Die G-20: Auf dem Weg zu einer "Weltwirtschaftsregierung"? - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

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INTERNATIONALE POLITIKANALYSE

        Die G-20: Auf dem Weg zu einer
           »Weltwirtschaftsregierung«?

CHRISTOPH POHLMANN, STEPHAN REICHERT, HUBERT RENÉ SCHILLINGER (Hrsg.)
                                                            Juni 2010

        n Im Herbst 2008 stand das Weltwirtschaftssystem am Abgrund. Die internationale
          Gemeinschaft war mit der größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit der Großen
          Depression der 1930er Jahre konfrontiert. Auf die erste globale Finanz- und Wirt-
          schaftskrise des 21. Jahrhunderts haben die führenden Industrie- und Schwellenländer
          im Rahmen der neu formierten »Gruppe der 20« (G-20) mit einer Serie von Weltwirt-
          schaftsgipfeln reagiert, auf denen zur Rettung der Weltwirtschaft u.a. konjunkturelle
          Stützungsmaßnahmen in bisher ungekanntem Ausmaß verabredet wurden. Was als
          Ad-hoc-Gipfel zum Krisenmanagement begonnen hatte, scheint sich inzwischen als
          feste Einrichtung etabliert zu haben. Die G-20 ist dabei die G-8 als wichtigstes welt-
          wirtschaftliches Koordinationsforum zu verdrängen.

        n Doch kann die G-20 die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen und in die Rolle einer
          »Weltwirtschaftsregierung« hineinwachsen? Die beiden renommierten Politökono-
          men Andrew F. Cooper und Eric Helleiner gehen dieser Frage in ihrem Policy Paper
          im ersten Teil dieser Publikation nach und erarbeiten konkrete Politikempfehlungen
          zur Weiterentwicklung der G-20. Der zweite Teil der Publikation besteht aus kurzen
          Länder-Fact Sheets, in denen die Rolle der G-20 aus Sicht der G-20-Mitgliedsstaaten
          analysiert werden.

        n Hauptthese der Publikation ist, dass die G-20 ihr Mandat über das weltwirtschaftliche
          Krisenmanagement hinaus erweitern muss, wenn sie sich dauerhaft als relevantes
          global governance-Gremium etablieren will. Die Friedrich-Ebert-Stiftung möchte mit
          dieser Publikation einen Beitrag leisten zur Debatte über die Zukunft der G-20 im
          Vorfeld des G-20-Gipfels Ende Juni 2010 im kanadischen Toronto.
POHLMANN, REICHERT, SCHILLINGER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

Inhalt

                    Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

                    ANDREW F. COOPER, ERIC HELLEINER:
                    Die G-20: Auf dem Weg zu einer »Weltwirtschaftsregierung«? . . . . . . . . . . . . . . . . 4

                    ESTEBAN KIPER: Länder-Fact Sheet – Argentinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

                    PETER KENYON: Länder-Fact Sheet – Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

                    DAVID SCHÄFER , JOCHEN STEINHILBER: Länder-Fact Sheet – Brasilien . . . . . . . . . . . 21

                    JIEMIAN YANG: Länder-Fact Sheet – China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

                    SEBASTIAN DULLIEN, HANSJÖRG HERR: Länder-Fact Sheet – Deutschland . . . . . . . . 27

                    JÖRN GRIESSE: Fact Sheet – Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

                    SYLVIE MATELLY: Länder-Fact Sheet – Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

                    ANN PETTIFOR: Länder-Fact Sheet – Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

                    RAJIV KUMAR: Länder-Fact Sheet – Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

                    NORBERT VON HOFMANN: Länder-Fact Sheet – Indonesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

                    FILIPPO STELLA: Länder-Fact Sheet – Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

                    ANDREW deWIT: Länder-Fact Sheet – Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

                    SIMON LANGLOIS-BERTRAND: Länder-Fact Sheet – Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

                    VICTOR M. GODINEZ: Länder-Fact Sheet – Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

                    MAXIM V. BRATERSKIJ: Länder-Fact Sheet – Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

                    ECKART WOERTZ: Länder-Fact Sheet – Saudi Arabien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

                    BRENDAN VICKERS: Länder-Fact Sheet – Südafrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

                    AHMET FARUK AYSAN: Länder-Fact Sheet – Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

                    SARAH ANDERSON: Länder-Fact Sheet – USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

                    Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

                                                                  1
POHLMANN, REICHERT, SCHILLINGER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

Vorwort

                 Im Herbst 2008 stand das Weltwirtschaftssystem am Abgrund. Die internationale Gemeinschaft
                 war mit der größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit der Großen Depression der 1930er Jahre
                 konfrontiert. Aber die Reaktion der Regierungen war eine andere als damals: Zusammenarbeit
                 statt isoliertes Verfolgen nationaler Strategien. Auf die erste globale Finanz- und Wirtschaft-
                 skrise des 21. Jahrhunderts hat die internationale Gemeinschaft mit einer Serie von Weltwirt-
                 schaftsgipfeln reagiert, auf denen zur Rettung der Weltwirtschaft u.a. konjunkturelle Stützungs-
                 maßnahmen in bisher ungekanntem Ausmaß verabredet wurden. Das besondere daran war,
                 dass in dieser Krise die Staats- und Regierungschefs der westlichen Industrieländer nicht länger
                 alleine die Geschicke der Weltwirtschaft bestimmen konnten. Gleichberechtigt am Verhand-
                 lungstisch saßen erstmals auch die Staats- und Regierungschefs aus zehn Schwellenländern. Ein
                 neues Forum war geboren: das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der so genannten
                 »G-20«, das erstmals im November 2008 in Washington zu einem Krisengipfel zusammentrat.
                 Der bisherige Krisenverlauf lässt hoffen, dass durch das koordinierte Agieren der Staaten die
                 dramatischen Folgen deutlich geringer ausfallen, als zu Zeiten der Großen Depression.

                 Was als Ad-hoc-Gipfel zum Krisenmanagement begonnen hatte, scheint sich inzwischen
                 als feste Einrichtung etabliert zu haben. Die G-20 ist dabei die G-8 als wichtigstes weltwirt-
                 schaftliches Koordinationsforum zu verdrängen.

                 Allerdings muss die G-20 erst noch beweisen, dass sie wirklich mehr ist als nur ein Papiertiger.
                 Schließlich sind den löblichen Gipfelbeschlüssen zum weltwirtschaftlichen Krisenmanagement und
                 zur Reform der Weltfinanzordnung bisher nur wenige Taten gefolgt. Finanzmarktreformen auf na-
                 tionaler und EU-Ebene kommen nur schleppend voran, die USA, Europa und Japan stecken in der
                 Staatsschuldenkrise, während Großbanken und Hedge Fonds bereits wieder Milliardengewinne
                 verzeichnen. Mit anderen Worten: Die G-20 hat ihre größte Bewährungsprobe noch vor sich.

                 Doch kann die G-20 die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen und in die Rolle einer effektiven
                 »Weltwirtschaftsregierung« hineinwachsen? Die beiden renommierten Politökonomen Andrew
                 F. Cooper und Eric Helleiner gehen dieser Frage in ihrem Policy Paper im ersten Teil dieser Publika-
                 tion nach. Sie analysieren die bisherige Bilanz der G-20 und zeigen Erfolge, Risiken und mögliche
                 Bruchlinien für und innerhalb der G-20 auf. Auch untersuchen sie die Frage des Mandats der
                 G-20 sowie die Problematik von Legitimität und Rivalität im Verhältnis zu G-8 und UN. Das Policy
                 Paper endet mit konkreten Politikempfehlungen zur Weiterentwicklung der G-20, die nachfol-
                 gend im Überblick zusammengefasst sind.

