Vertikale HIV-Transmission und Transmissionsprophylaxe
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MEDIZIN ORIGINALARBEIT Vertikale HIV-Transmission und Transmissionsprophylaxe Retrospektive Studie am Universitätsklinikum Düsseldorf von 1998–2004 Jennifer Neubert, Joerg Gehrke, Ulrike Friebe-Hoffmann, Hans Stannigel, Mark Oette, Ulrich Göbel, Tim Niehues ZUSAMMENFASSUNG SUMMARY Einleitung: In klinischen Studien wird die vertikale VERTICAL TRANSMISSION OF HIV AND Transmissionsrate für HIV durch eine präpartale, TRANSMISSION PREVENTION – RETROSPECTIVE intrapartale und postnatale antiretrovirale Prophylaxe, DATA FROM THE UNIVERSITY HOSPITAL elektive Sectio caesarea und Stillverzicht auf < 2 % DÜSSELDORF BETWEEN 1998–2004 gesenkt. In dieser Studie wurde untersucht, wie vielen Introduction: In clinical studies prophylactic antiretroviral Schwangeren ihr HIV-Status bekannt war, welche von treatment, elective cesarian section, and the avoidance of ihnen eine vollständige Transmissionsprophylaxe erhielten breastfeeding will reduce vertical transmission of HIV to und ob die vertikale HIV-Transmissionsrate unter 2 % lag. less than 2 %. The objective of this study was to determine Methoden: Die Autoren analysierten die Daten von 118 how many pregnant women were not diagnosed as HIV HIV-exponierten Kindern, die an der Universitätskinderkli- positive how many received a complete mother to child nik Düsseldorf betreut wurden. Der Großteil der Kinder transmission (MTCT) prophylaxis. Methods: Data on 118 (58, 5 %) war in auswärtigen Kliniken geboren worden. children were analysed retrospectively, all of whom were Ergebnisse: Die Transmissionsprophylaxe wird häufig nicht born to HIV positive mothers and referred to the University vollständig wahrgenommen; bei 21,6 % der Mutter-Kind- Children´s Hospital Düsseldorf. The majority of 69/118 Paare erfolgte keine Prophylaxe. Der fehlende HIV-Test children had been born in external hospitals. Results: In war die Hauptursache für dieses Versäumnis. Die Trans- 21.6 % of pregnancies analysed, interventions to prevent missionsrate lag bei 10,3 %, bei vollständiger Transmis- MTCT were not fully implemented. In most of these cases sionsprophylaxe bei 2,2 %. Diskussion: Zwischen der aus HIV screening had not been offered during pregnancy. Studien ermittelten Transmissionsrate von < 2 % und der Undiagnosed HIV in the mother was the main reason for Transmissionsrate in der alltäglichen Praxis bestehen zum failure to implement effective MTCT. The overall trans- Teil erhebliche Unterschiede. Eine erfolgreiche Transmis- mission rate was 10.3 %. When intervention to prevent Klinik für sionsprophylaxe ist nur möglich, wenn der HIV-Status MTCT was offered the overall transmission rate was 2.2 %. Kinder-Onkologie, der Mutter bekannt ist. Discussion: In this day to day clinical practice analysis -Hämatologie und Dtsch Arztebl 2007; 104(25): A 1827–31. of a German cohort MTCT occurs more often than expected -Klinische Immunologie, Zentrum für Kinder- Schlüsselwörter: HIV, vertikale Transmission, Kinder, from clinical studies. This is mainly due to undiagnosed und Jugendmedizin, Transmissionsprophylaxe HIV Infection because of lack of HIV testing or inefficient Universitätsklinikum Düsseldorf: response to positive