DIE SCHULE IN S DTIROL - ZWISCHEN FASCHISMUS UND NAZISMUS
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DIE SCHULE IN SÜDTIROL ZWISCHEN FASCHISMUS UND NAZISMUS Ein Blick in die Dokumente 26 Andrea Di Michele 27 Die Italianisierung der Schule seitens des stehender Schulen und zugleich zur Italiani- werkzeug der Entnationalisierung werden, faschistischen Regimes war zweifellos eine sierung anderer und der Schaffung neuer ita- sondern - wie in ganz Italien - auch zum Ve- der bedeutendsten Maßnahmen hinsichtlich lienischer Schulanstalten führte2. Im Juni 1927 hikel des vom Regime geplanten, langsamen, des Entnationalisierungsprojekts der Südti- konnte der Unterrichtsminister im Senat be- aber unaufhaltsamen Faschistisierungspro- roler Minderheit. Durch die Abschaffung der richten, dass - mit Ausnahme einiger von re- zesses, der durch das Wirken der vom Fa- deutschsprachigen Schule sollte die deutsche ligiösen Orden geführ ter Schulen - alle schismus ins Leben gerufenen Jugendorga- Sprachgruppe allmählich und gezwungener- deutschsprachigen höheren Schulen abge- nisationen ergänzt werden sollte. Die zwei weise in den nationalen Verband aufgenom- schafft worden waren3. Die zunehmende Ita- Hauptaufgaben der Südtiroler Schule waren men werden. lianisierung der Schule zeigte sich auch da- also: Italianisierung auf der einen Seite und Mit der im Jahr 1923 verabschiedeten Gen- rin, dass die offizielle Korrespondenz, die Klas- Faschistisierung auf der anderen. tile-Reform erfolgte die schrittweise Abschaf- senbücher, die Urkunden und ab 1926/27 Wir tragen uns nicht mit der Absicht, auf fung der deutschsprachigen Schulanstalten auch die Jahrbücher ausschließlich auf Italie- die verschiedenen Phasen und Vorgangswei- dadurch, dass die Schulen der “neuen Pro- nisch geschrieben wurden4. sen der Abschaffung der Südtiroler Schulen vinzen” denen des restlichen Italiens ange- Die Proklamation der italienischen Spra- einzugehen5. Anhand von Dokumenten wol- glichen wurden1. Mit dem Dekret Nr. 2185 vom che zur einzigen Unterrichtssprache, die Auf- len wir dagegen zu erläutern versuchen, was 1. Oktober 1923 wurde festgelegt, dass die lösung der deutschen Schulen, die der öster- einige Vertreter der lokalen Schulbehörden Umbildung der “fremdsprachigen” Volksschu- reichischen Schulordnung entstammten und unter dem ihnen erteilten Italianisierungs- len in italienischsprachige Schulen mit sofor- in der italienischen Schulordnung keine Ent- und Faschistisierungsauftrag verstanden, bis tiger Wirkung in den ersten Klassen zu erfol- sprechung fanden, und schließlich die Über- zu welchem Punkt die der Schule zugewie- gen habe, dann im darauf folgenden Jahr in nahme der deutschsprachigen Schulen in ita- sene Aufgabe verwirlicht wurde und welches den zweiten Klassen, und so weiter bis zur lienische Anstalten machten deutschprachi- Hindernis die zunehmende nazistische Pro- vollständigen Italianisierung der Volksschule. ges Lehrpersonal “überflüssig”. Es kam un- paganda in den Dreißigerjahren für die Fa- Nicht weniger drastische Vorkehrungen wur- ter den deutschsprachigen Lehrern zu vielen schistisierungsbestrebungen des Regimes den für die Mittelschulen getroffen. Die An- Entlassungen und Versetzungen. So kann darstellte. wendung der italienischen Bestimmungen an man wohl mit Recht behaupten, dass es in das Schulsystem der “neuen Provinzen” Südtirol unter dem Schulpersonal zur größ- brachte die Abschaffung der unterschiedli- ten Säuberung aus ethnischen Gründen ge- 26. Volksschule Lana, 4. Klasse für Knaben. chen Schulmodelle mit sich - was in Südtirol kommen ist. 27. Vorbereitungsklasse für den Eintritt in die zur Unterdrückung verschiedener schon be- Die Schule sollte aber nicht nur zum Haupt- NS-Jugend, 1944. 24
“... die vom Germanismus verdorbenen jungen italienischen Seelen dem Vaterland zurückgewinnen” Dies war - wie es in der Abschlussrede Lehrpersonal gefunden hatte, das seine des Kurses für Kindergärtnerinnen heißt, Ausbildung im liberalen Italien erfahren der im September 1923 in Brixen gehal- hatte und den Suggestionen des ex- ten wurde - die Aufgabe der Schulen und tremsten Nationalismus gegenüber der Kindergär ten. Dieser Kurs war von sehr anfällig war. Im hier erwähnten Fall der Opera Nazionale d’Assistenza all’Italia hielt Amelia Agresta Guli, die an der Leh- Redenta (ONAIR) organisiert worden und rerbildungsanstalt “V. Colonna” in Rom stand unter der Leitung von Frau Profes- unter richtete, es für notwendig, den sor Amelia Agresta Guli, aus deren Ab- “durch und durch italienisch denken- schlussrede wir nachstehend einige den Personen in den neuen Provinzen Auszüge wiedergeben wollen. zu helfen, sich vom öster reichischen Unserer Ansicht nach handelt es sich Anstrich zu befreien und ihre Mentali- um ein interessantes, vielsagendes Do- tät wie ihre Interessen auf Italien aus- kument. In erster Linie zeigt es, dass die zurichten”. Die Ausdrucksweise dieser Erziehungsanstalten, angefangen bei den Lehrerin enthält die Argumente und die Kindergärten, als grundlegendes Assimi- Töne, wie sie zur Unterstreichung des lier ungswer kzeug angesehen wurden. italienischen “Rechts” auf die Brenner- Außerdem legt es an den Tag, dass die grenze in der Propaganda der damali- faschistische Entnationalisierungspolitik gen Zeit anklangen - in dieser zuerst 28. Lesebuch für die 2. Klasse, 1939. schon von den frühen Zwanzigerjahren nationalistischen und später faschisti- an überzeugte Befürwor ter unter dem schen Propaganda. “Dass auf die reale Eroberung des Gebiets hen, verbessert werden könnte, begann man Und auch die Opera ist sich des großen Ein- auch die moralische Eroberung der einheimi- bei der Schule: Man plante, neue Schulen zu flusses auf die Kinder besonders in den über- schen Bevölkerung folgen muss, ist nach so gründen, die schon bestehenden zu verbes- wiegend slawisch- oder deutschsprachigen langer Erfahrung eine Wahrheit, die keines sern und ihnen Anstalten zur Betreuung der Gebieten bewusst, wo es unerlässlich ist, mit Beweises bedarf. Kinder und zur Verbreitung der Kultur zur der sprachlichen Durchdringung zu beginnen. Sobald man ein Land erobert hat, denkt man Seite zu stellen. Ob diese Vorkehrungen dann [...] über das beste Mittel zur Assimilierung der immer mit der nötigen Großzügigkeit an Herr Professor Toniolo [...] hat in seinen neuen Bevölkerung nach [...] Wir Italiener, die Geldmitteln realisiert werden, ist eine andere, Heimatkundestunden Schülerinnen wie Zu- wir von den Römern die Fähigkeit geerbt ha- gewiss nicht interesselose Frage, der in diesem