Die intraoperative Hyperspektral-Bildgebung in der Viszeralchirurgie
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originalie Die intraoperative Hyperspektral- Bildgebung in der Viszeralchirurgie Nicht-invasive Beurteilung physiologischer Gewebe-Parameter gastrointestinaler Anastomosen I. Gockel1, J. P. Takoh1, C. Chalopin2, zierbarkeit von anatomischen Struktu- mosenregion rein klinisch (zum Beispiel B. Jansen-Winkeln1 ren angewandt, sondern auch von phy- tastbarer Puls der versorgenden Ge siologischen Zuständen, mit konseku- fäße 2. oder 3. Ordnung, Rosigkeit/ Zusammenfassung tiver Möglichkeit der Änderung der OP- Vitalität der gastrointestinalen Struk- Die Hyperspektral-Bildgebung (HSI = Strategie beziehungsweise des opera- turen, Motilität). Diese klinischen Para- HyperSpectral Imaging) ist ein neues tiven Vorgehens zwecks Optimierung meter können allerdings weder die am Bildgebungsverfahren, das für die des OP-Ergebnisses und Vermeidung besten durchblutete und idealerweise Erkennung von Strukturen und für die von Komplikationen. zu anastomosierende Region des Auswertung der Gewebedurchblutung, Intestinaltrakts, noch das Risiko einer -oxygenierung sowie dessen Wasser- Bei der Anlage gastrointestinaler Anas Anastomoseninsuffizienz vorhersagen. haushalts in der Wundtherapie vielver- tomosen spielt neben der obligatori- In den letzten Jahren haben neue Tech- sprechende Ergebnisse gezeigt hat. Wir schen Spannungsfreiheit und naht- niken, wie die Near-InfraRed (NIR)-Flu- konnten das System erstmals nutzen, technischen Perfektion sowie Patien- oreszenz mit Indocyanongrün (ICG), um in vivo gastrointestinale Anasto- ten- und Gewebe-spezifischen Fakto- eine vielversprechende Methodik zur mosen in der Viszeralchirurgie zu beur- ren die gute Durchblutung der zu anas- „real time“-Beurteilung der intestinalen teilen. HSI bietet als kontaktfreie, nicht- tomosierenden Regionen eine zentrale Perfusion, insbesondere in der kolorek- invasive und kontrastmittellose intra- Rolle für die Heilung. Ist diese aus ver- talen Chirurgie, dazu beigetragen, die operative Bildgebungsmethode eine schiedenen Gründen kompromittiert, Anastomosenkomplikationen zu sen- objektive „real time“-Messung physio- kann es im postoperativen Verlauf zu ken [1 – 5]. logischer Anastomosenparameter, die einer Anastomoseninsuffizienz (AI) möglicherweise dazu beitragen kann, kommen. Hierbei handelt es sich um Insbesondere konnte die PILLAR II- die „ideale“ Anastomosenregion /-höhe eine der schwerwiegendsten Komplika- Multizenterstudie in beeindruckender zu determinieren, um somit im Sinne tionen in der Viszeralchirurgie, oftmals Weise darstellen, dass keine Anasto- der Präzisionsmedizin potenziell zu einhergehend mit einer lokalen oder mosenleckagen bei denjenigen Patien- mehr Sicherheit für die Anastomosen- generalisierten Peritonitis bis zur Sep- ten auftraten, bei welchen das intra- heilung beizutragen. sis, mit der möglichen Konsequenz operative Vorgehen aufgrund einer einer erforderlichen Revisions-Opera- inadäquaten Perfusion in der Fluores- Die „Image-guided Surgery“, das heißt tion, einem deutlich verlängerten stati- zenz-Angiographie revidiert wurde [6]. die chirurgische Prozedur, bei der bild- onären Aufenthalt und einer erhöhten Allerdings handelt es sich hierbei um gestützte (prä- oder intraoperative) Mortalität. eine invasive Methodik, bei der der flu- Verfahren angewandt werden, um oreszierende Farbstoff, der als Indika- (indirekt) durch die Operation zu leiten, Das komplexe System der Durchblu- torsubstanz intravenös verabreicht spielt in der modernen Viszeralchirur- tung des Magen-Darm-Trakts bis zur wird, in Abhängigkeit von der Leberleis- gie eine immer größere Rolle. Sie wird Kapillarebene ist für das bloße