test results. Dr. med. Neubert, Dtsch Arztebl 2007; 104(25): A 1827–31. Dr. med. Gehrke, Key words: HIV, vertical transmission, neonatal HIV, Prof. Dr. med. Göbel, PD Dr. med. Niehues perinatal prophylaxis Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Düsseldorf: Dr. med. Friebe-Hoffmann S chätzungen des Robert-Koch-Institutes zufolge leben in Deutschland derzeit etwa 49 000 Men- schen mit einer HIV-Infektion, 2 600 Personen haben Frühgeburtlichkeit, vorzeitige Wehen, ein vorzeitiger Blasensprung oder ein Amnioninfektionssyndrom sind Risikofaktoren für eine erhöhte vertikale Trans- Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, sich im Jahr 2005 neu mit HIV infiziert – davon etwa mission (5, 6). Universitätsklinikum 2 250 Männer, 350 Frauen und 20 Kinder (1). Die Mit einer effektiven antiretroviralen Prophylaxe Düsseldorf: Dr. med. Stannigel HIV-Infektion im Kindesalter erfolgt überwiegend kann das Risiko einer vertikalen HIV-Transmission vertikal entweder während der Schwangerschaft, un- heute auf < 2 % gesenkt werden (7, 8, 9). Die Säulen Klinik für Gastroenterologie, ter der Geburt oder über die Muttermilch (2). In Euro- der Prophylaxe bestehen aus: Hepatologie und pa beträgt die vertikale Infektionsrate circa 14 %, pränatal: einer risikoadaptierten antiretroviralen, Infektiologie, Universitätsklinikum wenn keine präventiven Maßnahmen ergriffen werden medikamentösen Therapie (ART) der Schwange- Düsseldorf: (3, 4). Eine niedrige CD4-Zahl, eine hohe Viruslast, ren Dr. med. Oette ⏐ Jg. 104⏐ Deutsches Ärzteblatt⏐ ⏐ Heft 25⏐ ⏐ 22. Juni 2007 A 1827
MEDIZIN intrapartal: einer elektiven Sectio caesarea am stammten zu 65,4 % aus Afrika, 26 % aus West-Euro- wehenlosen Uterus in der 37. Schwangerschafts- pa, 3,8 % aus Asien, 2,9 % aus Ost-Europa und 1,9 % woche (SSW), einer i.v.- Zidovudin-Gabe und ei- aus der Karibik. ner adäquaten Kreißsaalversorgung des HIV-ex- Die Information über das Gestationsalter bei Geburt ponierten Neugeborenen (zum Beispiel: vorzeiti- lag in 110 Schwangerschaften vor. Der Durchschnitt ges Austupfen von Körperöffnungen) lag bei 36,9 ± 2,1 Wochen, die kürzeste Schwanger- postnatal: einem Stillverzicht und einer risiko- schaft dauerte 25, die längste 43 Wochen. adaptierten antiretroviralen Prophylaxe des Kin- Gemäß Schwangerschaftsleitlinien wird in norma- des (2). les, erhöhtes – zum Beispiel vorzeitige Wehen – und Die Durchführung dieser effektiven Prophylaxe sehr hohes Transmissionsrisiko wie beispielsweise setzt voraus, dass der HIV-Status der Mutter bekannt Aids unterteilt (2). Bei unregelmäßigem Erscheinen ist. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zur Ver- zu Vorstellungsterminen oder ungenauen Angaben zu sorgungsforschung durch Evaluierung der Effektivität Medikamenten wurde die Compliance als problema- der vertikalen HIV-Transmissionsprophylaxe leisten. tisch eingestuft. Fragestellung Entbindungskliniken Anhand der Daten eines Kollektivs von 118 HIV- Die Zahl an externen Entbindungen verteilte sich wie exponierten Kindern, die alle in der Ambulanz für folgt: Arnsberg (n = 1), Berlin (n = 2), Bonn (n = 1), Pädiatrische Immunologie und Rheumatologie der Datteln (n = 1), Dinslaken (n = 1), Dortmund (n = 12), Klinik für Kinder-Onkologie, -Hämatologie und -Kli- Dresden (n = 