Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts

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Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
Nr. 8

        I n f o r m at i o n

        Wie leben und arbeiten wir morgen?

        Die Zukunft der Arbeit
        Schlussfolgerungen aus dem
        Jahressymposium 2008
        des Roman Herzog Instituts

                               www.romanherzoginstitut.de
Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
Wie leben und arbeiten wir morgen?

Die Zukunft der Arbeit
Schlussfolgerungen aus dem
Jahressymposium 2008
des Roman Herzog Instituts

   Vorwort                                            2

1 Arbeit – gestern und heute                          4

2 Herausforderungen in der Gesellschaft von morgen    6

3 Gestaltungsoptionen der Gesellschaft von morgen     10

4 Aufgaben der gesellschaftlichen Akteure             22

5 Ausblick                                            29

   Literatur                                          31
Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
RANDOLF RODENSTOCK

Vorwort                                                                                                            Jede Diskussion über die „Zukunft der Arbeit“ muss        Erkenntnisse dieses Symposiums und der zugrun-
                                                                                                                   darüber geführt werden, wie Unternehmen aussehen          deliegenden Forschungsarbeiten. Sie b   ­ asiert auf den
                                                                                                                   könnten. Gleichwohl erachtet das Roman Herzog             Beiträgen der Ökonomen Prof. Dr. Michael Hüther,
                                                                                                                   Institut den Blick über den Tellerrand als unabding-      Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln,
                                                                                                                   bar. Wir pflegen den Perspektivenwechsel, indem wir       Patrick M. Liedtke, General­sekretär der Geneva
                                                                                                                   Fragestellungen nicht allein mit einer ökonomischen,      Association for the Study of Insurance Economics,
                                                                                                                   sondern mit einer interdisziplinären Brille betrachten.   und Jörg Schwitalla, Perso­nal­direktor der MAN AG,
                                                                                                                   Dieser durchaus kontroverse Meinungspluralismus           sowie auf den Vorträgen des Soziologen Prof. Dr. Dr.
                                                                                                                   hinterfragt scheinbar Selbstverständliches und            Stefan Hradil von der Johannes Gutenberg Univer-
                                                                                                                   eröffnet neue Sichtweisen – eine entscheidende            sität Mainz, des Gerontologen Prof. Dr. Andreas
                                                                                                                   Quelle von Kreativität und Wissen und damit das           Kruse von der Universität Heidelberg, der Leiterin
                                                                                                                   beste Mittel, um einer gesellschaftlichen Erstarrung      des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser
                                                                                                                   entgegenzuwirken.                                         in München, Annemarie Gerzer-Sass, und des Präsi­
                                                                                                                                                                             denten des Deutschen Caritasverbandes, Prälat
                                                                                                                   Psychologen, Historiker, Soziologen, Personalchefs        Dr. Peter Neher.
                                                                                                                   und Volkswirtschaftler: Renommierte Vertreter
                                                                                                                   verschiedener Fachdisziplinen haben im Laufe des          Die hier durch das Roman Herzog Institut vertrete­
                                                                                                                   Jahres 2008 wissenschaftliche Publikationen zum           nen Ansichten spiegeln die Vielfalt des interdiszipli-
                                                                                                                   RHI-Schwerpunktthema veröffentlicht. Im Herbst tra-       nären Dialogs auf dem Jahressymposium wider. Das
                                                                                                                   fen sich die Autoren und weitere Experten auf dem         RHI hofft, auch mit diesem Beitrag seiner satzungs-
„Was sehe ich in Deutschland? Hier herrscht ganz         wir schon keine Vorhersagen treffen können, so            RHI-Jahressymposium im Münchner Lenbach-Palais            gemäßen Aufgabe gerecht zu werden: Nämlich wei-
überwiegend Mutlosigkeit, Krisenszenarien werden         möchten wir zumindest in der Lage sein, Trends zu         mit zahlreichen Gästen aus Politik, Wirtschaft und        tere Diskussionen anzuregen und die Veränderungen
gepflegt. Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer      erkennen und einzuordnen – damit wir wissen, wohin        Gesellschaft und stellten ihre jeweilige Sicht auf die    der Arbeitswelt voranzutreiben – in Richtung einer
Gesellschaft. Dabei stehen wir wirtschaftlich und        die Reise geht und wir diesen Weg gemeinsam be-           „Zukunft der Arbeit“ in Deutschland vor. Diese Publi­     positiven Entwicklung der Zukunft.
gesellschaftlich vor den größten Herausforderungen       einflussen können. Diesem Anliegen widmet sich das        kation gibt einen Überblick über die wesent­lichen
seit 50 Jahren: 4,3 Millionen Arbeitslose, die Erosion   Roman Herzog Institut (RHI).
der Sozialversicherung durch eine auf dem Kopf ste-
hende Alterspyramide, die wirtschaftliche, technische    Das Roman Herzog Institut hatte im Jahr 2008 die
und politische Herausforderung der Globalisierung.“      gesellschaftlichen Herausforderungen der „Zukunft
                                                         der Arbeit“ in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten
Die Ratlosigkeit angesichts dieser Herausforderun-       gestellt. Die Verunsicherung vieler Arbeitnehmer,
gen, die im Jahr der anschwellenden Finanzkrise          Arbeit­geber und Selbstständiger über die existen-                                                                  Randolf Rodenstock
2008 bei vielen noch angestiegen ist, lähmt die          zielle Sorge, wie wohl ihr künftiger beruflicher Werde­                                                             Vorstandsvorsitzender Roman Herzog Institut e.V.
wirtschaftlichen Kräfte – und die Weiterentwicklung      gang in einer Arbeitswelt aussehen wird, die sich
der Gesellschaft. „Der Verlust der wirtschaftlichen      immer schneller wandelt, war schon lange spürbar.
Dynamik geht Hand in Hand mit der Erstarrung             Die krisenhafte Entwicklung des Jahres 2008 hat
unserer Gesellschaft“, hat Bundespräsident Prof.         diese Verunsicherung lediglich verstärkt. Vor diesem
Dr. Roman Herzog in seiner berühmten Ruck-Rede           aktuellen Hintergrund ergab sich für die Veran-
im Jahr 1997 analysiert (Herzog, 1997). Zwölf Jahre      staltungen und Publikationen des RHI ein anderer
danach ist diese Aussage aktueller denn je. Die an       Resonanzboden, als vorher abzusehen war. Die
vielen Ecken der Gesellschaft aufkeimenden Zweifel       Gedanken der eingeladenen Experten zum abstrakt
an der scheinbar felsenfest verwurzelten Sozialen        klingenden Thema „Zukunft der Arbeit“ bekamen in
Marktwirtschaft zeigen, dass wir heute offenbar mehr     dieser Zeit, in der die Stimmung in vielen Betrieben
als bisher über eine gemeinsame Basis der gesell-        von Hochstimmung in Kurzarbeit umgeschlagen ist,
schaftlichen Entwicklung nachdenken müssen. Wenn         eine besondere Relevanz.

2                                                                                                                                                                                                                                  3
Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
K a p itel 1

