Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie
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Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2020 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie Eisenegger, Mark ; Oehmer, Franziska ; Udris, Linards ; Vogler, Daniel Abstract: Die Medienberichterstattung zur Coronavirus-Pandemie wurde in der Öffentlichkeit immer wieder massiv kritisiert. Tatsächlich war es in Anbetracht der riesigen Berichterstattungsmenge zur Pan- demie (bis zu 70% der Gesamtberichterstattung im untersuchten Zeitraum) einfach, einzelne Beispiele für Berichterstattungsmängel zu finden. Abstrahiert man von solchen Einzelfällen, so kann die Leistung von Schweizer Medien während der Pandemie jedoch tendenziell positiv beurteilt werden. Dies zeigen die Ergebnisse einer manuellen und einer automatisierten Inhaltsanalyse von Schweizer Informationsmedien zwischen Januar und Juni 2020. Die Vielfalt von Themen sowie von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen ist vergleichsweise hoch. Auch lässt sich eine relativ hohe Relevanz der Berichterstattung beobachten, unter anderem weil die Medien auf gesamtgesellschaftliche Folgen der Corona-Pandemie fokussieren und weil sie sich in der Beschreibung der Bedrohung an der Entwicklung der Fallzahlen orientieren. Dennoch weist unsere Analyse auch auf klare Mängel hin. Die Einordnungsleis- tungen der untersuchten Medien sind wenig ausgeprägt. Die Vielfalt ist ausgerechnet bei den zitierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eingeschränkt. Zwar ist die Vielfalt der Stimmen aus der Medizin hoch, aber es gibt kaum Beachtung für wissenschaftliche Positionen aus anderen Disziplinen – und dies, obwohl die Krise fast sämtliche Bereiche der Gesellschaft betrifft. Auch sind bei den Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Diskurs zu COVID-19 Männer stark über- und Frauen stark untervertreten. Eine kritische Diskussion über die Regierung und Behörden sowie deren verordnete Mass- nahmen ist vorhanden, die Medien wahren insofern eine kritische Distanz. Gerade in der sensiblen Phase vor dem Lockdown erweisen sie sich jedoch als relativ unkritisch und ordnen mögliche Entwicklungen zu wenig ein. Auch zeigt sich – mit Ausnahmen – ein problematischer Umgang mit Zahlen und Statistiken, die insgesamt betrachtet (zu) wenig eingeordnet werden. Es wird längst nicht immer begründet, was die Zahlen aussagen und warum sie verwendet werden. Die Leistungen unterscheiden sich zwischen Medi- entypen und Medientiteln. Positiv heben sich einige Abonnementsmedien und der öffentliche Rundfunk ab, mit einer besonders hohen Vielfalt von Themen sowie Expertinnen und Experten, einer höheren Rel- evanz und mehr Einordnungsleistungen. Sonntags- und Wochenmedien sowie der öffentliche Rundfunk wahren gegenüber Behörden und Regierung die grösste kritische Distanz. Boulevard- und Pendlerme- dien sind in ihrer Berichterstattung weniger vielfältig und neigen tendenziell zu einer Vermittlung von nackten Zahlen ohne Einordnung, doch eine alarmistisch-dramatisierende, nur auf Bedrohung beruhende Berichterstattung bleibt aus. Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-196619 Scientific Publication in Electronic Form Published Version
The following work is licensed under a Creative Commons: Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0) License. Originally published at: Eisenegger, Mark; Oehmer, Franziska; Udris, Linards; Vogler, Daniel (2020). Die Qualität der Medi- enberichterstattung zur Corona-Pandemie. Zürich: Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög). 2
Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft Qualität der Medien Studie 1/2020 Die Qualität der Medienbericht- erstattung zur Corona-Pandemie fög – Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich
1 Die Qualität der Medienbericht- erstattung zur Corona-Pandemie Mark Eisenegger, Franziska Oehmer, Linards Udris, Daniel Vogler Zusammenfassung Die Medienberichterstattung zur Coronavirus-Pandemie wurde in der Öffentlichkeit immer wieder massiv kritisiert. Tatsächlich war es in Anbetracht der riesigen Berichterstattungsmenge zur Pandemie (bis zu 70% der Gesamtberichterstattung im untersuchten Zeitraum) einfach, einzelne Beispiele für Berichterstattungs- mängel zu finden. Abstrahiert man von solchen Einzelfällen, so kann die Leistung von Schweizer Medien während der Pandemie jedoch tendenziell positiv beurteilt werden. Dies zeigen die Ergebnisse einer manu- ellen und einer automatisierten Inhaltsanalyse von Schweizer Informationsmedien zwischen Januar und Juni 2020. Die Vielfalt von Themen sowie von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Gesellschaftsbe- reichen ist vergleichsweise hoch. Auch lässt sich eine relativ hohe Relevanz der Berichterstattung beobach- ten, unter anderem weil die Medien auf gesamtgesellschaftliche Folgen der Corona-Pandemie fokussieren und weil sie sich in der Beschreibung der Bedrohung an der Entwicklung der Fallzahlen orientieren. Dennoch weist unsere Analyse auch auf klare Mängel hin. Die Einordnungsleistungen der untersuchten Medien sind wenig ausgeprägt. Die Vielfalt ist ausgerechnet bei den zitierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eingeschränkt. Zwar ist die Vielfalt der Stimmen aus der Medizin hoch, aber es gibt kaum Beachtung für wis- senschaftliche Positionen aus anderen Disziplinen – und dies, obwohl die Krise fast sämtliche Bereiche der Gesellschaft betrifft. Auch sind bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Diskurs zu COVID-19 Männer stark über- und Frauen stark untervertreten. Eine kritische Diskussion über die Regierung und Be- hörden sowie deren verordnete Massnahmen ist vorhanden, die Medien wahren insofern eine kritische Dis- tanz. Gerade in der sensiblen Phase vor dem Lockdown erweisen sie sich jedoch als relativ unkritisch und ordnen mögliche Entwicklungen zu wenig ein. Auch zeigt sich – mit Ausnahmen – ein problematischer Um- gang mit Zahlen und Statistiken, die insgesamt betrachtet (zu) wenig eingeordnet werden. Es wird längst nicht immer begründet, was die Zahlen aussagen und warum sie verwendet werden. Die Leistungen unter- scheiden sich zwischen Medientypen und Medientiteln. Positiv heben sich einige Abonnementsmedien und der öffentliche Rundfunk ab, mit einer besonders hohen Vielfalt von Themen sowie Expertinnen und Exper- ten, einer höheren Relevanz und mehr Einordnungsleistungen. Sonntags- und Wochenmedien sowie der öffentliche Rundfunk wahren gegenüber Behörden und Regierung die grösste kritische Distanz. Boulevard- und Pendlermedien sind in ihrer Berichterstattung weniger vielfältig und neigen tendenziell zu einer Ver- mittlung von nackten Zahlen ohne Einordnung, doch eine alarmistisch-dramatisierende, nur auf Bedrohung