Die große Verunsicherung Wie man die Verzagtheit überwinden kann. In der Nach-Merkel-Ära braucht deutsche Außenpolitik die Partner in Paris ...

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Titelthema               Gestalter gesucht

Die große Verunsicherung Wie man die
­Verzagtheit überwinden kann. In der
 Nach-Merkel-Ära braucht deutsche
 ­Außenpolitik die Partner in Paris, Peking
  und Washington – und mehr Klarheit.
Von Jörg Lau

                          D
                                  er Abschied war lange angekündigt.    wird und in welcher Konstellation er oder
                                  Und doch spürt man jetzt, da er nä-   sie regieren wird: Schwarz-Grün, Grün-
                                  her rückt, dass eine Zäsur bevor-     Schwarz, (rote) Ampel, Jamaika – vieles
                          steht. Angela Merkel hat Konrad Adenauers     ist denkbar, nichts zwingend.
                          5143 Tage im Amt längst überflügelt, und
                          selbst Helmut Kohls Rekord (5869 Tage)        Machtverlust auf offener Bühne
                          könnte sie noch einstellen, wenn die Re-      Weil die Außenpolitik einer Nation im-
                          gierungsbildung nach der Bundestagswahl       mer auch die Projektion ihres inneren
                          sich hinziehen sollte.                        Zustands in die Welt ist, schaut das Aus-
                             Diese Kanzlerin wollte sich weder aus      land gespannt auf die Neuausrichtung der
                          dem Amt drängen noch abwählen las-            politischen Kräfte im mächtigsten Land
                          sen wie ihre großen Vorgänger. Nach der       Europas. Das innenpolitische Beben bie-
                          Wahl im September 2021 sollte endgültig       tet eine Chance, Deutschlands Rolle in der
                          Schluss sein. Die Merkel-Ära würde selbst-    Welt angesichts von Pandemien, Klima­
                          bestimmt und kontrolliert enden.              katastrophen, Digitalisierungsschüben
                             Doch Monate vor dem Ende kann von          und Großmachtrivalitäten neu zu bestim-
                          Selbstbestimmung und Kontrolle keine          men: Was muss sich dringend ändern, wo-
                          Rede sein. Die Union kann nicht einmal        rauf lässt sich aufbauen?
                          mehr erwarten, die selbstverständliche            Doch Deutschland hat keine Debatte
                          Führungskraft einer neuen Regierung zu        auf der Höhe seiner zahlreichen strate-
Jörg Lau                  sein. Wechselstimmung liegt in der Luft,      gischen Herausforderungen. Stattdessen
ist Außenpoliti-          nur weiß niemand genau, wohin. Es ist         überwiegen Schock und Verwirrung ange-
scher Koordinator
im Ressort Politik        unklar wie noch nie vor einer Bundestags-     sichts der kränkenden Erfahrung, dass die
der ZEIT.                 wahl, wer auf die Amtsinhaberin folgen        Bundesrepublik merkwürdig führungslos

18 | IP • Mai/Juni 2021
Die große Verunsicherung                           Titelthema

                   Bild nur in
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Der außenpolitische Rückzug der Kanzlerin hat schon vor einiger Zeit begonnen. Wer ihr nachfolgt, wird die
Frage beantworten müssen: Wozu will Deutschland seine Handlungsfähigkeit nutzen?

durch eine Krise stolpert, die doch für die-           2019 fand einer der merkwürdigsten Auf-
se Kanzlerin wie gemacht schien.                       tritte in Merkels Amtszeit statt. Sie hielt die
   Die Methode der beinahe geräuschlosen               „Commencement Speach“ in Harvard, die
Krisenbewältigung, die Angela Merkel in                traditionelle Rede zum Studienabschluss.
16 Jahren perfektioniert hat, funktioniert             Sie warb für Freihandel und Multilateralis-
nicht mehr. Merkel hatte ihrer Entmach-                mus, argumentierte gegen die Leugnung
tung zuvorkommen wollen, nun erleidet                  des Klimawandels, für „unveräußerliche
sie einen Machtverlust auf offener Bühne.              Werte“, gegen „Mauern“ und „Ignoranz“.
   Wann hat das begonnen? Viel spricht                 Ein Vermächtnis, eine Art Credo der deut-
dafür, diesen Punkt deutlich vor der                   schen Außenpolitik als wohlwollende,
Bundestagswahl zu suchen, vielleicht im                moralische Großmacht in einer sich ver-
Herbst 2020, in einer der zahllosen Coro-              finsternden Welt. Die Rede wurde von den
na-Nachtsitzungen. Die Pandemie war die                Trump-kritischen amerikanischen Medien
erste Krise, in der Angela Merkel ihren                erwartungsgemäß gefeiert.
Kurs nicht durchsetzen konnte – nicht ein-                 In der Begeisterung ging unter, dass
mal mehr zuhause, im föderalen System                  da ein verstörender Abschied auf der Ne-
der Bundesrepublik.                                    benbühne stattfand: Die deutsche Bun-
   Der innenpolitischen Entmachtung                    deskanzlerin war für 24 Stunden in die
entspricht ein außenpolitischer Rückzug.               USA geflogen – ohne überhaupt noch zu
Auch er hat einen langen Vorlauf. Ende Mai             versuchen, den Präsidenten zu treffen.