hörerinnen vom Recht Italiens auf Südtirol ben, andere Völker zu unterwerfen und bei Zusammenhang aber keinerlei Gewicht zu- überzeugt: vom geografischen und histori- aller Unterschiedlichkeit zu vereinigen, haben kommt. Der Assimilierungsprozess, der seit schen Recht, vom Recht aus strategischen, nach unserer politischen Einigung - und es den Sechzigerjahren in den alten Provinzen militärischen und wirtschaftlichen Erfordernis- war oft eine schmerzliche Erfahrung - auch äußerst langsam und oft mit geringem En- sen. Er hat Stätten und Bräuche lebhaft be- lernen müssen, Bevölkerungen zu assimilie- thusiasmus voranschreitet, wird dagegen in schrieben und das geografische und ethnische ren, die unserer Rasse angehören und zu ei- den neuen Provinzen mit großem Enthusias- Wesen Südtirols erläutert. nem großen Teil auch unserer Idealität, die aber mus von der Opera Nazionale di assistenza Die Unterrichtsstunden des illustren Pro- unterschiedliche historische Erfahrungen ge- all’Itala redenta unterstützt, die - bei morali- fessors, die dank der klaren, schönen Darle- macht und ungleiche materielle Interessen ha- scher und finanzieller Unterstützung seitens gung von allen Personen, auch den weniger ben. Es hat lange gedauert, bevor Piemonte- ganz Italiens - den Brüdern die schmerzlichen gebildeten, verstanden werden konnten, ha- sen, Lombarden, Ligurer und Kalabresen sich Erfahrungen zu ersparen sucht, die wir durch- ben sowohl auf die italienischen als auch auf nur als Italiener gefühlt haben! Es war ein lang- gemacht haben. die deutschen Schülerinnen eine großartige wieriger Prozess, denn mehr als auf die Er- Die Opera Nazionale hat sich dabei zwei Zie- Wirkung ausgeübt. Die Erstgenannten haben wachsenen musste man auf die Kinder Ein- le gesetzt: 1.) den durch und durch italieni- sie als warmen Hauch des Vaterlands emp- fluss ausüben; man erkannte intuitiv, dass man schen Personen in den neuen Provinzen hel- funden, haben die Jahre des Märtyrertums und auf die Schule bauen musste, damit die neuen fen, sich vom österreichischen Anstrich zu die Märtyrer, wiewohl ohne direkte Erwäh- Generationen anders und besser als ihre Väter befreien und ihre Mentalität wie ihre Interes- nung, in ihrem tragischen Geschick mehr denn wurden. [...] sen auf Italien auszurichten; 2.) in die deut- bisher als Heilige angesehen; die Zweitgenann- Auch wenn in jüngeren Zeiten zur Debatte sche und slawische Bevölkerung eindringen, ten haben sich resigniert dem Unumgängli- stand, wie die geistige und wirtschaftliche Lage um ein Werk der Aussöhnung zu vollbringen chen gebeugt, das besteht, weil es bestehen in den Provinzen, die dem Einigungsprozess und gleichzeitig den ausländischen Einflüs- muss und weil es ungerecht wäre, wenn es anscheinend etwas gleichgültig gegenüberste- sen Einhalt zu tun. nicht bestünde. In den einen wie den anderen 25
hat dieser Unterricht heftigen Wunsch nach Schicksal der Mehrheit der Bevölkerung teilen merkt: »Ich weiß jetzt, dass es Blumen aus Liebe erweckt, eine dieser Anwandlungen, wie müssen, wenigstens nicht mehr als Fremde dem Norden und Blumen aus dem Süden sie den jungen Seelen zu eigen ist und die ewi- fühlen. Ihre Kinder sollen die italienische Spra- gibt. Beide sind voller Duft und Farben, jetzt gen, grenzenlosen Wert haben: um am Tri- che erlernen und im italienischen Geist erzo- müssen sie nur mit einem zarten Band der umph von Frieden und Gerechtigkeit mitzu- gen werden, damit sie sich als Erwachsene nicht Liebe verbunden werden«. Eine andere arbeiten, um bessere Tage für die Zukunft als Feinde dieses Lands, in dem sie leben, füh- Deutschsprachige unterstreicht, jetzt verstan- anzubahnen. len, sondern als Söhne und Töchter - was mehr den zu haben, dass Italienisch eine schöne [...] ihnen zugute kommt als Italien, das nunmehr Sprache ist und Italien das Recht hatte, Gebie- Wir hoffen, dass diese Gespräche - wie die zu groß und zu stark ist, um von der Opposi- te zurückzuerobern, die ihm unter geografi- über die Kinderhygiene, die ohne Geräte mit tion einer kleinen Gruppe Schaden davonzu- schem wie unter historischem Gesichtspunkt technischen Namen geführt worden sind, bei tragen. gehörten; dass Liebe und Eintracht jetzt aber ständiger Berücksichtitung der intellektuellen Die italienischen Kindergärtnerinnen mus- dennoch zwischen diesen beiden Völkern herr- Fähigkeiten der Zuhörerinnen - auf fruchtba- sten sich der Problematik und der Schwierig- schen können, die zwar einer unterschiedlichen ren Boden gefallen sind. keit ihrer Mission bewusst werden und zu- Rasse angehören, aber nunmehr durch wirt- Aber angesichts der besonderen Verhältnis- gleich stolz auf ihren Auftrag sein. Ihnen schaftliche Beweggründe miteinander verbun- se in den neuen Provinzen würden diese Ziel- kommt in der Tat die heilige Aufgabe zu, den den sind. [...]”. setzungen, selbst wenn sie gänzlich erreicht Worten des Hohns und des Hasses auf Itali- worden sind, nicht genügen. Wir brauchen en, wie die Kleinen sie vielleicht von ihren nämlich nicht nur bessere, gebildetere und Müttern hören, Worte der Liebe und der Ehr- bewusster handelnde Kindergärtnerinnen - wir furcht entgegenzusetzen. Mit ihrem Glauben brauchen Kindergärtnerinnen, die als wirksa- und ihrer intelligenten Güte müssen sie grö- mes Werkzeug der Aussöhnung und Italiani- ßeren Einfluss ausüben als die Mütter und sierung dienen können. die Familien. Aus ihrem mütterlichen Instinkt, So mussten die deutschen Kindergärtnerin- aus ihrer guten Gesinnung, als ihrem patrioti- nen vom guten Recht der Italiener auf die schen Geist müssen sie die Kraft schöpfen, Besetzung dieser Gebiete, die sie als ihnen ge- ihre wahren Mütter zu sein. [...] hörig ansehen, überzeugt werden. Gleichzei- Wir glauben, teilweise auch dieses Ziel er- tig musste ihnen verständlich gemacht wer- reicht zu haben - was uns auch die spontanen den, dass Italien niemanden mit Gewalt zwin- Worte der Schülerinnen bestätigen. Quelle: Relazione del corso di perfezionamen- gen will, die eigene Rasse und die eigene Idea- Eine italienische Kindergärtnerin schreibt, to per le educatrici dell’infanzia dell’Alto Adi- lität zu verleugnen - im Gegenteil sollen sich dass sie jetzt eins verstanden hat: dass die Macht ge, in: “Schola. Bollettino del R. Provveditorato die wenigen Personen in den neuen Provin- Italiens in Südtirol darin besteht, warten und agli studi della Venezia Tridentina”, Jg. 1, Heft zen, die sich wirklich als Fremde bezeichnen in Liebe und Glauben wirken zu können. 1-2, novembre-dicembre / November-Dezem- dürfen, aber aus historischer Fatalität jetzt das Eine deutschsprachige Kindergärtnerin ver- ber 1923, S. 14-22). Man setzte also große Hoffnungen auf die Schule, die als wichtigstes Mittel zur Italianisierung der neuen Generationen angesehen wurde. Während die italieni- schen Behördenvertreter und die Lehrer von der Wirksamkeit der nationalen Be- lehrung in den Schulen überzeugt waren, standen sie der Möglichkeit, die erwach- senen Generationen für die Italianität “zu- rückzugewinnen”, meist skeptisch gegen- über. Dies wird aus einem Schreiben deut- lich, das der Schulamtsleiter für die Ve- nezia Tridentina, Luigi Molina, der über einen langen Zeitraum hinweg - nämlich von der Machtergreifung des Faschismus bis 1934 - für das Schulwesen im Trenti- no und in Südtirol verantwortlich war, an den damaligen Unter richtsminister sandte. 29. Ein faschistischer Parteibeamter zu Besuch in der Schule “Regina Elena” in Bozen, 1940. 26
