Die Normalisierung des Rechtspopulismus - von Ruth Wodak1 - spw

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spw 1 | 2020                                                                                                                      Schwerpunkt            41

Die Normalisierung des Rechtspopulismus
von Ruth Wodak

Graduelle Normalisierungsprozesse                                              für die „christliche Zivilisation“ Europas haben
                                                                               ein starkes Echo gefunden. Obwohl die Europä-
    Die Ergebnisse der Wahlen zum Europä-                                      ische Volkspartei (EVP) die rechtspopulistische
ischen Parlament im Mai 2019 haben in den                                      Partei Fidesz offiziell suspendiert hat, wurde
verschiedenen nationalen Regierungen der EU-                                   die Fidesz-Abgeordnete Lívia Járóka als eine
Mitgliedsstaaten sowie in den europäischen Or-                                 der 14 VizepräsidentInnen des Europäischen
ganisationen selbst große Besorgnis ausgelöst:                                 Parlaments wiedergewählt. Außerdem haben
Obwohl durch Meinungsumfragen vorherge-                                        Orbán und die Višegrad-Länder, wie aus den
sagt, war es letztlich dennoch überraschend,                                   langwierigen Verhandlungen hinter den Kulis-
dass die französische rechtsextreme Partei Ras-                                sen über die Nominierung der Präsidenten des
semblement National in Frankreich (mit knapp                                   Parlaments und der Europäischen Kommission
23,3 Prozent) und die Brexit-Partei in Großbri-                                durchgesickert ist, erfolgreich die Wahl des nie-
tannien (mit 30,52 Prozent) jeweils den ersten                                 derländischen Sozialdemokraten Frans Tim-
Platz belegten (siehe Mudde 2019, 27). In Ita-                                 mermans zum Kommissionspräsidenten ver-
lien konnte die Lega, die Partei des ehemaligen                                hindert. Timmermans hatte wiederholt Orbáns
italienischen Innenministers Matteo Salvini,                                   „illiberale“ und autoritäre Politik sowie seine
38 Prozent erreichen, indem sie vorrangig auf                                  antisemitischen Kampagnen gegen George So-
zwei Themen setzte, die sich beide auf die Aus-                                ros kritisiert. Wie der Politologe Jan-Werner
wirkungen der sogenannten „Flüchtlingskri-                                     Müller (2018, 118) korrekt zusammenfasst: Bis
se“ von 2015 bezogen: „Ein Europa, das seine                                   heute hat es in keinem Land Westeuropas oder
Bürger schützt“ und „Ein Europa, das unsere                                    Nordamerikas ein Rechtspopulist ohne Hilfe
Lebensweise bewahrt“. Gerade diese Themen                                      ins Amt geschafft. Dazu hat es stets konserva-
wurden in den EU-Mitgliedstaaten und in den                                    tive Kollaborateure aus dem Establishment ge-
Programmen von etablierten Parteien rekon-                                     braucht. Wo immer Konservative und Christ-
textualisiert, die vormals in der Mitte des poli-                              demokraten sich gegen die Unterstützung von
tischen Spektrums angesiedelt waren, jetzt aber                                Rechtspopulisten entscheiden, haben letztere
als national-konservativ gelten müssen (siehe                                  keinen Erfolg gehabt.
Rheindorf und Wodak 2019). Wie der Politik-
wissenschaftler Cas Mudde (ebd., 33) feststellt,                                  Natürlich waren – historisch gesehen – ge-
diskutieren konservative Mainstreamparteien                                    sellschaftspolitische und diskursive Verände-
nun offen über Einwanderung und Multikul-                                      rungen immer dialektisch miteinander verbun-
turalismus als Bedrohung der nationalen Iden-                                  den und voneinander abhängig. Und natürlich
tität und Sicherheit. So kann man legitimerwei-                                wurden neue Normen und Werte und ihre
se festhalten, dass die „politische Mitte“ nach                                diskursiven Verwirklichungen selten ohne
rechts gerückt ist.                                                            starke Interventionen, Skandalisierung und
                                                                               Krise akzeptiert; mit anderen Worten, was der
   Tatsächlich findet, wie in Wodak (2020)                                     Kulturtheoretiker Jürgen Link (2019, 153) als
ausgeführt, eine Orbánisierung Europas statt.                                  „Prozesse der Denormalisierung“ bezeichnet.
Mit anderen Worten: Die nativistischen Bot-                                    Es ist jedoch wichtig, zwischen top-down, in-
schaften des ungarischen Ministerpräsidenten                                   tentionalen Veränderungen, die durch massive
Viktor Orbán, seine wiederholten Warnungen                                     Macht und Strafandrohungen in totalitären/au-
vor einer angeblichen islamischen Bedrohung                                    toritären Regimen herbeigeführt wurden, und
                                                                               schrittweisen Veränderungen in liberal-demo-
                                                                               kratischen Ländern zu unterscheiden. Im ersten
	 Ruth Wodak ist Em. Distinguished Professor of Discourse Studies (Diskurs-
   forschung) an der Lancaster University (UK) und o. Univ.-Professorin i.R.
   für Angewandte Linguistik an der Universität Wien. 1996 erhielt sie den
   Wittgenstein Preis für Elite-WissenschaftlerInnen. Weitere Informationen    	 https://www.derstandard.at/story/2000097132905/orban-attackiert-tim-
   unter: http://www.lancaster.ac.uk/linguistics/about-us/people/ruth-wodak.      mermans-und-soros (abgerufen am 5.1.2020).
