Energie und Umwelt Forschung am Paul Scherrer Institut - Paul Scherrer Institut (PSI)
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Die Versuchsplattform ESI – kurz für Energy System Integration – des Paul Scherrer Instituts testet erneuerbare Energiealternativen in ihrem komplexen Zusammenspiel miteinander.
Inhalt 4 Energie − Treibstoff des Lebens 22 Der Kern der Dinge 22 Wie ein Schwamm für Wasserstoff 6 Eine Plattform – 23 Simulationen machen Kernanlagen viele Energiesysteme sicherer 24 Flüssigsalzreaktoren – 7 Vereint im Dienste der Energieforschung die Erforschung einer Möglichkeit 24 Mit Sicherheit eingeschlossen 10 Energie in Gas speichern 24 Eine Zukunftsfrage 10 Gewinnung von Wasserstoff 11 Methanisierung 25 «Man kann international 11 Weissbuch Power-to-X nur mitreden, wenn man Kompetenz hat» 12 Wertvoller Wasserstoff 26 Hotlabor: Wissen aus 13 Saubere Energie dank den heissen Zellen Brennstoffzelle 28 Energiesysteme: 14 Die Möglichmacher Der Blick für das Ganze 15 Saubere Abgase dank Schwammstruktur 28 Energiemix der Zukunft 15 Weg vom «schmutzigen Diesel» 29 Mobilität von morgen 15 Wasser spalten 16 Das Thema Energie und Umwelt 31 Das PSI in Kürze hat ungemein viele Facetten 31 Impressum 31 Kontakte 17 Gut und lange geladen 18 Die Atmosphäre im Blick 18 Hoch oben 20 Dicke Luft in Delhi 20 Vom Grossen zum Kleinen 21 Umwelt mobil Umschlagbild Brennstoffzellenforschung am PSI. 3
Energie − Treibstoff des Lebens Wie man Energie nachhaltig gewinnt • Sichere Nutzung der Kernenergie und speichert, ist eine entscheidende • Sichere Entsorgung radioaktiver Zukunftsfrage für jede Gesellschaft. Abfälle Die Forschung des PSI hilft dabei, • Ganzheitliche Bewertung heute Antworten auf diese Fragen von von Energiesystemen morgen zu finden. • Auswirkungen von Energienutzung auf Klima und Atmosphäre Jedes Lebewesen benötigt Energie in Form von Nahrung. Der Mensch konsu- Ziel der PSI-Forschenden ist es, bei miert über Nahrung hinaus aber noch Energiegewinnung, Energienutzung, weitaus grössere Mengen an Energie: Energiespeicherung und bei deren Um- in privaten Haushalten, der Wirtschaft weltauswirkungen eine möglichst hohe und für die Mobilität. Würde man den Effizienz bei gleichzeitiger Schonung weltweiten Primärenergiebedarf aus- der Ressourcen zu erreichen. Dazu ist schliesslich mit Erdöl decken, dann es notwendig, die eingesetzten Mate- bräuchte man dafür mehr als 135 Bil rialien und ihr Verhalten unter den ver- lionen Tonnen. Die Schweiz benötigte schiedenen Einsatzbedingungen genau davon über 26 Millionen Tonnen oder zu kennen. knapp 0,2 Prozent. Die Forschungsinfrastruktur des PSI bietet dafür ideale Voraussetzungen. Energie tritt in unterschiedlichen For- Die Grossforschungseinrichtungen wie men auf, zum Beispiel: die Synchrotron Lichtquelle Schweiz • als elektrische Energie SLS, der Freie-Elektronen-Röntgenlaser in Form von Strom SwissFEL, die Schweizer Spallations- • als thermische Energie Neutronenquelle SINQ, die Schweizer in Form von Wärme Forschungsinfrastruktur für Teilchen- • als kinetische Energie physik CHRISP und die Schweizer in Form von Bewegung Myonenquelle SμS erlauben tiefe Ein- blicke in die allerkleinsten Strukturen Die verschiedenen Energieformen las- von Materialien. Auch die Energy- sen sich ineinander umwandeln. PSI- System-Integration-Plattform, kurz ESI, Forschende arbeiten daran, möglichst das Hotlabor und neue leistungsfähige effiziente Verfahren zu entwickeln, um Grossrechner helfen den Forschenden Energie zu erzeugen, zu speichern und des PSI dabei, entscheidende Fort- umzuwandeln. schritte bei der Sicherung einer nach- Dabei konzentrieren sie sich auf fol- haltigen Energieversorgung zu erzielen. gende Bereiche: Neben der physikalischen und chemi- • Erforschung nachhaltiger Energie- schen Erforschung von Stoffen und quellen, zum Beispiel Biomasse Verfahren hat die Modellierung von • Effiziente Umwandlung von Ener- neuen Materialien und die Simulation gieträgern zur Speicherung und von Energiesystemen grosse Bedeu- Wiedergewinnung von Energie für tung. Wärme, Strom, Mobilität 4
Eine Plattform – viele Energiesysteme Weltweit befinden sich die Energiesys- teme im Umbau. Vermehrt wird dabei auf die sogenannten neuen erneuer- baren Energieträger gesetzt: Das sind Sonne, Wind und Biomasse. Auch in der Schweiz steigt ihr Anteil an der Energieversorgung und soll dies auch weiterhin tun. Um die Effizienz zu stei- gern, ist die Erforschung und Entwick- lung neuer Materialien und Verfahren notwendig − sowohl bei der Gewin- nung von Energie aus erneuerbaren Quellen als auch bei deren Verteilung und Nutzung. Das PSI bietet mit seiner Energy-Sys- tem-Integration-Plattform eine einma- lige Kombination verschiedener Ener- giesysteme an einem Ort und dadurch exzellente Möglichkeiten, Verfahren zu erforschen, um Energie effizient zu ge- winnen, zu speichern und umzuwan- deln. Ziel ist es, in enger Zusammenar- beit mit Partnern aus Forschung und Industrie verschiedene Varianten der Energiespeicherung (siehe auch Ener- gie in Gas speichern, Seite 10f.) und der energieeffizienten Nutzung von Biomasse auf ihre technische und wirt- schaftliche Machbarkeit hin zu unter- suchen und weiterzuentwickeln. So wurde mithilfe der ESI-Plattform ein Verfahren entwickelt, mit dem sich we- sentlich mehr Methan aus Biomasse, zum Beispiel aus Bioabfällen von Haus- halten, erzeugen lässt. Methan ist der Hauptbestandteil von herkömmlichem Die ESI-Plattform erforscht, wie Erdgas und somit ein bewährter Ener- überschüssige erneuerbare Energie aus Wind und Sonne gespeichert gieträger. Üblicherweise entsteht Me- und bei Bedarf wieder verfügbar than aus Bioabfällen durch mikrobielle gemacht werden kann. Die einzelnen Prozesse, durch sogenannte Vergärung. Elemente der ESI-Plattform sind in Dabei entwickeln sich aber auch grosse Containern untergebracht, damit man Mengen Kohlendioxid. Das Gemisch sie flexibel vor Ort einsetzen kann. 6
