Die Myelodysplastischen Syndrome (MDS) - Eine Informationsbroschüre für Patient:innen und Angehörige - Hämatologie.info

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Die Myelodysplastischen
Syndrome (MDS)
Eine Informationsbroschüre für Patient:innen und Angehörige
Die Myelodysplastischen Syndrome (MDS) - Eine Informationsbroschüre für Patient:innen und Angehörige - Hämatologie.info
Inhalt
1   Vorwort                          5

                                     Das Blut und seine Aufgaben                         7
2   Das Blut                         Zusammensetzung des Blutes                          7
                                     Die Blutbildung                                     7

                                     Was sind Myelodysplastische Syndrome?               13
                                     Ursachen – wie entstehen MDS?                       14
    Die Myelodysplastischen
3   Syndrome
                                     Symptome – gibt es „typische“ Anzeichen für MDS?    14
                                     Diagnose – wie werden MDS festgestellt?             15
                                     Wichtige Fragen!                                    18

                                     Man unterscheidet zwischen
                                     Niedrigrisiko-MDS und Hochrisiko-MDS                21
4   Behandlung von MDS               Therapien können auch Nebenwirkungen haben          21
                                     Komplementäre Therapien als Ergänzung               21

                                     Watch and Wait                            23
                                     Unterstützende Therapie                   23
                                     Erythropoese-stimulierende Agenzien (ESA) 24
                                     Erythrozyten-Reifungs-Aktivator (ERA)     24
5   Welche Therapieformen gibt es?   Immunmodulatoren                          25
                                     Stammzelltransplantation                  25
                                     Hypomethylierende Agenzien (HMA)          26
                                     Therapiestudien26

                                     Verstehen, was im eigenen Körper passiert           29
    Checklisten für das ärztliche    Diagnostik                                          30
6   Gespräch                         Therapieentscheidung                                32
                                     Nebenwirkungen                                      34

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7   Adressen und Anlaufstellen   36

8   Weiterführende Literatur     37

9   Quellen                      38

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VORWORT · 1

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                                       Liebe Leserinnen und Leser,

                                       die Abkürzung MDS steht für „Myelodysplastische Syndrome“ und umfasst eine
                                       Reihe von Erkrankungen, bei denen die Blutbildung gestört ist. Die Diagnose MDS
                                       trifft Erkrankte und Angehörige meist völlig unvorbereitet und verursacht Furcht
                                       und Unsicherheit in Bezug auf Krankheitsverlauf und Behandlungsmöglichkeiten.
                                       Es stellen sich viele Fragen. Welchen Einfluss haben Krankheit und Therapie auf
                                       die Lebensqualität? Wie wird sich der Alltag verändern? Wie ist die Prognose? In
                                       dieser Situation möchten wir Ihnen mit der vorliegenden Broschüre die Orientie-
                                       rung erleichtern, indem Hintergründe und Mechanismen der Erkrankung verständ-
                                       lich erklärt und häufige Fragen beantwortet werden. Wir möchten Ihnen auch
                                       Mut machen: Myelodysplastische Syndrome lassen sich in vielen Fällen günstig
                                       beeinflussen und erlauben häufig ein Leben mit guter Lebensqualität. Außerdem
                                       wird intensiv daran geforscht, die Krankheitsmechanismen besser zu verstehen
                                       und daraus neue Therapiemöglichkeiten abzuleiten.

                                       Myelodysplastische Syndrome treten vor allem in höherem Lebensalter auf und
Vielen Dank an Herrn Professor         verlaufen von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Daher ist es wichtig, mit
Gattermann für die fachliche           Ihrer Ärztin bzw. Ihrem Arzt über die individuelle Krankheitssituation und die pas-
Beratung und redaktionelle Unter-      senden Therapiemöglichkeiten zu sprechen.
stützung bei der Erstellung dieser
Broschüre.                             Mit der Krankheit zu leben und mit ihr zurechtzukommen, ist eine große Heraus-
                                       forderung. Es gibt hierfür kein Patentrezept, da jeder Mensch seine eigene Strate-
Prof. Dr. med. Norbert Gattermann      gie hat, mit solch einer Situation umzugehen. Es hilft aber, Ängste und Unsicher-
ist Oberarzt an der Klinik für Häma-   heiten mit Freund:innen und Angehörigen zu teilen. Tauschen Sie sich auch mit
tologie, Onkologie und Klinische       anderen Betroffenen aus. Deren Erfahrung kann für Sie eine große Unterstützung
Immunologie am Universitätsklini-      sein. Sie werden merken, dass Sie nicht allein sind! Auch psychoonkologische Hilfs-
kum Düsseldorf und Geschäftsfüh-       angebote sind nützlich bei der Entwicklung einer eigenen Bewältigungsstrategie.
render Leiter des Universitätstumor-   Wir wünschen Ihnen den Mut und die nötige Gelassenheit, um Ihr Leben auf Ihre
zentrums (UTZ).                        eigene, ganz persönliche Weise zu meistern.

                                       Ihr Bristol Myers Squibb Hämatologie-Team

                                                                                                                         5
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2 · DAS BLUT

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DAS BLUT · 2

Das Blut
Als Myelodysplastische Syndrome (MDS) wird eine Gruppe seltener Bluterkrankun-
gen (hämatologischer Erkrankungen) bezeichnet, bei denen die Blutbildung bei den
Betroffenen auf ähnliche Weise gestört ist. Deshalb beginnt diese Broschüre mit
wichtigen Informationen zur normalen Funktion des Blutes.

Das Blut und seine Aufgaben                Geweitete Blutgefäße sorgen mit ihrem       Zusammensetzung des Blutes
                                           langsamen Blutfluss für die Abgabe von
Blut ist ein Gemisch aus flüssigem Blut-   Wärme; verengte Gefäße mit höherer          Unser Blut besteht zu etwa gleichen An-
plasma und verschiedenen Blutzellen. Es    Fließgeschwindigkeit geben weniger          teilen aus Blutzellen (45 %) und Blutplas-
versorgt, reguliert und schützt unseren    Wärme ab.                                   ma (55 %). Das hellgelbe Plasma ist flüs-
Körper mit folgenden Funktionen:                                                       sig. Es besteht zum Großteil aus Wasser,
                                           Schutz: Wundheilung und Immun-              außerdem aus wasserlöslichen Stoffen
Transport                                  system                                      wie Eiweißen, Elektrolyten, Vitaminen
Das Blut versorgt die Körperzellen mit     Bei Verletzungen lagern sich bestimmte      und Nährstoffen. Das Plasma sorgt für
Nährstoffen und Sauerstoff. Darüber hi-    Bestandteile des Blutes an der verletzten   die Zufuhr von Nährstoffen in die ver-
naus befördert es auch Botenstoffe wie     Gefäßwand aneinander und bilden ei-         schiedenen Gewebe und Organe – und
zum Beispiel Hormone – auf diese Weise     nen sogenannten Pfropf. Damit sorgen        umgekehrt für den Abtransport von Ab-
werden Informationen im Körper verteilt    sie dafür, dass die Blutung an der Wunde    bauprodukten.
und gezielt Prozesse in Gang gesetzt.      zum Stillstand kommt. Eine weitere wich-
                                           tige Schutzfunktion ist unsere Immun-
Regulation                                 abwehr: Das Blut spielt eine tragende       Die Blutbildung
Das Blut hält wichtige Funktionen des      Rolle bei der Bekämpfung von Krank-
Körpers im Gleichgewicht. Beispielsweise   heitserregern.                              Die Blutbildung (Hämatopoese) ist ein
kann das Blutplasma Wärme aufneh-                                                      hierarchisch organisiertes System. An
men bzw. abgeben und hilft damit, die                                                  der Spitze der Hierarchie befinden sich
Körpertemperatur zu regulieren. Auch                                                   die sogenannten Blutstammzellen. Dies
über die Fließgeschwindigkeit des Blutes                                               ist eine kleine Gruppe von Zellen im Kno-
kann die Temperatur reguliert werden.                                                  chenmark. Sie besitzen einerseits die Fä-

