Die Zukunft Der Arbeit - Wie leben und arbeiten wir morgen? Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des roman Herzog Instituts
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Nr. 8 I n f o r m at i o n Wie leben und arbeiten wir morgen? Die Zukunft der Arbeit Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des Roman Herzog Instituts www.romanherzoginstitut.de
Wie leben und arbeiten wir morgen? Die Zukunft der Arbeit Schlussfolgerungen aus dem Jahressymposium 2008 des Roman Herzog Instituts Vorwort 2 1 Arbeit – gestern und heute 4 2 Herausforderungen in der Gesellschaft von morgen 6 3 Gestaltungsoptionen der Gesellschaft von morgen 10 4 Aufgaben der gesellschaftlichen Akteure 22 5 Ausblick 29 Literatur 31
RANDOLF RODENSTOCK Vorwort Jede Diskussion über die „Zukunft der Arbeit“ muss Erkenntnisse dieses Symposiums und der zugrun- darüber geführt werden, wie Unternehmen aussehen deliegenden Forschungsarbeiten. Sie b asiert auf den könnten. Gleichwohl erachtet das Roman Herzog Beiträgen der Ökonomen Prof. Dr. Michael Hüther, Institut den Blick über den Tellerrand als unabding- Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, bar. Wir pflegen den Perspektivenwechsel, indem wir Patrick M. Liedtke, Generalsekretär der Geneva Fragestellungen nicht allein mit einer ökonomischen, Association for the Study of Insurance Economics, sondern mit einer interdisziplinären Brille betrachten. und Jörg Schwitalla, Personaldirektor der MAN AG, Dieser durchaus kontroverse Meinungspluralismus sowie auf den Vorträgen des Soziologen Prof. Dr. Dr. hinterfragt scheinbar Selbstverständliches und Stefan Hradil von der Johannes Gutenberg Univer- eröffnet neue Sichtweisen – eine entscheidende sität Mainz, des Gerontologen Prof. Dr. Andreas Quelle von Kreativität und Wissen und damit das Kruse von der Universität Heidelberg, der Leiterin beste Mittel, um einer gesellschaftlichen Erstarrung des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser entgegenzuwirken. in München, Annemarie Gerzer-Sass, und des Präsi denten des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Psychologen, Historiker, Soziologen, Personalchefs Dr. Peter Neher. und Volkswirtschaftler: Renommierte Vertreter verschiedener Fachdisziplinen haben im Laufe des Die hier durch das Roman Herzog Institut vertrete Jahres 2008 wissenschaftliche Publikationen zum nen Ansichten spiegeln die Vielfalt des interdiszipli- RHI-Schwerpunktthema veröffentlicht. Im Herbst tra- nären Dialogs auf dem Jahressymposium wider. Das fen sich die Autoren und weitere Experten auf dem RHI hofft, auch mit diesem Beitrag seiner satzungs- „Was sehe ich in Deutschland? Hier herrscht ganz wir schon keine Vorhersagen treffen können, so RHI-Jahressymposium im Münchner Lenbach-Palais gemäßen Aufgabe gerecht zu werden: Nämlich wei- überwiegend Mutlosigkeit, Krisenszenarien werden möchten wir zumindest in der Lage sein, Trends zu mit zahlreichen Gästen aus Politik, Wirtschaft und tere Diskussionen anzuregen und die Veränderungen gepflegt. Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer erkennen und einzuordnen – damit wir wissen, wohin Gesellschaft und stellten ihre jeweilige Sicht auf die der Arbeitswelt voranzutreiben – in Richtung einer Gesellschaft. Dabei stehen wir wirtschaftlich und die Reise geht und wir diesen Weg gemeinsam be- „Zukunft der Arbeit“ in Deutschland vor. Diese Publi positiven Entwicklung der Zukunft. gesellschaftlich vor den größten Herausforderungen einflussen können. Diesem Anliegen widmet sich das kation gibt einen Überblick über die wesentlichen seit 50 Jahren: 4,3 Millionen Arbeitslose, die Erosion Roman Herzog Institut (RHI). der Sozialversicherung durch eine auf dem Kopf ste- hende Alterspyramide, die wirtschaftliche, technische Das Roman Herzog Institut hatte im Jahr 2008 die und politische Herausforderung der Globalisierung.