                                                                                                             IP • Mai/Juni 2021   | 19
Titelthema               Gestalter gesucht

                          ­ ngela Merkel sprach wie eine Dissiden-
                          A                                                   Dann die langfristig vielleicht folgen­
                          tin, die in dunklen Zeiten eine Flaschen-       reichste Entscheidung ihrer A     ­ mtszeit:
                          post hinterlässt, als wäre sie schon nicht      ­A ngela Merkel gab angesichts der wirt-
                          mehr zuständig.                                  schaftlichen Folgen der Pandemie
                             In den beiden Jahren danach ist die           Deutschlands Segen zur erstmaligen ge-
                          Weltpolitikerin Merkel abgetaucht. Sie ig-       meinsamen Schuldenaufnahme der EU
                          norierte Trump und nahm die Zeitlupenka-         („Hamilton-Moment“) und auch zu di-
                          tastrophe des Brexit reglos hin. Sie ließ die    rekten Zuschüssen in den Haushalt von
                          wiederholten Impulse des französischen           Mitgliedstaaten. Ob diese letzte Kehrtwen-
                          Präsidenten Emmanuel Macron zur Re-              de, der Bruch mit dem deutschen Tabu
                          form Europas und der NATO verpuffen.             „Transferunion“, nicht zu spät kam, dar-
                          Sie verkniff sich jede öffentliche Freude        über werden Historiker streiten. Fest steht:
                          über Joe Bidens Ankündigung, Amerika             Zum Ende hin hat diese ikonoklastische
                          sei „zurück“. Die Kanzlerin, die einst für       Kanzlerin nach Atomkraft, Wehrpflicht
                          die Außenpolitik gebrannt hatte und zu           und Homoehe auch noch das heiligste
                          Beginn der Trump-Jahre enthusiastisch            Idol christdemokratischer Solidität und
                          als „Führerin der freien Welt“ gefeiert          Sparsamkeit gestürzt – die schwarze Null.
                          worden war, setzte keinen Impuls mehr.              Ihr Handeln in all diesen unterschiedli-
                                                                           chen Krisen hat einen gemeinsamen Nen-
                          Handlungsfähig, aber wozu?                       ner: Angela Merkel hat in vielen langen
                           Die ambitionslose Dämmerungsphase               Nächten geduldig, flexibel und entschlos-
                           überschattet Merkels Bilanz: Denn in            sen die außenpolitische Handlungsfähig-
                           vier existenziellen Krisen, die sich um die     keit Deutschlands (und der EU) erhalten.
                           Währung, das Recht, die Grenzen und die            Doch jetzt stellen sich Fragen, die Mer-
                           Souveränität Europas drehten, hat Ange-         kel nie beantworten wollte: Handlungs­
                           la Merkel die Führung übernommen und            fähig wozu genau? Soll Deutschland dem
                           die Selbstbehauptung des Kontinents             neuen US-Präsidenten zur Seite stehen
                          ­gesichert.                                      beim Versuch, den Westen zu revitalisie-
                              In der Finanz- und Eurokrise half sie        ren? Oder lieber Distanz halten zwischen
                           (mit dem sozialdemokratischen Koaliti-          seiner unverzichtbaren Schutzmacht USA
                           onspartner) Wohlstand und Zusammen-             und seinem ebenso unersetzlichen Wachs-
                           halt des Kontinents zu bewahren; im             tumsmarkt China? Mit den EU-Partnern,
                           Ukraine-Konflikt fror sie (mit dem fran-        Frankreich voran, „europäische Souverä-
                           zösischen Präsidenten) den Krieg am             nität“ anstreben?
                           Rande Europas ein, schob der russischen
                           Aggression einen Riegel vor und hielt das      Außenpolitische Identität
                           europäische Sanktionsregime beieinan-          Die Bundesrepublik, anfangs ein halb-
                           der; in der Migrationskrise schloss Mer-       souveränes Gebilde unter Patronage der
                           kel, nach einem Ausflug in den deutschen       Siegermächte, hat über Jahrzehnte eine
                           Unilateralismus namens „Willkommens-           außenpolitische Identität ausgebildet
                           kultur“, mit Erdoğan den Türkei-Deal und       – im heftigen inneren Streit. Man fetzte
                           machte so die Grenzen des Kontinents           sich über die Wiederbewaffnung, den
                           wieder beherrschbar (um so bemerkens-          ­NATO-Beitritt, die Entspannungspolitik,
                           werter, als sie vorher behauptet hatte, das     die Nachrüstung, die Wiedervereinigung,
                           sei nicht möglich).                             die ersten Auslandseinsätze der Bundes-