                 Der zweite Teil der Publikation besteht aus kurzen G-20-Länder-Fact Sheets. Experten analy-
                 sieren in kompakter Form die wirtschaftliche Post-Krisen-Situation im jeweiligen Land und die
                 Bedeutung der G-20-Beschlüsse für die nationale Wirtschaftspolitik, die Interessen des Landes
                 im G-20-Prozess sowie die Rolle, die das Land der G-20 zuerkennt.1

                 Die Friedrich-Ebert-Stiftung möchte mit dieser Publikation einen Beitrag leisten zur Debatte
                 über die Weiterentwicklung der G-20. Die G-20-Gipfel Ende Juni 2010 in Toronto sowie Mitte
                 November 2010 in Seoul werden entscheidend dafür sein, ob sich die G-20 tatsächlich auf Dau-
                 er als glaubwürdiges und wirksames globales Koordinations- und Verhandlungsforum im Sinne
                 einer informellen »Weltwirtschaftsregierung« etablieren kann. Deshalb hoffen wir auf breites
                 Interesse und danken allen beteiligten Autorinnen und Autoren herzlich für ihre Mitwirkung.

                 Christoph Pohlmann, Stephan Reichert, Hubert René Schillinger 2

                 1. Redaktionsschluss für die Länder-Fact Sheets war der 14.5.2010. Spätere Entwicklungen konnten nicht mehr berück-
                 sichtigt werden.
                 2. Christoph Pohlmann ist Referent für Internationale Wirtschaftspolitik in der Internationalen Politikanalyse der Friedrich-
                 Ebert-Stiftung (FES) in Berlin, Stephan Reichert ist Trainee im Referat Globale Politik und Entwicklung der FES, Hubert René
                 Schillinger ist der Koordinator des Globalisierungsprojekts der FES.

                                                            2
POHLMANN, REICHERT, SCHILLINGER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

           Sieben Empfehlungen zur Politik der G-20, um sie als ein Organ der Welt-
           wirtschaftsordnung zu stärken (vgl. Andrew F. Cooper und Eric Helleiner im
           nachfolgenden Strategiepapier)

        n Die Staats- und Regierungschefs der G-20 sollten weiterhin eine vorausschauende
          Reform der Finanzmarktregulierung voranbringen. Mit Blick auf eine schnelle Um-
          setzung vereinbarter Reformen, sollten sie sich dabei auf die Formulierung von Re-
          gulierungsgrundsätzen beschränken und den nationalen Ebenen breiten politischen
          Spielraum in Detailfragen einräumen.

        n Die internationale Agenda zur Regulierung der Finanzmärkte muss erweitert werden.
          Sie muss sich auch mit der Rolle von Kapitalverkehrsbeschränkungen, von Verfahren
          zur Restrukturierung von Staatsschulden und der Veröffentlichung von Umweltrisi-
          ken auseinandersetzen sowie der Gefahren, die durch unzulässige Einflussnahmen
          des Privatsektors auf die Regulierungsagenda entstehen.

        n Die G-20 sollte sich zur Überwindung der globalen Wirtschaftsungleichgewichte
          nicht zu sehr auf das »Rahmenwerk für ein starkes, nachhaltiges und ausgewogenes
          Wachstum« verlassen. Neben dem Rahmenwerk könnte die G-20 die globalen Un-
          gleichgewichte auf konkretere und dauerhaftere Weise angehen, indem sie die Rolle
          der SZR (Sonderziehungsrechte) als globaler Reservewährung unterstützen. Ebenso
          wichtig ist die Aufgabe, durch eine umfangreiche Reform seiner Führungs- und Ent-
          scheidungsstrukturen das Vertrauen in den IWF in Ländern mit großen Währungsre-
          serven wiederherzustellen.

        n Der Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board, FSB), muss sein Legitimitätsproblem
          aufgrund der beschränkten Mitgliedschaft in dieser Organisation überwinden, wenn
          es in die Rolle der vierten Säule der globalen Wirtschaftsordnung hineinwachsen will.

        n Auf institutioneller Ebene sollten die G-20 und die G-8 sich gegenseitig bestärken.
          Statt darauf zu dringen, das organisatorische Format zu straffen, könnte der beste
          Ansatz darin bestehen, das Format bewusst lose und flexibel zu halten und die Betei-
          ligung einer Reihe weiterer externer Gruppierungen zu fördern.

        n Ist die aktuelle Krise erst einmal überwunden, muss die G-20 ihr Mandat zielstrebig
          erweitern, da die Gelegenheit, sich weiterreichenden globalen Problemen jenseits
          ökonomischer Fragen anzunehmen, vielleicht nur für kurze Zeit gegeben sein wird.
          Auf den nächsten Gipfeltreffen in Kanada und Südkorea muss die G-20 in die Of-
          fensive gehen und beweisen, dass sie funktional in der Lage ist, die drängenden
          globalen Probleme anzugehen.

        n Durch die Ausrichtung auf globale öffentliche Güter – Klimawandel, Nahrungsmit-
          telsicherheit und globale Gesundheit – kann die G-20 ihr politisches Netzwerk über
          die Sphäre der Staaten hinaus vertiefen. Während die Weltwirtschaft sich neu ori-
          entiert, ist die G-20 in einer starken Position, innovative Formen der Finanzierung zu
          entwickeln und den Transfer von Wissen, Wohlstand und Technologie zu fördern.

                                         3
Andrew F. Cooper, Eric Helleiner
Die G-20: Auf dem Weg zu einer »Weltwirtschaftsregierung«?

       Einleitung: Herausforderungen durch die                  nahmen haben sichergestellt, dass die Folgen und Ne-
         weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise                 benwirkungen der Krise wesentlich glimpflicher waren
                                                                als die der frühen 1930er Jahre (übrigens auch glimpfli-
Die 2007 einsetzende globale Finanz- und Wirtschafts-           cher als es viele Analysten zu Beginn der aktuellen Krise
krise war die schlimmste, die die Welt seit der Großen          vorhersagten). Zur Bekämpfung der Ursachen, wie dem
Depression erlebt hat. Sie stellte die Weltgemeinschaft         Versagen der Regulierungsmechanismen und den glo-
vor eine Reihe schwieriger Herausforderungen.                   balen Ungleichgewichten, brachten die Regierungen
                                                                wichtige zielorientierte internationale Reformvorhaben
Auf der Ebene des Krisenmanagements mussten die                 auf den Weg. Der Gegensatz zu den gescheiterten in-
politischen Entscheidungsträger Maßnahmen ergreifen,            ternationalen Reforminitiativen in den 1930er Jahren,
um die Liquidität der in Not geratenen Institutionen und        wie der Londoner Wirtschaftskonferenz von 1933, ist
Märkte zu gewährleisten. Aufgrund der Verflechtungen            eklatant.
und gegenseitigen Abhängigkeiten auf den globalen
Finanzmärkten musste dies vorzugsweise auf eine inter-          Wie sind diese gegensätzlichen Erfahrungen zu erklären?
national abgestimmte Art und Weise passieren. Zudem             Aus der Weltwirtschaftskrise von 1929 hat man wichti-
brauchten einige aufgrund von Zahlungsbilanzdefiziten in        ge Lehren gezogen, von denen die Notwendigkeit einer
die Krise geratene Länder – vor allem ärmere Länder –           internationalen kooperativen Reaktion auf weltweite
internationale Soforthilfen. Des Weiteren war eine inter-       Finanz- und Wirtschaftskrisen eine der wichtigsten ist.
nationale Zusammenarbeit erforderlich, um die geordnete         Die Einrichtung des neuen G-20-Forums auf Ebene der
Abwicklung von bankrott gegangenen internationalen              Staats- und Regierungschefs im November 2008 spielte
Unternehmen zu ermöglichen. Als die Auswirkungen der            eine zentrale Rolle dabei, diese gemeinsame Reaktion
Krise über die Finanzmärkte hinausgingen, musste dem            noch zu verstärken.
Abschwung in der Realwirtschaft mit geld- und haus-
haltspolitischen Konjunkturprogrammen entgegenge-
wirkt werden, deren Wirksamkeit durch eine länderüber-          Politische Maßnahmen und Reformvorschläge
greifende Koordination erhöht werden konnte.                    in Reaktion auf die Krise im Rahmen der G-20

