Die Kölner Silvesternächte 2015-2018 - Ein Praxisbericht zum Umgang der Kölner Polizei mit Gewalt durch Gruppen - Verlag Österreich ...
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. SIAK-JOURNAL 1/2020 Die Kölner Silvesternächte 2015–2018 Ein Praxisbericht zum Umgang der Kölner Polizei mit Gewalt durch Gruppen Wenige Ereignisse haben einen so starken kriminalpolitischen und gesellschaftlichen Einfluss gehabt wie die Kölner Silvesternacht 2015/2016. Die massenhaften und ge- meinschaftlich begangenen Eigentumsdelikte, die zum Teil tateinheitlich mit s exuellen Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr Übergriffen von Gruppen junger Männer mit nordafrikanischem oder arabischem Erscheinungsbild begangen wurden, haben den Blick auf den sexualstrafrechtlichen Schutz von Frauen und den Umgang mit Flüchtlingen aus dem nordafrikanischen und nahöstlichen Raum, insbesondere den sog. Maghreb-Staaten, gelenkt. Die Kölner Poli zei stand wegen mangelnder Sensibilität für die Opfer und insbesondere wegen eines taktischen Versagens in der Kritik, wobei die justiziellen und parlamentarischen Unter- CARSTEN DÜBBERS, suchungen den letzteren Vorwurf ausgeräumt haben. Im Folgejahr reduzierte die Kölner Leiter einer Kriminalinspektion Polizei das Risiko für die Feiernden in der Silvesternacht 2016/2017 durch hohen Kräfte beim Polizeipräsidium Köln. einsatz, eine niedrige Einschreitschwelle und eine intensive Kontrolle unter den zahl- reich angereisten Gruppen mit jungen Männern mit nordafrikanischem und arabischem Erscheinungsbild. Dies führte zusammen mit der Verwendung des Begriffs „Nafri“ auf Facebook und Twitter zur Kritik des Polizeieinsatzes, insbesondere zum Vorwurf des „racial profiling“. Um die sich darbietenden grundsätzlichen Fragestellungen aufzuar- beiten und das Gesamtphänomen der Gewalt durch Gruppen zu erhellen, gründete das Polizeipräsidium Köln die „Arbeitsgruppe Silvester“, welche mit Unterstützung wissen- schaftlicher Experten den Umgang mit diesen Gruppen neu gestaltete. Dieser Artikel beleuchtet den praktischen Umgang der Kölner Polizei mit dem zu Silvester 2015/2016 aufgetretenen Gewaltphänomen und den Beitrag, den die Wissenschaft dazu leistete. Die wissenschaftliche Diskussion als solche soll nicht dargestellt werden. Als Quelle dienen, neben den diesem Format geschuldeten wenigen Literaturhinweisen, insbesondere eigene Erkenntnisse der Kölner Polizei. 1. EINFÜHRUNG die Nutzung der Erkenntnisse aus dieser Dieser Aufsatz betrachtet das Phänomen „ersten“ Silvesternacht in der polizeili der Gruppengewalt im Rahmen der Köl- chen Praxis in den beiden Folgejahren ner Silvesternächte 2015, 2016 und 2017 zu beschreiben. Die Ereignisse während und den polizeilichen Umgang mit ihm. und nach der ersten Silvesternacht haben Hierbei wird die Silvesternacht 2015/ die Republik verändert und sind aus sehr 2016 nur kursorisch behandelt, da der unterschiedlichen Perspektiven diskutiert Schwerpunkt des Aufsatzes darauf liegt, worden. Im Rahmen der Diskussionen 4 Verlag Österreich
1/2020 .SIAK-JOURNAL ging es aber kaum um die Entstehung von gen Jahren bekannte P hänomen, mit Böl- Gewalt in Gruppen; vielmehr hatten die lern und Raketen auf Menschengruppen großen Migrationsströme, insbesondere zu zielen. Punktuell war es wiederholt zu aus Nordafrika und dem Nahen Osten, Eigentumsdelikten gekommen und auch die öffentliche Meinung erhitzt und die zu Silvester fanden immer zu erwartende Asyldebatte geprägt. Sexualdelikte statt (neben eigenen polizei Die zweite Silvesternacht 2016/2017, internen Quellen und dem Bericht des in der zwar kaum Straftaten in Köln be- Parlamentarischen Untersuchungsaus- gangen wurden, aber die Kölner Polizei schusses [PUA] des Landtages Nordrhein- sich plötzlich in einer intensiven Debat- Westfalen verweise ich insbesondere auf te über „racial profiling“ befand, hat zu Behrendes 2016). Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr einem umfangreichen Aufarbeitungspro- Auf Grund der Erfahrung, dass sich die zess dieses Phänomens geführt. Abwanderung von Menschenmengen nach Die polizeiliche Prävention von gruppen Mitternacht immer weiter hinauszögert, dynamischen Prozessen in der Zukunft wurden ca. 50 Beamte mehr als im V orjahr ist von erheblichem Interesse und daher in den Einsatz genommen. So standen richtet dieser Aufsatz den Blick darauf, letztlich ungefähr 170 Polizeibeamte zur wie eine Polizeibehörde gemeinsam mit Verfügung; daneben hatte auch das Ord- Wissenschaftlern unterschiedlicher Dis nungsamt eigene Planungen durchgeführt. ziplinen ein solch komplexes Problem, wie Die für den inneren Bahnhofsbereich zu- die Gefahr gruppendynamisch erzeugter ständige Bundespolizei hatte ebenfalls oder verstärkter Gewalt, beherrschen kann. zusätzliches Personal im Dienst. Die Ein- Dabei bietet sich eine detailliertere Schil- satzführung der Kölner Polizei lag in den derung davon, wie das Polizeipräsidium Händen eines erfahrenen Dienstgruppen- Köln in den Folgejahren erfolgreich eine leiters des gehobenen Dienstes, der schon solche Entwicklung mit unterschiedlichen auch im Vorjahr die BAO geleitet hatte. Konzepten verhindern konnte, als Fall Der Einsatz verlief zunächst wie geplant, studie an. Zudem ist der Blick auf unter- allerdings stellten die Einsatzkräfte eine schiedliche Interessenslagen und den Um- nach ihrem Eindruck ungewöhnlich hohe gang mit ihnen relevant. Anzahl kleiner Gruppen aus nordafrika- nisch und arabisch aussehenden jungen 2. SILVESTER IN KÖLN Männern fest. Diese fielen durch offen- sichtlichen Alkohol- und Drogenkonsum 2.1 Die Kölner Silvesternacht 2015/2016 und wachsende Aggressivität auf. Insbe- Um den Herausforderungen gerecht zu sondere bewarfen sich die Gruppen ohne werden, die der Jahreswechsel in der Rücksicht auf Unbeteiligte mit Böllern. Kölner Innenstadt an die Wahrnehmung Auf Grund dieser nicht erwarteten An- polizeilicher und ordnungsrechtlicher sammlung von aggressiven Männern auf Aufgaben stellt, wurde seit Jahren eine dem Bahnhofsvorplatz und der Domtreppe so genannte Besondere Auf bauorganisa stellte der Einsatzführer seine Konzeption tion (BAO) genutzt, da es auch in den um. Er verlagerte die Mehrzahl der ihm Jahren vor 2015 immer wieder zu anlass- zur Verfügung stehenden Einsatzkräfte typischen Delikten gekommen war. Hier an diesen Brennpunkt. Hier war zunächst sind die an jedem Wochenende intensiv das Augenmerk nicht auf Eigentums- auftretenden alkoholtypischen Gewalt oder Sexualdelikte gerichtet, sondern auf delikte zu nennen, aber auch das seit eini- Gefahrenlagen, wie Panik oder Treppen- 5 Verlag Österreich
. SIAK-JOURNAL 1/2020 stürze. Auch bei den Einsatzmaßnahmen Einfluss auf den Einsatzverlauf mehr ge- zeigte sich eine hohe Aggressivität vieler habt hätte. Dass die Entscheidung gegen Störer. Vereinzelt wurden Einsatzkräfte eine Anforderung der Kölner Polizei bis bereits von belästigten Frauen aufgesucht, heute als gravierender Fehler vorgehalten diese wurden zur Anzeigenerstattung an wird, ist m.E. aus einsatztaktischer Sicht die nahegelegenen Wachen der Landes- nicht nachvollziehbar. und Bundespolizei verwiesen. Dass dort Das Ausmaß straftatbestandlicher Aktivi schon ein Anzeigenstau entstanden war, täten wurde erst in den Folgetagen sicht- der dazu führte, dass in den polizeilichen bar, da in der Silvesternacht kaum Anzei- Systemen am nächsten Morgen erst wenige gen aufnehmende Beamte zur Verfügung Anzeigen aufgenommen waren, konnte standen und nur wenige Anzeigen aufge- Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr nicht erahnt werden. Dies war u.a. eine nommen worden waren. Dieses Versäum- Ursache für eine viel diskutierte Presse- nis hatte die Kölner Polizei zu verantwor- meldung am Morgen des Neujahrstages, ten. Die Geschädigten wollten nach dem die auf dieser Datenlage basierte. Erlebten in der Nacht verständlicherweise Der Kölner Polizei wurde vorgeworfen, nicht mit einer Anzeigenerstattung warten, dass sie in der Nacht, aber auch schon bei bis sie bei einer Wache vorstellig werden der Lageeinschätzung und Einsatzplanung konnten. im Vorfeld, versagt habe. Gestützt wurde Im Zuge der Vorfälle der ersten Kölner die Einschätzung des Versagens durch die Silvesternacht kam es mit Stand Dezember in diesem Zusammenhang mindestens als 2016 im Bereich Hauptbahnhof und Bahn- ungeschickt zu bezeichnende Pressearbeit hofsvorplatz zu 1.624 erfassten Straftaten. der Kölner Polizei. In über 500 Fällen war ein Sexualstraftat- Außer in zahlreichen Medienberichten bestand angezeigt worden, davon in 193 und internen Nachbereitungsberichten Fällen im Zusammenhang