                                                                                                                                7
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2 · DAS BLUT

                                                                         higkeit, sich bei der Zellteilung in zwei
Abb. 1: Die Blutbestandteile                                             gleiche Tochterzellen zu teilen, die wie-
                                                                         derum Stammzellen sind (identische
                                                                         Selbstreplikation). Hierdurch wird ge-
                                                                         währleistet, dass der Vorrat an Stamm-
                                                                         zellen im Laufe des Lebens erhalten
                                                                         bleibt. Andererseits können die Stamm-
                                                                         zellen aber auch Tochterzellen hervor-
                                                                         bringen, die sich bei den nachfolgenden
                                                                         Zellteilungen weiter spezialisieren und
                                                                         bei ihrer Ausreifung im Knochenmark
                                                                         alle Typen von funktionstüchtigen Blut-
                                                                         zellen hervorbringen können. So können
                                                                         sich die Stammzellen beispielsweise über
                                                                         mehrere Zwischenstufen (Vorläuferzel-
                                                                         len) in rote Blutkörperchen (Erythrozy-
                                                                         ten), weiße Blutkörperchen (Leukozyten)
                                                                         oder Blutplättchen (Thrombozyten) ent-
                                                                         wickeln. Bei der Blutbildung unterschei-
                                                                         det man zwei Entwicklungslinien: die my-
                                                                         eloische und die lymphatische (siehe
                                                                         Abb. 2). Die myeloischen Zellen – dazu
                                                                         zählen die Vorläuferzellen der roten Blut-
                                                                         körperchen, der Blutplättchen und ver-
                                                                         schiedener Typen der weißen Blutkörper-
                                                                         chen – reifen im Knochenmark aus
                                                                         (Myelopoese). Die vollständige Ausrei-
                                                                         fung der lymphatischen Zellen – be-
                               45 % Blutzellen:
                               1 % Blutplättchen (Thrombozyten)          stimmte weiße Blutkörperchen, die man
                               1 % weiße Blutkörperchen (Leukozyten)     gesammelt als Lymphozyten bezeichnen
                               43 % rote Blutkörperchen (Erythrozyten)   kann – erfolgt erst im lymphatischen
                                                                         System (Lymphopoese), zu dem vor al-
                                                                         lem die Lymphknoten gehören. Eine Mi-
                                                                         schung stellen die sogenannten dendriti-
                                                                         schen Zellen dar. Sie können sich sowohl
                                                                         aus myeloischen als auch lymphatischen
                                                                         Vorläuferzellen entwickeln.

                                                                         Wenn eine Stammzelle aufgrund erwor-
                                                                         bener genetischer Schäden (Mutatio-

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                                                       Abb. 2: Die Blutbildung im Knochenmark

                                                              Stammzelle

                                                                    Blasten
                                                              (= Vorläuferzellen)

                      Lymphatische                                                          Myeloische
                        Blasten                                                              Blasten

                      Lymphozyten

                                              Leukozyten                                                         Erythrozyten            Thrombozyten
                                           (weiße Blutkörperchen)                                                (rote Blutkörperchen)    (Blutplättchen)

Natürliche     B-Zellen         T-Zellen                            Mastozyten      Monozyten     Granulozyten
Killerzellen

                                                                                                                                                            9
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nen) Tochterzellen hervorbringt, die sich   munabwehr zuständig. Es gibt zahlreiche       die spezifische Immunabwehr aus.
nicht mehr zu normalen reifen Blutzellen    Typen von Leukozyten, die unterschied-        Insgesamt lässt sich festhalten, dass
entwickeln können, kann daraus eine         liche Aufgaben wahrnehmen.                    eine erfolgreiche Immunabwehr die Zu-
schwere Knochenmarkerkrankung wie                                                         sammenarbeit verschiedener Leukozy-
zum Beispiel eine akute Leukämie ent-       Die B- und T-Lymphozyten sind vor al-         ten erfordert. Deshalb führt ein Mangel
stehen.                                     lem für die Erkennung von Fremdmate-          an gesunden weißen Blutkörperchen zu
                                            rial (z. B. Infektionserreger) zuständig      einer Abwehrschwäche und somit zu ei-
                                            und repräsentieren gleichzeitig das „im-      nem erhöhten Risiko für schwer verlau-
                                            munologische Gedächtnis“, das unter           fende Infektionen.
Rote Blutkörperchen (Erythrozyten)          anderem den Erfolg von Impfungen ge-
binden Sauerstoff                           währleistet. Wenn B- oder T-Lymphozy-
Die große Mehrzahl der Blutzellen sind      ten einen „Eindringling“ erkannt haben,
rote Blutkörperchen (Erythrozyten). Ihr     können sie weitere Zellen des Immunsys-
Anteil am gesamten Blutvolumen (ein-        tems informieren und zur Bekämpfung
schließlich Plasma) liegt bei ca. 43 %.     von Bakterien oder Viren stimulieren.         Blutplättchen (Thrombozyten) sind
Die Erythrozyten sind vor allem für den     Ihre Schwesterzellen, die natürlichen Kil-    wichtig für die Blutstillung und den
Transport von Sauerstoff zuständig. Sie     lerzellen, sind in der Lage, körpereigene     Wundverschluss
enthalten dafür den eisenhaltigen roten     Zellen zu erkennen, die infiziert oder ent-   Thrombozyten stoppen eine Blutung, in-
Blutfarbstoff Hämoglobin (Hb). Hämo-        artet sind, und diese abzutöten.              dem sie zusammen mit anderen Zellen
globin ist in der Lage, Sauerstoffmolekü-                                                 und bestimmten Eiweißstoffen (Gerin-
le zu binden. Auf diese Weise können die    Granulozyten werden je nach Granulie-         nungsfaktoren) die Wunde verkleben
Erythrozyten den Sauerstoff von der         rung (= kleine Körnchen im Zellinneren)       und dort einen Pfropf bilden. Blutplätt-
Lunge zu den Körperzellen in allen Orga-    als neutrophile, basophile oder eosino-       chen besitzen keinen Zellkern und sind
nen und Geweben transportieren. Wenn        phile Granulozyten bezeichnet. Vor al-        kleiner als weiße oder rote Blutkörper-
die Erythrozyten in zu geringer Zahl vor-   lem die neutrophilen Granulozyten sind        chen. Ein Mangel an Blutplättchen wird
handen sind oder nicht ausreichend mit      Fresszellen, die bei Entzündungsreaktio-      als Thrombozytopenie bezeichnet. Wenn
Hämoglobin gefüllt sind, wird dies als      nen rasch aus dem Blut ins Gewebe aus-        eine ausgeprägte Thrombozytopenie
Anämie (Blutarmut) bezeichnet. Um           wandern können, um dort Bakterien             vorliegt, ist die Blutstillung verlangsamt
eine Anämie festzustellen, wird in der      oder andere Mikroorganismen zu vertil-        und beeinträchtigt, so dass gefährliche
Regel der sogenannte Hb-Wert gemes-         gen. Eosinophile Granulozyten sind vor        Blutungen entstehen können.
sen.                                        allem an der Abwehr verschiedener Pa-
                                            rasiten beteiligt. Die Monozyten des
                                            Blutes gehören ebenfalls zu den Zellen,
                                            die Fremdmaterial verdauen können. Die
                                            aus Monozyten oder lymphatischen Vor-
Verschiedene Typen von weißen Blut-         läuferzellen hervorgehenden dendriti-
körperchen (Leukozyten)                     schen Zellen sind als „Wächterzellen“ in
Die weißen Blutkörperchen verfügen          den äußeren Zonen des Körpers aktiv.
über einen Zellkern, enthalten kein Hä-     Sie erkennen und „melden“ schädliche
moglobin und sind vor allem für die Im-     Moleküle und lösen in den Lymphknoten

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                                         Abb. 3: Leukozyten

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                  Granulozyten

 Information
                                                              Monozyten
Die weißen Blutkörperchen (Leuko-
zyten) unterteilen sich in drei Haupt-
typen, die unter dem Mikroskop ein
unterschiedliches Aussehen haben.
Sie können sowohl von der lymphati-
schen Zelllinie (Lymphozyten) als
auch von der myeloischen Zelllinie
(Monozyten und Granulozyten) ab-
stammen. Granulozyten erkennt
man an den kleinen Körnchen im
Zellinneren.