20 | IP • Mai/Juni 2021
Die große Verunsicherung                     Titelthema

wehr, den Irak-Krieg und die Euro-Ret-         sondern (wie jeder Staat mit beträchtlicher
tung. Man schimpfte sich vaterlandsloser       Macht) unilateral, egoistisch und opportu-
Geselle, Verräter, Kriegshetzer, Kalter        nistisch, wenn es gerade passt. Mit etwas
Krieger. Immer ging es dabei auch um die       weniger Heuchelei wäre das auch gar nicht
Macht. Aber eben nicht nur: Angetrieben        weiter schlimm.
wurden diese Debatten von unterschied-            Niemand will sie mehr hören, die feier-
lichen Überzeugungen, wo Deutschland           lichen Bekenntnisse zu „mehr Verantwor-
hingehört.                                     tung“. Pompöse Angebote, den USA mit
                                               einem „Marshall-Plan“ beziehungsweise
  Fehl am Platz sind feierli-                  „New Deal“ (Heiko Maas) aus der Demo-
                                               kratiekrise zu helfen, sind eher peinlich.
 che Bekenntnisse zu „mehr                     Ebenso die Äußerung des Kanzlerkan-
                                               didaten der SPD, Olaf Scholz, er sei für
 Verantwortung“ oder pom-                      eine „europäische Armee“ unter Kontrolle
 pöse Angebote eines „Mar-                     der EU-Kommission und des Parlaments
                                               sowie für „Mehrheitsentscheidungen“ in
  shall-Planes“ für die USA                    der europäischen Außenpolitik. Er ver-
                                               tritt eine Partei, nur so zur Erinnerung,
   Weil die Westbindung von Adenauer           die selbst nach einer Dekade endloser
klar gesichert worden war, konnte Willy        Debatten nicht in der Lage ist, über die
Brandt die Ostpolitik in Angriff nehmen.       Bewaffnung der Bundeswehr mit Kampf-
Die Wiedervereinigung erntete Helmut           drohnen zu entscheiden. Bekenntnisse
Kohl erst, nachdem er das Ergebnis der         zur europäischen Verteidigung sind nicht
von ihm zuvor bekämpften Entspannungs-         glaubwürdig, solange die eigenen Streit-
politik akzeptierte. Die Mitgliedschaft im     kräfte mangelhaft ausgestattet sind.
westlichen Bündnis brachte Auslandsein-
sätze mit sich, ausgerechnet für Rot-Grün.     Heilsame Verunsicherung
   In Debatten, die mal die Rechte, dann       Die alte Frage, wo Deutschland hingehört,
die Linke gewann, entstand das außen-          schien geklärt. Und doch geht es nun wie-
politische Selbstbild der Bundesrepublik.      der um Grundsätzliches. Alle drei Denk­
Fest im Westen verankert, doch zuneh-          richtungen der deutschen Außenpolitik
mend selbstbewusst gegenüber den USA;          sind durch verstörende Entwicklungen
eingebunden in Europa und erst dadurch         der vergangenen Jahre aus der Bahn ge-
souverän; mit einer ausgestreckten Hand        worfen worden: Transatlantiker erken-
gegenüber Russland, aber nicht auf Kos-        nen, dass die Krise der Weltmacht USA mit
ten der Menschenrechte und der kleineren       Trump weder begonnen hat noch endet;
östlichen Nachbarn; wirtschaftlich eng         Entspannungspolitiker finden keine Ant-
verflochten mit China, aber nicht taub         wort auf die aggressive Wende Russlands
gegenüber Hilferufen aus Xinjiang, Tibet,      und Chinas; Europapolitiker müssen sich
Hongkong und Taiwan.                           eingestehen, dass die EU – weit entfernt
   Das Selbstbild ist nicht ganz falsch, nur   vom Anspruch, „die Sprache der Macht“
heftig mit dem Weichzeichner bearbeitet.       zu lernen – schon an der vergleichsweise
Deutschland handelt durchaus nicht im-         einfachen Aufgabe scheitert, ausreichend
mer so multilateral, europäisch und prin-      Masken und Impfstoff zu beschaffen
zipienfest, wie es glauben machen will,        (­letzteres unter deutscher Ratspräsident-