1), Duisburg (n = 6), Düsseldorf (n = 6), nische Immunologie am Universitätsklinikum Düssel- Essen (n = 2), Hamm (n = 5), Hüsten (n = 1), Köln dorf (UKD) betreut wurden und in auswärtigen (n = 5), Krefeld (n = 3), Langenfeld (n = 1), Moers Kliniken oder in der Frauenklinik des UKD zur Welt (n = 2), Mönchengladbach (n = 3), Münster (n = 2), gekommen waren, werden folgende Hypothesen über- Neuss (n = 2), Paderborn (n = 1), Rheinhausen (n = 1), prüft: Solingen (n = 4), Wesel (n = 1), Wuppertal (n = 4) Allen Schwangeren ist ihr HIV-Status bekannt. sowie Thailand (n = 1). Bei allen HIV-positiven Schwangeren wird eine vollständige Transmissionsprophylaxe durchge- Ergebnisse führt. Kenntnisstand der Mütter über den HIV-Status Die vertikale HIV-Transmissionsrate des Ge- Bei 99 der 118 Geburten (83,9 %) wussten die Mütter samtkollektivs der untersuchten HIV-positiven bereits in der Schwangerschaft von ihrer HIV-Infekti- Schwangeren liegt unter 2 %. on. Bei 16 Geburten (13,6 %) war die HIV-Infektion nicht bekannt. Bei 2 weiteren Geburten ist nicht doku- Patienten und Methoden mentiert, ob die Mütter von ihrer Infektion wussten, In einer retrospektiven Studie wurden 118 HIV-expo- weil das positive Ergebnis des HIV-Tests nicht über- nierte Kinder, die in der Kinderklinik der Universität mittelt werden konnte. Bei einer Geburt war der Test in Düsseldorf betreut wurden, analysiert. Der Beobach- der Frühschwangerschaft zunächst negativ. Mögli- tungszeitraum erstreckt sich vom 1. Januar 1998 bis cherweise infizierte sich die Mutter kurz vor oder zum 31. Dezember 2004. Es wurden folgende Ein- während der Schwangerschaft und es kam erst später schlusskriterien definiert: zu einer Serokonversion. Ein Folgetest wurde nicht Entbindung der HIV-positiven Mutter in der Uni- durchgeführt. Alle Frauen, die zum Zeitpunkt der Ge- versitätsfrauenklinik Düsseldorf burt nicht über ihre HIV-Infektion informiert waren, Entbindung der HIV-positiven Mutter in einer ex- wurden in externen Kliniken entbunden. Aus der Tat- ternen Klinik und anschließende Vorstellung des sache heraus, dass den Frauen und den behandelnden Kindes innerhalb der ersten 18 Lebensmonate, Ärzten der HIV-Status der Mutter nicht bekannt war, entweder zur weiterführenden Diagnostik bei erklären sich die nachfolgend erhobenen Befunde. HIV-Exposition oder zur Therapie des HIV-infi- zierten Kindes in der Universitätskinderklinik Transmissionsprophylaxe bei HIV-positiven Schwangeren Düsseldorf. Bei 102 Schwangerschaften sind die Daten über eine antiretrovirale Therapie dokumentiert. Am häufigsten Patientenkollektiv wurde die Dreifach-Therapie angewandt (32,3 %). Ei- Im Patientenkollektiv befanden sich 118 Kinder von ne Zweifach-Therapie wurde in 25 Schwangerschaf- 109 HIV-infizierten Müttern. Es bestanden 2 Gemini- ten (24,5 %) durchgeführt, in 2 Schwangerschaften Schwangerschaften, 7 Mütter trugen 2 aufeinander- sogar eine Vierfach-Therapie. Eine Monotherapie mit folgende Schwangerschaften aus. Bei diesen Müttern Zidovudin (AZT) wurde 14 Schwangeren (13,7 %) erfolgte eine Mehrfachnennung. In diesem Kollektiv gegeben. 