Arbeit – gestern und heute                                      niert als „das bewusste Handeln zur Befriedigung          und entsprechend ist Erwerbslosigkeit die zentrale           „Die ethische Dimension
                                                                der Bedürfnisse“ und darüber hinaus als „Teil der Da-     Ursache für Armut. Giarini/Liedtke (2006) unterschei-          der Arbeit ist wichtiger
                                                                seinserfüllung“. Ganz allgemein hat Arbeit zunächst       den diese Funktionen von Arbeit:                                geworden. Arbeit hat
Die Leitfrage „Wie leben und arbeiten wir morgen?“              den Zweck, das Wohl des Menschen zu verbessern.                                                                       auch für die Kohäsion der
richtet sich an viele Fachdisziplinen. Die verschiede-          So erfüllend Arbeit für den Menschen sein kann:           ■■Produktionsfunktion: Sicherung des Lebens­
                                                                                                                                                                                        Gesellschaft eine große
nen Experten, die das RHI zur Podiumsdiskussion                 Sie ist durchaus mit einem sogenannten Arbeitsleid           unterhalts (finanzielle Komponente der Arbeit)                        Bedeutung.“
auf das Jahressymposium eingeladen hatte, um Ant-               verbunden, für das beispielsweise Arbeitnehmer            ■■Allokationsfunktion: Zuteilung der Mittel in der
                                                                                                                                                                                                   Patrick M. Liedtke,
worten auf diese Frage zu geben, deckten ein breites            durch Lohnzahlungen entschädigt werden. Dies                Gesellschaft (optimale Ressourcennutzung)                     General­sekretär der Geneva
Spektrum von gesellschaftlicher Theorie und Praxis              entspricht dem modernen Verständnis von Arbeit,           ■■Solidarfunktion: Stärkung der gesellschaftlichen              Association for the Study of
                                                                                                                                                                                               Insurance Economics
ab. Dennoch waren sie sich in vielen Punkten einig.             wonach Arbeit „für einen anderen gegen Entgelt              Kohäsion (soziale Komponente der Arbeit)
                                                                geleistete Tätigkeit“ ist. Wenn wir heute von Arbeit      ■■Sinnfunktion: Entfaltung der Persönlichkeit und
Arbeit ist nicht gleich Arbeit, sondern erfüllt verschie-       sprechen, dann meinen wir damit nicht alle täglichen        sinnstiftendes Element des Lebens (Selbstver-
dene Funktionen – egal, ob es sich um bezahlte                  Verrichtungen, zu denen der Mensch durch seine              wirklichungskomponente).
oder unbezahlte Tätigkeiten handelt. Was meinen                 Bedürftigkeit verurteilt ist, sondern nur jene Verrich-
wir, wenn wir von Arbeit sprechen? Zieht man den                tungen, die zu Einkommen führen. Folglich ist Arbeit      Diese Funktionen bauen teilweise aufeinander auf.
Brockhaus von 1966 heran, dann wird Arbeit defi-                die Haupteinkommensquelle der meisten Menschen,           Hat es der Mensch geschafft, mithilfe seiner Tätig-
                                                                                                                          keit seine Grundbedürfnisse zu befriedigen, dann
                                                                                                                          arbeitet er nicht mehr für Brot allein. Während früher
                                                                                                                          fast ausschließlich die Produktions- und die Alloka-
                                                                                                                          tionsfunktion im Vordergrund standen, haben sich          Die Grenzen zwischen den vormals klar getrennten
                                                                                                                          heute die Schwerpunkte der Arbeit zugunsten der           Sphären von Arbeit einerseits und Freizeit anderer-
                                                                                                                          Solidar- und der Sinnfunktion verlagert. Arbeit ist für   seits verwischen. Die Virtualisierung von Arbeits-
                                                                                                                          viele Erwerbstätige nicht nur ein Job, sondern ein        formen, die eine stärkere Trennung von Raum und
                                                                                                                          wichtiger Teil ihres Lebens. Diese Entwicklung, die       Zeit bei der Leistungserbringung ermöglicht, stellt
                                                                                                                          durch eine große Produktivitäts- und Wohlstandsstei-      Mitarbeiter, Selbstständige und Unternehmen vor
                                                                                                                          gerung möglich wurde, hat grundlegenden Einfluss          ganz neue Herausforderungen. Das betrifft nicht nur
                                                                                                                          auf die Gestaltung der Arbeitswelt von morgen. So         die konkrete Arbeitsplatzgestaltung, sondern die
                                                                                                                          genügen heute beispielsweise monetäre Anreize al-         Work-Life-Balance, die soziale Sicherung, die Frage
                                                                                                                          lein nicht mehr, um Mitarbeiter zu motivieren (Giarini/   der Entlohnung und der Weiterbildungsbereitschaft.
                                                                                                                          Liedtke, 2006).

(In) Deutschland Neu Denken – Fachsymposium am 18. September 2008

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Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
K a p itel 2

Herausforderungen in der                                Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im Jahr 2050 nur
                                                        noch 31,5 Millionen bis 35,5 Millionen sein – je nach-
­Gesellschaft von morgen                                dem, ob jährlich 100.000 oder 200.000 Erwerbs­
                                                        perso­nen zuwandern.
Die Frage, wie wir morgen arbeiten werden, lässt
sich nur beantworten, wenn man die zukünftigen          Die Folgen werden sich – falls Reformmaßnahmen
Megatrends und deren Einfluss auf den Arbeitsmarkt      nicht gegensteuern – an vielen Stellen bemerkbar
berücksichtigt. Diese Megatrends werden im Folgen-      machen:
den vorgestellt.
                                                        ■■Der Rückgang des Arbeitskräfteangebots wirkt
                                                          als Wachstumsbremse. Die Wachstumsraten
Megatrend I: Demografischer Wandel                        des Bruttoinlandsprodukts werden, wenn keine
Die Bevölkerungszahl in Deutschland nimmt bereits         Reformen eingeleitet werden, deutlich von derzeit
seit dem Jahr 2003 ab. Das Statistische Bundesamt         rund 1,5 Prozent pro Jahr auf etwa 0,7 Pro-
errechnet in seiner aktuellen Bevölkerungsvoraus-         zent in den Jahren von 2030 bis 2035 sinken
berechnung einen Rückgang von heute 82 Millionen          (­Plünnecke/Seyda, 2007, 58 f.).
Einwohnern auf etwa 71 Millionen im Jahr 2050. Das      ■■Weil anteilig weniger Arbeitskräfte für die Produk-
Durchschnittsalter der Menschen wird gleichzeitig         tion des Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung ste-
von 42,6 auf 51,4 Jahre ansteigen. Das bedeutet           hen, müssen diese produktiver werden, um das
für den Arbeitsmarkt der Zukunft: Die Belegschaften       gleiche Pro-Kopf-Niveau an Gütern und Dienst-
werden im Durchschnitt älter als heute sein und es        leistungen herzustellen, das ohne Alterung und
werden immer weniger Menschen zur Erstellung von          Bevölkerungsrückgang erreicht werden könnte.
                                                                                                                 Stefan Hradil: Demografischer Wandel als Megatrend
Gütern und Dienstleistungen zur Verfügung stehen.       ■■Die Bedeutung der Bildung nimmt weiter zu,
Gab es auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland im Jahr        doch Fachpersonal wird zum Engpass. Die
2004 noch rund 44,5 Millionen Erwerbspersonen,            Unternehmen werden zukünftig einen weiter
so werden es nach Berechnungen des Instituts für          steigenden Bedarf an Fachkräften haben, können             Ostdeutschland, leeren werden. Letzteres führt     ■■Einfache und arbeitsintensive Tätigkeiten werden
                                                          aber nur auf eine geringere Anzahl an qualifizier-         schon heute zu gravierenden Problemen (Säch­         ins Ausland verlagert, humankapitalintensive Teile
                                                          tem Nachwuchs zugreifen.                                   sischer Landtag, 2008).                              der Wertschöpfungskette konzentrieren sich in
                                                        ■■Die sozialen Sicherungssysteme können nicht                                                                     wissensintensiven Clustern.
              „Wir haben die Megatrends                   so weiterlaufen wie bisher. Wegen der demogra-                                                                ■■In der Folge sinkt die Nachfrage nach geringqua-
              Demografie, Globalisierung und              fischen Entwicklung wird der Finanzierungsbe-          Megatrend II: Globalisierung                             lifizierten Arbeitnehmern und die Nachfrage nach
              den W­ andel zur Dienstleistungs­           darf der Rentenversicherung steigen. Soll das          Intensivere internationale Arbeitsteilung und natio­     Hochqualifizierten steigt – bis hin zum Fach­kräfte­
              gesellschaft, auch wenn wir in              Renten­niveau auf dem heutigen Stand gehalten          nale Spezialisierungen sind die Kennzeichen der          mangel.
              Deutschland ein bisschen lang­              werden, so wird die Rentenlast zunehmen und            zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft. Auch        ■■Sind die Löhne flexibel, dann nimmt die Lohn-
              samer marschieren als andere.               von einer immer kleineren Gruppe von Erwerbs-          die Arbeitsmärkte sind von dieser Entwicklung, die       spreizung zu, während bei inflexiblen Löhnen
              Und wir haben eine Individualisie­          tätigen aufgebracht werden müssen. Während             sich in der Zukunft fortsetzen wird, betroffen. Das      – zum Beispiel Mindestlöhnen – die Arbeitslosig-
              rung der Arbeitswelt, in der sich           heute auf 100 Menschen über 65 Jahre 335 Per-          exportgewichtete Arbeitskräfteangebot, das welt-         keit unter den Geringqualifizierten wächst.
              das klassische Arbeitsverhältnis,           sonen im erwerbsfähigen Alter kommen, wird             weit zur Verfügung steht, ist seit dem Jahr 1980
              bei dem man 30 Jahre an einem               diese Relation bis zum Jahr 2050 auf 100 zu 155        bis heute um das Vierfache gestiegen. Das globale
              Arbeitsplatz sitzt, auflöst. Dies wirft     sinken.                                                Angebot an Akademikern ist im selben Zeitraum von      Megatrend III: Tertiarisierung
              eine ganze Reihe von Fragen auf.“         ■■Der demografische Wandel wird regional sehr            rund 15 ­Millionen auf etwa 65 Millionen gewachsen,    Der Anteil der Dienstleistungen an der gesamtwirt-
              Randolf Rodenstock,                         unterschiedlich verlaufen. In den Großstädten in       gleichzeitig ist die Zahl der weniger Qualifizierten   schaftlichen Bruttowertschöpfung steigt seit Jahr-
              Vorstandsvorsitzender des                   Westdeutschland wird voraussichtlich weiterhin         von etwa 200 Millionen auf mehr als 500 Millionen      zehnten – und er wird weiter zulegen. Zurzeit beträgt
              ­Roman Herzog Instituts e. V.
                                                          ein Bevölkerungswachstum zu verzeichnen sein,          gestiegen. Für den deutschen Arbeitsmarkt der          dieser Anteil in Deutschland rund 69 Prozent, jener
                                                          während sich ländliche Gebiete, insbesondere in        Zukunft heißt dies:                                    der Industrie rund 23 Prozent. Während Industrie­