Neben der Stabilisierung von Finanzmärkten und Makro-           G-20 Krisenmanagement
ökonomie standen die politischen Entscheidungsträger
vor der Herausforderung, die Gelegenheit des Moments            Das G-20-Gipfeltreffen spielt von Anfang an eine kata-
beim Schopfe zu packen und internationale Reformen              lytische Rolle bei der Förderung einer engeren Koope-
auf den Weg zu bringen, um die grundlegenden Ursa-              ration im Krisenmanagement. Auf ihrem ersten Treffen
chen der Krise zu beseitigen. Die Krise hatte gravierende       im November 2008 verpflichteten sich die Staats- und
Schwächen der bestehenden nationalen und internatio-            Regierungschefs der G-20, »die erforderlichen fiskali-
nalen Regulierungs- und Aufsichtspraktiken, die eigent-         schen Maßnahmen [zu] ergreifen, um die Binnennach-
lich die Finanzmarktstabilität sicherstellen sollten, ans       frage rasch anzukurbeln« (Erklärung zum Gipfeltreffen
Licht gebracht. Außerdem hat die Finanzkrise die Ge-            2008: 2). Diese Verpflichtung sorgte für neue fiskalische
fahren offenbart, die von den globalen Ungleichgewich-          Initiativen in vielen Ländern, darunter auch Schwellen-
ten ausgehen, die in den Jahren vor 2007 immer mehr             ländern wie China, das zu der Zeit ein großes fiskalisches
zunahmen; die US-Finanzblase wurde von riesigen Ka-             Konjunkturprogramm ankündigte.
pitalzuflüssen aus Ländern mit hohen Spareinlagen und
großen Leistungsbilanzüberschüssen wie beispielsweise           Auf ihrem zweiten Gipfeltreffen im April 2009 in London
China angeheizt.                                                gingen die führenden Politiker der G-20 noch weiter,
                                                                indem sie sich nicht nur für eine expansive Fiskal- und
Die heutigen politischen Entscheidungsträger haben              Geldpolitik aussprachen, sondern auch ein 1,1 Billionen
viel effektiver auf diese Herausforderungen reagiert als        US-Dollar schweres Programm zur sofortigen Ankur-
ihre Amtskollegen während der Weltwirtschaftskrise              belung der Weltwirtschaft beschlossen. Zu Letzterem
von 1929. Ein auf internationaler Ebene koordiniertes           gehörte eine massive Aufstockung der Ressourcen des
Krisenmanagement sowie konjunkturankurbelnde Maß-               IWF für Notfallkredite, die größte Zuteilung von Son-

Dr. Andrew F. Cooper ist Stellvertretender Direktor und         Dr. Eric Helleiner ist Vorsitzender des Bereichs Internatio-
Distinguished Fellow des Centre for International Gover-        nal Governance am Centre for International Governance
nance Innovation (CIGI). Er lehrt Politikwissenschaft an        Innovation (CIGI). Er lehrt Politikwissenschaft an der Uni-
der Universität Waterloo, Kanada.                               versität Waterloo, Kanada.

                                                            4
ANDREW F. COOPER, ERIC HELLEINER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

derziehungsrechten (SZR) in der Geschichte des IWF                Grundsätze zur Vergütung von Führungskräften gro-
(250 Milliarden US-Dollar), neue Kreditmöglichkeiten              ßer Finanzinstitutionen erzielt, mit denen eine über-
durch multilaterale Entwicklungsbanken und eine Unter-            mäßige Risikobereitschaft eingeschränkt werden soll.
stützung für die Handelsfinanzierung. In der Abschluss-           Außerdem haben die Staats- und Regierungschefs sich
erklärung von London heißt es dazu: »Together with the            für strengere Regeln der Bilanzierung und für Ratin-
measures we have each taken nationally, this constitutes          gagenturen ausgesprochen sowie für neue Arten der
a global plan for recovery on an unprecedented scale«             Regulierung von Hedgefonds und von außerhalb der
(G-20 Leaders 2009a: 1). Gleichzeitig enthält das Kom-            Börsen gehandelten Derivaten.
muniqué des Londoner Gipfels die Ankündigung, dass die
G-20-Staaten sich dazu verpflichten, »to take all neces-          All diese Maßnahmen wurden von den G-20-Mitglieds-
sary actions to restore the normal flow of credit through         staaten befürwortet, aber sie sind noch nicht vollständig
the financial system and ensure the soundness of sys-             auf der nationalen Ebene umgesetzt. Für viele der in den
temically important institutions« (G-20 Leaders 2009a:            G-20-Prozessen gefassten Beschlüsse bedarf es größerer
2). Auf ihrem dritten Gipfel in Pittsburgh im September           Gesetzesänderungen und somit der Zustimmung von
2009 wiederholten die Staats- und Regierungschefs ihre            Politikern in den heimischen Parlamenten, deren Sicht-
Vereinbarung: »[We must] continue to implement our                weisen nicht immer mit denen der Unterhändler in den
stimulus programs to support economic activity until re-          G-20-Gremien übereinstimmen. Zur Zeit werden im US-
covery clearly has taken hold« (G-20 leaders 2009b: 5).           Kongress sowie in den gesetzgebenden Organen Euro-
                                                                  pas und anderer Kontinente hitzige Debatten darüber
             Regulierung der globalen Finanzmärkte                geführt, in welchem Ausmaß die von der G-20 verein-
                                                                  barten internationalen regulatorischen Initiativen in den
Neben diesen entschiedenen Maßnahmen zum Krisenma-                einzelnen Ländern tatsächlich eingeführt werden.
nagement leitete die G-20 auch sofort ein zukunftsorien-
tiertes internationales Reformprogramm ein. Ein Großteil          Besonders intensiv wird über einen anderen Aspekt der
der Abschlusserklärung des ersten G-20-Gipfeltreffens in          G-20-Reformagenda debattiert: Die Einbeziehung von
Washington war einem bereits sehr detaillierten Strate-           Elementen der Finanzaufsicht auf Makroebene in die
gieplan für die Reform der internationalen Finanzaufsicht         internationalen Standards der Finanzmarktregulierung.
gewidmet. Dieser Plan stützte sich zwar weitgehend auf            Vor der Krise konzentrierte sich die internationale Fi-
eine im Rahmen des Finanzstabilitätsforums (FSF) früher           nanzaufsicht vorwiegend auf die Stabilität einzelner
im selben Jahr entwickelte Agenda, aber die G-20 setzte           Finanzinstitutionen. Die Krise veranschaulichte die Not-
deutlich Prioritäten hinsichtlich einiger Schlüsselreformen       wendigkeit, die Finanzaufsicht auf Mikroebene mit der
und legte strenge Fristen fest, die von den nationalen            auf Makroebene zu ergänzen, bei der es um die Stabi-
Unterhändlern, internationalen Instituten und den inter-          lität des gesamten Finanzsystems geht. Die Unterstüt-
nationalen Standardsettern einzuhalten waren. Auch auf            zung für dieses neue Regelwerk der Finanzaufsicht auf
den folgenden G-20-Gipfeltreffen räumten die Staats-              Makroebene durch die G-20 ist von entscheidender Be-
und Regierungschefs den internationalen Reformen zur              deutung, aber in Bezug auf seine Umsetzung müssen
Regulierung der Finanzmärkte einen hohen Stellenwert              noch viele Einzelheiten geklärt und vereinbart werden.
ein und trieben den Reformprozess mit neuen Prioritäten
und Fristsetzungen voran.                                         Beispielsweise unterstützten die Staats- und Regierungs-
                                                                  chefs das wichtige Prinzip, dass »systemisch bedeutsa-
Ein wichtiges Ziel der G-20 war und ist die Stärkung              me« Finanzinstitutionen besonderen Regeln unterliegen
der Bankenregulierung und -aufsicht. Dazu gehören                 sollten, die den Kosten ihres Scheiterns angemessen sei-
neue Regeln zur Liquidität, ein verbessertes Risikoma-            en (G-20 Leaders 2009b: 9). Aber es besteht noch kaum
nagement und strengere Offenlegungsstandards, hö-                 Einigkeit darüber, wie die Regeln für diese Institutionen
here Eigenkapitalanforderungen sowie die Einrichtung              nun genau aussehen sollten. Einige der Politiker befür-
neuer, aus Aufsichtsbehörden mehrerer Länder beste-               worten eine Größenlimitierung der Institutionen, andere
hender Gremien (colleges of supervisors) zur Aufsicht             bevorzugen einen Ausschluss dieser Unternehmen von
über die weltgrößten Finanzinstitute. Erstmals wurde              hochriskanten Finanzgeschäften und wieder andere
auch Einvernehmen über eine Reihe internationaler                 sprechen sich dafür aus, dass diese Institutionen schlicht