Auge tung mit einer Halbwertzeit von circa aktuell nicht nur zur besseren Differen- des Chirurgen im operativen Situs nicht drei bis vier Minuten aus dem Körper mit absoluter Genauigkeit und objek- eliminiert wird. Nebenwirkungen, wie 1 Klinik für Viszeral-, Transplantations-, tiv-reproduzierbar zu evaluieren. Somit anaphylaktischer Schock, Blutdruckab- Thorax- und Gefäßchirurgie, erfolgte die herkömmliche intraopera- fälle, Tachykardie, Dyspnoe und Urtika- Universitätsklinikum Leipzig, AöR tive Beurteilung der Durchblutungssi- ria sind in einzelnen Fällen beschrieben 2 Innovation Center Computer Assisted tuation der beiden zu anastomosieren- worden und das Risiko schwerer Surgery (ICCAS), Universität Leipzig den Komponenten beziehungsweise Nebenwirkungen steigt bei Patienten (Direktor: Prof. Dr. med. Andreas Melzer) die Selektion der „optimalen“ Anasto- mit chronischer Niereninsuffizienz bis Ärzteblatt Sachsen 07|2018 291
originalie zu sehr seltenen Todesfällen. Einen eindeutigen Vorteil gegenüber der oben weiteren Nachteil stellt die subjektive genannten ICG-Technik und anderen Evaluation der Fluoreszenz-Intensität intraoperativen Bildgebungsverfahren mittels visueller Beurteilung des Chi findet sich hier die Nicht-Invasivität der rurgen zusätzlich zur Invasivität der Methode mit einer objektiven und Methodik bei i.v.-Verabreichung des reproduzierbaren Dokumentation der Farbstoffs mit entsprechenden Limita- intraoperativen Perfusion in der gast- tionen dieser Technologie dar. Zum rointestinalen Chirurgie. Bisherige aktuellen Zeitpunkt bestehen keine Anwendungen der Hyperspektral-Bild- fundierten Optionen zur objektiven und gebung fanden sich überwiegend in der quantitativen ICG-Messung der Gewe- plastischen Chirurgie zur Beurteilung beperfusion. der Durchblutung von Lappenplastiken © ICCAS oder Transplantaten und bei chroni- Als erstem viszeralchirurgischem Zen- schen Wunden zur Beurteilung der Abb. 1: Aufbau der Hyperspektral-Kamera (TIVITA™ Tissue T2- Kamerasystem) mit Monitor trum in Deutschland steht seit 2017 der Wundregeneration (zum Beispiel zur Beurteilung der Anastomosenperfusion. Klinik und Poliklinik für Viszeral-, Trans- Brandwunden, diabetischer Fuß oder plantations-, Thorax- und Gefäßchirur- bei Patienten mit peripherer arterieller gie in Kooperation mit dem ICCAS Verschlusskrankheit (pAVK)) [8 – 11]. In und nicht-invasive, strahlungsfreie (Innovation Center Computer Assisted der letzten Zeit findet sich auch ein Verfahren benötigt eine Messdauer von Surgery) der Universität Leipzig das int- zunehmender Einsatz bei der Detektion nur wenigen Sekunden und stört den raoperative Hyperspektral-Imaging zur von Tumoren beziehungsweise der Dif- operativen Ablauf somit nicht bezie- Beurteilung gastrointestinaler Anasto- ferenzierung von Gewebestrukturen hungsweise verlängert die OP-Zeit nur mosen zur Verfügung. Hierbei handelt (zum Beispiel maligne vs. benigne minimal. Abb. 1 zeigt den Aufbau der es sich um ein relativ neues i.v.-Bildge- Läsion), wie beispielsweise bei kolorek- Hyperspektral-Kamera (TIVITA™ Tissue bungsverfahren, das für die Erkennung talen Karzinomen [12 – 13]. T2-Kamerasystem der Firma Diaspec- von Strukturen und für die Auswertung tive Vision [Pepelow, Deutschland]) der Gewebedurchblutung vielverspre- Dieses mit nur geringem Aufwand int- mit Monitor. Die Methodik kombiniert chende Ergebnisse gezeigt hat [7]. Als raoperativ anwendbare, kontaktlose das Prinzip der Spektroskopie mit der © N. Teich © N. Teich Abb. 2: Analysierte Parameter mit der Hyper- spektral-Bildgebung in vivo: Gewebeoxygenierung (StO2), Gewebe-Hämoglobin- (THI = Tissue Hemoglobin Index), NIR- (= Near InfraRed) Perfusions- und Gewebe-Wasser-Index © ICCAS (TWI = Tissue Water Index), deren Werte in Bild- intensitäten zur Visualisierung codiert werden. 292 Ärzteblatt Sachsen 07|2018