                                                                                             11
3 · DIE MYELODYSPLASTISCHEN SYNDROME

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DIE MYELODYSPLASTISCHEN SYNDROME · 3

Die Myelodysplastischen Syndrome
Myelodysplastische Syndrome (MDS) bezeichnen eine Gruppe seltener Bluterkran-
kungen mit ähnlichen Krankheitsmerkmalen. Bei MDS ist die Bildung bestimmter
Blutzellen (myeloische Zelllinie) gestört. Ursache der Erkrankung sind genetische Ver-
änderungen in den Blutstammzellen. Es besteht keine Ansteckungsgefahr, genauso
wenig sind MDS erblich bedingt. In den meisten Fällen entstehen MDS spontan und
im höheren Alter. Alle hier genannten Symptome sind allein kein eindeutiger Hinweis
auf eine bestehende MDS-Erkrankung. Daher wird Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin Sie mit
sehr viel Sorgfalt untersuchen bzw. Untersuchungen in einer hämatologischen Fach-
praxis veranlassen, um eine eindeutige Diagnose stellen zu können.

Was sind Myelodysplastische                mehr macht, sondern sich ständig teilt
Syndrome ?                                 und vermehrt. Sie hat dadurch einen
                                           Wachstumsvorteil im Vergleich zu den
Zu Myelodysplastischen Syndromen           normalen Stammzellen, so dass nach ei-
(MDS) kann es kommen, wenn Blut-           niger Zeit ein großer Pool von kranken
stammzellen im Knochenmark im Laufe        Stammzellen entsteht, der das Knochen-
des Lebens genetische Schäden erleiden     mark dominiert. Die Tochterzellen der
(Punktmutationen oder Chromosomen-         kranken Stammzellen haben wegen ihrer
veränderungen). Einige Schäden führen      genetischen Schäden große Mühe, sich
                                                                                             Durchschnittsalter bei MDS
dazu, dass Stammzellen zugrunde ge-        zu vollständig ausgereiften, funktions-
hen. Das ist nicht schlimm, da normaler-   tüchtigen Blutzellen zu entwickeln. Viele       Das durchschnittliche Erkran-
weise eine ausreichende Zahl von           gehen vorzeitig im Knochenmark zugrun-          kungsalter von MDS liegt bei 70
Stammzellen vorhanden ist. Andere Mu-      de und erreichen gar nicht die Blutbahn.        Jahren.¹ Selten können MDS aber
tationen können jedoch dazu führen,        Deshalb leiden Betroffene an Anämie             auch bei Kindern, Jugendlichen
dass eine „kranke“ Stammzelle zwischen     und/oder Leukozytopenie und/oder                oder jungen Erwachsenen auftre-
ihren Zellteilungen keine langen Pausen    Thrombozytopenie.                               ten.

                                                                                                                          13
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Wenn die kranken Vorläuferzellen sehr        vo-MDS“. Dies ist meistens der Fall.         deuten jedoch darauf hin, dass es gewis-
unreif bleiben, werden sie als „Blasten“                                                  se genetische Veranlagungen gibt, die
bezeichnet. Blasten werden normaler-         Deutlich seltener (ca. 10 Prozent der Fäl-   das Risiko erhöhen, in höherem Lebens-
weise im Knochenmark zurückgehalten.         le in Deutschland) wird die Erkrankung       alter an MDS zu erkranken.
Wenn sie sich dort stark vermehren, kön-     als „sekundäre MDS“, also als eine Folge-
nen sie aber auch in die Blutbahn über-      erkrankung eingeordnet.² Bei den Betrof-     Nachdem MDS diagnostiziert worden
treten. Falls der Anteil der Blasten im      fenen sind die genetischen Veränderun-       sind, kann sich der weitere Krankheits-
Knochenmark 20 % übersteigt, wird die        gen in den Blutstammzellen wahrschein-       verlauf sehr unterschiedlich gestalten.
Erkrankung als Leukämie bezeichnet.          lich nicht zufällig aufgetreten, sondern     Dies ist zum Teil dadurch zu erklären,
                                             durch äußere Einwirkung, wie etwa eine       dass die kranken MDS-Stammzellen im
Wenn die kranken Vorläuferzellen im          vorangegangene Strahlen- oder Chemo-         Knochenmark weitere genetische Defek-
Knochenmark über das Blastenstadium          therapie, verursacht worden. In solchen      te (Mutationen und Chromosomenano-
hinausreifen, lassen sie bei der mikrosko-   Fällen spricht man auch von therapie-        malien) erleiden können. Von Zahl und
pischen Betrachtung einige charakteris-      assoziierten MDS (t-MDS).                    Art dieser Veränderungen hängt es ab,
tische Veränderungen ihres Erschei-                                                       wie die Erkrankung sich weiterentwickelt.
nungsbildes erkennen. Diese patholo-         Bei den primären MDS-Erkrankungen ist,       Bei einigen Erkrankten entsteht aus MDS
gischen Veränderungen werden als „Dys-       wie bereits erwähnt, keine klare Ursache     schließlich eine Akute Myeloische Leukä-
plasien“ bezeichnet. Daher rührt auch        erkennbar. Hier liegen wahrscheinlich        mie (AML).
der Name „Myelo-dysplastische“ Syndro-       ähnliche Mechanismen wie bei der Ent-
me, wobei der erste Teil des Namens sich     stehung anderer Tumorerkrankungen
auf die Zelllinie der betroffenen Zellen     vor. Ein wichtiger Entstehungsmechanis-      Symptome – gibt es „typische“
bezieht (siehe Abb. 2).                      mus ergibt sich daraus, dass vor jeder       Anzeichen für MDS?
                                             Zellteilung eine Verdoppelung des gene-
Ein Teil der kranken Vorläuferzellen reift   tischen Materials (DNA im Zellkern) er-      Anämie
so weit aus, dass sie aus dem Knochen-       forderlich ist. Diese DNA-Replikation ver-   Häufig macht sich als erste spürbare
mark in die Blutbahn entlassen werden.       läuft niemals fehlerfrei. Je älter ein       Auswirkung von MDS eine Anämie (Blut-
Auch dort kann man dann dysplastische        Mensch wird, desto häufiger mussten          armut) bemerkbar. Betroffene fühlen
Veränderungen erkennen. Außerdem ist         sich seine Stammzellen im Knochenmark        sich ständig müde und schlapp. Ursache
zu beachten, dass die kranken Knochen-       teilen, um den Nachschub an Blutzellen       hierfür ist, dass bei einer Anämie zu we-
mark- bzw. Blutzellen nicht nur Dyspla-      sicherzustellen. Mit zunehmendem Alter       nig gesunde, Sauerstoff transportieren-
sien, sondern auch Funktionsstörungen        häufen sich daher zwangsläufig geneti-       de rote Blutkörperchen (Erythrozyten)
aufweisen.                                   sche Fehler (Mutationen) in den Stamm-       vorhanden sind.
                                             zellen an. Manchmal können solche Feh-
                                             ler dann zu MDS führen.                      Infekte
Ursachen – wie entstehen MDS?                                                             Wenn zu wenig weiße Blutkörperchen
                                             Myelodysplastische Syndrome werden           (Leukozyten) produziert werden, kann
Wenn die genetischen Schäden, die zu         nicht vererbt und sind auch nicht von        dies zu Infektanfälligkeit führen. Neben
MDS geführt haben, ohne ersichtlichen        Mensch zu Mensch übertragbar. Es be-         einer verminderten Zahl (Leukozytope-
Grund aufgetreten sind, sprechen Fach-       steht also keine Ansteckungsgefahr. For-     nie) kann auch eine gestörte Funktion
leute von „primären MDS“ oder „De-no-        schungsergebnisse der letzten Jahre          der Leukozyten Probleme bereiten.