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ANDREW F. COOPER, ERIC HELLEINER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

schärferen Regeln und strengerer Überwachung unter-              compact that commits us to work together to assess
worfen werden und »lebende Testamente« aufsetzen                 how our policies fit together, to evaluate whether they
müssen, aus denen hervorgeht, wie sie bei finanziellen           are collectively consistent with more sustainable and
Schwierigkeiten abgewickelt werden können. Uneinig-              balanced growth and to act as necessary to meet our
keit herrscht auch in der Frage, ob diese Finanzunter-           common objectives« beschrieben (G-20 Leaders 2009b:
nehmen an den Kosten für die Rettungspakete beteiligt            2). Unter diesem Rahmenwerk werden die G-20-Staa-
werden sollten. Es besteht die Gefahr, dass die politi-          ten gemeinsame politische Ziele vereinbaren und im
schen Debatten über diese Themen in und zwischen                 Licht dieser Ziele eine gegenseitige Bewertung des mit-
den Ländern Reformen in diesem Bereich verzögern                 telfristigen Politikrahmens eines jeden Landes vorneh-
oder sogar ganz verhindern könnten.                              men, wobei IWF und Weltbank zur Analyse beitragen,
                                                                 wie die Politiken der Länder zu einander passen. Die
Der Fokus auf diese internationalen regulatorischen Re-          Ergebnisse dieser ersten gegenseitigen Bewertungen
formen war in mehrfacher Hinsicht eingeschränkter als            werden im Juni 2010 auf dem Gipfeltreffen in Toronto
er hätte sein können. Wenig Beachtung hat die bisherige          überprüft, auf dem den Staats- und Regierungschefs
G-20 Reformagenda der Frage geschenkt, welche Rolle              ein Korb alternativer Politikoptionen zur Erreichung ge-
Kapitalverkehrsbeschränkungen spielen können, um zu              meinsamer Ziele vorgelegt wird. Das Rahmenwerk ist
verhindern, dass spekulative grenzüberschreitender Kapi-         auch mit einer Reihe von »Grundwerten für nachhalti-
talflüsse das Auf- und Ab der einheimischen Finanzmärk-          ge Wirtschaftsaktivitäten« untermauert, zu denen die
te zusätzlich verstärken, besonders in Entwicklungslän-          Verantwortung gehört, Politiken zu verabschieden, die
dern. Ebenso wurde der Bedarf an Mechanismen für eine            dazu beitragen, nicht tragfähige globale Ungleichge-
geregeltere Umstrukturierung von Staatsschulden ver-             wichte zu verhindern (G-20 Leaders 2009b: 20).
nachlässigt – ein Bedarf, den die Krise Griechenlands im
Mai 2010 besonders deutlich zutage brachte. Außerdem             Das Rahmenwerk signalisiert eine willkommene Ver-
versäumte es die G-20, die internationale Regulierungs-          pflichtung zur Stärkung der internationalen makroöko-
reform mit Umweltfragen in Zusammenhang zu bringen;              nomischen Kooperation und einen Schritt in Richtung
sie hätten beispielsweise die Forderung einiger Investo-         eines ausgewogeneren Musters des globalen Wachs-
rengruppen und Umweltschutzorganisationen aufgreifen             tums. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob damit viel er-
können, Angaben zu Umweltrisiken in die Aufsichtsstan-           reicht wird. In der Vergangenheit gab es schon viele
dards einzubeziehen (Helleiner und Thistlethwaite 2009).         gescheiterte Anläufe, die weltweite makroökonomische
Genausowenig haben sich die Führer der G-20 bisher mit           Zusammenarbeit zu fördern, darunter die vom IWF 2006
der Frage der faktischen Übernahme der Ausgestaltung             durchgeführten multilateralen Konsultationen. Obwohl
und Formulierung von Regulierungspolitiken durch den             einige Initiativen dieser Art in den späten 1970er Jahren
davon betroffenen Privatsektor (regulatory capture) be-          oder Mitte der 1980er Jahre etwas erfolgreicher schie-
fasst, obwohl viele Analysten diesem Phänomen einen              nen, waren sie nur kurzlebig. Angesichts des zentralen
erheblichen Teil der Schuld an der Krise zuschreiben (Hel-       Stellenwerts der Geld- und Fiskalpolitik innerhalb der
leiner und Porter 2010).                                         nationalen Wirtschaftspolitik sind die politischen Ent-
                                                                 scheidungsträger argwöhnisch gegenüber internationa-
           Globale Ungleichgewichte reduzieren:                  len Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit auf diesen
    Ein Rahmenwerk für starkes, nachhaltiges und                 Politikfeldern.
                      ausgewogenes Wachstum
                                                                 Der Beschluss der G-20 auf dem Gipfel von London,
Auf den ersten beiden G-20-Gipfeltreffen stand noch die          Sonderziehungsrechte des IWF im Wert von 250 Milliar-
internationale Reformagenda zu regulatorischen Fragen            den US-Dollar zuzuteilen, stellte eine konkretere Initiati-
im Mittelpunkt der Gespräche, aber ab dem Pittsburgh-            ve dar, das Problem der globalen Ungleichgewichte an-
Gipfel begannen die Staats- und Regierungschefs, sich            zugehen. Einer der wichtigsten Gründe für die Zunahme
auch mit den globalen Ungleichgewichten auseinander              der globalen Ungleichgewichte im Verlauf des letzten
zu setzen. Im Abschlusskommuniqué dieses Gipfels                 Jahrzehnts war die steigende Nachfrage vieler Entwick-
wird ein neues »Rahmenwerk für starkes, nachhaltiges             lungsländer nach offiziellen Dollarreserven (Mateos y Lago
und ausgewogenes Wachstum« vorgestellt und als »a                et al. 2009). Im Zuge der ostasiatischen Finanzkrise von

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ANDREW F. COOPER, ERIC HELLEINER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