aus beiden Gasen, das Rohbiogas, be- Die Möglichmacher, Seite 14f.). Das im dustriellen Massstab sehr gut eignet. steht zu 60 Prozent aus Methan und zu Rohbiogas enthaltene Kohlendioxid Das neue Verfahren zur effizienten Me- 40 Prozent aus Kohlendioxid. Letzteres wird nahezu vollständig zu Methan thangewinnung aus Biomasse beein- wird in der Regel aufwendig vom Me- umgewandelt. Das resultierende End- druckte selbst die Experten des Bun- than getrennt und nicht weiter verwer- produkt ist so hochwertig und gleicht desamts für Energie. Sie zeichneten tet. handelsüblichem Erdgas so sehr, dass das PSI und Energie 360° für diesen Den Forschenden des PSI ist es gelun- es direkt in das Gasnetz eingespeist wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen gen, dieses Kohlendioxid durch Zugabe werden kann. Energieversorgung mit dem Schweizer von Wasserstoff direkt in das Rohbio- In einem Gemeinschaftsprojekt mit Energiepreis Watt d’Or aus und kürten gas nun auch noch in Methan umzu- dem Zürcher Versorgungsunternehmen beide gemeinsam zum Sieger in der wandeln. Dazu benötigen sie unter Energie 360° testeten die PSI-Forschen- Sparte Erneuerbare Energien. anderem sogenannte Katalysatoren − den ihre Entwicklung unter realen Be- Substanzen, die die Umwandlung von dingungen. Mit der mobilen Anlage einer chemischen Verbindung in eine Cosyma, in der die Umwandlung von andere erst möglich machen, sodass Wasserstoff und Kohlendioxid zu Me- sich Wasserstoff und Kohlendioxid mit- than abläuft, zeigten sie, dass das neue einander zu Methan verbinden (siehe: Verfahren sich für den Einsatz im in- Vereint im Dienste der Energieforschung Im Projekt ReMaP unter Federführung der ETH Zürich wird die ESI-Plattform mit den Demonstratoren der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) virtuell zusammengeschaltet. Gemeinsam mit den Plattformen NEST (zukünftige Gebäude), move (zukünftige Mobilität) und ehub (Energienetze auf Quartierebene) der Empa bietet die ESI-Plattform eine einmalige Versuchsanordnung für Forschung und Industrie, um das Wissen und die technischen Grundlagen für die Energiesysteme der Zukunft zu entwickeln. 7
3 1 2 4 Die ESI 1 Minigasturbine 2 GanyMeth 3 HydroPilot 4 5 6 Gas-Tanks Die Gasturbine im Miniformat In diesem Reaktor entsteht In einer Pilotanlage erforscht Wasserstofftank (4) wandelt Methan in Strom und Methan aus Wasserstoff und das PSI die hydrothermale Ver- Kohlendioxidtank (5) Wärme um. Das ermöglicht Kohlendioxid. Das Produkt gasung von nasser Biomasse Sauerstofftank (6) es, Strom zu gewinnen, wenn wird auch Synthetic Natural mit überkritischem Wasser. der Wind gerade nicht weht Gas (SNG) genannt. Die Reak- Dabei werden Abfälle mit und die Sonne gerade nicht tion findet in einem Wirbel- hohem Wasseranteil wie Klär- 7 Elektrolyseur scheint. An der Minigasturbine schichtreaktor mithilfe schlamm, Kaffeesatz und Gülle Aus Wasser entsteht mithilfe untersuchen die Forschenden, von Katalysatoren statt (siehe: einem hohen Druck und einer von Strom Wasserstoff und wie viel Wasserstoff sie dem Die Möglichmacher, Seite 14f.). hohen Temperatur ausgesetzt. Sauerstoff. Methan beisetzen können, In dem Reaktor werden Fest- Dadurch entsteht aus den damit die Umwandlung noch stoffpartikel, bestückt mit Abfällen ein hochwertiges Gas, sicher und effizient geschieht. einem Katalysator, durch eine ähnlich dem Biogas. In dem Denn Wasserstoff lässt sich aufwärtsgerichtete Luftströ- Projekt werden ähnliche leicht gewinnen, verbrennt mung ständig durcheinander- Vorgänge untersucht wie an schnell und könnte dabei gewirbelt, sodass eine grosse Konti-C, allerdings in grösse- helfen, auf schnelle Last Oberfläche entsteht, an der rem Massstab, um industrie- änderungen zu reagieren. die Reaktion stattfinden kann. ähnlichere Bedingungen zu simulieren. 8
10 11 12 7 8 6 9 5 Leitungen n Nasse Biomasse n Kohlendioxid (CO2) n Wasserstoff (H2) n Sauerstoff (O2) n Strom n (Synthetisch rohes) Biogas n Wasser n Luft 8 Cosyma 9 Konti-C 10 Kontrollraum und 12 Brennstoffzelle Besucherplattform Rohbiogas aus einer Biogas Die Versuchsanlage unter- Die Brennstoffzelle erzeugt anlage enthält nur etwa sucht, wie sich aus nasser Strom aus Wasserstoff 60 Prozent Methan, der Rest Biomasse – Gülle, Klär- und Sauerstoff. Dabei entsteht 11 Gasreinigung/trocknung ist Kohlendioxid. Die Test schlamm oder Algen – Energie Wasser. Da ein Brennstoff anlage Cosyma (Container- gewinnen lässt. Bei hohen Hier werden Wasserstoff und zellensystem alleine zu wenig based System for Temperaturen und Drücken Sauerstoff aus dem Strom erzeugt, sind in diesem Methanation) verarbeitet das wird die Biomasse in synthe Elektrolyseur getrocknet Container vier Systeme aus Rohbiogas weiter, indem tisches Biogas, also Methan, und gereinigt, um dann je 236 Einzelzellen zusammen- sie Wasserstoff zuführt, das umgewandelt. Das hat den in Speichertanks gepumpt geschaltet. So wird eine indus- mit dem Kohlendioxid reagiert. Vorteil, dass die Biomasse zu werden. trielle Umgebung simuliert. So erhöht sich die Methan zuvor nicht getrocknet werden ausbeute. Der Prozess nennt muss, denn dieser Vorgang sich Direktmethanisierung. benötigt viel Energie und macht eine Verarbeitung wirt- schaftlich oft unrentabel. 9
Energie in Gas speichern Die Schweiz hat sich das Ziel gesetzt, Ein Problem bei Wind- und Solarkraft ihre direkten Treibhausgasemissionen ist, dass ihre Quellen nicht immer Stromzufuhr drastisch zu reduzieren. Gemäss der gleichmässig zur Verfügung stehen. Kathode – + Anode Energiestrategie 2050 will sie den Aus- Wenn genügend Wind weht, produzie- e– Wasserstoff Sauerstoff stoss von Treibhausgasen bis 2030 im ren Windkraftanlagen ausreichend e– Vergleich zu 1990 um 50 Prozent ver- Strom; bei Flaute versiegt diese Quelle. Membran ringern, bis 2050 bis zu 85 Prozent. Auch die Einstrahlung des Sonnen- Nach 2050 soll die Energieversorgung lichts ändert sich nicht nur im Tag- e– e– in der Schweiz vollkommen klimaneu- Nacht-Rhythmus, sondern auch wetter- H+ H+ tral erfolgen. Um dieses Ziel zu errei- abhängig und saisonal. chen, kommt den neuen erneuerbaren Eine zuverlässige Energieversorgung Energien, also Biomasse, Wind- und braucht deshalb effektive Energiespei- Solarkraft, eine entscheidende Bedeu- cher: Sie konservieren die Energie, die Bei der Proton-Exchange-Membrane- tung zu – und der Frage, wie man die in produktionsstarken Phasen gewon- Elektrolyse (PEMEL) führt elektrischer produzierte Energie speichern kann. nen wurde, und geben sie ab, wenn Strom dazu, dass sich Wasser an gerade Windstille herrscht oder die der sogenannten Anode in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauer- stoff zerlegt. Zunächst entstehen Sauerstoff und positiv geladene Wasserstoff-Ionen (Protonen). Diese H2: Wasserstoff wandern durch die nur für sie durch- CH4: Methan lässige Membran und vereinigen sich an der Kathode mit Elektronen zu gasförmigem Wasserstoff. Schwankende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien H2 ELEKTROLYSE METHANISIERUNG CH4 H2 Sonne nicht ausreichend scheint. Ein H2 Erdgasnetz Verfahren, das dabei zum Einsatz Gasspeicher kommt, heisst Power-to-Gas. Dabei werden mit elektrischem Strom, zum Beispiel aus Wind- oder Sonnenener- gie, Gase wie Wasserstoff oder Methan Industrielle Nutzung Mobilität Stromerzeugung Wärmeversorgung erzeugt. Diese Gase dienen als Ener- giespeicher und speisen bei Bedarf ihren Energieinhalt wieder in die Ener- gieversorgung zurück. Mit Wasserstoff lassen sich beispielsweise Fahrzeuge mit einer Brennstoffzelle betreiben (siehe Seite 13). Das Gas lässt sich auch in das Erdgasnetz einspeisen. Die Industrie wiederum kann es verwenden, um ihre Produktionsprozesse aufrecht- zuerhalten: Wasserstoff ist ein wichtiger Rohstoff, etwa bei der Herstellung von Gewinnung von Wasserstoff Stickstoffdünger in der chemischen Industrie oder beim «Aufbrechen» (Cracken) von Kohlenwasserstoffen in Erdölraffinerien. Wasserstoff entsteht unter anderem durch die Elektrolyse von Wasser. Im Prinzip wird dabei Strom in Wasser 10