31. Im Sarntal, 1937. 30. Die Ludi Juveniles im Jahr 1940 (Jahr XVII des Faschismus) in einer Bozner Volksschule. Unterrichtsministerium 7. Mai 1927 Der Staatssekretär Vertraulich 32. Wengen im Gadertal, 1937. Die Schulspeisung. Lieber Suardo, ich gebe Dir hier anschließend einen Auszug aus einem Schreiben des Königlichen Schulamts- leiters für die Venezia Tridentina wieder, weil ich überzeugt bin, dass er Dich interessiert: “Ich sehe es als meine Pflicht an, nach vierjähriger Erfahrung in der Region meiner Überzeu- gung Ausdruck zu geben, dass es in Südtirol fremdstämmige Elemente, die dem Regime und Italien wirklich und aufrichtig treu sind, nicht gibt. Ich möchte nicht übermäßig pessimistisch erscheinen, wenn ich behaupte, dass nicht einmal die der Minderheit angehörigen Podestà klar wie Quellwasser sind; denn es handelt sich in der Mehrzahl um Schlauköpfe, die sich der Lage, an der sie nichts ändern können, geschickt anpassen. Wenn ich mir erlaube, Ihnen diese meine Überzeugung zum Ausdruck zu bringen, so be- deutet dies nicht, dass ich kein Vertrauen in die Zukunft hätte - im Gegenteil! Sie beschränkt sich darauf, der schon erwachsenen Generation im Augenblick der Befreiung jede Möglichkeit zur Italianisierung zu versagen - was selbstverständlich und in gewissem Sinn auch günstig ist; 33. Welschellen (Enneberg), 1938. Die befana denn von einer Bevölkerung, und besonders von einer Bürgerklasse, die leicht Partei wechselt, fascista. könnte Italien sich nichts Gutes erwarten. Dagegen setze ich großes Vertrauen auf die neuen Generationen, die jetzt unter italienischen Lehrern heranwachsen; denn sie atmen die Italianität gewissermaßen in der Schule ein und werden sich für immer der unbestreitbaren Überlegenheit unserer Erziehungsarbeit im Ver- gleich zu der der deutschen Schule bewusst. [...]”. Herzliche Grüße! Bodrero An Seine Eminenz Graf Giacomo Suardo Staatssekretär beim Innenministerium (Archivio Centrale dello Stato, Presidenza del Consiglio dei Ministri, Gabinetto, 1928-30, 1/1- 13/82). 34. Welschellen (Enneberg), 1938. 27
Während der Schulamtsleiter Molina intellektuellen Bürgertum hervorhob. Sei- zia Giulia durchgeführ t worden sind. Es diese Worte schrieb, unterstrich auch der ne diesbezüglichen Überlegungen sind in lag Fedele viel daran, die Lage positiv Unterrichtsminister Fedele sein äußer- einem von ihm selbst an Mussolini ge- darzustellen, weshalb er unterstrich, dass stes Ver trauen in die Möglichkeit der sandten Bericht enthalten, der ein voll- die deutsche und die slowenische Spra- Schule, als Mittel zur Italianisierung zu ständiges Bild der Änderungen vermit- che aus den Schulen in den neuen Pro- wirken, wobei auch er die recht gleich- telt, die in den ersten Jahren der faschis- vinzen nunmehr fast verdrängt worden gültige und schwerlich veränderbare Hal- tischen Regierung auf dem Schulbereich seien, trotz der unangenehmen Konkur- tung der Erwachsenen vor allem aus dem in der Venezia Tridentina und der Vene- renz einiger privater höherer Schulen, vor allem unter konfessioneller Leitung. Der Minister behauptete, dass die Lage sich von Grund auf veränder t habe: Immer mehr “fremdstämmige” Jugendliche tre- ten den faschistischen Jugendorganisa- tionen bei, lesen gern italienische Bücher, nehmen spontan an patriotischen Veran- staltungen teil und machen sogar in ih- rer Familie Propaganda für Italien. 35. Die Lehrer des Vicentinums in Brixen, 1925. Ministero Rom, 10. Mai 1927 / V della Pubblica Istruzione DIREZIONE GENERALE DELLA ISTRUZIONE MEDIA An S.E. den Regierungschef ROM Prot. Nr. 310/7105 BETRIFFT: Schulische Situation in der Venezia Tridentina und der Venezia Giulia Unsere Assimilierungsarbeit in den Grenzgebieten und besonders in der Venezia Tridentina und der Venezia Giulia schreitet ständig voran. Wenn man die Situation in den Jahren 1921/22 mit heute vergleicht, kann man nicht übersehen, dass sich die Lage radikal geändert hat. Höhere Mittelschulen mit deutscher Unterrichtssprache gibt es nicht mehr. In Bozen hatten drei bestanden, und sie waren gut besucht gewesen: ein reformiertes Gymnasium und zwei Lehrerbildungsanstalten (für Mädchen und für Knaben). In Idria hatte es eine Fachoberschule und ein slowenisches Gymnasium gegeben, in Tolmín eine slowenische Lehrerbildungsanstalt: sie bestehen nicht mehr. Nunmehr ist einzig das Italienische die Unterrichtssprache in allen höheren Schulen der beiden Venezie, auch in den noch bestehenden Klassen der unterdrückten anderssprachigen Schulen (Oberstufe der Lehrerbildungsanstalten in Bozen und in Tolmín). Auch die Unterstufen der deutschen Fachoberschule in Bozen und der slowenischen Fachoberschule in Udine sind jetzt italienisch. Deutsch, Slowenisch und Kroatisch werden nunmehr entweder als Fremdsprache oder in Sonderkursen unterrichtet. Unterrichtssprache ist einzig das Italienische. Zwei private deutschsprachige Gymnasien, das der Augustiner und das Vincentinum in Brixen, haben geschlossen. Anstelle der deutschen, slowenischen und kroatischen höheren Lehranstalten sind etliche italienische Schulen gegründet worden: in Bozen das Regio Liceo ginnasio, das Regio Istituto tecnico und die Regia Scuola complementare, in Brixen ein Regio Liceo Ginnasio und in Bruneck ein Regio Ginnasio, dann weitere höhere Schulen in Tolmín, in Tarvisio, in Idria und in Opatija. Die Schülerzahl dieser Lehranstalten nimmt ständig zu, auch aufgrund des Zustroms der Anderssprachigen, die unsere Schulanstalten allmählich gebührend zu schätzen wissen. Im Schuljahr 1926/27 haben 1146 fremdsprachige Schüler unsere Lehranstalten besucht. Und es werden noch mehr sein, sobald der schon in die Wege geleitete Umwandlungsprozess