WIE WEITER NACH DEM LOCKDOWN? DIE SARS-COV-2 PANDEMIE UND STRATEGIEN FÜR DEN ÖPNV - EIN HANDLUNGSLEITFADEN
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Wie weiter nach dem Lockdown? Die SARS-CoV-2 Pandemie und Strategien für den ÖPNV Ein Handlungsleitfaden
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden Das Mobility Institute Berlin (mib) ist ein Beratungs- und Forschungsunternehmen, das den nachhaltigen Wandel urbaner Mobilität vorantreibt. Es ist unsere Mission, Städte durch attraktive und effiziente Mobilitätsangebote lebenswerter zu machen. Wir sind überzeugt, dass der öffentliche Verkehr das Rückgrat eines umfassenden nachhaltigen Mobilitätssystems ist, das auch Fußgänger*innen, Radfahrer*innen, Autos und neue Mobilitätsdienste umfasst. Gemeinsam mit unseren Kund*innen aus Politik, Verwaltung und dem Verkehrssektor erarbeiten wir klare Visionen zur nachhaltigen Zukunft urbaner Mobilität. Darauf aufbauend formulieren wir Strategien und planen deren Umsetzung. Dabei arbeiten wir faktenbasiert, werten systematisch große Datenmengen aus und wenden innovative Analysemethoden an. Proaktives Changemanagement ist für uns essenzieller Bestandteil erfolgreicher Transformationsprozesse. Autor*innen Dr. Jörn Richert Head of Consulting jri@mobilityinstitute.com Irene Cobián Martín Business Development Manager irc@mobilityinstitute.com Samuel Schrader Business Development Manager sas@mobilityinstitute.com Herausgeber Mobility Institute Berlin (mib) mib Mobility GmbH Neue Schönhauser Straße 20 10178 Berlin Kontakt: info@mobilityinstitute.com https://mobilityinstitute.com © mib, 2020 Version 1.01i 1
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden EXECUTIVE SUMMARY Die SARS-CoV-2ii Pandemie hat die Welt zum Stillstand gebracht und damit auch die urbane Mobilität. #Stayathome ist nicht nur ein Trend in den sozialen Medien, Menschen bleiben tatsächlich zu Hause. Besonders hart hat es den ÖPNV getroffen: In manchen europäischen Städten gingen die Fahrgastzahlen um bis zu 95 % zurück. Verkehrsunternehmen und -behörden arbeiten unter größten Anstrengungen, um die akuten Herausforderungen der Krise zu meistern. Nach der Krise steht jedoch der Übergang in die nächste Phase der Pandemie an. Damit rücken zunehmend längerfristige, strategische Fragen in den Vordergrund. Deshalb analysiert diese Studie die längerfristigen Auswirkungen der SARS-CoV-2 Pandemie auf urbane Mobilität und den ÖPNV. Wir stützen uns auf aktuelle wissenschaftliche Debatten zur Pandemie, Mobilitäts- und ÖPNV-Expertise und auf Interviews mit Verkehrsunternehmen, -behörden und - expert*innen sowie mit New Mobility-Akteuren aus ganz Europa. Unsere wichtigsten Ergebnisse sind: Die Pandemie Mobilitätsverhalten ÖPNV-Strategie Die aktuelle Krise ist nur Die Mobilitätsnachfrage Neben dem momentanen der Anfang. Die SARS- wird zum Ende der Krise Krisenmanagement CoV-2 Pandemie könnte wieder wachsen. Dennoch müssen noch Jahre dauern. wird sie wahrscheinlich Verkehrsunternehmen unterhalb des Vorkrisen- und -behörden langfristige Wir nähern uns der Niveaus bleiben – Strategien entwickeln. zweiten Phase der zumindest in der Pandemie. Diese Es wäre falsch, Kalibrierungsphase. Kalibrierungsphase bestehende strategische könnte bis in die zweite Wegen wiederkehrender Initiativen zu stoppen Jahreshälfte 2021 dauern. Infektionswellen wird oder zu beenden, nur weil auch die Mobilitäts- diese nicht dem So lange sollte mit nachfrage während der Krisenmanagement wiederkehrenden Kalibrierungsphase stark dienen. Infektionswellen und schwanken. fortlaufenden Wir zeigen, dass fünf Einschränkungen von Aufgrund eines hohen Initiativen eine zentrale schwankender Stärke wahrgenommenen (und Rolle bei der Bewältigung gerechnet werden. realen) Infektionsrisikos der Pandemie spielen werden viele Menschen können: Eine Angebots- Eine vollständige den ÖPNV vermutlich erweiterung, multimodale Aufhebung der auch in den kommenden Angebote, einfache und Einschränkungen bleibt Monaten meiden. flexible Preisgestaltung, bis zum Ausklang der das Vorantreiben der Pandemie Nutzer*innen werden in Digitalisierung und die unwahrscheinlich. Für die ihrer Wahl des Transformation hin zu Aufhebung bedarf es eines Verkehrsmittels agilen Organisations- wirksamen und breit wahrscheinlich flexibler strukturen. verfügbaren Impfstoffes. werden. 2
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden Die Pandemie: Krise, Kalibrierung und Ausklang Die SARS-CoV-2 Pandemie wird uns wahrscheinlich noch über Jahre begleiten. Eindämmung Verlangsamung Eine Reihe von Strategien, Eine Reihe von Strategien für In den letzten Wochen wurden welche die durchschnittliche die Hemmung der Virus- Anzahl von Ansteckungen ausbreitung und der Vermei- gesellschaftliche und wirtschaftliche durch eine infizierte Person dung einer Überlastung des Aktivitäten in ganz Europa zurückgefahren. (Reproduktionsrate, kurz R), Gesundheitssystems, ohne R So ist es gelungen, eine unkontrollierte auf unter 1 senken. unbedingt auf
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden gesellschaftliche Reaktionen auf das Virus aufgeworfenen Herausforderungen näher bergen zusätzliche Ungewissheiten. zu erläutern. Deshalb sind auch andere Szenarien denkbar. Selbst ein Worst-Case-Szenario, in Phase 1: Krise dem sich SARS-CoV-2 unkontrolliert (oder Trotz der traurigen Nachrichten, die uns aus unkontrollierbar) ausbreitet und es zu norditalienischen Krankenhäusern und von ökonomischen oder sogar politischen anderen Orten des europäischen Kontinents Zusammenbrüchen kommt, kann nicht erreichten, ist wichtig hervorzuheben: prinzipiell ausgeschlossen werden. Die Europa hat eine unkontrollierte Ausbreitung Folgen einer solchen Entwicklung wären von SARS-CoV-2 vorerst verhindert. jedoch so schwerwiegend, dass die Zukunft des ÖPNV (Öffentlicher Nachdem die italienische Regierung am 09. Personennahverkehr) wohl in den März 2020 eine schwere Hintergrund rücken würde. Ausgangsbeschränkung verhängt hat, zogen viele europäische Länder nach und Im Gegensatz dazu würde ein Best-Case- schränkten die soziale Interaktion und Szenario ein schnelles Ende der Pandemie Bewegungsfreiheit ihrer Bürger*innen stark nahelegen, etwa durch die unerwartet ein. Diese Maßnahmen scheinen SARS-CoV- schnelle Entwicklung eines Impfstoffs.v Im 2 vorerst eingedämmt zu haben. Nachhinein würde die