“ gesellschaftlichen Herausforderungen der „Zukunft der Arbeit“ in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten Die Ratlosigkeit angesichts dieser Herausforderun- gestellt. Die Verunsicherung vieler Arbeitnehmer, gen, die im Jahr der anschwellenden Finanzkrise Arbeitgeber und Selbstständiger über die existen- Randolf Rodenstock 2008 bei vielen noch angestiegen ist, lähmt die zielle Sorge, wie wohl ihr künftiger beruflicher Werde Vorstandsvorsitzender Roman Herzog Institut e.V. wirtschaftlichen Kräfte – und die Weiterentwicklung gang in einer Arbeitswelt aussehen wird, die sich der Gesellschaft. „Der Verlust der wirtschaftlichen immer schneller wandelt, war schon lange spürbar. Dynamik geht Hand in Hand mit der Erstarrung Die krisenhafte Entwicklung des Jahres 2008 hat unserer Gesellschaft“, hat Bundespräsident Prof. diese Verunsicherung lediglich verstärkt. Vor diesem Dr. Roman Herzog in seiner berühmten Ruck-Rede aktuellen Hintergrund ergab sich für die Veran- im Jahr 1997 analysiert (Herzog, 1997). Zwölf Jahre staltungen und Publikationen des RHI ein anderer danach ist diese Aussage aktueller denn je. Die an Resonanzboden, als vorher abzusehen war. Die vielen Ecken der Gesellschaft aufkeimenden Zweifel Gedanken der eingeladenen Experten zum abstrakt an der scheinbar felsenfest verwurzelten Sozialen klingenden Thema „Zukunft der Arbeit“ bekamen in Marktwirtschaft zeigen, dass wir heute offenbar mehr dieser Zeit, in der die Stimmung in vielen Betrieben als bisher über eine gemeinsame Basis der gesell- von Hochstimmung in Kurzarbeit umgeschlagen ist, schaftlichen Entwicklung nachdenken müssen. Wenn eine besondere Relevanz. 2 3
K a p itel 1 Arbeit – gestern und heute niert als „das bewusste Handeln zur Befriedigung und entsprechend ist Erwerbslosigkeit die zentrale „Die ethische Dimension der Bedürfnisse“ und darüber hinaus als „Teil der Da- Ursache für Armut. Giarini/Liedtke (2006) unterschei- der Arbeit ist wichtiger seinserfüllung“. Ganz allgemein hat Arbeit zunächst den diese Funktionen von Arbeit: geworden. Arbeit hat Die Leitfrage „Wie leben und arbeiten wir morgen?“ den Zweck, das Wohl des Menschen zu verbessern. auch für die Kohäsion der richtet sich an viele Fachdisziplinen. Die verschiede- So erfüllend Arbeit für den Menschen sein kann: ■■Produktionsfunktion: Sicherung des Lebens Gesellschaft eine große nen Experten, die das RHI zur Podiumsdiskussion Sie ist durchaus mit einem sogenannten Arbeitsleid unterhalts (finanzielle Komponente der Arbeit) Bedeutung.“ auf das Jahressymposium eingeladen hatte, um Ant- verbunden, für das beispielsweise Arbeitnehmer ■■Allokationsfunktion: Zuteilung der Mittel in der Patrick M. Liedtke, worten auf diese Frage zu geben, deckten ein breites durch Lohnzahlungen entschädigt werden. Dies Gesellschaft (optimale Ressourcennutzung) Generalsekretär der Geneva Spektrum von gesellschaftlicher Theorie und Praxis entspricht dem modernen Verständnis von Arbeit, ■■Solidarfunktion: Stärkung der gesellschaftlichen Association for the Study of Insurance Economics ab. Dennoch waren sie sich in vielen Punkten einig. wonach Arbeit „für einen anderen gegen Entgelt Kohäsion (soziale Komponente der Arbeit) geleistete Tätigkeit“ ist. Wenn wir heute von Arbeit ■■Sinnfunktion: Entfaltung der Persönlichkeit und Arbeit ist nicht gleich Arbeit, sondern erfüllt verschie- sprechen, dann meinen wir damit nicht alle täglichen sinnstiftendes Element des Lebens (Selbstver- dene Funktionen – egal, ob es sich um bezahlte Verrichtungen, zu denen der Mensch durch seine wirklichungskomponente). oder unbezahlte Tätigkeiten handelt. Was meinen Bedürftigkeit verurteilt ist, sondern nur jene Verrich- wir, wenn wir von Arbeit sprechen? Zieht man den tungen, die zu Einkommen führen. Folglich ist Arbeit Diese Funktionen bauen teilweise aufeinander auf. Brockhaus von 1966 heran, dann wird Arbeit defi- die Haupteinkommensquelle der meisten Menschen, Hat es der Mensch geschafft, mithilfe seiner Tätig- keit seine Grundbedürfnisse zu befriedigen, dann arbeitet er nicht mehr für Brot allein. Während früher fast ausschließlich die Produktions- und die Alloka- tionsfunktion im Vordergrund standen, haben sich Die Grenzen zwischen den vormals klar getrennten heute die Schwerpunkte der Arbeit zugunsten der Sphären von Arbeit einerseits und Freizeit anderer- Solidar- und der Sinnfunktion verlagert. Arbeit ist für seits verwischen. Die Virtualisierung von Arbeits- viele Erwerbstätige nicht nur ein Job, sondern ein formen, die eine stärkere Trennung von Raum und wichtiger Teil ihres Lebens. Diese Entwicklung, die Zeit bei der Leistungserbringung ermöglicht, stellt durch eine große Produktivitäts- und Wohlstandsstei- Mitarbeiter, Selbstständige und Unternehmen vor gerung möglich wurde, hat grundlegenden Einfluss ganz neue Herausforderungen. Das betrifft nicht nur auf die Gestaltung der Arbeitswelt von morgen. So die konkrete Arbeitsplatzgestaltung, sondern die genügen heute beispielsweise monetäre Anreize al- Work-Life-Balance, die soziale Sicherung, die Frage lein nicht mehr, um Mitarbeiter zu motivieren (Giarini/ der Entlohnung und der Weiterbildungsbereitschaft. Liedtke, 2006). (In) Deutschland Neu Denken – Fachsymposium am 18. September 2008 4 5
