Die schönsten Weihnachtsgeschichten - insel taschenbuch 4066 von Gesine Dammel - Insel 2011

 
WEITER LESEN
Die schönsten Weihnachtsgeschichten - insel taschenbuch 4066 von Gesine Dammel - Insel 2011
insel taschenbuch 4066

          Die schönsten Weihnachtsgeschichten
                                  von
                             Gesine Dammel

                                 1. Auflage

                                Insel 2011

                        Verlag C.H. Beck im Internet:
                                www.beck.de
                          ISBN 978 3 458 35766 7

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
Insel Verlag

        Leseprobe

Die schönsten Weihnachtsgeschichten

   Ausgewählt von Gesine Dammel

           © Insel Verlag
       insel taschenbuch 4066
         978-3-458-35766-7
»Mit den Tannenbumen begann es. Eines Morgens, als wir zur Schule gin-
gen, hafteten an den Straßenecken die grnen Siegel, die die Stadt wie ein
großes Weihnachtspaket an hundert Ecken und Kanten zu sichern schie-
nen. Dann barst sie eines schçnen Tages dennoch, und Spielzeug, Nsse,
Stroh und Baumschmuck quollen aus ihrem Innern: der Weihnachtsmarkt.«
                                                      Walter Benjamin

Die in diesem Band versammelten Weihnachtsgeschichten aus drei Jahr-
hunderten erzhlen vom Kindheitstraum Weihnachten, von der freudigen
Erwartung am Heiligen Abend, vom harmonischen Fest im Kreis der Fami-
lie, aber auch von enttuschten Hoffnungen und unerfllten Sehnschten.
Mal geht es besinnlich und nachdenklich zu, mal heiter und ironisch.

Mit Texten von Elizabeth von Arnim, Ludwig Thoma, Hans Christian
Andersen, E. T. A. Hoffmann, Rainer Maria Rilke, Bertolt Brecht, Walter
Benjamin, Robert Walser, Hermann Hesse, Paul Nizon, Else Lasker-Sch-
ler, Peter Bichsel und vielen anderen.
insel taschenbuch 4066
     Die schçnsten
Weihnachtsgeschichten
DIE SCHNSTEN
 WEIHNACHTS-
 GESCHICHTEN
Ausgewhlt von Gesine Dammel

        Insel Verlag
Umschlagabbildung: Rosso Fiorentino,
         Madonna mit vier Heiligen (Ausschnitt), 1518.
                     Uffizien, Florenz

                      insel taschenbuch 4066
                        Erste Auflage 2011
                      Insel Verlag Berlin 2011
       Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2002
  Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der bersetzung,
        des çffentlichen Vortrags sowie der bertragung
      durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie,
Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung
des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer
    Systeme verarbeitet, vervielfltigt oder verbreitet werden.
              Textnachweise am Schluß des Bandes.
       Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag
                 Umschlag: Michael Hagemann
            Satz: Hmmer GmbH,Waldbttelbrunn
               Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
                        Printed in Germany
                     ISBN 978-3-458-35766-7

           1 2 3 4 5 6 – 16 15 14 13 12 11
inhalt

Robert Walser,Weihnacht . . . . . . . . . . . .        .   .   .   11
Emmy Ball-Hennings, Advent . . . . . . . . . . .       .   .   .   14
Hermann Hesse, Schaufenster vor Weihnachten .          .   .   .   18
Hans Christian Andersen, Der Tannenbaum . . .          .   .   .   25
Walter Benjamin, Ein Weihnachtsengel . . . . .         .   .   .   36
Hans Carossa, Die Krippe . . . . . . . . . . . . .     .   .   .   38
Paul Nizon, Die weißen Strmpfe . . . . . . . .        .   .   .   44
Peter Bichsel, 24. Dezember . . . . . . . . . . .      .   .   .   46
Ludwig Thoma, Der Christabend . . . . . . . .          .   .   .   50
Jean Paul,Weihnachts-Chiliasmus – neuer Zufall         .   .   .   55
Robert Walser, Zwei Weihnachtsaufstzchen . .          .   .   .   61
Theodor Storm, Unterm Tannenbaum . . . . . .           .   .   .   64
Elizabeth von Arnim,Weihnachten in einem
   bayrischen Dorf . . . . . . . . . . . . . . . . .   .   .   .  70
Peter Rosegger, In der Christnacht . . . . . . . .     .   .   .  75
E. T. A. Hoffmann, Der Weihnachtsabend . . . .         .   .   .  82
Felix Timmermans,Weihnachten . . . . . . . . .         .   .   .  93
Bertolt Brecht, Das Paket des lieben Gottes . . .      .   .   . 112
Rainer Maria Rilke, Das Christkind . . . . . . .       .   .   . 116
Else Lasker-Schler, Der Weihnachtsbaum . . .          .   .   . 124

Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
DIE SCHNSTEN
WEIHNACHTSGESCHICHTEN
Und so erreichen wir wieder
                             Weihnachten und Neujahr,
                             dem alten Schlendrian des
                             Kalenders nach, aber, wie mir
                             dnken will, mit immer gleich
                             neuen und frischen Freudesgesinnungen,
                             die denn doch zuletzt allein das Leben
                             erhalten und fçrdern.
                                            Johann Wolfgang Goethe

                       robert walser
                         Weihnacht

Weihnachten? O! Das wird den schlechtesten Aufsatz geben;
denn ber etwas so Sßes kann man nur schlecht schreiben. –
In den Straßen, in den Hausgngen, auf den Treppen, in den
Zimmern roch es nach Orangen. Der Schnee lag dick drau-
ßen. Weihnachten ohne Schnee wre unertrglich. Am Nach-
mittag ließen sich zwei erbrmlich dnne Stimmchen vor un-
serer Haustre vernehmen. Ich ging, um zu çffnen. Ich wußte,
es waren arme Kinder. Ich sah sie ziemlich lange und herzlos
an. »Was wollt ihr?« fragte ich sie. Da weinte das kleine Md-
chen. Es tat mir leid, so barsch gewesen zu sein. Die Mutter
kam, schickte mich weg und gab den Kindern kleine Geschen-
ke. Als der Abend kam, hieß mich die Mutter ins schçne Zim-
mer eintreten. Ich tat es mit Zittern. Ich gestehe, ich hatte eine
gewisse unerklrliche Angst vor dem Beschenktwerden. Mei-
ne Seele fragt Geschenken nichts nach. Ich ging hinein, die Au-
gen schmerzten mich, als ich in das Meer von Licht und Lich-
                                                                11
tern trat. Ich saß vorher lange im Dunkeln. Der Vater saß da,
im ledernen Lehnstuhl, und rauchte. Er stand auf und fhrte
mich artig zu den Geschenken. Es war mir sehr unbehaglich.
Es waren die hbschesten Sachen, die ein Auge und ein Herz
erfreuen konnten. Ich lchelte und versuchte etwas zu sagen.
Ich streckte dem Vater die Hand hin und sah ihn dankbar an.
Er fing an zu lachen und mit mir zu plaudern, ber die Ge-
schenke, ihre Bedeutung, ihren Wert und ber meine Zukunft.
Ich ließ mir nicht merken, was mir das fr ein Vergngen mach-
te. Die Mutter kam und setzte sich zu uns. Ich fhlte das Be-
drfnis, ihr etwas Liebes zu sagen, brachte es aber nicht ber
die Lippen. Sie merkte, wo ich hinaus wollte und nahm mich
nahe zu sich und kßte mich. Ich war unsglich glcklich und
froh, daß sie mich verstanden hatte. Ich schmiegte mich eng
an sie und schaute in ihre Augen, die voll Wasser waren. Ich
sprach, aber es hatte keinen Ton. Ich war so glcklich, daß
ich auf diese schçnere Weise mit meiner Mutter sprechen konn-
te. Hernach waren wir sehr lustig. Es wurde Wein aus zierlich
geschliffenen Glsern getrunken. Das brachte Fluß und La-
chen in die Unterhaltung. Ich erzhlte von der Schule und von
den Lehrern, indem ich besonders ihre komischen Seiten her-
vorhob. Man verzieh mir gern meine Ausgelassenheit. Die Mut-
ter ging ans Klavier und spielte ein einfaches Lied. Sie spielt
ungemein zart. Ich rezitierte ein Gedicht. Ich rezitiere unge-
mein schlecht. Die Magd kam herein und brachte Kuchen
und kçstliches Backwerk (Rezept der Mutter). Sie machte ein
dummes Gesicht, als sie beschenkt wurde. Sie kßte aber artig
meiner Mutter die Hand. Mein Bruder hatte nicht kommen
kçnnen, das bedauerte ich lebhaft. Unser Hausdiener, der alte
Fehlmann, bekam ein großes geschlossenes Paket; er lief hin-
aus, um es zu çffnen. Wir lachten. Weihnachten ging so still
vorber. Wir saßen endlich ganz allein beim Wein und spra-
chen ganz wenig. Danach verstrich die Zeit rasch. Es war zwçlf
12
Uhr, als wir uns erhoben, um ins Bett zu gehen. Am andern
Morgen sahen wir alle ziemlich mde aus. Der Weihnachts-
baum ebenfalls. Nicht wahr, das alles ist schlecht geschrie-
ben? Aber ich habe es wenigstens vorausgesagt, und so kann
der Vorwurf mich nicht in Erstaunen setzen.
emmy ball-hennings
                           Advent