22 Schwangere (21,6 %) erhielten keine befanden sich 69 Kinder (58,5 %), die in auswärtigen Therapie. Bei 6 Schwangerschaften wurde zwar be- Kliniken geboren worden waren. Der andere Teil der handelt, die Art der antiretroviralen Therapie (Kombi- Kinder (n = 49, entsprechend 41,5 %) kam im Univer- nationstherapie oder Monotherapie) wurde jedoch sitätsklinikum Düsseldorf zur Welt. Die Mütter nicht dokumentiert. 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MEDIZIN Entbindungsmodus TABELLE 1 Bei 112 Geburten liegen Daten zum Entbindungsmo- dus vor. Der häufigste Entbindungsmodus war die Transmissionsrate in Abhängigkeit von der Vollständigkeit der Transmis- primäre Sectio am wehenfreien Uterus (76 %). 13 von sionsprophylaxe 112 Kindern kamen mittels Spontanpartus zur Welt Transmissionsprophylaxe (12 %). Bei einsetzender Wehentätigkeit wurde die komplett (n = 92) inkomplett (n = 10) keine (n = 16) sekundäre Sectio bei 14 Schwangeren (12 %) vorge- nommen. HIV-Kind negativ 90 8 7 HIV-Kind positiv 2 1 9 Intrapartale antiretrovirale Prophylaxe Transmissionsrate 2,2 % 11,1 % 56,3 % Bei 116 Geburten liegen Daten darüber vor, ob eine intrapartale antiretrovirale Prophylaxe durchgeführt wurde. Bei 20 Schwangeren (17 %) erfolgte keine Therapie, bei 93 eine Therapie mit Zidovudin und bei mit sehr hohem Transmissionsrisiko für eine vertikale 3 eine Behandlung mit Zidovudin und Nevirapin. HIV-Infektion. Am häufigsten (bei 42 Frauen) betrug die Viruslast < 10 000 Eq/mL. Bei 4 Frauen lag die Vi- Postnatale antiretrovirale Therapie ruslast > 10 000 Eq/mL. Insgesamt wurden 99 Kinder nach der Geburt mit ei- ner Postexpositions-Prophylaxe behandelt. Bei 16 Bestimmung der Transmissionsrate Kindern fand keine Therapie statt, bei 3 Kindern wur- Im Gesamtkollektiv infizierten sich 12 Kinder mit HIV. de nicht dokumentiert, ob die Kinder eine Postexposi- Davon waren 2 Kinder zuvor in die Gruppe der HIV-ex- tionsprophylaxe erhielten. Die häufigste Form der ponierten Kinder mit geburtshilflich niedrigem Trans- Therapie war die Monotherapie mit AZT. Sie wurde missionsrisiko eingeteilt worden. Die weiteren 10 HIV- bei 84 Kindern (73,0 %) angewendet. infizierten Kinder entstammten der Gruppe mit geburts- hilflich hohem Transmissionsrisiko (n = 25). Trotz voll- Stillen ständig durchgeführter Transmissonsprophylaxe infi- 8 der 118 Kinder wurden gestillt. 101 Kinder (85,6 %) zierten sich 2 der 92 Kinder (2,2 %) mit HIV (Tabelle 1). wurden nicht gestillt. Bei 9 Kindern konnten keine In beiden Schwangerschaften ist dokumentiert, dass die Angaben gemacht werden. Unabhängig von anderen Compliance der HIV-positiven Mütter im Hinblick auf Risikofaktoren haben von den 8 gestillten Kindern die Einnahme der antiretroviralen Medikamente proble- 5 Kinder eine HIV-Infektion. matisch war. Beide Kinder waren in die Gruppe der HIV-exponierten Kinder mit niedrigem Transmissions- Vollständigkeit der Transmissionsprophylaxe risiko eingeteilt worden. Die Viruslast im letzten Trime- Bei 92 Kindern erfolgte ein vollständiges Therapiere- non lag bei beiden Müttern < 10 000 Eq/mL. gime, bestehend aus prä-, intrapartaler und postnataler Von den 16 Mutter-Kind-Paaren, bei denen keine antiretroviraler Therapie (ART), Sectio und Still- Transmissionsprophylaxe durchgeführt wurde, infi- verzicht. Eine inkomplette Transmissionsprophylaxe zierten sich insgesamt 9 Kinder (56,3 %). Bei inkom- fand bei 9 Kindern statt, bei 1 Kind konnte keine plett durchgeführter Transmissionsprophylaxe infi- Angabe gemacht werden. 