42   Schwerpunkt                                                                                 spw 1 | 2020

     Fall, wie ihn beispielsweise Victor Klemperer          Wenn also Antagonismen, d.h. Konflikte und
     (2015) für den Nationalsozialismus oder Gilles      gegensätzliche Interessen, nicht offen diskutiert
     Guilleron (2010) für den Stalinismus beschrie-      werden, eröffnen sich den Populisten „günstige
     ben haben, werden den jeweiligen Menschen           Gelegenheiten“. Populistische Parteien instru-
     und Öffentlichkeiten quasi neue, ideologisch        mentalisieren solche Chancen für ihre vielfäl-
     begründete Realitäten aufgezwungen. Im letzte-      tigen Interessen und Politiken – im Falle der
     ren Fall, um den es mir in diesem Beitrag geht,     Rechtsextremen durch die Betonung von nati-
     geschehen Veränderungen durch Machtkämpfe           vistischem Nationalismus und Rassismus.
     um Hegemonie, Schritt für Schritt und über die
     Zeit hinweg. Alle Veränderungen als „Norma-            Der Rechtsruck der konservativen, christ-
     lisierung“ zu bezeichnen, stellt daher – meiner     lich-demokratischen Parteien wird auch durch
     Meinung nach – eine inflationäre Verwendung         mehrere empirische, quantitative und qualita-
     dieses Konzepts dar.                                tive Studien über Tweets und Facebook-Pos-
                                                         tings sowie Wahlprogramme belegt –im Fall
        Dementsprechend führt Link (2018, 2019)          von Schwörer (2018) für eine Reihe von itali-
     anhand vieler Beispiele aus, dass solche Pro-       enischen Mainstream-, populistischen und
     zesse in Zeiten stattfinden, in denen die „nor-     rechtsextremen Parteien und im Fall von Ma-
     male Demokratie“ (Normaldemokratie) den             nucci und Weber (2017) für 39 Parteien aus der
     antagonistischen Gegensatz zwischen der tradi-      Schweiz, Österreich, Deutschland, Großbritan-
     tionellen Linken und Rechten nicht ausgleichen      nien und den Niederlanden. Zusammengefasst
     kann. Dieser hegemoniale Konsens sei, so Link,      kommen diese Studien zu dem Schluss, dass
     zum Beispiel durch die vielen Krisen seit 2007      –sobald rechtspopulistische Konkurrenten die
     gestört worden. Link (2019, 154) kommt zu           Bühne betreten –dies zu einer „Rechtspopuli-
     dem Schluss, dass der Aufstieg des linken und       sierung des rechten Flügels“ (Schwörer 2018,
     rechtsextremen Populismus nicht als „anormal“       19) führt. Dementsprechend verschärfen und
     zu betrachten ist; ganz im Gegenteil, er bringt     erweitern die konservativen Mainstream-Par-
     wichtige Forderungen und Notwendigkeiten            teien ihre Anti-Immigrationspolitik.
     zum Ausdruck, er fordert die „ alten Systeme“
     heraus, mit der „scheinbaren Normalisierung            In ähnlicher Weise erlaubt Krzyżanowskis
     der Prekarisierung, den kurzfristigen Verän-        (2020) detaillierte Analyse der Normalisierung
     derungen der Mindestlohnarbeitsplätze, die          des Rassismus in den Mittel- und Osteuropä-
     insbesondere ältere arbeitende Frauen nicht         ischen Ländern, insbesondere im öffentlichen
     bewältigen können, und der erzwungenen Bin-         Diskurs in Polen, die verschiedenen Schritte
     nenmigration“ fertig zu werden. Populismen an       nachzuvollziehen, durch die explizit rassisti-
     sich sind somit nicht als „normative Sünden“        sche, antimuslimische, und ausländerfeindliche
     gegen das Zentrum zu bewerten, sie sollten          Diskurse von der Regierungspartei PiS seit
     vielmehr zu Diskussionen über die Antagonis-        Ende 2015 verbreitet werden. Dabei stützt sich
     men, über Themen, Strategien und Interessen         diese auf kollektive Stereotypen, die mit dem
     führen, die zum Beispiel in der so genannten        massiven traditionellen polnischen Antisemi-
     „Flüchtlingskrise“ an den Rand gedrängt oder        tismus in Verbindung stehen. Krzyżanowski
     tabuisiert wurden:                                  unterscheidet zwischen drei Stufen: Das „en-
                                                         actment“, bei dem der neue Diskurs durch eine
     Die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 kann als ein   „diskursive Verschiebung“ in die Öffentlichkeit
     zweistufiger Zusammenbruch der Normalitäts-         eingeführt wird; die „graduation“, die die Auf-
     klassen im Mittelmeerraum charakterisiert wer-      rechterhaltung der alten bestehenden Diskurse
     den, dessen Ursache wiederum ein Antagonis-         und die Diffusion und Integration der neuen
     mus in Folge der militärischen Intervention der     Elemente markiert; und schließlich die „Nor-
     höheren Normalitätsklassen in die unteren war       malisierung“, durch die sich die Normen tat-
     („Fluchtursachen“). (ebd., 155)                     sächlich ändern (ebd., 7-8).