                                                                                             IP • Mai/Juni 2021   | 21
Titelthema               Gestalter gesucht

                          schaft und einer deutschen EU-Kommis-          partners China ausgesetzt, während die
                          sionspräsidentin).                             EU bei der Verteidigung der gemeinsamen
                             Am Ende der Ära Merkel steht eine gro-      Interessen schwächelt.
                          ße Verunsicherung, auch in der Außen-
                          politik. Denn so ist die deutsche Lage:        Neue, selbstkritische Töne gefordert
                          auf absehbare Zeit abhängig von den Si-        In den Beziehungen zu unseren wichtigs-
                          cherheitsgarantien der USA, angewiesen         ten Partnern ist ein klarerer, aber auch
                          auf den Energielieferanten Russland und        selbstkritischer Ton gefordert. Wer Bun-
                          den wachsenden Ambitionen des Handels­         deskanzler werden will, sollte jetzt schon
                                                                         über erste Anrufe in Paris, Washington
                                                                         und Peking nachdenken.
                                                                            Frankreich wählt im April 2022, und in
                                                                         manchen Umfragen liegt Marine Le Pen
                                                                         mit Emmanuel Macron gleichauf. Eine
                                                                         ethno-nationalistische Präsidentin in Paris
                                                                         wäre für Deutschland schlimmer als Trump
                                                                         und der Brexit zusammen. Hier schon mal
                                                                         einige Ideen für ein erstes Gespräch:
                                                                            Sorry, dass wir so lange nicht zurück-
                                                                         gerufen haben, lieber Emmanuel. Deine
                                                                         Kritik an der NATO war richtig. Sie bleibt
                                                                         für uns dennoch unverzichtbar, schon um
                                                                         nicht über deutsche Atomwaffen reden zu
                                                                         müssen. Und um der Polen und Balten wil-
      Bild nur in                                                        len, die weder euch noch uns ihre Vertei-
                                                                         digung gegen Russland zutrauen. Du hast
     Printausgabe                                                        auch recht damit, dass „Europa schützen
                                                                         muss“. Lass uns jetzt sofort mehr zusam-
      verfügbar                                                          men machen, bei der gemeinsamen Ver-
                                                                         teidigung, bei der Rüstung, bei digitalen
                                                                         Technologien, in Sachen Künstlicher Intel-
                                                                         ligenz und Klimapolitik. Wir wollen mit dir
                                                                         eine gemeinsame Haltung gegenüber Chi-
                                                                         na formulieren. À propos, auch wir streben
                                                                         strategische Autonomie für Europa an, was
                                                                         denn sonst!
                                                                            Auch die Amerikaner wählen bald
                                                                         schon wieder – im November 2022 finden
                                                                         in den USA die Zwischenwahlen (Mid­
                                                                         terms) statt. Niemand weiß, ob Joe Biden
                                                                         danach noch Prokura haben wird. Er wirbt
                                                                         um Deutschland im gemeinsamen Kampf
                                                                         gegen den Klimawandel und den Autori-
In den Umfragen war die Union zuletzt in Reichweite: Annalena Baerbock   tarismus. Wie könnte eine Antwort aus
tritt als erste Kanzlerkandidatin der Grünen an.                         Berlin lauten?