K a p itel 2 Herausforderungen in der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im Jahr 2050 nur noch 31,5 Millionen bis 35,5 Millionen sein – je nach- Gesellschaft von morgen dem, ob jährlich 100.000 oder 200.000 Erwerbs personen zuwandern. Die Frage, wie wir morgen arbeiten werden, lässt sich nur beantworten, wenn man die zukünftigen Die Folgen werden sich – falls Reformmaßnahmen Megatrends und deren Einfluss auf den Arbeitsmarkt nicht gegensteuern – an vielen Stellen bemerkbar berücksichtigt. Diese Megatrends werden im Folgen- machen: den vorgestellt. ■■Der Rückgang des Arbeitskräfteangebots wirkt als Wachstumsbremse. Die Wachstumsraten Megatrend I: Demografischer Wandel des Bruttoinlandsprodukts werden, wenn keine Die Bevölkerungszahl in Deutschland nimmt bereits Reformen eingeleitet werden, deutlich von derzeit seit dem Jahr 2003 ab. Das Statistische Bundesamt rund 1,5 Prozent pro Jahr auf etwa 0,7 Pro- errechnet in seiner aktuellen Bevölkerungsvoraus- zent in den Jahren von 2030 bis 2035 sinken berechnung einen Rückgang von heute 82 Millionen (Plünnecke/Seyda, 2007, 58 f.). Einwohnern auf etwa 71 Millionen im Jahr 2050. Das ■■Weil anteilig weniger Arbeitskräfte für die Produk- Durchschnittsalter der Menschen wird gleichzeitig tion des Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung ste- von 42,6 auf 51,4 Jahre ansteigen. Das bedeutet hen, müssen diese produktiver werden, um das für den Arbeitsmarkt der Zukunft: Die Belegschaften gleiche Pro-Kopf-Niveau an Gütern und Dienst- werden im Durchschnitt älter als heute sein und es leistungen herzustellen, das ohne Alterung und werden immer weniger Menschen zur Erstellung von Bevölkerungsrückgang erreicht werden könnte. Stefan Hradil: Demografischer Wandel als Megatrend Gütern und Dienstleistungen zur Verfügung stehen. ■■Die Bedeutung der Bildung nimmt weiter zu, Gab es auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland im Jahr doch Fachpersonal wird zum Engpass. Die 2004 noch rund 44,5 Millionen Erwerbspersonen, Unternehmen werden zukünftig einen weiter so werden es nach Berechnungen des Instituts für steigenden Bedarf an Fachkräften haben, können Ostdeutschland, leeren werden. Letzteres führt ■■Einfache und arbeitsintensive Tätigkeiten werden aber nur auf eine geringere Anzahl an qualifizier- schon heute zu gravierenden Problemen (Säch ins Ausland verlagert, humankapitalintensive Teile tem Nachwuchs zugreifen. sischer Landtag, 2008). der Wertschöpfungskette konzentrieren sich in ■■Die sozialen Sicherungssysteme können nicht wissensintensiven Clustern. „Wir haben die Megatrends so weiterlaufen wie bisher. Wegen der demogra- ■■In der Folge sinkt die Nachfrage nach geringqua- Demografie, Globalisierung und fischen Entwicklung wird der Finanzierungsbe- Megatrend II: Globalisierung lifizierten Arbeitnehmern und die Nachfrage nach den W andel zur Dienstleistungs darf der Rentenversicherung steigen. Soll das Intensivere internationale Arbeitsteilung und natio Hochqualifizierten steigt – bis hin zum Fachkräfte gesellschaft, auch wenn wir in Rentenniveau auf dem heutigen Stand gehalten nale Spezialisierungen sind die Kennzeichen der mangel. Deutschland ein bisschen lang werden, so wird die Rentenlast zunehmen und zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft. Auch ■■Sind die Löhne flexibel, dann nimmt die Lohn- samer marschieren als andere. von einer immer kleineren Gruppe von Erwerbs- die Arbeitsmärkte sind von dieser Entwicklung, die spreizung zu, während bei inflexiblen Löhnen Und wir haben eine Individualisie tätigen aufgebracht werden müssen. Während sich in der Zukunft fortsetzen wird, betroffen. Das – zum Beispiel Mindestlöhnen – die Arbeitslosig- rung der Arbeitswelt, in der sich heute auf 100 Menschen über 65 Jahre 335 Per- exportgewichtete Arbeitskräfteangebot, das welt- keit unter den Geringqualifizierten wächst. das klassische Arbeitsverhältnis, sonen im erwerbsfähigen Alter kommen, wird weit zur Verfügung steht, ist seit dem Jahr 1980 bei dem man 30 Jahre an einem diese Relation bis zum Jahr 2050 auf 100 zu 155 bis heute um das Vierfache gestiegen. Das globale Arbeitsplatz sitzt, auflöst. Dies wirft sinken. Angebot an Akademikern ist im selben Zeitraum von Megatrend III: Tertiarisierung eine ganze Reihe von Fragen auf.