Krise dann wirken wie eine dramatische, aber kurzlebige Die meisten Bürger*innen Europas scheinen Unterbrechung eines sonst weithin linear sich derweil an die Regeln und verlaufenden Geschehens. Empfehlungen ihrer Regierungen zu halten. Sie teilen ein Bewusstsein für den Ernst der Die strategischen Implikationen eines Lage und die Solidarität mit Menschen in solchen Best-Case-Szenarios für urbane kritischen Berufen. Homeschooling und Mobilität und den ÖPNV hielten sich in Homeoffice haben Einzug in den Grenzen. Dennoch nehmen wir später noch europäischen Alltag gehalten. einmal auf dieses Szenario Bezug, wenn wir die strategischen Implikationen der Parallel wurde ein Großteil der Wirtschaft Pandemie erläutern. heruntergefahren. Obwohl europäische Staaten und die EU Soforthilfen und Im Folgenden konzentrieren wir uns Garantien in Billionenhöhe bereitstellten, hingegen darauf, das eingangs eingeführte kämpfen viele, besonders kleine und Szenario weiter auszuarbeiten und so die mittelständische Unternehmen mit schwerwiegenden, von SARS-CoV-2 Liquiditätsproblemen und schicken ihre Abbildung 1: Ausblick auf die potenzielle Entwicklung der SARS-CoV-2 Pandemie 4
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit, beurlauben Einschränkungen bedeutet die Lockerung sie oder kündigen ihnen. jedoch nicht.iii Gleichzeitig steigt das Risiko, dass sich die Auch sind neue Infektionswellen möglich. aktuellen Maßnahmen substanziell negativ Eindämmende Maßnahmen könnten immer auf die physische und psychische dann eingeführt werden, wenn die Zahl Gesundheit der Bevölkerung auswirken. kritischer COVID-19 Fälle gewisse Entsprechend wächst der Druck, die Grenzwerte übersteigt. Länder wie Japan, weitreichenden Eindämmungsmaßnahmen Taiwan und Singapur erleben schon heute zu lockern. Situationen, die sich zu einer zweiten Infektionswelle entwickeln könnten. Phase 2: Kalibrierung Wie lang in dieser Situation Eindämmungs- Nach der anfänglichen Krisenreaktion und Verlangsamungsperioden jeweils werden wir voraussichtlich in eine länger andauern würden, ist schwer andauernde Kalibrierungsphase übergehen. vorherzusagen. Eine der oben erwähnten In dieser Phase werden epidemiologische Simulationen legt nahe, dass zwei Drittel der Notwendigkeiten so kalibriert werden Zeit Eindämmungsmaßnahmen notwendig müssen, dass sie mit ökonomischen und sein könnten.vi Angesichts der großen gesellschaftlichen Grundbedürfnissen in Ungewissheit der gegenwärtigen Situation Einklang gebracht werden können. Dies stellt dies jedoch nur eine Prognose dar. wird zur Lockerung der Einschränkungen Die konkrete Anzahl, Länge und Intensität führen. Dennoch werden wir künftiger Infektionswellen bleibt unklar. Sie höchstwahrscheinlich nicht einfach in den wird von einer Vielzahl von Faktoren Vorkrisen-Alltag zurückkehren können. abhängen, zum Beispiel von den Auswirkungen höherer Temperaturen auf Hin und Her zwischen Verlangsamung und das Virus, von möglichen Mutationen, die Eindämmung schafft unstete Lage sich auf die Reproduktionsrate des Virus auswirken könnten, von der tatsächlichen In der Kalibrierungsphase werden wir Zahl der infizierten Personen, von der vermutlich ein Hin und Her zwischen Entwicklung der Intensivpflegekapazitäten Verlangsamungs- und Eindämmungs- in den Krankenhäusern, von Innovationen perioden beobachten können. bei der Behandlung von COVID-19, von Schon heute gehen vielerorts die neuen Testmethoden und -praktiken sowie Infektionszahlen zurück. Dies wird dazu von der Wirksamkeit von Quarantäne- und führen, dass die momentanen sozialen Distanzierungsmaßnahmen und Eindämmungsmaßnahmen zeitnah durch deren Einhaltung. weniger strenge Verlangsamungs- maßnahmen ersetzt werden können. Damit Krisenmüdigkeit und hitzige Debatten könnten wäre die gesellschaftliche und zu suboptimalen Maßnahmen führen wirtschaftliche Normalität jedoch noch nicht zurückgewonnen. Zwei kürzlich Während sich die meisten Menschen veröffentlichte Simulationen legen nahe, anfänglich an einschränkende Maßnahmen dass soziale Kontakte auch nach dieser hielten, könnte die Angst vor dem Virus Lockerung reduziert bleiben werden, und mittelfristig abnehmen und Raum für zwar um 25-40 %.vi Dies erscheint weit Krisenmüdigkeit machen. Als Folge würden weniger drastisch als die 70-75 % sich weniger Menschen an bestehende Reduzierung, die die Simulationen für Maßnahmen halten und das Risiko neuer Eindämmungsperioden annehmen. Eine Infektionswellen würde steigen. vollständige Aufhebung der 5
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden Wahrscheinlich ist auch, dass zunehmende durch verringerten Konsum und weniger Zweifel an Legitimität und wirtschaftliche Aktivität. Verhältnismäßigkeit bestehender Einschränkungen aufkommen, insbesondere Struktureller Wandel zur Digitalisierung von wenn die negativen wirtschaftlichen Arbeit, Bildung und Freizeit Auswirkungen der Pandemie in der breiteren Gesellschaft spürbar werden. Die langwierige Kalibrierungsphase könnte zu guter Letzt der Digitalisierung des Alltags Dies könnte wiederum politische zum Durchbruch verhelfen, zum Beispiel in Handlungen provozieren, die aus den Bereichen Arbeit, Bildung oder Freizeit. epidemiologischer Perspektive suboptimal Je länger die Kalibrierungsphase anhält, sind und eine Ausbreitung des Virus nicht desto wahrscheinlicher wird es, dass sich effektiv bekämpfen. Besonders in Ländern sogar zögerliche Menschen an Homeoffice, und Regionen mit anstehenden Wahlen E-Learning und private Videotelefonate besteht dieses Risiko. gewöhnen werden. Schwierige Wirtschaftslage und ungewisse Phase 3: Ausklang Staatsausgaben Erst die Entwicklung eines SARS-CoV-2 Obwohl sich die Wirtschaft im Verlauf der Impfstoffs wird die Ausklangsphase der Krise etwas erholen wird, könnten Pandemie einläuten. Rund 70 Projekte fortlaufende Einschränkungen und erneute beschäftigen sich momentan weltweit mit Eindämmungsperioden kleine wie große der Entwicklung eines solchen Impfstoffs.viii Unternehmen weiterhin vor Die Entwicklung ist jedoch zeitaufwendig. Herausforderungen stellen. Das Vielversprechende Impfstoffkandidaten Umsatzpotenzial von Cafés und Restaurants müssen eine lange Reihe von Tierversuchen, beispielsweise könnte sich durch klinischen Studien an Menschen und anhaltendes Social Distancing stark Zulassungsprozessen durchlaufen. Die verringern. Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Eine zügige Erholung der Wirtschaft ist andere Expert*innen gehen daher davon unter diesen Umständen eher aus, dass es 18 Monate dauern könnte, bis unwahrscheinlich, die Arbeitslosenquote ein Impfstoff zur Verfügung steht.ix dürfte weiterhin über Vorkrisenniveau Einige Projekte haben die Phase der verharren. Es bleibt unklar, ob und wann die Tierversuche bereits übersprungen und europäischen Volkswirtschaften wieder erste Testreihen an Menschen gestartet. einen Wachstumskurs einschlagen.vii Eine Fertigstellung in 18 Monaten erscheint Abhängig von der wirtschaftlichen Stärke jedoch weiterhin ambitioniert. Laut Peter vor der Pandemie, dem Ausmaß der Hotez, einem führenden Experten für Pandemie und den Reaktionen auf diese Infektionskrankheiten und könnte sich das Bild von Land zu Land sehr Impfstoffentwicklung vom Bayer College of unterscheiden. Medicine, sei ein solch ehrgeiziger Staaten und Kommunen könnten schließlich Zeitrahmen nur zu halten, wenn „die dazu gezwungen werden, ihre Ausgaben zu Zeichen gut stehen“.x überdenken und neu zu priorisieren. Sie Die Produktion und Verbreitung des stehen vor einer zweifachen Impfstoffs dürften weitere Zeit in Anspruch Herausforderung: Die wirtschaftlichen nehmen.xi Wie viel Zeit, das hängt unter Rettungsmaßnahmen sind kostspielig, anderem von den Produktionskapazitäten gleichzeitig schwinden die Steuereinnahmen zum Zulassungszeitpunkt, dem Land der Impfstoff-Entwicklung und Vereinbarungen 6
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden zur Verteilung zwischen Staaten ab. Sollte der Impfstoff anfänglich nur in begrenzten Mengen verfügbar sein, so könnte es notwendig werden, die Bevölkerung in mehreren Schritten zu impfen. Risikogruppen und Menschen, die in stark gefährdeten Berufen arbeiten, würden in einer solchen Situation wahrscheinlich zuerst geimpft. Die breite Bevölkerung müsste sich hingegen weiter gedulden. Die Ausklangsphase wird voraussichtlich mit einer ökonomischen und gesellschaftlichen Erholung einhergehen. Manche Lebensbereiche könnten sich aber für immer verändern. Die zunehmende Digitalisierung wird wirtschaftliche Strukturen und alltägliche Gewohnheiten auch weiterhin beeinflussen. Ebenso dürften gewisse gesellschaftliche Normen bestehen bleiben, die während der Pandemie entstanden sind. Es ist zum Beispiel keineswegs ausgemacht, dass Begrüßungsformen wie Umarmungen und Händeschütteln die Pandemie überleben. Auch das gründliche Händewaschen, das Nießen in die Armbeuge und das Tragen von Masken in gewissen Situationen könnte sich über die Krise hinaus etablieren. Alles in Allem dürfte die SARS-CoV-2 Pandemie unser Leben in den kommenden Jahren nachhaltig beeinflussen. Die drei beschriebenen Phasen zeigen, dass die Pandemie ihren Charakter mit der Zeit verändern wird. Der Übergang zwischen den einzelnen Phasen wird dabei eher schrittweise als plötzlich erfolgen. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass besonders die Kalibrierungsphase von Land zu Land unterschiedlich verlaufen wird, abhängig von politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Einstellungen. Trotz der verbleibenden Ungewissheiten helfen uns die drei hier vorgestellten Phasen besser zu verstehen, welche Auswirkungen SARS-CoV-2 auf urbane Mobilität und den ÖPNV haben könnte. Im Folgenden werden wir diese Auswirkungen näher betrachten. 7
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden Das Mobilitätsverhalten: Nachfrage, Volatilität und die Wahl des Verkehrsmittels Die SARS-CoV-2 Pandemie wird sich in den Trend verstetigen wird. Zum Ausklang der nächsten Jahren erheblich auf das Pandemie wird der ÖPNV voraussichtlich Mobilitätsverhalten auswirken. Nachdem wieder an Beliebtheit gewinnen. sie in der Krisenphase drastisch Schließlich werden Menschen in der eingebrochen ist, wird sich die Nachfrage volatilen Kalibrierungsphase ihre nach Mobilität voraussichtlich wieder Verkehrsmittelwahl wahrscheinlich erholen. Anhaltende Einschränkungen und zunehmend flexibel auf die jeweilige Infektionsängste werden die Nachfrage Risikolage abstimmen. Hieraus könnte sich jedoch auch während der ein genereller Flexibilitätsanspruch Kalibrierungsphase weiter belasten. Erst entwickeln, der über die SARS-CoV-2 zum Ausklang der Pandemie ist eine Pandemie hinaus Bestand haben könnte. wesentliche Nachfrageerholung zu erwarten. Doch selbst dann könnte die gestiegene Beliebtheit von digitalen Phase 1: Krise Aktivitäten wie Homeoffice und E-Learning Mit dem Ausbruch der SARS-CoV-2 Krise dafür sorgen, dass die Nachfrage hinter ist die Mobilitätsnachfrage in ganz Europa dem Vorkrisenniveau zurückbleibt. dramatisch eingebrochen. Auch in Insbesondere in der Kalibrierungsphase ist Deutschland weisen Smartphone-Tracking- darüber hinaus eine wesentlich höhere Daten darauf hin: Zwischen Ende Februar Volatilität der Nachfrage wahrscheinlich, und Ende März 2020 ist die hervorgerufen durch neue Infektionswellen durchschnittliche, täglich zurückgelegte und dadurch nötige Eindämmungs- Distanz um 47 % gesunken.xii maßnahmen (siehe Box 1 im vorherigen Die Daten zeigen außerdem eine klare Kapitel). Verschiebung der Verkehrsmittelwahl In der bisherigen Krise hat sich auch die (siehe Abbildung 3). Das Fahrrad hat seinen Wahl des Verkehrsmittels geändert. Modal Split-Anteil verdreifacht und ist Menschen nutzten seltener den ÖPNV und damit das Verkehrsmittel der Stunde. häufiger Formen des Individualverkehrs. Allerdings ist ungewiss, ob sich dieser Abbildung 2: Ausblick auf das Mobilitätsverhalten über die SARS-CoV-2 Pandemie hinweg 8
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden Abbildung 3: Entwicklung des Modal Split von Ende Februar bis Ende März 2020 in Deutschland Abbildung 4: Menge der Apple Maps Richtungsanfragen pro Stadt, relativ zum 13. Januar 2020 9