6                                                                                                                                                                                                                            7
Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
K a p itel 2
Herausforderungen in der Gesellschaft von morgen

                 „Die Fähigkeit, von den Welt­         Megatrend IV: Individualisierung
                 märkten Einkommen nach                Ob Vollzeitjob oder Teilzeitarbeit, befristete Beschäf-
                 Deutschland zu holen, hat in          tigung oder Zeitarbeit: Die Vielfalt an Arbeitsformen,
                 erheblichem Maße damit zu tun,        die sich in Deutschland bereits herausgebildet hat,
                 dass bei uns die Tertiarisierung      wird weiter zunehmen. Waren im Jahr 2005 von
                 über die Industrie läuft und nicht    100 Erwerbstätigen rund 60 in Vollzeittätigkeit sozial­
                 gegen sie.“                           versiche­rungs­pflichtig beschäftigt, gingen schon
                                                       16 Prozent einer unbefristeten Teilzeittätigkeit nach.
                 Michael Hüther,
                 Direktor des Instituts der            10 Prozent waren Selbstständige, 14 Prozent befris-
                 deutschen Wirtschaft Köln             tete Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte und geringfügig
                                                       Beschäftigte. Damit überwogen die traditionellen
                                                       Vollzeitarbeitsverhältnisse zwar immer noch deutlich,
                                                       doch ihr Anteil in den alten Bundesländern ist rück-
                                                       läufig: Anfang der 1990er Jahre standen noch knapp
                                                       70 Prozent der Erwerbstätigen in einem solchen
                                                       Arbeitsverhältnis. Die Ausnahme vom klassischen
                                                       Vollzeitjob wird langsam zur Regel. Das bedeutet für
                                                       den Arbeitsmarkt der Zukunft:

arbeitsplätze auch künftig abgebaut werden, ent-       ■■Die zunehmende Heterogenität von Arbeitsver-
stehen im Dienstleistungssektor neue Arbeitsplätze.       hältnissen ist ein Trend, auf den Unternehmen
Vor allem die unternehmensnahen Dienstleistungen          künftig nicht wieder verzichten werden – sie sind
expandieren stark: In diesem Bereich hat sich die         sogar auf ihn angewiesen. Um im internationalen
                                                                                                                 Das Fachsymposium 2008 interessierte eine breite Öffentlichkeit.
Zahl der Beschäftigten seit 1991 mehr als verdop-         Wettbewerb bestehen zu können, müssen sie fle-
pelt. Insgesamt verschiebt sich der Schwerpunkt des       xibel reagieren können. Da die Arbeitsmarktregu-
Arbeitsmarktes in den Dienstleistungssektor. Für den                                                               lierung in Deutschland relativ starr ist – genannt                 geringfügige Beschäftigung von Frauen werden
deutschen Arbeitsmarkt der Zukunft bedeutet dies:                                                                  sei hier beispielsweise der hohe Kündigungs-                       die Flexibilität in der Lebensgestaltung weiter
                                                                                                                   schutz –, wenden sich Unternehmen modernen                         erhöhen.
■■Die Beschäftigten müssen mobil und dazu bereit                                                                   Arbeitsformen zu, um auf schwankende Auf-                        ■■Mit zunehmender Individualisierung ergeben sich
  sein, sich Arbeitsplätze in den neuen, expan-                                                                    tragslagen zu reagieren. Das zeigt sich aktuell                    jedoch auch Gefahren: Zum einen sinkt sowohl
  dierenden Branchen des Dienstleistungssektors                                                                    gerade in der Automobilindustrie. Der Nachfrage-                   auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite
  zu suchen. Dies betrifft, wenn ihr Arbeitsplatz in                                                               rückgang nach Automobilen konnte über meh-                         die Bereitschaft, in betriebsspezifisches Human­
  Industrie­betrieben abgebaut wird, auch höher-                                                                   rere Quartale durch den Abbau der Guthaben auf                     kapital zu investieren, wenn diese Investition sich
  qualifizierte Industriearbeiter mit relativ hohen                                                                Arbeitszeitkonten abgefedert werden, statt gleich                  im Rahmen einer Teilzeitarbeit oder befristeten
  Löhnen.                                                                                                          auf Kurzarbeit oder Entlassungen zurückgreifen                     Beschäftigung rentieren muss. Zum anderen be-
■■Bildung und Weiterbildung sind für die Arbeit                                                                    zu müssen.                                                         steht die Gefahr, im Alter oder bei Arbeits­losig­
  im Dienstleistungssektor – und deren Entloh-                                                                   ■■Arbeitnehmer wissen die Vorteile variabler                         keit arm zu sein, da geringfügig Beschäftigte
  nung – entscheidend. Der Strukturwandel wird                                                                     Beschäftigungsverhältnisse immer stärker zu                        nur geringe Ansprüche an die Arbeitslosen- und
  nämlich nicht qualifikationsneutral verlaufen. Die                                                               schätzen. Die bessere Vereinbarkeit von Familie                    Rentenversicherung erwerben. Auch wenn vari-
  Humankapitalintensität der Arbeitsplätze nimmt                                                                   und Beruf ist eine treibende Kraft für die Akzep-                  able Beschäftigungsverhältnisse besser sind als
  auch im Dienstleistungssektor weiter zu.                                                                         tanz flexibler Arbeitsmodelle. Insbesondere die                    Erwerbslosigkeit, muss in diesem Punkt gesell-
■■Frauen sind eher die Gewinner des Strukturwan-                                                                   Ausdehnung der Teilzeitbeschäftigung und die                       schaftlich Vorsorge getroffen werden.
  dels, da sie bereits häufig im Dienstleistungssek-
  tor arbeiten, während Männer in traditionellen
  Industrieberufen zu den Verlierern zählen werden.

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Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
K a p itel 3

Gestaltungsoptionen der                                                  anzupassen, dass die Chancen für den Einzelnen die      ■■Bildung – Bessere Chancen für alle
                                                                                                                                                                                               „Notwendig für eine Verbesserung
                                                                         Risiken überwiegen. Dafür sind sowohl Verbesserun-      ■■Arbeit – Mehr Menschen in die Arbeitswelt
­Gesellschaft von morgen                                                 gen im institutionellen Gefüge unseres Wirtschafts-        ­integrieren
                                                                                                                                                                                                  des deutschen Bildungssystems
                                                                                                                                                                                                ist unter anderem eine vernünftige
                                                                         systems als auch Veränderungen innerhalb unseres        ■■Wettbewerb – Von der Globalisierung
                                                                                                                                                                                                   vor­schulische Bildung, die wir in
Die genannten Megatrends scheinen auf den ersten                         Wertegefüges notwendig.                                   profitieren                                                Deutschland nicht haben. Daneben
Blick für den Einzelnen und die Gesellschaft von                                                                                 ■■Werte – Mehr Eigenverantwortung und
                                                                                                                                                                                                    müssen die vielfältigen Formen
morgen vor allem Herausforderungen zu sein. Doch                         So notwendig Reformen innerhalb des Wirtschafts-          ­Subsidiarität                                               der informellen Bildung wesentlich
diese Trends bieten den Menschen auch vielfältige                        systems auch sind, um die Zukunftsfähigkeit der         ■■Gerechtigkeit – Partizipationschancen
                                                                                                                                                                                             besser mit den Schulen und Univer­
Chancen dafür, ein höheres Wohlstandsniveau zu                           Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern: Wir fangen        erhöhen.                                                 sitäten verzahnt werden. Dazu ist es
erreichen. Zum Beispiel lassen sich die gestiegenen                      nicht bei null an. Die Wirtschaftsordnung in Deutsch-                                                                  auch notwendig, mehr Geld in die
Ansprüche des Einzelnen an die individuelle Verein-                      land, die Soziale Marktwirtschaft, stellt – bei aller   In jedem dieser fünf Bereiche besteht Handlungs­                                Bildung zu geben.“
barkeit von Beruf, Freizeit und Familie besser mit                       Diskussion von Fehlentwicklungen und Anpas-             bedarf. Entsprechende Empfehlungen für konkrete
                                                                                                                                                                                                                               Stefan Hradil,
modernen Arbeitsformen verwirklichen, die mehr                           sungsbedürfnissen – aus Sicht des Roman Herzog          Reformen werden in den folgenden Abschnitten                    Professor am Institut für S
                                                                                                                                                                                                                           ­ oziologie an der
Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung und Selbst-                   Instituts nach wie vor die zukunftsträchtigste und      ebenso genannt wie diejenigen Publikationen des                    Johannes Gutenberg U   ­ niversität Mainz
verwirklichung offerieren als die bisherigen. Natürlich                  gerechteste aller derzeit bekannten und umsetzbaren     Roman Herzog Instituts, die vertiefende Informatio-
wird die Anpassung an neue, komplexere Situationen                       Wirtschaftsordnungen dar (Rodenstock, 2006). Mit        nen zu diesen Themen enthalten.
immer eine große Herausforderung und damit an-                           Reformen in fünf zentralen Bereichen der Sozialen
strengend bleiben. Ziel für eine Gesellschaft von mor-                   Marktwirtschaft lässt sich die Zukunftsfähigkeit
gen muss es daher sein, die Rahmenbedingungen                            verbessern. Die Reformbaustellen lassen sich in         3.1 Bildung – Bessere Chancen für alle
                                                                                                                                                                                                „Um ihrer selbst willen, aber auch
für das Leben und Arbeiten so an die Megatrends                          folgenden Leitthesen zusammenfassen:                    Seit der Gründung des Roman Herzog Instituts im
                                                                                                                                                                                                   angesichts der demografischen
                                                                                                                                 Jahr 2002 wird in dessen Forschungsprojekten und
                                                                                                                                                                                                    Entwicklung können wir es uns
                                                                                                                                 Symposien immer wieder deutlich, welchen domi­
                                                                                                                                                                                                 in Zukunft nicht leisten, wenn wie
                                                                                                                                 nanten Stellenwert die Qualifikation der Arbeits-
                                                                                                                                                                                               bisher 15 Prozent der Bevölkerung
                                                                                                                                 kräfte für den Wohlstand in Deutschland hat. Der
                                                                                                                                                                                                  dauerhaft ohne abgeschlossene
                                                                                                                                 hohe Lebensstandard kann nur dann gesichert und
                                                                                                                                                                                                       Berufsausbildung bleiben.“
                                                                                                                                 ausgebaut werden, wenn weiterhin hochqualifizierte
                                                                                                                                 Arbeitskräfte in ausreichendem Maße zur Verfügung                                           Peter Neher,
                                                                                                                                                                                                                           Präsident des
                                                                                                                                 stehen. Das Humankapital der Arbeitnehmer bleibt                             Deutschen Caritasverbandes
                                                                                                                                 für die Wettbewerbsfähigkeit und die Inno­vations­
                                                                                                                                 fähig­keit der deutschen Volkswirtschaft schon allein
                                                                                                                                 deswegen der zentrale Parameter, weil Deutschland
                                                                                                                                 nur über wenige natürliche Ressourcen verfügt.