                Wie soll ich dich empfangen
                Und wie begegn’ ich dir,
                O aller Welt Verlangen,
                O meiner Seele Zier . . .

Wie gern habe ich dieses Lied im Advent gesungen, allabend-
lich um vier Uhr in der Schule mit vielen andern Kindern zu-
sammen. Der Lehrer selbst sang mit, und unsere jungen Stim-
men klangen so froh, als wollten sie einander umarmen.
   Wie wundervoll ist es, in der Freude mit vielen einig zu sein
und in Erwartung zu singen: Wie soll ich dich empfangen?
   Das ist die Liebesfrage im Advent, die immer wieder in uns
auftaucht, wenn das Weihnachtsfest nahe bevorsteht.
   Es wurde frh dunkel, und doch war es irgendwo licht und
hell. Durch das hohe Fenster sah man am Himmel den ersten
Stern schimmern. Jeden Abend war er da, wenn wir sangen.
Es war der Herold unter den Sternen, der Millionen kommen-
de Sterne ankndigte. Dann wieder war es Gabriels und Ma-
riens Stern. Oder es war derselbe Stern, den die fremden Kç-
nige einst gesehen. Die heiligen drei Kçnige, die einem Sterne
nachgegangen waren, und mit ihnen war die Sehnsucht der
fernen Vçlker gewandert, die noch nichts vom Jesuskinde wuß-
ten und sich doch schon nach ihm sehnten. Denn die Sehn-
sucht nach Erlçsung lag in jedem Menschen. Das war uns ge-
sagt worden, und jetzt wußten wir es fr immer. So sehr von
weitem waren sie gekommen, die drei Weisen aus dem Mor-
genlande, umgeben von fremdlndischem Duft, beladen mit
Gold, Weihrauch und Myrrhen, singend auf dem Wege: O al-
ler Welt Verlangen . . . Wie reich sie doch waren, diese Stern-
14
erfllten, reich an Liebe und an Gold! Irgendwo aber mußten
sie doch ihre Palste verlassen haben, ihre stolzen, glnzenden
Huser ließen sie leer stehen, da sie nach Bethlehem gingen.
Sie waren ja Kçnige, und doch schienen sie ihre Kronen ver-
gessen zu haben um Jesu willen.
   Jeder Kçnig sang dasselbe, was wir in der Schule sangen:

                Mein Herze soll dir grnen
                In stetem Lob und Preis,
                Will deinem Namen dienen,
                So gut es kann und weiß . . .