1997 und 1998 bauten viele Entwicklungsländer ihre              dungsstrukturen. Die Führer der G-20 haben sich darauf
Währungsreserven als eine Form von Schutz sowohl                verständigt, den Schwellen- und Entwicklungsländern
gegen externe Schocks wie auch vor der Abhängigkeit             ab 2011 höhere Stimmanteile und größeren im IWF zu
vom IWF auf, dessen Aktionen in der damaligen Krise             gewähren. Es wurde bereits vereinbart, dass die Spit-
von vielen Seiten als kontraproduktiv, zu stark eingrei-        zenpositionen der Bretton-Woods-Institutionen durch
fend und als allzu sehr von US-amerikanischen Zielen            einen offenen, transparenten und leistungsbezogenen
beeinflusst kritisiert worden waren. Unter dem auf dem          Auswahlprozess besetzt werden (Londoner Gipfel) und
Dollar basierenden internationalen Währungssystem               dass eine Umverteilung von fünf Prozent der IWF-Antei-
konnte dieser steigende »vorsorgliche« Bedarf nach of-          le auf die Schwellen- und Entwicklungsländer stattfin-
fiziellen Währungsreserven nur dadurch gedeckt wer-             det (Pittsburgher Gipfel). Die Aufgabe, diese und ande-
den, dass die USA immer höhere Leistungsbilanzdefizite          re sinnvolle IWF-Reformen umzusetzen, sollte eine der
produzierte. Durch die Erhöhung der Sonderziehungs-             Top-Prioritäten der G-20 bleiben.
rechte sorgte die G-20 für einen neuen Vorrat an Reser-
ven, der nicht mehr länger von der Zahlungsbilanzsitua-         Die Reform der Führungs- und Entscheidungsstrukturen
tion der USA abhängig war. Diese neue SZR-Zuteilung,            der Bretton-Woods-Institutionen ist nicht der einzige As-
die erste seit 1981, erhöhte den Anteil der SZR an den          pekt der globalen Finanzordnung im Blickfeld der G-20.
offiziellen nicht aus Gold bestehenden Weltreserven             Eine ihrer wichtigsten ordnungspolitischen Initiativen war
über Nacht von unter 0,5 Prozent auf etwa fünf Prozent          die Entscheidung auf dem Londoner Gipfel im April 2009,
(Williamson 2009).                                              das Finanzstabilitätsforum (FSF) in den Finanzmarktsta-
                                                                bilitätsrat (FSB) umzuwandeln. Wie schon dem FSF fällt
Die G-20 müssen dieser Einmalzuteilung von SZR auf              auch dem FSB die Aufgabe zu, die globale Finanzstabilität
regelmäßiger Basis neue Bereitstellungen folgen lassen.         zu erhöhen, indem die internationalen Standards der Fi-
Die Nachfrage nach Währungsreserven aus Gründen der             nanzaufsicht verschärft, die Schwachstellen des globa-
Vorsorge wird sich vermutlich in den kommenden Jah-             len Finanzsystems erkannt und die Koordination und der
ren noch erhöhen, weil die politischen Entscheidungs-           Informationsaustausch zwischen nationalen Finanzbe-
träger gesehen haben, dass Länder mit prallgefüllten            hörden, internationalen Finanzinstitutionen und den für
»Kriegskassen« voller Reserven weniger verwundbar               internationale Standardsetzung zuständigen Institutionen
gegenüber der Krise waren als die Länder, die über kei-         verbessert wird. Der Finanzstabilitätsrat wurde mit einer
ne Währungsreserven verfügten. Stimmte die G-20 ei-             starken Organisation und neuen Aufgaben ausgestattet
ner regelmäßigen jährlichen Emission von SZR zu, würde          und zwar in Bezug auf ein Frühwarnsystem, ein obligato-
das dazu beitragen, den Bedarf zu decken, ohne dabei            risches Peer-Review für die Mitgliedsländer, strategische
wie vor der Krise das Muster der globalen Ungleichge-           Überprüfungen der Arbeit der internationalen Standard-
wichte wieder zu verstärken (Bergsten 2009). Gleichzei-         setter und die Schaffung und Leitung von sogenannten
tig würde die Attraktivität der SZR als Leitwährung stei-       Aufseherkollegien (supervisory colleges) für alle großen
gen, wenn die Regierungen der G-20-Länder sich mehr             grenzübergreifenden Finanzinstitute. Außerdem müssen
darum bemühten, durch Maßnahmen wie die Ausgabe                 die internationalen Standardsetter dem FSB Berichte über
von auf SZR lautenden Wertpapieren private Märkte für           ihre Arbeit zukommen zu lassen, um ihre Rechenschafts-
die SZR zu erschließen (Eichengreen 2009).                      pflicht auszuweiten (FSB 2009: 3).

                 Die internationale Wirtschafts- und            Die wichtigste Verbesserung gegenüber dem FSF besteht
                       Finanzarchitektur reformieren            jedoch in der erweiterten Mitgliedschaft des FSB. Wäh-
                                                                rend die Mitgliedschaft im FSF auf die Länder der G-7 plus
Ein anderer Mechanismus, dem Bedarf von Ländern                 Australien, Hongkong, die Niederlande, Singapur und die
nach einer »Selbstabsicherung« zu begegnen, wäre die            Schweiz beschränkt war, wurde sie mit dem FSB auf alle
Wiederherstellung des Vertrauens in die multilateralen          G-20-Länder, Spanien und die Europäische Kommission
Absicherungsmechanismen des IWF. Aber ein erneutes              ausgeweitet. Diese breitere Mitgliedschaft verleit dem FSB
Vertrauen in den IWF von Seiten der Länder mit großen           eine höhere Legitimität, die Rolle einzunehmen, die US-
Währungsreserven ist abhängig von der Umsetzung ei-             Finanzminister Tim Geithner als eine Art »vierte Säule«
ner erheblichen Reform seiner Führungs- und Entschei-           der Architektur der globalen Wirtschaftsordnung neben

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ANDREW F. COOPER, ERIC HELLEINER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

IWF, Weltbank und WTO bezeichnete (US-Finanzministe-               Das Verhältnis von G-8, G-20 und VN
rium 2009). Diese Veränderung ist zwar schon eine Ver-
besserung, aber im Vergleich zu den drei anderen Säulen            In Verbindung mit der G-20 wurden vorallem zwei mul-
der globalen Wirtschaftsordnung ist die Mitgliedschaft             tilaterale Institutionen, nämlich der IWF und der umge-
im FSB nach wie vor sehr beschränkt. Die G-20 äußerte              baute FSB, im Vergleich zu anderen internationalen Orga-
den Wunsch, der FSB solle sich um eine weltweite Be-               nisationen gestärkt. Die Vereinten Nationen (VN) hatten
folgung der von ihm empfohlenen Standards bemühen,                 anfangs die Idee einer G-20 begrüßt; es deutete sogar ei-
aber seine Legitimität gegenüber Nicht-Mitgliedern ist             niges darauf hin, dass VN-Generalsekretär Ban Ki-Moon
problematisch und muss noch geklärt werden. Um den                 den New Yorker Hauptsitz als Veranstaltungsort für das
Ambitionen seiner Schöpfer gerecht zu werden, muss                 Treffen anbieten würde. Es folgte eine weitere Einladung,
der FSB auch ein größeres Sekretariat erhalten. (Helleiner         die aber ebenso abgelehnt wurde. Statt sich als zentraler
2010).                                                             Bestandteil des G-20-Konzepts zu etablieren, wurden die
                                                                   VN immer weiter an den Rand des Prozesses gedrängt.

  Die G-20 als wichtigstes weltwirtschaftliches                    Auch wenn der VN-Generalsekretär Ban dem G-20-Tref-
          Forum: Möglichkeiten und Grenzen                         fen in Washington beiwohnte, wurde am Vorabend des
                                                                   Gipfels eine ziemlich große Kluft zwischen dem Ansatz
  Die internationale Finanz- und Wirtschaftspolitik                der VN und dem der G-20 deutlich. In einer Pressekon-
                                      koordinieren                 ferenz am 11.11.2008 (das G-20-Treffen fand am 14.
                                                                   und 15. statt), richtete Ban seine Aufmerksamkeit auf
Die bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin, dass die             die Notwendigkeit eines »inklusiven Multilateralismus«,
G-20 eine Reihe von Möglichkeiten hat, ein Forum zur               dessen Fokus auf dem Schutz des Wohlergehens der
Umgestaltung der Weltwirtschaftsordnung zu werden.                 Entwicklungsländer, den wichtigen Entwicklungszielen
Einerseits kann sie sofortige und kurzfristige Maßnahmen           der VN, Fragen des Klimaschutzes, der Nahrungsmit-
zur Bekämpfung der Rezession bewirken und zum ande-                telkrise und der Entwicklungsfinanzierung lagen (Ban
ren kann sie sich selbst von einer Rezessionsbekämpferin           2008). Wenn auch als allgemeine Zielsetzung löblich,
zur Hauptdrehscheibe der globalen Wirtschaftsordnung               wurde diese Strategie doch von den Punkten auf der
fortentwickeln. Die kurzfristige Rolle hängt mit der ein-          Tagesordnung der G-20 als globalem Krisenstab beiseite
geschränkten technischen Agenda zusammen, bei der es               geschoben.
darum geht, das Momentum der Konjunkturprogramme
aufrechtzuerhalten und diese dann durch eine koordi-               Auf gewisse Weise wurde diese Entfremdungstendenz
nierte Exit-Strategie zurückzufahren. Die langfristige Rolle       durch die Reaktion bestimmter Mitgliedsländer auf der
hat eine bei weitem offenere Agenda und hängt von der              VN-Generalversammlung verstärkt. Statt sich systema-
Fähigkeit der G-20 ab, als eine neue Form von »Steue-              tisch darum zu bemühen, ihre Agenda in die der G-20
rungsgremium« zu agieren. Hinsichtlich der realen und              einzubinden, wurde die VN-Generalversammlung (GV)
institutionellen Ambitionen würde das Mandat der G-20              zur Hauptstätte des organisatorischen Widerstands ge-
dann beträchtlich erweitert.                                       gen die G-20. Stein des Anstoßes war der Schritt des
                                                                   Präsidenten der GV, in Abgrenzung zur G-20 ein Exper-
In der Tat besteht das Risiko des Scheiterns der G-20,             tengremium unter der Leitung von Joseph Stiglitz ein-
wenn sie nicht zielstrebig ihr Mandat erweitert. Das größ-         zuberufen. Auf organisatorischer Ebene wurde die VN-
te Risiko ist sicherlich der Ausbruch einer weiteren wirt-         Konferenz zur Weltwirtschaftskrise Ende Juni 2009 zum
schaftlichen oder sozialen Krise, die durch eine der vie-          wichtigsten alternativen Schwerpunkt.
len globalen Herausforderungen hervorgerufen werden
könnte. Wenn die aktuelle Krise allmählich als überwun-            Das Verhältnis zwischen der G-8 und der G-20 könnte
den gelten kann und keine neuen Themen auf die G-20                man als Konkurrenz bezeichnen. Die G-8 ist geprägt
Agenda gesetzt werden, wird die Implementierung der                durch viele kulturelle Attribute eines Clubs Gleichge-
Exit-Strategie nicht nur den Ausstieg aus den Konjunktur-          sinnter mit einer gemeinsamen Geschichte und Identität
programmen bedeuten, sondern auch den Ausstieg der                 sowie einer sehr ähnlichen Art und Weise, Dinge zu
politischen Führer aus der G-20.                                   erledigen. Obwohl ihre Agenda immer weitreichender