beruhende Berichterstattung bleibt aus. 1 Einleitung tung zu und nehmen aktiv Stellung zu möglichen Ur- sachen, Massnahmen und deren Folgen. Andererseits edien haben auf die Konstruktion von gesell- bilden Medien auch ein Forum für die Einschätzun- M schaftlichen Krisen einen grossen Einfluss, und zwar auch dann, wenn es sich wie bei der COVID- gen Dritter, insbesondere von Behörden sowie Exper- tinnen und Experten. Wie die Medien die Vorgänge 19-Pandemie um eine Krise handelt, die nicht von bewerten und welchen Akteuren mit ihren Einschät- Menschen verursacht wurde (Sandhu, 2013; Jarren, zungen sie in der Krise eine Bühne verschaffen, defi- 2020). Sie beeinflussen wesentlich mit, wie bedroh- niert die Tragweite, die der Krise in der Öffentlich- lich der Gesellschaft die Krise erscheint, wie gross keit zugeschrieben wird. der politische Handlungsdruck ist oder inwieweit die Wenn Medien also die Krisendefinition und Bevölkerung bereit ist, bestimmten Massnahmen -wahrnehmung grundlegend beeinflussen, stellt sich Folge zu leisten. Medien nehmen in zweifacher Hin- die Frage nach der Qualität der Krisenberichterstat- sicht Einfluss auf die Krisenwahrnehmung: Einerseits tung. Diese Frage wurde auch während der Corona- sind sie eigenständige Deutungsproduzenten. Sie Pandemie gestellt und zwar vor allem kurz nach dem schreiben der Krise – zum Beispiel in Kommentaren ersten Höhepunkt der Krise, dem erfolgten Lock- oder Leitartikeln – eine grosse oder geringe Bedeu- down. Die Forscherinnen und Forscher aus der Kom-
2 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie munikationswissenschaft zeichneten tendenziell ein Eine am Ideal der Objektivität ausgerichtete Bericht- kritisches Bild der Berichterstattung und benannten erstattung bedeutet vielmehr, sich auch innerhalb Defizite des Journalismus (für eine Übersicht vgl. eines Mediums mit oppositionellen Einschätzungen Russ-Mohl, 2020). Kritisiert wurden unter anderem auseinanderzusetzen. die mangelnde Einordnungsleistung der Medien be- Die Qualität der Krisenberichterstattung ist ziehungsweise der «Schnappatmungs»-Journalismus auch unter dem Aspekt der Relevanz zu beurteilen. (Brost & Pörksen, 2020), die zu starke Fokussierung Medien sollen nicht nur gesinnungsethisch handeln, auf einige wenige Expertinnen und Experten (Jarren, das heisst, sich an professionellen Qualitätsstan- 2020), der unreflektierte Umgang mit Zahlen und dards des eigenen journalistischen Berufsstandes Statistiken oder das zu wenig vorhandene kritische orientieren, sondern auch verantwortungsethisch Nachfragen in der Phase, als Regierung und Behör- (Meier & Wyss, 2020). Verantwortungsethisch han- den immer drastischere Massnahmen beschlossen deln Informationsmedien dann, wenn sie die gesell- (Meier & Wyss, 2020; Silini, 2020). Wir schliessen an schaftlichen Folgen ihrer Berichterstattung anti- diese Diskussion an und untersuchen die Frage nach zipieren. Gesellschaftliche Relevanz und Verant- der Medienqualität auf der empirischen Grundlage wortlichkeit ist in dieser Hinsicht gegeben, wenn von quantitativen Inhaltsanalysen. Konkret unter- Medien weder alarmistisch noch verharmlosend suchen wir die Qualität der Berichterstattung zu berichten. Der mit der Krise vermittelte Bedrohungs- COVID-19 im Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum gehalt soll nachvollziehbar begründet und gegebe- 30. April 2020 für ein Mediensample von 22 Leit- nenfalls relativiert werden, wenn es die veränderten medien aus der deutsch- und der französischsprachi- Umstände gebieten. Relevanz ist weiter daran fest- gen Schweiz und ergänzen dies mit einer automati- zumachen, wie stark Medien Ereignisse aus einer sierten Inhaltsanalyse von 34 Leitmedien vom gesamtgesellschaftlichen Optik (Makroebene) be- 1. Januar 2020 bis zum 30. Juni 2020. Medienqualität leuchten. Einzelschicksale und spezifische Fälle wird in dieser Studie an drei Qualitätsdimensionen können helfen, Vorgänge zu erklären. Medien haben festgemacht: an der Vielfalt, der Relevanz und der aber vor allem die Aufgabe, vom Einzelfall zu ab- Deliberationsqualität. strahieren und möglichst frühzeitig, das heisst, bevor In der Dimension der Vielfalt bedeutet eine hoheitliche Beschlüsse gefällt werden, für gesamt- qualitativ hochstehende Berichterstattung, die Krise gesellschaftliche Aspekte wie die Folgen bestimmter aus thematisch unterschiedlichen Perspektiven zu Massnahmen zu sensibilisieren. behandeln. Bezogen auf die COVID-19-Krise geht Schliesslich bemisst sich die Deliberationsquali- es darum, das Ereignis nicht nur aus einer virolo- tät an der Qualität der diskursiven Auseinanderset- gischen, epidemiologischen oder medizinischen zung mit der Krise und am Umgang mit Akteuren, Optik abzuhandeln, sondern frühzeitig beispiels- die sich zu Wort melden. Krisen gehen stets mit weise auch ökonomische Folgen oder Konsequenzen grosser Unsicherheit einher. Das Bedürfnis der Ge- für die Demokratie bestimmter Massnahmen auf die sellschaft nach Antworten ist gross. Entsprechend Agenda zu setzen. Eine gehaltvolle, vielfältige Be- reduziert sich der öffentliche Diskurs in Krisen auf richterstattung hängt sodann vom Spektrum der wenige Akteure bzw. Quellen, die einen privilegier- Akteure ab, die in den Medien eine Bühne erhalten. ten Zugang zum Wissen haben. Im Fall einer gesell- So sollen sich Medien für eine Vielzahl von Expertin- schaftlichen Krise wie derjenigen der Corona-Pande- nen und Experten öffnen, insbesondere auch für mie handelt es sich dabei insbesondere um Behörden solche mit entgegengesetzten Standpunkten. Die sowie Expertinnen und Experten, die definitions- Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Experten- mächtig werden und zu denen gleichzeitig eine positionen bildet eine wesentliche Voraussetzung grosse Abhängigkeit entstehen kann. Medien sollen für eine Berichterstattung, die dem sachlich über- Behörden und Expertinnen und Experten selbstver- zeugendsten Argument zum Durchbruch verhilft. ständlich eine Bühne verschaffen, aber auch kritische Dabei genügt es nicht, dass gewisse Medien diesen Distanz zu ihnen wahren. Dies bedeutet, ihre Posi- Expertinnen und Experten, andere Medien jenen tionen zu jeder Zeit auf der Grundlage sachlich be- Expertinnen und Experten ein Forum verschaffen. gründeter Argumente zu hinterfragen. Je weniger die