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DIE MYELODYSPLASTISCHEN SYNDROME · 3

Blutungen                                    nie vorliegen und wie ausgeprägt diese
Durch einen starken Mangel an Blut-          Veränderungen sind.
plättchen kommt es leichter zu Blutun-       Zusätzlich gibt das sogenannte Differen-
gen. Selbst kleine Stöße führen dann zu      zialblutbild Aufschluss darüber, wie hoch
blauen Flecken (Hämatomen). Außer-           der Anteil verschiedener Arten von Leu-
dem bemerken die Betroffenen mögli-          kozyten im Blut ist und ob sich dort auch
cherweise verstärktes Zahnfleischbluten      sehr unreife Leukozyten (Blasten) finden.
oder gehäuftes Nasenbluten. Ein weite-       Kleines Blutbild plus ergänzendes Diffe-
res Zeichen für eine erhöhte Blutungs-       renzialblutbild kann man zusammen
neigung sind kleine Einblutungen in die      auch als „großes Blutbild“ bezeichnen.
Haut in Form von punktförmigen roten
Flecken (Petechien).                         Wie geht es weiter?
                                             Die Knochenmarkpunktion
                                             Wenn nach dem großen Blutbild der Ver-
Diagnose – wie werden MDS                    dacht auf MDS weiterhin im Raum steht,
festgestellt?                                wird als nächster diagnostischer Schritt
                                             in der Regel eine Knochenmarkpunktion
Die genannten Symptome sind nicht            vorgeschlagen. Diese ist erforderlich,
spezifisch für eine MDS-Erkrankung, son-     weil sich im Blutbild zwar ein Mangel an
dern können auch mit anderen Ursachen        Blutzellen und zum Teil auch gewisse
zusammenhängen. Bei Verdacht auf             Formveränderungen der Blutzellen er-
MDS werden daher immer mehrere Un-           kennen lassen, aber nicht die typischen
tersuchungen veranlasst, um die Ver-         dysplastischen Veränderungen der Vor-
dachtsdiagnose zu sichern. Anschlie-         läuferzellen zu sehen sind, die bei der
ßend werden im ärztlichen Gespräch die       Beurteilung eines Knochenmark-Aus-
Ergebnisse besprochen und die nächsten       strichpräparats die Diagnose von MDS
Schritte festgelegt. Die Diagnose von        erlauben.
MDS sollte an einem hämatologischen
Zentrum gestellt werden. Dort arbeiten       Die Befunde der Knochenmarkpunktion
Fachleute, die sich mit Erkrankungen des     sind wichtig, um den Typ der MDS-Er-
Blutes besonders gut auskennen. Auch         krankung korrekt festzulegen, was wie-
die Behandlungsmöglichkeiten sollten in      derum Auswirkungen auf die Einschät-
einer hämatologischen Fachpraxis be-         zung der Prognose und die Wahl einer
sprochen werden.                             geeigneten Therapie hat.

Das Blutbild – ein wichtiger Schritt zur     Die Knochenmarkpunktion ist ein kurzer
Diagnose von MDS                             ambulanter Eingriff, der sich unter ört-
Zunächst wird anhand des „kleinen Blut-      licher Betäubung durchführen lässt. Es
bildes“ festgestellt, ob eine Anämie, Leu-   ist aber auch möglich, zusätzlich eine
kozytopenie und/oder Thrombozytope-          starke Sedierung durchzuführen (keine

                                                                                    15
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Vollnarkose), ähnlich wie bei einer Ma-                                               machen. Außerdem wird in den Aus-
gen- oder Darmspiegelung. Nach der lo-                                                strichpräparaten der Anteil der unreifen
kalen Betäubung wird mit einer speziell                                               myeloischen Blasten bestimmt.
konstruierten, stabilen Nadel der große
Beckenknochen punktiert (genauer: der                                                 Der Blastenanteil lässt sich nicht nur un-
sogenannte Beckenkamm). Wenn dort                                                     ter dem Mikroskop ermitteln, sondern
die Markhöhle des Knochens erreicht ist,                                              kann nach immunologischer Markierung
wird mit einer Spritze eine kleine Menge                                              der Knochenmarkzellen auch mit einer
des flüssigen Knochenmarks angesaugt                                                  maschinellen Methode gemessen wer-
(aspiriert). Dieses flüssige Aspirat dient                                            den, der sogenannten Durchflusszyto-
unter anderem dazu, Ausstrichpräparate         WHO-Klassifikation der MDS             metrie.
herzustellen, die speziell gefärbt und un-
ter dem Mikroskop betrachtet werden           Die Weltgesundheitsorganisation         Das Material aus dem Aspirat wird darü-
können.                                       unterscheidet aktuell 8 verschie-       ber hinaus für die Zytogenetik (Chromo-
                                              dene MDS-Subtypen.³ Diese               somenanalyse) und den Nachweis von
Außerdem kann bei der Knochenmark-            WHO-Klassifikation der MDS              molekulargenetischen Veränderungen
punktion ein sogenannter Stanzzylinder        (2016) ist unter anderem auf der        (Mutationen) genutzt.
gewonnen werden, also ein längliches          Website mds-register.de zu fin-
zusammenhängendes Stück des                   den:                                    Der zusätzlich zum Aspirat gewonnene
schwammartigen Knochengewebes, das                                                    Stanzzylinder ermöglicht es, die räum-
für weitergehende histopathologische                                                  liche Verteilung der verschiedenen Kno-
Untersuchungen genutzt wird.                                                          chenmarkzellen in einem zusammen-
                                                                                      hängenden Gewebsareal zu beurteilen
Welche Informationen gibt die Kno-                                                    und zu überprüfen, ob neben den Dys-
chenmarkprobe?                                                                        plasien auch noch eine faserige Vernar-
Anhand der entnommenen Knochen-                                                       bung (Fibrose) des Knochenmarks vor-
markproben (Aspirat und Stanzbiopsie)                                                 liegt.
lassen sich alle relevanten Informatio-
nen gewinnen, die für die Diagnose von                                                Wenn die Ergebnisse der oben genann-
                                             WWW.MDS-REGISTER.DE/WHO-KLASSIFIKATION
MDS und die Abgrenzung von anderen                                                    ten Untersuchungen des Knochenmarks
Knochenmarkerkrankungen erforderlich                                                  vorliegen, kann die Verdachtsdiagnose
sind.                                                                                 MDS bestätigt und der vorliegende MDS-
                                                                                      Typ näher bezeichnet werden.
In den Ausstrichpräparaten sind die cha-
rakteristischen Dysplasiezeichen der                                                  Komplex, aber notwendig:
blutbildenden Vorläuferzellen zu erken-                                               Einteilung von MDS
nen. Hierzu werden verschiedene Fär-                                                  In der Vergangenheit haben Expert:in-
bungen durchgeführt, beispielsweise                                                   nen die Einteilung der MDS-Erkrankung
eine Eisenfärbung, die dazu dient, soge-                                              in verschiedene (Sub-)Typen mehrmals
nannte Ringsideroblasten sichtbar zu                                                  aktualisiert und verfeinert. Nicht nur auf

16
DIE MYELODYSPLASTISCHEN SYNDROME · 3

                                       Abb. 4: Die Knochenmarkpunktion

 Information

Bei der Knochenmarkpunktion wird
mittels einer speziell konstruierten
Nadel (z. B. Jamshidi-Nadel) und ei-
ner Spritze etwas Knochenmarkflüs-
sigkeit aus dem Beckenkamm ent-
nommen (Aspirat). Außerdem kann
eine Biopsie in Form eines Stanzzy-
linders gewonnen werden.