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ANDREW F. COOPER, ERIC HELLEINER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

wurde, blieb die G-8 doch immer ein informelles Forum           Die G-20 und ihre Beziehung zu Ländern
mit beträchtlichem Raum für spontane politische Dis-            außerhalb der Gruppe
kussionen. Dagegen beruht das Image der G-20 auf der
Krisenbewältigung und der größeren Legitimität durch            Die stärksten Einwände gegen die G-20 von außerhalb
eine größere Repräsentation, einschließlich der beiden          des Forums werden durch Bedenken genährt, die G-20
traditionellen Weltmächte und einer Gruppe »aufstre-            sei ein »Konzert« großer Länder, die allen anderen neue
bender« Staaten aus dem globalen Süden.                         Regeln aufzwingen wollen. Diese Einstellung wurde auf
                                                                dem UN-Gipfel der »G-192« zur Finanzkrise und inter-
    Nationale Interessen an der Stärkung der G-20               nationalen Entwicklung im Juni 2009 vor allem von
                                                                Venezuela, Bolivien, Kuba und Nicaragua vehement
Bis zum Gipfel in Pittsburgh war die USA der größte Be-         zum Ausdruck gebracht.
fürworter der G-20. Der G-20 wurde der Vorzug vor an-
deren Formaten gegeben, einschließlich der von Frank-           Durch einige Elemente ihrer thematischen Ausrichtung
reich bevorzugten G-13 bzw. G-14. Mit der Aufnahme              verstärkt die G-20 diesen Eindruck. Der klassische Fall
weiterer Staaten in den Kreis der G-20 konnten die USA          hier ist die Kontroverse um die »Steueroasen«. Kleine
auch politische Verbündete belohnen. In geopolitischer          Staaten, die in dieser Beziehung aktiv, aber in der G-20
Hinsicht gilt dies für die Einbeziehung von Ländern wie         nicht vertreten sind, sehen sich unter Beschuss und an
Südkorea, Indonesien, Australien, der Türkei und Saudi-         den Pranger gestellt. Daher haben eine Reihe von klei-
Arabien. In funktioneller Hinsicht erlaubte die G-20 eine       nen Staaten sowohl aus symbolischen (Ausschluss) als
Zusammensetzung, zu der die MEM-Gruppierung ge-                 auch instrumentellen (Aushöhlung ihres Wettbewerbs-
hörte, die für Präsident Obamas Ansatz im Hinblick auf          vorteils) Gründen begonnen, sich in konkurrierenden
den Klimawandel von Bedeutung ist. Seit Pittsburgh ist          Institutionen zusammenzuschließen.
die Haltung der USA nicht mehr ganz so eindeutig – ei-
nerseits unterstützen sie die wirtschaftliche Agenda der        Mobilisierungen dieser Art sind in Gruppierungen wie
G-20, andererseits scheint ihnen die »Gleichgesinntheit«        der von Katar, Singapur und der Schweiz unter der
der G-8 doch mehr zuzusagen. Noch entschiedener tre-            Schirmherrschaft des Weltwirtschaftsforums ins Leben
ten Kanada, Italien, Japan und bis zu einem gewissen            gerufenen Global Redesign Initiative zu erkennen sowie
Grad auch Russland für die G-8 ein.                             der von Singapur vorangetriebenen Global Governance
                                                                Group bzw. 3G. Beide gründen auf dem spürbaren Ge-
     Allianzen und Koalitionen innerhalb der G-20               fühl der Frustration, dass die G-20 die Anliegen der klei-
                                                                nen Staaten, die keine G-20-Mitglieder sind, nicht ange-
Wenn die G-8-Länder als ein markanter Bestandteil in-           messen berücksichtigt, obwohl diese Staaten denselben
nerhalb der G-20 anzusehen sind, so besteht eine ande-          Herausforderungen gegenüberstehen. Insbesondere die
re potenzielle Koalition in der Kerngruppe der »aufstre-        3G besteht aus mittleren und kleinen Staaten aus fast
benden Mächte«, die sich entweder als BRIC- oder als            allen Regionen der Welt: Singapur, Malaysia, Brunei, die
BIC-Staaten (Brasilien, Indien und China ohne Russland)         Philippinen, Vietnam, Bahrain, Katar, Vereinigte Arabi-
definieren. Jegliche Verhärtung dieser Kategorien könnte        sche Emirate, Schweden, Belgien, Irland, Luxemburg,
letztendlich zu einer Aushöhlung der zentralen Rolle der        Schweiz, Liechtenstein, Monaco, San Marino, Neusee-
G-20 führen.                                                    land, Chile, Uruguay, Costa Rica, Guatemala, Panama,
                                                                Jamaika, Barbados, die Bahamas, Ruanda, Senegal und
Zur Zeit kommt die Debatte auf, ob innerhalb der G-20           Botswana.1
Regionalgruppen zur Abstimmung einheitlicher Positio-
nen gebildet werden sollten, vor allem eine asiatische          Erwähnenswert ist aber, dass die 3G die G-20 nicht
Regionalgruppe. In der Tat hat sich informell eine ähn-         gänzlich ablehnt, sondern sich für eine mehr Länder
liche regionale Interessensgruppe durch eine Initiative
Südafrikas entwickelt: Über das regionale »Komitee
                                                                1. Weitere Informationen zur 3G-Initiative siehe Anhang. Dort ist ein
der Zehn«, einem Treffen afrikanischer Finanzminister,          Schreiben des Ständigen Vertreters Singapurs bei den Vereinten Nationen
                                                                an den VN-Generalsekretär im Auftrag der informellen 3G-Gruppe mit ei-
haben einige afrikanische Länder zumindest indirekten
                                                                nem Dokument unter dem Titel »Strengthening the Framework for G-20
Zugang zur G-20.                                                Engagement of Non-members« wiedergegeben (Anm. d. Herausgeber).

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ANDREW F. COOPER, ERIC HELLEINER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