3 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie Merkmal Manuelle Inhaltsanalyse Automatisierte Inhaltsanalyse Analysezeitraum 1.1.2020–30.4.2020 1.1.2020–30.6.2020 Analysiertes Repräsentative Stichprobe aus 28 695 Beiträgen zum Thema Vollerhebung des Themas COVID-19 in 34 deutsch-, französisch- Mediensample COVID-19 und italienischsprachigen Schweizer Nachrichtenmedien (n = 100 612) a) aus 22 deutsch- und französischsprachigen Schweizer Nachrichtenmedien (n = 1448) (systematisiert nach Medientyp) (systematisiert nach Medientyp) • Abonnement-Online: nzz.ch, tagesanzeiger.ch, • Abonnement-Online: nzz.ch, tagesanzeiger.ch, 24heures.ch, aargauerzeitung.ch, baslerzeitung.ch, 24heures.ch, Aargauerzeitung.ch, bernerzeitung.ch, bernerzeitung.ch, cdt.ch, luzernerzeitung.ch, lenouvelliste.ch, letemps.ch (n = 551) lenouvelliste.ch, letemps.ch, tagblatt.ch, • Boulevard/Pendler-Online: lematin.ch, Blick.ch, suedostschweiz.ch, tdg.ch (n = 56 499) 20minuten.ch, 20minutes.ch, watson.ch, SonntagsBlick, • Boulevard/Pendler: lematin.ch, blick.ch, Le Matin Dimanche (n = 423) 20minuten.ch, 20minutes.ch, watson.ch, SonntagsBlick, • Sonntag/Magazin: SonntagsZeitung, Weltwoche, Le Matin Dimanche, tio.ch, bluewin.ch (n = 28 795) NZZaS (n = 176) • Sonntag/Magazin: SonntagsZeitung, Weltwoche, NZZaS, • Öffentlicher Rundfunk: 10vor10, Tagesschau, srf.ch, Wochenzeitung (WoZ) (n = 2528) Le Journal, rts.ch (n = 298) • Rundfunkmedien: 10vor10, Echo der Zeit, Rendez-Vous, Tagesschau, srf.ch, Le Journal, rts.ch, rsi.ch, (n = 9834). b) in vier deduktiv ermittelten Phasen: Transkribierte Leads für Radio- und TV-Sendungen. • Phase 1: 1.1. bis 27.2., d.h. vor Verhängung der besonderen Lage (28.2.) (n = 154) • Phase 2: 28.2. bis 15.3., d.h. vor Verhängung der ausserordentlichen Lage (16.3.) (n = 255) • Phase 3: 16.3. bis 7.4. (Lockdown), d.h. vor Entscheid (8.4.) zur Verlängerung des Ausnahmezustands bis 26.4. und vor Ankündigung von Lockerungen (n = 604) • Phase 4: 8.4. bis Ende April: Lockdown mit Aussicht auf Lockerungen (n = 435) Suchbegriffskombnation ("*corona*" OR "*covid*") innerhalb der ersten 500 Zeichen ("*corona*" OR "*covid*") AND NOT ("coronan*" OR "coro- Datenbankrecherche (Titel inkl. Haupttext) nat*" OR "alla corona" OR "sulla corona" OR "nella corona" OR "della corona" OR "dalla corona" OR "la corona" OR "coro- narien*" OR "coronaire*" OR "koronar*" OR "coronar*" OR "coronado*" OR "coronament*" OR "corona events" OR "fabrizio corona" OR "mauro corona" OR "sacra corona" OR "corona di fiori" OR "corona di spine" OR "corona di alloro" OR "corona reale" OR ("corona" AND "porto") Erfasste Konstrukte/ Vielfalt • Umfang Berichterstattung Variablen • Gesellschaftliche Sphäre (1,0) • Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Beitrag • Thema (0,81) (bei manueller • Experten (0,91) Inhaltsanalyse: Relevanz Reliabilitätswert nach • Bedrohung durch Corona (0,65) Krippendorff’s Alpha) • Thema: Makro/Gesamtgesellschaft (0,81) Deliberationsqualität: • Regierungskritik / Kritische Distanz zu Regierung und Behörden (national) (0,93) • Umgang mit Zahlen (0,62) • Berichterstattungsstil (0,89) Zur Kontextualisierung und Typologisierung wurden zudem die Variablen Medientyp (recodiert aus der Variable Medium), zeitliche Phasen (recodiert aus der Variablen Datum) und geografischer Bezugsraum (1,0) erhoben. Analyseebene Gesamter Artikel (keine Mehrfachcodierungen) Tabelle 1: Studiendesign mit Merkmalen der manuellen und der automatisierten Inhaltsanalyse
4 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie Medien solche kritische Distanz halten und je mehr sowohl umfangreichere Textmengen als auch kom- bestimmten Akteuren unhinterfragt geglaubt wird, plexe, interpretationsbedürftige Inhalte zu unter- desto grösser ist die Gefahr unerwünschter, künfti- suchen und damit die jeweiligen Vorteile beider An- ger Nebenfolgen. Kritische Distanz heisst nicht, per sätze zu nutzen (Grimmer & Stewart, 2013). se in Opposition zu Akteuren zu gehen. Aber es be- Anhand der automatisierten Inhaltsanalyse deutet, sich kritisch mit ihren Einschätzungen aus- wurde für 34 Schweizer Nachrichtenmedien zum einanderzusetzen, um auf der Basis einer sorgfäl- einen das komplette Berichterstattungsvolumen tigen Abwägung unterschiedlicher Positionen ihren über Corona bzw. COVID-19 im Zeitverlauf er- Argumentationen zu folgen oder nicht. In dieser mittelt. Zum anderen wurden sämtliche in den Bei- Studie interessieren wir uns für die Frage, inwieweit trägen erwähnten wissenschaftlichen Akteure er- Medien dem Kriterium der Behördendistanz ent- fasst. Mithilfe der manuellen Inhaltsanalyse wurden sprechen. Deliberationsqualität ist weiter an einer für eine repräsentative Stichprobe von 22 Nachrich- objektiven, sachgerechten Berichterstattung festzu- tenmedien aus der Deutschschweiz und der Suisse machen. Im Falle der COVID-19-Problematik bedeu- romande Informationen zum berichteten Inhalt, wie tet dies unter anderem, einen informierten Umgang das dominierende Thema, die betreffende gesell- mit Zahlen und Statistiken zu pflegen. Unangemes- schaftliche Sphäre, die zu Wort kommende Expertin sene Vergleiche – z.B. von Fallzahlen zu Corona- und oder der Experte und der geografische Bezugsraum, Influenza-Infizierten – sind zu vermeiden. Dies setzt erhoben. Zudem wurden auch Berichterstattungs- einen kritisch-distanzierten Umgang mit Kennwer- merkmale wie z.B. der Umgang mit Zahlen oder Sta- ten voraus. Zahlen sollen nicht einfach nackt vermel- tistiken, der Berichterstattungsstil bzw. die Einord- det, sondern kritisch interpretiert und eingeordnet nungsleistung, das Darstellen einer Bedrohung durch werden. Deliberationsqualität bedeutet schliesslich, Corona sowie die Regierungs-/Behördenkritik im dass Medien zwar auch aktuell über neue Ereignisse Bericht identifiziert. Die genauen Variablenbeschrei- informieren sollen. Vor allem aber sollen sie Hinter- bungen und Codieranweisungen können dem Code- gründe aufzeigen, mögliche Ursachen und (Neben-) buch entnommen werden (Oehmer et al., 2020). Folgen zum Beispiel von Massnahmen wie dem Lock- down aufarbeiten. Das Vermelden von Breaking News, beispielsweise zu Infizierten- oder Todes- 3 Resultate zahlen in kurzen Abständen, zählt nicht zur Kern- aufgabe journalistischer Medien, weil eine solche 3.1 Vielfalt episodische Berichterstattung keinen Mehrwert schafft. Solche Informationen sind im Netz unbe- 3.1.1 Berichterstattungsverlauf und schränkt verfügbar. Sie können von den Nutzerinnen -intensität und Nutzern im digitalen Zeitalter auch ohne journa- listische Mitwirkung aus verschiedensten (z.B. be- ie automatisierte Analyse des erweiterten Me- hördlichen) Quellen bezogen werden. Entsprechend untersucht diese Studie im Kontext des Bericht- D diensamples zeigt, dass COVID-19 in allen drei Sprachregionen eine absolut zentrale Stellung ein- erstattungsstils auch die Einordnungsleistung der nimmt. Obwohl die Berichterstattung zu COVID-19 Medien. in sich vielfältig ist (vgl. Kapitel 3.1.2), führt die Dominanz des Themas jedoch auch zu einer thema- tischen Verengung. Dies zeigt der Anteil mit mindes- 2 Methodik tens einer Erwähnung zum Thema COVID-19 an der Gesamtberichterstattung, aufgeteilt nach Sprach- ür die Analyse der Vielfalt, der Relevanz und der regionen (vgl. Darstellung 1). In der Hochphase F Deliberationsqualität zum Thema Corona wurde eine automatisierte, computerbasierte sowie eine machen bis zu 70% der Beiträge im Text eine Refe- renz auf COVID-19. Im Vergleich der Sprachregionen manuelle quantitative Inhaltsanalyse durchgeführt wird ein ähnlicher Verlauf deutlich. In der Svizzera (vgl. Tabelle 1). Dieser doppelte Ansatz ermöglicht es, italiana ist das Thema allerdings etwas früher rele-