geleitet, das sich daraufhin in seine Methan erzeugt, dem Hauptbestandteil neues Verfahren dafür entwickelt und Bestandteile Wasserstoff und Sauer- von herkömmlichem Erdgas. so erreicht, dass sich aus Biogas aus stoff zerlegt. Für die Elektrolyse existie- Ein Spezialfall der Methanisierung ist Bioabfällen bis zu 60 Prozent mehr ren unterschiedliche Verfahren. Das PSI die sogenannte Direktmethanisierung. Bio-Methan gewinnen lässt (siehe: wendet die Protonen-Austausch-Mem- Dabei wird der Wasserstoff nicht mit Eine Plattform – viele Energiesysteme, bran-Elektrolyse an (Proton Exchange reinem Kohlendioxid zusammenge- Seite 6f). Die höhere Methanausbeute Membrane Electrolysis, PEMEL, siehe bracht, sondern mit Biogas, das bereits schont damit Ressourcen und die Um- Seite 10). zu einem guten Teil aus Methan be- welt. steht, aber noch einen vergleichsweise Sowohl bei der Gewinnung von Was- hohen Anteil an Kohlendioxid enthält. serstoff als auch bei der Methanisie- Methanisierung Auch direkt in diesem Gasgemisch rung kommen Hilfssubstanzen zum lässt sich aus Kohlendioxid mit Was- Einsatz, die die Reaktionen überhaupt Eine weitere Möglichkeit, Energie in serstoffzugabe zusätzliches Methan erst ermöglichen. Es handelt sich um Gas zwischenzulagern, ist die soge- erzeugen und so der Methangehalt im sogenannte Katalysatoren, die am PSI nannte Methanisierung. Dabei wird aus Biogas deutlich erhöhen, bis zur Erd- ebenfalls intensiv erforscht werden Wasserstoff und Kohlendioxid das Gas gasqualität. PSI-Forschende haben ein (siehe Seite 14f.). Weissbuch Power-to-X Wissenschaftler des PSI haben gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von sechs Schweizer Hochschulen und Forschungsinstitutionen umfangrei- che Informationen zu verschiedenen Aspekten von Power-to-X-Technologien zusammengetragen. So werden Technologien bezeichnet, mit denen Energie in Zeiten eines Überangebots von elektrischem Strom in anderen Energie- formen, zum Beispiel chemischen Energieträgern, gespeichert werden. Unter anderem haben die Forschenden in einem Weissbuch zusammenge- fasst, welches Potenzial Power-to-X-Verfahren für die Energiestrategie 2050 haben, vor welchen Herausforderungen die Technologie steht und welche Schlüsselfaktoren eine Verbreitung begünstigen. In Auftrag gegeben hat das Weissbuch die Eidgenössische Energieforschungskommission (CORE), erstellt haben es die Partner des Swiss Competence Center for Energy Research (SCCER) Heat and Electricity Storage, Biosweet, Crest, Furies und Mobility, und finanziert haben es die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung Innosuisse sowie das Bundesamt für Energie (BFE). Ein Fazit: Die Beiträge, die Power-to-X in einzelnen Energiesektoren wie Verkehr, Heizung oder durch die Rückverstromung leisten kann, sind sehr unterschiedlich. So ist die erneute Gewinnung von Strom aus Energieträgern wie Wasserstoff oder Methan, die mit Power-to-X-Verfahren erzeugt wurden, derzeit noch sehr teuer. Die Kosten für solche − auch Power-to-Power genannten − Verfahren könnten aber durch Technikfortschritte und durch zunehmende Erfahrung im Umgang mit diesen Technologien bis 2030 um bis zu zwei Drittel sinken. Kraft- und Brennstoffe, die mit Strom aus erneuerbaren Energien in Power-to-X-Verfahren entstehen, können fossile Energieträger wie Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel ersetzen und somit helfen, Kohlendioxid-Emissionen zu reduzieren. Wirtschaftlich wird dies aber nur sein, wenn entsprechende umweltpolitische Anreizmechanismen zum Tragen kommen. Download «Power-to-X: Perspektiven in der Schweiz» unter https://bit.ly/38ceyW5 11
Wertvoller Wasserstoff Wasserstoff ist das häufigste Element than, was die Effizienz der gesamten sehr schnell verbrennt, könnte die im Universum. Auf der Erde spielt er Umwandlungskette steigert und viel- Turbine mit mehr Wasserstoff im Brenn- eine bedeutende Rolle für das Leben fältige Speicheroptionen eröffnet. Un- gasgemisch vielleicht sogar besser auf und den Energiekreislauf in der Natur. tersuchungen mit Gasbrennern haben schnelle Laständerungen ansprechen, Im Energiesystem der Zukunft entsteht gezeigt, dass man Methan bis zu 20 hoffen die Wissenschaftler. Dass Gas- er in Power-to-Gas-Verfahren, treibt oder gar 30 Prozent Wasserstoff zuset- netze für hohe Wasserstoffanteile fit Brennstoffzellen an oder lässt sich in zen kann, ohne dass die Gasbrenner gemacht werden können, zeigt ein Blick das vorhandene Erdgasnetz einspei- durch lokale Überhitzung Schaden in die Vergangenheit: Noch bis vor rund sen. nehmen. Deshalb wollen die PSI-For- 50 Jahren war Stadtgas in der Schweiz schenden herausfinden, ob auch die weit verbreitet und enthielt bis zu Ins Erdgasnetz eingespeist wird Was- kleine Gasturbine so viel Wasserstoff 50 Prozent Wasserstoff serstoff bereits jetzt, allerdings in ei- verträgt und wie sie bei einem höheren nem sehr geringen Anteil. Über einen Wasserstoffanteil auf kurzfristig nach- weiteren Schritt kann Wasserstoff auch gefragte Lastspitzen reagiert. Da Was- zu Methan – dem Hauptbestandteil von serstoff sehr reaktionsfreudig ist und Erdgas – umgewandelt werden. Die Minigasturbine ist Teil der ESI-Plattform und wandelt Methan PSI-Forschende prüfen jetzt an einer in Strom und Wärme um. Minigasturbine, wie sich der Wasser- PSI-Forschende prüfen an ihr, wie stoffanteil im Erdgasgemisch erhöhen sich der Wasserstoffanteil im Erdgas- lässt. Die Anlage ist in ihrem Gehäuse gemisch erhöhen lässt. nicht grösser als ein Kleiderschrank und liefert eine elektrische Leistung von 100 Kilowatt. Damit könnte man den Leistungsbedarf eines kleinen Quartiers mit etwa fünf bis sieben Ein- familienhäusern abdecken – passend zum Trend, die Stromversorgung zu dezentralisieren. Die Minigasturbine ist ein kommerzielles Produkt und eine typische Anlage zur Wärme-Kraft-Kopp- lung, wie sie in Hotelanlagen, Wohn- siedlungen und auf Campingplätzen zum Einsatz kommen kann, um die dortige Infrastruktur mit Strom und Wärme zu versorgen. Wasserstoff lässt sich in Zukunft um- weltfreundlich mithilfe der Elektrolyse gewinnen (siehe Seite 10), wenn genü- gend Strom aus neuen erneuerbaren Energien zur Verfügung steht. Wenn sich mehr Wasserstoff im Erdgas ver- wenden lässt, entfällt der Umwand- lungsschritt von Wasserstoff zu Me- 12