originalie Bildgebung, wobei das untersuchte Gewebe mit Licht im visuellen und nahinfraroten Spektrum beleuchtet und das vom Gewebe remittierte Licht gemessen wird [14]. Die Kamera zeich- net den sichtbaren (VIS) und nahen Inf- rarotbereich (NIR) auf und die Aufnah- mefläche kann über größere OP- Gebiete im Abdomen festgelegt wer- den. Das Funktionsprinzip ist ähnlich dem eines Gewebeoxymeters. Aller- dings werden bei der Hyperspektral- Bildgebung nicht nur punktuelle Infor- mationen ausgelesen, sondern bildge- bend ganze 2D-Darstellungen für ver- schiedene pathophysiologische Gewe- bevariablen zur Verfügung gestellt. © ICCAS Folgende Parameter werden somit aus den gemessenen Lichtspektren in vivo berechnet: Gewebeoxygenierung (StO2), Abb. 3: Die Pinzette zeigt die Position der Grenze zur Resektionslinie, die der Chirurg visuell geschätzt hat (RGB-Image, oben links). Die Bilder des TWI (oben rechts), der StO2- (unten links) und Gewebe-Hämoglobin- (THI), NIR-Perfu- des NIR Perfusion-Index (unten rechts) offenbaren jedoch – im Vergleich zur Einschätzung des Chirurgen – sion- und Gewebe-Wasser-Index (TWI). deutlich unterschiedliche Werte. Die Grenze liegt weiter oralwärts und die Resektionsstrategie wurde konsekutiv geändert. Deren Werte werden in Bildintensitä- ten zur Visualisierung codiert (Abb. 2). Die Beurteilung dieser Parameter 7. Rektum-Resektion und Proktokol- – erwiesen. Waren die bisherigen Ein- erfolgt mit Hilfe eines kameraspezifi- ektomie mit ileo-Pouch-analer satzgebiete dieser innovativen Bildge- schen Softwarepakets namens TIVITA™ Anastomose (IPAA). bungstechnologie die Evaluation von Suite. Lappenplastiken und Transplantaten in Dabei war die Anwendung der intra- der plastischen Chirurgie, Problemwun- In einer ersten Pilotstudie konnten wir operativen Hyperspektral-Bildgebung den, der diabetische Fuß oder chroni- die Feasibility der intraoperativen bei allen oben genannten Prozeduren sche Wunden bei Patienten mit pAVK, Beurteilung des nahezu gesamten zeiteffizient und gut reproduzierbar so wird die Applikation in der Viszeral- Spektrums intestinaler Anastomosen anwendbar. Das mobile System ermög- chirurgie im Sinne der Präzisionsmedi- in der Viszeralchirurgie darlegen [14]. licht eine flexible Untersuchung und zin möglicherweise eine bedeutende Dabei handelte es sich überwiegend Dokumentation in allen Regionen des Ausweitung des bisherigen Spektrums um Patienten mit: Abdomens. Die Situs-ferne Applikation mit sich bringen. Bereits jetzt kann die (circa 30 bis 50 cm Kamera-Anastomo- Methodik bei wichtigen Entscheidungs- 1. Ösophagusresektion, Schlauch sen-Abstand) impliziert ein nur mini- prozessen, wie der intraoperativen magenhochzug und intrathorakaler males Risiko von Infektionen bezie- Strategiesteuerung, hinzugezogen wer- Ösophagogastrostomie, hungsweise Kontaminationen durch den, um – analog der ICG-Ergebnisse 2. totaler Gastrektomie und die kontaktlose Messung. der PILLAR II-Studie – die optimale Ö sophagojejunostomie, Anastomosenregion/-höhe zu identifi- 3. subtotaler Magenresektion und Zusammenfassung und Ausblick zieren beziehungsweise diese zu modi- Gastrojejunostomie, Die intraoperative Bildgebung zur fizieren, und potenziell ideale Bedin- 4. Pankreaskopfresektion und Beurteilung der Perfusion von gastro- gungen für die ungestörte Anastomo- Pankreatikojejunostomie, intestinalen Anastomosen mit der senheilung zu generieren. Die Para 5. Dünndarmsegmentresektion und Hyperspektralkamera hat sich in unse- meter Gewebeoxygenierung (StO2), Ileo-Ileostomie beziehungsweise ren Händen als gut praktikabel und Gewebe-Hämoglobin- (THI = Tissue Ileostomarückverlagerung, reproduzierbar – ohne wesentliche Stö- Hemoglobin Index), NIR (= Near 6. Kolon- beziehungsweise rung oder Verzögerung der OP-Abläufe InfraRed)-Perfusions- und Gewebe- Ärzteblatt Sachsen 07|2018 293