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    Die Normalisierung erfolgt nicht auf ein-         gen, wie der Begriff „Integrationsunwilligkeit“
fache, direkte Weise. Vielmehr geht, wie              Anfang 2015 den österreichischen Politik- und
Krzyżanowski und Ledin (2017) aufzeigen, mit          Mediendiskurs dominierte und wie die soge-
solchen diskursiven Verschiebungen viel Ambi-         nannte „Flüchtlingskrise“ einer Ökonomisie-
valenz einher, d.h. ein Borderline-Diskurs, der       rung und Securitization unterworfen war.
die Grenzen zwischen Höflichkeit und Unhöf-
lichkeit, zwischen Zivilisiertheit und Unzivili-         Um die „Lebensgeschichte“ des Begriffs
siertheit auslotet (ebd.), ganz ähnlich der Strate-   „Integrationsunwilligkeit“ nachzuzeichnen,
gie der „kalkulierten Ambivalenz“ (Wodak 2015,        kombinierten wir qualitative und quantitative
2019, 2020). Natürlich erfordern diese Schritte       linguistische Methoden, um seine Häufigkeit,
große Anstrengungen in Bezug auf Argumenta-           Kollokationen, Kontextualisierung und Ins-
tions- und Legitimationsstrategien, die immer         trumentalisierung im Zuge der Legitimierung
auch das routinemäßig Sagbare und Unsagbare           immer strengerer Politiken aufzuzeigen. In
in einem bestimmten Kontext berücksichti-             der Tat hat sich dieser Begriff, der zuvor nur
gen müssen (Wodak 2018). Die Forschung                von der FPÖ verwendet wurde, inzwischen als
Krzyżanowskis zeigt beispielhaft, wie es der          fester Bestandteil der österreichischen Medien
polnischen Regierung gelungen ist, über Bedro-        und damit des öffentlichen Diskurses etabliert.
hungsszenarien eine insgesamt feindselige Hal-        Er markiert eine deutliche Verschiebung im
tung gegenüber Flüchtlingen (die als „illegale        politischen Diskurs über Integration –er ist zu-
Migranten“ bezeichnet werden) zu schaffen,            gleich ein Beispiel für die Kulturalisierung des
obwohl fast keine Muslime in Polen leben und          Integrationsdiskurses –, die nun als Assimilati-
seit 2015 nur insgesamt 628 (sic!) Flüchtlinge in     on verstanden wird. So gelang es, die intertex-
Polen aufgenommen wurden. Die Paniken, die            tuellen Verbindungen zwischen Parteipolitik
solchermaßen medial ausgelöst wurden, ähneln          und anderen Politikfeldern aufzudecken, die
den einwanderer- und flüchtlingsfeindlichen           manchmal offensichtlich und manchmal in
Kampagnen in anderen EU-Mitgliedsstaaten;             für viele verständlichen Codes verborgen sind.
sie ähneln in vielen Punkten der Rhetorik, die        Normalisierungsprozesse umfassen die Einglie-
z.B. von der österreichischen FPÖ, der italie-        derung von Randideologien in den Mainstream
nischen Lega, der deutschen AfD und der bri-          –nicht nur der Politik, sondern auch der Popu-
tischen UKIP (jetzt Brexit) verwendet wird (sie-      lärkultur und anderer Felder –durch Rekontex-
he Triandafyllidou, Krzyżanowski und Wodak            tualisierungen und Resemiotisierungen (also
2018).                                                durch den Wandel von Wort zur Tat, von An-
                                                      kündigung bis zum Bau einer Mauer oder eines
   Darüber hinaus ist es in anderen quantita-         Zaunes); derartige Prozesse verlaufen in der Re-
tiven und qualitativen Studien gelungen, solche       gel von der Backstage zur Frontstage und über
normalisierenden und rekontextualisierenden,          soziale Felder und Textsorten hinweg (Rhein-
mehrstufigen diskursiven und politischen Ver-         dorf und Wodak 2019, 306).