mit Eigentums- wurden die Vorfälle vom Landtag Nord delikten (Schulte 2017, 20 f). rhein-Westfalen (NRW) in einem Parla- Die Vorfälle führten zu einer hohen Ver- mentarischen Untersuchungsausschuss unsicherung in der Bevölkerung und einer aufgearbeitet. Der 1.352 Seiten umfas- intensiven politischen Debatte, welche u.a. sende Abschlussbericht ist öffentlich zu- zu einer Strafrechtsreform im Sexualstraf- gänglich.1 recht und Aufenthaltsrecht führte. Neben der Presseveröffentlichung war intensiv diskutiert worden, warum das 2.2 Die Kölner Silvesternächte 2016/2017 Polizeipräsidium Köln nicht schon nach und 2017/2018 22 Uhr die so genannte Landeseinsatz In der Folge der dramatischen Ereignisse bereitschaft der Bereitschaftspolizei an- 2015/2016 fand ein vom Innenminister gefordert hatte. Bei der Entscheidung veranlasster Wechsel in der Leitung der über eine solche Anforderung in der Ein- Kölner Polizei statt. Der heutige Staats satzsituation war der Einsatzleiter davon sekretär Jürgen Mathies wurde neuer ausgegangen, dass sich die Lage nach Kölner Polizeipräsident. Mitternacht wieder entspannt. Diese Pro Mit viel Engagement und einem hohen gnose hat sich auch als zutreffend erwiesen. Kräfteeinsatz wurde der so genannte Akti- Da zwischen Anforderung und Eintreffen onsraum Straße sicherer gemacht. Die Ge- der Kräfte ca. drei Stunden liegen, war samtkriminalität in Köln sank – ein Trend, es zu diesem Zeitpunkt schon erkennbar, der bis heute anhält. Neben polizeilichen dass eine Anforderung keinen positiven Möglichkeiten nutzte Mathies die Einbin- 6 Verlag Österreich
1/2020 .SIAK-JOURNAL dung anderer Akteure in Sicherheitskon- Erkenntnissen der ermittelten Tatverdäch- ferenzen: neben der Oberbürgermeisterin tigen des Vorjahres und war dann erfüllt, Reker auch die Leitungen von Staatsan- wenn eine Gruppe aus jungen Männern waltschaft, Gerichten und der Bundes mit nordafrikanischem und nahöstlichem polizei. Hierdurch konnte das Sicherheits Aussehen bestand. Auf dem Bahnhofsvor- gefühl in der Kölner Bevölkerung zum platz zeigte sich folgendes Bild: Teil wiederhergestellt werden. Quelle: Kölner Polizei Für herausragend wichtig wurde von allen Akteuren erachtet, dass die nächste Silvesternacht in Köln ohne nennenswerte Straftaten gefeiert werden konnte. Hierzu Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr sollte insbesondere durch hohe Präsenz und konsequentes Einschreiten die Entste- hung eines rechtsfreien Raumes verhindert werden. Vor allem sollte sich das Leid, das Frauen im Jahr zuvor erleben mussten, nicht wiederholen. Der Einsatz wurde in der Nacht sowohl durch den Polizeiprä sidenten als auch durch den damaligen Abb. 1: Bahnhofsvorplatz kurz vor Mitternacht Innenminister Jäger in Köln beobachtet. Auf Grund der intensiven Medien- und Darauf hin entschied sich der Polizei- Öffentlichkeitsarbeit und der Erkenntnis, führer, die Gruppen junger alkoholisierter dass das Ereignis in Köln weltweit disku- Männer mit dem entsprechenden Ausse- tiert wurde, bestand die berechtigte Hoff- hen, die also das Täterprofil des Vorjahres nung, dass sich Köln für die im letzten erfüllt hatten, auf dem Bahnhofsvorplatz Jahr kritische Klientel als unattraktiv dar- zu kontrollieren. Nur durch die intensiven stellte. Kontrollen, welche die Männergruppen Sehr schnell stellte sich in der Silvester- längerfristig an den Bahnhofsvorplatz ge- nacht die Erkenntnis ein, dass der Einsatz bunden hatten, konnte nach Einschätzung gut geplant und die Kräftezahl angemessen vor Ort eine Eskalation wie im Vorjahr waren. Es strömte erneut eine erhebliche verhindert werden. Es kam trotz der er- Anzahl an jungen männlichen Migranten neut auftretenden Gruppen zu keinen nen- mit nordafrikanischem oder nahöstlichem nenswerten Taten, insbesondere zu keinen Aussehen nach Köln. Viele waren stark Sexualdelikten, im Einsatzraum. Darüber alkoholisiert und sehr aggressiv. In Ab- waren alle Beteiligten und auch insbeson- sprache mit der Bundespolizei hatte sich dere die Kölner Bevölkerung zutiefst er- die Kölner Polizei darauf verständigt, dass leichtert. schon bei der Anreise im Hauptbahnhof Der Einsatz wurde intensiv von einem eine Auswahl stattfand, welche Gruppen Social-Media-Team der Kölner Polizei be- ohne eine polizeiliche Kontrolle in die gleitet. Man wollte der Bevölkerung jeder- Innenstadt gelangten und welche auf dem zeit einen Einblick in den Einsatzverlauf Bahnhofsplatz einer genaueren polizei- geben, damit sie sich in ihrem An- und lichen Kontrolle, insbesondere Identitäts- Abreiseverhalten den ggf. auftretenden feststellungen, unterzogen werden sollten. Störungen anpassen konnte. Das Auswahlkriterium für die Zuweisung In diesem Zusammenhang wurde von zu polizeilichen Kontrollen basierte auf dem Social-Media-Team ein Eintrag in 7 Verlag Österreich