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden Der Anteil an zu Fuß zurückgelegten vergangenen Epidemien und Pandemien – Strecken hat sich fast verdoppelt, der Pkw- besonders im Hinblick auf den ÖPNV. Anteil erhöhte sich um rund 10 %. Der Anteil des ÖPNV am Modal Split ist Eindeutiges Infektionsrisiko im ÖPNV, aber hingegen um rund ein Drittel geschrumpft. unklarer Einfluss auf Infektionen insgesamt In absoluten Zahlen ging die ÖPNV- Trotz Kontroversen weist die Wissenschaft Nachfrage in deutschen Großstädten, als mehrheitlich darauf hin, dass ÖPNV- auch in vielen europäischen Hauptstädten, Nutzung das Risiko erhöht, sich mit akuten um 75-95 % zurück.xiii Atemwegserkrankungen beziehungsweise Nicht alle Verkehrsmittel des ÖPNV sind grippeähnlichen Krankheiten dabei gleichermaßen von der Krise anzustecken.xv betroffen. In Deutschland verzeichnen sie Die übergeordnete Bedeutung von zwar alle einen Nachfragerückgang. Der Infektionen im ÖPNV bleibt hingegen Rückgang bei Bussen verlief jedoch etwas unklar. So stellt die frühe Fassung ungefähr proportional zum Rückgang der einer Simulationsstudie zur Verbreitung Gesamtnachfrage. Den Schienenverkehr von SARS-CoV-2 in Berlin fest, dass hingegen traf es deutlich härter (siehe ungefähr 10 % aller Infektionen im ÖPNV Abbildung 3, rechte Seite). Dieses stattfänden.xvi Phänomen wurde auch vom Institute for Transportation and Development Policy Eine andere Simulationsstudie beschäftigt (ITDP) beobachtet. Das Institut vermutet, sich mit Infektionsdynamiken bei einer dass Nutzer*innen eher den Bus als die U- hypothetischen Influenzaepidemie in New Bahn wählen, weil sie Social Distancing an York City. Sie folgert, dass nur rund 4 % der unterirdischen Standorten als schwieriger Infektionen auf das U-Bahn-System wahrnehmen.xiv zurückzuführen sind. Im Vergleich dazu stecken sich 30 % der Infizierten in Auch New Mobility-Anbieter haben mit Haushalten an, 25 % in Schulen und 9 % am drastischen Maßnahmen auf die Krise Arbeitsplatz.xvii reagiert. So stellte der in Berlin ansässige Eine dritte Simulationsstudie beschäftigt Ridesharing-Anbieter Berlkönig sein sich mit einer hypothetischen reguläres Angebot vollständig ein und Influenzapandemie in Peking. Sie legt nahe, konzentrierte sich ausschließlich auf den dass die Schließung des ÖPNV zu 20 % kostenlosen Transport von weniger influenzabedingten Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens. Krankenhausfällen führen würde. Aus Ähnlich reagierte der Carsharing-Anbieter methodischen Gründen ist diese Share Now. Er etablierte spezielle Tarife für vergleichsweise hohe Zahl aber nur bedingt Personal in systemrelevanten Branchen repräsentativ und überschätzt wie dem Gesundheitswesen oder der wahrscheinlich den Effekt des ÖPNV.xviii Lebensmittelversorgung. E-Scooter- Anbieter wie Lime wiederum stellten ihren Betrieb vollständig ein. Überschätztes Risiko führt nicht automatisch zu entsprechendem Handeln Exkurs: Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Reales Infektionsrisiko ist eine Sache, Pandemien und dem ÖPNV Risikowahrnehmung und Verhalten eine andere. Empirische Studien über vorige Um mögliche Effekte der Pandemie auf das Epidemien, wie etwa SARS (2002-2003) zukünftige Mobilitätsverhalten besser zu und A(H7N9) (2013-2017), oder verstehen, hilft ein Blick auf Studien zu Pandemien, wie die Schweinegrippe (2009- 10
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden 2010),xix zeigen ein uneinheitliches Bild im Peking zeigt, dass die Nutzung des ÖPNV Vergleich von Wahrnehmung und während des Infektions-Höhepunkts im Verhalten. April 2003 um 60 % einbrach. In der zweiten Maihälfte desselben Jahres gingen Einerseits steht ÖPNV-Vermeidung weit die Infektionszahlen gegen Null. Das oben auf der Liste, wenn es darum geht, vorherige Fahrgastniveau im ÖPNV wurde Infektionsrisiken zu vermeiden: Als jedoch erst Anfang Juli annähernd wieder Europäer*innen in einer Studie nach den erreichten.xxiv riskantesten Orten im Falle einer möglichen Influenzapandemie gefragt Einer in Taipeh durchgeführten SARS- wurden, landete der ÖPNV auf Platz 1 Studie zufolge kann dieses Muster durch (56 % der Befragten). 79 % der Befragten eine Kombination von – wie der Autor es sagten weiterhin aus, den ÖPNV auch nennt – „frischer Angst“ und „verbleibender persönlich vermeiden zu wollen.xx Angst“ erklärt werden. Die Nutzungsschwankungen im ÖPNV waren Andererseits spiegelt sich diese hohe ähnlich derer in Peking. Der Autor fand Aufmerksamkeit nicht unbedingt auch im heraus, dass sich der Verlust an Fahrgästen Verhalten wider. 2014 wurde in Hong Kong im Laufe der Epidemie umgekehrt die Verbindung zwischen proportional zu der Anzahl neu gemeldeter Risikowahrnehmung und Verhalten SARS-Infektionen verhielt – mit jedem untersucht. Der Untersuchungszeitraum gemeldeten Fall gingen Fahrgäste verloren. fiel mit der zweiten Welle des Vogelgrippe- Er beobachtete, dass diese „frische Angst“- Virus A(H7N9) und dem parallelen Reaktion mit der Zeit abflaute. Es dauerte Höhepunkt der winterlichen Grippe jedoch rund 28 Tage, bis die „verbleibende zusammen. 60 % der Befragten gaben an, Angst“ gänzlich verschwunden war. ihr Infektionsrisiko durch Vermeidung Während dieser Zeit kehrten die Fahrgäste öffentlicher Orte und des ÖPNV reduzieren schrittweise zurück, bis die Fahrgastzahlen zu wollen. Allerdings setzten nur 7 % der schließlich das Vorkrisenniveau Befragten dies auch um.xxi erreichten.xxv Ähnliche Muster von frischer Weitere Studien berichten von ähnlichen und verbleibender Angst wurden auch Mustern. So wurden zu Beginn der während der SARS-Pandemie in Hong Kong Schweinegrippe 2009 Bürger*innen des beobachtet.xxvi Vereinigten Königreichs (UK) interviewt. Die hier vorgestellten wissenschaftlichen Das Ergebnis: Rund 48 % der Befragten Erkenntnisse legen drei Dinge nahe: stimmten vollkommen oder tendenziell zu, Erstens kann durch flexible dass eine reduzierte ÖPNV-Nutzung eine Verkehrsmittelwahl tatsächlich das wirksame Maßnahme gegen das Virus sei. Infektionsrisiko reduziert werden. Nur 2,8 % nutzten den ÖPNV allerdings Zweitens spiegeln sich geäußerte auch weniger.xxii In einer weiteren Studie Risikowahrnehmungen und geplante zur Risikovermeidung während der Vermeidungsstrategien nicht unbedingt in Schweinegrippe-Pandemie in Spanien, wirklichem Verhalten wider. Zahlen, die gaben nur circa 3 % der Befragten an, den lediglich geplantes Verhalten abbilden, ÖPNV tatsächlich zu vermeiden.xxiii sollten deshalb mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden. Und drittens scheinen Durch Angst ausgelöste Vermeidung des die Fahrgäste, die den ÖPNV vermeiden, ÖPNV nimmt mit der Zeit ab dies eher wegen gemeldeter Was sagt die Wissenschaft schließlich über Infektionszahlen als wegen gemeldeter Todesfälle zu tun. Nach der Vermeidung die Erholung der Fahrgastzahlen nach einer Krise? Eine Studie zur SARS-Epidemie in des ÖPNV dauert es rund einen Monat, um vollständig zu normalen Verhältnissen 11