Originalie Wasser-Index (TWI = Tissue Water weise „Cut off-“ (Grenz-) Werte sein, die mit Farbvideo, die letztlich wichtig sind Index) ermöglichen die exakte Differen- allerdings für die Viszeralchirurgie erst zur dynamischen Beurteilung und zierung beziehungsweise Prädiktion evaluiert werden müssen. Dokumentation der intraoperativen eines guten, grenzwertigen oder mög- Perfusion. Neben der derzeitigen intra- licherweise schlechten Heilungspro- Einen großen Nachteil bietet die der- operativen „real time“-Evaluation von zesses, transferiert man die bisheri - zeitig begrenzte Anwendbarkeit des gastrointestinalen Anastomosen, wel- gen Daten der derzeitig angewandten Systems alleinig bei offenen Eingriffen. che wir aktuell in prospektiven Studien Normwerte des Wund-Imagings, bei Somit kann die Hyperspektral-Bildge- analysieren und mit den klinischen denen beispielsweise > 50 Prozent bung aktuell nur bei einem limitierten, Resultaten (zum Beispiel Anastomo- Oxygenierung einer guten Wundheilung konventionell-offen operierten Patien- seninsuffizienzraten) korrelieren, sind entspricht, 30 bis 50 Prozent einen tengut appliziert werden (zum Beispiel weitere Anwendungsgebiete in der vis- „Graubereich“ darstellt und < 30 Prozent nach mehrfachen Voroperationen), da zeralchirurgischen Praxis und For- mit schlechten Heilungsprozessen der Großteil der viszeralchirurgischen schung die mesenteriale Ischämie und assoziiert ist [15]. Beispielsweise zeigt Eingriffe in unserer Klinik minimal- Re-Perfusion sowie die Darmdurchblu- in Abb. 3 die Pinzette die Position der invasiv vollzogen wird. Mögliche MIC- tung nach medikamentösen (zum Bei- Grenze zur Resektionslinie, die der Chi- Anwendungen sind in der aktuellen spiel Katecholamintherapie) und inter- rurg visuell geschätzt hat (RGB-Image, Praxis Anastomosierungs-Schritte, die ventionellen Therapien. Diese neuen oben links). Die Bilder des TWI (oben ex situ, das heißt über eine Mini-Lapa- Facetten der Image-guided Surgery rechts), der StO2- (unten links) und des rotomie, vor der Bauchdecke vollzogen mittels Hyperspektral-Bildgebung sind NIR Perfusion-Index (unten rechts) werden. Hier wird derzeit im Rahmen somit ein weiterer wichtiger Baustein in offenbaren jedoch – im Vergleich zur des LYSis-Projekts (= Entwicklung der angewandten Präzisionsmedizin. Einschätzung des Chirurgen – deutlich eines laparoskopischen und Hyper- unterschiedliche Werte. Die Grenze spektralbildgebungs-basierten [HSI] liegt weiter oralwärts und die Resekti- Systems) die Weiterentwicklung eines onsstrategie wurde konsekutiv geändert. Geräts vorangebracht, welches dann im Literatur bei den Autoren minimal-invasiven OP-Spektrum sowie Interessenkonflikte: keine Somit kann zum Beispiel bei schlechte- in der Endoskopie einsetzbar sein wird. ren Werten mit grenzwertig perfun- Zudem optimierbar in Folge-Entwick- Korrespondierende Autorin: Prof. Dr. med. habil. Ines Gockel, MBA dierten Darmabschnitten deren Nach- lungen des Kamerasystems sind die Klinik für Viszeral-, Transplantations-, resektion beziehungsweise die Neuan- bisher nicht vorhandenen multispekt- Thorax- und Gefäßchirurgie lage einer Anastomose die Konsequenz ralen Video- und hochauflösenden Department für Operative Medizin (DOPM) Universitätsklinikum Leipzig, AöR von intraoperativen Abweichungen der Hyperspektral-Funktionen, beziehungs Liebigstr. 20, 04103 Leipzig oben genannten Norm- beziehungs- weise hyperspektral in Kombination E-Mail: ines.gockel@medizin.uni-leipzig.de 294 Ärzteblatt Sachsen 07|2018
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