änderungsprozesse noch systematischer nach-
zuzeichnen, etwa durch die Untersuchung der           Ein Beispiel: Die österreichische türkis-grü-
täglichen Medienberichterstattung und viel-           ne Koalition
fältiger anderer Textsorten (wie Reden, Par-
lamentsdebatten, Plakate und Gesetze) über                Im neuen türkis-grünen Koalitionsvertrag
einen bestimmten Zeitraum hinweg, der durch           in Österreich, der am 7. Januar 2020 zwischen
politisch relevante Ereignisse klar definiert         ÖVP und Grünen geschlossen wurde, finden
war. So analysierten etwa Rheindorf und Wo-           sich zur Überraschung und Bestürzung vieler
dak (2018) im österreichischen Kontext von            drei explizite Vorschläge des FPÖ-Hardliners
2015/16 alle Debatten über auffällige Konzepte,       Herbert Kickl –ehemaliger Innenminister in
die in heftigen politischen Auseinanderset-           der österreichisch-nationalkonservativen Koa-
zungen zu einer Verdichtung unterschiedlicher         litionsregierung (Dezember 2017 - Mai 2019)
ideologischer Positionen zu Integration, Migra-       und seit Juni 2019 Klubchef der FPÖ. Das neue
tion, Asyl etc. führten. So konnten wir z.B. zei-     Koalitionsprogramm trägt den Titel „Schutz
44   Schwerpunkt                                                                                                                                         spw 1 | 2020

     der Grenzen und des Klimas“ und setzt damit                                    jedoch völlig unklar und vage. Kickl bezeichnete
     das Nichtgleichzusetzende gleich. Das Koali-                                  diese Inhaftierung ohne Straftat euphemistisch
     tionsprogramm enthält u.a. ein Kopftuchver-                                    als „Sicherungshaft“. Rechtsexperten und die po-
     bot für Mädchen unter 14 Jahren an Schulen,                                    litische Opposition – darunter auch die Grünen
     die nicht nur wegen der möglichen Verletzung                                   (!) – lehnten eine solche Maßnahme mit Nach-
     verfassungsrechtlicher Grundrechte umstritte-                                  druck ab und wiesen darauf hin, dass sie gegen
     ne „Sicherungshaft“ für potentiell gefährliche                                 die österreichische Verfassung und die Grund-
     AsylbewerberInnen und neue sogenannte                                          sätze der Gleichheit und persönlichen Freiheit
     „Rückkehrverfahrenszentren“ für abgelehnte                                     verstoße. Darüber hinaus rufen eine solche
     AsylbewerberInnen. Offensichtlich wurden die                                  Maßnahme und ihr Name – obwohl ein Euphe-
     durch viele Äußerungen von Kickl verursach-                                    mismus – im österreichischen Kontext negative
     ten Skandale – welche auf eine frühe Phase der                                 Assoziationen mit dem Begriff „Schutzhaft“ (na-
     langsamen, aber schamlosen Demontage der                                       türlich ebenfalls ein Euphemismus) der Gestapo
     österreichischen liberalen Demokratie hinwei-                                  des Naziregimes hervor. Als er mit dieser Kritik
     sen – abgetan, vergessen oder in den Hinter-                                   konfrontiert wurde, erklärte Kickl, es sei ihm
     grund gedrängt, um die Bildung dieser Koaliti-                                 egal, ob sein Vorschlag gegen Gesetze oder gar
     onsregierung zu ermöglichen. Nur die Zeit wird                                 die Verfassung verstoße: „weil ich es einfach satt
     zeigen, wie die Folgen eines solchen Normali-                                  habe, durch gesetzliche Vorschriften aufgehalten
     sierungsprozesses zu bewerten sind.                                            zu werden“. Kickl bekräftigte diese Aussage sogar,
                                                                                    indem er in einem Fernsehinterview erklärte,
        Lassen Sie mich an dieser Stelle einige As-                                 dass „er immer noch der Meinung ist, dass der
     pekte der normalisierten Vorschläge ausführ-                                   Grundsatz gilt, dass das Gesetz der Politik und
     licher diskutieren, die – im Jahr 2019 – sogar                                 nicht die Politik dem Gesetz folgen muss“. Mit
     zum prominenten Thema der internationalen                                      anderen Worten, die Gesetzgebung sollte dem
     Medienberichterstattung wurden, unter ande-                                    Willen der Regierung folgen. Das Gesetz, auf das
     rem in der New York Times, The Atlantic und                                    er sich hier bezieht, ist übrigens die Erklärung der
     The Guardian. Dies ist angesichts Kickls pro-                                 Menschenrechte (die am 10. Dezember 1948 von
     vokanter Tabubrüche hinsichtlich der Unab-                                     den Vereinten Nationen verkündet wurde).
     hängigkeit der Justiz sowie zahlreicher Anspie-
     lungen an die nationalsozialistische Rhetorik                                     Zweitens hat auch Kickls Vorschlag, „Auf-
     und revisionistische Vergangenheitspolitik tat-                                nahmezentren“ für Asylbewerber und Flücht-
     sächlich nicht verwunderlich.                                                  linge in „Ausreisezentren“ umzubenennen, für
                                                                                    einen massiven Skandal und Debatten gesorgt:
        Erstens, in Bezug auf die sogenannte „Siche-                                Die neue Bezeichnung implizierte, dass der si-
     rungshaft“: Nachdem ein Verwaltungsbeamter in                                  chere Hafen, der Ort, an dem Flüchtlinge end-
     Vorarlberg von einem Migranten getötet worden                                  lich nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen,
     war, der bereits mehrere Straftaten begangen,                                  kein Ort zum Bleiben ist, sondern – per Defini-
     seinen Aufenthaltsstatus verloren hatte und Ös-                                tion – ein Ort, von dem aus man (sofort) wieder
     terreich hätte verlassen müssen, schlug Kickl vor,
     dass potenziell gefährliche MigrantInnen und                                   	 Der Nazi-Begriff „Schutzhaft“ bedeutete, dass Gegner des Regimes und an-
     Asylsuchende präventiv inhaftiert werden sollten.                                 dere unerwünschte Personen willkürlich und ohne zeitliche Beschränkung
                                                                                       festgehalten wurden. Diese Inhaftierungen wurden zunächst vor allem von
     Welche Kriterien zur Bestimmung potenziell ge-                                    Mitgliedern nationalsozialistischer Organisationen wie der SA und der SS,
                                                                                       später auch von der Gestapo, durchgeführt. die Häftlinge wurden in von der
     fährlicher Personen herangezogen würden, blieb                                    nationalsozialistischen Partei kontrollierten Haftanstalten, den sogenannten
                                                                                       Konzentrationslagern, inhaftiert und misshandelt. Es war den Gerichten nicht
                                                                                       möglich, die Inhaftierung in einem Konzentrationslager in Frage zu stellen (u.a.