. SIAK-JOURNAL 1/2020 Facebook abgesetzt, welcher unter dem dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Begriff „Nafri-Tweet“ Eingang in die öf- erneut Gruppen junger Männer aus dem fentliche Debatte gefunden hatte. nordafrikanischen und arabischen Raum Quelle: Kölner Polizei in großer Anzahl angereist waren. Zum an- deren aber wurde der Vorwurf des „racial profiling“ intensiv in Medien und Politik diskutiert. Hieraus ergaben sich insbeson- dere mit Blick auf zukünftige Großveran- staltungen, wie Karneval und Silvester, Fragestellungen, zu deren Bearbeitung der Behördenleiter die Arbeitsgruppe „Silves Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr ter 2016“ einrichtete. Darüber hinaus galt es, die Öffentlichkeit bzw. die Medien zu informieren. Durch den Polizeipräsidenten wurden folgende Ziele für die Arbeitsgruppe for- muliert: u Hinweise auf Motivationslage und Ab- sichten der angereisten Gruppen junger Abb. 2: Screenshot aus Facebook Männer mit z.T. nordafrikanischer Her- kunft sowie darauf, ob Verbindungen Der Kölner Polizeipräsident e ntschuldigte bzw. Absprachen zwischen den Grup- sich für diesen Tweet, der auch fachlich pen bestanden, sind erlangt. falsch war. Die rein polizeiinterne Abkür- u Ansätze für weitere Ermittlungen ge- zung „Nafri“ steht für Nordafrikanische gen Beschuldigte, deren gegen sie ge- Intensivtäter. Diese waren aus den Ermitt- richtete Strafverfahren im Rahmen der lungen der letzten Silvesternacht bekannt, Ermittlungsgruppe (EG) Neujahr, die waren aber auch schon in der Zeit davor Staatsanwaltschaft Köln gem. § 154 f in Köln im Zusammenhang mit unter- Strafprozessordnung (StPO) vorläufig schiedlichen Straftaten ermittelt worden. eingestellt hat, sind geprüft. Bekannt geworden ist in diesem Zusam- u Die erlangten Daten sind hinsichtlich menhang das Phänomen des „Antanzens“, Staatsangehörigkeit und kriminalpoli- bei dem alkoholisierte Opfer in der Kölner zeilicher Erkenntnisse aufbereitet und Innenstadt bestohlen, aber auch beraubt ausgewertet. wurden. In den Gruppen vor Ort befanden u Daten für die Öffentlichkeitsarbeit des sich zwar auch solche Täter, aber sie stell- Polizeipräsidiums Köln stehen zur Ver- ten nur einen geringen Prozentsatz dar. Bei fügung. der Mehrheit der kontrollierten Personen u Bei Vorliegen eines Anfangsverdach handelte es sich um nicht polizeibekannte tes auf ausländerrechtliche Verstöße Personen. sind Ermittlungsverfahren eingeleitet Die Kölner Polizei stand daher vor un- (Zimmermann 2017). terschiedlichen Problemlagen. Zum einen In der Folge hatte das Polizeipräsidium musste die Polizei präventiv handeln, um Köln neben den üblichen polizeilichen das von der Bevölkerung dankbar aufge- Ermittlungen zwei ungewöhnliche Wege nommene, wiedererlangte hohe Sicher- eingeschlagen. Der erste dieser Wege ist heitsniveau zu gewährleisten. Deshalb war eine intensive Befragung und in der Folge 8 Verlag Österreich
1/2020 .SIAK-JOURNAL auch Einbeziehung wissenschaftlicher Ex- haben sich auf Grund der Polizeipräsenz perten. Die Arbeitsgruppe Silvester nahm sicher gefühlt, auch wenn mehrheitlich in mit folgenden Institutionen Kontakt auf, den Freitexten bekräftigt wird, dass viele die aus Sicht der Arbeitsgruppe eine hohe der Besucher vom hohen Polizeiaufgebot Expertise, entweder in dem im Fokus ste- überrascht waren, da sie bereits bei der henden Kulturkreis oder in der grundsätz- Anreise von der Polizei begleitet worden lichen Frage zur Entstehung von Gewalt waren und am Kölner Bahnhof kontrolliert im öffentlichen Raum, aufweisen: worden sind. Viele der Besucher wussten u Institut für Konflikt- und Gewaltfor- nichts von den letztjährigen Ereignis- schung der Universität Bielefeld (IKG), sen. Köln ist für viele unkompliziert und u Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr- günstig