“ ■■Der demografische Wandel wird regional sehr rund 15 Millionen auf etwa 65 Millionen gewachsen, Der Anteil der Dienstleistungen an der gesamtwirt- Randolf Rodenstock, unterschiedlich verlaufen. In den Großstädten in gleichzeitig ist die Zahl der weniger Qualifizierten schaftlichen Bruttowertschöpfung steigt seit Jahr- Vorstandsvorsitzender des Westdeutschland wird voraussichtlich weiterhin von etwa 200 Millionen auf mehr als 500 Millionen zehnten – und er wird weiter zulegen. Zurzeit beträgt Roman Herzog Instituts e. V. ein Bevölkerungswachstum zu verzeichnen sein, gestiegen. Für den deutschen Arbeitsmarkt der dieser Anteil in Deutschland rund 69 Prozent, jener während sich ländliche Gebiete, insbesondere in Zukunft heißt dies: der Industrie rund 23 Prozent. Während Industrie 6 7
K a p itel 2 Herausforderungen in der Gesellschaft von morgen „Die Fähigkeit, von den Welt Megatrend IV: Individualisierung märkten Einkommen nach Ob Vollzeitjob oder Teilzeitarbeit, befristete Beschäf- Deutschland zu holen, hat in tigung oder Zeitarbeit: Die Vielfalt an Arbeitsformen, erheblichem Maße damit zu tun, die sich in Deutschland bereits herausgebildet hat, dass bei uns die Tertiarisierung wird weiter zunehmen. Waren im Jahr 2005 von über die Industrie läuft und nicht 100 Erwerbstätigen rund 60 in Vollzeittätigkeit sozial gegen sie.“ versicherungspflichtig beschäftigt, gingen schon 16 Prozent einer unbefristeten Teilzeittätigkeit nach. Michael Hüther, Direktor des Instituts der 10 Prozent waren Selbstständige, 14 Prozent befris- deutschen Wirtschaft Köln tete Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte. Damit überwogen die traditionellen Vollzeitarbeitsverhältnisse zwar immer noch deutlich, doch ihr Anteil in den alten Bundesländern ist rück- läufig: Anfang der 1990er Jahre standen noch knapp 70 Prozent der Erwerbstätigen in einem solchen Arbeitsverhältnis. Die Ausnahme vom klassischen Vollzeitjob wird langsam zur Regel. Das bedeutet für den Arbeitsmarkt der Zukunft: arbeitsplätze auch künftig abgebaut werden, ent- ■■Die zunehmende Heterogenität von Arbeitsver- stehen im Dienstleistungssektor neue Arbeitsplätze. hältnissen ist ein Trend, auf den Unternehmen Vor allem die unternehmensnahen Dienstleistungen künftig nicht wieder verzichten werden – sie sind expandieren stark: In diesem Bereich hat sich die sogar auf ihn angewiesen. Um im internationalen Das Fachsymposium 2008 interessierte eine breite Öffentlichkeit. Zahl der Beschäftigten seit 1991 mehr als verdop- Wettbewerb bestehen zu können, müssen sie fle- pelt. Insgesamt verschiebt sich der Schwerpunkt des xibel reagieren können. Da die Arbeitsmarktregu- Arbeitsmarktes in den Dienstleistungssektor. Für den lierung in Deutschland relativ starr ist – genannt geringfügige Beschäftigung von Frauen werden deutschen Arbeitsmarkt der Zukunft bedeutet dies: sei hier beispielsweise der hohe Kündigungs- die Flexibilität in der Lebensgestaltung weiter schutz –, wenden sich Unternehmen modernen erhöhen. ■■Die Beschäftigten müssen mobil und dazu bereit Arbeitsformen zu, um auf schwankende Auf- ■■Mit zunehmender Individualisierung ergeben sich sein, sich Arbeitsplätze in den neuen, expan- tragslagen zu reagieren. Das zeigt sich aktuell jedoch auch Gefahren: Zum einen sinkt sowohl dierenden Branchen des Dienstleistungssektors gerade in der Automobilindustrie. Der Nachfrage- auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite zu suchen. Dies betrifft, wenn ihr Arbeitsplatz in rückgang nach Automobilen konnte über meh- die Bereitschaft, in betriebsspezifisches Human Industriebetrieben abgebaut wird, auch höher- rere Quartale durch den Abbau der Guthaben auf kapital zu investieren, wenn diese Investition sich qualifizierte Industriearbeiter mit relativ hohen Arbeitszeitkonten abgefedert werden, statt gleich im Rahmen einer Teilzeitarbeit oder befristeten Löhnen. auf Kurzarbeit oder Entlassungen zurückgreifen Beschäftigung rentieren muss. Zum anderen be- ■■Bildung und Weiterbildung sind für die Arbeit zu müssen. steht die Gefahr, im Alter oder bei Arbeitslosig im Dienstleistungssektor – und deren Entloh- ■■Arbeitnehmer wissen die Vorteile variabler keit arm zu sein, da geringfügig Beschäftigte nung – entscheidend. Der Strukturwandel wird Beschäftigungsverhältnisse immer stärker zu nur geringe