird.
Die weltweit geführten Diskussionen um einen                    Meines Erachtens ist es wenig hilfreich, spe­ziell
„Authorized Heritage Discourse“ und einen „In­              denominierte Lehrstühle für eine Archäologie des
clusive Heritage Discourse“ (Kisić, 2016) sind nicht        19. bis 20. Jahrhunderts einzurichten. Zum einen
nur auf der europäischen oder nationalstaatli-              sind Schwerpunktbildungen an Universitäten im-
chen Ebene, sondern vor dem Hintergrund der                 mer Teil der gesamtuniversitären strategischen
Konvention von Faro über den „Wert des Kultur­              Ausrichtung, sodass eine etwaige Schwerpunkt-
erbes für die Gesellschaft“ (2005) von Bedeutung.           bildung nur im Verbund mit entsprechenden an-
So sind soziale, kulturelle und/oder sprachliche            deren Fachdisziplinen durchgesetzt werden kann.
Diversität ein Strukturmerkmal moderner Ge-                 Hier sollten eher die bestehenden Schwerpunkte
sellschaften. Eine solche entgrenzte und diversi-           im Sinne einer Neuzeit gestärkt werden. Aber
fizierte Lebenswirklichkeit bewertet historische            auch aus Sicht der archäologischen Denkmalpfle-
Ereignisse und die Erinnerungen an diese auch in            ge bleibt eine derartige Spezialisierung fraglich.
einem transnationalen bzw. auch transkulturellen            Die Arbeitsbereiche in der archäologischen Denk-
Rezeptions- und Reproduktionskontext. Darüber               malpflege und auch in Grabungsfirmen sind in der
hinaus stellt sich für eine Archäologie der Moder-          Regel zeitlich und thematisch weit gespannt. Und
ne die Herausforderung eines partizipativen Um-             auch dort, wo Referate für Mittelalter und Neu-
ganges auf einer regionalen und lokalen Ebene,              zeit, Stadtarchäologie und vergleichbare Schwer-
und zwar nicht nur, wenn es um „dark heritage“              punkte vorhanden sind, ist eine breit gefächerte
oder „dark tourism“ wie bei der Heeresversuchs-             Kompetenz gefragt. Dies gilt auch für Museen, wo
anstalt in Peenemünde (vgl. den Beitrag C. Röhl             für Sammlungen oder Ausstellungen epochen­
& P. Schneider in diesem Band) geht. Die „Ruin              übergreifende Kompetenzen gefragt sind. Dies
Memories“ (Olsen & Pétursdóttir, 2014) können               gilt in besonderem Maße für Stadt- oder Kreis-
auch die aufgegebene Fischkonservenfabrik in                museen, aber auch für „große“ Landesmuseen.
Schleswig-Holstein, die Relikte eines Zementwer-                Weitaus sinnvoller erscheint es, die Curricu-
kes in Oberbayern oder diejenigen einer Brauerei            la der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie
in Sachsen sein und stehen für eine lokale oder             sowie der Archäologie des Mittelalters und der
regionale historische Identität. Auf welcher Ebe-           Neuzeit zeitlich und thematisch zu erweitern, so-
ne auch immer: Die Frage nach der Verantwor-                dass alle Absolventinnen und Absolventen über
tung, die Archäologen dabei tragen, wenn sie                ein solides archäologisches Portfolio verfügen.
durch ihre Ergebnisse und Interpretationen die              Im BA-Studium würde eine solche Ausweitung
Sicht auf die Vergangenheit aus der jeweiligen              kaum oder keine Ressourcen verschlingen, wenn

DGUF-Tagung 2020: Archäologie der Moderne              40
Zehn Thesen zu einer Archäologie der Moderne