umfassende und beratendere Form der Weltordnungs-                Empfehlungen
politik einsetzt. Verbindungen zur G-20 werden von
Südkorea durch andere Kontakte hergestellt (beispiels-           Das G-20-Gipfeltreffen hat seit seiner Einrichtung im
weise die ASEAN).                                                Herbst 2008 seine Fähigkeit unter Beweis gestellt, die
                                                                 Zusammenarbeit beim Krisenmanagement stärken zu
  Stärken und Schwächen der G-20 verglichen mit                  können, aber es muss die Schwachstellen des globalen
          anderen internationalen Organisationen                 Finanzmarktes weiterhin im Auge behalten und die Füh-
                                                                 rungsrolle übernehmen bei der Erarbeitung kooperati-
Die Hauptstärke der G-20 besteht weiterhin in ihrer              ver Lösungen für neue Ursachen systemischer Instabili-
Mischung aus Effizienz (im Vergleich zu den VN) und              tät, wie die aktuellen und kommenden Schuldenkrisen
Legitimität (im Vergleich zur G-8). Ihre Schwäche ist            Griechenlands und anderer Staaten.
darin zu sehen, dass sie bisher nicht fähig war, »den
Job fertig zu kriegen«, d. h. über ihre ursprüngliche            Ebenso haben die führenden Politiker der G-20 gezeigt,
beeindruckende Leistung der Einführung von Konjunk-              dass sie in der Lage und Willens sind, eine zukunftswei-
turprogrammen hinaus einen koordinierten Ansatz zu               sende internationale Regulierungs- und Reformagenda
implementieren. Intern bestehen weiterhin Meinungs-              voranzutreiben. Wenn aber zuviel Zeit verstreicht und
verschiedenheiten über regulatorische Fragen, die es             der politische Schwung nachlässt, gerät die Führungs-
verhindern, dass das Forum sich von einem Bekämpfer              rolle der G-20 bei der stärkeren Regulierung der Finanz-
der Rezession zu einem Steuerungsgremium für globa-              märkte durch die mangelnde Umsetzung der Reformen
le Fragen entwickelt.                                            auf der nationalen Ebene unter Druck. Unterschiedliche
                                                                 Sichtweisen der Länder über die Einzelheiten der Im-
Darüber hinaus litt die G-20 von Anfang an unter ei-             plementierung von Vereinbarungen zur Finanzaufsicht
nigen Mängeln hinsichtlich ihrer Größe und ihres geo-            auf Makroebene erschweren eine Harmonisierung der
grafischen Aufbaus. Obwohl verschiedentlich behaup-              Regeln im Detail. Unter diesen Umständen sollten sich
tet wurde, der Aufbau der G-20 spiegele genau die                die Staats- und Regierungschefs der G-20 auf die For-
strukturellen Verschiebungen der globalen Macht zum              mulierung von internationalen Regulierungsgrundsät-
Beginn des 21. Jahrhunderts wider, so fällt doch der             zen beschränken, mit Blick auf eine schnelle Umsetzung
Eurozentrismus in ihrer Zusammenstellung ins Auge.               vereinbarter Reformen den nationalen Ebenen jedoch
Neben den vier großen etablierten Mitgliedern der G-8            breiten politischen Spielraum in Detailfragen einräu-
(Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien)            men. Wobei aber sichergestellt werden muss, dass die
hat auch der Präsident der Europäischen Kommission               nationalen Unterschiede nicht als Vorwand zur Untätig-
einen Sitz in der G-20. Darüber hinaus steht seit dem            keit dienen. Schließlich muss die internationale Agenda
ersten G-20-Treffen in Washington die Tür für weitere            zur Regulierung der Finanzmärkte erweitert werden.
europäische Teilnehmer offen. Von diesen zusätzlichen            Sie muss sich auch mit der Rolle von Kapitalverkehrsbe-
Ländern war Spanien am erfolgreichsten, das jetzt den            schränkungen, von Verfahren zur Restrukturierung von
Status eines »permanenten Gastes« innehat.                       Staatsschulden und der Veröffentlichung von Umweltri-
                                                                 siken auseinandersetzen sowie der Gefahren, die durch
Die Frage der Mitgliedschaft ist gerade auch im Zu-              unzulässige Einflussnahmen des Privatsektors auf die
sammenhang mit der Frage, wer den G-20-Prozess                   Regulierungsagenda entstehen.
beherrscht, ein sehr sensibles Thema. Bis jetzt wurden
alle wichtigen organisatorischen Entscheidungen von              Das neue Interesse der G-20, sich mit globalen Ungleich-
den G-8-Mitgliedern getroffen. US-Präsident George W.            gewichten auseinander zu setzen, ist ermutigend, aber
Bush rief den ersten Gipfel der G-20-Staats- und Re-             die Erwartungen in Bezug auf das neue »Rahmenwerk
gierungschefs ein und US-Präsident Barack Obama in-              für starkes, nachhaltiges und ausgewogenes Wachs-
szenierte in Pittsburgh die Rationalisierung der G-20 mit        tum« sollten nicht zu hoch angesetzt werden. Neben
der Entscheidung, die Gipfeltreffen der G-20 und G-8             dem Rahmenwerk könnte die G-20 die globalen Un-
Ende Juni 2010 in Kanada direkt hintereinander stattfin-         gleichgewichte auf konkretere und dauerhaftere Weise
den zu lassen und im November 2010 einen eigenstän-              angehen, indem sie die Rolle der SZR als globaler Reser-
digen Gipfel in Südkorea einzuberufen.                           vewährung unterstützen. Ebenso wichtig ist die Aufga-

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ANDREW F. COOPER, ERIC HELLEINER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

be, durch eine umfangreiche Reform seiner Führungs-                 malität« (auch wenn vermutlich keine Einigkeit darüber
und Entscheidungsstrukturen das Vertrauen in den IWF                hergestellt werden kann, wann dies der Fall ist) werden
in Ländern mit großen Währungsreserven wiederherzu-                 auch die Staats- und Regierungschefs wieder ihre tradi-
stellen. Die einzige Institution, die bisher von der G-20           tionellen Aufgaben aufnehmen. Das heißt, sie werden
eingerichtet wurde, der Finanzstabilitätsrat, muss sein             sich als strategische »Steuerer« einer kleinen Zahl von
Legitimitätsproblem aufgrund der beschränkten Mit-                  Schlüsselthemen etablieren wollen, nicht als taktischer
gliedschaft in dieser Organisation überwinden, wenn es              »Macher« in Bezug auf eine ganze Reihe komplizierter
in die Rolle der vierten Säule der globalen Wirtschafts-            technischer Fragen.
ordnung hineinwachsen will.
                                                                    Da die Dringlichkeit der Krisenproblematik abklingt, bil-
Auf institutioneller Ebene könnte mehr dafür getan wer-             det sich allmählich eine viel längere Liste von Aufgaben
den, die Beziehung das Verhältnis zwischen der G-20 als             und Verantwortlichkeiten heraus. Obwohl dies ein wich-
der größeren, repräsentativeren und vielfältigeren Grup-            tiger Komplex ist, hat die Aufmerksamkeit, die auf die
pierung und der G-8 neu zu definieren. Die Fragen rund              private Gier im globalen Finanzgeschäft gerichtet war,
um das Verhältnis zwischen der G-20 und der G7 bzw.                 und der mit dieser Aufmerksamkeit einhergehende Wille
G-8 sollten nicht in der Form »entweder / oder« gestellt            zu besserer Regulierung und institutionellen Reformen
werden. Die G-20 wird ihren Führungsanspruch konso-                 dazu geführt, dass viele der durch die Krise verstärkten
lidieren, wenn sie unter Beweis stellt, dass sie eine ins-          sozialen Herausforderungen übersehen wurden. An der
trumentelle Legitimität besitzt, d. h. indem sie effektiv           Spitze der sich daraus ergebenden Prioritäten steht – eher
arbeitet. Wenn aufgrund der oben erwähnten Gleich-                  ungewollt als bewusst – der Klimawandel. In der Zeit
gesinntheit der Aufrechterhaltung der G-7 / G-8 vor der             nach Kopenhagen haben eine Reihe von Staatsbeam-
der G-20 Vorrang eingeräumt wird, könnte dies zu einer              ten zur G-20 als alternativem Forum geblickt. Während
Konkurrenzsituation führen, die vermutlich nicht zu ei-             Verhandlungen eines Rahmenwerks nach Kyoto nicht
ner größeren Effektivität beiträgt. Wenn der Pragma-                das Forum der Klimarahmenkonvention der Vereinten
tismus sich als Grundlage der Entscheidung gegen die                Nationen ersetzen sollten, bietet die Zusammenset-
Gleichgesinntheit durchsetzt, wird sich vermutlich eher             zung der G-20 (USA, EU und die BASIC-Länder) einen
eine kooperative als eine konkurrierende Situation ent-             alternativen Raum, die Pattsituation aufzubrechen. Über
wickeln, die sich positiv auf Effizienz und Effektivität der        Emissionsziele hinaus kann die G-20 Strategien für die
Ergebnisse von Gipfeltreffen auswirkt. Statt darauf zu              Finanzierung einer Anpassung und Schadensmilderung
dringen, das organisatorische Format zu straffen, könn-             in den Entwicklungsländern erarbeiten.
te der beste Ansatz darin bestehen, das Format bewusst
locker und flexibel zu halten und noch andere externe               Die nächste Priorität hat unzweifelhaft das Problem der
Gruppierungen zur Beteiligung zu motivieren.                        Nahrungssicherheit. Im Jahr 2008 haben sich sowohl
                                                                    die G8 als auch die VN mit dieser Frage befasst, aber
Obwohl die Krise auf fortlaufende Versagen politischer              die Debatte litt unter dem Mangel der eingeschränkten
und regulatorischer Art zurückzuführen ist, wird eine               Mitgliedschaft bzw. organisatorischer Zersplitterung. Mit
Konzentration ausschließlich auf diese Probleme die                 ihren Mitgliedsländern aus dem Norden und dem Süden
G-20 wohl kaum als eine Drehscheibe der globalen Welt-              ist die G-20 ein glaubwürdiges Forum, sich der Führungs-
ordnungspolitik festigen. Zum einen sind viele der Regu-            losigkeit in Sachen Nahrungssicherheit anzunehmen.
lierungsfragen (einschließlich der Bonuszahlungen, der              Maßnahmen auf höchster politischer Ebene schaffen
Regulierung von Hedgefonds und Derivaten) überpro-                  eine Gelegenheit für Synergieeffekte bei der Einführung
portional das Revier des westlichen Mitgliedsländer der             alternativer Energien und landwirtschaftlichen Manage-
G-20. Zum anderen bringen diese Probleme den G-20-                  ments, wobei die unbeabsichtigten Folgen des traditi-
Prozess und die Entscheidungsbefugnisse der führenden               onellen »isolierten« Ansatzes eingeschränkt werden.
Politiker an ihre Grenzen. In Momenten der Krise greifen            Ebenso weit oben auf der Liste und häufig vernachlässigt
Staats- und Regierungschefs Themen auf, die ansonsten               ist das Problem der globalen Gesundheit. Zwar sind die
in den Bereich der Minister und ihrer Verwaltungsbeam-              Herausforderungen im Gesundheitsbereich noch immer
ten gehören. Es ist kaum damit zu rechnen, dass dieses              in das souveräne Staatensystem eingebettet, aber sie las-
Engagement von Dauer ist. Mit der Rückkehr zur »Nor-                sen sich nicht von Staatsgrenzen aufhalten – eines der