Noch stand das Zeichen am Himmel, und nichts war leichter
als Sterndeuten. Beim Nachhauseweg von der Schule ging im-
mer der Stern mit mir. Er eilte mir voraus oder folgte mir. Der
Stern behielt den Menschen im Auge. Und einmal hatte er ber
dem Stall zu Bethlehem gestanden, zwischen den Zweigen ei-
nes Palmbaumes geglnzt. Wir haben seinen Stern gesehen im
Morgenlande und sind gekommen, ihn anzubeten.
   Oh, ich erinnere mich, wie meine liebe Mutter von der Ge-
burt Jesu erzhlte. Was waren alle Mrchen gegen dieses eine,
das die Wahrheit aller Wahrheiten enthielt? Die Kunde war mir
noch neu, und ich hatte noch nicht gar viel von Jesus gehçrt.
Es war so tief erstaunlich und schçn, daß das Jesuskind alles
von mir wußte, immer gewußt hatte. Und daß es dann so klein
war, daß man das Verlangen trug, es wie ein Brderchen zu
betrachten.
   Nicht genug konnte man davon zu hçren bekommen, und
Mutter wußte so lieb Bescheid, als wre sie dabeigewesen. Al-
les, aber auch alles ließ sie sich abfragen.
   »Mutter, sag, warum ist das Jesuskind nicht daheim gebo-
ren worden im Hause seiner Eltern? Htte der liebe Gott nicht
machen kçnnen, daß Maria und Joseph nicht in Wohnungs-
                                                            15
not kamen? Der liebe Gott htte auch die Volkszhlung leicht
verlegen kçnnen, meine ich. Und daß die beiden mit ihrem
Kinde fliehen mußten! Mutter, du hast vergessen zu sagen,
ob wohl ein Ofen im Stall zu Bethlehem war? Wenn das Kind
auch gut eingehllt war in Windeln und Wolle, kann es doch
nicht recht warm gehabt haben. Und Maria und Joseph. Ob
es nicht kalt war in der Nacht?«
   Bei uns im Wohnzimmer glhte und wrmte das Feuer. Die
Ofentr stand geçffnet, und wir saßen um den Ofen und sahen
in die schçne Glut. Die Lampe war noch nicht angezndet.
Mutter liebte es, uns Kindern in der Dmmerung zu erzhlen,
und man sah und dachte nichts anderes als an die wundersa-
me Geschichte von der Geburt Jesu. Wie lieb und warm war
es bei uns! Wie leicht htte hier ein Kind geboren werden kçn-
nen! Es htte in meinem Kinderbett schlafen kçnnen, unter
der hbschen blauen Decke. Wie schade, daß wir damals nicht
in Bethlehem waren! Wie sehr ich dies bedauerte! Meine El-
tern htten bestimmt das Jesuskind aufgenommen mitsamt sei-
ner holden Mutter und dem heiligen Joseph. Dies wre schon
gegangen, wenn man sich ein wenig eingeschrnkt htte. Wir
hatten ja oben eine Dachkammer, und dann die kleine Abseite,
und ich htte mit Rebekka leicht im Holzraum schlafen kçn-
nen. Rebekka war dazu bereit, daran fehlte es nicht. Und in
der Kche, auf unserem Herd mit drei Kochlçchern und einem
Wasserschiff, war es eine Kleinigkeit, fr zwei Familien zu
kochen. Einige Teller und Schsseln htten wir vielleicht noch
gebraucht, aber das war das wenigste. Das htten die Nach-
barn uns ja auch zur Not geliehen. Etwas Geld htte Vater
sich zum voraus geben lassen kçnnen vom Werftdirektor, dem
man ja leicht erklren konnte, warum man Geld brauchte
und wer bei uns zu Gaste war. Onkel Erich, der gleich neben-
an wohnte, war Zimmerer und hatte eine eigene große Werk-
statt, und ob der heilige Joseph nicht bei Onkel Erich Arbeit
16
annehmen wrde? Mutter hielt dies nicht fr ausgeschlossen.
Onkel Erich htte den heiligen Joseph so gut wie zum Meister
machen kçnnen, und beide wrden sich dabei nicht schlecht
gestanden haben. Aber bei uns htten alle drei wohnen ms-
sen. O wie wundervoll! Wie unausdenkbar schçn! Ob die Hei-
lige Familie wohl einverstanden gewesen wre? Wenn sie ge-
sagt htten: »Ja, wir kommen ganz gern –!«