                                                                                                           17
3 · DIE MYELODYSPLASTISCHEN SYNDROME

den ersten Blick erscheinen diese Eintei-   mark alle von einer entarteten Knochen-      Hoffnung, mal übermannt von Verzweif-
lungen sehr komplex. Wenn Sie weiter-       mark-Stammzelle abstammen und somit          lung – all dies gehört zum Verarbeitungs-
führende Informationen zur Klassifika-      alle zu einem abnormen Klon gehören,         prozess.
tion der MDS-Erkrankungen und zu den        der sich den normalen Regelkreisen ent-
einzelnen Typen wünschen, können Sie        zieht und einen abnormen Wachstums-          Sie sind nicht allein
sich an Ihre hämatologische Fachpraxis      vorteil aufweist. Damit sind bereits wich-   Bei der sorgenvollen Auseinanderset-
oder an eine geeignete Organisation für     tige Kriterien für eine Tumorerkrankung      zung mit der eigenen Erkrankung gera-
Patient:innen wenden (Kontaktadressen       erfüllt. Außerdem sind die klonalen Zel-     ten Angehörige und Kinder gelegentlich
finden sich auf den letzten Seiten der      len genetisch instabil und können neue       aus dem Blickfeld. Heute weiß man aber,
Broschüre).                                 Mutationen anhäufen, die eine klonale        dass sie, was die seelische Belastung an-
                                            Evolution in Richtung einer Akuten Mye-      geht, in ähnlicher Weise betroffen sein
Das Wissen um den genauen Typ einer         loischen Leukämie antreiben. Bei Pati-       können. Verständnis und Vertrauen bil-
MDS-Erkrankung ist nicht nur von akade-     ent:innen mit Niedrigrisiko-MDS beste-       den daher für Betroffene sowie deren
mischem Interesse, sondern hat Konse-       hen jedoch gute Chancen, dass sich           Angehörige/Freund:innen eine wesent-
quenzen sowohl für die Prognoseab-          auch nach vielen Jahren keine Leukämie       liche Hilfe beim Umgang mit der Erkran-
schätzung als auch für die Auswahl der      entwickelt.                                  kung. Organisationen für MDS-Erkrankte
Behandlung.                                                                              sowie MDS-Gruppen in den sozialen Me-
                                            MDS – wie geht es weiter?                    dien können ebenfalls hilfreiche Unter-
Die wichtigsten Befunde, die für die Pro-   Mit der Diagnose einer Krebserkrankung       stützung bieten, auch für Angehörige.
gnoseabschätzung herangezogen wer-          ändert sich die Perspektive auf das eige-
den, betreffen das Ausmaß der Anämie,       ne Leben von einem Tag auf den ande-         Perspektive
Leukozytopenie und Thrombozytopenie,        ren. Die völlig unerwartete neue Situa-      Die zunehmende Kenntnis der molekula-
den Blastenanteil im Knochenmark so-        tion bleibt meistens dauerhaft bestehen.     ren Krankheitsmechanismen von MDS
wie das Ergebnis der Chromosomen-           Die Diagnose MDS und die damit einher-       bietet die Chance für verbesserte Be-
analyse (Zytogenetik).                      gehenden Veränderungen sind für die          handlungsmöglichkeiten. Derzeit werden
                                            Betroffenen eine große körperliche und       in klinischen Studien mehrere vielver-
Aktuell wird daran gearbeitet, die Ergeb-   seelische Belastung, die alle auf ihre in-   sprechende neue Substanzen geprüft,
nisse von Mutationsanalysen ebenfalls       dividuelle Art bewältigen müssen.            vor allem für Menschen mit Hochrisiko-
für die Beurteilung der Prognose nutzen                                                  MDS. Auch die Methoden der Überwa-
zu können.                                  Myelodysplastische Syndrome entste-          chung des individuellen Therapieerfolgs
                                            hen meist durch spontane genetische          haben sich in den vergangenen Jahren
                                            Veränderungen der Blutstammzellen.           verfeinert, so dass die Behandlung bes-
Wichtige Fragen!                            Dies kann vor allem im höheren Lebens-       ser gesteuert werden kann. Vor diesem
                                            alter prinzipiell jederzeit passieren. Es    Hintergrund stellt die Diagnose von MDS
MDS – eine Krebserkrankung?                 handelt sich um einen unheilvollen Zu-       zwar immer noch einen tiefen Einschnitt
Diese Frage ist nicht leicht zu beantwor-   fall. Nach der Erstdiagnose grübeln je-      dar, muss aber kein Grund mehr für Ver-
ten, da verschiedene MDS-Typen einen        doch viele Patient:innen, warum ausge-       zweiflung oder Hoffnungslosigkeit sein.
sehr unterschiedlichen Krankheitsverlauf    rechnet sie betroffen sind. Alles zu
nehmen können. Es ist jedoch so, dass       durchdenken, die Gedanken kreisen zu
die kranken Zellen im MDS-Knochen-          lassen, mal erfüllt zu sein von neuer

18
DIE MYELODYSPLASTISCHEN SYNDROME · 3

 mds-hämatologie.info

Hier finden Betroffene
und Angehörige Hilfe und
Unterstützung im Netz

Das hämatologie.info-Portal richtet sich
an Patient:innen sowie deren Angehöri-
ge, die sich über die MDS-Erkrankung
und deren Hintergründe intensiver infor-
mieren möchten.

Verständlich gestaltete Informationen,
einschließlich Videos und Animationen,
erklären Ihnen Grundlagen, Ursachen
und aktuelle Therapien bis hin zu Hilfe-
stellungen im täglichen Leben.

Damit können Sie sich ein Grundver-
ständnis aneignen, welches Ihnen Orien-
tierung und Halt im Umgang mit einer
so schwerwiegenden Erkrankung geben
kann.

Hier finden Sie auch Adressen von
Selbsthilfegruppen, psychoonkologi-
schen Einrichtungen sowie von unabhän-
gigen Beratungen für Patient:innen.

        WWW.MDS-HAEMATOLOGIE.INFO

                                                                             19
4 · BEHANDLUNG VON MDS

20
BEHANDLUNG VON MDS · 4

Behandlung von MDS
Da Myelodysplastische Syndrome sich in Ausprägung und Verlauf stark unterscheiden,
wird die Behandlung entsprechend individuell geplant. Ob zunächst ein abwartendes
Verhalten zu bevorzugen ist und ab wann ein Therapieversuch sinnvoll erscheint, wird
Ihre Ärztin bzw. Ihr Arzt gemeinsam mit Ihnen entscheiden. In die Therapieplanung
fließen nicht nur die WHO-Klassifikation der MDS und die individuelle Prognose ein.
Auch Lebensalter, körperlicher Allgemeinzustand, andere Erkrankungen, mögliche The-
rapienebenwirkungen und natürlich der Wunsch der Patient:innen werden erwogen.⁴

                                            kann.² Deshalb geht es bei der Behand-
Man unterscheidet zwischen                  lung auch darum, das schnelle Fort-        Komplementäre Therapien als
Niedrigrisiko-MDS und Hoch-                 schreiten von MDS und den Übergang in      Ergänzung
risiko-MDS                                  eine AML zu verhindern und somit die
                                            Lebenszeit der Betroffenen zu verlän-      Sogenannte „komplementäre Thera-
Anhand der individuellen Ausprägung         gern.                                      pien“ sind alternative und naturheilkund-
der Krankheit unterscheidet man zwi-                                                   liche Verfahren. Sie können eingesetzt
schen Niedrigrisiko-MDS und Hochrisiko-                                                werden, um die Symptome von MDS und
MDS.² Niedrigrisiko-MDS schreiten ver-      Therapien können auch Neben-               die Nebenwirkungen anderer Therapien
gleichsweise langsam voran und beein-       wirkungen haben                            abzumildern. Die Wirkung ist jedoch in
trächtigen die Patient:innen hauptsäch-                                                den allermeisten Fällen nicht durch wis-
lich durch eine Anämie. Die Behandlung      Ob und welche Nebenwirkungen eintre-       senschaftliche Studien belegt. Trotzdem
zielt daher darauf ab, Anämie-Sympto-       ten, hängt vor allem von den verabreich-   kann es sein, dass Betroffene das Gefühl
me zu lindern, die Lebensqualität zu ver-   ten Wirkstoffen und ihrer Dosierung ab.    haben, dass ihnen ein bestimmtes natur-
bessern und die Leistungsfähigkeit und      Außerdem reagieren nicht alle Men-         heilkundliches Verfahren guttut. Spre-
Unabhängigkeit der Betroffenen zu be-       schen gleich auf das gleiche Arzneimit-    chen Sie mit Ihrer Ärztin bzw. Ihrem Arzt
wahren. Bei Hochrisiko-MDS steht neben      tel. Einige Nebenwirkungen, wie bei-       darüber, welche Einflüsse bestimmte
Anämie, Leukozytopenie und/oder             spielsweise Übelkeit, lassen sich heute    Verfahren auf Ihre MDS-Therapie haben
Thrombozytopenie noch das Problem im        mithilfe zusätzlicher Medikamente gut      könnten.
Vordergrund, dass es früher oder später     unterdrücken. Sprechen Sie vor der The-
zu einer lebensbedrohlichen Akuten My-      rapie mit Ihrem Arzt bzw. Ihrer Ärztin
eloischen Leukämie (AML) kommen             über die möglichen Risiken.

                                                                                                                             21
5 · WELCHE THERAPIEFORMEN GIBT ES?

              Therapien bei MDS im Überblick

              Watch and Wait                             Immunmodulatoren
              Bei langsam voranschreitenden MDS mit      Bei bestimmten MDS-Arten können
              niedrigem Risiko reicht das Beobachten     Substanzen eingesetzt werden, die über
              ohne Therapie. Eine Therapie wird erst     die Regulierung des Immunsystems posi-
              eingeleitet, wenn sich die Beschwerden     tiv auf die Blutbildung wirken.
              verschlimmern und die Krankheit weiter
              voranschreitet.

              Unterstützende Therapie                    Stammzelltransplantation
              Um die Symptome und Beschwerden            Sie ist zurzeit die einzige Behandlungs-
              von MDS unter Kontrolle zu halten, gibt    option, die eine vollständige Heilung her-
              es verschiedene Therapieoptionen, wie      beiführen kann. Zuerst werden alle blut-
              zum Beispiel Bluttransfusionen mit         bildenden Zellen mit einer Hochdosis-
              hochdosierten roten Blutkörperchen zum     Chemotherapie zerstört, dann werden
              Ausgleich der Blutarmut.                   gespendete, gesunde Blutstammzellen
                                                         transplantiert.