Ansprüche an die Arbeitslosen- und nämlich nicht qualifikationsneutral verlaufen. Die schätzen. Die bessere Vereinbarkeit von Familie Rentenversicherung erwerben. Auch wenn vari- Humankapitalintensität der Arbeitsplätze nimmt und Beruf ist eine treibende Kraft für die Akzep- able Beschäftigungsverhältnisse besser sind als auch im Dienstleistungssektor weiter zu. tanz flexibler Arbeitsmodelle. Insbesondere die Erwerbslosigkeit, muss in diesem Punkt gesell- ■■Frauen sind eher die Gewinner des Strukturwan- Ausdehnung der Teilzeitbeschäftigung und die schaftlich Vorsorge getroffen werden. dels, da sie bereits häufig im Dienstleistungssek- tor arbeiten, während Männer in traditionellen Industrieberufen zu den Verlierern zählen werden. 8 9
K a p itel 3 Gestaltungsoptionen der anzupassen, dass die Chancen für den Einzelnen die ■■Bildung – Bessere Chancen für alle „Notwendig für eine Verbesserung Risiken überwiegen. Dafür sind sowohl Verbesserun- ■■Arbeit – Mehr Menschen in die Arbeitswelt Gesellschaft von morgen gen im institutionellen Gefüge unseres Wirtschafts- integrieren des deutschen Bildungssystems ist unter anderem eine vernünftige systems als auch Veränderungen innerhalb unseres ■■Wettbewerb – Von der Globalisierung vorschulische Bildung, die wir in Die genannten Megatrends scheinen auf den ersten Wertegefüges notwendig. profitieren Deutschland nicht haben. Daneben Blick für den Einzelnen und die Gesellschaft von ■■Werte – Mehr Eigenverantwortung und müssen die vielfältigen Formen morgen vor allem Herausforderungen zu sein. Doch So notwendig Reformen innerhalb des Wirtschafts- Subsidiarität der informellen Bildung wesentlich diese Trends bieten den Menschen auch vielfältige systems auch sind, um die Zukunftsfähigkeit der ■■Gerechtigkeit – Partizipationschancen besser mit den Schulen und Univer Chancen dafür, ein höheres Wohlstandsniveau zu Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern: Wir fangen erhöhen. sitäten verzahnt werden. Dazu ist es erreichen. Zum Beispiel lassen sich die gestiegenen nicht bei null an. Die Wirtschaftsordnung in Deutsch- auch notwendig, mehr Geld in die Ansprüche des Einzelnen an die individuelle Verein- land, die Soziale Marktwirtschaft, stellt – bei aller In jedem dieser fünf Bereiche besteht Handlungs Bildung zu geben.“ barkeit von Beruf, Freizeit und Familie besser mit Diskussion von Fehlentwicklungen und Anpas- bedarf. Entsprechende Empfehlungen für konkrete Stefan Hradil, modernen Arbeitsformen verwirklichen, die mehr sungsbedürfnissen – aus Sicht des Roman Herzog Reformen werden in den folgenden Abschnitten Professor am Institut für S oziologie an der Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung und Selbst- Instituts nach wie vor die zukunftsträchtigste und ebenso genannt wie diejenigen Publikationen des Johannes Gutenberg U niversität Mainz verwirklichung offerieren als die bisherigen. Natürlich gerechteste aller derzeit bekannten und umsetzbaren Roman Herzog Instituts, die vertiefende Informatio- wird die Anpassung an neue, komplexere Situationen Wirtschaftsordnungen dar (Rodenstock, 2006). Mit nen zu diesen Themen enthalten. immer eine große Herausforderung und damit an- Reformen in fünf zentralen Bereichen der Sozialen strengend bleiben. Ziel für eine Gesellschaft von mor- Marktwirtschaft lässt sich die Zukunftsfähigkeit gen muss es daher sein, die Rahmenbedingungen verbessern. Die Reformbaustellen lassen sich in 3.1 Bildung – Bessere Chancen für alle „Um ihrer selbst willen, aber auch für das Leben und Arbeiten so an die Megatrends folgenden Leitthesen zusammenfassen: Seit der Gründung des Roman Herzog Instituts im angesichts der demografischen Jahr 2002 wird in dessen Forschungsprojekten und Entwicklung können wir es uns Symposien immer wieder deutlich, welchen domi in Zukunft nicht leisten, wenn wie nanten Stellenwert die Qualifikation der Arbeits- bisher 15 Prozent der Bevölkerung kräfte für den Wohlstand in Deutschland hat. Der dauerhaft ohne abgeschlossene hohe Lebensstandard kann nur dann gesichert und Berufsausbildung bleiben.