     	 Siehe https://orf.at/stories/3149505/ (abgerufen am 5.1.2020).                 Bauz, Brüggemann und Maier 2013; https://de.wikipedia.org/wiki/Schutzhaft;
                                                                                       abgerufen am 19.4.2019).
     	 Siehe https://www.krone.at/2071342; https://www.derstandard.at/story/2000
        112860052/asylpolitik-haerten-kompromisse-und-ein-vorschlag-fuer-           	 https://www.profil.at/oesterreich/video-kickl-orf-report-10610601 (abgeru-
        trouble-shooting (abgerufen am 6.1.2020).                                      fen am 5.1.2020).

     	 https://www.nytimes.com/2019/05/20/world/europe/austria-minister-free-      	 Siehe Huemer, P. (2019), Eine gefährliche Drohung? Kleine Zeitung; für eine
        dom-party.html; https://www.theguardian.com/world/2018/jun/08/turkey-          ausführliche Diskussion (https://www.neue.at/tribuene/2019/01/24/eine-ge-
        austria-close-mosques-expel-imams; https://www.theatlantic.com/interna-        faehrliche-drohung-2.neue) (abgerufen am 1.5.52019).
        tional/archive/2019/03/europe-interior-minister-kickl-far-right/584845/     	 https://www.derstandard.at/story/2000098647513/warum-kickl-aus-auf-
        (abgerufen am 5.1. 2020).                                                      nahmestellen-ausreisezentren-macht (abgerufen am 5.1.2020).
spw 1 | 2020                                                                                                                    Schwerpunkt                 45

ausreisen sollte. Dies mag zunächst recht absurd                            sind mit dem bzw. in dem offiziellen Koalitions-
erscheinen; im Kontext einer äußerst restrik-                               vertrag der national-konservativ-grünen Regie-
tiven Migrationspolitik und einer explizit ras-                             rung Österreichs akzeptabel geworden, d.h. sie
sistischen Ausgrenzungsrhetorik gegenüber so                                sind normalisiert und verdeutlichen damit den
genannten „illegalen Migranten“ weist diese Be-                             „Rechtsruck“ der Mitte.
zeichnung jedoch darauf hin, dass Asylsuchen-
de nicht willkommen sind; ja, dass sie sofort                               Den gordischen Knoten durchschneiden
wieder ausreisen sollten. Sie sind in Österreich
nicht erwünscht. Man könnte sogar spekulie-                                    In seinem Buch Don‘t Think of an an Ele-
ren, dass diese neue Bezeichnung ein geschickt                              phant: Know Your Values and Frame the Debate
gewählter Euphemismus ist, der in Wirklichkeit                              (2004), das auf die Wahlniederlage des dama-
die Bedeutung von „Abschiebezentrum“ trägt.                                 ligen demokratischen Kandidaten John Kerry
                                                                            gegen G.W. Bush bei den US-Präsidentschafts-
   Die Umbenennung von Anhaltezentren                                       wahlen von 2004 eingeht, schlug der Linguist
als „Rückkehr(verfahrens)zentren“ im neuen                                  George Lakoff vor, alternative Frames (Rahmen)
Koalitionsprogramm von 2020 ist daher ein                                   zu nutzen, um in Hinkunft einen erfolgreichen
weiteres Beispiel für die Verwendung von Eu-                                Gegendiskurs (zu dem konservativen, republi-
phemismen, um die Rassifizierung („racializa-                               kanischen) zu etablieren. Nur auf die Frames der
tion“) des Raumes zu verschleiern. Flüchtlinge,                             US-Republikanischen Partei zu reagieren, käme
denen das Asyl verweigert wurde, wollen selten                              einer garantierten Niederlage im Kampf um die
„zurückkehren“; vielmehr sind sie gezwungen,                                Festlegung der Themensetzung gleich. Statt sich
das Land zu verlassen, und werden bis zu ihrer                              der Agenda der Republikaner entgegenzustel-
Abreise festgehalten. Der Vorschlag schließ-                                len, sollten die Demokraten also danach streben,
lich, muslimischen Mädchen bis zum Alter von                                ihre eigenen Themen zu setzen und ihre egali-
14 Jahren das Tragen von Kopftüchern zu ver-                                täre Position zu wahren. Wenn man Lakoffs An-
bieten, steht in engem Zusammenhang mit ei-                                 sichten berücksichtigt, so glaube ich, dass man
ner rechtsextremen Geschlechterpolitik (siehe                               – um nicht in die demagogische und politische
Wodak 2016), die die Grünen stets vehement                                  Falle des Rechtspopulismus zu tappen – alter-
abgelehnt hatten.                                                           native Rahmen und eine alternative Agenda
                                                                            festlegen muss, alternative Konzepte verbreiten,
   Diese Maßnahmen weisen darauf hin, dass                                  alternative Antworten auf die aktuellen zentra-
die Grünen, die sich stets für Menschenrechte                               len Herausforderungen liefern und sowohl neue
und liberale Werte eingesetzt haben, nun eine                               als auch alte Werte wie Gleichheit, Vielfalt und
Politik mittragen (und damit auch akzeptieren),                             Solidarität forcieren muss.