der privaten höheren Schulen deutscher Sprache (ich denke dabei besonders an das Franziskanergymnasium in Bozen, an das Benediktinergymnasium in Meran und an die ebenfalls in Meran bestehende städtische Oberschule) in italienische Schulen in etwa zwei Jahren abgeschlossen sein wird. Diese drei Schulen, die unseren jüngst gegründeten Anstalten bisher große Konkurrenz gemacht haben, werden insgesamt von über 700 Schülern besucht. Neben den höheren Schulen erfahren auch die Volksschulen eine schrittweise Umwandlung, die bisher alle fremdsprachigen Volksschulen bis zur 4. Klasse betroffen hat. Dank der Tätigkeit der Opera nazionale per l’infanzia redenta entstanden und entstehen auch Kindergärten und Abendkurse für Erwachsene, die massiv zur Verbreitung unserer Sprache und Kultur beitragen. Wenn man an die Lage vor vier oder fünf Jahren denkt, als darüber diskutiert wurde, ob die italienische Sprache in den höheren deutsch- und slawischsprachigen Schulen als Nebenfach von der ersten oder nur von der zweiten Klasse an unterrichtet werden sollte, muss man zugeben, 28
dass sich vieles geändert hat: Zeugnisse und Klassenbücher wurden damals auf Deutsch oder eventuell zweisprachig geführt, die Schulleiter konnten nur wenige Brocken Italienisch und verfassten die offiziellen Schreiben auf Deutsch oder Slawisch, die Schulen weigerten sich, in den Schulen die Porträts unseres Königspaars aufzuhängen, ja, sie forderten sie nicht einmal an, der Feiertag des 4. November galt als Trauertag, und die Schüler konnten in ihren Aufgaben schreiben, dass wir das Land nur provisorisch besetzt hatten. Heute treten immer mehr fremdsprachige Schüler den Balilla oder den Avanguardie bei, lesen gern italienische Bücher, die sie in ihrer Schulbibliothek finden, lesen unsere Zeitungen, abonnieren die Zeitschrift “Tricolore”, nehmen an unseren patriotischen Festen teil und machen in ihren Familien Propaganda für Italien. All dies hat sich jetzt verwirklicht, weil ein gut ersonnener Plan mit Standhaftigkeit durchgeführt worden ist, weil alle - von den staatlichen wie den lokalen Schulbehörden, von den Schulleitern zu den Lehrern der einzelnen Schulen - von einer einzigen Idee beseelt sind: der geistigen Eroberung der Grenzgebiete. Sie haben vor wenigen Tagen im Salone della Vittoria eine Abordnung dieser unserer anderssprachigen Jugendlichen gesehen, die stolz auf ihre graugrüne Uniform und das schwarze Hemd waren, stolz und bewegt, vom Regierungschef ihres neuen Vaterlands mit väterlichen Worten begrüßt und gesegnet zu werden. Ich möchte Sie auf das Wirken dieser unserer Beamten hinweisen, die - oft unter schwierigsten Bedingungen und unter der Gleichgültigkeit oder der verschleierten Feindseligkeit der Bevölkerung - den Namen Italiens hoch halten und sich auch außerhalb der Schule mit Lektionen, Vorträgen und jeder Form der Propaganda aufopfern. Aber unsere Tätigkeit würde beeinträchtigt, wenn wir nach der Herstellung der neuen Werkzeuge zur geistigen Durchdringung sie nicht einsatzbereit und immer leistungsfähiger halten würden. Die Bevölkerung, vor allem das intellektuelle Bürgertum, bezeigt bisher nur rein äußerliche Ehrerbietung; sie nimmt eine korrekte Haltung ein, fürchtet uns, schätzt uns vielleicht auch, aber zuinnerst sympathisiert sie nicht mit uns. Die Achtung für uns wird umso mehr zunehmen, je seriöser und leistungsfähiger unsere Lehranstalten sind, die - fast oder ganz ohne die wirksamen Mittel, die den Privatschulen immer noch zur Verfügung stehen - hart kämpfen mussten, um deren Wettbewerb auszuhalten. Aus diesem Grund müssen unsere Schulen größere Leistungs- fähigkeit erlangen. [...] DER MINISTER Fedele (Archivio Centrale dello Stato, Presidenza del Consiglio dei Ministri, Gabinetto, 1928-30, 1/1-13/82). Die “Schizophrenie” der jungen Südtiroler Das Mussolini zugesandte Schreiben des tung beeinflusst zu werden. Sicher hatte die Unterrichtsministers Fedele lässt die Ge- faschistische Schule mit der Vermassung nugtuung über die Ergebnisse bei der Ita- und Einreihung in vielen Fällen Erfolg - aber lianisierung und Unterweisung der neuen es bleibt zu bezweifeln, ob dieser Erfolg Generationen und optimistische Zukunfts- wirklich so allgemein war, wie von den Lo- aussichten durchblicken. Es ist relativ leicht, kalbehörden oft behauptet wurde. derlei offizielle Berichte zu finden, in denen Diese Behördenvertreter neigen oft dazu, sich die lokalen Behördenvertreter - in ers- von der politischen Lage der Grenzprovinz ter Linie Präfekten und Schulamtsleiter - in ein besseres Image zu liefern, als es der optimistischen Tönen über die gelungene Wirklichkeit entsprach, wahrscheinlich um Integration der Schüler in Schulen und vom sich in Rom mit Erfolgen zu brüsten, die in Regime auf die Beine gestellten Freizeit- Wirklichkeit ausgeblieben waren oder zu- organisationen ergehen. Diesen Interpre- mindest revidiert werden müssen. Es gab tationen nach waren deutschsprachige Kin- mehrere Gründe dafür, warum die auf dem der und Jugendliche dank des Besuchs der Schulbereich gesteckten Ziele oft nicht er- italienischen und faschistischen Schule und reicht wurden. In erster Linie ließ die fa- der Teilnahme an den faschistischen schistische Schule den konfessionellen Jugendorganisationen schon zu überzeug- Lehranstalten immer große Autonomie, ten balilla und avanguardisti geworden und sodass es diesen gelang, ihren Schülern versprachen, demnächst zu gesinnungs- während der 20jährigen faschistischen treuen Faschisten zu werden. Für die Kin- Herrschaft Unterricht zu vermitteln, der der und Jugendlichen, die während des 36. Postkar te von Rudolf Stolz, durch deren nicht unbedingt der Regimepropaganda Faschismus geboren und aufgewachsen Verkauf die Katakombenschulen finanziert entsprach. Die konfessionellen höheren wurden. Schulen, die viel gelesenen, katholisch ge- und gezwungen waren, eine Schule zu be- suchen, die ihre sprachliche Zugehörigkeit sierung der neuen Generationen zum prägten Schulzeitungen in deutscher Spra- an der Wurzel leugnete und - in Südtirol Hauptziel gesetzt hatte, war es unmöglich, che6 - vor allem “Der kleine Postillon” und wie im übrigen italien - sich die Faschisti- nicht in der vom Regime gewollten Rich- “Die Jugendwacht” - und das dichte Netz 29