                                                                                                                                 Das bestehende deutsche Bildungssystem weist
                                                                                                                                 einige Schwächen auf. Im Bereich der frühkindlichen
                                                                                                                                 Bildung und Betreuung sind nicht genug Plätze vor-
                                                                                                                                 handen, vor allem nicht für unter Dreijährige und für
                                                                                                                                 die Ganztagsbetreuung. Doch es bewegt sich etwas:         verfügen Erzieherinnen und Erzieher in solchen
                                                                                                                                 Bis zum Jahr 2013 ist der Ausbau der Betreuung            Einrichtungen über ein Fachhochschulstudium. Auch
                                                                                                                                 geplant, sodass 35 Prozent der unter Dreijährigen         im Bereich der allgemeinbildenden Schulen bestehen
                                                                                                                                 einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen können           Defizite. Deutschland belegt in den international ver-
                                                                                                                                 (BMFSFJ, 2008). Ein weiterer Schwachpunkt ist das         gleichenden Studien PISA und IGLU lediglich einen
                                                                                                                                 Qualifikationsniveau des Personals in Kindertages-        Platz im Mittelfeld. Mit drei Reformmaßnahmen lässt
                                                                                                                                 einrichtungen – dieses ist im internationalen Vergleich   sich im allgemeinbildenden Bereich Boden gutma-
Michael Hüther, Stefan Hradil, Ursula Weidenfeld und Patrick M. Liedtke diskutieren Szenarien zur Zukunft der Arbeit.            zu niedrig. In den meisten anderen OECD-Ländern           chen: Schulen benötigen mehr Autonomie hinsicht-

10                                                                                                                                                                                                                                              11
Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
K a p itel 3
Gestaltungsoptionen der G
                        ­ esellschaft von morgen

                                                                                                                     inter­natio­nalen Vergleich gering, und die Absolven-          „Wir können keine fünf Millionen
                                                                                                                     ten sind vergleichsweise alt.                                Immigranten zwischen den Jahren
                                                                                                                                                                                  2010 und 2020 nach Deutschland
                                                                                                                     Auch bei der Weiterbildung besteht in Deutschland              holen und vernünftig integrieren:
                                                                                                                     Verbesserungsbedarf – sowohl bei den jüngeren wie                  Wir ­müssen unsere eigenen
                                                                                                                     bei den älteren Arbeitnehmern. Während im Jahr                              ­Potenziale heben!“
                                                                                                                     2008 von den 45- bis 54-Jährigen rund 71 Prozent
                                                                                                                                                                                                           Patrick M. Liedtke,
                                                                                                                     an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen ha-                     Generalsekretär der Geneva Association
                                                                                                                     ben, waren es bei den 55- bis 64-jährigen Erwerbs-                for the Study of Insurance Economics
                                                                                                                     tätigen nur noch 66 Prozent (tns infratest, 2008).
                                                                                                                     Notwendig ist hier ein Umdenken: Ältere Menschen
                                                                                                                     sollten in den Belegschaften mehr Wertschätzung
                                                                                                                     erfahren und ihr Wissen über Weiterbildung auf dem
                                                                                                                     neuesten Stand halten.

Michael Hüther referiert zum Thema: Ökonomie im Wandel?                                                              Primäres Ziel einer zukünftigen Bildungspolitik sollte
                                                                                                                     es sein, die Chancen des Einzelnen auf Partizi-
                                                                                                                     pation am Bildungsprozess zu verbessern. Durch
                                                                                                                     intensivere Förderung sind die Abbrecherquoten an
lich des Budgets und der Lerninhalte, sie sollten die       Hintergrund beeinflusst werden. Die Folgen sind          den Schulen, in der Berufsausbildung und an den          3.2 Arbeit – Mehr Menschen in
individuelle Förderung der Schüler verbessern und           auf Dauer untragbar. Aufgrund der Versäumnisse           Hochschulen zu verringern. Die Bildungsbeteiligung           die Arbeitswelt integrieren
sich zu Ganztagsschulen entwickeln.                         im frühkindlichen und im schulischen Bereich ist die     der Bevölkerung sollte in allen Altersgruppen erhöht     Eine passende Antwort auf den Rückgang der
                                                            Abbrecherquote an den Schulen schon jetzt hoch.          werden – nicht nur hinsichtlich einer qualifizierten     Bevölkerungszahl ist es, das vorhandene Potenzial
Solange die Schwächen des Bildungssystems nicht             Fast eine viertel Million Jugendliche beenden jedes      Erstausbildung, sondern auch bezüglich der Weiter-       an Erwerbspersonen auf dem Arbeitsmarkt zukünftig
beseitigt sind, wird der Bildungserfolg der Kinder in       Jahr in Deutschland ihre schulische oder berufliche      bildung. Um der flexiblen Anpassung an die Mega­         besser auszuschöpfen. Derzeit steigen junge Men-
Deutschland weiterhin vor allem von ihrem familiären        Ausbildung oder Berufsvorbereitung nicht erfolgreich.    trends gerecht zu werden, müssen die einzelnen           schen vergleichsweise spät in den Arbeitsmarkt ein,
                                                            Darin liegt ein gewaltiges, ungenutztes Arbeitskräfte-   Bereiche des Bildungssystems besser als bisher           die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist gering, und
                                                            potenzial für die Zukunft. Das ist nicht nur aus Sicht   miteinander verzahnt werden.                             auch die Erwerbsbeteiligung Älterer könnte ausge-
                                                            des zukünftigen Arbeitsmarktes relevant, sondern                                                                  baut werden.
              „Die Erhöhung der Erwerbsquoten               auch zur Wahrung der Chancengerechtigkeit. Diese
              – das heißt im Klartext mehr Erwerbs­         Jugendlichen benötigen größere Bildungschancen             Informationen zum Thema Bildung finden                 Jugendliche: Junge Menschen sollten nicht mehr
              tätigkeit für Frauen und längere              als bisher.                                                Sie in folgenden Publikationen des Roman               so lange wie derzeit im Bildungssystem bleiben,
              Lebensarbeitszeiten – ist durchaus                                                                       ­Herzog Instituts (kostenloser Download unter          sondern früher auf den Arbeitsmarkt gelangen. Die
              geeignet, die kommenden demogra­              Um dies zu erreichen, ist die Verzahnung zwischen           www.romanherzoginstitut.de):                          Erwerbsquote der 15- bis 24-Jährigen in Deutsch-
              fischen Probleme ein Stück weit zu            allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen und                                                                  land ist vergleichsweise niedrig und betrug im Jahr
              lindern.“                                     damit die Berufsorientierung zu verbessern. Auch           ■■Institut der deutschen Wirtschaft Köln,              2007 nur 51,3 Prozent. Im Bereich der Berufsausbil-
              Stefan Hradil,                                die Durchlässigkeit zwischen Berufsausbildung und            2007, Demografischer Wandel: Gehen                   dung liegt dies häufig an mangelnder Ausbildungs-
              Professor am Institut für Soziologie an der   Studium, die derzeit kaum vorhanden ist, muss                Deutschland die Arbeitskräfte aus?                   reife, weshalb Jugendliche vor Beginn der eigent­
              Johannes Gutenberg Universität Mainz
                                                            gesteigert werden. Der Reformbedarf an den Hoch-             (RHI-Diskussion Nr. 5)                               lichen Ausbildung Berufsvorbereitungsmaßnahmen
                                                            schulen reicht von einer Erhöhung der Autonomie            ■■Hubert Markl, 2007, Innovation braucht               durchlaufen müssen. Lange Studienzeiten, die unter
                                                            über eine Steigerung der Studierendenquoten bis              Bildung (RHI-Information Nr. 2)                      anderem durch hohe Studierendenzahlen bedingt
                                                            hin zu kürzeren Studienzeiten. Noch ist der Anteil         ■■Dieter Lenzen, 2007, Was macht einen                 sind, sorgen dafür, dass Hochschulabsolventen erst
                                                            der Menschen mit einem tertiären Bildungsab-                 Unternehmer erfolgreich?                             spät in den Arbeitsmarkt eintreten. Immerhin sind
                                                            schluss in Deutschland – das ist ein Hochschul-              (RHI-Information Nr. 3)                              inzwischen die Anreize für ein schnelles Studium ge-
                                                            oder Fachhochabschluss oder ein Meistertitel – im                                                                 steigert worden, zum Beispiel durch die Einführung