die sie zuvor abgelehnt hatten. Rote Linien wur-
den somit überschritten, explizit legitimiert, in-                             Alternative Politiken und Programme soll-
dem auf den erreichten Konsens zur Bekämp-                                  ten ausgearbeitet werden, um WählerInnen-
fung der Klimakrise verwiesen wurde, auf den                                gruppen anzuziehen, die bisher vernachläs-
die Grünen in den Koalitionsverhandlungen                                   sigt wurden oder sich vernachlässigt fühlen
bestanden hatten. Außerdem gebe es, so ein                                  – einschließlich des Prekariats, der Teilzeitbe-
weiteres Argument, keine Alternative zu dieser                              schäftigten, der Kleinunternehmen usw. Die
Regierung, da die national-konservative Volks-                              Realität der Lohnarbeit hat sich drastisch ver-
partei ÖVP 37 Prozent und die Grünen „nur“
14 Prozent der WählerInnenstimmen erhalten
hatten, seien letztere gezwungen gewesen, ein                                der mit der rechtsextremen FPÖ, trotz aller Skandale, koalieren müssen;
                                                                             oder die ÖVP hätte auf eine Minderheitenregierung setzen müssen. Beide
überwiegend national-konservatives Programm                                  Varianten schienen den Grünen weniger tauglich als eine Koalition mit ih-
                                                                             nen. Diese Varianten wurden auch von den Medien schlecht bewertet, eine
nolens-volens zu akzeptieren. Andernfalls, so die                            türkis-grüne Koalition hingegen massiv gefordert, quasi als einzig mögliche
Argumentation, wären die Verhandlungen ge-                                   „Rettung“ vor einer neuerlichen Koalition mit der FPÖ. Eine Koalition mit
                                                                             der sozialdemokratischen SPÖ schien aufgrund mangelnden gegenseitigen
scheitert .10 Wie dem auch sei: Kickls Vorschläge                            Vertrauens unmöglich – obwohl die Vorsitzende der SPÖ, Pamela Rendi-
                                                                             Wagner – mehrfach betonte, zu Koalitionsverhandlungen bereit zu sein. Was
                                                                             die wirklichen Beweggründe der Grünen waren, unter solchen Bedingungen
10 Wären die Verhandlungen gescheitert, dann hätte die türkise ÖVP entwe-    doch eine Koalition zu schließen, bleibt letztlich Spekulationen überlassen.
46   Schwerpunkt                                                                                                                                 spw 1 | 2020

     ändert und verändert sich weiterhin rasant;                                      Auch sollte man immer wiederkehrende
     politische Parteien und Gewerkschaften haben                                  Muster und immer neue Verschwörungsthe-
     mit diesen Veränderungen nicht Schritt gehal-                                 orien identifizieren und diese auf einer Meta-
     ten. Mehr Beteiligung, mehr Partizipation und                                 ebene explizit dekonstruieren. Der Frame von
     Dialog sind auf allen Ebenen der Gesellschaft                                 „anything goes“ könnte also durch die Aufde-
     erforderlich. In diesem Zusammenhang sollte                                   ckung eklatanter Lügen eingegrenzt und be-
     man auch darauf hinweisen, dass bestimmte                                     grenzt werden. Anstatt Angst zu betonen, bieten
     Arbeitsbedingungen die Gesundheit der Be-                                     sich Solidarität und Inklusivität als positive
     schäftigten gefährden oder schädigen und da-                                  Vorstellungen an. Nicht in die Falle zu tappen,
     durch zusätzliche Kosten verursachen. All dies                                würde also eine Politik der Solidarität statt einer
     bedeutet, dass die vorherrschende neoliberale                                 Politik der Angst oder des Neids erfordern.