zu erreichen und die Großstadt Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr Universität Bochum, bietet ihnen eine einfache Verständigung u Institut für Integrations- und Migra mit den Menschen vor Ort. Mehrere Be- tionsforschung der Humboldt-Universi- sucher gaben in ihren Freitexten an, dass tät Berlin, sie trotz der Kontrollen am Silvesterabend u Institut für Islamische Theologie der gerne im nächsten Jahr wiederkommen Universität Osnabrück, möchten, da sie schon viel Positives über u Verein „180 Grad Wende“. Köln gehört haben oder sich schon positive Die Experten dieser Institutionen wur- Eindrücke, etwa durch den Besuch von den in strukturierten Interviews zumeist Bekannten und Verwandten, verschaffen telefonisch befragt. konnten. Einer der Besucher äußerte, dass Zum Zweiten hat man den b ekannten die Kontrollen im nächsten Jahr doch bitte Besuchern der Kölner Silvesterfeiern die vor 24 Uhr stattfinden sollen, „damit man Teilnahme an einer freiwilligen Befragung noch etwas vom Feuerwerk mitbekommt“. mittels Fragebogen angeboten. Die Frage Auf Grund der lang anhaltenden Maßnah bögen – jeweils in mehreren Sprachen – men der Polizei verpassten viele der Be- wurden über Flüchtlingseinrichtungen sucher das Feuerwerk, was sie als sehr verteilt und konnten von den dortigen „schade“ empfanden, da sie sich auf dieses Mitarbeitern völlig anonym bei örtlichen Ereignis sehr gefreut hatten. Poliz eidienststellen abgegeben werden. Die Experten betonten, dass Köln als 158 Fragebögen sind beim Polizeipräsi multikulturelle Partystadt mit einer „open dium Köln eingegangen. Da keine Über- society“ weltweit bekannt ist. Köln wird prüfung stattfand, ob der Antwortende tat- als bedeutende Metropole in Westeuropa sächlich in Köln war, sind die Antworten wahrgenommen und ist verkehrsgünstig nur eingeschränkt wissenschaftlich belast- gelegen. Die Zielgruppe verfügt über sehr bar. Es wurden – in Übereinstimmung mit geringe Geldmittel und hat nur geringen der Anonymitätszusicherung – keinerlei Zugang zu Kraftfahrzeugen. Daher erfolgt polizeirechtliche Identitätsfeststellungen die Anreise in sehr vielen Fällen mit der oder Befragungen durchgeführt. Dennoch Deutschen Bahn. konnten wesentliche neue Erkenntnisse Bei den anreisenden Gruppen handelt es nicht nur aus der Expertenbefragung, son- sich insbesondere um junge Männer, die dern auch aus der anonymen Befragung Spaß und eine Partyatmosphäre suchen gewonnen werden. und Frauen kennenlernen wollen. Köln ist Insgesamt ist festzuhalten, dass die Be- daher nicht nur zu Silvester, sondern auch sucher Köln als eine sehr schöne, attraktive im übrigen Jahr durchaus Anlaufpunkt und sympathische Stadt wahrnehmen. Sie für die häufig im ländlichen Raum in 9 Verlag Österreich
. SIAK-JOURNAL 1/2020 Flüchtlingsunterkünften untergebrachten zogen. Hier kam es bei den Gruppen zu jungen Männer. Sie wollen etwas erleben der Wahrnehmung, dass die meisten am und sicherlich auch andere Menschen aus Bahnhof ankommenden Besucher über die ihrer Peer Group treffen. Silvester hat im Domtreppe in Richtung Innenstadt gehen nordafrikanischen oder arabischen Raum durften. Die Gruppen junger nordafrika- keine besondere Bedeutung. Allerdings ist nisch bzw. nahöstlich aussehender Män- es einer der wenigen Anlässe, welcher so- ner wurden jedoch in einem abgesperrten wohl in der westlichen als auch in der öst- Bereich des Bahnhofsvorplatzes festge lichen Welt gefeiert wird. Während Kar- halten. Hierbei kam eine hohe Anzahl neval für die Peer Group unattraktiv ist, junger Männer in einem eng umgrenzten bietet Silvester den Vorteil, dass auch ohne Raum zusammen. Die gewünschte freie Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr finanzielle Mittel (Eintrittsgelder, Min- Entfaltung der Betroffenen und die Gele- destverzehr in Clubs etc.) gefeiert werden genheit, den Abend zum Feiern zu nutzen, kann. Hier wollen die Gruppen am „social w urden zunächst unterbunden. Durch die life“ teilhaben. Besonderheit der Örtlichkeit (der Bahn- Zum Grund für die aggressive Stimmung hofsvorplatz gleicht einer Arena, bei der in den Gruppen befragt, wurden zwei die Domtreppe die Zuschauerränge dar- Hauptaspekte genannt. Zum einen ist dies stellt) konnte sich für die Betroffenen der der Konsum von Alkohol und (vermutlich) Eindruck einstellen, von den übrigen sich weiteren Drogen. Alkohol ist in vielen frei bewegenden Besuchern auf den „Zu- islamischen Ländern nur beschränkt ver- schauerrängen“ der Domtreppe als „Ver- fügbar. Es ist unüblich, im öffentlichen lierer“ wahrgenommen zu werden. Diese Raum Alkohol zu trinken. In Deutschland Wahrnehmung fördert Aggressivität. Hin- gibt es eine hohe und preisgünstige Ver- zu kommt, dass für sie die Situation und fügbarkeit, so dass in der Gruppe Alkohol der weitere Ablauf unklar waren, was die leicht konsumiert werden kann. Es fehlt Problematik zusätzlich erhöhte. aber der sozial gelernte Umgang mit Al- Die Situation auf dem Bahnhofsvorplatz kohol, so dass in kurzer Zeit hohe Men- und im Bahnhof selbst führte zu „in- gen konsumiert werden, an die die jungen tergroup dynamics“. Dieser Begriff be- Männer nicht gewöhnt sind. Hierdurch zeichnet den Umstand, dass in Gruppen kommt es zu den typischen alkoholbe- Haltungen herrschen können, die auf per- dingten Ausfallerscheinungen und zur sönlicher Ebene von den einzelnen Mit- gruppendynamischen Verstärkung von ne- gliedern der Gruppe nicht geteilt werden, gativem Verhalten, wie es auch anlässlich die aber zu einer Anpassung führen und von Fußball- oder Karnevalseinsätzen be- verhaltensleitend wirken. Sie können zu kannt ist. Handlungen führen, die von Mitgliedern Zum anderen sind es situative und grup- der Gruppe in anderen Situationen nicht penpsychologische Aspekte, die auch ohne ausgehen oder von ihnen sogar abgelehnt den verstärkenden Alkoholeinfluss zu e iner würden. So ist es möglich, dass Menschen aggressiven Stimmung führen konnten. Taten begehen, die sie nicht vorher geplant Die Gruppen wurden nach Bewertung der haben und die sie unter anderen Bedin- Experten bereits auf der Anreise durch gungen sogar moralisch ablehnen würden. die Bundespolizei einem hohen Kontroll- Die Experten wurden zudem dazu be- druck unterworfen. Dann wurden sie nach fragt, inwieweit die Straftaten des Vor- der Ankunft am Hauptbahnhof auf dem jahres geplant waren. Hierbei gaben sie Bahnhofsvorplatz einer Kontrolle unter- an, dass nur eine sehr kleine Gruppe ge- 10 Verlag Österreich
1/2020 .SIAK-JOURNAL zielt, z.T. auch als Bande verabredet, die lizei, gehalten. Zudem gab es neben den Feierlichkeiten zum Begehen von Straf- Grußworten auch Vorträge von mit Flücht- taten nutzen wolle. Kriminalistische Er- lingen arbeitenden Sozialarbeitern.2 fahrungen, insbesondere aus der Silve- Weiters hat ein Team des Institutes für sternacht 2015/2016, legen den Verdacht Konflikt- und Gewaltforschung der Uni- nahe, dass in diesen Fällen junge Männer, versität Bielefeld die Einsatzvorbereitun insbesondere aus Nordafrika, gezielt die gen begleitet und die Polizei intensiv be- Anonymität der Masse suchen, um Dieb- raten. stahl- oder Raubstraftaten zu begehen. Die Kölner Polizei hat die Erkenntnisse Delikte in größerer Zahl seien aber nur in die Einsatzvorbereitungen einbezogen. möglich, wenn die Nichtsichtbarkeit oder Auf Basis der Hinweise der Arbeitsgruppe Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr das Einschreitverhalten der Polizei diese Silvester und der Vorträge der Experten zulassen. Es dürfe kein rechtsfreier Raum wurde ein umfangreiches Maßnahmen bestehen, denn durch massenpsycholo- paket erstellt. Auch wenn der Vorwurf des gische Effekte sei es immer möglich, dass „racial profiling“ nach Aussage der Exper- das ahndungsfreie Begehen von Straftaten ten keinen Bestand hatte, da die Auswahl und insbesondere sexuelle Übergriffe Ein- von Personen, die polizeilichen Kontroll- zelner in einer aus psychologischer Sicht maßnahmen unterzogen wurden, nicht überhitzten Masse zu einem Massenphä- willkürlich nur auf Grund des Aussehens nomen werden. Diese Dynamik könne sich erfolgte, sondern aus Erkenntnissen des innerhalb von Sekunden situativ entfalten. Vorjahres, wurde das polizeiliche Konzept Letztlich waren sich die Experten sicher, erheblich verändert. dass die Klientel auch weiterhin nach Köln Neben der intensiven und guten Zusam- reisen werde, wobei Karneval eher unat- menarbeit mit der Stadt Köln und der Zu- traktiv sei. Zudem sei zu bedenken, dass sammenarbeit mit sozialen Gruppen und jede vorherige Kommunikation in der Öf- Verbänden sowie der Einrichtung und fentlichkeit