22 | IP • Mai/Juni 2021
Die große Verunsicherung                     Titelthema

   Vorschläge für die ersten                       Womit die heikelste Aufgabe für jeden
                                                Nachfolger, jede Nachfolgerin im Kanzler-
   Anrufe in Paris, Washing-                    amt in den Blick kommt – einen neuen,
                                                klareren Ton im Umgang mit China zu
       ton und Peking                           finden. Etwa so:
                                                   Deutschland will keinen neuen kalten
    Herr Präsident, wir sind hocherfreut,       Krieg. Wir sind überzeugt, dass der Wett-
endlich wieder als Partner gesehen zu wer-      bewerb zwischen Autoritarismus und De-
den. Die demokratische Nahtoderfahrung          mokratie mitten durch die verschiedensten
der Trump-Jahre steckt jedoch selbst den        Systeme der heutigen Welt hindurchgeht.
treuesten Atlantikern unter uns noch in         Wir wollen keine neue Blockbildung. Doch
den Knochen. Ist es da klug, eine „Allianz      mit eurer Politik in Hongkong, Xinjiang und
der Demokratien“ anführen zu wollen? Die        Taiwan sowie mit euren Attacken gegen un-
Idee ist sympathisch, aber kontraproduktiv.     sere Partner wie Kanada, Schweden und
Sollen Ungarn und Polen dabei sein, die wir     Australien befördert ihr genau dies.
in der EU gerade wegen ihrer Attacken auf          Wir stehen für Freihandel, gegen Ent-
den Rechtsstaat mit Prozessen überziehen?       kopplung und Protektionismus. Wenn ihr
Westliche Nationen sollten lieber die De-       aber westliche Firmen boykottiert, weil
mokratie zuhause stärken und auf einen          euch deren Haltung zu Xinjiang nicht passt,
Leuchtturmeffekt hoffen. Und sich wechsel-      werden wir im Gegenzug unsere beträcht-
seitig bei Angriffen durch autoritäre Regime    liche europäische Marktmacht anwenden
wie Russland und China stützen.                 müssen. Wir haben ein Investitionsabkom-
    Wir können und wollen uns aber nicht        men mit euch abgeschlossen – gegen den
von China entkoppeln. Bitte zwingt uns also     Wunsch aus Washington, ein hohes Risi-
nicht zu einer Entscheidung. Ihr müsst über-    ko für uns. Jetzt unterminiert ihr es durch
haupt, lieber Joe Biden, lieber Tony Blinken,   Sanktionen gegen Politiker, Wissenschaft-
runter von der Kalte-Kriegs-Rhetorik. Starke    ler und Think-Tanks, deren Kritik euch
Sprüche – Putin einen „Killer“ zu nennen,       nicht passt. Wolfskrieger-Diplomatie und
die Behandlung der Uiguren als „Völker-         Fake-News-Kampagnen nehmen wir nicht
mord“ zu bezeichnen – sind kein Ersatz          länger hin. Sollen staatsnahe Konzerne wie
für eine prinzipienfeste, aber gesprächs-       Huawei bei uns eine Chance haben, muss
bereite Politik. Für die stehen wir gegenüber   das aufhören. Wir fürchten euren Aufstieg
Russland und China bereit. Es war falsch,       nicht, wir glauben nicht an Eindämmungs-
mit Peking noch schnell ein Investitions-       politik, sondern wollen zusammen die größ-
abkommen zu schließen. Wo wir schon bei         te Bedrohung der Menschheit bekämpfen,
eigenen Fehlern sind: Nord Stream 2 war         den Klimawandel.
ein Rohrkrepierer, und es tut uns leid, wi-        Wer auch immer Angela Merkel nach-
der besseres Wissen jahrelang behauptet         folgt, hat zu Verzagtheit keinen Grund. Die
zu haben, das Ganze sei ein kommerzielles,      Welt sortiert sich neu, und dabei kommt
kein geopolitisches Projekt. Wir werden das     es mehr denn je auf Berlin an. Das ist
in Sachen Huawei besser machen. Die po-         auch das Verdienst dieser Kanzlerin, die
litische Frage, wer 5G in Deutschland bau-      Deutschlands Einfluss vermehrt hat. Ihr
en darf, kann man nicht nach technischen        Abgang bietet die Chance, neu zu be-
Kriterien entscheiden. Geopolitik lässt sich    stimmen, wofür er eingesetzt werden soll
nicht an den TÜV delegieren.                    – und wofür nicht.

                                                                                              IP • Mai/Juni 2021   | 23
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