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden zurückzukehren – angenommen weitere vermutlich zu starken Nachfrageschwan- kritische Entwicklungen bleiben aus. kungen führen. Zusätzlich könnten Teile der Bevölkerung dazu neigen, zeitweise Mit diesen Erkenntnissen im Blick wenden Einschränkungen in ihrer Mobilität wir uns jetzt dem Mobilitätsverhalten überzukompensieren, sobald die während der Kalibrierungsphase zu. Einschränkungen gelockert werden. Phase 2: Kalibrierung Bei der Wahl des Verkehrsmittels wird es der ÖPNV weiterhin schwer haben. Auch Durch die Lockerung der restriktiven wenn die Ausbreitung des Virus vorerst Maßnahmen während der unter Kontrolle gebracht wurde, die Angst Kalibrierungsphase wird sich auch das vor einer Ansteckung wird noch einige Mobilitätsverhalten ändern. Wochen anhalten. Erst wenn sie abnimmt, Krisenmüdigkeit und Immunität in der werden „risikoreichere“ Verkehrsmittel Bevölkerung werden zunehmen. wieder attraktiver. Abbildung 5 zeigt das Dennoch könnte sich die relativ hohe Risiko, das mit der ÖPNV- Mobilitätsnachfrage weiterhin deutlich Nutzung assoziiert wird. Erst mit dem unter dem Vorkrisen-Niveau bewegen, Abklingen der „verbleibenden Angst“ zumindest zu Beginn der würde der ÖPNV demnach wieder zum Kalibrierungsphase. So ist es attraktiven Verkehrsmittel werden. wahrscheinlich, dass die wirtschaftliche Der ÖPNV würde deshalb von längeren Lage schwierig bleibt und die dadurch Abständen zwischen Infektionswellen entstehende Arbeitslosigkeit die Nachfrage profitieren. Sollte es hingegen zu schnell mindert. Auch die anhaltende aufeinander folgenden Wellen kommen, Digitalisierung des Soziallebens kann zur würde das die Wiedergewinnung von Nachfrageminderung beitragen. Fahrgästen erschweren. Das Hin und Her zwischen Eindämmungs- Darüber hinaus könnt es dazu kommen, und Verlangsamungsperioden wird dass Nutzer*innen ihr Verkehrsmittel Abbildung 5: Vergleich des wahrgenommenen Risikos pro Transportmittel 12
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden wöchentlich, wenn nicht sogar täglich, neu ausbreitungen für nicht-immune wählen. Abhängig von der Krisensituation Bevölkerungteile erneute Einschränkungen und der subjektiven Risikowahrnehmung bedeuten. Andererseits, könnten flexiblere würden sie dann schnell und regelmäßig Arbeitsregelungen längerfristig nicht nur zwischen ÖPNV, Privatauto und Fahrrad die Pendler*innenzahl reduzieren. Sie hin und her wechseln. könnten auch für flexiblere Arbeitszeiten sorgen. Dadurch könnten sich Fahrgäste Phase 3: Ausklang gleichmäßiger über den Tag hinweg verteilen und Verkehrsspitzen verkleinert Die Mobilitätsnachfrage wird vermutlich werden. Zum Beispiel könnten sich erst während der Ausklangsphase Pendler*innen dazu entscheiden, morgens annähernd das Vorkrisen-Niveau von zu Hause zu arbeiten und zur erreichen. In dieser Phase ist von einer Mittagszeit ins Büro zu fahren, um dort den Lockerung der meisten Einschränkungen Rest des Tages an Meetings teilzunehmen. auszugehen. Weiterhin wird die Impfstoff- bedingte Immunität breiter Bezogen auf die Wahl des Transportmittels Bevölkerungsschichten zunehmend Ängste scheinen erste Daten die Annahme zu (sowie tatsächliche Infektionsrisiken) widerlegen, dass privat genutzt PKW die abbauen. Gewinner der Krise sein werden. Einer kürzlichen Umfrage unter deutschen Manche Entwicklungen sprechen aber Bürger*innen nach könnten nur dagegen, dass die Nachfrage vollständig auf Fahrradfahren und Zufußgehen wirklich das Vorkrisen-Niveau zurückzukehrt. populärer werden. Eine zunehmende Anhaltende wirtschaftliche Nutzung des privaten Autos lässt sich Schwierigkeiten könnten in manchen hingegen aus den Daten nicht entnehmen Ländern weiterhin für hohe (siehe Abbildung 6). Hinsichtlich des ÖPNV Arbeitslosigkeit sorgen. Die Digitalisierung zeigt die Umfrage einerseits die größte von Arbeit und Bildung könnte darüber Änderung im Nutzungsverhalten: Nur 52 % hinaus die Mobilitätsnachfrage auch der Befragten gaben an, den ÖPNV in langfristig weiter reduzieren. Zukunft gleich häufig zu nutzen. In der Tat: In Deutschland gaben zwei Eine Veränderung müsste für den ÖPNV Drittel der Befragten einer Studie an, in jedoch nicht unbedingt negativ ausfallen. Zukunft öfter von zu Hause aus arbeiten zu Zwar gaben 19 % der Befragten an, den wollen.xxvii Eine Umfrage aus dem ÖPNV in Zukunft weniger regelmäßig Vereinigten Königreich (UK) kommt zu ähnlichen Ergebnissen: 29 % der Befragten würden ihre Arbeitszeit langfristig gern zwischen Homeoffice und Büro aufteilen. 17 % der Befragten würden sogar gerne ausschließlich von zu Hause arbeiten. Laut den Organisatoren der Umfrage könnte der Pendlerverkehr dadurch um 20-25 % zurückgehen. xxviii Die Nachfragevolatilität wird in der Ausklangsphase also vermutlich von zwei gegensätzlichen Faktoren beeinflusst werden – einer erhöht, der andere mindert die Volatilität. Einerseits könnten gelegentliche, lokale Infektions- Abbildung 6: Veränderung der Fortbewegungsmittel nach der SARS-CoV-2 Krise 13
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden nutzen zu wollen. Gleichzeitig plant jedoch ein fast ebenso großer Teil der Befragten (17 %), sich in Zukunft öfter mit dem ÖPNV fortzubewegen.xxix Letztendlich ist von einer Erholung des ÖPNV-Modal Splits während der Ausklangsphase auszugehen. Neue Verhaltens- und unter Umständen auch Rechtsnormen können das Vertrauen in den öffentlichen Verkehr wieder herstellen. Ein Beispiel für solch vertrauensbildende Verhaltensweisen wäre das Tragen von Gesichtsmasken. Zusätzlich wird eine weitverbreitete Immunität das Fahren mit Bus und Bahn weniger riskant machen. Außerdem werden manche Verhaltensänderungen der Pandemie wahrscheinlich bestehen bleiben. So könnten Fahrgäste in Zukunft mehr Flexibilität (zum Beispiel in Preismodellen) und multimodale Integration fordern, nachdem sie sich während der Kalibrierungsphase an entsprechende Angebote gewöhnt haben. Insgesamt ist zu erwarten, dass sich urbane Mobilität über die drei Phasen der Pandemie hinweg stark verändern wird. Diese Bewertung berücksichtigt jedoch keine expliziten strategischen Maßnahmen von Verkehrsunternehmen und -behörden. Im folgenden Kapitel untersuchen wir, was letztere tun können, um die Stellung des ÖPNV durch die Krise hinweg zu verbessern. 14