5 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie 1.1.2020 1.2.2020 1.3.2020 1.4.2020 1.5.2020 1.6.2020 30.6.2020 80% 70% 60% 50% 3 40% 1 30% 2 20% 10% 4 0% Phase 1: Phase 2: Phase 3: Phase 4: 1.1. – 27.2.2020 28.2. – 15.3.2020 16.3. – 7.4.2020 8.4. – 30.4.2020 1 Deutschschweiz 2 Suisse romande 3 Svizzera italiana 4 Klimadiskurs Darstellung 1: Täglicher Anteil an Medienberichten mit Referenz zu COVID-19 nach Sprachregionen Die Darstellung zeigt den Anteil der Beiträge mit mindestens einer Referenz zu COVID-19 bzw. zum Coronavirus (n = 100 612) an der gesamten Berichterstattung der untersuchten Medien (n = 308 616) nach Sprachregionen (Mediensample für die automatisierte Inhaltsanalyse). Als Referenzwert wurde der Anteil der Berichterstattung mit Bezug zum Klimadiskurs an der Gesamtberichterstattung verwendet (n = 14 334). Lesebeispiel: In der Svizzera italiana war der Anteil von Beiträgen mit Bezug zu COVID-19 an der Gesamtberichterstattung mit 75% am 21. April 2020 am höchsten. vant und wird vor allem in den ersten beiden Phasen raum hinweg hochgradig signifikant (r = 0,67), aller- intensiver in den Medien diskutiert. Ersichtlich dings nicht in allen Phasen gleich stark. In den ersten wird auch, dass die Thematisierung der Pandemie drei Phasen bis zur ersten Lockerung der Corona- Schwankungen ausgesetzt ist. Nach dem Verkünden Massnahmen am 27. April ist die Korrelation zwi- des Lockdowns nimmt der Stellenwert des Themas schen Berichterstattungsintensität und Fallzahlen ab, pendelt sich aber auf sehr hohem Niveau ein. sehr stark (r = 0,73). Nach dem Lockdown ist der Zu- Die Medienberichterstattung scheint sensitiv sammenhang deutlich weniger ausgeprägt (r = 0,32), für die Entwicklung der Fallzahlen in der Schweiz zu weil sich der Fokus der Berichterstattung auf die sein. Das zeigt die Gegenüberstellung der Medien- Folgen des Lockdowns verlagert. resonanz mit den täglich gemeldeten Fallzahlen Die extreme Aufmerksamkeitskonzentration des Bundesamts für Gesundheit (BAG, 2020) in Dar- auf die COVID-19-Pandemie geht mit thematischen stellung 2. Die Darstellung berücksichtigt den Zeit- Verdrängungseffekten einher. Ein Thema, das vor raum ab dem ersten erfassten Fall in der Schweiz Ausbruch der Pandemie sehr dominant war, ist der (24.2.2020) bis Ende Juni. Je mehr Fälle gemeldet Klimadiskurs. Um einen Vergleich zu ermöglichen, werden, desto intensiver fällt die Berichterstattung wurde die Entwicklung des Klimadiskurses mit dem aus. Gemäss dem Pearson Korrelationskoeffizienten gleichen Verfahren wie die COVID-19-Thematik un- ist dieser Zusammenhang über den gesamten Zeit- tersucht. Im Vergleich der beiden Themen werden
6 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie 24.2.20 2.3. 9.3. 16.3. 23.3. 30.3. 6.4. 13.4. 20.4. 27.4. 4.5. 11.5. 18.5. 25.5. 1.6. 8.6. 15.6. 22.6. 30.6. 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 Medienresonanz Fallzahlen pro Tag (BAG) Darstellung 2: Medienresonanz und Fallzahlen in der Schweiz Die Darstellung zeigt die tägliche Anzahl publizierter Beiträge im Mediensample für die automatisierte Inhaltsanalyse und die offiziell neu gemeldeten COVID-19-Fälle pro Tag in der Schweiz (Quelle: Bundesamt für Gesundheit). Dargestellt ist der Zeitraum ab dem ersten Fall in der Schweiz (24.2.2020) bis zum 30. Juni 2020. Lesebeispiel: Am 23. März wurden am meisten neue Fälle gemeldet (1464 Fälle). Am meisten Medienbeiträge zu COVID-19 wurden zwei Tage später am 25. März erfasst (1347 Beiträge). zwei Befunde deutlich: Obwohl erstens der Klima- bis Ende Juni 1638. Obwohl Corona also ein absolut diskurs vor Ausbruch der Pandemie bestimmend dominantes Thema war und ist, nimmt parallel der war, bewegt sich sein Anteil auch zu Spitzenzeiten Output an Medienberichten ab. Hier werden die nur selten über 10% des gesamten Berichterstat- Folgen der Pandemie für den Journalismus sichtbar: tungsvolumens zu COVID-19. Dies belegt die ausser- Auch Medienunternehmen führten Kurzarbeit ein, ordentlich hohe Berichterstattungsintensität zu und die journalistische Arbeit war teilweise nur ein- COVID-19. Zweitens zeigt sich, dass die Bedeutung geschränkt möglich. So fand beispielsweise kaum des Themas Klimawandel in Schweizer Medien ab mehr Sportberichterstattung statt. Die journalis- dem Moment abnimmt, als die Berichterstattung tischen Ressourcen wurden stark bis ausschliesslich zur Pandemie zunimmt. Die Berichterstattung über auf die Bearbeitung des Themas COVID-19 fokus- COVID-19 verdrängt also andere, wichtige Themen siert. Umso wichtiger ist die Überprüfung, wie viel- von der Medienagenda, das heisst, geht mit Blick auf fältig die Themen sind, welche die Medien innerhalb die Gesamtberichterstattung mit erheblichen Viel- der breiten COVID-19-Thematik verhandeln. faltsverlusten einher. Ebenfalls wird deutlich, dass das Volumen der Gesamtberichterstattung während der Pandemie abnimmt. Von Anfang Jahr bis zum 3.1.2 Themenvielfalt Lockdown am 16. April werden über alle Medien hin- weg betrachtet im Durchschnitt täglich 1804 Bei- ie Vielfalt der Themen innerhalb der COVID- träge publiziert. Während des Lockdowns sind es noch 1590 pro Tag, nach der Lockerung vom 27. April D 19-Berichterstattung wurde anhand von zwei Merkmalen erhoben: Erstens wurde ermittelt, welche
7 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie gesellschaftlich-öffentliche (Politik, Wirtschaft, Kul- tur) oder gemeinschaftlich-private Sphäre (Sport, Be- 0% 20 40 60 80 100 völkerung/Human Interest) im Mittelpunkt des Bei- Phase 1: Vielfaltswert: 1 2 3 4 5 trages standen. Zweitens wurde das Thema identifi- 1.1. – 27.2.20 2,08 ziert, über das zentral im Beitrag berichtet wurde. Phase 2: Vielfaltswert: Unterschieden wurde dabei zwischen den Themen 28.2. – 15.3.20 2,70 «Grundlagenwissen über Corona und Pandemie», Phase 3: Vielfaltswert: «Umgang mit der Pandemie», «Massnahmen gegen 16.3. – 7.4.20 2,65 Corona/Pandemie auf individueller (Mikro), organi- Phase 4: Vielfaltswert: 8.4. – 30.4.20 2,55 sationaler (Meso) oder gesamtgesellschaftlicher Ebene (Makro)», «Schäden (Mikro, Meso, Makro)», 1 Politik 4 Wirtschaft «Nutzen (Mikro, Meso, Makro)», «Hilfen zur Bewäl- 2 Medizin 5 Sport 3 Bevölkerung/Gesellschaft tigung der Corona-Folgen» und «Exit(-strategien) aus dem Lockdown und Lockerung der Massnah- Darstellung 3: Sphäre nach Phasen men». So konnte z.B. erfasst werden, ob und