“Was die »gefühlsmäßige Italianisierung« der ses Meisterwerk der Wahrheit gezeichnet hat- Kinder erreichte, mögen zwei Episoden zei- te, wurde verhaftet. Man fand bei ihm eine gen: Liste von fünfzehn Mitschülern, die eine Ge- In einer zur Provinz Fiume gehörenden heimgesellschaft gegründet hatten, ... um eine Gemeinde diktierte eine Lehrerin einen Auf- Eisenbahnbrücke zu sprengen... Die zwischen satz: »O Kinder, wie schön, wie groß ist unser zehn und sechzehn Jahre alten Buben sollten Italien. Mussolini will es noch schöner und vor den »Tribunale Speciale« gestellt werden... noch größer machen.« Ein zwölfjähriger kroa- Mussolini ordnete aber ihre Freilassung an«. tischer Schüler schrieb »häßlich« statt »schön« Dies sind extreme Fälle. Aber sie illustrieren und »klein« statt »groß«. Der Schüler hieß Is- das psychologische Ergebnis der schulischen cra. Die Behörde schaltete sich ein: Entnationalisierungspolitik. Die Kinder der »... Auf Befragen erklärte der Schüler..., er Minderheiten lernten - mehr noch als dies ge- habe das gleiche von den Mitschülern ... ge- nerell in Diktaturstaaten üblich ist - schon in hört. Auf weiteres Befragen fügte er hinzu, er der Schule zwiespältiges Verhalten. In der Fa- habe auch seine Eltern abfällig über Italien re- milie galten Cesare Battisti oder Guglielmo den gehört, wenn sie die Steuern zahlen muss- Oberdan als »Verräter«, in der Schule wurden ten... Schließlich sagte er ausdrücklich, dass das, sie als Helden gepriesen. Die Väter der meis- was seine Eltern zu Hause sagten, auch der ten Kinder hatten - mehr oder weniger gern - Pfarrer Michael Huso sage... Der Pfarrer erklä- auf österreichischer Seite den Weltkrieg mitge- re, dass es unter Österreich besser gewesen sei, macht. In der Schule wurde nun gelehrt, die 37. Fibel von Rudolf Mali für die Katakomben- dass man jetzt viel Steuer zahlen müsse und österreichischen Soldaten seien barbarisch, un- schulen. dass es keine Arbeit gebe... Es liegt auf der menschlich, grausam gewesen; die Kinder Hand, dass die Verantwortlichkeit für diese mussten es im Geschichtsunterricht wieder- antiitalienischen Manifestationen auf den er- holen, sie sagten ihre Aufgabe auf, und sie der sogenannten Katakombenschulen, die wähnten Pfarrer zurückgeht. Die Erwachsenen schrieben ihre Aufsätze, wie es vorgeschrieben oft gerade vom heimischen Klerus unter- wiederholen daheim, was er in der Kirche sagt, war, aber sie wussten, dass man sie zwang, die stützt wurden, stellten den faschistischen und sie scheuen sich auch nicht, dies vor den Unwahrheit zu sagen und zu schreiben. War Bestrebungen bedeutende Hindernisse in Kindern zu bereden... Natürlich wachsen die- es ein Wunder, dass sie alles für unwahr hiel- den Weg. se mit feindseligen Gefühlen gegen das Re- ten, was Italiener - Lehrer oder nicht - sagten? Aber die größte Hürde stellte wohl das gime auf ... Ich hielt es für angebracht, ... die Dass sie den Italienern andichteten, was die Unterbringung Iscras in einer Besserungsan- Schulbücher sie über ihre Väter lehrten? Deut- Familienmilieu dar, aus dem die zu italiani- stalt einzuleiten«. sche Schulen in Südtirol und slawische Schu- sierenden und zu faschistisierenden Jugend- Über einen ähnlich symptomatischen Vor- len in der Venezia Giulia wären nie imstande lichen stammten und das dem Regime in fall, der sich in Görz zutrug, berichtet Salve- gewesen, soviel Hass gegen Italien hervorzu- überwiegender Mehrheit zutiefst feindlich mini: bringen und zu verbreiten, wie die italienischen gegenüberstand. In der Familie wurde den »Bei der Durchsuchung eines slowenischen Schulen es taten.” Kindern eine Art “Gegenerziehung” vermit- Hauses ... entdeckte die Polizei im Jänner 1931 die Zeichnung eines Kindes; sie zeigte einen telt, durch die die Bemühungen der Schule knienden Mann in Ketten und dahinter den und der faschistischen Jugendorganisatio- Henker mit erhobenem Schwert. Der Henker nen meist ganz oder teilweise vereitelt wur- trug den Namen des Königs von Italien, Vit- (GATTERER, C., Im Kampf gegen Rom. Bürger, Min- den. Natürlich ging dies auf Kosten der Kin- torio Emanuele, der Verurteilte repräsentierte derheiten und Autonomien in Italien, Wien 1968, der und Jugendlichen, bei denen die so ge- das »slowenische Volk«. Der Schüler, der die- S. 459-460) gensätzlichen Vorschriften Unbehagen und Desorientierung bewirkten. Im nachstehend wiedergegebenen Buchauszug hebt Claus Gatterer die “schizophrene” Haltung hervor, Claus Gatterer zu der die Kinder aus der deutschen und Claus Gatterer (Sexten 1924 - Wien 1984), Journalist, Historiker, Schriftsteller, ist anfangs in Bozen und dann als ÖRF-Redakteur in Wien tätig. Er stellt seine Untersuchungen und Recher- der slawischen Minderheit während des Fa- chen zur Südtiroler Geschichte in einen europäischen und internationalen Kontext, wobei er schismus praktisch gezwungen waren. Die sich mit besonderer Aufmerksamkeit den Problemen der sprachlichen Minderheiten in Europa zutiefst antideutsche Propaganda, die in der und des Völkerrechts zuwendet und die Notwendigkeit unterstreicht, die historischen Studien Schule vermittelt wurde und in äußerstem zu intensivieren, um die Erinnerung zu beruhigen und gemeinsam die Distanz zu errichten, die die kollektiven Geschehnisse zu Geschichten macht. Seine Recherchen und Überlegungen ha- Gegensatz zum kulturellen Modell stand, das ben den Anstoß zu einer neuen “historiographischen Strömung” gegeben, die über die Gegen- den Jugendlichen von der Familie und vom sätze zwischen den Volksgruppen hinausgeht und den historischen Kontext zu einem wahren gesellschaftlichen Milieu vermittelt wurde, Ort kultureller Begegnung macht, jenseits aller Vorurteile oder Nationalismen, die immer die beiden “nationalen Geschichtsschreibungen” beeinflusst hatten. Seine Hauptwerke sind: bewirkte oft einen gegenteiligen Effekt und führte bisweilen zu tiefem Hass auf alles, GATTERER, C., Schöne Welt - böse Leut. Kindheit in Südtirol, Wien-München-Zürich 1969. was italienisch war, und zu einem noch sehr GATTERER, C., Cesare Battisti, Wien 1975. GATTERER, C., Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien, Wien 1968. viel stärkeren Zugehörigkeitsgefühl zur deut- GATTERER, C., Erbfeindschaft Italien-Österreich, Wien-München-Zürich 1972. schen Welt. 30