nicht wahrgenommen worden Kontrolle einer böllerfreien Schutzzone wäre, zum einen wegen der Sprachbarrie- Dom durch die Stadt Köln waren es ins- ren, zum anderen weil die genutzten Me- besondere die Erkenntnisse der Gewalt- dien in den Gruppen keine Rolle spielen. forscher, die in den Einsatz eingeflossen Aus diesen Erkenntnissen ergaben sich sind. Die Kontrollsituation auf dem kessel zwei interessante Entwicklungen. Zum förmigen Bahnhofsvorplatz – Professor einen hat sich das Polizeipräsidium Köln Dr. Zick von der Universität Bielefeld hob dazu entschlossen, in einem öffentlichen den „Arena-Charakter“ der Örtlichkeit Symposium die Ergebnisse der Arbeits- hervor – sollte verändert werden. gruppe Silvester zu diskutieren. Alle Er- Die Aussagen aller Experten, wie sie kenntnisse und Ergebnisse sind auf der sowohl aus dem Gutachten von Professor Kölner Internetseite veröffentlicht worden Dr. Egg (Abschlussbericht des Parlamen- und alle wissenschaftlichen Vorträge des tarischen Untersuchungsausschusses) als Symposiums stehen zum Download be- auch den Ergebnissen der A rbeitsgruppe reit. Auf dem Symposium wurden neben Silvester hervorgehen, decken sich in den Ergebnissen der Arbeitsgruppe Silves einem Punkt: Die Gewalt aus den Grup- ter insbesondere Vorträge von Professor pen entstand spontan, weil sich situativ in Dr. Zick, Universität Bielefeld, Professor der überhitzen Stimmung und unter dem Dr. Feltes, Ruhr-Universität Bochum, und Einfluss von Alkohol und Drogen eine Tat- Dr. Hunold, Deutsche Hochschule der Po- gelegenheitsstruktur ergab. Kann diese so- 11 Verlag Österreich
. SIAK-JOURNAL 1/2020 wohl durch Änderung der Raumsituation den Eindruck eines rechtsfreien Raumes als auch der Kontrollsituation entschärft aufkommen zu lassen. werden und lässt sich zudem ein guter Um das neue Einsatzkonzept zu stüt- Raumschutz durch Kräfte vor Ort gewähr- zen, hat die Polizei Köln zusammen mit leisten, so dürften sich die Ereignisse der der Stadt Köln die Kampagne „Respekt“ Silvesternacht 2015 nicht wiederholen. Die entwickelt. Unter Leitung der Stadt Köln Besucher könnten also grundsätzlich ohne wurde eine Arbeitsgemeinschaft gegrün- personenbezogene Kontrollen in die Stadt det, an der nicht nur unterschiedliche Äm- gehen, lediglich auffällig aggressive und ter, sondern auch Flüchtlingsverbände, stark alkoholisierte Gruppen sollten bereits Medien und Hilfsorganisationen beteiligt vorher kontrolliert werden. Gleichzeitig waren. Kern einer Kommunikationskam- Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr sollten aber die Kräfte, welche im Einsatz- pagne war das Thema „Respekt“, in der raum präsent waren, mit einer niedrigen eingängige, auch ohne deutsche Sprach- und konsequenten Einschreitschwelle ge- kenntnisse verständliche, Botschaften gen Störer vorgehen, um an keiner Stelle über die sozialen Medien verbreitet wur- den (siehe Abbildung 3). Quelle: Stadt Köln Zudem wurden diese Botschaften in Deutschkursen der Volkshochschule der Stadt Köln an Flüchtlinge vermittelt. Auf Grund der Umstellung des Ein- satzkonzeptes war die Kontrolldichte am Hauptbahnhof deutlich geringer als im Vorjahr. Gleichzeitig waren die im Vorjahr im Hauptbahnhofsbereich eingesetzten Kräfte nun in der Stadt, und zwar sowohl Alkohol nur in Feuerwerkskörper nicht auf Kräfte der Bereitschaftspolizei als auch verantwortungsvollem Maß Menschen abschießen Kommunikationsteams aus Streifen- und Bezirksdienstbeamten der Kölner Polizei. Sehr schnell wurde klar, dass mindes tens die gleiche Anzahl an nordafrika- nischen und arabischen Gruppen wie im Vorjahr in der Stadt war. Der Bahn- hofsvorplatz diente nur der Bewegung, die Gruppen durften sich dort nicht auf Nein heißt Nein! Null Toleranz bei Polizei, Ordnungskräfte sind präsent halten und gingen in die Innenstadt. Wer Übergriffen auf die Domplatte und den Roncalliplatz wollte, musste sich von Ordnungskräften der Stadt auf Böller und gefährliche Ge- genstände durchsuchen lassen. Besucher konnten diese Bereiche aber auch umge- hen, um am Rhein mit Böllern zu feiern. Der Einsatz wurde zudem von vielen Akteuren beobachtet, so war der Autor Fröhlich, sicher und respektvoll Polizei und Ordnungskräfte schreiten dieses Aufsatzes gemeinsam mit Professor feiern frühzeitig und konsequent ein Dr. Zick und seinem Team vor Ort. Zudem Abb. 3: Respekt-Kampagne waren Amnesty International und wei- 12 Verlag Österreich