Saubere Energie dank Brennstoffzelle So kann beispielsweise Wasser, das Abfallprodukt aus der Reaktion von Was- serstoff und Sauerstoff, für Brennstoff- zellenantriebe in der Praxis ein Problem darstellen. In kälteren Klimaregionen kann das Wasser nämlich bei abge- schaltetem Antrieb gefrieren und die Funktion der Brennstoffzellen beein- trächtigen. PSI-Forschende haben des- halb mithilfe der Spallations-Neutronen- quelle SINQ die Verteilung von Eis und Wasser in einer Brennstoffzelle direkt abgebildet. Ebenso überprüften sie, wie ein speziell entwickeltes Material das entstehende Wasser besser ableitet. Mithilfe der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS untersuchten PSI-For- schende ausserdem, wie die Polymer- Wenn wir atmen, nehmen wir Sauer- -beschleuniger – durchführen, welche elektrolytmembran einer Brennstoffzelle stoff in unseren Körper auf. Das lebens- einzigartige Einblicke in das Innere der verschleisst. Das bessere Verständnis wichtige Gas benötigen wir, um Ener- Brennstoffzellen und der genutzten dieser Vorgänge in einer Brennstoffzelle gie zu gewinnen. Eine Reaktion dabei Materialien ermöglichen. Dadurch ge- wird dabei helfen, bessere Materialien ist die Verbindung von Wasserstoff und winnen die Forschenden ein grundsätz- und Verfahren für deren Einsatz im Ener- Sauerstoff zu Wasser. Genau das ge- liches Verständnis der Vorgänge in der giesystem zu entwickeln. schieht auch in einer Brennstoffzelle. Brennstoffzelle und können sie sehr gezielt verbessern. Eine Brennstoffzelle erzeugt elektri- schen Strom aus einem Brennstoff und Sauerstoff. Der Brennstoff ist meist Wasserstoff, kann aber auch Methanol, Butan oder Erdgas sein. Bei der Reak- Prinzip der PEM-Brennstoffzelle: tion von Wasserstoff mit Sauerstoff wird An der Anode wird Wasserstoff Anode – + Kathode unter Abgabe von Elektronen Energie frei und es entsteht Wasser. Auf Wasserstoff e– Sauerstoff zu Protonen (H+) oxidiert, die durch diese Weise liefert eine Brennstoffzelle e– PEM e– die Membran wandern. An der Kohlendioxid-freie, saubere Energie. e– (Protonen- e– Kathode wird Sauerstoff durch Austausch- Das PSI engagiert sich seit vielen Jahren Membran) e– Elektronen (e–) reduziert; auf verschiedenen Stufen der Brenn- H+ e– es entsteht Wasser. Anode und stoffzellenforschung: von der Optimie- Kathode sind an einen elektri- H + schen Verbraucher angeschaltet; rung einzelner Komponenten bis zur H+ es fliesst Strom. Untersuchung vollständiger Brennstoff- H+ zellensysteme. Am PSI können For- Wasser schende Untersuchungen mithilfe von Grossanlagen – Teilchenerzeuger und 13
Die Möglichmacher Am PSI entwickeln Forscher effizientere Katalysatoren sowie die dafür notwendigen Trägermaterialien. Katalysatoren sind Substanzen, die eine giereicheren Methan umzuwandeln, chemische Reaktion beschleunigen, benötigt man Katalysatoren. Für die effizienter machen oder gar erst ermög- Reaktion von Kohlendioxid mit Was- lichen. Die Rolle von Katalysatoren über- serstoff zu Methan ist das Element aufgelöster Spektroskopie an der Syn- nehmen in der Biologie Enzyme. Das Nickel besonders geeignet. Es kommt chrotron Lichtquelle Schweiz SLS den sind natürliche Eiweissmoleküle, die es bei der Direktmethanisierung zum Ein- Verlauf von chemischen Reaktionen zu dem Menschen beispielsweise ermög- satz, einer am PSI entwickelten Tech- beobachten. Das hat gegenüber kon- lichen, Stärke in Zucker umzuwandeln. nologie, um die Methanausbeute bei ventionellen Verfahren einen entschei- Auch in der Industrie sind Katalysatoren der Vergärung von Bioabfällen deutlich denden Vorteil: Statt nur Momentauf- von unschätzbarem Wert. zu erhöhen (siehe die Seiten 6, 7 und nahmen lässt sich der Verlauf der 11). Der Katalysator sorgt dafür, dass Reaktionen darstellen. Es ist wichtig, Kohlendioxid ist als Endprodukt vieler sich Kohlendioxid und Wasserstoff zu genau zu verstehen, wie sich die Ab- Verbrennungen ein vergleichsweise Methan und Wasser verbinden. läufe mit der Zeit verändern, denn wäh- träges Gas, das nicht gerne mit anderen Bei der Untersuchung und Optimierung rend einer chemischen Reaktion vari- Substanzen reagiert. Um Kohlendioxid von Katalysatoren profitieren PSI-For- ieren unter Umständen Temperaturen bei moderaten Temperaturen zum ener- schende von der Möglichkeit, mit zeit- und die Mengen der Ausgangsstoffe. 14
Saubere Abgase dank Struktur bietet enorm viel Oberfläche. sen sich Empfehlungen ableiten, wann Schwammstruktur Wenn sich darin das Palladium fein dem Katalysator wie viel Ammoniak verteilt, kann es noch besser mit den zugeführt werden sollte, um die Stick- Katalysatoren leisten wertvolle Dienste Abgasen reagieren – der Schadstoff- oxide im Abgas zu jeder Zeit so gering beim Filtern von Abgasen. So arbeiten ausstoss verringert sich deutlich. wie möglich zu halten. Forschende des PSI daran, leistungs- fähigere Katalysatoren für Gasautos zu entwickeln. Weg vom Wasser spalten In einem Fahrzeugkatalysator wird das «schmutzigen Diesel» Abgas durch eine Vielzahl paralleler Ein Energieträger der Zukunft ist Was- Kanäle aus Keramik geleitet. Deren In Dieselmotoren entstehen bei der serstoff: Er lässt sich in Tanks speichern Oberfläche ist mit dem eigentlichen Verbrennung des Kraftstoffs gesund- und später, zum Beispiel in Brennstoff- Katalysator beschichtet. Meist besteht heitsschädliche Stickoxide. Um diese zellen, wieder in elektrische Energie er aus fein verteilten Edelmetallparti- zu reduzieren, wird dem Abgas gasför- umwandeln. Gewonnen wird Wasser- keln, häufig Palladium auf einer Träger- miges Ammoniak zugegeben, das, an- stoff aus Wasser in sogenannten Elek- substanz. Je nach Motortyp bleiben geregt durch einen Katalysator, mit den trolyseuren mit Strom (siehe Seite 10). beim Verbrennen von Erd- oder Biogas Stickoxiden zu harmlosem Stickstoff Forschende des PSI haben ein neues aber recht grosse Mengen des Haupt- und Wasser reagiert. Katalysator ist in Material entwickelt, das dort als Kata- bestandteils Methan übrig. Dieses lässt diesem Fall Kupfer auf einem Zeolith- lysator die Aufspaltung der Wassermo- sich mit üblichen Katalysatoren nicht Gerüst. Bei niedrigen Temperaturen leküle beschleunigt. so einfach zersetzen. funktioniert der Prozess jedoch noch Ziel der Forschenden am PSI ist ein In Tests, die die PSI-Forschenden nicht optimal. Katalysator, der gleichzeitig effizient durchführten, erwiesen sich für diesen Die Forschenden untersuchten Struktur und günstig ist, weil er ohne Edelme- Zweck Zeolithe als am besten geeignet. und Funktion eines Kupfer-Zeolith-Ka- talle auskommt. Dafür greifen sie auf Das sind hochporöse Substanzen auf talysators unter realistischen Betriebs- ein bekanntes Material zurück: Perows- Basis von Siliziumdioxid. Unter dem bedingungen an der SLS. Das wich- kit, eine komplexe Verbindung der Ele- Mikroskop sehen sie aus wie ein tigste Ergebnis: Eine stufenweise mente Barium, Strontium, Kobalt, Eisen Schwamm: durchzogen von vielen win- Dosierung des Ammoniaks erlaubt eine und Sauerstoff. zigen Löchern, die über Kanäle mitein- schnellere Reaktion als eine bei kons- Sie entwickelten als Erste ein Verfah- ander verbunden sind. Eine solche tanter Ammoniakzugabe. Daraus las- ren, das Perowskit in Form von winzigen Nanopartikeln erzeugt. Nur so kann es effizient wirken, denn ein Katalysator benötigt eine möglichst grosse Ober- Zeolithe sind aufgrund ihrer Schwammstruktur hervorragende fläche. Macht man die Partikel des Trägermaterialien für Katalysatoren. Katalysators möglichst klein, addieren In ihrem Gerüst fein verteilte sich deren Oberflächen zu einer umso Metalle können besonders effektiv grösseren Gesamtoberfläche. Das neue mit den Abgasen reagieren. Herstellungsverfahren liefert grosse Mengen des Katalysatorpulvers und dürfte sich leicht an einen industriellen Massstab anpassen lassen. 15