     Leistungsideologie nicht als selbstverständlich
     hingenommen werden sollte.                                                       Die Debatte darüber, ob es sinnvoll ist, mit
                                                                                   rechtsextremen WählerInnen und Politiker-
         Nicht in die Falle des Rechtspopulismus zu                                Innen zu sprechen, ist meiner Meinung nach
     tappen, bedeutet auch, alternative Muster der                                 falsch angelegt. Natürlich ist der Dialog wich-
     Medienberichterstattung zu entwickeln bzw.                                    tig; und natürlich sollte man versuchen, mit
     aufrechtzuerhalten – weniger auf die Verstär-                                 Menschen, die nicht die eigene Meinung teilen,
     kung skandalöser Vorfälle und geschickter Auf-                                möglichst höflich und respektvoll zu reden.
     tritte und Inszenierungen rechtspopulistischer                                Aber jeweils in situationsadäquater Form. Talk-
     Politiker ausgerichtet, sondern vielmehr darauf,                              shows sind anders gestaltet und inszeniert als
     sie zu kommentieren und als das zu entlarven,                                 andere Interaktionen, wo tatsächlich eine diffe-
     was sie sind: „Das Kind also beim Namen zu                                    renzierte Auseinandersetzung erfolgen könnte.
     nennen“ (und etwa rassistische Äußerungen                                     In Talkshows geht es vor allem um Kampf und
     nicht zu relativieren oder zu verharmlosen)!                                  Sieg, selten um eine argumentative Auseinan-
                                                                                   dersetzung.
         Es wäre sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass
     es Rechtspopulisten vor allem darum geht, um                                     Die Erfahrungen zeigen, dass solche erfolg-
     jeden Preis auf die Titelseite zu kommen. So                                  reichen Initiativen möglich sind: So begegnete
     zeigt beispielsweise eine rezente Studie über                                 die Dresdner Museumsdirektorin Hilke Wag-
     die flämischen und wallonischen rechtspopu-                                   ner den massiven Drohungen und Angriffen
     listischen Parteien in Belgien, welchen Einfluss                              auf sich und das Museum, die von der AfD
     verschiedene Formen der Medienberichter-                                      gestartet wurden, indem sie „jeden einzelnen
     stattung auf den Erfolg bzw. Misserfolg solcher                               Menschen, der sie mit Hass-E-Mails oder An-
     Parteien haben (Coffé 2008, 2020; de Jonge                                    rufen ins Visier genommen hatte“, anrief. Sie
     2019): Während die in der Vergangenheit ge-                                   berichtete, dass sie viele Missverständnisse
     machten Erfahrungen zu einem feindlichen                                      ausräumen konnte. Sie institutionalisierte auch
     Umfeld für rechtsextreme Parteien in Wallonien                                verschiedene Dialogformate und definiert das
     geführt haben, wo die Sozialdemokraten und                                    Museum nunmehr als einen der wenigen Orte,
     die Medien gemeinsam einen effektiven Cordon                                  an denen es noch zu direkten Begegnungen
     Sanitaire gegen die Rechtsextremen geschaffen                                 kommen kann. Es gibt also durchaus Erfolgs-
     haben, ist in Flandern das Gegenteil der Fall.                                geschichten.12
     Dies bedeutet, dass populistische rechtsradi-
     kale Parteien es schwer haben, Wahlerfolge zu
     erzielen, wenn die Mainstream-Parteien und
     die Medien ihre Möglichkeiten und Chancen                                       mische rechtsextrem-populistische Partei Vlaamsblok verloren. In Wallo-
     hierzu (opportunity structures) konsequent ein-                                 nien hingegen hielten die Sozialdemokraten an einer traditionellen linken
                                                                                     Agenda fest (ebd., 184). Darüber hinaus gaben die Medien der rechtspopu-
     schränken (Coffé 2020, 11).11                                                   listischen Agenda viel weniger Gewicht als in Flandern. Dennoch sind Ver-
                                                                                     allgemeinerungen natürlich nur bis zu einem gewissen Grad möglich.
                                                                                   12 Siehe https://www.theguardian.com/artanddesign/2020/jan/07/how-to-fight
     11 Wie Coffé (2008, 190) erklärt, haben die flämischen Sozialdemokraten den      -the-far-right-invite-them-in-the-german-museum-taking-on-hate?CMP
        sogenannten „Dritten Weg“ gewählt und damit viele Stimmen an die flä-         =Share_iOSApp_Other (abgerufen am 7.1.2020).
spw 1 | 2020                                                                                                      Schwerpunkt        47

   Dennoch müssen Bedrohungen ernst ge-                                         rektheit“ nun als polemischer Kampfbegriff in
nommen und nicht relativiert werden. Wie                                        politischen Debatten verwendet wird, um jede
das Sprichwort sagt: „Man sollte die Dinge                                      Art von Kritik zum Schweigen zu bringen.
beim Namen nennen“. Wenn jemand eine dis-
kriminierende, rassistische, fremdenfeindliche,                                    Darüber hinaus ist es wichtig, nicht mehr zu
sexistische, antisemitische oder homophobe                                      verallgemeinern und scheinbar homogenen
Bemerkung macht, sollte er/sie sofort zur Ver-                                  Gruppen spezifische Merkmale zuzuschrei-
antwortung gezogen werden.                                                      ben, d.h. „Alle Amerikaner, Muslime, Israelis,
                                                                                Briten, Österreicher, Roma oder Juden tun oder
   Wenn es Antidiskriminierungsgesetze gibt,                                    sind X“. Gruppen sind niemals homogen; eine
müssen entsprechende Gesetzesbrüche vor                                         solche Rhetorik dient nur dazu, gefährliche Ste-
Gericht gebracht werden. Viele in der Vergan-                                   reotypen zu verstärken und fortzuschreiben.
genheit gemachte Erfahrungen haben gezeigt,                                     Reale Komplexität sollte daher nicht verein-
dass sich rechtsextreme Bewegungen manch-                                       fachten Dichotomien weichen, die häufig zur
mal radikalisieren und körperliche Gewalt an-                                   trügerischen „Erklärung“ schwieriger Phäno-
wenden. Mehrere Bürgermeister von deutschen                                     mene verwendet werden.