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden ÖPNV-Strategie: Die Bedeutung tiefgreifender Initiativen Verkehrsunternehmen und -behörden „Darauf war niemand vorbereitet” - Betriebsleiter eines bewerkstelligen im Moment alles, um die ÖPNV-Unternehmens in Südeuropa Herausforderungen der SARS-CoV-2 Krise zu meistern. Sie desinfizieren Fahrzeuge Herausforderungen legt. Dennoch haben und Haltestellen, führen Auslastungslimits wir auch auf ein mögliches Best-Case- ein, um Social Distancing zu ermöglichen, Szenario hingewiesen. Auch dieses bleibt und ergreifen eine Vielzahl weiterer möglich. Es ist daher wichtig zu betonen, Maßnahmen zum Schutz von Personal und dass die im Folgenden beschriebenen Fahrgästen. Initiativen „zukunftsrobust“ sind. Das heißt, Dieses Krisenmanagement ist essenziell. sie haben substanziellen Mehrwert sowohl Mit dem Übergang von der Krisenphase in im hier betrachteten Szenario als auch in die Kalibrierungsphase der Pandemie einem Best-Case-Szenario. stellen sich jedoch zusätzlich langfristige, In einigen Fällen gestaltet sich der strategische Fragen, die wir in diesem Mehrwert der Initiativen je nach Szenario Kapitel untersuchen. unterschiedlich, wie zum Beispiel bei der Dabei ist wichtig zu betonen: Der ÖPNV Erweiterung des ÖPNV-Angebots. Im Best- bleibt das Rückgrat urbaner Mobilität. Case-Szenario ist diese Strategie – wie Gerade in der momentanen Situation ist es bereits vor der SARS-CoV-2 Pandemie – wichtig, die Transformation des entscheidend, um urbane Mobilität öffentlichen Verkehrs voranzutreiben. zugänglicher und nachhaltiger zu machen Zentrale strategische Initiativen sollten und neue Kund*innen für den ÖPNV zu keineswegs hinausgezögert oder gewinnen. Im hier vorgestellten Szenario ist abgebrochen werden. Ganz im Gegenteil: die Angebotserweiterung jedoch Die genauere Analyse zeigt, dass gerade mindestens genauso wichtig. Nur läge der solche Initiativen ein integraler Bestandteil Mehrwert, vor allem in den nächsten zwei der Antwort auf die Pandemie sein werden. Jahren, nicht unbedingt in der Gewinnung Dies gilt insbesondere für die neuer Kund*innen, sondern auf zwei Angebotserweiterung, multimodale anderen Aspekten: Nur mit mehr Platz sind Angebote, einfache und flexible bei weiter bestehendem Social Distancing Preisgestaltung, das Vorantreiben der Fahrgastzahlen wie vor der Krise möglich Digitalisierung und die Transformation hin und ausbaubedingte Infrastruktur-projekte zu agilen Organisationsstrukturen. können als lokale Konjukturmaßnahmen wirken. Wir bauen in der folgenden Diskussion auf die Erkenntnisse der vorangegangenen Es gibt keine Alternative zum ÖPNV als beiden Kapitel auf. Zusätzlich haben wir Rückgrat urbaner Mobilät rund 20 Interviews mit Verkehrsunternehmen, -behörden und - Die urbane Mobilität stand schon lange vor expert*innen sowie mit New Mobility- der SARS-CoV-2 Pandemie vor Akteuren aus ganz Europa, Südostasien, Herausforderungen, zum Beispiel dem dem Nahen Osten und Lateinamerika wachsenden Stauaufkommen, geführt. zunehmender Luftverschmutzung und der Umsetzung eines effektiven Klimaschutzes. Wie bereits im Kapitel zur Pandemie Der ÖPNV galt als Schlüsselfaktor bei der erwähnt, konzentrieren wir uns auf ein Bewältigung dieser Probleme. Szenario, das den Fokus auf erwartbare 15
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden Hat die SARS-CoV-2 Pandemie etwas entscheidender Bestandteil urbaner daran geändert? Um es auf den Punkt zu Mobilität bleiben muss. Abbildung 7 zeigt bringen: Nein. Es gibt keine Alternative zum anhand eines Gedankenexperiments die ÖPNV als Rückgrat der städtischen Auswirkungen einer signifikanten Mobilität. Reduzierung des ÖPNV auf den öffentlichen Raum. In Anlehnung an die „Wir überzeugen die Menschen gerade davon, dem ÖPNV während der Krisenphase beobachteten fernzubleiben, und später werden wir sie davon Entwicklungen des Modal Splits (siehe überzeugen müssen, zurückzukommen“ - Koordinator eines vorangegangenes Kapitel), geht das Verkehrsunternehmens in Osteuropa Experiment von einer Halbierung des ÖPNV-Modal Split-Anteils in der Zeit nach Es wird zwar im Moment häufig vom der Pandemie aus. Es wird dabei privaten Pkw als dem Gewinner der angenommen, dass rund die Hälfte der Pandemie gesprochen. Bei der Betrachtung verlorenen Fahrgäste auf das Privatauto der Risikoprofile verschiedener umsteigt. Die Abbildung legt nahe, dass Transportmittel (siehe Abbildung 5 des eine solche Entwicklung den städtischen vorherigen Kapitels) scheint dies auch öffentlichen Raum schnell überlasten durchaus plausibel. Dennoch: Die zum könnte. Schluss des letzten Kapitels dargestellten Umfragewerte geben keine klaren Eine ÖPNV-Angebotserweiterung bleibt Hinweise auf die Richtigkeit dieser elementar wichtig Hypothese. Es ist daher davon auszugehen, dass der ÖPNV auch in Zukunft eine Aber macht es darüber hinaus Sinn, das wichtige Rolle spielen wird. ÖPNV-Angebot zu erweitern? Hier lautet die Antwort: Ja. Die ÖPNV- Auch eine kursorische Betrachtung der Angebotserweiterung bleibt Nutzung städtischer, öffentlicher Räume Kernbestandteil der Zukunft urbaner zeigt, dass ein attraktiver ÖPNV ein Abbildung 7: Darstellung des relativen Raumes, der von Fahrzeugen und Personen genutzt wird. Die Infrastruktur wird nicht berücksichtigt. Die Unterschiede zwischen den Karten basieren auf einer hypothetischen Änderung des Modal Split: Vor der Krise auf der Grundlage des Berliner Modal Split von 2018, hypothetische Veränderung nach der Krise: Anteil des öffentlichen Verkehrs um 50 % reduziert, Anteile von Autos, Fahrrädern und Fußgänger*innen um 7,5 %, 4 % bzw. 2 % gesteigert. Geteilte Annahmen: Konstante Gesamtmobilitätsnachfrage. Konstante Auslastung von 1,3 Personen pro Auto und 40 Personen pro Bus. Konstanter Platzbedarf von 1 Quadratmeter pro Fußgänger*in, 2 Quadratmeter pro Radfahrer*in, 10 Quadratmeter pro Auto und 30 Quadratmeter pro Bus. 16