ab wann in der Berichterstattung durch das Coronavirus di- Die Darstellung zeigt für die verschiedenen Phasen den jeweiligen Anteil rekt oder indirekt verursachte (potenzielle) Schäden der berichteten Sphären (inklusive Vielfaltswert). Abgebildet sind nur die Sphärenbereiche, die insgesamt mindestens rund 5% Anteil an der Gesamt- für die Sphäre der Wirtschaft oder für die Sphäre der berichterstattung aufweisen. Datengrundlage sind alle Beiträge, die mit Kunst thematisiert werden. der manuellen Inhaltsanalyse untersucht wurden (n = 1448). Zur Bestimmung der Vielfalt der Berichterstat- Lesebeispiel: 29,4% der Beiträge, die in der vierten Phase veröffentlicht wurden, fokussieren auf die Sphäre der Politik. tung wurde auf das Vielfaltsmass «Shannon H» zu- rückgegriffen (fög, 2020). Als Grundregel für die In- terpretation gilt: Je höher der Wert, desto vielfältiger ist die Berichterstattung. Der pro Merkmal mögliche Medientyps erbracht werden, sondern nur die Leis- Maximalwert entspricht dem Idealwert, der erreicht tungen einzelner Medientitel, so ist festzustellen, ist, wenn sämtliche Themenoptionen in gleichem dass die Weltwoche (1,38) und der SonntagsBlick Masse innerhalb der Berichterstattung berücksich- (1,38) mit Blick auf die fokussierten Sphären ver- tigt wurden. gleichsweise wenig divers berichten: In der Welt- Insgesamt erreicht die Berichterstattung über woche dominieren mit 46,4% Anteil vor allem Bei- Corona mit 2,62 einen vergleichsweise nah am Ideal- träge aus dem Politikbereich. Der SonntagsBlick wert von 3,30 liegenden Vielfaltswert, was die The- fokussiert auf Themen des Sports (21,8%) und aus matisierung der gesellschaftlichen Sphären betrifft: der Bevölkerung (23,6%). Die höchsten Vielfalts- Politik (25,9%), Wirtschaft (18,4%), Medizin (21,7%) werte erzielen aargauerzeitung.ch (2,59) sowie lenou- finden somit eine vergleichsweise umfassende Be- velliste.ch (2,63). rücksichtigung in der Berichterstattung, und die Deutlich grössere Unterschiede lassen sich im Vielfalt der Berichterstattung über die Pandemie ist Zeitverlauf feststellen: Die geringste Vielfalt weist hoch einzustufen. Am vielfältigsten berichten dabei die erste Phase im Januar und Februar 2020 auf. Hier in ihrer Gesamtheit die Sonntags- und Wochen- wird die Berichterstattung zu insgesamt knapp 70% zeitungen, die sich im Vergleich auch deutlich inten- aus der Perspektive der Medizin (42,2%) und der siver den Themen aus dem Bereich Wissenschaft Wirtschaft (26%) dargestellt (vgl. Darstellung 3). Im (6,3%) oder Kunst (4%) widmen. Auffallend ist, dass Mittelpunkt stehen dabei vor allem Beiträge, die die Boulevard- und Gratismedien (2,57) das Thema Grundlagen zum Coronavirus (Infektionsrate, Über- Corona vor allem aus der Perspektive der Bevölke- tragungsmodi, Symptome) sowie zu potenziellen rung behandeln. Die Politiksphäre wird bei ihnen im Auswirkungen auf die Aktienmärkte und die Export- Vergleich zu den anderen Medientypen seltener wirtschaft vermitteln. Der geografische Bezugsraum angesprochen. Eine etwas geringere Vielfalt mit 2,46 dieser Berichte war vor allem das Ausland (Schwer- weisen TV-Berichte auf. Berücksichtigt man nicht punkt: China), das heisst, die Gefahr ist noch nicht in nur die Vielfalt, die gemeinsam von allen Titeln eines unmittelbare Nähe zur Schweiz gerückt. Die zweite
8 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie In Ergänzung zu den allgemeinen Sphären 0% 20 40 60 80 100 wurden auch die konkreten Themenschwerpunkte Öffentlicher Vielfaltswert: untersucht. Unterschieden wurden 20 Themenkate- 1 2 3 4 5 67 Rundfunk 3,60 gorien (mit 7 Oberkategorien), die Frage- und Prob- Sonntag/ Vielfaltswert: lemstellungen wie allgemeine «Informationen über Magazin 3,41 das Coronavirus», aber auch konkrete «Massnahmen Boulevard/ Vielfaltswert: gegen Corona», «Hilfsmassnahmen zur Linderung Pendler 3,38 von Corona-Folgen» oder auch der «Schaden» oder Abonnement Vielfaltswert: «Nutzen» der ergriffenen Massnahmen erfassten. 3,57 Auch hier zeigt sich analog zu den Sphären ein 1 Corona/Pandemie 5 Hilfe vergleichsweise nah am Ideal von 4,32 liegender Ge- 2 Umgang 6 Nutzen samtvielfaltswert (3,55): Insgesamt lässt sich damit 3 Massnahmen 7 Exit 4 Schaden das Bemühen um eine thematische Vielfalt erken- nen. Die grösste thematische Diversität und Aus- Darstellung 4: Themen nach Medientyp gewogenheit erzielen dabei Beiträge aus dem öffent- lichen Rundfunk (3,60), die im Vergleich zu den Die Darstellung zeigt für die erfassten Medientypen den jeweiligen Anteil anderen Medientypen stärker die in der politischen der aggregierten Themenbereiche (inklusive Vielfaltswert). Datengrund- Sphäre ausgehandelten Exitstrategien und die Locke- lage sind alle Beiträge, die mit einer manuellen Inhaltsanalyse untersucht wurden (n = 1448). rung der Massnahmen thematisierten (vgl. Darstel- Lesebeispiel: 30,3% der Beiträge, die in Boulevard- und Pendlermedien ver- lung 4). Eine vergleichsweise geringere Themenviel- öffentlicht werden, berichten über die Massnahmen gegen das Coronavirus. falt zeigen die Boulevard- und Pendlermedien (3,38), die nicht nur einen starken Fokus auf die politischen und medizinischen Massnahmen (30,3%), sondern Phase vor dem Lockdown, also die Phase der «beson- auch auf den Umgang mit Corona und der Krise deren Lage», erweist sich mit Blick auf das Vielfalts- (27,9%) und damit auf stark lebensweltliche Aspekte mass (2,70) am diversesten: In dieser Phase stehen der Pandemie legen (vgl. Darstellung 4). In der Ge- zunehmend die (möglichen) Auswirkungen des Co- samtbetrachtung erzielen Sonntags- und Wochen- ronavirus und der Massnahmen zu seiner Bekämp- zeitungen aufgrund der starken Fokussierung auf fung für alle gesellschaftlichen Teilbereiche vor Themen zu gesamtgesellschaftlichen Massnahmen allem in der Schweiz im Fokus der Berichterstattung. (30,1%) ebenfalls einen geringeren thematischen So erhalten z.B. auch die Diskussion um die Verschie- Vielfaltswert (3,41). bung und Absage von sportlichen (Gross-)Ereignis- In den ersten beiden Phasen ist die Vielfalt der sen und damit die Sphäre des Sports in diesem Zeit- Themenschwerpunkte noch eingeschränkt; sie raum mit 13,7% Anteil an der Berichterstattung ihre nimmt über die vier Analysezeiträume hinweg stetig höchste mediale Resonanz. Auch Themen des Kunst- zu: Die Auseinandersetzung und Vermittlung von bereichs werden mit 5,1% in dieser Phase vergleichs- Grundlagenwissen über Corona, Viren und die Pan- weise häufiger thematisiert. Mit zunehmendem Be- demie beanspruchen in der ersten Phase einen deutungsgewinn der politischen Sphäre sowie der Grossteil der medialen Aufmerksamkeit (40,3%), Gesellschaftssphäre rücken andere Sphären wieder sodass anderen Themen nur wenig Platz eingeräumt in den Hintergrund. In der Folge sinkt die Vielfalt in wurde. In der ersten Phase wird daher nur ein Viel- der dritten Phase (Lockdown) und der vierten Phase faltswert von 2,72 erzielt. In der zweiten Phase (Viel- (Ankündigung von Lockerungen) mit Werten von faltswert: 3,22), während der sich die Schweiz in der 2,65 bzw. 2,55 etwas ab. Die Entscheidungen und «besonderen Lage» befand und sich die Situation der Umgang mit Corona sowie Überlegungen zur zuspitzte, fokussiert fast jeder zweite Beitrag auf Exitstrategie ausländischer Regierungen werden da- die diskutierten oder bereits implementierten Mass- bei zunehmend thematisiert – das Ausland als geo- nahmen (44,3%) wie z.B. die Sperrung von öffent- grafischer Bezugsraum gewinnt in der dritten und lichen Plätzen oder auch Grenzschliessungen. Die der vierten Phase wieder an Gewicht. Mehrheit dieser Beiträge richtet dabei ihren geo-