16 Kinder erhielten keine zierte sich 1 von 10 Kindern (10 %) vertikal mit HIV. Transmissionsprophylaxe, weil bei der Mutter die Insgesamt beträgt die HIV-Transmissionsrate im Ge- HIV-Infektion in der Schwangerschaft nicht bekannt samtkollektiv 10,3 %. war. HIV-infizierte Kinder und Konstellationen Faktoren für die Einteilung in die bei vertikaler HIV-Transmission Transmissionsrisiko-Gruppe Bei 5 Schwangeren war kein HIV-Test durchgeführt 76 von 118 Schwangerschaften verliefen normal. Bei worden (Konstellation I), bei 3 war der Test zwar vor- 25 lag ein erhöhtes Transmissionsrisiko und bei 11 genommen worden, hatte aber zu keiner Konsequenz ein sehr hohes Transmissionsrisiko vor. Bei 6 geführt (Konstellation II), und bei 3 Schwangeren mit Schwangerschaften konnte keine Aussage über das bekannter HIV-Infektion waren Probleme mit der Ein- Risiko getroffen werden. Es wurde untersucht, welche nahme der antiretroviralen Medikamente aufgetreten geburtshilflichen Risiken vorlagen, die zu einer Er- (Konstellation III) (Tabelle 2). höhung des Transmissionsrisikos für das HIV-expo- nierte Kind führen konnten. Eine vorzeitige We- Diskussion hentätigkeit trat bei 12 Geburten, eine vorzeitige We- Die präpartale, intrapartale und postpartale antiretro- hentätigkeit in Kombination mit einem Amnioninfek- virale Therapie, die elektive Sectio caesarea und der tionssyndrom bei 4 Geburten auf. Angaben zur Virus- Stillverzicht sind feste Bestandteile der HIV-Trans- last im letzten Trimenon gab es bei 46 Schwangeren missionsprophylaxe. Durch eine kombinierte risiko- (39 %). Der Mittelwert lag bei 3 582 Eq/mL ± 6 805 adaptierte Intervention kann das vertikale HIV-Trans- (Eq/mL = HI Virusäquivalente/mL). Eine Viruslast missionsrisiko von 15 bis 40 % auf unter 2 % gesenkt > 10 000 Eq/mL führt zur Einstufung in die Gruppe werden (7, 8, 9). ⏐ Jg. 104⏐ Deutsches Ärzteblatt⏐ ⏐ Heft 25⏐ ⏐ 22. Juni 2007 A 1829
MEDIZIN TABELLE 2 die Hauptursache dafür, dass es zur vertikalen HIV- Transmission kam. Bei 5 der 12 vertikalen HIV-Infek- Synopse der infizierten Kinder im Gesamtkollektiv tionen stammten die Frauen aus HIV-Endemiegebieten und in allen 5 Schwangerschaften war kein HIV-Test Konstellationen bei vertikaler HIV-Transmission durchgeführt worden. Diese Arbeit zeigt, dass bei der Kind, Alter Zugehörigkeit HIV-Test Transmissions- Schwangerschaftsvorsorge trotz Herkunft aus Endemie- bei Diagnose zu Risikogruppe durchgeführt prophylaxe gebieten nicht immer ein HIV-Test vorgenommen wird Konstellation I: HIV-Test bei der Mutter nicht durchgeführt und deshalb eine effektive Transmissionsprophylaxe unterbleibt. Die genaue Ursache für den hohen Anteil an 3 Jahre ja (Kongo) nein nein extern betreuten Schwangeren ohne HIV-Test ist unklar. 