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden Mobilität. Schon vor der Pandemie war die Busspuren, Haltestellen oder ganze Erweiterung wichtig, um Stau, U-Bahn-Linien. Bei der Planung Luftverschmutzung und Klimawandel dieser Maßnahmen ist es wichtig, entgegen zu wirken. SARS-CoV-2 ändert die Möglichkeit anhaltender Social nichts an der Bedeutung dieser Vorhaben. Distancing-Anforderungen mitzudenken. „Social Distancing ist bei einer zunehmenden Zahl an • Schließlich ist hervorzuheben, dass Fahrgästen eine ernstzunehmende Herausforderung für besonders Zug- und U-Bahn- den ÖPNV“ - ÖPNV-Planungsleiter aus Lateinamerika projekte sehr langfristig gedacht sind. Schon zu Baubeginn geben sie Tatsächlich liefert die Pandemie weitere Impulse für die lokale Wirtschaft. Gründe für die Erweiterung des ÖPNV- Ihre Wirkung auf die urbane Angebots. Kurzfristig geht es dabei Mobilität entfalten sie wahrscheinlich zuerst um Busnetze, denn wahrscheinlich jedoch erst dann, solange weiterhin Infektionsangst herrscht, wenn die Pandemie größtenteils könnten Fahrgäste den Bus weiterhin überwunden sein wird. häufiger nutzen als Bahnen und Trams. Schienengebundene Verkehrsmittel Multimodale Integration schafft Flexibilität bleiben dennoch wichtig, vor allem auf und geht auf Kundenbedürfnisse ein längere Sicht. Die Integration von New Mobility-Diensten Insgesamt hat die Angebotserweiterung im in ein multimodales Mobilitätsangebot ist Laufe der SARS-CoV-2 Pandemie folgende ein weiteres, wichtiges strategisches Vorteile: Handlungsfeld. New Mobility-Dienstleister sind in den letzten Jahren enorm • Formen des Social Distancings expandiert. In vielen Städten ist es heute werden wahrscheinlich noch bis in ohne Weiteres möglich, sich kurzfristig und die zweite Jahreshälfte 2021 in auf Minuten- oder Kilometerbasis ein Auto, Kraft bleiben. Dies wird weiterhin ein Fahrrad, oder verschiedene Arten von die Fahrgastkapazität von Bussen Rollern zu leihen. Auch Ridehailing-und und Bahnen einschränken. Zur Ridesharing-Dienste sind weit verbreitet. Bedienung der Kund*innen, die nach Lockerung der Es ist umstritten, ob und wie diese Dienste Eindämmungsmaßnahmen in den einen Beitrag zu einem nachhaltigen und ÖPNV zurückkehren, braucht es leistungsstarken urbanen Mobilitäts- daher zusätzliche Kapazität. Ökosystem leisten. Ridehailing-Anbietern • Während der Pandemie können wie Uber und Lyft wurde beispielsweise darüber hinaus Maßnahmen wie nachgewiesen, mehr Stau zu erzeugen.xxx „Pop-up“-Bus- und Fahrradspuren E-Scootern werden wiederum fehlende umgesetzt werden, die sonst kaum Sicherheit, eine überbordende Nutzung des denkbar gewesen wären. Solche öffentlichen Raumes, und fehlende Projekte können die urbane ökologische und ökonomische Mobilität auch über die Pandemie Nachhaltigkeit vorgeworfen. hinaus prägen. • Einige Monate in die Zukunft Der ÖPNV hat jedoch begonnen, mit gedacht, kann die einigen New Mobility-Anbietern zu Angebotserweiterung als kooperieren. Dies betrifft vor allem städtisches Konjunkturprogramm Ridesharing-Dienstleister. Deren Ansatz, wirken. Dies gilt insbesondere für Fahrgäste in größeren Fahrzeugen Infrastrukturprojekte wie neue zusammenzubringen, liegt näher am Grundgedanken des ÖPNV. 17
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden „Wir glauben fest an Mobility-as-a-Service und flexible • Weiterhin können multimodale Verkehre, aber der öffentliche Verkehr muss das Rückgrat Lösungen den Nachfragedruck auf bleiben” – Vizepräsident eines ÖPNV-Unternehmens in Busnetze in der Kalibrierungsphase Nordeuropa abfangen. Wenn die Auslastung von Bussen zu groß wird, könnte Eine entsprechende Kooperation gibt es Nutzer*innen ein Umstieg auf zum Beispiel in Berlin, wo die Berliner Leihfahrräder oder-roller Verkehrsbetriebe (BVG) zusammen mit angeboten werden. So würde ViaVan den Ridesharing-Anbieter Berlkönig Mobilität fortwährend betreiben. Ein weiteres Beispiel bietet die sichergestellt und gleichzeitig das Gemeinde Sant Cugat in der Provinz Infektionsrisiko reduziert. Barcelona. Sie hat sich mit Shotl • Die SARS-CoV-2 Pandemie könnte zusammengetan, um verschiedene dabei die Position von Stadtviertel per On-Demand-Verkehr an Verkehrsunternehmen in der nahegelegene Bahnhöfe anzubinden. Die Verhandlung mit New Mobility- SARS-CoV-2 Krise hat zu weiteren Anbietern stärken, denn auch diese Kooperationen geführt. So übernimmt zum wurden hart von der Pandemie Beispiel der Ridesharing-Anbieter MOIA getroffen. Dies könnte ihre seit Kurzem Nachtfahrten für den Bereitschaft dafür steigern, die Hamburger Verkehrsbund (HVV). gesamtstädtische Mobilität im Blick zu haben, statt Mobilitätsangebote In manchen Fällen haben ÖPNV- ausschließlich auf den Stadtkern zu Unternehmen die multimodale Integration konzentrieren. noch weiter vorangetrieben. Die BVG-App • Wie im vorangegangenen Kapitel Jelbi zum Beispiel integriert die Angebote erwähnt, könnte die Pandemie des ÖPNV, den Berlkönig sowie Sharing- schließlich auch langfristig zu Autos, -Fahrräder und -Roller von höheren Erwartungen im Hinblick Kooperationspartnern. Auch auf Jelbi brach auf eine flexible die ÖPNV-Nutzung zu Beginn der SARS- Verkehrsmittelwahl führen. CoV-2 Pandemie ein – um 90 % zwischen Multimodale Angebote bieten Januar und April 2020. Im gleichen Verkehrsunternehmen einen Weg, Zeitraum stiegen jedoch die Buchungen auf diese Erwartungen zu reagieren. von Sharing-Angeboten, insbesondere von Fahrrädern, um 6 %. Dies deutet schon jetzt auf den Mehrwert hin, den multimodale „Unser multimodales Angebot hilft uns, wieder Vertrauen Angebote für den ÖPNV haben können: in den ÖPNV aufzubauen und flexibel auf die Entwicklung der Pandemie zu reagieren” – Leiter einer öffentlichen • Multimodale Angebote stärken die multimodalen Mobilitätsplattform in Nordeuropa Kundenbindung, da sie Nutzer*innen auch in volatilen Perioden im eigenen, ÖPNV- Einfache und flexible Preisgestaltung führt zu zentrierten Ökosystem halten. Kundenvertrauen Innerhalb dieses Ökosystems können Nutzer*innen schnell und Die Preisgestaltung ist eine wichtige, aber einfach vom Bus auf Sharing- ebenso umstrittene Komponente des Dienste umsteigen, wenn die ÖPNV-Angebots. Für viel Gesprächsstoff Infektionszahlen steigen. Und noch hat das Wiener 365 Euro-Ticket gesorgt, in wichtiger: Bei sinkenden Luxemburg fahren die Gäste des ÖPNV Infektionszahlen können sie sogar umsonst. Solche Initiativen sind für genauso schnell wieder in Bus und die Fahrgäste attraktiv, erzeugen aber auch Bahn zurückkehren. Kritik: Sie seien zu kostspielig für ÖPNV- 18