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Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
K a p itel 3
Gestaltungsoptionen der G
                        ­ esellschaft von morgen

               „Seit dem Jahr 2000 ist eine ganze                   Mütter: Frauen sind der größte ungenutzte Pool an          Soziale Marktwirtschaft: Mehr Zeit zum Leben
               Menge passiert. Unternehmen begin­                   potenziellen Erwerbspersonen in der deutschen Ge-
               nen, einen Perspektivenwechsel vor­                  sellschaft. Zurzeit liegt die hiesige Frauenerwerbstä-            Lebenserwartung in Jahren                                       Wochenarbeitszeit                            Jahresurlaub
               zunehmen. Demografietools werden                     tigenquote von 62,9 Prozent rund 10 Prozentpunkte                    Männer        Frauen                                         in Stunden                                   in Tagen
               entwickelt. Eine Mentalitätsverände­                 hinter den Spitzenreitern aus Skandinavien. Während
                                                                                                                                                                         64,6
               rung ist eindeutig sichtbar. Die älteren             kinderlose Frauen gut ins Erwerbsleben integriert          1950                                       68,5                                                       48,2                 12,0

               Arbeitnehmer werden interessant.“                    sind, haben es Mütter schwer. Die unzureichende                                                        66,9
                                                                                                                               1960                                          72,4                                                 45,4                        15,5
                                                                    Vereinbarkeit von Familie und Beruf verhindert allzu
               Andreas Kruse,
                                                                    häufig die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern.                                                     67,4
               Direktor des Instituts für Gerontologie                                                                         1970                                            73,8                                               44,1                               21,2
               der Universität Heidelberg                           Angesichts der Herausforderungen durch die Mega­
                                                                                                                                                                             70,2
                                                                    trends kann es sich Deutschland nicht länger leisten,      1980                                             76,9                                            41,7                                        27,3
                                                                    dass qualifizierte Frauen dem Arbeitsmarkt nicht zur                                                       72,6
                                                                                                                               1990                                               79,0                                        39,8                                            30,7
                                                                    Verfügung stehen, nur weil sie keine geeignete Kin-
                                                                    derbetreuung finden. In Deutschland sehen sich viele                                                         75,1
                                                                                                                               2000                                                 81,1                                     38,2                                              31,0
                                                                    Frauen, insbesondere Akademikerinnen, immer noch
                                                                                                                                                                                 76,6
                                                                    vor die Frage gestellt: „Kind oder Karriere?“. Die Rah-    2007                                                82,1                                      38,3                                             30,9

                                                                    menbedingungen in der Familien- und Bildungspolitik
                                                                                                                               Bis 1990: Westdeutschland; Lebenserwartung: bei der Geburt; Wochenarbeitszeit: durchschnittlich bezahlte Wochenstunden im Produzierenden Gewerbe;
                                                                    sowie der unternehmerischen Personalpolitik sollten        Jahresurlaub: tariflich je Vollzeitarbeitnehmer.
von Studiengebühren. Ein früherer Einstieg in das                   daher so gestaltet werden, dass sowohl die Frauen-         Ursprungsdaten: Statistisches Bundesamt; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Arbeitsleben erhöht nicht nur die Zahl der verfüg-                  erwerbstätigkeit als auch die Geburtenrate steigen
baren Arbeitskräfte, sondern vergrößert gleichzeitig                können. Dazu bedarf es beispielsweise des Ausbaus
auch das Zeitfenster, in dem sich Paare ihre Kinder-                der Kinderbetreuung und der besseren Berücksich-          die neuen Strukturen in der Arbeitswelt nötig sind,                           Lebenserwartung. Daher ist die Rentenbezugsdauer
wünsche erfüllen können. Langfristig mildert dies                   tigung von Kindern im Steuer- und Transfersystem.         werden häufig innerhalb der Familien erworben und                             stark gestiegen. Statistisch betrachtet hatte ein im
den Bevölkerungsrückgang.                                           Die personellen und sozialen Kompetenzen, die für         verbessert. Eine gesellschaftliche Anerkennung die-                           Jahr 1950 geborener Junge keine Chance, über-
                                                                                                                              ser Kompetenzen könnte die Integration von Müttern                            haupt einmal Rente zu beziehen, da Männer damals
                                                                                                                              in den Arbeitsmarkt erleichtern.                                              im Durchschnitt mit 64,6 Jahren starben. Jungen,
                                                                                                                                                                                                            die im Jahr 2007 geboren wurden, dürfen dagegen
                                                                                                                              Ältere Menschen: Auch die Erwerbsbeteiligung von                              ­einen durchschnittlichen Rentenbezug von knapp
                                                                                                                              Älteren (55- bis 64-Jährigen) bietet ein großes Poten­                         zehn Jahren erwarten – das inzwischen erhöhte Ren-
                                                                                                                              zial für die Zukunft. Zwar verzeichnet Deutschland                             tenzugangsalter von 67 Jahren vorausgesetzt.
                                                                                                                              in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg der
                                                                                                                              Erwerbsquote Älterer: Sie legte bis zum Jahr 2007                             Gerade angesichts der demografischen Heraus-
                                                                                                                              auf 58 Prozent zu. Dennoch ist es noch ein weiter                             forderung gilt es, die Potenziale älterer Mitarbeiter
                                                                                                                              Weg bis zum internationalen Spitzenreiter Schweiz,                            besser als bisher zu nutzen. Sie verfügen mehrheit-
                                                                                                                              wo 69,3 Prozent der Älteren erwerbstätig sind. Das                            lich über eine gute körperliche Fitness und haben im
                                                                                                                              durchschnittliche Rentenzugangsalter in Deutsch-                              Laufe ihres Lebens Erfahrungswissen gesammelt,
                                                                                                                              land, das derzeit bei rund 63 Jahren liegt, ist zu                            das im Berufsleben sinnvoll eingesetzt werden kann.
                                                                                                                              niedrig. Biologisch betrachtet sind die heute 60-Jäh-                         Allerdings müssen die Unternehmen das berufliche
                                                                                                                              rigen so fit wie die 40-Jährigen vor etwa drei Gene-                          Umfeld auf die älteren Menschen abstimmen.
                                                                                                                              rationen. In Umfragen sagt ein Viertel der befragten
                                                                                                                              60- bis 80-Jährigen, dass sie nicht mehr erwerbs-                             Die Forderung, die Beschäftigung von älteren Men-
                                                                                                                              tätig sind, es aber gerne noch wären. Der Hand-                               schen zu erhöhen, ist kein Appell an die Wohltätigkeit
                                                                                                                              lungsbedarf wird deutlich durch einen Blick zurück.                           von Unternehmen. Ihr Einsatz ist aus betriebswirt-
                                                                                                                              In den letzten 60 Jahren ist das Rentenzugangsalter                           schaftlichen Gründen geboten. Viele ältere Mit­
Angeregter Austausch über „Familienkompetenzen als Wettbewerbsvorteil“                                                        lange gleich geblieben (Rente mit 65), nicht aber die                         arbeiter verfügen über Kompetenz im Umgang mit