Wenn Claus Gatterer in dem hier wie- dergegebenen Auszug auf die unter- schiedlichen Einflüsse eingeht, denen die Südtiroler Kinder von den ersten Schul- klassen an ausgesetzt waren, geht Gat- terer im nachfolgenden Text auf das Le- ben im Brixner Priesterseminar ein. Die- se konfessionelle höhere Schule hatte aufgrund des Konkordats zwischen Fa- schismus und katholischer Kirche auch während der faschistischen Herrschaft weiter bestanden. Der Unterricht wurde auf Deutsch erteilt, und obwohl hier auch die faschistische Doktrin vermittelt wer- den musste, konnte sich die “Kiste” - wie Gatterer das Priesterseminar bezeichnet - doch einen gewissen Freiraum bewah- 38 ren. Dennoch kam es auch in der “Kiste” zu “Da die Kiste uns nicht nur auf die »innere prüfung würden wir schon zurechtkommen. Kompromissen und Ausflüchten, und es Reife« (das heißt die Reife fürs hohe Priesterse- Wir hatten ja gelernt, zu lügen. Wir logen, ohne wurde systematisch gelogen. Bei den minar) vorzubereiten hatte, sondern auch auf zu erröten. Wir wetteiferten darin, wer bei poli- Klassenarbeiten zu politischen Themen die »äußere Reife«, auf jene staatlichen Prüfun- tischen Aufsatzthemen in Italienisch den bes- gen also, die die Absolventen von Schulen ohne seren »Faschisten« abgab, wer darin mehr und hatten die Schüler das schamlose Lügen Öffentlichkeitsrecht nach der fünften und achten neuere Mussolini-Zitate unterbrachte, wer die gelernt, ja sie simulierten ihre nicht vor- Klasse ablegen mussten, hatten unsere Profes- meisten und jüngsten vom Regime geprägten handene Treue zum Faschismus und zu soren die Verpflichtung, zwei Herren zu dienen, »Neuwörter« kannte und richtig anwendete. seinen Riten und Wer ten in einer Ar t deren Autoritäten und Lehren einander vielfach Indem wir den Zwang zur Doppelzüngigkeit “sportlichem Wettkampf”. All dies bewirkte ausschlossen. Wenn wir zum Abschluss des sehr einfach als Einladung zur Persiflage verstanden, bei den neuen Generationen, die zwischen ausführlichen Philosophieunterrichts, nach Pla- entflohen wir der stumpfen Öde des politischen to und Descartes, nach Aristotele und Vico, nach Aufsatzes, der nach den höheren Intentionen der unkritischen Übernahme der faschis- Kant und Hegel in Mussolinis dröhnender Dottri- ja Zeugnis einer Erziehung, Bekundung der tischen Parolen und dem Rückgriff auf na del Fascismo - Pflichtlektüre für jeden Maturan- »anerzogenen« Gesinnung hätte sein sollen, Heuchelei hin- und hergerissen waren, ten! - vernahmen, die Aktion habe die Philoso- und retteten uns in einen sportlichen Wettbe- einen weiteren, vom Faschismus verur- phie für immer begraben, alle Philosophie, auch werb, in welchem nicht die Erziehung, sondern sachten moralischen Schaden. Augustinus, auch den Aquinaten, dann war un- die Dressur, nicht die Gesinnung, sondern die Wir möchten hier unterstreichen, dass ser Philosophieprofessor, sosehr er sich mühte, vollkommenere Tarnung der Gesinnung die keiner konstituierten Autorität Abbruch zu tun, guten Noten und die Freude an diesen gewähr- gewisse, der faschistischen Propaganda mit seinem glättenden Latein am Ende. Die leistete. eigene rhetorische Züge, wie wir sie in ungezählten Widersprüche dieser Art ergaben [...] der Sprache der unter dem Faschismus jenen hochbrisanten Treibstoff, der unsere Fra- Den Zeitungen entnahmen wir auch, dass aufgewachsenen jungen Leute finden, gen wie irrende Raketen in den Himmel trieb. Es die Menge »galvanisiert« oder »elektrisiert« nicht unbedingt auch - wie man manch- gab Professoren, die sich so sehr als Institutio- wurde, dass es galt, die gerechten Ansprüche mal vielleicht glauben könnte - einer tie- nen begriffen, dass ihnen jeder Zweifel, jede Fra- der Nation zu »sensibilisieren« und die inne- ge als Verstoß gegen die Disziplin erschien. Doch ren Feinde zu »silenzieren«, das heißt durch fen, lebendigen Bejahung des Regimes gab es auch andere, die den eigentlichen Ursprung entsprechende Vorkehrungen oder Maßnah- entsprechen. Diesem Irr tum unterlagen unserer Zweifel ahnen mochten und auf unsere men zu »ver-stummen«. Die damals begon- manchmal auch die italienischen Behör- Zweifel zumindest mit ihren Zweifeln eingin- nene »demographische Schlacht«, für die ei- denver treter, die von rein äußerlichen gen, und gerade sie sind es, die mir heute noch gens der »Orden vom weißen Band« gestiftet Zustimmungsbekundigungen für den Fa- als die eigentlichen Leuchten der Gelehrsamkeit wurde, brachte Italiens »großherzige Frucht- schismus auf Erfolge schlossen, die es in vor Augen stehen. barkeit« dank der »heiteren Männlichkeit der »Aber das ist nichts für die Staatsprüfung«, Männer« und dem »fruchtbaren Schoß« der Wirklichkeit nicht gegeben hatte. fügte etwa unser Geschichtsprofessor (klein, Frauen zur vollen Entfaltung. Welche andere rundbäuchig, mit einer knolligen Sokratesnase) Nation erlebte wie die unsere jene »Weihefeste hinzu, wenn er, von der mit Lügen gepflaster- des Liktorenbündels«, da in einer einzigen ten Straße der proklamierten Gewissheiten ab- Stadt an einem einzigen Tag 2620 junge Paare weichend, uns privat die Wahrheit über diese in erhebenden »Pilgerfahrten der Liebe« an die oder jene Frage beigebracht hatte. Was wir vor Traualtäre traten und sofort nach dem Jawort allem suchten, was ja nicht mehr Wissen »für in kollektiven Telegrammen an den DUCE die Staatsprüfung«, sondern ein wenig Gewiss- »binnen Jahresfrist die Geburt kleiner Balilla« 38. Gaido und Brugo, Das fleißige Mädchen, heit für uns. Die Staatsprüfung? Mit der Staats- verhießen? »Ein Frühling voller Wiegen« soll- Schulwandbild, frühes 20. Jahrhundert. 31
te das Italien von morgen sein, damit unsere Ich war generös: Kundgebungen noch »martialischer« werden »Gibt man den Massen die Möglichkeit, täg- und die ganze Welt mit dem »Löwengebrüll lich satt zu werden, so treibt man das Volk unserer Macht« erfüllen konnten. Unser CE- unweigerlich der Bourgeoisie in die Arme«. SARE, der »Condottiere der Condottieri«, ritt, »Ostia!«, staunte er und schrieb. Nach einer das heilige Schwert des Islam (oder was an Weile: Waffen gerade en vogue war) schwingend, »Hast du vielleicht noch einen übrig? Für »herrlich auf strahlendem Schimmel dem ihm den Schluss? Du kriegst ...« auf den Fersen folgenden Volke voran«. Ich diktierte: Aus derartigem Rohmaterial verfertigten wir »Preferiamo essere temuti. Wir ziehen es vor, dass man uns fürchtet. Wir pfeifen auf den dann Aufsätze zu Themen wie »Italiens Zu- Hass der andern, denn wir erwidern ihn.« kunft liegt auf den Meeren« oder »Über die Das »denn« war nicht sehr logisch, doch was Schicksalhaftigkeit des Siegeszugs der totalitä- war damals schon logisch?”. ren Mächte«. Schweißperlen auf der Stirn, raun- te mein Banknachbar, während Professor C. zum Fenster hinausblickte: (GATTERER, C., Schöne Welt - böse Leut. Kind- »Bitte, noch einen Mussolini-Spruch! Du heit in Südtirol, Wien-München-Zürich 1969, 39. Reklame für Kinderbücher, “L’Economia Na- kriegst mein Jausenbrot dafür.« S. 260-264) zionale”, 1928. 