              Erythropoese-stimulierende Agenzien        Hypomethylierende Agenzien (HMA)
              (ESA)                                      Kommt bei Hochrisiko-Patient:innen eine
 A

              Diese Medikamente regen die Bildung        intensive Chemotherapie nicht infrage,
ES

              roter Blutkörperchen an. Dadurch kön-      können HMA die Blutbildung verbessern.
              nen weniger Transfusionen notwendig        Sie verhindern erbgutverändernde Pro-
              sein. Sie werden „subkutan“, also als      zesse, indem sie die Anlagerung von so-
              Spritze unter die Haut verabreicht.        genannten „Methylgruppen“ an die DNA
                                                         verhindern.

              Erythrozyten-Reifungs-Aktivator (ERA)      Therapiestudien
              Der ERA fördert über andere Wirkme-        In Therapiestudien wird die Wirksamkeit
              chanismen als ESA die Bildung reifer ro-   neuer potenzieller Medikamente unter-
  A
ER

              ter Blutkörperchen und senkt den Trans-    sucht. Ihre fachärztliche Praxis wird Ih-
              fusionsbedarf bis zur Transfusionsfrei-    nen sagen, ob Sie für eine Teilnahme ge-
              heit. Er wird ebenfalls subkutan verab-    eignet sind.
              reicht.

22
WELCHE THERAPIEFORMEN GIBT ES? · 5

Welche Therapieformen gibt es?
An der Behandlung von MDS wird intensiv geforscht, um weitere Fortschritte für
Patient:innen zu erzielen. Das geschieht in sogenannten Therapiestudien, das sind
medizinische Forschungsprogramme, in denen neue Medikamente, Kombinationen
von Medikamenten oder neuartige Therapiemaßnahmen an Erkrankten untersucht
werden. Im Folgenden haben wir für Sie die wesentlichen Merkmale und Anwen-
dungsbereiche der Therapieoptionen zusammengestellt, die aktuell zur Verfügung
stehen.

                                                                                      Bluttransfusionen mit einer hohen Kon-
Watch and Wait                            Unterstützende Therapie                     zentration an roten Blutkörperchen, wirk-
                                                                                      sam bekämpfen. Durch die Transfusio-
Manchmal ist es am besten, nichts zu      In vielen Fällen lassen sich Symptome       nen wird dem Körper aber auch das im
tun. Der englische Begriff „Watch and     und Beschwerden von MDS durch eine          roten Blutfarbstoff (Hämoglobin) der
Wait“ steht genau für diesen medizini-    unterstützende Behandlung, in der Fach-     Erythrozyten enthaltene Eisen in großer
schen Ansatz: beobachten und abwar-       sprache auch supportive Therapie ge-        Menge zugeführt. Da der Körper keine
ten. Dabei wird der Krankheitsverlauf     nannt, recht gut beherrschen.               Möglichkeit hat, überschüssiges Eisen
durch regelmäßige Kontrolluntersuchun-                                                auszuscheiden, ist die chronische Trans-
gen genau im Blick behalten. Noch nicht   Transfusionen sind fast immer hilf-         fusionsbehandlung mit der Gefahr einer
notwendige Therapiemaßnahmen, die         reich, es gibt aber Nebenwirkungen          Eisenüberladung verbunden.⁵
möglicherweise Nebenwirkungen verur-      Wenn die Blutarmut sich bei MDS im All-
sachen können, werden zunächst nicht      tag bemerkbar macht, wird sie sympto-       Eisenüberladung kann durch Medika-
eingeleitet. Dieses Vorgehen ist dann     matische Anämie genannt. Sie ist das        mente abgebaut werden
sinnvoll, wenn die MDS-Erkrankung noch    häufigste Symptom und kann eine Reihe       Bei dauerhaft erhöhter Zufuhr von Eisen
keine oder nur geringe Beschwerden ver-   von Beschwerden und Problemen hervor-       durch Erythrozytenkonzentrate kann das
ursacht und nur sehr langsam voran-       rufen. Diese lassen sich mit der Transfu-   Eisen nicht mehr ausreichend an be-
schreitet.                                sion von Erythrozytenkonzentraten, d. h.    stimmte Transport- und Speicherprotei-

                                                                                                                            23
5 · WELCHE THERAPIEFORMEN GIBT ES?

ne gebunden werden und liegt daher           Mithilfe von Medikamenten kann man          ten) im Knochenmark. Dort reifen Blut-
vermehrt als „freies Eisen“ vor. Es lagert   versuchen, die Anämie zu bessern            stammzellen normalerweise über
sich in verschiedenen Organen ab, ver-       Es gibt verschiedene Wachstumsfakto-        mehrere Zwischenstufen (verschiedene
ursacht dort oxidativen Stress und kann      ren, mit denen sich die Blutbildung an-     Vorläuferzellen) zu funktionstüchtigen
so die Struktur und Funktion der Organe      regen lässt. Mit Erythropoetin (EPO) wird   Erythrozyten heran. Dieser Prozess, der
langfristig schädigen. Bei älteren Men-      die Produktion von Erythrozyten stimu-      Erythropoese genannt wird, unterliegt
schen mit MDS scheint besonders der          liert, mit G-CSF die Bildung von Granulo-   der Regulation durch verschiedene Fak-
Herzmuskel empfindlich auf Eisenüber-        zyten und mit Thrombopoetin (TPO) die       toren, beispielsweise das erythropoeti-
ladung zu reagieren, was wahrscheinlich      Bildung von Thrombozyten. Für die Be-       sche Wachstumshormon Erythropoetin
durch altersbedingte Herzprobleme mit-       handlung der Anämie ist bei MDS ein         sowie bestimmte Proteine, die zur Fami-
bedingt ist. Überschüssiges Eisen kann       Erythropoetin-Präparat zugelassen, das      lie der TGF-Beta-Liganden gehören. Bei
durch bestimmte Medikamente, soge-           unter die Haut (subkutan) gespritzt wird.   Patient:innen mit MDS kann die körper-
nannte Eisenchelatoren, neutralisiert                                                    eigene Produktion dieser Faktoren aus
und aus dem Körper entfernt werden.          Das Ziel der Therapie: weniger Trans-       dem Gleichgewicht geraten (z. B. durch
Diese Substanzen binden das Eisen im         fusionen                                    unzureichende Ausschüttung von Ery-
Körper und bewirken, dass es über die        Das Ziel einer solchen Therapie ist klar:   thropoetin oder zu große Mengen an
Leber in die Galle (und somit in den         Im Knochenmark sollen vermehrt Blut-        TGF-Beta-Liganden). In manchen Fällen
Darm) oder über die Niere in den Harn        zellen gebildet werden, so dass weniger     lässt sich das Gleichgewicht durch Gabe
ausgeschieden wird. Indem sie das            Transfusionen nötig sind. Im Idealfall      eines Erythropoese-stimulierenden
transfundierte Eisen zumindest teilweise     können mithilfe von Erythropoese-stimu-     Agens (Erythropoetin) wiederherstellen.
wieder aus dem Körper entfernen und          lierenden Agenzien Transfusionen sogar
außerdem den schädlichen oxidativen          vollständig vermieden werden. Für die       Meistens stößt diese Therapie aber frü-
Stress mindern, den das freie Eisen im       Betroffenen ist das oft eine große Er-      her oder später an ihre Grenzen. Für be-
Körper verursacht, tragen Eisenchelato-      leichterung und ein Zugewinn von Frei-      stimmte Patient:innen, die auf Erythro-
ren dazu bei, die Behandlung mit Eryth-      heit im Alltag! Ein weiterer Vorteil der    poetin nicht zufriedenstellend ange-
rozytenkonzentraten möglichst sicher zu      Behandlung mit EPO ist die Tatsache,        sprochen haben oder für eine solche Be-
gestalten.⁶                                  dass wegen der subkutanen Verabrei-         handlung nicht geeignet sind, kann die
                                             chung keine intravenösen Infusionen er-     Behandlung mit einem Erythrozyten-Rei-
                                             forderlich sind.⁵                           fungs-Aktivator (ERA) eine alternative
                                                                                         Therapieoption darstellen. Der ERA hat
 A
ES