14                                                                                                                                                                                                                                                                                 15
Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
K a p itel 3
Gestaltungsoptionen der G
                        ­ esellschaft von morgen

komplexen Situationen und über effektive kognitive       Schätzen sie ihre Tätigkeit als wichtig ein, legen sie   3.3 Wettbewerb – Von der                                       „Die Arbeitsinhalte ändern sich
und handlungsbezogene Strategien zur Bewältigung         eine hohe Motivation an den Tag. Sie zeichnet zu-            Globalisierung profitieren                                  insbesondere, weil der Druck
von Problemsituationen. Sie haben meist einen guten      dem eine hohe Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber        Mehr Investitionen in Bildung und die Aktivierung von       von außen diese Veränderungen
Überblick über vertraute Arbeitsgebiete, treffen sorg-   aus – und eine hohe zeitliche Verfügbarkeit, da ihre     mehr Erwerbspersonen helfen allerdings nur, wenn             nötig macht. Der Treiber ist der
fältig vorbereitete Entscheidungen und stellen weiter    Kinder aus dem Haus sind (Kruse et al., 2004). All       die deutsche Volkswirtschaft ihre gute Position im            inter­nationale Wettbewerb. Wir
reichende Zeit- und Zielplanungen an als jüngere         diese Fähigkeiten werden bislang in Deutschland in       Standortwettbewerb behalten kann. Der Wettbewerb           sind gezwungen, entsprechende
Kollegen. Dabei erkennen sie durchaus die eigenen        zu geringem Maße genutzt, viele Ressourcen liegen        findet in Zukunft einerseits auf den Güter-, anderer-        Reformen und Änderungen vor­
Leistungsmöglichkeiten und Leistungsgrenzen.             brach – das ist vor allem eine Folge der Frühverren-     seits aber mehr noch als bisher auf den Faktormärk-       zunehmen. Die Frage ist, ob wir in
                                                         tungsprogramme der letzten 20 Jahre.                     ten statt. Immobile Produktionsfaktoren konkurrieren               der Lage sind, das zu tun.“
                                                                                                                  um weltweit mobile Produktionsmittel. Kapital wan-
                                                                                                                                                                                              Randolf Rodenstock,
                                                         Damit in Zukunft die Erwerbsbeteiligung aller Bevöl-     dert zwar schon heute dorthin, wo es den größten                       Vorstandsvorsitzender des
           „Indem wir jeden Zugewinn an Restle­
                                                         kerungsgruppen größer ist, sollte der Einstieg in den    Ertrag einbringt, aber auch Arbeitskräfte werden                      Roman Herzog Instituts e. V.
           benserwartung über die letzten hundert
                                                         Arbeitsmarkt früher und der Ausstieg in den Ruhe-        zunehmend mobiler. Arbeitskräfte entscheiden sich
           Jahre interpretiert haben als einen
                                                         stand später als bislang erfolgen. Wenn gleichzeitig     mittlerweile flexibel und ganz nach ihren individuellen
           Zugewinn an nicht produktiver Tätigkeit,
                                                         mehr Frauen die Chance haben zu arbeiten und Äl-         Vorteilen für oder gegen einen Nationalstaat. Der
           haben wir uns im Prinzip unser eige­
                                                         tere besser integriert werden, kann ungefähr bis zum     Fachkräftemangel und die wachsende Sorge um die
           nes System zerstört. Und wir haben
                                                         Jahr 2025 der demografisch bedingte Rückgang der         Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte zeigen,
           im Umkehrschluss auch kaum dafür
                                                         Arbeitskräfte kompensiert werden (DIW, 2008).            dass der deutsche Arbeitsmarkt für viele Hochqua-
           gesorgt, dass die Älteren in das System
                                                                                                                  lifizierte nicht attraktiv genug ist. Sie werden in der
           integriert werden.“
                                                                                                                  Zukunft aber dringend benötigt. Daher greift eine
           Patrick M. Liedtke,                                                                                    Diskussion zu kurz, die sich darauf beschränkt, Zu-
           Generalsekretär der Geneva Association
           for the Study of Insurance Economics            Informationen zum Thema Arbeit finden Sie in           wanderungserleichterungen für qualifizierte Arbeits-
                                                           folgenden Publikationen des Roman Herzog               kräfte aus anderen Nationen zum Thema zu machen.
                                                           ­Instituts, die Sie kostenfrei bestellen können        Auch für deutsche Arbeitskräfte muss der Standort
                                                            unter www.romanherzoginstitut.de:                     Deutschland attraktiv bleiben.
                                                                                                                                                                            Publikationen des Roman Herzog Instituts zum
                                                           ■■Stefan Hardege, 2008, Arbeitswelt im                 Der verstärkte internationale Wettbewerb fordert          Thema Standort Deutschland im internationalen
                                                             Wandel: Wie Unternehmen und Gesellschaft             von den Unternehmen ein immer höheres Maß an              Wettbewerb:
                                                             morgen arbeiten werden (RHI-Position Nr. 5)          Flexibilität und die Fähigkeit, schnell Entscheidungen
           „Wir können Erfahrungswissen und                ■■Andreas Kruse, 2009, Arbeitsmodelle der              zu treffen – nur so können sie sich rasch an den          ■■Institut der deutschen Wirtschaft Köln,
           Offenheit für Neues systematisch mit­             Zukunft: Lebenszyklusorientierung und ver-           Wandel der zukünftigen Gegebenheiten anpassen.              2008, Was ist dran an der Globalisierungs-
           einander verbinden. Erfahrungswissen              änderte Personalaltersstrukturen                     Die Anpassungsfähigkeit und der Spielraum der               kritik? Fakten, Zahlen, Analysen
           an sich hat aber keinen Wert. Es ist nur          (RHI-Position Nr. 6)                                 Unternehmen werden durch die gesetzlichen Rah-              (RHI-Diskussion Nr. 8)
           dann nutzbar, wenn die Persönlichkeit           ■■Steffen J. Roth, 2007, Würde, Einkommen              menbedingungen am Arbeitsmarkt bestimmt. Zum              ■■Institut der deutschen Wirtschaft Köln,
           offen, plastisch und beeindruckbar                und Arbeit in der Sozialen Marktwirtschaft           Beispiel determiniert der gesetzliche Kündigungs-           2007, Der Zukunft den Weg bahnen: Struk-
           bleibt, und wenn ein Unternehmen in               (RHI-Position Nr. 4)                                 schutz die Möglichkeiten, Personal einzustellen oder        turwandel und Strukturpolitik in Deutschland
           der Lage ist, auch älteren Mitarbeitern         ■■Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 2008,        zu entlassen und setzt Anreize für unbefristete oder        (RHI-Diskussion Nr. 4)
           in positiver Weise Zumutungen zu                  Die Professionalisierung der Gesellschaft.           zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse.                  ■■Michael Hüther / Thomas Straubhaar, 2007,
           präsentieren. Dann können die Unter­              Wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus?                                                                        Plädoyer für ein Leitbild für Deutschland
           nehmen sich auf die älteren Mitarbeiter           (RHI-Diskussion Nr. 7)                               Der Markt für Humankapital am Standort Deutsch-             (RHI-Diskussion Nr. 3)
           freuen.“                                        ■■Institut der deutschen Wirtschaft Köln,              land muss daher renoviert werden. Aus einer Samm-         ■■Nicola Hülskamp / Oliver Koppel, 2006,
           Andreas Kruse,                                    2007, Demografischer Wandel: Gehen                   lung fehlerhaft ausgestalteter und überholter Regeln        Förderung unternehmerischer Innovation in
           Direktor des Instituts für Geronto­logie          Deutschland die Arbeitskräfte aus?                   sollte ein modernes Regelwerk für den Arbeitsmarkt          Deutschland: Eckpunkte einer Neuausrich-
           der Universität Heidelberg
                                                             (RHI-Diskussion Nr. 5)                               werden, das unternehmerisches Engagement                    tung (RHI-Position Nr. 2)
                                                                                                                  belohnt und die Anreize erhöht, in Deutschland zu