»Mutter, meinst du, daß sie ›Ja‹ gesagt htten?«
 »Ich weiß es nicht, mein Kind. Es kann sein.«

Es kann sein. Es htte sein kçnnen! Ach, wir konnten ja auch
nichts dafr, daß wir in eine so spte Zeit geraten waren. Scha-
de, wirklich schade. Aber man konnte doch durch die Jahr-
hunderte zurcklaufen wie durch eine Allee, bis man nach
Bethlehem kam, wo das gçttliche Kind im Stall lag.
   »Und warum lag es im fremden Stall?«
   »Es geschah nach dem Willen Gottes. Und das Jesuskind
wollte wohl dadurch zeigen, daß es nur ein Gast und ein Fremd-
ling auf der Erde war. Es kam doch vom Himmel und war bei
seinem Vater im Himmel daheim. Auch wir sind nur zu Gaste
hier, und einmal mssen auch wir das Haus verlassen . . .«
   Und dann brach Mutter das Gesprch ab, um uns das schç-
ne Adventslied zu singen: »Vom Himmel hoch, da komm’ ich
her . . .«
hermann hesse
             Schaufenster vor Weihnachten

Weihnachten ist eine Angelegenheit, von der ich eigentlich
nicht gerne spreche. Einerseits weckt das schçne Wort so tie-
fe, heilige Erinnerungen aus dem Sagenbrunnen der Kindheit,
flimmert so magisch im Schein jener blonden Lebensmorgen-
frhe und ist so durchstrahlt von unzerstçrbar heiligen Sym-
bolen: Krippe, Stern, Heilandkind, Anbetung der Hirten und
Kçnige und Weise aus dem Morgenland! Und anderseits ist
»Weihnacht« ein Inbegriff, ein Giftmagazin aller brgerlichen
Sentimentalitten und Verlogenheiten, Anlaß wilder Orgien
fr Industrie und Handel, großer Glanzartikel der Warenhu-
ser, riecht nach lackiertem Blech, nach Tannennadeln und
Grammophon, nach bermdeten, heimlich fluchenden Aus-
trgern und Postboten, nach verlegener Feierlichkeit in Br-
gerzimmern unterm aufgeputzten Baum, nach Zeitungsextra-
beilagen und Annoncenbetrieb, kurz, nach tausend Dingen,
die mir alle bitter verhaßt und zuwider sind, und die mir alle
viel gleichgltiger und lcherlicher vorkmen, wenn sie nicht
den Namen des Heilands und die Erinnerungen unserer zar-
testen Jahre so furchtbar mißbrauchten.
   Nun, sprechen wir also nicht von Weihnachten – es kmen
dabei ja doch lauter Verlegenheiten heraus, zum Beispiel, daß
ich noch immer keine Ahnung habe, was ich meiner Freundin
schenken soll, und ob zwanzig Mark fr die Kçchin richtig
ist –, ach und wenn ich doch den Freund S. daran hindern
kçnnte, mir wieder ein so kostbares und dabei so jmmerlich
unntzes Geschenk zu machen wie im letzten Jahr! Oder, falls
es sich nicht ganz vermeiden lßt, an die Weihnacht zu den-
ken, so laßt mich an jene wirkliche und echte Weihnachtsvor-
freude denken, die ich auch heute noch, als enttuschter und
18
einsamer Mensch, zu empfinden vermag: an die Freude beim
Herstellen jener Weihnachtsgeschenke, die ich auch heute
noch, wie einst in den Knabenzeiten, fr einige meiner Freun-
de mit eigener Hand herzustellen gewohnt bin, kleine Hefte
mit neuen, handgeschriebenen Gedichten; Bltter mit Land-
schaftsaquarellen und dergleichen Dinge.
   Nun, trotz allen widerstreitenden und beklemmten Gefh-
len muß ich sagen: an manchen Abenden im Dezember, wenn
es nach trbem, verschleiertem Nachmittag in den Geschfts-
straßen aufzuflammen beginnt, wenn alle die farbigen und grel-
len Schimmer aus den Schaufenstern auf den feuchten oder