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ANDREW F. COOPER, ERIC HELLEINER | DIE G-20: AUF DEM WEG ZU EINER »WELTWIRTSCHAFTSREGIERUNG«?

klassischen »Probleme ohne Reisepass«, wie der frühere              ventionen für fossile Brennstoffe und die Untersuchung
UN-Generalsekretär Kofi Annan sie nannte. Pandemien                 von »Finanzierungskanälen« für den Klimaschutz. Im Ab-
wie H1N1 dienen als Mahnung für unsere kollektiven                  schlusskommuniqué wurde die Koordination aller Finan-
Verwundbarkeiten und die Notwendigkeit internationaler              zierungsmöglichkeiten zum Klimawandel hervorgeho-
Koordination. Während die Weltgesundheitsorganisation               ben, wobei insbesondere auf die Partnerschaft zwischen
Hilfsangebote vor Ort liefert, wird ihre Arbeit von privaten        öffentlichem und privatem Sektor hingewiesen wurde.
Institutionen wie der Gates Foundation in den Schatten
gestellt (bezeichnenderweise plant Südkorea, Bill Gates             In Bereichen des gemeinsamen Interesses und Fähigkei-
den Vorsitz zu übertragen über die Sitzung zur sozialen             ten können Partnerschaften zwischen Regierungen, Un-
Verantwortung der Unternehmen auf dem G-20-Unter-                   ternehmen und philanthropischen Stiftungen zu Ergeb-
nehmensgipfel, der unmittelbar vor dem G-20-Gipfeltref-             nissen führen, die keiner dieser Akteure im Alleingang
fen stattfinden wird). Die G-20 kann auch im Bereich der            zustande bringen könnte. Initiativen wie die Globale Alli-
globalen Gesundheitsordnung eine katalytische Führung               anz für Impfstoffe und Impfungen (GAVI) haben gezeigt,
übernehmen und Anstrengungen über verschiedene Or-                  dass staatliche Geber beträchtliche Mittel von Privatinves-
ganisationen und Sektoren hinweg mobilisieren.                      toren beschaffen können, und dass die Zusammenarbeit
                                                                    über Sektoren hinweg die Erfüllung außenpolitischer Zie-
Für die G-20 wird sich eine große Gefahr auftun, wenn               le bewirken kann. Strukturierte Partnerschaften erzeugen
sie nicht zielstrebig ihr Mandat erweitert. Die größte Auf-         auch eine gegenseitige Rechenschaftspflicht und halten
gabe wäre natürlich eine weitere wirtschaftliche oder so-           in der Regel bei der Aufgabenteilung Versprechen und
ziale Krise, die durch eine der vielen globalen Herausfor-          Vereinbarungen ein.
derungen hervorgebracht wird. Wenn die aktuelle Krise
allmählich als überwunden gelten kann und keine neue                Mit dem Näherrücken der Gipfeltreffen von 2010 – Ende
Themen auf der G-20-Agenda stehen, wird die Imple-                  Juni in Kanada und im November in Südkorea – sieht
mentierung der Exit-Strategie nicht nur den Ausstieg aus            sich die G-20 intensivem Druck ausgesetzt, die wirt-
den Konjunkturprogrammen bedeuten, sondern auch                     schaftlichen Kernprobleme zu lösen und die Rolle der
den Ausstieg der politischen Führer aus der G-20.                   G-20 für die Zeit nach der Krise zu klären. Diesen dip-
                                                                    lomatischen »Belastungstest« zu bestehen, ist von zen-
Der G-20 steht möglicherweise eine ganze Bandbreite an              traler Bedeutung. Die G-20 muss in die Offensive gehen
politischen Instrumenten zur Verfügung und, was noch                und beweisen, dass sie funktional in der Lage ist, die
wichtiger ist, ein politisches Momentum zur Einführung              drängenden globalen Probleme anzugehen. Durch die
weitreichender Reformen. Ihre informelle Struktur und ihr           Ausrichtung auf globale öffentliche Güter – Klimawan-
noch nahezu uneingeschränkter Zuständigkeitsbereich                 del, Nahrungsmittelsicherheit und globale Gesundheit –
verschafft ihr einige Vorteile gegenüber den traditionellen         kann die G-20 ihr politisches Netzwerk über die Sphäre
Institutionen. Die Gelegenheit, sich mit weiterreichenden           der Staaten hinaus vertiefen. Solange die Weltwirtschaft
globalen Problemen zu befassen, könnte nur für kurze                sich neu orientiert, ist die G-20 in einer starken Position,
Zeit zwischen den Versuchungen, zu einer normalisierten             innovative Formen der Finanzierung zu entwickeln und
Praxis zurückzukehren, in der langfristigere internationale         den Transfer von Wissen, Wohlstand und Technologie
Verpflichtungen den kurzfristigen innenpolitischen Priori-          zu fördern.
täten untergeordnet werden, bestehen.
                                                                    Infolge ihrer Doppelnatur, zum einen als Forum der Minis-
Rechtzeitige und innovative politische Lösungen, die ei-            ter und zum anderen als Gipfeltreffen, hat die G-20 sich
nen Bruch vom normalen Ablauf internationaler Entwick-              als fähig erwiesen, entschieden durchzugreifen. Anstatt
lungen andeuten, sind daher unbedingt vonnöten. Die                 sich an festgefahrene Rezepte zu halten, als die weltwei-
G-20 scheint sich schrittweise auf eine breitere Agenda             ten Finanzschocks einsetzten, hat sich die G-20 geschickt
an Problemen und politischen Optionen hinzubewegen.                 neu erfunden. Die Herausforderung, die jetzt vor der
Auf dem Treffen der Finanzminister und Notenbankgou-                G-20 liegt, besteht darin, nicht zuzulassen, dass ihre er-
verneure im November 2009 im schottischen St. Andrews               folgreichen Schritte, insbesondere ihre Rolle als globaler
stimmten die Teilnehmer für eine Aufstockung der inter-             Krisenstab, ihre Fähigkeit zügelt, weiterreichende kühne
nationalen Entwicklungshilfe, die Einstellung von Sub-              und originelle Lösungen zu finden.

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