9 D e Q tt de Med ee chtetttg z C ona-Pandemie grafischen Fokus auf die Gesamtschweiz (45,1%) 3.1.3 Expertenvielfalt oder regionale bzw. kantonale Bezugsräume (20,4%). Massnahmen, die allein aus internationaler Perspek- ournalistinnen und Journalisten sind aufgrund tive dargestellt (27,4%) oder gemeinsam im Kontext der Schweiz besprochen (7,1%) werden, nehmen ein J der Vielzahl und der Heterogenität der zu be- richtenden Ereignisse auf externes Expertenwissen Drittel der Berichterstattung ein. Nicht nur die angewiesen. Gerade ein Thema wie die Corona-Pan- Massnahmen selbst, sondern auch zu erwartende demie, das so komplex ist und alle gesellschaftlichen Schäden wegen der Corona-Pandemie sind mit 21,4% Teilbereiche betrifft, erfordert den Rückgriff auf bereits ein Thema, wenn auch weniger ausgeprägt als Personen mit spezifischen Kenntnissen und Er- in einer späteren Phase. In 29,5% dieser Beiträge fahrungen. Um das Ausmass und die Diversität der wird über das Ausland wie China oder Italien berich- Expertinnen und Experten, die in den Beiträgen Re- tet, das sich teilweise bereits in einem fortgeschritte- sonanz erhalten, zu analysieren, wurden Daten nen Stadium der Pandemie befand und somit als manuell und automatisiert erfasst. Richtmarke fungieren konnte. Die Mehrheit der Die manuelle Inhaltsanalyse erfasste die gesell- (möglichen) Schäden wird jedoch mit Blick auf die schaftliche Sphäre bzw. den Teilbereich, in dem die Gesamtschweiz (40,7%) oder einzelne Kantone bzw. Expertin oder der Experte agiert (erhoben wurden Regionen (25,1%) besprochen. Zudem rücken in der 14 Oberkategorien darunter Wirtschaft, Wissen- zweiten Phase erstmals Beschreibungen des Um- schaft, Medizin, Gesundheit und Pflege usw.). Die gangs mit der Krise in Beruf und Alltag in den Vor- manuelle Inhaltsanalyse fokussierte bewusst auf ein dergrund (17,3%). In der dritten Phase, dem Lock- breites Spektrum von Expertinnen und Experten. down, nimmt die Vielfalt nochmals zu (Vielfaltswert: Dabei wurden nicht ausschliesslich wissenschaft- 3,51). Unter anderem verstärkt sich die Darstellung liche Akteure betrachtet (diese werden detaillierter des Umgangs wie z.B. Situationsbeschreibungen aus in der automatisierten Inhaltsanalyse in Kapitel 3.1.4 Spitälern noch weiter (21,0%). In der dritten Phase untersucht). Alle Akteure, die wegen ihres privi- werden in den Beiträgen zudem am häufigsten Hilfs- legierten Wissens schwerpunktmässig im Beitrag massnahmen (10,3%) zentral behandelt. Schäden ihre Position, Ansicht, Entscheidung oder auch werden weiterhin in rund jedem fünften Beitrag the- Forderung vermitteln (können), werden als Ex- matisiert (21,1%). Für die vierte Phase, als mögliche pertinnen und Experten berücksichtigt, das heisst Lockerungen in Aussicht gestellt wurden, kann ein auch solche aus anderen Sphären wie zum Beispiel Wert von 3,69 und damit eine deutlich ausgegliche- der Kultur oder dem Sport. Dazu wurden auch Gast- nere Themenwahl nachgewiesen werden. In diesem kommentatorinnen und -kommentatoren gezählt. Zeitraum wird weiterhin insbesondere über die er- Diesem Kriterium folgend lassen 83% der Beiträge griffenen und diskutierten Massnahmen (28,7%) eine Expertin oder einen Experten schwerpunkt- sowie den Umgang mit Corona und die Massnahmen mässig zu Wort kommen. Hier zeigt sich, dass sich in Beruf und Alltag (20,0%) berichtet. Die Beachtung die Berichterstattung zu COVID-19 stark auf externe für die durch Corona verursachten Schäden und die Expertinnen und Experten abstützt. Besonders damit verbundenen «Exit»- bzw. Lockerungsdiskus- häufig können Expertinnen und Experten ihre An- sionen nimmt zu (insgesamt 26,9%). sichten in TV-Berichten vermitteln: Nur 14,3% der Zusammenfassend wird die Berichterstattung Beiträge enthalten schwerpunktmässig keine Ex- den sich ändernden Informationsbedürfnissen der pertenmeinung. In Sonntags- und Wochenmedien ist Bevölkerung im Laufe eines Krisenzyklus weitge- die Anzahl Beiträge ohne Expertenmeinung doppelt hend gerecht. Zunächst erfolgt die Vermittlung von so hoch (29,7%). Grundlagenwissen, dann stehen die Massnahmen Am meisten finden Wirtschaftsvertreterinnen zur Bekämpfung der Krise deutlich im Vordergrund, und -vertreter (Unternehmerinnen und Unterneh- gefolgt von der gemeinsamen Fokussierung auf die mer, Gewerkschaften usw.) in der Medienbericht- Massnahmen und den Umgang mit der Krise sowie erstattung eine Bühne für ihre Positionen (13,6%). abschliessend der Darstellung von Umgang, Mass- Auch ausländische Behördenrepräsentanten mit Ex- nahmen und verursachten Schäden. pertenstatus (8,2%) und Wissenschaftlerinnen und
10 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie Wissenschaftler (7,6%) sowie Vertreterinnen und und -vertreter (11,4%) in den Medien zu Wort. Auch Vertreter aus dem Bereich Gesundheit und Pflege Sportverbände (11,8%), die Bevölkerung (10,6%) und (7,1%) finden in den Medien Gehör. Trotz ihrer nationale politische Akteure, zu denen kantonale gesamthaft grossen Resonanz erscheinen nationale Regierungen und Verwaltungen und Parteien gezählt Regierungsvertreterinnen und -vertreter (4,6%) und wurden, wird ein Expertenstatus (7,9%) zugestan- das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit dessen den. In der dritten und der vierten Phase konsultie- Vertreter Daniel Koch (3,2%) vergleichsweise wenig ren die Medien erneut Akteure aus der Wirtschaft in der Expertenrolle. Lediglich zu Beginn der Krise – (14,7%) zu den Folgen der Krise für die inländische in der ersten Phase – findet das BAG mit 5,8% in den Wirtschaft. Die übrigen in der Berichterstattung hin- Medien mit einer Rahmung als Experte Aufmerksam- zugezogenen Expertinnen und Experten verteilen keit. Die geringe Expertenresonanz der Regierung sich, mit Ausnahme der Justiz, gleichmässig auf die und der Behörden liegt darin begründet, dass sie anderen gesellschaftlichen Sphären. Dass die Coro- zwar als handelnde Akteure in der Berichterstattung na-Pandemie ein gesamtgesellschaftliches