beispielsweise diachron angelegte Proseminare                anderen Epochen abgegriffen werden, spiegelt
(Epochenüberblick) erweitert werden. Im Master-              aus meiner Sicht ein überholtes archäologisches
studium wäre eine Vertiefung und/oder Speziali-              Selbstverständnis wider, das weder den Reali-
sierung sinnvoll. In welcher Intensität eine solche          täten archäologischer Bodendenkmalpflege noch
erfolgen kann, ist in der Tat eine Frage der Res-            musealer oder universitärer Wirklichkeiten im 21.
sourcen und bestehender Profilbildungen vor Ort.             Jahrhundert gerecht wird. Aus universitärer Sicht
Epochale Schwerpunktbildungen in der Ur- und                 kann man wohl kaum davon sprechen, dass beste-
Frühgeschichte/Archäo­logie des Mittelalters und             hende und klassisch denominierte Lehrstühle dem
der Neuzeit sind im Übrigen schon lange vor-                 Ausbau einer Archäologie der Moderne geopfert
handen und dynamisch – einer Forderung, die                  wurden oder werden sollen. Unabhängig davon
Archäo­logie der Moderne flächendeckend zu in-               sind in der Entwicklung der (deutschen) ur- und
stallieren, würde ich eher eine Absage erteilen. Mit         frühgeschichtlichen Universitätslandschaft immer
Blick auf die spezialisierten Masterprogramme                wieder Veränderungen in den thematischen und
der Archäo­logie des Mittelalters und der Neuzeit            zeitlichen Schwerpunkten zu beobachten (z. B.
halte ich eine Integration des 19.-21. Jahrhunderts          Keltenforschung, Frühmittelalter), wobei hier stets
für notwendig, zumal der Überbegriff „Neuzeit“               auch außeruniversitäre Einrichtungen – insbeson-
dies im Kern impliziert. Neben einer curricularen            dere die Leibniz-Museen – mit zu berücksichtigen
Verankerung würde ich vor allem für fachüber-                sind. Auch aus Sicht der archäologischen Boden-
greifende Lehrveranstaltungen plädieren. Gera-               denkmalpflege stellt sich das Grundsätzliche die-
de die Archäologie der Moderne bietet mit ihren              ser Frage kaum, da deren Auftrag gesetzlich defi-
parallelen und verdichteten Überlieferungen eine             niert ist und etwaige Schwerpunktbildungen bzw.
hervorragende Plattform, um nicht nur thema-                 Priorisierungen zugunsten anderer Epochen durch
tische, sondern auch methodische Aspekte zu be-              die jeweils zuständigen Denkmalämter ausgehan-
handeln. In Bezug auf Verbundforschungen sollte              delt werden. Für die Bodendenkmalpflege stellt
die gute Tradition gemeinsamer Forschungspro-                sich eher die Frage, welche Objekte des 19. und
jekte zwischen der archäologischen Bodendenk-                20. Jahrhunderts den Definitionen der Denkmal-
malpflege, Museen und den archäologischen Fä-                schutzgesetze entsprechen und daher geschützt
chern an den Universitäten fortgesetzt werden.               oder im Fall nicht abwendbarer Zerstörung unter-
Eine Zusammenarbeit auch auf dem Feld der Ar-                sucht und magaziniert werden müssen. Ausgehend
chäologie der Moderne erfolgt schon seit einigen             davon müssen – wie für andere ar­    chäo­logische
Jahren an verschiedenen Universitäten. Kurzum:               Zeit- und Themenfelder auch – Diskussionen um
Weitaus wichtiger als eine nominelle universitäre            Ausgrabung, Lagerung, Archivierung, Konser-
Verankerung ist es, Themenfelder für archäolo-               vierung usw. geführt werden. Im Kern muss es
gische Forschungen zu identifizieren und inter-              darum gehen, die Plausibilität und Akzeptanz ar-
disziplinär tätig zu werden.                                 chäologischen Arbeitens und Erkenntnisgewinns
                                                             zu stärken und die Rahmenbedingungen für alle
                                                             Akteure zu verbessern. Dies muss unabhängig von
These 10: Die Archäologien müssen                            den Institutionen und den Epochen erfolgen, denn
gestärkt werden – unabhängig von                             nur dann kann Archäologie von einer Wissen-
Fragen nach Ressourcen und möglichen                         schaft über die Vergangenheit zu einem Partner
Verteilungskämpfen                                           für die Gegenwart und Zukunft werden.

Die DGUF fragte zu Recht nicht, ob eine Archäo-
logie der Moderne generell sinnvoll ist, sondern             Anmerkung
„was muss passieren, damit die Archäologie der Mo­
derne erfolgreich gestärkt wird, ohne dass andere Ar­        1
                                                               Die Thesen sind aus universitärer Sicht verfasst und
chäologien darunter leiden?“. Dabei wäre zu fragen,          werden sich nicht immer mit den Perspektiven aus der
welche Archäologien aktuell unter einer Archäo-              archäologischen Denkmalpflege, den Museen oder ande-
                                                             ren Interessensvertretern decken. Wenn im Folgenden von
logie der Moderne „leiden“ und um welche Fel­der             Archäologie gesprochen wird, so beziehe ich mich auf die
(Universität, Denkmalpflege, Museum, Drittmit-               ur- und frühgeschichtliche Archäologie bzw. Archäologie
telakquise usw.) geht es? Ist die Archäologie des            des Mittelalters und der Neuzeit.
Mittelalters gemeint? Geht es um die ur- und früh-
geschichtliche Archäologie oder die Klassische
Archäologie? Die Frage, ob und welche Ressour-
cen von der Archäologie der Moderne gegenüber

                                                        41                   DGUF-Tagung 2020: Archäologie der Moderne
Ulrich Müller

Literatur                                                        Lukas-Krohm, V. (2014). Denkmalschutz und
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DGUF-Tagung 2020: Archäologie der Moderne                   42
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of New Mexico Press.

Über den Autor
Ulrich Müller hat den Lehrstuhl für Frühge-
schichte, Archäologie des Mittelalters und der
Neuzeit an der CAU Kiel inne. Seine Arbeitsgrup-
pe beschäftigt sich unter anderen mit Themen wie
Industrialisierung im 20. Jahrhundert, den Relik-
ten der Weltkriege sowie einer Archäologie der
Gegenwart.

               Prof. Dr. Ulrich Müller
       Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte
(Frühgeschichte, Mittelalter- und Neuzeitarchäologie)
        Institut für Ur- und Frühgeschichte
        Christian-Albrechts-Universität Kiel
            Johanna-Mestorf-Straße 2-6
                      24118 Kiel
              umueller@ufg.uni-kiel.de

                                                           43              DGUF-Tagung 2020: Archäologie der Moderne
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