“ ausgebaut werden, wenn weiterhin hochqualifizierte Arbeitskräfte in ausreichendem Maße zur Verfügung Peter Neher, Präsident des stehen. Das Humankapital der Arbeitnehmer bleibt Deutschen Caritasverbandes für die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovations fähigkeit der deutschen Volkswirtschaft schon allein deswegen der zentrale Parameter, weil Deutschland nur über wenige natürliche Ressourcen verfügt. Das bestehende deutsche Bildungssystem weist einige Schwächen auf. Im Bereich der frühkindlichen Bildung und Betreuung sind nicht genug Plätze vor- handen, vor allem nicht für unter Dreijährige und für die Ganztagsbetreuung. Doch es bewegt sich etwas: verfügen Erzieherinnen und Erzieher in solchen Bis zum Jahr 2013 ist der Ausbau der Betreuung Einrichtungen über ein Fachhochschulstudium. Auch geplant, sodass 35 Prozent der unter Dreijährigen im Bereich der allgemeinbildenden Schulen bestehen einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen können Defizite. Deutschland belegt in den international ver- (BMFSFJ, 2008). Ein weiterer Schwachpunkt ist das gleichenden Studien PISA und IGLU lediglich einen Qualifikationsniveau des Personals in Kindertages- Platz im Mittelfeld. Mit drei Reformmaßnahmen lässt einrichtungen – dieses ist im internationalen Vergleich sich im allgemeinbildenden Bereich Boden gutma- Michael Hüther, Stefan Hradil, Ursula Weidenfeld und Patrick M. Liedtke diskutieren Szenarien zur Zukunft der Arbeit. zu niedrig. In den meisten anderen OECD-Ländern chen: Schulen benötigen mehr Autonomie hinsicht- 10 11
K a p itel 3 Gestaltungsoptionen der G esellschaft von morgen internationalen Vergleich gering, und die Absolven- „Wir können keine fünf Millionen ten sind vergleichsweise alt. Immigranten zwischen den Jahren 2010 und 2020 nach Deutschland Auch bei der Weiterbildung besteht in Deutschland holen und vernünftig integrieren: Verbesserungsbedarf – sowohl bei den jüngeren wie Wir müssen unsere eigenen bei den älteren Arbeitnehmern. Während im Jahr Potenziale heben!“ 2008 von den 45- bis 54-Jährigen rund 71 Prozent Patrick M. Liedtke, an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen ha- Generalsekretär der Geneva Association ben, waren es bei den 55- bis 64-jährigen Erwerbs- for the Study of Insurance Economics tätigen nur noch 66 Prozent (tns infratest, 2008). Notwendig ist hier ein Umdenken: Ältere Menschen sollten in den Belegschaften mehr Wertschätzung erfahren und ihr Wissen über Weiterbildung auf dem neuesten Stand halten. Michael Hüther referiert zum Thema: Ökonomie im Wandel? Primäres Ziel einer zukünftigen Bildungspolitik sollte es sein, die Chancen des Einzelnen auf Partizi- pation am Bildungsprozess zu verbessern. Durch intensivere Förderung sind die Abbrecherquoten an lich des Budgets und der Lerninhalte, sie sollten die Hintergrund beeinflusst werden. Die Folgen sind den Schulen, in der Berufsausbildung und an den 3.2 Arbeit – Mehr Menschen in individuelle Förderung der Schüler verbessern und auf Dauer untragbar. Aufgrund der Versäumnisse Hochschulen zu verringern. Die Bildungsbeteiligung die Arbeitswelt integrieren sich zu Ganztagsschulen entwickeln. im frühkindlichen und im schulischen Bereich ist die der Bevölkerung sollte in allen Altersgruppen erhöht Eine passende Antwort auf den Rückgang der Abbrecherquote an den Schulen schon jetzt hoch. werden – nicht nur hinsichtlich einer qualifizierten Bevölkerungszahl ist es, das vorhandene Potenzial Solange die Schwächen des Bildungssystems nicht Fast eine viertel Million Jugendliche beenden jedes Erstausbildung, sondern auch bezüglich der Weiter- an Erwerbspersonen auf dem Arbeitsmarkt zukünftig beseitigt sind, wird der Bildungserfolg der Kinder in Jahr in Deutschland ihre schulische oder berufliche bildung. Um der flexiblen Anpassung an die Mega besser auszuschöpfen. Derzeit steigen junge Men- Deutschland weiterhin vor allem von ihrem familiären Ausbildung oder Berufsvorbereitung nicht erfolgreich. trends gerecht zu werden, müssen die einzelnen schen vergleichsweise spät in den Arbeitsmarkt ein, Darin liegt ein gewaltiges, ungenutztes Arbeitskräfte- Bereiche des Bildungssystems besser als bisher die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist gering, und potenzial für die Zukunft. Das ist nicht nur aus Sicht miteinander verzahnt werden. auch die Erwerbsbeteiligung Älterer könnte ausge- des zukünftigen Arbeitsmarktes relevant, sondern baut werden. „Die Erhöhung der Erwerbsquoten auch zur Wahrung der Chancengerechtigkeit. Diese – das heißt im Klartext mehr Erwerbs Jugendlichen benötigen größere Bildungschancen Informationen zum Thema Bildung finden Jugendliche: Junge Menschen sollten nicht mehr tätigkeit für Frauen und längere als bisher. Sie in folgenden Publikationen des Roman so lange wie derzeit im Bildungssystem bleiben, Lebensarbeitszeiten – ist durchaus Herzog Instituts (kostenloser Download unter sondern früher auf den Arbeitsmarkt gelangen. Die geeignet, die kommenden demogra Um dies zu erreichen, ist die Verzahnung zwischen www.romanherzoginstitut.de): Erwerbsquote der 15- bis 24-Jährigen in Deutsch- fischen Probleme ein Stück weit zu allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen und land ist vergleichsweise niedrig und betrug im Jahr lindern.