40. Arbeitsbuch eines Optanten, 1940. Die Durchdringung des Nazismus und der Misserfolg der faschistischen Erziehung Der grundlegende Misserfolg des Italia- 41 nisierungs- und Faschistisierungsversuch der jungen Generationen durch die Schule und die mit der Par tei verbundenen Ju- gendorganisationen wurde im Laufe der Dreißigerjahre deutlich. Die Machtübernah- me Hitlers im Jahr 1933 führte sofort zu einem entschiedenen Erstarken der örtli- chen Nazis, die jetzt lautere gegen die Fremdherrschaft gerichtete, antiitalieni- sche Töne anklingen ließen. Die national- sozialistische Propaganda fiel vor allem bei den jungen Südtirolern auf fruchtbaren Boden; denn im Gegensatz zur älteren Ge- neration, unter der noch der Mythos des k.k. Reichs fortlebte, setzten sie ihre Hoff- nung auf nationale Befreiung eher auf 40 Deutschland, das von neuen Bestrebungen nach Größe getragen war, als auf das klei- ne, schwache Österreich. Anfangs hatten zelung des Nazismus und der Vorfälle, bei durch die massive Zuwanderung von Per- sich die italienischen Behörden wegen dem denen es zu offenem Aufruhr gegen die sonen aus anderen Gebieten Italiens zum Vordringen der Nazi-Ideologien auf Südti- italienischen Behörden und zu eindeutiger Ziel9. Es ging also nicht so sehr darum, aus roler Boden kaum Sorgen gemacht, ja, sie Verachtung der Symbole der Italianität kam, den Südtirolern Italiener zu machen, son- hatten die ideologischen Ähnlichkeiten zwi- traten die Irrtümer der Präfekten bei der dern den Zuzug so vieler im Königreich Ita- schen dem Nationalsozialismus und dem Bewertung der Lage deutlich in Erschei- lien geborenen Personen zu fördern, dass Faschismus unterstrichen7. In seinen vie- nung, und im September 1933 wurde Mar- das bis dahin bestehende ethnische Ver- len, an das Innenministerium gesandten ziali durch Mastromattei abgelöst. So setz- hältnis, das noch zugunsten der Deutsch- Berichten hatte der Präfekt Marziali die te nun eine neue Phase der faschistischen sprachigen ausfiel, über den Haufen gewor- Gefahr der Verbreitung des Nazismus im- Politik ein: Da sie sich des Misserfolgs beim fen wurde. mer bagatellisiert und ein übermäßig op- Italianisierungsversuch der deutschsprachi- Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, timistisches Bild einer nunmehr normali- gen Bevölkerung in erster Linie durch ge- dass die antiitalienische Nazi-Bewegung sierten Provinz gezeichnet, in der der Fa- setzgeberische Vorkehrungen bewusst gerade unter den Jüngeren Widerhall fand schismus auch unter der deutschsprachi- wurde, setzte sie sich nun die schrittweise - wodurch bewiesen wurde, dass die so oft gen Bevölkerung zunehmend Fuß fasste8. Umkehrung des zahlenmäßigen Verhältnis- posaunten Gewissheiten über die mühelo- Angesichts der immer stärkeren Verwur- ses zwischen Deutschen und Italienern se Formung der jungen Generationen halt- 32
los waren. Die hier nachfolgend wiederge- gebenen Schreiben zeigen, dass sich die staatlichen Behörden allmählich des zuneh- menden, besorgniserregenden Erfolgs des Nazismus bei den einzelnen Schulanstal- ten bewusst wurden. Im ersten angeführ ten Fall handelt es sich um einen Bericht, den ein Lehrer der Berufsschule in St. Ulrich an seinen Schul- direktor sendet: Er unterstreicht unter an- derem, dass der Nazismus auch bei den den faschistischen Organisationen angehö- rigen Jugendlichen Widerhall gefunden hat. Das zweite Dokument ist ein vom Erzie- hungsminister an den Ministerrat gesand- tes Schreiben: es geht auf die Nachfor- schungen hinsichtlich eines antiitalienisch eingestellten Geheimverbands ein, dem zahlreiche Schüler des staatlichen Gymna- 42 siums in Brixen angehören, darunter auch einige, die Mitglieder der faschistischen ZWEIJÄHRIGER FORTBILDUNGSKURS IN ST. ULRICH Partei oder ihrer Organisationen sind. Schließlich zwei vom Bozner Polizeipräsi- Nr. 134 St. Ulrich, 8. März 1934/X II denten an den Innenminister gesandte Be- BETRIFFT: Politische Gesinnung in einer Schulklasse richte, in denen die Lage - der Widerhall der Nazi-Ideologie unter den Jugendlichen und An den Kursleiter der Misserfolg der faschistischen Erziehungs- Herrn Cav. Lodovico Donati tätigkeit - äußerst klar und objektiv darge- Sehr geehrter Herr Direktor, legt wird. Die Analyse des Polizeipräsiden- ich erlaube mir, Ihnen meinen Standpunkt über die politische Gesinnung der 2. Klasse dieses Kurses ten Norcia hebt auch andere Punkte her- darzulegen. Die Jungen zeigen seit einiger Zeit einen gewissen Wandel in ihrer politischen Gesinnung, vor: Die verbreitete Feindseligkeit der Südti- der in jüngster Zeit noch stärker zum Ausdruck kommt. roler Bevölkerung dem Faschismus gegen- Da es sich um Jugendliche zwischen 12 und 14 Jahren handelt, die sich schon so auszudrücken über ist seiner Meinung nach nicht als so- wissen, wie es ihnen passt, und auch Urteile abgeben können, kann man sie für ihre Äußerungen als ziale und politische Opposition gegen das verantwortlich ansehen. diktatorische Regime anzusehen, sondern Nun habe ich bemerkt, dass - aufgrund von Infiltrationen, deren Herkunft ich nicht zu erklären vielmehr als bloße Aversion gegen die ita- wüsste - Sympathie für all das gezeigt wird, was jenseits der Alpen getan und gesagt wird. Die Schüler sind über die Ereignisse in Deutschland und Österreich immer gut informiert und kommentieren sie lienische Herrschaft über Südtirol. Mit an- mit Interesse und bei Sympathiebekundungen für Hitler. deren Worten handelte es sich um Aufleh- Einige Bemerkungen, die ich während des Unterrichts in faschistischer Kultur aufgefangen habe, nung gegen die Brennergrenze und die ver- verweisen auf Unverträglichkeit von all dem, was italienisch und faschistisch ist. Für uns Lehrer ist es hassten Entnationalisierungsmaßnahmen schwer, in diesem Grenzgebiet ein nationales Bewusstsein auszubilden - was nicht einmal mit den des Regimes, nicht aber um eine klare, be- Gefühlen eines rechtlich denkenden Menschen vereinbar ist, sofern er nicht um jeden Preis ein Deut- wusste Opposition gegen den faschistischen scher sein will. Wir fühlen uns in unserer Pflicht als Erzieher getroffen, da unsere Aufgabe stark Totalitarismus als unterdrückende Ideolo- behindert wird. gie10. So müsse man sich größere Sorgen Für diese ideologische Unterwanderung ist nicht nur ein einziger Schüler verantwortlich, sondern um die für die Bozner Industriezone be- mehrere, die den Jugendorganisationen wenig ruhmreich angehören. Die Schüler sind verwarnt worden, und ich hoffe, dass es in Zukunft zu keinen Zwischenfällen stimmten Arbeiter machen, unter den die kommt. Diese verderbliche Propaganda muss ganz aufhören, und ich werde Sie weiter über diese Lage Präsenz von subversiven Elementen nicht unterrichten, vor allem, wenn es sich als notwendig erweisen sollte, eventuell mit Maßnahmen einzu- auszuschließen war. In diesem wie in vielen greifen. anderen Fällen bewiesen Vertreter der ita- Da die Gefahr im Moment auf wenige Verantwortliche beschränkt zu sein scheint, halte ich es für lienischen staatlichen Behörden, dass sie die angebracht, vorsichtig vorzugehen und Überzeugungsarbeit zu leisten. antinationalen Kundgebungen der Südtiro- Im Augenblick ist es richtig, dies an den Tag zu legen, damit wir uns gegebenenfalls gegen diejenigen ler fürchteten, gleichzeitig aber ihre Achtung wehren können, die die Erziehungstätigkeit der italienischen Schule in Südtirol zu gefährden suchen. für die staatlich anerkannten Behörden und Hochachtungsvoll ihre Abneigung jeder Form sozialen Protes- Luigi Amicabile tes zu schätzen wussten. Lehrer (Archivio Centrale dello Stato, Presidenza del Consiglio dei Ministri, Gabinetto, 1934-36, 1/1- 41. G. Pagano, Mussolini-Literatur, 1939. 