Kleinstädten, insbesondere in Gebieten der
ehemaligen DDR, wurden von Neonazis und                                            Schließlich ist es wichtig, nicht mehr auf das
Rechtsextremisten ins Visier genommen und                                       rechtspopulistische Perpetuum Mobile zu
erhielten Morddrohungen. Einige von ihnen                                       reagieren, oder sich der rechtspopulistischen
sind unter diesem Druck zurückgetreten, der                                     Agenda anzupassen und der Versuchung zu
Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke                                      widerstehen, aus Angst vor dem Verlust von
wurde ermordet, andere bleiben und wehren                                       WählerInnen auf den rechtspopulistischen Zug
sich gegen solche Angriffe: In einem Fall berich-                               aufzuspringen. Stattdessen sollten die Parteien
ten Zeitungen: „Er ist Bürgermeister einer Stadt                                alternative Positionen formulieren oder ihre
in Nordrhein-Westfalen und er hat Angst. So                                     traditionelle Position beibehalten oder sogar
viel, dass er einen Waffenschein beantragt hat.                                 neu beleben: Werte wie Gleichheit, Gerechtig-
Um sich vor Neonazis zu schützen, von denen                                     keit, Demokratie, Bildung, Mehrsprachigkeit,
er sich seit dem Europawahlkampf im Mai 2019                                    Vielfalt und Solidarität – allesamt grundlegende
massiv bedroht fühlt. Und um nicht wehrlos                                      europäische Werte, wie bereits in der Kopenha-
einem rechten Attentäter gegenüberzustehen                                      gener Erklärung von 1973 festgehalten – (neu)
wie der im Juni erschossene Kasseler Regie-                                     zu formulieren, und zwar in einer Weise, die auf
rungspräsident Walter Lübcke. Seinen Namen                                      die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
will der Mann auf keinen Fall in der Presse ge-                                 abgestimmt ist.
nannt sehen.“13
                                                                                    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich
   Nicht in die Falle zu tappen bedeutet auch,                                  der Rechtspopulismus in all seinen Spielarten
typischen Strohmann-Trugschlüssen entge-                                        in vielen europäischen Ländern und darüber
genzutreten, wie z.B. der Behauptung, dass „die                                 hinaus – oft schamlos – als eine politische Strö-
Meinungsfreiheit bedroht ist“, dass „politische                                 mung im Mainstream normalisiert hat. Es ist
Korrektheit das zensiert, was man sagen will“,                                  daher letztlich banal immer wieder zu betonen,
usw. Tatsächlich gibt es in liberalen Demokra-                                  dass die jeweiligen Politiken und Strategien, Ide-
tien Meinungs- und Pressefreiheit, solange die                                  ologien und Vorstellungen „ernst“ genommen
Gesetze gegen Verhetzung, Verleumdung, Dis-                                     werden müssen. Hingegen müssen die vielen
kriminierung, usw. nicht übertreten werden.                                     Textsorten, in denen solche Politiken verbreitet
Solchen Irrtümern muss energisch entgegen-                                      werden, sorgfältig untersucht werden, um den
gewirkt werden, da der Begriff „politische Kor-                                 Wahlerfolg solcher Parteien sowie die Norma-
                                                                                lisierung ihrer Rhetorik, ihrer Argumente und
13 Siehe https://www.tagesschau.de/investigativ/report-muenchen/buergermeis-    ihrer Politik zu verstehen; ebenso gilt es zu
   ter-drohungen-101.html (abgerufen am 15.1.2020); https://www.tagesspiegel.
   de/politik/buergermeister-in-angst-bedrohung-von-lokalpolitikern-wird-
                                                                                verstehen, warum sie so viele junge und alte,
   zum-flaechenproblem/25397666.html (abgerufen am 15.1.2020).                  männliche und weibliche WählerInnen in man-
48   Schwerpunkt                                                                                                       spw 1 | 2020

     chen Kontexten ansprechen, in anderen jedoch                      wing European politicians rebuked Hungary’s Viktor
     nicht. Die genaue und systematische kritische                     Orbán. But that could radicalize him even more.’ The
     Analyse der Ausgrenzungsrhetorik, der Kör-                        Atlantic (https://www.theatlantic.com/international/ar-
                                                                       chive/2018/09/orban-hungary-europe-populism-illiber-
     per- und Grenzpolitik, der Geschlechterpoli-                      alism/570136/).
     tik, der Instrumentalisierung antisemitischer
                                                                     ■ Rheindorf, M. (2019a) Revisiting the Toolbox of Dis-
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                                                                     ■ Rheindorf, M. (2019b) ‘Disciplining the Unwilling: Nor-
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