“ damit die Berufsorientierung zu verbessern. Auch ■■Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 2007 nur 51,3 Prozent. Im Bereich der Berufsausbil- Stefan Hradil, die Durchlässigkeit zwischen Berufsausbildung und 2007, Demografischer Wandel: Gehen dung liegt dies häufig an mangelnder Ausbildungs- Professor am Institut für Soziologie an der Studium, die derzeit kaum vorhanden ist, muss Deutschland die Arbeitskräfte aus? reife, weshalb Jugendliche vor Beginn der eigent Johannes Gutenberg Universität Mainz gesteigert werden. Der Reformbedarf an den Hoch- (RHI-Diskussion Nr. 5) lichen Ausbildung Berufsvorbereitungsmaßnahmen schulen reicht von einer Erhöhung der Autonomie ■■Hubert Markl, 2007, Innovation braucht durchlaufen müssen. Lange Studienzeiten, die unter über eine Steigerung der Studierendenquoten bis Bildung (RHI-Information Nr. 2) anderem durch hohe Studierendenzahlen bedingt hin zu kürzeren Studienzeiten. Noch ist der Anteil ■■Dieter Lenzen, 2007, Was macht einen sind, sorgen dafür, dass Hochschulabsolventen erst der Menschen mit einem tertiären Bildungsab- Unternehmer erfolgreich? spät in den Arbeitsmarkt eintreten. Immerhin sind schluss in Deutschland – das ist ein Hochschul- (RHI-Information Nr. 3) inzwischen die Anreize für ein schnelles Studium ge- oder Fachhochabschluss oder ein Meistertitel – im steigert worden, zum Beispiel durch die Einführung 12 13
K a p itel 3 Gestaltungsoptionen der G esellschaft von morgen „Seit dem Jahr 2000 ist eine ganze Mütter: Frauen sind der größte ungenutzte Pool an Soziale Marktwirtschaft: Mehr Zeit zum Leben Menge passiert. Unternehmen begin potenziellen Erwerbspersonen in der deutschen Ge- nen, einen Perspektivenwechsel vor sellschaft. Zurzeit liegt die hiesige Frauenerwerbstä- Lebenserwartung in Jahren Wochenarbeitszeit Jahresurlaub zunehmen. Demografietools werden tigenquote von 62,9 Prozent rund 10 Prozentpunkte Männer Frauen in Stunden in Tagen entwickelt. Eine Mentalitätsverände hinter den Spitzenreitern aus Skandinavien. Während 64,6 rung ist eindeutig sichtbar. Die älteren kinderlose Frauen gut ins Erwerbsleben integriert 1950 68,5 48,2 12,0 Arbeitnehmer werden interessant.“ sind, haben es Mütter schwer. Die unzureichende 66,9 1960 72,4 45,4 15,5 Vereinbarkeit von Familie und Beruf verhindert allzu Andreas Kruse, häufig die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern. 67,4 Direktor des Instituts für Gerontologie 1970 73,8 44,1 21,2 der Universität Heidelberg Angesichts der Herausforderungen durch die Mega 70,2 trends kann es sich Deutschland nicht länger leisten, 1980 76,9 41,7 27,3 dass qualifizierte Frauen dem Arbeitsmarkt nicht zur 72,6 1990 79,0 39,8 30,7 Verfügung stehen, nur weil sie keine geeignete Kin- derbetreuung finden. In Deutschland sehen sich viele 75,1 2000 81,1 38,2 31,0 Frauen, insbesondere Akademikerinnen, immer noch 76,6 vor die Frage gestellt: „Kind oder Karriere?“. Die Rah- 2007 82,1 38,3 30,9 menbedingungen in der Familien- und Bildungspolitik Bis 1990: Westdeutschland; Lebenserwartung: bei der Geburt; Wochenarbeitszeit: durchschnittlich bezahlte Wochenstunden im Produzierenden Gewerbe; sowie der unternehmerischen Personalpolitik sollten Jahresurlaub: tariflich je Vollzeitarbeitnehmer. von Studiengebühren. Ein früherer Einstieg in das daher so gestaltet werden, dass sowohl die Frauen- Ursprungsdaten: Statistisches Bundesamt; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Arbeitsleben erhöht nicht nur die Zahl der verfüg- erwerbstätigkeit als auch die Geburtenrate steigen baren Arbeitskräfte, sondern vergrößert gleichzeitig können. Dazu bedarf es beispielsweise des Ausbaus auch das Zeitfenster, in dem sich Paare ihre Kinder- der Kinderbetreuung und der besseren Berücksich- die neuen Strukturen in der Arbeitswelt nötig sind, Lebenserwartung. Daher ist die Rentenbezugsdauer wünsche erfüllen können. Langfristig mildert dies tigung von Kindern im Steuer- und