1/2020 .SIAK-JOURNAL Quelle: Kölner Polizei Deliktarten Jahreswechsel 2014/2015 2015/2016 2016/2017 2017/2018 Sexualdelikte Sexuelle Nötigung nach § 177 Abs. 5 und 9 StGB 1 20 1 1 Sexuelle Nötigung/Vergewaltigung 1 14 2 0 Beleidigung auf sexueller Grundlage 3 44 0 0 Sexueller Missbrauch widerstandsunf. Personen 1 0 0 0 Sex. Nötigung/Vergewaltigung durch eine Gruppe 0 88 0 0 Überfallartige Vergewaltigung/sexuelle Nötigung 0 5 0 0 durch Einzeltäter Überfallartige Vergewaltigung/sexuelle Nötigung 0 18 0 0 durch Gruppen Sexuelle Belästigung 0 0 3 7 Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr Exhibitionistische Handlungen 0 1 0 1 Sexueller Missbrauch von Kindern 0 1 0 0 Summe aller Delikte 612 1066 414 409 Abb. 4: Auswertung der polizeilichen Kriminalstatistik tere Flüchtlingsorganisationen, ein großes Noch wichtiger ist die Erkenntnis, wie Presseaufgebot, aber auch der neue nord wertvoll die Zusammenarbeit zwischen rhein-westfälische Innenminister Herbert Wissenschaft und polizeilicher Praxis sein Reul vor Ort. kann. Hier wurden ganz konkrete Vor- Trotz der großen Menge an Menschen schläge zur polizeilichen Einsatzplanung in der Stadt erwies sich das Konzept als durch die Gewaltforscher entwickelt. Diese erfolgreich. Durch das niederschwellige wurden von polizeilichen Praktikern be- und sofortige Einschreiten und die hohe wertet und unter Berücksichtigung eigener Polizeipräsenz wurde das Entstehen von taktischer Vorgaben in die Befehlsgebung Gewaltdynamiken verhindert. Es kam nur übersetzt. Den Einsatz verantwortet selbst- zu einzelnen für Silvester typischen De- verständlich der Polizeiführer und seine likten und wenigen Ingewahrsamnahmen. taktischen Vorgaben sind Ergebnis seiner Die Gesamtanzahl der Straftaten war Lagebeurteilung. Aber wissenschaftliche sogar noch geringer als im Vorjahr. Nen- Erkenntnisse in diese Lagebeurteilung nenswerte Sexualdelikte gab es nicht. einzubeziehen und die Bereitschaft zu haben, durchaus erfolgreiche, bestehende 3. FAZIT Konzepte auf Grund der gewonnenen Er- Die Gewalt in der Kölner Silvesternacht kenntnisse zu überdenken, kann wesent- 2015/2016 ist eine Mahnung für die Sicher lich zum Erfolg beitragen. heitsbehörden geblieben. Ob diese Ge- Auch wenn die Einsatzverläufe der Vor- waltentwicklung, insbesondere auch in jahre im Grundsatz nicht zu beanstan- der Kombination mit Sexualdelikten, bei den waren, war die dritte Silvesternacht Männern aus dem nordafrikanischen oder (2017/2018) die erfolgreichste. Hier konn- arabischen Raum auch kulturell begüns te nicht nur die öffentliche Sicherheit tigt wird, bleibt letztlich offen. Die psy- gewährleistet werden, sondern nahezu chologische Dynamik, und dies zeigt alle Besucher der weltoffenen Stadt Köln uns eindrucksvoll Zimbardos „Stanford konnten das neue Jahr ohne Einschrän- Prison“-Experiment, ist jedenfalls kultur kungen begrüßen. unabhängig (Zimbardo 2008). 13 Verlag Österreich
. SIAK-JOURNAL 1/2020 1 Landtag NRW 2017. Schulte, Thomas (2017). Die Silvesternacht 2 Vorträge können hier heruntergeladen werden: 2015/2016 – Vorgeschichte, Hintergründe, Er- https://koeln.polizei.nrw/artikel/zurueck-schauen- mittlungen und polizeiliche Handlungsempfeh- nach-vorne-denken-symposium-silvester-2017 lungen und Prognosen. Teil 1, Der Kriminalist (03.10.2019). (3), 20–23, weitere Teile in den Folgeausgaben. Zimbardo, Philipp (2008). The Lucifer Effect. Quellenangaben How Good People Turn Evil, London u.a. Behrendes, Udo (2016). Die Kölner Silvester- Zimmermann, Klaus (2017). Abschlussbericht nacht 2015/2016 und ihre Folgen, NK Neue Kri- der AG Silvester des PP Köln, Online: https:// minalpolitik (3), 322–343. koeln.polizei.nrw/sites/default/files/2018-03/ Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 17.06.2022 um 19:12 Uhr Landtag NRW (2017). Drucksache 16/14450, On- lstab_170726_Abschlussbericht%20AG%20 line: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/ Silvester.pdf (10.10.2019). dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-14450. https://koeln.polizei.nrw/artikel/zurueck-schauen- pdf (03.10.2019). nach-vorne-denken-symposium-silvester-2017. 14 Verlag Österreich
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