13/680) 42. Gebrüder Stolz, Volksgemeinschaft, 1939. 33
Rom, 21. November 1934/XIII Ministero dell‘Educazione Nazionale DIREZIONE GENERALE DELLA ISTRUZIONE MEDIA, CLASSICA, SCIENTIFICA, MAGISTRALE An die Präsidenz des Ministerrats ROM Division II Prot. Nr. 8616 BETRIFFT: Schüler Mellauner und andere Dieses Ministerium ist von den Schulbehörden informiert worden, dass die politischen Behörden im vergangenen Juni in Brixen einen “Laurinia” genannten Geheimbund entdeckt haben, dem 17 Schüler des königlichen Gymnasiums angehörten. Einige von ihnen hatten am 26. Mai an einer Versammlung teilgenommen, auf der ein gewisser Dr. Dejaco und der Schüler Tausch aus der 3. Klasse antinationale Reden gehalten hatten. Weil sie am 14. Juni, zum Schluss des Schuljahres, in einem öffentlichen Lokal deutsche Lieder gesungen hatten, waren außerdem elf Oberschüler verhaftet und am Morgen freigelassen worden, mit Ausnahme von Tausch, der sich unter ihnen befand. Einer der dem Geheimbund angehörigen Oberschüler - Kustacher Giuseppe aus der 1. Klasse - war Avanguardista; ein anderer - Fissneider Giovanni aus der 4. Klasse - gehörte dem Fascio giovanile an; ein dritter - besagter Mellauner - war Mitglied des Fascio Brixen. In Erwartung der Entscheidung der politischen Behörden haben die Schulbehörden diese Oberschüler - mit Ausnahme des verhafteten Tausch - zu den Prüfungen zugelassen, unter Vorbehalt eventueller Disziplinarstrafen. In der Folge teilten die politischen Behörden mit, dass die drei Jugendlichen aus den faschistischen Organisationen ausgeschlossen worden waren, „weil sie den der Revolution geleisteten Treueschwer gebrochen hatten“, und jetzt bitten die Schulbehörden um Weisungen bezüglich der endgültig zu treffenden Entscheidungen. [...] DER MINISTER (Archivio Centrale dello Stato, Presidenza del Consiglio dei Ministri, Gabinetto, 1934-36, 5/4/2797). 43 34
44 VERTRAULICH - EINSCHREIBEN KÖNIGLICHES POLIZEIPRÄSIDIUM BOZEN Kab.-Abt. - Nr. 02247 30.1.1938/XVI An das Innenministerium Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit Rom Unter Bezugnahme auf das Schreiben 26 des Ministeriums, Nr. 2742/441/01250, erlaube ich mir mitzuteilen, dass die politische Lage in dieser Provinz unverändert ist, wiewohl sich keine Gefahrensymptome hinsichtlich möglicher Störungen der öffentlichen Ordnung zeigen. Es sind tatsächlich weniger und geringere Episoden feindlicher Gesinnung seitens der anders- stämmigen Elemente zu verzeichnen - was aber nicht unbedingt als Anzeichen einer Besserung der Lage anzusehen ist; denn die geringere Anzahl der Gesten der Unduldsamkeit ist zweifellos auf eine stärkere Kontrolle zurückzuführen, die sich jetzt alle nach den beispielhaften polizeilichen Maßnahmen auferlegen, die den überzeugten Verantwortlichen antiitalienischer Handlungen ge- genüber getroffen worden sind. Passiver Widerstand wird weiterhin im engen Familienkreis geleistet, und er wird immer noch wirksam vom Klerus unterstützt, dessen Vertreter ihre ursprüngliche oppositionelle Haltung nur formell geändert haben. Die feindseligen Kundgebungen sind überwiegend das Werk von Jugendlichen, was deutlich beweist, dass die Erziehung der Jugendlichen - trotz ihres formellen Beitritts zu den faschistischen Jugendorganisationen - noch alten irredentistischen oder nazistischen Elementen unterworfen ist. Unter dem beiliegenden Verzeichnis verdient die Episode, die sich auf die Verhaftung des an- dersstämmigen 20jährigen Francesco BAUER wegen irredentistischer Propaganda unter den Ju- gendlichen bezieht, besondere Beachtung: Dieser, ein ehemaliges Mitglied des Fascio Giovanile von Dorf Tirol, hatte in verschiedenen Gemeinden junge „Korrispondenten“, mit denen er sich in Kontakt hielt, um ihnen Weisungen über den Widerstand der italienischen Penetration gegenüber, über die Wahrung deutschen Brauchtums usw. zu erteilen. Wie ich mir schon in vorausgegangenen Schreiben darzulegen erlaubt hatte, hat die subversive Bewegung revolutionären und antifaschistischen Charakters sich in dieser Provinz noch nicht ge- zeigt; die überwiegende Mehrheit der Opposition bekundet antinationale Gefühle, die auf Verän- 45 derungen der politisch-territorialen Lage ausgerichtet sind, nicht aber antisoziale Gefühle. Voraussichtlich werden sich, mit der Entwicklung der Industriezone und dem Zuzug von immer mehr Arbeitern aus anderen italienischen Provinzen, in Zukunft heute nicht vorhandene Anzeichen subversiver Propaganda zeigen, obwohl der Informationsdienst über die zugezogenen Elemente mit allergrößter Sorgfalt durchgeführt wird. Zum derzeitigen Zeitpunkt - und auch in Hinblick auf den bevorstehenden Staatsbesuch des deutschen Regierungschefs - glauben wir nicht an das Eintreten von Vorfällen, die die öffentliche Sicherheit ernsthaft gefährden könnten. Es ist vorauszusehen, dass die großen Beifallskundgebun- gen bei der Durchreise des Führers durch die Provinz, an denen alle andersstämmigen Personen nazistischer Gesinnung teilnehmen werden, neue und genauere Elemente zur Bewertung der feindseligen Kräfte liefern, die sich bei dieser Gelegenheit unbewusst offenbaren. DER POLIZEIPRÄSIDENT Norcia (Archivio Centrale dello Stato, Ministero dell’Interno, Direzione Generale della Pubblica Sicurezza, Divisione affari generali e riservati, 1941, Cat. K1 B15, B.49, Fasz. Bolzano) 46 43. Katakombenschule im Sarntal, 30er Jahre. 44. Katakombenschule in Haslach (Bozen), 1933. 45. Lesebuch der deutschen Sprachkurse für Optanten, 1940. 46. Volksschulzeugnis, 1935. 47 47. Titelblatt des “Balilla dell’Alto Adige”, 1928. 35
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