Das Thema Energie und Umwelt hat ungemein viele Facetten Sie arbeiten intensiv mit der Industrie zusammen. Das verbindet man auf den ersten Blick nicht mit dem PSI und seiner Grundlagenforschung. Im Endeffekt geht es insbesondere in der Energieforschung darum, Techno- logien und Expertise bereitzustellen, damit die Schweizer Energiestrategie erfolgreich umgesetzt werden kann. Hierfür wurden schweizweit mehrere Kompetenzzentren, die SCCERs, ge- gründet, von denen zwei das PSI leitet: eines zur Energiespeicherung und ei- nes zur energetischen Nutzung von Biomasse. Zudem arbeiten wir in vielen Einzelprojekten mit Partnern aus der Was macht die Forschung im Bereich kungen auf unsere Umwelt haben: Koh- Industrie zusammen. Diese Zusammen- Energie und Umwelt so interessant? lendioxid, Feinstaub, organische Kom- arbeit hat den Vorteil, dass man direkt Thomas Justus Schmidt: Das Thema ist ponenten aus Verbrennungsprozessen lernt, welche Punkte für die Industrie nicht nur ein Forschungsthema, son- und andere, die potenziell gesund- beziehungsweise ein spezielles Pro- dern auch politisch und gesellschaftlich heitsschädliche Stoffe bilden. Hier dukt wichtig und entscheidend sind. wichtig. Unsere Arbeit ist immer vor dem müssen wir schauen: Was passiert mit Diese Fragen aus der Industrie führen Hintergrund der Schweizer Energiestra- Schadstoffen, die durch unseren Ener- nicht selten zu grundlegenden For- tegie zu sehen. Zum Beispiel: Wie las- gieverbrauch in die Umwelt gelangen? schungsaufgaben, die trotzdem sehr sen sich 35 Prozent nukleare Energie Was geschieht mit Abgasen? Wie ver- relevant für unsere Industriepartner mittelfristig durch erneuerbare Energie- ändern sich die Schwebstoffe in der sind. Deswegen bezeichnen wir unsere quellen ersetzen? Welche Auswirkun- Atmosphäre? Das alles ist auch wichtig, Forschung oft auch als angewandte gen hat das auf das Schweizer Energie- um zu verstehen, welche Auswirkung Grundlagenforschung. system? Wie kann die Schweiz ihre wir als Faktor Mensch haben. Emissionsziele bezüglich Kohlendioxid umsetzen? Unsere Aufgabe ist es, Lö- sungen anzubieten. Nicht nur für heute Zur Person oder morgen, sondern auch langfristig Thomas Justus Schmidt (geboren 1970 in Konstanz) ist seit Januar 2018 Leiter des für in 10 bis 20 Jahren und danach. Forschungsbereichs Energie und Umwelt (ENE) des PSI. Er studierte Chemie an der Universität Ulm/Deutschland, wo er auf dem Gebiet der Elektrokatalyse von Brennstoff- Wie hängen die Themen Energie und zellenreaktionen promovierte. Seine wissenschaftliche Karriere führte ihn über das Umwelt zusammen? Lawrence Berkeley National Laboratory, Kalifornien/USA, in das Elektrochemielabor des PSI. Nach einem achtjährigen Abstecher in die chemische Industrie wurde er 2011 Jede Energieform, die wir verbrauchen, zum Professor für Elektrochemie im Departement für Chemie und Angewandte Biowis- verbrauchen wir infolge von Energie- senschaften der ETH Zürich ernannt und übernahm die Leitung des Labors für Elektro- umwandlungsprozessen. Diese Um- chemie des PSI. Seit 2014 leitet er zudem eines der Kompetenzzentren für Energiefor- wandlungsprozesse sind natürlich nie schung des Bundes: das Kompetenzzentrum zu Strom- und Wärmespeicherung (SCCER zu 100 Prozent vollständig und können Heat and Electricity Storage). Emissionen verursachen, die Auswir- 16
Gut und lange geladen Strom sorgt für Licht und Wärme, treibt len, dem gängigen Material für die Ein tiefer Blick in einen völlig anderen die meisten Haushaltsgeräte an und Elektroden handelsüblicher Akkus. Typ von Batterien offenbarte Verbesse- versorgt unsere Unterhaltungsgeräte Durch ausgeklügelte Optimierung der rungspotenzial bei den sogenannten mit Energie. Durch den Mobilitätswan- Graphitanode – der negativen Elek Feststoffbatterien. Diese Art Akku del und neue Verkehrskonzepte wird trode – bei einer herkömmlichen Lithi- kommt völlig ohne Flüssigkeiten aus, elektrische Energie auch hier an Be- umionen-Batterie erhöhten die For- die in herkömmlichen Akkus für den deutung gewinnen. Strom lässt sich in schenden die bei hohen Strömen Ladungstransport zuständig sind. Da Batterien, auch Akkumulatoren ge- nutzbare Speicherkapazität unter La- diese Flüssigkeiten brennbar sind, wür- nannt, speichern und so auch mobil borbedingungen auf das Dreifache. den Feststoffbatterien die Elektromo- einsetzen. Das stellt Stromspeicher Eine Zugabe von Silizium erhöhte die bilität deutlich sicherer machen. Rönt- vor Herausforderungen, die PSI-For- nutzbare Speicherkapazität weiter. genaufnahmen an der Synchrotron schende lösen. Auch bei einem anderen Batterietyp Lichtquelle Schweiz SLS des PSI liefer- auf Lithiumbasis erzielten PSI-For- ten Forschenden bislang einmalige Ob in Smartphones, Tablets, Laptops schende eine deutliche Leistungsstei- Einblicke in die Abläufe einer Feststoff- oder Elektrofahrzeugen – ein Problem, gerung. Lithium-Schwefel-Akkus kön- batterie sowohl beim Auf- als auch das sich bei allen mobilen Stromspei- nen theoretisch deutlich mehr Energie beim Entladen. Das verbessert das chern stellt, ist ihre Haltbarkeit. Mit liefern als die üblichen Lithiumionen- Verständnis von den Schädigungen, anderen Worten: Nicht nur wie schnell, Akkus, die heutigen Prototypen verlie- die der Akku dabei erleidet, und hilft, sondern auch wie oft und wie zuverläs- ren aber schon nach wenigen Ladezy- bessere Energiespeicher für die Zukunft sig kann ich wie viel Energie darin spei- klen merklich an Kapazität. Durch die zu entwickeln. chern und abrufen? Forschende des Optimierung der Elektrodenstruktur PSI-Labors für Elektrochemie arbeiten liess sich die Zahl der Ladezyklen deut- daran, bestehende Systeme zu verbes- lich steigern. sern, zum Beispiel solche auf Basis von Lithium, aber auch neue Speichersys- teme zu entwickeln, zum Beispiel auf Basis anderer Elemente wie Natrium. Mithilfe der Grossforschungsanlagen des PSI blicken die Forschenden in die Materialien, um die Vorgänge bei- spielsweise beim Auf- und Entladen teilweise bis auf die Ebene einzelner Atome hinab zu verfolgen. Dabei be- rücksichtigen sie alle Komponenten einer Batterie, von den Kontakten, über die Strom zu- oder abfliesst, bis zum eigentlichen Speichermaterial, das die elektrische Energie vorhält. Die Synchrotron Lichtquelle So gelang es einer Forschergruppe des Schweiz SLS ermöglicht direkten PSI in Kooperation mit Forschenden der Einblick in die Vorgänge innerhalb ETH Zürich, ein neues Verfahren zu einer Batterie. entwickeln, um deutlich leistungsfähi- gere Elektroden aus Graphit herzustel- 17