Problem oft thematisiert werden, jedoch selbst nicht als Ex- darstellt, zu dem sich auch verschiedene Experten- pertinnen und Experten zu Wort kommen. Dass gruppen äussern und ihre Perspektive einbringen Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertreter sollten, wird somit in den Medien ab Mitte März und das BAG in der Berichterstattung nicht domi- 2020 weitgehend Rechnung getragen. nant in Expertenrollen aufscheinen, ist auch als Die für die einzelnen Medientypen berechne- Zeichen einer vorhandenen Behörden- und Regie- ten Vielfaltswerte liegen zwischen 3,51 (Sonntag/ rungsdistanz (vgl. Kapitel 3.3.1) zu deuten. Auch in- Magazin) und 3,66 (öffentlicher Rundfunk) und kön- ternationale Organisationen (3,1%) wie die Welt- nen damit ebenfalls als Indikator für einen ver- gesundheitsorganisation (WHO) sowie Angehörige gleichsweise vielfältigen Experteneinsatz gewertet des Militärs und der Polizei, die häufig mit der werden. Die Schwerpunktsetzung bei der Experten- Durchsetzung der Massnahmen und der Sanktio- auswahl unterscheidet sich jedoch nach Medientyp: nierung der Verstösse beauftragt sind (1,8%), finden Die Newssites der Abonnementszeitungen greifen sich vergleichsweise wenig als Expertinnen und Ex- am häufigsten auf Wirtschaftsvertreterinnen und perten in der Berichterstattung wieder. -vertreter (15,6%) sowie auf internationale Regie- Bei der Auswahl der Expertinnen und Experten rungsrepräsentantinnen und -repräsentanten (8,3%) lässt sich mit Blick auf den Vielfaltsindex (Shannon und Forschende (8,3%) zurück. Die Newssites der H) im Zeitverlauf eine relativ grosse Diversität fest- Pendler- und Boulevardzeitungen verschaffen zudem stellen: Der Vielfaltsindex liegt stetig steigend zwi- auch der Bevölkerung (10,4%) Gehör. schen 3,41 in der ersten Phase und 3,66 in der vierten Betrachtet man die Verteilung der Expertinnen Phase und damit jeweils nah am Idealwert von 3,8. In und Experten nach Beitragsstil (Information, Inter- der ersten Phase werden mehrheitlich Wirtschafts- pretation, Meinung, Interview), so fällt auf, dass sich vertreterinnen und -vertreter (17,5%) und Repräsen- in Informationsbeiträgen überwiegend Wirtschafts- tanten ausländischer Regierungen (12,3%) als Exper- akteure (15,4%) und internationale Regierungen tinnen und Experten hinzugezogen: Diese nehmen (9,8%) äussern. In den umfassenderen Interpreta- Stellung zur Entwicklung der Epidemie in China und tionsbeiträgen und den Interviews dominieren hin- zu den Auswirkungen für die internationale Wirt- gegen deutlich die Wissenschaftlerinnen und Wis- schaftsleistung. Auch Medizinerinnen und Mediziner senschaftler mit 13,6% bzw. 16,3% Berichterstat- (5,8%) und Angehörige des Gesundheits- und Pflege- tungsanteil. Dies ist ein Hinweis darauf, dass das bereichs (8,4%) werden um Einschätzung gebeten, Bedürfnis nach Einordnung und Orientierung insbe- jedoch in deutlich geringerem Umfang, als dies die sondere durch wissenschaftliche Expertenstimmen starke Thematisierung der Sphäre Medizin (s.o.) hät- hoch ist. Gerade deswegen ist es notwendig, zu te vermuten lassen. In der zweiten Phase kommen untersuchen, welche wissenschaftlichen Akteure zu mit der Verbreitung des Virus innerhalb von Europa Wort kommen und wie ausgeprägt die Vielfalt der und als sich die Situation auch in der Schweiz zu- hinzugezogenen Wissenschaftlerinnen und Wissen- spitzte, nicht mehr nur Wirtschaftsvertreterinnen schaftler ist.
11 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie 3.1.4 Vielfalt der Repertoires an Wissen- sitäten tätig. Einerseits lässt sich dies durch die schaftlerinnen und Wissenschaftlern geografische Nähe und ihre Verfügbarkeit für jour- nalistische Anfragen erklären. Andererseits haben n Ergänzung zur manuellen Analyse der Expertin- Schweizer Hochschulen, Universitäten und For- I nen und Experten wurden mittels einer automati- sierten Analyse die meistthematisierten Wissen- schungsstätten auch eine international anerkannte Expertise im Bereich der Virologie und der Epide- schaftlerinnen und Wissenschaftler in den unter- miologie. Nur wenige Experten von ausländischen suchten Medien ermittelt (vgl. Tabelle 2). Diese Institutionen erhalten Resonanz. Es sind in erster Analyse beschränkte sich im Gegensatz zur manuel- Linie sehr prominente Figuren wie Christian Dros- len Inhaltsanalyse auf namentlich genannte Expertin- ten oder Didier Raoult. Letzterer ist mit verschiede- nen und Experten (z.B. Christian Althaus, Marcel nen spekulativen Theorien zu COVID-19 aufgefallen. Salathé, Beda Stadler) aus dem wissenschaftlichen Mittels einer Korrespondenzanalyse wurde an- Kontext, das heisst auf individuelle wissenschaftliche schliessend ein Mapping der Wissenschaftlerinnen Rollenträger von Hochschulen, Universitäten oder und Wissenschaftler und der Medien durchgeführt Forschungseinrichtungen. Die Wissenschaftlerinnen (vgl. Darstellung 5). Je näher sich Wissenschaft- und Wissenschaftler wurden induktiv ermittelt. Dazu lerinnen oder Wissenschaftler in der Grafik bei wurden automatisiert Namen in der COVID-19-Be- einem Medium befinden, desto mehr erhalten sie in richterstattung erfasst und manuell als Wissenschaft- diesem Medium Resonanz. Die Grösse der Kugel er- lerinnen oder Wissenschaftler identifiziert. Für die fasst zudem ihre Resonanz über alle untersuchten nachfolgenden Analysen wurden die 30 Wissen- Medien hinweg. Je näher die Wissenschaftlerinnen schaftlerinnen und Wissenschaftler erfasst, die in der und Wissenschaftler im Zentrum sind, desto eher analysierten Berichterstattung über die vier Phasen handelt es sich um «Konsensexperten», die in vielen am meisten Resonanz erhielten. Als Referenzwert Medien Resonanz erhalten. Je weiter weg sie vom wurden Daniel Koch, Leiter der Abteilung Übertrag- Zentrum sind, desto exklusiver erhalten sie Reso- bare Krankheiten des Bundesamts für Gesundheit nanz in einzelnen Medien. Daniel Koch befindet sich (BAG), und Tedros Adhanom, der Generaldirektor – im Sinne eines Referenzwerts – in der Abbildung der WHO, miterhoben, obwohl beide nicht dem en- ziemlich genau in der Mitte. Er wird in allen Medien geren wissenschaftlichen Handlungsfeld zuzurech- sehr stark thematisiert, allerdings vergleichsweise nen sind und in der Berichterstattung primär als weniger in den Medien der Suisse romande oder in Sprecher ihrer jeweiligen Institution auftreten. der Weltwoche. Die Resultate zeigen: Wenig überraschend for- Auffällig sind zunächst die Unterschiede zwi- schen die meisten wissenschaftlichen Expertinnen schen den Sprachregionen. Offenbar haben die Me- und Experten im Bereich der Virologie, Epidemio- dien der Deutschschweiz und der Suisse romande logie und Immunologie. Unter den 30 meistthema- deutlich unterschiedliche Repertoires an Wissen- tisierten Wissenschaftsakteuren befinden sich