7 Monate ja (Kongo), 5-jährige Nicht alle HIV-infizierten Frauen werden in HIV- Tochter an Pneumonie nein nein gestorben Schwerpunktzentren während der Schwangerschaft und Geburt betreut, wie die Verteilung der Kliniken in dieser 3 Jahre ja (Elfenbeinküste, Tumoren im nein nein Untersuchung zeigt. Kieferbereich) Die Untersuchung belegt, dass die Durchführung des 5 Monate ja (Kongo) nein nein HIV-Tests allein nicht immer ausreicht. In 2 Schwan- gerschaften wurde das positive HIV-Testergebnis nicht 3 Jahre ja nein (trotz Anfrage) nein an die Frau übermittelt und führte deshalb zu keiner the- 2 Jahre ja (Haiti) nein nein, nur Sectio rapeutischen Konsequenz. In einer Schwangerschaft Konstellation II: HIV-Test bei der Mutter durchgeführt, aber keine Konsequenz hatte der HIV-Test bei einer Frau zunächst ein negatives 2 Jahre nein ja (zu früh im 1. nein Ergebnis erbracht. Ob die Betroffene zum Zeitpunkt des Monat: negativ) Tests überhaupt schon HIV-positiv war oder ob die In- 6 Monate ja (Kenia) ja (Frauenarzt nein fektion zu einem späteren Zeitpunkt der Schwanger- gewechselt) schaft erfolgte, bleibt unklar. 9 Monate nein ja (weggezogen) nein Die Transmissionsrate im Kollektiv bei Kindern ohne Transmissionsprophylaxe war außerordentlich hoch. Zu Konstellation III: HIV schon vor Schwangerschaft bekannt, aber bedenken ist an dieser Stelle, dass die in der vorliegen- Compliance problematisch den Untersuchung ermittelte Transmissionsrate bei Kin- 11 Monate ja (HIV bekannt, dern ohne Transmissionsprophylaxe auf einer geringen Mutter bricht von sich entfällt nein aus Therapie ab) Fallzahl von nur 16 Geburten basiert. Darüber hinaus besteht ein „Bias“, weil es sich gerade bei den Mutter- 1 Monat ja (HIV bekannt, entfällt ja Kind-Paaren, bei denen keine Transmissionsprophylaxe Complianceprobleme) durchgeführt wurde, um Risikoschwangerschaften han- 1 Monat ja (HIV bekannt, entfällt ja delt, in denen beispielsweise die Frauen die Vorsorge- Complianceprobleme)* untersuchungen nicht wahrnahmen oder Compliance- * Bei unregelmäßigem Erscheinen zu Vorstellungsterminen probleme bestanden. oder ungenauen Angaben zu Medikamenten wurde die Compliance als problematisch eingestuft. Trotz vollständig durchgeführter Transmissionspro- phylaxe infizierten sich 2 der 92 Kinder (2,2 %) mit HIV. Bei beiden Mutter-Kind-Paaren, bei denen es trotz In der Arbeit von Gingelmaier et al. war die HIV-Trans- vollständiger Transmissionsprophylaxe zu einer verti- missionsrate bei 599 Geburten in 10 deutschen Zentren kalen HIV-Transmission kam, ist dokumentiert, dass die und bei vollständig durchgeführter Prophylaxe 1,68 % Compliance der betreffenden HIV-positiven Mütter (10). Die Unterschiede in den Transmissionsraten (2,2 mangelhaft war. Dies trug möglicherweise dazu bei, versus 1,68 %) beruhen möglicherweise auf der niedrigen dass es zu einer maternofetalen Transmission kam und Fallzahl in der vorliegenden Studie beziehungsweise auf die erwartete Transmissionsrate von < 2 % im Kollektiv dem unterschiedlichen Studiendesign: Die hier vorgelegte verfehlt wurde. Allerdings könnte es auch sein, dass die Studie hatte unterschiedliche Ein- und Ausschlusskriteri- Transmissionsrate im klinischen Alltag höher liegt als en, insbesondere das Einschlusskriterium Geburt außer- dies anhand der Studienlage zu erwarten ist. halb eines HIV-Schwerpunktzentrums. Patientinnen mit Complianceproblemen und Sprach- In der Untersuchung der Autoren zeigte sich, dass 13 barriere werden möglicherweise in klinische Studien nicht Kinder mittels Spontanpartus zur Welt kamen – bei allen eingeschlossen. Bei der Bewertung der Transmissionsrate Geburten war die HIV-Infektion nicht bekannt. Ähnli- im Gesamtkollektiv ist allerdings zu berücksichtigen, dass ches galt für die medikamentöse