16                                                                                                                                                                                                                           17
K a p itel 3
Gestaltungsoptionen der G
                        ­ esellschaft von morgen

investieren. Sonst wandern das Sach- und Human­                        wird mit zunehmender Konkurrenz aus anderen             künftig aufgebracht werden muss, darf allerdings           „Eine Maßnahme, auf die ich relativ
kapital ins Ausland ab. Das kostet hierzulande                         Staaten härter werden, die Anforderungen am             nicht missverstanden werden: Sie wird nicht funk-          großen Wert lege, heißt Selbsthilfe.
Arbeitsplätze – auch und gerade von denen, die                         Arbeitsplatz werden entsprechend steigen. Vor allem     tionieren, wenn eine leistungsbereite Mehrheit eine       Zur gegenseitigen Hilfe von Bürgern
aufgrund geringer Qualifikation nur wenige Chancen                     die junge Generation von heute wird zunehmende          weniger leistungsbereite Minderheit alimentieren soll.        können auch immer mehr ältere
auf Wiederbeschäftigung haben. Auf der anderen                         Leistungen erbringen müssen, um die steigenden          Das bedeutet aus heutiger Sicht jedoch auch, sich                      Menschen beitragen.“
Seite muss auch an der Attraktivität des Standorts                     gesellschaftlichen Anforderungen zu bewältigen.         an neuen Werten zu orientieren. „Werte“ ist dabei ein
                                                                                                                                                                                                                          Stefan Hradil,
Deutschlands gearbeitet werden. Hierfür reicht es                      Allein durch den demografischen Wandel hat sie in       Begriff, den es erst noch zu füllen gilt. Auf dem Jah-        Professor am Institut für Soziologie an der
nicht aus, sich aus ökonomischer Sicht ­Gedanken                       der Zukunft schwerere sozialstaatliche Lasten zu        ressymposium herrschte darüber Einigkeit, dass vor               Johannes Gutenberg Universität Mainz
über Steuersysteme zu machen. Die kulturelle                           schultern. Gleichzeitig wird sie vermutlich weniger     allem Eigenverantwortung und Subsidiarität zentrale,
Atmosphäre und die soziale Infrastruktur – also                        staatliche Leistungen in Anspruch nehmen können         in der Zukunft gefragte Werte sind. Solidarität muss
die sogenannten weichen Standortfaktoren – sind                        als die heute erwerbstätige Generation, insbeson-       immer auch mit Eigenverantwortung und Subsidiari-
ebenso maßgeblich.                                                     dere in sich entleerenden ländlichen Gebieten. Die      tät einhergehen (Rodenstock, 2006).
                                                                       Bereitschaft der künftigen Generationen zur Solidari-
                                                                       tät wird auch durch eine zunehmende Lohnspreizung       Ziel dieses notwendigen Wertewandels sollte es
3.4 Werte – Mehr Eigenverantwortung                                    auf die Probe gestellt werden. Wachsende Einkom-        sein, die Fähigkeiten der Menschen zur Selbsthilfe zu
    und Subsidiarität                                                  mensunterschiede sind bereits absehbar – aufgrund       stärken, damit sie nur noch in Notfällen auf staatliche
In der Gesellschaft von morgen sieht sich der Ein-                     des steigenden Bedarfs an höherqualifizierten           Leistungen angewiesen sind. Das Subsidiaritäts-
zelne an seinem Arbeitsplatz großen Herausforderun-                    Mitarbeitern und einer zugleich abnehmenden Zahl        prinzip, nach dem die Sicherung und Gestaltung
gen gegenüber. Der Wettbewerb der Unternehmen                          an Nachwuchskräften. Die Solidarität, die somit auch    der eigenen Existenz vornehmlich dem Einzelnen
                                                                                                                               und seiner Initiative überlassen bleiben sollte, wird         „Nach Qualifikationen differenziert
                                                                                                                               verbreitet angewendet werden. Dies betrifft nicht nur     haben wir eine gewaltige Schieflage:
                                                                                                                               die private finanzielle Vorsorge für das Rentenalter,          Ein Überangebot an Gering- und
                                                                                                                               sondern auch die Gesundheitsvorsorge und die                   Mittelqualifizierten und zu wenige
                                                                                                                               Verantwortung für den eigenen Bildungsweg. Wenn           Hoch­qualifizierte. Die Lohnspreizung
                                                                                                                               der Staat seinen Wirkungskreis einschränkt, werden         ist ein Reflex dessen, was wir in der
                                                                                                                               familiäre und soziale Netzwerke, deren Mitglieder                       Weltwirtschaft erleben.“
                                                                                                                               sich materiell und immateriell unterstützen, wieder                                     Michael Hüther,
                                                                                                                                                                                                              Direktor des Instituts der
                                                                                                                               wichtiger werden. Die Strukturen für das bürger-                             deutschen Wirtschaft Köln
                                                                                                                               schaftliche Engagement sollten aus diesem Grund
                                                                                                                               überdacht werden: Diese Tätigkeiten verdienen in
                                                                                                                               Zukunft eine gesellschaftliche Aufwertung und mehr
                                                                                                                               Anerkennung.

                                                                                                                               Die Wertehaltung der Generationen ist bereits heute
                                                                                                                               verschieden. Zwar sind sowohl die junge und mittlere
                                                                                                                               Generation als auch die heute ältere Generation
                                                                                                                               bereit, die zusätzlichen Herausforderungen anzu-
                                                                                                                               nehmen. Leistungsbereitschaft ist generationenüber-
                                                                                                                               greifend vorhanden. Mehr als ihre Elterngeneration
                                                                                                                               hat es aber die heutige junge und mittlere Genera-
                                                                                                                               tion gelernt, auf der einen Seite nach Leistung zu
                                                                                                                               streben, dies auf der anderen Seite aber mit dem
                                                                                                                               Streben nach Gemeinschaft, Ordnung und Sicherheit
                                                                                                                               zu verbinden. Natürlich werden auch ihre Eltern viel
Wichtiges Anliegen von Randolf Rodenstock: Ethik in der Sozialen Marktwirtschaft                                               zur gegenseitigen Hilfe von Bürgern in Netzwerken

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K a p itel 3
Gestaltungsoptionen der G
                        ­ esellschaft von morgen

           „Die heute junge und mittlere Genera­         beitragen können. Die Älteren von morgen sind            Für den sozialen Frieden ist es wichtig, dass die
           tion strebt nach Balancen des Ich und         aber im Vergleich zu den Älteren von heute besser        Chancen auf Partizipation und Einkommenserzielung                        Mehr zum Thema Gerechtigkeit – dem Schwer­
           des Wir. Die Elterngeneration stellte         ausgebildet und aufgrund des Wertewandels durch          gut stehen – das ist wichtiger als eine nachträgliche                    punktthema des Roman Herzog Instituts 2009 –
           als Wertewandelgeneration hingegen            postmaterialistische Werte geprägt. Die Suche nach       Umverteilung durch den Staat. Es geht in Zukunft                         finden Sie in diesen Publikationen und im
           die Entwicklung des eigenen Ichs in           Selbstverwirklichung kann für sie deshalb durchaus       damit nicht mehr primär um staatliche Umverteilung,                      Laufe des Jahres in weiteren Veröffentlichungen
           den Vordergrund.“                             im Helfen bestehen (Hradil, 2001).                       sondern um Chancengerechtigkeit. Deren Grundlage                         des RHI:
                                                                                                                  sind nachhaltige Verbesserungen auf dem Gebiet                           ■■Roman Herzog Institut, 2008, Bedingungs-
           Stefan Hradil,
           Professor am Institut für Soziologie an der                                                            der Bildung. Sie befähigt den Einzelnen, sein Leben                          loses Grundeinkommen: Eine Perspektive
           Johannes Gutenberg Universität Mainz          3.5 Gerechtigkeit – Partizipations­                      zu meistern und sich finanziell abzusichern. Das                             für die Soziale Marktwirtschaft? Kontroverse
                                                             chancen erhöhen                                      Streben nach sozialer Gerechtigkeit per Umvertei-                            Fragen an ein umstrittenes (Gesellschafts-)
                                                          Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland in        lung kann nicht alle Ungleichheiten beseitigen, und                          Konzept von morgen (RHI-Diskussion Nr. 9)
                                                          den Jahren 2006 und 2007 hat die Einkommens­            sollte dies auch nicht tun. Denn der höhere Lohn                         ■■Dominik H. Enste, 2008, Bedingungsloses
                                                          ungleichheit vermindert. Dies gilt für das am Markt     von Besserqualifizierten ist ein entscheidender Anreiz                       Grundeinkommen – Traum oder Alptraum?
                                                          erzielte Einkommen ebenso wie für die Einkommen,        für den Einzelnen, mehr in seine eigene Bildung zu                           (RHI-Information Nr. 5)
                                                          die sich nach der staatlichen Umverteilung ergeben      investieren.
                                                          haben. Weil es mehr Erwerbstätige gibt, ist auch
                                                          das Armutsrisiko gesunken. Es liegt – nach den
                                                          staat­lichen Transferzahlungen – auf nahezu glei­chem
                                                         ­Niveau wie in den skandinavischen Wohlfahrts­
                                                          staaten. Das ist bemerkenswert, denn Deutschland
                                                          weist im Vergleich eine sehr viel größere Zahl von
 Informationen zum Thema Werte und Ethik der              Migranten und damit Einwohnern auf, die besonders
 Sozialen Marktwirtschaft finden Sie in diesen            häufig von Armut betroffen sind. Für die Zukunft ist
 Publikationen des Roman Herzog Instituts:                jedoch zu erwarten, dass die Einkommensdispari-
                                                          täten wieder auseinandergehen. Sie werden größer
 ■■Roman Herzog Institut, 2008, Bedingungs-               sein als heute, da die Megatrends Globalisierung
   loses Grundeinkommen: Eine Perspektive                 und Tertiarisierung Personen mit einer höheren
   für die Soziale Marktwirtschaft? Kontroverse           Quali­fikation belohnen, während sie die Einkom-
   Fragen an ein umstrittenes (Gesellschafts-)            menschancen der Geringqualifizierten verringern
   Konzept von morgen (RHI-Diskussion Nr. 9)              (Hradil/Schmidt, 2005).
 ■■Dominik H. Enste, 2008, Zwischen Gier und
   Moral: Eine Kritik an der Kritik der Marktwirt-       Die Gesellschaft von morgen muss daher einen
   schaft (RHI-Diskussion Nr. 6)                         neuen Konsens darüber finden, welche Verteilung
 ■■Werner Abelshauser, 2008, Des Kaisers                 sie als gerecht empfindet. Wie auch immer die-
   neue Kleider? Wandlungen der Sozialen                 ser Konsens aussehen mag: Klar ist, dass sich
   Marktwirtschaft (RHI-Position Nr. 7)                  Einkommens­ungleichheit und Armutsrisiko am
 ■■Simone Kaminski / Dieter Frey / Eva Traut-            besten vermeiden lassen, wenn Beschäftigungsmög-
   Mattausch / Tobias Greitemeyer, 2007, Die             lichkeiten bestehen und die Partizipationschancen
   Einstellung zur Sozialen Marktwirtschaft              aller sichergestellt sind. Entscheidend dafür, ob eine
   (RHI-Diskussion Nr. 6)                                Einkommensverteilung akzeptiert wird, ist zudem
 ■■Randolf Rodenstock, 2006, Ethische Grund-             eine hohe Durchlässigkeit der Gesellschaft, die allen    Die RHI-Impulsbörse – Diskussion über das Thema „Arbeit und ihre Potenziale“
   lagen einer gerechten Wirtschaftsordnung              sozialen Schichten Aufstiegschancen bietet – ein
   aus Sicht der deutschen Wirtschaft                    wichtiges Element für den sozialen Frieden. Dieser
   (RHI-Information Nr. 1)                               ist ein wesentlicher Standortfaktor und die Basis für
                                                         zukunftsfähige Investitionen.