beschneiten Asphalt herausfallen und die Straße etwas fest-
lich Belebtes bekommt, dann macht dieser verlogene, heftige
Weihnachtsbetrieb mit seiner lichten Außenseite mir doch ei-
nigen Spaß, und ich kann dann eine Stunde lang gerade in je-
nem Stadtteil bummeln, den ich sonst vermeide, und kann eine
Stunde lang verloren und gefesselt an den strahlenden Lden
hinstreichen, ins Schauen verloren. Es trumt mir dann, ich
sei ein Kalifensohn aus Bagdad und sei nach langer, abenteuer-
licher Reise, aus Todesgefahr und bitterer Gefangenschaft ent-
ronnen, in eine leuchtende Stadt des fernen Ostens gelangt,
und mische mich entzckt und neugierig in das Gewhl um
die Basare der Hndler.
   Nachdenken vertrgt sich schlecht mit dieser Stimmung,
und das Schçne an dieser abendlichen Bummelstunde ist ge-
rade das Erlçstsein vom Denkenmssen. Aber wenn ich dabei
doch je und je ein wenig gedacht und mich selber beobach-
tet habe, so machte ich dabei jedesmal mit einem gewissen
(manchmal lachenden, manchmal eher peinlichen) Erstaunen
die Entdeckung, daß ich, der rstige Fnfziger mit dem leicht
ergrauenden Scheitel und dem milden Brillengesicht, im Grun-
de meiner Seele ungewçhnlich infantil geblieben oder wieder
geworden sein muß. Ich bemerke dies, wenn ich mir Mhe ge-
                                                           19
be darauf zu achten, wie eigentlich diese vollen, strahlenden
Schaufenster auf mich wirken und welcherlei Gegenstnde es
sind, die mir auffallen und die mich zu Wnschen reizen. Ich
mache alsdann die Wahrnehmung, daß die Sachen, die mir
gefallen und die mich lstern zu machen vermçgen, beinahe
alle noch dieselben sind wie in meiner Knaben- und frhen
Jugendzeit.
   In der Tat, inmitten dieses schreienden und etwas negerhaf-
ten berangebotes von Waren sind es nur wenige, die ich fr
meine eigene Person zu begehren vermag, und alle die Errun-
genschaften der neueren Technik lassen mich schrecklich kalt.
Ich sehe mit Erstaunen, daß auch vor solchen Schaufenstern
neugierige und begehrende Menschen stehen, in die ich nicht
ohne tiefe Langeweile zu blicken vermag und vor denen mei-
nen Schritt zu verlangsamen mir niemals einfallen wrde. Das
sind zum Beispiel Lden mit Kodaks, mit Grammophonen,
mit Sportgerten, mit Radioapparaten – wenn ich einen Frei-
brief htte, der mir erlaubte, aus allen diesen Lden alles zu
whlen, was nur irgend zu besitzen mich gelstete, ich wrde
den Freibrief wegwerfen und weitergehen. Raffinierte Chro-
nometer, witzige Rasierapparate, blitzende Mikroskope, nied-
liche Zimmerkinematographen – nichts von allem wre mir
auch nur das Einwickelpapier wert.
   Anders steht es mit den Auslagen der Buchhndler. Obwohl
auf diesem Gebiet reichlich verwçhnt und berfttert, bleibe
ich vor einem guten Buchladen doch fast immer ein wenig ste-
hen, und nicht nur der geistige Markt interessiert mich, die
Namen der Kollegen, die Anpreisungen der Verleger, sondern
mindestens ebensosehr interessiert und lockt mich das Mate-
rielle dieser Bcher: ein roter Lederrcken, eine schçne engli-
sche Leinwand, ein schçn getçntes Pergament, ein derbes kno-
tiges Segeltuch als Mappenumschlag. Nun, und es sind ja auch
immer wieder manche freundliche Erscheinungen in der B-
20
Sie können auch lesen