ledig- schaftsexpertinnen und Wissenschaftsexperten. Die lich drei, die nicht im medizinisch-biologischen Medien der Suisse romande geben den WHO-Ex- Bereich forschen. Diese sind alle Ökonomen. Sozial- perten Tedros Adhanom und Michael Ryan mehr wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, z.B. aus Raum in ihrer Berichterstattung. Die Deutsch- den Bereichen Psychologie, Soziologie oder Polito- schweiz blickt hingegen stärker nach Deutschland, logen, tauchen in dieser Liste nicht auf. Obwohl viele und allen voran Christian Drosten erhält viel Reso- verschiedene Expertinnen und Experten im Diskurs nanz. Es gibt fast keine Expertinnen oder Experten, zu COVID-19 in den Medien Resonanz erhalten, ist die in beiden Sprachregionen die gleich starke Reso- eine Vielfalt der Disziplinen nicht gegeben. Der öko- nanz erhalten. Eine Ausnahme ist Isabella Eckerle, nomischen und der sozialen Perspektive wird, zu- die aus Deutschland stammt und das Zentrum für mindest was die wissenschaftlichen Expertinnen und neu auftretende Viruserkrankungen an der Univer- Experten angeht, wenig Gewicht gegeben. sität Genf leitet. Sie ist, neben Emma Hodcroft, Die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissen- gleichzeitig auch die einzige Frau unter den 30 meist- schaftler sind Schweizer oder an Schweizer Univer- thematisierten Expertinnen und Experten. Wissen-
12 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie Medium Shannon H CR1 CR3 Experte/ Top-3-Akteure Corona-Beitrag srf.ch 2,89 0,12 0,31 8,3 Salathé, Egger, Vernazza blick.ch 2,84 0,17 0,37 5,7 Drosten, Salathé, Stadler nzz.ch 2,78 0,15 0,37 4,8 Salathé, Drosten, Widmer 24heures.ch 2,70 0,13 0,35 5,1 Raoult, Pittet, Flahault watson.ch 2,65 0,21 0,45 6,1 Salathé, Drosten, Althaus aargauerzeitung.ch 2,64 0,21 0,46 3,5 Salathé, Drosten, Stadler bernerzeitung.ch 2,63 0,16 0,46 3,6 Althaus, Drosten, Salathé 20minuten.ch 2,58 0,19 0,47 4,3 Drosten, Stadler, Aguzzi tagesanzeiger.ch 2,57 0,22 0,54 5,3 Drosten, Althaus, Salathé NZZ am Sonntag 2,52 0,17 0,46 6,4 Althaus, Salathé, Neher letemps.ch 2,46 0,16 0,45 7,5 Pittet, Raoult, Nanshan lematin.ch 2,38 0,23 0,48 3,5 Raoult, Ryan, Eggimann Sonntagszeitung 2,34 0,21 0,46 4,7 Althaus, Salathé, Drosten lenouvelliste.ch 2,31 0,19 0,53 2,6 Nanshan, Raoult, Ryan 20minutes.ch 2,24 0,26 0,55 2,9 Raoult, Nanshan, Ryan Weltwoche 2,22 0,25 0,5 5,5 Stadler, Aguzzi, Vernazza rts.ch 2,16 0,24 0,59 5,9 Pittet, Nanshan, Fellay SonntagsBlick 2,11 0,3 0,5 5,4 Drosten, Althaus, Salathé Le Matin Dimanche 1,49 0,38 0,75 3,9 Raoult, Flahault, Salathé Tabelle 2: Kennzahlen zu den Repertoires an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der einzelnen Medien Die Tabelle zeigt jeweils pro Medium den Anteil der Beiträge mit Nennung einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers, die Vielfalt der Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftler gemäss Shannon H sowie die Konzentration der Expertinnen und Experten über den Anteil des meistgenannten Akteurs (CR1) bzw. der drei meistgenannten Akteure (CR3). Lesebeispiel: In der Berichterstattung von srf.ch wird in 8,3% der Beiträge eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler thematisiert. Das Repertoire an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von srf.ch weist eine Vielfalt von 2,89 gemäss Shannon H auf. Der meistgenannte Wissenschaftler Marcel Salathé vereint 12% der Resonanz auf sich. Die drei meistgenannten Wissenschaftler nehmen 31% der Resonanz ein. schaftliche Expertinnen sind also im Diskurs zu nität gegen das Coronavirus aufgebaut werden, für COVID-19 stark untervertreten. Aufsehen. Die weiteren Medien und Expertinnen Gemäss der Auswertung ist die Suisse romande und Experten der Deutschschweiz liegen gemäss homogener, was die Expertenthematisierung angeht. Darstellung 5 relativ nahe beisammen. Die Nähe zu Experten sowie Medien liegen alle sehr nahe bei- den Expertinnen und Experten in der Darstellung einander. In der Deutschschweiz präsentiert sich die scheint dabei auch durch die Medienunternehmen Expertenlandschaft zur COVID-19-Thematik hetero- oder Verbundsysteme bestimmt zu sein. Es lässt gener. Am stärksten weicht die Weltwoche ab, die sich ein TX Group-Cluster mit bernerzeitung.ch, dem Experten Beda Stadler vergleichsweise viel tagesanzeiger.ch und SonntagsZeitung, die grosse Platz einräumt oder auch Reiner Eichenberger rela- Teile der Berichterstattung miteinander teilen, iden- tiv prominent zu Wort kommen lässt. Stadler fiel mit tifizieren. Auch blick.ch und der SonntagsBlick sowie eher kritischen Einschätzungen zur Lockdown-Stra- aargauerzeitung.ch und watson.ch sind jeweils relativ tegie des Bundes auf. Der Ökonom Eichenberger nahe beieinander. In der Berichterstattung dieser sorgte mit der Äusserung, mit einer gezielten Durch- Gruppen werden somit in der Tendenz die gleichen seuchung der Bevölkerung könne eine Herdenimmu- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler themati-
13 Die Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie –1,5 –1,25 –1 –0,75 –0,5 –0,25 0 0,25 0,5 0,75 1 Stadler 1,4 1,2 Weltwoche 1 Vernazza 0,8 Sax Raoult Eichenberger 0,6 Sturm Aguzzi 0,4 Flahault 20minuten.ch Koch Le Matin Dimanche 0,2 Yazdanpanah Adhanom 20minutes.ch Eggimann lematin.ch Sonntagsblick letemps.ch watson.ch Pittet 24heures.ch Eckerle aargauerzeitung.ch blick.ch 0 rts.ch lenouvelliste.ch Egger Salathé Drosten Fellay Nanshan Streeck Ryan srf.ch nzz.ch –0,2 tagesanzeiger.ch Hodcroft Battegay Neher –0,4 Brunetti bernerzeitung.ch Griot Sonntagszeitung Berger NZZ am Sonntag –0,6 Thiel Widmer Bachmann Althaus –0,8 Darstellung 5: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Berichterstattung zur Corona-Pandemie Die Grafik veranschaulicht die Resonanz der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den einzelnen Medien in Phase 1 bis 4 (ohne Radio und TV- Sendungen). Die Grösse der Kugel zeigt, wie oft die Person in der Berichterstattung insgesamt thematisiert wurde (Anzahl Beiträge). Die Position der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und der Medien in der Grafik zeigt die relative Bedeutung der Person in der Berichterstattung des jeweiligen Mediums. Je näher, desto exklusiver wurde ein Akteur in einem Medium thematisiert. Je weiter eine Beobachtung vom Ursprung des Koordinatensystems entfernt liegt, desto stärker unterscheidet sie sich vom Durchschnitt. Die X-Achse wird durch die Sprachregion bestimmt, die Y-Achse durch die Medien- typen. Die Werte wurden mittels einer Korrespondenzanalyse ermittelt. Lesebeispiel: Beda Stadler erhielt vergleichsweise oft in der Weltwoche Resonanz. Im Vergleich zu den anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- lern wurde er durchschnittlich oft thematisiert.
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