Die Atmosphäre im Blick Wenn wir Energie gewinnen oder nut- archiv zu bewahren, beteiligen sich zen, beeinflussen wir auch immer un- PSI-Forschende am internationalen sere Umwelt, vor allem die Erdatmo- Ice-Memory-Projekt. Im Rahmen dieses sphäre. Das PSI erforscht darum Projektes werden weltweit Eisbohr- Vorgänge in der Luft − sowohl nahe an kerne gewonnen, die dann geschützt der Erdoberfläche als auch in mehreren vor Klimawandel und steigenden Tem- tausend Metern Höhe. Das Wissen da- peraturen in einem Lager in der Antark- rüber hilft, richtige Entscheidungen in tis aufbewahrt werden sollen. Sachen Luftreinhaltung zu treffen. Mithilfe von Eisbohrkernen aus den Al- pen zeigten PSI-Forschende beispiels- Was haben die Arktis und Antarktis, weise erstmals, dass industrieller Russ Grossstädte wie Peking oder Neu-Delhi kaum verantwortlich sein kann für die und das Schweizer Jungfraujoch ge- Schmelze der Alpengletscher, die sich mein? An allen diesen Orten arbeiten vor allem zwischen 1850 und 1875 voll- PSI-Forschende. Sie messen Umwelt- zog. Erst ab etwa 1875 übersteigt der faktoren und sammeln Daten, um sich Russgehalt der Luft den natürlichen Wert ein besseres Bild von den Vorgängen und lässt sich somit auf menschliche in der Atmosphäre zu machen. Aktivitäten zurückführen. Zuvor stammte In den Alpen gewinnen PSI-Forschende der Russ vorwiegend aus natürlichen Eisbohrkerne aus Gletschern. In ihnen Quellen, vor allem aus Waldbränden. sind Spurenstoffe aus der Atmosphäre längst vergangener Zeiten eingeschlos- sen. Durch die Analyse ihrer Zusam- Hoch oben mensetzung lassen sich Trends in der Klimageschichte ermitteln. Diese er- Auf rund 3500 Metern Höhe, in der möglichen es wiederum, Prognosen für Forschungsstation auf dem Jungfrau- die künftige Entwicklung unseres Kli- joch, untersuchen PSI-Forschende un- mas aufzustellen. Um dieses kalte Ge- ter anderem Aerosole, die landläufig dächtnis der Erde als einmaliges Klima- besser als Feinstaub bekannt sind. Die Smogkammer des PSI ist ein Partner innerhalb des Infrastrukturprogramms EUROCHAMP-2020, einem internationalen Programm zur Integration von europäischen Simulationskammern, um atmosphärische Prozesse zu unter- suchen. Dieses Programm unterstützt Forscher beim Zugang zu hochmodernen Smogkammeranlagen in Europa, einschliesslich der PSI-Smogkammer. EUROCHAMP-2020 bietet Forschern die Möglichkeit, ihre Instrumente und ihr Fachwissen in verschiedene Simulationskammern für Messkampagnen und Instrumentenprüfungen einzubringen. www.eurochamp.org 18
In der Smogkammer des PSI kann man studieren, wie aus Gasen und festen Partikeln Feinstaub entsteht und wie dieser Feinstaub sich in der Atmosphäre verändert. 19
Aerosolforschung auf dem Jungfraujoch hilft unter anderem dabei, besser zu verstehen, wie in den verschiedenen Jahreszeiten Russteilchen zu Wolkentröpfchen werden. Auch sie beeinflussen das Klima. An- Luft in gigantischen Metropolen wie ders als die Treibhausgase Kohlendi- dem indischen Delhi untersuchen. Dort oxid und Methan tragen sie aber nicht messen sie zwanzig bis dreissig Mal dünner Teflonfolie. In diesen Raum immer zur Erwärmung bei, sondern höhere Konzentrationen von Schadstof- lassen sich gezielt Gase leiten. Um die können das Klima auch abkühlen. Man- fen als in der Schweiz – vornehmlich natürliche Umgebung möglichst gut che absorbieren Sonnenlicht, erhitzen aus menschlichen Quellen. Mit ihren nachzustellen, lässt sich die Kammer sich dadurch und tragen so zur Erwär- Geräten und Analysen decken die Wis- mit UV-Licht bestrahlen, das dem UV- mung der Atmosphäre bei. Andere senschaftler auf, welche Quellen und Anteil des Sonnenlichts entspricht. So streuen das Licht zurück ins All, haben Prozesse wie viel Feinstaub produzie- können Wissenschaftler Vorgänge in also einen kühlenden Effekt. Zudem ren und welche Massnahmen daher die der Atmosphäre unter kontrollierten bilden sich an Aerosolpartikeln Wol- Situation verbessern können. Bedingungen beobachten und analy- kentröpfchen. Dank der Höhenlage des In China ist das bereits gelungen: Dort sieren. Jungfraujochs lässt sich dort sehr gut haben PSI-Forschende gezeigt, dass erforschen, wie sich die kurzlebigen der Smog in Peking zu einem wesent- Partikel auf dem Weg von der Erdober- lichen Teil aus sekundär gebildetem Vom Grossen zum Kleinen fläche in die höheren Schichten der Feinstaub besteht, zu dem auch weit Atmosphäre verändern und dort entfernte Quellen beitragen. Neben Energieproduktion geht einher mit schliesslich die Wolkenbildung beein- Messungen vor Ort führten sie dafür Emissionen in Form von Feinstaub und flussen. auch Experimente in der Smogkammer Gasen. Die daraus resultierenden am PSI durch und importierten dafür Klima- und Gesundheitseffekte sind Dicke Luft in Delhi einen chinesischen Ofen samt Kohle. das Resultat einer enormen Zahl kom- Die Erkenntnisse trugen dazu bei, die plexer Prozesse in der Atmosphäre. Um An einem Standort mit weitaus höheren Luftqualität in Peking durch Massnah- Auswirkungen der Energieproduktion Temperaturen als an den Polen der Erde men der Regierung zu verbessern. bestimmten Quellen oder Prozessen oder in den alpinen Lagen der Alpen Das Herz der Smogkammer des PSI ist zuzuordnen oder Auswirkungen in die arbeiten PSI-Forschende, wenn sie die ein 27 Kubikmeter fassender Kubus aus Zukunft zu projizieren, benötigen wir 20
nebst der Diagnose in der Atmosphäre eines Eiskeims organisieren. Oder sie stehen auch externen Nutzern für Fra- auch Experimente im Labor, die es er- bekommen Einblick in das Schicksal gen an der Schnittstelle von Umwelt- lauben, einzelne physikalische und von Nitrat, einem Abbauprodukt von forschung und physikalischer Chemie chemische Phänomene im Detail zu Stickoxiden, an der Eisoberfläche, be- zur Verfügung. verstehen. Dazu gehören die Smog- vor es in einem Gletscher archiviert kammern, aber auch mit modernsten wird. Schliesslich lernen sie das Zu- analytischen Methoden ausgerüstete sammenspiel von gelösten Stoffen an Umwelt mobil Reaktoren im Labor. der Wasseroberfläche verstehen, zum Hier kommen auch die Grossfor- Beispiel wenn sich ein Wolkentröpf- Um nicht nur an einzelnen Orten die schungsanlagen des PSI zum Zuge. chen bildet. Ein anderes Experiment Umwelt zu erforschen, können For- PSI-Forschende haben an der Synchro- erlaubt es, mit Röntgenblick in Fein- schende das sogenannte Smogmobil tron Lichtquelle Schweiz SLS Infrastruk- staubteilchen hineinzuschauen, um zu nutzen. Das Fahrzeug kann mit vielen turen aufgebaut, um Vorgänge an Ober- sehen, wie sie aufgebaut sind oder wie verschiedenen Messinstrumenten flächen von Feinstaub, Eis oder Wasser sie unter dem Einfluss einer chemi- ausgestattet werden. Bei Messfahrten auf molekularer Ebene zu untersuchen. schen Reaktion oder unter veränderten können sie damit sowohl die räumliche So lernen sie zu verstehen, wie sich Umweltbedingungen ihre Struktur än- als auch die zeitliche Verteilung von Wassermoleküle auf der Oberfläche dern. Diese experimentellen Anlagen Schadstoffen in der Luft untersuchen. Das Smogmobil des PSI. Darin instal- lieren lässt sich unter anderem eine Apparatur, die Luft durch die Poren eines Filters zieht. Die Ablage- rungen können Forschende dann analysieren. 21