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K a p itel 4

Aufgaben der gesell­                                zu ermuntern, damit sie positiv auf Veränderungen
                                                    reagieren und ihre Chancen auch unter den neuen
schaftlichen Akteure                                Rahmenbedingungen erkennen.

Trotz aller nötigen Anstrengungen: Deutschland
kann durchaus die Chancen nutzen, die sich aus      4.1 Gesellschaft als Ganzes
den Megatrends ergeben. Allerdings müssen           Bevor davon gesprochen werden kann, dass
dafür die verschiedenen gesellschaftlichen          Deutschland fit für die Zukunft ist, muss sich im Land
Gruppen jeweils ihren Beitrag leisten. Für viele    erst eine Reformbereitschaft entwickeln. Um diese
politische und soziale Instanzen bedeutet dies      zu erzeugen, ist in vielerlei Hinsicht die Gesellschaft
ein grundlegendes Umdenken, da sie bisher auf       als Ganzes gefragt. Dies gilt zum Beispiel für das
eine rigide überindividuelle Regulierung gesetzt    Thema demografischer Wandel. In der öffentlichen
haben. Worin ihre jeweiligen Beiträge bestehen      Diskussion ist immer noch die Tendenz erkennbar,
können, wird im Folgenden für jede Gruppe           die Produktivität älterer Erwerbstätiger allgemein
dargestellt. Das gemeinsame Interesse an einer      negativ darzustellen. Es wird zu wenig berücksich-
ertragreichen Zukunft sollte Unternehmen,           tigt, dass Verallgemeinerungen gerade hier fehl am
Arbeitnehmer, Politik, Verbände und Gesellschaft    Platz sind. Im Alterungsprozess gehen individuelle
soweit verbinden, dass sie das Wirtschafts- und     Unterschiede nicht zurück, sondern nehmen eher zu.
das Sozialsystem für die anstehenden Heraus­        Zu dieser Heterogenität trägt bei, dass das Altern in
forderungen zusammen umbauen werden. Die            den verschiedenen Dimensionen der Person – der
Rahmenbedingungen sind so zu gestalten, dass        körperlichen, der seelischen, der geistigen und der
das Selbstvertrauen der Einzelnen gestärkt          sozialen Dimension – sehr verschiedenartig verläuft.
                                                                                                              Jörg Schwitalla (l.), Peter Neher (r.)
wird und sie eigenverantwortliches Handeln als      Altern ist nicht als eindimensionales, homogenes,
einen neuen Entwicklungspfad verstehen, der         sondern vielmehr als mehrdimensionales, komplexes
Spielräume eröffnet für individuelle Freiheiten.    Phänomen zu verstehen (Kruse et al., 2004; Kruse,
Dazu zählt auch, die Menschen zur Offenheit         2009). Alter ist zudem anders zu definieren als frü-      und Beruf, die über ein höheres Bildungsniveau und     Weiterbildung ständig erneuern, sondern auch bereit
                                                    her – der Blick auf die gestiegene Lebenserwartung        über höhere intellektuelle, motivationale und finan­   sein, sich neue Wissensgebiete zu erschließen.
                                                    verdeutlicht dies.                                        zielle Ressourcen verfügen (Kruse et al., 2004). Wer
                                                                                                              die Aufgabe des lebenslangen Lernens in Angriff
        „Die Belastungen durch die Megatrends       Die Gesellschaft von morgen benötigt deshalb ein          nimmt, sollte von politischen Reformen unterstützt     4.2 Unternehmen und
        kommen daher, dass wir uns umstellen        neues Bild des Alters wie auch des Alterns. Stärken       werden. Diese Reformen können auf eine Entzerrung          ­Arbeitgeberverbände
        müssen. Es gibt in der Bevölkerung leider   und Kräfte der Älteren sollten in der Öffentlichkeit      der Rushhour des Lebens hinwirken – jener fünf         Die Unternehmen müssen sich in erster Linie auf
        starke Beharrungskräfte. Doch wenn          thematisiert werden. Alte Menschen wollen als             bis sechs Jahre umfassenden Lebensphase, in der        die Veränderungen einstellen, die durch die Mega­
        wir jetzt das Richtige tun, stehen wir am   aktive Staatsbürger angesprochen werden, deren            wichtige Weichen gestellt werden: die Entscheidung     trends entstehen. Dies betrifft alle Bereiche eines
        Ende besser da. Und dafür ist das Roman     Wissen, Erfahrung und Handlungsstrategien von der         über die ökonomische Unabhängigkeit, die berufliche    Unternehmens, angefangen bei der Anpassung an
        Herzog Institut da, wichtige und richtige   Gesellschaft gebraucht werden und dazu beitragen          Etablierung und die Familiengründung.                  veränderte Kundenwünsche über effiziente Produk-
        und vielleicht manchmal ungewöhnliche       können, das Humanvermögen zu erhöhen (Kruse                                                                      tionsmöglichkeiten im Kontext des internationalen
        Fragen aufzuwerfen – und nicht nur das,     et al., 2004).                                            Deutschland benötigt ein neues Verständnis von         Wettbewerbs bis hin zur nachhaltigen Personalrekru-
        sondern auch zu bewirken, dass Antwor­                                                                Bildung. In weiten Teilen der Bevölkerung und auch     tierung und -entwicklung. Die Wettbewerbsfähigkeit
        ten kommen, und zwar nicht nur isolierte,   Die Neuorganisation des Lebenslaufs – im Sinne            unter Wissenschaftlern herrscht das Bild vor, dass     auf den Gütermärkten kann durch ein hohes Maß an
        sondern geschlossene Antworten und          einer Auflockerung der starren Abfolge von Aus-           in der Ausbildungszeit das breite Fundament der        Flexibilität gesteigert werden, die sich bereits heute in
        ganz­heit­liche Handlungsempfehlungen.“     bildung, Erwerbstätigkeit und Ruhestand – wird in         Qualifikation gelegt wird, welches für das gesamte     dem Ausbau von produktbegleitenden Dienstleistun-
        Randolf Rodenstock,                         Deutschland derzeit nur langsam und von einem             Berufsleben ausreichen muss. Dieses Denken             gen, der Stärkung der Kundenorientierung und dem
        Vorstandsvorsitzender des                   kleinen Teil der Bevölkerung umgesetzt. Vor allem         greift zu kurz. In einer sich wandelnden Arbeitswelt   Angebot maßgeschneiderter Lösungen zeigt. Außer-
        Roman Herzog Instituts e. V.
                                                    jene Frauen und Männer integrieren bereits Lernen         müssen die Beschäftigten nicht nur ihr Wissen durch    dem werden Personalstrategien wichtiger werden,

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