Prophylaxe. in der Literatur zum Teil die Transmissionsraten von Kol- Eine erfolgreiche Transmissionsprophylaxe ist nur lektiven mit einer vollständigen Transmissionsprophylaxe möglich, wenn der HIV-Status der Mutter bekannt ist. dargestellt werden beziehungsweise Patientinnen ausge- Nur in 83,9 % hatten die Mütter Kenntnis über ihre schlossen sind, die erst nach der Geburt über ihre Diagno- HIV-Infektion. Alle Frauen, die zum Zeitpunkt der Ge- se informiert wurden. In der hier vorgelegten Auswertung burt nicht über ihre HIV-Infektion informiert waren, sind diese Schwangerschaften aber bewusst enthalten, um wurden extern betreut. Bei 6 der 12 HIV-infizierten Kin- den Stand einer möglichst flächendeckenden Transmis- der war der fehlende HIV-Test in der Schwangerschaft sionsprophylaxe erkennbar zu machen. A 1830 ⏐ Jg. 104⏐ Deutsches Ärzteblatt⏐ ⏐ Heft 25⏐ ⏐ 22. Juni 2007
MEDIZIN In Deutschland wird zurzeit eine Opt-in-Strategie an- HIV- und AIDS-Patienten (DAGNÄ), der Deutschen AIDS-Hilfe, der gewandt. Bei dieser Strategie werden die Schwangeren Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde, der Pädiatrischen Arbeitsgemeinschaft Aids Deutsch-österreichische Empfehlungen vor Abnahme des Blutes für den HIV-Test gefragt, ob sie zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft (2005); AWMF online; einwilligen. Bei der Opt-out-Strategie müssen die www.uni-duesseldorf.de/awmf/ll/055-002.html Schwangeren aktiv und von sich aus den Test ablehnen, 3. Schäfer A, Friese K: Maßnahmen zur Senkung des materno- sonst wird er routinemäßig durchgeführt. In anderen Län- fetalen HIV-Transmissionsrisikos. Dtsch Arztebl 1996; 93(36): dern, zum Beispiel den USA, ist die Erfassung HIV-infi- A 2234–6. zierter Schwangerer ebenfalls unvollständig und es zei- 4. European collaborative study: Risk factors for mother-to-child gen sich starke regionale Unterschiede aufgrund unter- transmission of HlV-1. Lancet 1992; 339: 1007–12. schiedlicher Strategien. Es konnte jedoch gezeigt werden, 5. Sperling RS, Shapiro OE, Coombs R et al.: Maternal viral load, zidovudine treatment, and the risk of transmission of human dass die Erfassung des HIV-Status in der Schwanger- immunodeficiency virus type 1 from mother-to-infant. N Engl J schaft in Regionen mit Opt-out-Test-Strategien deutlich Med 1996; 335: 1621–8. höher ist als in Regionen mit einer Opt-in-Strategie (11). 6. The European collaborative study: Vertical transmission of HlV-1: Über das persönliche Schicksal des betroffenen Kindes maternal immune status and obstetric factors. AIDS 1996; 10: hinaus ist zu bedenken, dass die Kosten eines HIV-Tests in 1675–16. der Schwangerschaft mit etwa 10 Euro pro Test (budget- 7. Kind C, Rudin C, Siegrist C et al.: Prevention of vertical HIV Trans- mission: additive protective effect of elective cesarean section neutral) gering sind. Eine lebenslange antiretrovirale The- and zidovudine prophylaxis. AIDS 1998; 12: 205–10. rapie kostet > 20 000 Euro pro Jahr. Experten weisen dar- 8. Cooper ER, Charurat M, Mofenson L et al.: Combination antire- auf hin, dass nicht bei allen HIV-infizierten Schwangeren troviral strategies for the treatment of pregnant HIV-1-infected Risikofaktoren für eine HIV-Infektion – wie etwa Her- women and prevention of perinatal HIV-1 