Der Kern der Dinge Die Schweiz wird aus der Kernenergie aussteigen − das sieht die Energiestra- tegie 2050 vor. Voraussichtlich in etwa 25 Jahren wird das letzte Kernkraftwerk vom Netz gehen. Über diesen Zeitpunkt hinaus soll das Wissen zum Umgang mit Kernenergie und allen sicherheits- relevanten Aspekten erhalten und durch Forschung verbessert werden. Nur so lassen sich auch in Zukunft valide Fakten vorhalten, damit die Schweiz in Bezug auf die Kernenergie weiterhin national und international gute Entscheidungen treffen und als kompetenter Gesprächspartner mitre- den kann. Die Forschenden im PSI-Bereich Nuk- leare Energie und Sicherheit (NES) ar- beiten an folgenden Aufgaben: • Erwerb neuer wissenschaftlicher Er- kenntnisse über nukleare Sicherheit • Weiterentwicklung modernster Simu- lationsmethoden für Sicherheitsbe- wertungen • Bewertung und/oder Aktualisierung der Kriterien für die nukleare Sicher- heit, um Änderungen der Strategien für die Stromerzeugung, die techno- logische Entwicklung, Modernisie- Konkrete Fragen lauten beispielsweise: Wie ein Schwamm rungen und den langfristigen Betrieb Wie altert das Material, das in Kern- für Wasserstoff zu berücksichtigen kraftwerken verwendet wird? Wie ver- • Entwicklung von experimentellen halten sich die Brennstäbe, insbeson- So fand beispielsweise die Gruppe Nu- Einrichtungen zusammen mit mo- dere die Hüllrohre, die den eigentlichen klearbrennstoffe heraus, wie die Integ- dernsten Instrumentierungstechni- Brennstoff, das Uranoxid, einschlies- rität der Hüllrohre von Kernbrennstäben ken für das Design, die Durchführung sen, während des Betriebs und nach beeinflusst werden könnte. Dafür nutz- und die Interpretation von Messun- ihrem Einsatz? Was würde im Falle ei- ten die Forschenden bildgebende Ver- gen an realen physikalischen Phä nes schweren Reaktorunglücks passie- fahren mit Neutronen. Das Neutronen- nomenen von hoher Sicherheits ren: Wie reagiert beispielsweise das Imaging ist ein am PSI perfektioniertes relevanz, die für die Verifizierung, Brennstoffmaterial bei einer Kern- Verfahren, das eine eigene PSI-Arbeits- Validierung und Qualifizierung von schmelze und wie lässt sich sicherstel- gruppe an der hiesigen Grossfor- Berechnungsmethoden erforderlich len, dass radioaktive Substanzen nicht schungsanlage SINQ, der Schweizer sind in die Umwelt gelangen? Spallations-Neutronenquelle, mit einem 22
sondere in der Schweiz im Einsatz. Sie heit der schweizerischen Kernkraftwerke schützen die Hüllrohre gegen mecha- zu gewährleisten und fortwährend zu nische Beschädigungen. verbessern. Liner haben, so fanden die Forschen- Im Laufe der Zeit haben sich die Grenzen den heraus, einen positiven Effekt: des mit Simulationen Machbaren immer Hüllrohre, die über eine solche Schutz- weiter verschoben, und auch die An- schicht verfügen, weisen darunter we- sprüche an die Genauigkeit und Zuver- niger Hydride auf. Der Wasserstoff lässigkeit bei der Bewertung der Sicher- dringt vermehrt in diese Beschichtung heit von Kernkraftwerken haben sich ein und wird schon dort gestoppt. Der stark weiterentwickelt. Schon seit eini- Liner wirkt wie ein Schwamm für den gen Jahren geht der Trend hin zu soge- Wasserstoff. Als würde eine Person im nannten Best-Estimate-Modellen, das Bademantel in den Nieselregen gehen: heisst realistischen Rechenmodellen. Das Frottee saugt das Wasser auf, die Man versucht dabei, die Vorgänge in Haut bleibt trocken. Die Beschichtun- einem Reaktor auf Grundlage physika- gen, die ursprünglich zum mechani- lischer Gesetze möglichst genau zu Mit Rechenmodellen und Computer- schen Schutz eingeführt wurden, sta- beschreiben und zu quantifizieren. Da- simulationen untersuchen bilisieren so vermutlich die Hüllrohre bei werden auch die Unsicherheiten, Forschende die Vorgänge in auf lange Sicht zusätzlich. die diesen wie allen Berechnungen an- Kernkraftwerken und machen die haften, mithilfe einer etablierten statis- Anlagen so sicherer. tischen Methode ermittelt. Hypotheti- Simulationen machen sche Ereignisse, die zwar extrem Kernanlagen sicherer unwahrscheinlich sind, die man aus Sicherheitsgründen aber trotzdem un- Computersimulationen helfen entschei- tersuchen will, kann man damit erfor- dend dabei, Kernkraftwerke sicher zu schen, beispielsweise Störfälle in kom- betreiben. Auch Aufsichtsbehörden plexen Nuklearanlagen. überprüfen damit die Sicherheit der Die Forschenden am Labor für Simula- Anlagen. Ob es um den Einbau neuer tionen und Modellierung (LSM) am PSI der weltweit besten Neutronenmikros- Komponenten oder um Tests und Ver profitieren dabei von der rasanten Ent- kope regelmässig durchführt. Verschie- suche zur Wahrung der Sicherheit geht, wicklung der Computertechnologie. denste Arten von Gegenständen lassen fast alles muss vorher am Computer Von der Theorie inspiriert konstruieren sich damit durchleuchten. berechnet und analysiert werden. For- die Forschenden ein Modell. Letztend- Bei ihren Untersuchungen konzentrier- schende am PSI entwickeln dazu Re- lich heisst das: Sie entwerfen ein Com- ten sich die Forschenden auf Wasser- chenmodelle und Computerprogramme, puterprogramm als Modell und damit stoff, der in das Metall der Hüllrohre die Komponenten und Teilsysteme so- führen sie Simulationen durch. eindringt und dort sogenannte Hydride wie deren Zusammenspiel im Kernreak- In der aktuellen Entwicklungsphase mit den Metallen bildet, was die Stabi- tor immer genauer modellieren. Sie müssen Computer nicht unbedingt lität der Rohre beeinträchtigt. Die Ar- fungieren damit als unabhängige For- mehr vom Menschen programmiert beitsgruppe untersuchte nun, wie sich schungspartner der Schweizer Auf- werden, sondern lernen selbst. Die eine zusätzliche Schutzschicht bei sichtsbehörde, des Eidgenössischen Funktionsweise ähnelt der unseres Ge- Hüllrohren auswirkt, die sogenannten Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI, hirns. Dieses lernt auf verschiedenste Liner. Diese sind weltweit und insbe- und tragen dadurch dazu bei, die Sicher- Art und Weise, indem es Eindrücke von 23