                                                                                         das Potenzial, durch einen ESA-unab-
                                                                                         hängigen Wirkmechanismus die späten
                                              A

Erythropoese-stimulierende
                                             ER

                                                                                         Zellteilungen in der Erythropoese effekti-
Agenzien (ESA)⁵                                                                          ver zu machen, so dass wieder mehr
                                             Erythrozyten-Reifungs-Aktivator             funktionstüchtige rote Blutkörperchen
Einer Blutarmut lässt sich auch mithilfe     (ERA)                                       gebildet werden. Das Medikament, das
von Agenzien entgegenwirken, die die                                                     ebenfalls subkutan verabreicht wird, ist
Bildung von roten Blutzellen (Erythropo-     Die chronische Anämie bei Patient:innen     in Deutschland seit 2020 für die Be-
ese) im Knochenmark anregen.                 mit MDS ist Folge einer gestörten Pro-      handlung von Menschen mit einem be-
                                             duktion roter Blutkörperchen (Erythrozy-    stimmten MDS-Subtyp zugelassen (Be-

24
WELCHE THERAPIEFORMEN GIBT ES? · 5

troffene mit Niedrigrisiko-MDS und          Therapiemaßnahme mit schwerwiegen-          logen Transplantation werden Stamm-
einem bestimmten Dysplasiezeichen           den Risiken verbunden. Sie kommt des-       zellen der betroffenen Person selbst ge-
[Ringsideroblasten] oder einer bestimm-     wegen vor allem bei eher jüngeren, kör-     wonnen, zwischengelagert und später
ten genetischen Veränderung [SF3B1-         perlich stabilen Patient:innen mit          nach einer Hochdosis-Chemotherapie
Mutation]).                                 Hochrisiko-MDS infrage.                     zurückgegeben, um das Knochenmark
                                                                                        wieder aufzubauen.
                                            Der erste Schritt: eine Hochdosis-Che-
                                            motherapie                                  Bei einer allogenen Transplantation
                                            Am Anfang einer Stammzelltransplanta-       kommen für die Spende sowohl ver-
                                            tion steht eine sogenannte Hochdosis-       wandte als auch nichtverwandte Perso-
Immunmodulatoren⁵                           Chemotherapie, also eine sehr intensive     nen infrage. Wichtig ist, dass die Gewe-
                                            Chemotherapie, die manchmal auch            bemerkmale (HLA-System) von
Immunmodulatoren sind Substanzen,           noch mit einer Ganzkörperbestrahlung        Spender:in und Empfänger:in sich so
die sich regulierend auf das Immunsys-      kombiniert wird. Sie soll bereits mög-      ähnlich sind wie möglich. Sind die Gewe-
tem und das Mikromilieu im Knochen-         lichst viele abnorme Zellen im kranken      bemerkmale bei beiden zu unterschied-
mark auswirken und dadurch die Wachs-       Knochenmark zerstören. Außerdem soll        lich, besteht die Gefahr, dass das Trans-
tumsbedingungen für heranreifende           auch das Immunsystem so weit unter-         plantat abgestoßen wird oder die neu
Blutzellen verbessern können. Diese kön-    drückt werden, dass es die neuen            entstehenden Immunzellen später sehr
nen bei Menschen mit Niedrigrisiko-MDS      Stammzellen, die anschließend trans-        aggressiv das Körpergewebe attackieren
und einem bestimmten erworbenen Gen-        plantiert werden (siehe unten), nicht ab-   (Graft-versus-Host-Reaktion, GvHD).
defekt, nämlich einer Deletion am Chro-     stößt. Deshalb spricht man bei dieser
mosom 5 (del5q), eingesetzt werden. Ob      Chemotherapie vor der eigentlichen          Wie die Transplantation abläuft
diese Bedingungen vorliegen, wird bei der   Stammzelltransplantation auch von ei-       Die Stammzelltransplantation findet im
Knochenmarkdiagnostik durch einen zy-       ner „Konditionierung“.⁵                     Rahmen eines stationären Krankenhaus-
togenetischen Test festgestellt.                                                        aufenthaltes statt. Die gespendeten
                                            Die Hochdosis-Chemotherapie ist nicht       Stammzellen werden den Empfänger:in-
                                            die einzige Komponente der allogenen        nen wie bei einer Bluttransfusion über
                                            Stammzelltransplantation, die gegen die     einen Venenzugang verabreicht. Es han-
                                            MDS-Erkrankung wirkt. Auch das neue         delt sich nicht um einen chirurgischen
                                            Immunsystem, das sich aus den gespen-       Eingriff, und es ist auch keine Narkose
Stammzelltransplantation                    deten Stammzellen entwickelt, beginnt       notwendig. Die transfundierten Blut-
                                            abnorme Zellen im Knochenmark aufzu-        stammzellen gelangen mit dem Blut-
Mit einer allogenen Stammzelltransplan-     spüren und zu eliminieren.                  strom in die Markhöhlen der Knochen
tation soll das kranke Blutbildungssys-                                                 und siedeln sich dort an. Bald beginnen
tem komplett beseitigt und durch ein        Was Spender:in und Empfänger:in ge-         sie, neue funktionstüchtige Blutzellen zu
neues, gesundes Blutbildungssystem er-      meinsam haben sollten                       bilden.
setzt werden. Die Stammzelltransplanta-     Wenn gesunde blutbildende Zellen im
tion stellt zurzeit die einzige Behand-     Rahmen einer Stammzellspende über-          Es dauert etwa drei Wochen, bis die Blut-
lungsoption dar, die bei MDS zu einer       tragen werden, spricht man von einer al-    werte sich einigermaßen erholt haben.
Heilung führen kann. Allerdings ist diese   logenen Transplantation. Bei einer auto-    Während dieser Zeit und auch danach

                                                                                                                               25
5 · WELCHE THERAPIEFORMEN GIBT ES?

müssen sogenannte Immunsuppressiva             lich Ihres Alters, Allgemeinzustands und    le Reifung und Entwicklung gesunder
eingenommen werden, die eine Absto-            eventueller Begleiterkrankungen Erfolg      Blutzellen wichtig sind und einer leukä-
ßungsreaktion verhindern sollen.⁶              versprechend ist.                           mischen Entartung entgegenwirken.
                                                                                           Es gibt Medikamente, mit denen man
Das Verfahren kann vollständige Hei-                                                       die verstärkte DNA-Methylierung zumin-
lung bringen, ist aber riskant                                                             dest teilweise rückgängig machen kann.
Wenn alles nach Plan läuft, dann zer-                                                      Sie werden als hypomethylierende Agen-
stört die Hochdosis-Chemotherapie die                                                      zien bezeichnet. Diese Substanzen äh-
meisten Krebszellen, das fremde Immun-         Hypomethylierende Agenzien                  neln den normalen DNA-Bausteinen,
system eliminiert mögliche Restbestän-         (HMA)⁵                                      den sogenannten Nukleosiden, und wer-
de und die gesunden transplantierten                                                       den deshalb in die DNA eingebaut. Ihr
Stammzellen bilden die Basis für ein           Die Behandlung mit HMA (engl. hypo-         Vorhandensein in der DNA führt dazu,
neues, gesundes Blutbildungssystem.            methylating agents) ist in Deutschland      dass die DNA-Methyltransferase zuneh-
Der Eingriff birgt jedoch Risiken. Falls die   nur für Erkrankte mit Hochrisiko-MDS zu-    mend blockiert wird. So wird verhindert,
transplantierten Zellen vom Körper nicht       gelassen. Insbesondere Menschen, denen      dass wichtige Gene durch Methylierung
angenommen werden, kann sich die               man aufgrund ihrer körperlichen Verfas-     „abgeschaltet“ werden. Durch HMA kön-
Blutbildung nicht wieder aufbauen, was         sung keine intensive Chemotherapie zu-      nen auch abgeschaltete Gene wieder ak-
lebensbedrohlich ist.                          muten kann und die auch nicht für eine      tiviert werden, womit wiederum die ge-
                                               allogene Stammzelltransplantation ge-       sunde Blutbildung (Hämatopoese)
Wie bereits erwähnt, kann es auch pas-         eignet sind, kommen für eine Behandlung     unterstützt werden kann.
sieren, dass das neue Immun- und Blut-         mit HMA infrage. HMA können MDS nicht
bildungssystem sich gut etabliert, die         heilen, aber das Leben verlängern. Man
fremden Immunzellen sich aber in einer         nimmt an, dass die Wirkung dieser Subs-
überschießenden Reaktion gegen die             tanzen auf verschiedenen Mechanismen
Körperzellen der Empfänger:innen wen-          beruht. Charakteristisch ist insbesondere
den (GvHD). Eine schwere GvHD kann             ihre epigenetische Wirkung, d. h. ihre      Therapiestudien
ebenfalls lebensbedrohlich sein. Deshalb       Wirkung auf die Aktivierung oder das
ist es wichtig, dass Sie in einem Trans-       Stummschalten von Genen.                    Neue medikamentöse Therapien, von
plantationszentrum behandelt werden,                                                       denen man sich bessere Behandlungs-
wo ein spezialisiertes Team darin geübt        Bei MDS und auch bei AML kann es aus        erfolge verspricht, werden unter streng
ist, solche Komplikationen zu verhindern       noch nicht bekannten Gründen zu einer       kontrollierten Bedingungen in klinischen
oder wirksam zu bekämpfen.                     abnorm verstärkten Anlagerung soge-         Studien sorgfältig erprobt. Häufig wer-
                                               nannter Methylgruppen an das Erbma-         den solche klinischen Studien an großen
Bevor jedoch eine allogene Stammzell-          terial (DNA) im Zellkern von heranreifen-   Therapiezentren wie Universitätskliniken
transplantation in Erwägung gezogen            den Blutzellen kommen. Die DNA-             angeboten.
wird, sollten Sie sich an einem Transplan-     Methylierung wird durch das Enzym
tationszentrum ausführlich beraten las-        DNA-Methyltransferase bewerkstelligt.       Ausführliche Informationen zu Vor- und
sen, welche Chancen und Risiken mit ei-        Durch die Anlagerung der Methylgrup-        Nachteilen neuer, experimenteller The-
ner „Allotransplantation“ verbunden            pen an die DNA werden Gene abge-            rapien sowie zu klinischen Studien bietet
sind und ob eine Transplantation bezüg-        schaltet, die zum Beispiel für die norma-   unter anderem die Internetseite des