transmission. J Acquir kunft aus einer HIV-Hochprävalenzregion, aktueller oder Immune Defic Syndr 2002; 29(5): 484–94. zurückliegender intravenöser Drogenkonsum oder eine 9. Grosch-Wörner I, Schäfer A, Obladen M et al.: An effective HIV-Infektion des Partners – erkennbar sind (2). Eine ge- and safe protocol involving zidovudine and caesarean section to reduce vertical transmission of HIV-infection. AIDS 2000; 14: naue Kostenaufrechnung, ob ein generelles Screening 2903–11. mittels eines HIV-Tests während der Schwangerschaft 10. Gingelmaier A, Hollwitz B, Casteleyn S et al.: Schwangerschafts- ökonomisch sinnvoll ist, wird dringend gefordert. verlauf und kindliches Outcome bei 599 HIV-exponierten Schwangerschaften an deutschen Schwerpunktzentren 1999– Fazit für die Praxis 2003. GebFra 2005; 65: 1058–63. Alle in der Fragestellung formulierten Hypothesen konn- 11. CDC: Achievements in Public Health: Reduction in perinatal Transmission of HIV Infection. United States 1985–2005. MMWR ten nicht verifiziert werden. 2006; 55(21): 592–7. Jeder Schwangeren ist nach einer persönlichen Be- ratung ein HIV-Antikörpertest anzubieten; dies gilt Anschrift für die Verfasser insbesondere für Frauen mit Zugehörigkeit zu einer PD Dr. Tim Niehues Risikogruppe, wie beispielsweise die Herkunft aus Universitätsklinikum Düsseldorf Zentrum für Kinder und Jugendmedizin einem Endemiegebiet. Klinik für Kinder-Onkologie, Zur Wahrung des Datenschutzes erscheint das Er- Hämatologie und Immunologie gebnis nicht im Vorsorgeheft (Mutterpass), jedoch Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf bei allen Schwangeren die Dokumentation der Ab- E-Mail: niehues@uni-duesseldorf.de nahme. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass die Schwangere vom Testergebnis Kenntnis erhält. Es muss diskutiert werden, wann eine Wiederho- @ The English version of this article is available online: www.aerzteblatt.de/english lung des HIV-Tests im Verlauf der Schwanger- schaft sinnvoll ist. Eine interdisziplinäre Anbindung der HIV-infizier- ten Schwangeren und des HIV-exponierten Kindes an ein Zentrum erscheint sinnvoll, weil hier eine ri- Berichtigung sikoadaptierte Betreuung gewährleistet ist. In dem Artikel „Operationsrisiko aus der Sicht des Kardiologen“ von Bauriedel et al. in Heft 22 ist Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien auf Seite A 1586 leider ein Fehler aufgetreten, auf des International Committee of Medical Journal Editors besteht. den uns verschiedene Leser aufmerksam gemacht Manuskriptdaten haben: Anders als irrtümlich dargestellt, handelt eingereicht: 24. 7. 2006, revidierte Fassung angenommen: 1. 3. 2007 es sich bei Clonidin nicht um einen Alpha-2-Re- zeptor-Antagonisten, sondern um einen Alpha-2- LITERATUR Rezeptor-Agonisten. Auch im weiteren Verlauf des 1. www.rki.de Absatzes hätte es Alpha-2-Rezeptor-Agonisten statt 2. Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Gesellschaft -Antagonisten heißen müssen. Wir bedauern dieses und der Österreichischen AIDS-Gesellschaft sowie des Versehen. MWR Robert-Koch-Institutes Berlin (RKI), der Deutschen Arbeits- gemeinschaft der niedergelassenen Ärzte in der Versorgung von ⏐ Jg. 104⏐ Deutsches Ärzteblatt⏐ ⏐ Heft 25⏐ ⏐ 22. Juni 2007 A 1831
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