Kernbrennstab aus Uranbrennstoff- Pellets, umgeben von einem Hüllrohr aus Zirkoniumlegierung. aussen Mit Sicherheit eingeschlossen verarbei- tet. Ähnlich ge- In der Schweiz schreibt das Kernener- schieht das auch giegesetz eine geologische Tiefenlage- beim sogenannten Ma- rung der hochaktiven sowie der chine Learning, nur dass dabei schwach- und mittelaktiven Abfälle aus Daten die äusseren Eindrücke er- Kernkraftwerken und anderen Quellen setzen. Machine Learning wird auch vor. Forscher des PSI wirken an diesem als viertes Standbein der Wissenschaft wichtigen gesellschaftlichen Unterfan- bezeichnet, neben der Theorie, dem gen mit, indem sie die Naturvorgänge Experiment und dem Hochleistungs- erforschen, die für die Sicherheit eines rechnen. Wir sind hier erst am Anfang: Tiefenlagers von Bedeutung sind. Grosse Fortschritte darf man in der nahen Zukunft erwarten. Mit Machine Learning können PSI-Forschende noch viel genauer als zuvor die Vorgänge in Nuklearreaktoren simulieren, bei- spielsweise die Wärmeübertragung von einem Medium auf ein anderes Eine Zukunftsfrage sowie die Bildung von Wasserdampf- Während die Schweiz im Rahmen ihrer Energiestrategie 2050 de facto den Ausstieg aus blasen, wenn sich Wasser erwärmt, der Kernenergie beschlossen hat, halten andere, auch europäische Länder an der Strom- ausgelöst durch die nuklearen Zerfälle erzeugung durch Kernspaltung (Fission) fest. Zusätzlich schreiten gross angelegte inter- in den Brennstäben. nationale Versuche, die Kernfusion nutzbar zu machen, weiter voran. Expertenwissen über Kernenergiefragen wird in der internationalen Gemeinschaft also nach wie vor gefragt sein. Die Schweiz hat ein Interesse daran, die globalen Entwicklungen der Nukleartech- nik aktiv zu verfolgen. Zum einen, weil Fragen der nuklearen Sicherheit über Staatsgren- Flüssigsalzreaktoren – zen hinausgehen, zum anderen, weil Nukleartechnologien der Zukunft, die sowohl das die Erforschung Unfallrisiko als auch die Menge und Radioaktivität des Abfalls wesentlich reduzieren einer Möglichkeit würden, eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz geniessen könnten. In diesem Sinne haben sich auch Bundesrat und Parlament geäussert und festgehalten, dass sie Bildung, Am PSI erforscht eine kleine Gruppe Lehre und Forschung zu sämtlichen Kernenergietechnologien weiterhin unterstützen werden. Bei der Ausbildung angehender Nuklearingenieure in der Schweiz spielt das PSI von Wissenschaftlern mit theoreti- eine zentrale Rolle. Der Nachwuchs wird – unabhängig davon, welchen Weg die Schweiz schen Modellen mögliche zukünftige in Sachen Energieversorgung wählt – auch in Zukunft vor wichtigen Aufgaben stehen. Kernreaktoren: die sogenannten Flüs- Das betrifft nicht nur das Personal der Kraftwerke selbst, sondern auch die Mitarbeiten- sigsalzreaktoren. Sie zählen zu den den der Aufsichtsbehörde, des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI, Kernkraftwerken der Generation IV, aber auch die Forschenden, die – sei es im Auftrag der Kraftwerksbetreiber oder des ENSI welche hohen Anforderungen an Si- – dazu beitragen, die Sicherheit kontinuierlich zu verbessern. Auch nach Ende der Lauf- zeit der schweizerischen Kernkraftwerke wird für die Stilllegung, den Rückbau der Anlagen cherheit, Nachhaltigkeit und Wirt- und die Entsorgung Fachwissen von Nuklearingenieuren gefragt sein. Mit der Betreuung schaftlichkeit entsprechen müssen. von Studierenden, Doktorierenden und jungen Wissenschaftlern trägt das PSI zusammen Die Gruppe für Schnelle Reaktoren am mit der ETH Zürich und der ETH Lausanne dazu bei, die Fachkompetenz in Sachen Nuk- PSI beschäftigt sich sowohl mit dem learenergie in der Schweiz langfristig zu erhalten: Im standortübergreifenden Masterstu- Potenzial als auch mit den Problemen diengang Nuclear Engineering lernen Ingenieure, wie man Kernkraftwerke effizient und von solchen möglichen zukünftigen sicher betreibt, wie man sie stilllegt und radioaktive Abfälle entsorgt. Kernreaktoren. 24
«Man kann international nur mitreden, wenn man Kompetenz hat» weis: Wir betreiben sichere Kernanla- Zur Person gen seit über 50 Jahren und haben eine breite Erfahrung zu bieten. Andreas Pautz (Jahrgang 1969) leitet seit 2016 den Forschungsbereich Nukleare Ener- gie und Sicherheit (NES) am PSI. Er studierte Wie ist das PSI bei der Errichtung eines Physik an den Universitäten Hannover und Schweizer Endlagers für radioaktiven Manchester und promovierte in Kerntechnik Abfall involviert? an der TU München. Nach fünfzehn Jahren Beispielsweise bei der Suche nach ei- als Nuklearsicherheits- und Reaktorphysik- nem geeigneten Standort. An drei po- experte in Industrie, Aufsicht und Forschung übernahm er 2012 am PSI die Leitung des tenziellen Standorten werden Bohrun- Labors für Reaktorphysik und Systemverhal- gen durchgeführt, und die Bohrproben ten und wurde zum Professor für Kerntech- kommen zu uns ans PSI. Hier untersu- nik an der ETH Lausanne ernannt. chen wir, ob die Ansprüche, die man an das Wirtgestein stellt, auch erfüllt sind. Aber auch danach, bis zur Inbe- Warum forscht das PSI an nuklearer blöcke. Es geht weltweit also weiter − triebnahme und darüber hinaus wird Energie und Sicherheit, wenn die da ist es ziemlich unerheblich, was wir sicherlich immer wieder wissenschaft- Schweiz doch aus der Kernenergie aus- hier in der Schweiz machen. liche Expertise von uns und anderen steigen wird? Kerntechnikexperten gefragt sein. Andreas Pautz: Trotz Ausstiegsbe- Sprich: Die Schweiz soll in puncto Kern- schluss werden einige Kernkraftwerke technik weiterhin mitreden können? Was hat sich in den letzten Jahren in in der Schweiz noch 25 Jahre und mög- Ja, und weiterhin über tiefgehendes Ihrem Forschungsbereich verändert? licherweise weit darüber hinaus laufen. kerntechnisches Knowhow verfügen. Wir haben unser Forschungsportfolio Entsprechend lange müssen wir in der Wir sind in internationalen Gremien gut in den letzten Jahren enorm verbreitert: Lage sein, die Werke und die Sicher- vertreten, etwa bei der Internationalen In mindestens drei Laboren gehen un- heitsbehörde wissenschaftlich-tech- Energieagentur und der Nuklearenergie- sere Arbeiten heute weit über klassi- nisch zu unterstützen, wo es notwendig Agentur der OECD; das sind wichtige sche kerntechnische Themen hinaus. wird. Hinsichtlich der Aufsichtsbehörde Gremien, in denen auch Entscheidun- So beispielsweise beim Labor für Ra- ist das sogar ein Mandat, das wir durch gen getroffen und Forschung vorange- diochemie und dem Labor für Energie- den Bund erhalten. Ausserdem: Es wird trieben wird – und da kann man nur systemanalysen: Wie soll das Energie- auch in 50 Jahren noch Kernkraftwerke mitreden, wenn man langfristig nukle- system der Schweiz in 30, 40 Jahren geben − und wahrscheinlich sogar are Kompetenzen erhält. aussehen, welche Optionen haben wir? mehr als heute. Wir haben uns auch neue Themen auf Liegt es im Interesse der Schweiz, sich die Fahnen geschrieben, darunter das Sie meinen in anderen Ländern? für die Sicherheit von Kernkraftwerken wissenschaftliche Rechnen. Das Labor Genau. Die meisten Werke stehen dann in anderen Ländern einzusetzen? für Scientific Computing und Modeling vermutlich nicht mehr in Europa und Unbedingt. Es gibt Newcomer-Staaten, soll eine tragende Säule in allen Fragen Nordamerika, sondern in Asien und in die neu in die Kernenergie einsteigen der Simulation fürs gesamte PSI wer- Afrika. China alleine hat in den letzten wollen, die aber kaum Infrastruktur den, dazu, wie man bestimmte Daten, zehn Jahren 35 Kernkraftwerke in Be- besitzen. Die brauchen kompetente die von einer der Grossforschungsan- trieb genommen und baut beziehungs- Unterstützung, und sicher kann das PSI lagen kommen, erfasst, analysiert und weise plant fast 60 weitere. Aber auch da eine Rolle spielen. Die Schweiz hat auswertet. Ungarn plant zwei grosse Kraftwerks- einen ausgezeichneten Leistungsaus- 25
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