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden Betreiber, würden Autofahrer*innen nicht • Einfache und flexible Preismodelle zum Umstieg auf Bus und Bahn bewegen steigern das Vertrauen der und wären ohne einen gleichzeitigen Kund*innen. Wegen des Risikos Ausbau von ÖPNV-Angebot und -Qualität neuer Infektionswellen werden wirkungslos.xxxi Monats- und Jahrestickets unattraktiv. Der Kauf von einzelnen Andere Städte haben einen alternativen Fahrkarten ist über längere Zeit Weg gewählt und Pay-as-you-go hingegen teuer. Einfache Ticketsysteme eingeführt. In London, zum Preismodelle und -obergrenzen Beispiel, greifen automatische geben Fahrgästen hingegen die Preisobergrenzen, sobald gewisse Tages- Sicherheit, immer zum günstigsten oder Wochenlimits erreicht werden. Diese Fahrpreis unterwegs zu sein. Art flexible Preisgestaltung kann bei der • Eine intelligente und dynamische Bewältigung der SARS-CoV-2 Pandemie Preisgestaltung könnte darüber helfen, ohne die Debatte um einen hinaus zur Steuerung von Fahrgast- kostenfreien öffentlichen Nahverkehr strömen beitragen. Dies könnte die austragen zu müssen. Überfüllung von Haltestellen und Fahrzeugen vermeiden und so „Eine zentrale Plattform, für die Bezahlung verschiedener Infektionsrisiken senken. Verkehrsträger spart Kunden wertvolle Zeit“ - Mobility • Längerfristig könnten flexible Smart Card-Expertin aus Ostasien Preismodelle mit dem oben beschriebenen multimodalen In Hong Kong wiederum wurde das lokale Angebot kombiniert werden. Für Bezahlsystem Octupus Card genutzt, um die innovativeren unter den schnell auf die SARS-CoV-2 Pandemie zu Verkehrsunternehmen könnten reagieren: Die Gültigkeit der digitalen sich so neue Geschäftsmodelle Fahrkarten wurde verlängert und die ergeben, zum Beispiel im Bereich Regierung nutzte das System, um Fahrten Mobility-as-a-Service. zu subventionieren. Sobald Fahrgäste mit der Octopus Card über 200 Hong Kong Digitalisierung kann die Transformation des Dollar im Monat ausgaben, erstattete die öffentlichen Verkehrs unterstützen Regierung ein Drittel davon. Daten aus dem Octopus-System wurden außerdem in Der Begriff Digitalisierung umfasst eine Kooperation mit der Medizinischen ganze Reihe von Phänomenen. Diese Fakultät der University of Hong Kong zur reichen von der Tendenz, Dinge Erforschung und Eindämmung der zunehmend online zu erledigen, über die Pandemie ausgewertet. Entstehung neuer, häufig App-basierter Geschäftsmodelle, hin zum Einfache und flexible Preissysteme können Bedeutungsgewinn von Cloud-Computing, somit bei der Bewältigung der SARS-CoV-2 Big Data Analysen und künstlicher Pandemie helfen: Intelligenz (KI). Schon seit Jahren stehen • Wie das Beispiel Hong Kong zeigt, diese Themen ganz oben auf der politischen können digitale Preismodelle und wirtschaftlichen Agenda. schnell angepasst werden. Somit Auch für den ÖPNV birgt die können Kund*innen für ihre Digitalisierung großes Potenzial, sowohl in Loyalität belohnt werden, der Interaktion mit Kund*innen als auch bei beispielsweise durch längere der Verbesserung interner Prozesse. Diese Gültigkeit ihrer Tickets oder durch Möglichkeiten werden jedoch bisher nur Rabatte. begrenzt ausgeschöpft. 19
Wie weiter nach dem Lockdown? – Ein Handlungsleitfaden „Es ist entscheidend für das Überleben des öffentlichen Andererseits können sie den Verkehrs, Innovationen – einschließlich der Digitalisierung Betreibern helfen, ihr Angebot – proaktiv anzustoßen” - Strategischer Planer für anzupassen und Engpässe zu öffentlichen Verkehr in Südeuropa vermeiden. • Schließlich profitieren auch interne Wie bereits beschrieben, treibt die Abläufe von der Pandemie den Digitalisierungsgrad der Prozessdigitalisierung sowie von Big Arbeit und anderer Lebensbereiche schon Data Analysen und KI. Die letzteren heute voran. Für den Nahverkehrssektor beiden helfen, erhöhte Volatilität bietet die Digitalisierung jedoch weitaus besser zu verstehen, zu größere Chancen als nur die Einführung des visualisieren und zu bewältigen, Homeoffices: zum Beispiel in den in den Bereichen Personal, Betrieb, • Sowohl für multimodale Integration Instandhaltung und Beschaffung. als auch für einfache und flexible Eine dynamische Personalplanung Preisgestaltung ist die kann helfen, kurzfristige Engpässe Digitalisierung entscheidend. bei Fahrer*innen zu vermeiden. Sie Flexible Preisgestaltung beruht könnte außerdem dazu beitragen, beispielsweise auf automatischer Infektionsdynamiken unter den Fahrtenanalyse, automatischen Mitarbeiter*innen zu verfolgen und Zuweisungen und Deckelungen von so Folgeinfektionen zu vermeiden. Fahrpreisen und automatischen Zahlungsprozessen. All dies Effektives Krisenmanagement und schnelle erfordert einen hohen Transformation durch agile Organisation Digitalisierungsgrad. • Ein digitalisierter Ticketkauf Der Begriff „agil“ beschreibt eine reduziert darüber hinaus das Arbeitsmethodik mit Ursprung in der Infektionsrisiko erheblich, da es die Software-Entwicklung. Inzwischen hat die Interaktion mit physischen Methodik in vielen anderen Gebieten Fuß Oberflächen, Fahrkarten und gefasst.xxxii „Agil“ betont eigenständige Bargeld unnötig macht. In Bussen Arbeit in kleinen, funktionsübergreifenden ist dieser Effekt besonders groß, da Teams. Arbeit wird in iterativen Zyklen hier Fahrkarten häufig noch direkt (Sprints) strukturiert. Der Fokus liegt auf von Fahrer*innen verkauft werden. dem schnellen Testen von Prototypen. • Direkte Kommunikation in Echtzeit Langfristiges Planen nach der Wasserfall- ist ein weiterer Vorteile digitaler Methodik spielt eine untergeordnete Rolle. Lösungen. Mobile Push- Wir verwenden den Begriff „agil“ hier in Benachrichtigungen können einem etwas breiteren Sinne. Er soll Fahrgäste zum Beispiel effizient Organisationen beschreiben, die schnelle, über Änderungen in Risikolevel und gut informierte Entscheidungen treffen, ÖPNV-Angebot informieren. sich rasch an die Volatilität während der • Datenanalyse und KI-Tools können SARS-CoV-2 Pandemie anpassen, und die weiterhin helfen, systematisch und strategische Initiativen zielgerichtet und nahezu in Echtzeit Informationen zügig umsetzen können. über Auslastung, Fahrgastströme und Systemengpässe zu generieren. Der Aufbau agiler Organisationsstrukturen Solche Daten können einerseits mag für die meisten öffentlichen genutzt werden, um die Inhalte für Verkehrsunternehmen und -behörden die eben genannte bisher keine Priorität gehabt haben. Fahrgastinformation zu liefern. Allerdings wird der Nahverkehrssektor, wie 20
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