26
WELCHE THERAPIEFORMEN GIBT ES? · 5

Krebsinformationsdienstes. Sollten Sie
sich für eine Therapiestudie interessie-
ren, fragen Sie im nächstgelegenen Uni-
versitätsklinikum nach oder sprechen Sie
mit Ihrer fachärztlichen Praxis darüber.
Dort kann man Ihnen Informationen zur
Verfügung stellen oder Sie an ein geeig-
netes Zentrum verweisen.⁷

 Wofür steht GvHD?

Die Abkürzung GvHD steht für die
sogenannte „Spender-gegen-Empfänger-
Reaktion“ (englisch: „Graft-versus-Host-
Disease“) und bezeichnet eine Abwehr-
reaktion von Zellen des sich neu bilden-
den Immunsystems gegen den eigenen
Körper.

                                                                          27
6 · CHECKLISTEN FÜR DAS ÄRZTLICHE GESPRÄCH

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CHECKLISTEN FÜR DAS ÄRZTLICHE GESPRÄCH · 6

Checklisten für das ärztliche Gespräch
Gut vorbereitet können Sie mehr Informationen aus dem ärztlichen Gespräch mit
nach Hause nehmen. Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin möchte Sie in dieser schwierigen Situ-
ation bestmöglich unterstützen. Scheuen Sie sich also nicht, Fragen zu stellen, wenn
Sie sich noch nicht ausreichend informiert fühlen. Die folgenden Checklisten sollen
Ihnen dabei helfen, den Überblick zu behalten.

Verstehen, was im eigenen Kör-               Machen Sie sich Notizen                         Grundsätzlich gilt:
per passiert                                 Gut vorbereitet nehmen Sie mehr Infor-
                                             mationen aus dem ärztlichen Gespräch        •     Versuchen Sie, die exakte Be-
Erkrankungen des Blutes sind sehr kom-       mit nach Hause. Auf den folgenden Sei-            zeichnung Ihrer MDS-Erkrankung
plexe Erkrankungen. Ein Stück weit zu        ten haben wir Ihnen Checklisten mit               in Erfahrung zu bringen, damit
verstehen, wie ihr Mechanismus funktio-      konkreten Fragen zur Diagnostik, zur              Sie sich gegebenenfalls an ande-
niert und warum sie welche Symptome          Therapieentscheidung und zu möglichen             rer Stelle noch passende zusätz-
und Beschwerden verursachen, ist in vie-     Nebenwirkungen zusammengestellt. Er-              liche Informationen zur Erkran-
lerlei Hinsicht wichtig. Es hilft etwa, um   gänzen Sie diese mit Ihren persönlichen           kung, zur Prognose und zu den
im ärztlichen Gespräch nicht den An-         Fragen und nutzen Sie sie, um sich die            Therapiemöglichkeiten verschaf-
schluss zu verlieren und bei wesentlichen    Antworten zu notieren.                            fen können.
Entscheidungen wie der Auswahl der                                                       •     Nehmen Sie wenn möglich eine
Therapie beteiligt zu sein.                                                                    nahestehende Person zum Ge-
                                                                                               spräch mit.
Diese Broschüre möchte Ihnen ein                                                         •     Fragen Sie nach Erfolgschancen
Grundverständnis der MDS vermitteln                                                            von Therapien und nach Neben-
und Sie über alles Wichtige informieren,                                                       wirkungen.
was für Sie damit zusammenhängt. Da-
mit soll bei Ihnen eine Basis an Wissen
geschaffen werden.

                                                                                                                                  29
6 · CHECKLISTEN FÜR DAS ÄRZTLICHE GESPRÄCH

                                             Diagnostik

                                             Die Diagnose einer hämatologisch-onko-
                                             logischen Erkrankung ist meistens ernst
                                             und daher ein Schock für die Betroffe-
                                             nen. Deshalb ist es oft kaum möglich, al-
                                             les zu behalten, was einem bei der Mit-
                                             teilung der Diagnose erklärt wird. Aus
                                             diesem Grund empfiehlt es sich, eine na-
                                             hestehende Person mitzubringen („vier
                                             Ohren hören mehr als zwei“). Außerdem
                                             sollte man sich auf das Gespräch vorbe-
                                             reiten. Überlegen Sie sich vorher, was Sie
                                             wissen wollen, und schreiben Sie es auf.
                                             Dabei kann folgende Checkliste helfen.

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CHECKLISTEN FÜR DAS ÄRZTLICHE GESPRÄCH · 6

 Checkliste

Fragen zur Diagnostik:

      Wie lautet der Name meiner Erkrankung? Was bedeutet der Name?

      Welche weiteren Untersuchungen sind notwendig, um den Typ des vorlie-
      genden Myelodysplastischen Syndroms genau zu bestimmen?

      Wird meine Erkrankung als Niedrigrisiko-MDS oder als Hochrisiko-MDS
      eingeordnet?

      Welche Blutzellen sind in meinem Fall betroffen? Wie groß ist der Mangel an
      Blutzellen? Werde ich demnächst Bluttransfusionen benötigen?

      Wie sieht der Krankheitsverlauf vermutlich in Zukunft aus? Was wird jetzt
      auf mich und mein persönliches Umfeld zukommen?

      Was muss ich als Nächstes tun?

                                                                                                                              31
6 · CHECKLISTEN FÜR DAS ÄRZTLICHE GESPRÄCH

                                             Therapieentscheidung

                                             Wie bereits erwähnt, kann es nach der
                                             Diagnosestellung richtig sein, zunächst
                                             einmal abzuwarten, zu beobachten und
                                             noch keine therapeutischen Bemühun-
                                             gen zu starten. Wenn eine Behandlung
                                             erforderlich wird, gibt es meistens Thera-
                                             pieempfehlungen, die man in entspre-
                                             chenden Leitlinien nachlesen kann.
                                             Manchmal existieren aber mehrere al-
                                             ternative Optionen und die Situation ist
                                             komplizierter als in den Leitlinien darge-
                                             stellt. Dann ist es wichtig, sich an einem
                                             Behandlungszentrum für MDS-Erkrankte
                                             von Ärzt:innen beraten zu lassen, die viel
                                             Erfahrung in der Betreuung von Men-
                                             schen mit MDS haben. Für die Vorberei-
                                             tung auf das ärztliche Gespräch ist es
                                             empfehlenswert, sich über folgende Fra-
                                             gen Gedanken zu machen und sie unter
                                             Umständen in das Gespräch hineinzu-
                                             tragen.

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