Transfersystem. werden häufig innerhalb der Familien erworben und stark gestiegen. Statistisch betrachtet hatte ein im den Bevölkerungsrückgang. Die personellen und sozialen Kompetenzen, die für verbessert. Eine gesellschaftliche Anerkennung die- Jahr 1950 geborener Junge keine Chance, über- ser Kompetenzen könnte die Integration von Müttern haupt einmal Rente zu beziehen, da Männer damals in den Arbeitsmarkt erleichtern. im Durchschnitt mit 64,6 Jahren starben. Jungen, die im Jahr 2007 geboren wurden, dürfen dagegen Ältere Menschen: Auch die Erwerbsbeteiligung von einen durchschnittlichen Rentenbezug von knapp Älteren (55- bis 64-Jährigen) bietet ein großes Poten zehn Jahren erwarten – das inzwischen erhöhte Ren- zial für die Zukunft. Zwar verzeichnet Deutschland tenzugangsalter von 67 Jahren vorausgesetzt. in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg der Erwerbsquote Älterer: Sie legte bis zum Jahr 2007 Gerade angesichts der demografischen Heraus- auf 58 Prozent zu. Dennoch ist es noch ein weiter forderung gilt es, die Potenziale älterer Mitarbeiter Weg bis zum internationalen Spitzenreiter Schweiz, besser als bisher zu nutzen. Sie verfügen mehrheit- wo 69,3 Prozent der Älteren erwerbstätig sind. Das lich über eine gute körperliche Fitness und haben im durchschnittliche Rentenzugangsalter in Deutsch- Laufe ihres Lebens Erfahrungswissen gesammelt, land, das derzeit bei rund 63 Jahren liegt, ist zu das im Berufsleben sinnvoll eingesetzt werden kann. niedrig. Biologisch betrachtet sind die heute 60-Jäh- Allerdings müssen die Unternehmen das berufliche rigen so fit wie die 40-Jährigen vor etwa drei Gene- Umfeld auf die älteren Menschen abstimmen. rationen. In Umfragen sagt ein Viertel der befragten 60- bis 80-Jährigen, dass sie nicht mehr erwerbs- Die Forderung, die Beschäftigung von älteren Men- tätig sind, es aber gerne noch wären. Der Hand- schen zu erhöhen, ist kein Appell an die Wohltätigkeit lungsbedarf wird deutlich durch einen Blick zurück. von Unternehmen. Ihr Einsatz ist aus betriebswirt- In den letzten 60 Jahren ist das Rentenzugangsalter schaftlichen Gründen geboten. Viele ältere Mit Angeregter Austausch über „Familienkompetenzen als Wettbewerbsvorteil“ lange gleich geblieben (Rente mit 65), nicht aber die arbeiter verfügen über Kompetenz im Umgang mit 14 15
K a p itel 3 Gestaltungsoptionen der G esellschaft von morgen komplexen Situationen und über effektive kognitive Schätzen sie ihre Tätigkeit als wichtig ein, legen sie 3.3 Wettbewerb – Von der „Die Arbeitsinhalte ändern sich und handlungsbezogene Strategien zur Bewältigung eine hohe Motivation an den Tag. Sie zeichnet zu- Globalisierung profitieren insbesondere, weil der Druck von Problemsituationen. Sie haben meist einen guten dem eine hohe Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber Mehr Investitionen in Bildung und die Aktivierung von von außen diese Veränderungen Überblick über vertraute Arbeitsgebiete, treffen sorg- aus – und eine hohe zeitliche Verfügbarkeit, da ihre mehr Erwerbspersonen helfen allerdings nur, wenn nötig macht. Der Treiber ist der fältig vorbereitete Entscheidungen und stellen weiter Kinder aus dem Haus sind (Kruse et al., 2004). All die deutsche Volkswirtschaft ihre gute Position im internationale Wettbewerb. Wir reichende Zeit- und Zielplanungen an als jüngere diese Fähigkeiten werden bislang in Deutschland in Standortwettbewerb behalten kann. Der Wettbewerb sind gezwungen, entsprechende Kollegen. Dabei erkennen sie durchaus die eigenen zu geringem Maße genutzt, viele Ressourcen liegen findet in Zukunft einerseits auf den Güter-, anderer- Reformen und Änderungen vor Leistungsmöglichkeiten und Leistungsgrenzen. brach – das ist vor allem eine Folge der Frühverren- seits aber mehr noch als bisher auf den Faktormärk- zunehmen. Die Frage ist, ob wir in tungsprogramme der letzten 20 Jahre. ten statt. Immobile Produktionsfaktoren konkurrieren der Lage sind, das zu tun.“ um weltweit mobile Produktionsmittel. Kapital wan- Randolf Rodenstock, Damit in Zukunft die Erwerbsbeteiligung aller Bevöl- dert zwar schon heute dorthin, wo es den größten Vorstandsvorsitzender des „Indem wir jeden Zugewinn an Restle kerungsgruppen größer ist, sollte der Einstieg in den Ertrag einbringt, aber auch Arbeitskräfte werden Roman Herzog Instituts e. V. benserwartung über die letzten hundert Arbeitsmarkt früher und der Ausstieg in den Ruhe- zunehmend mobiler. Arbeitskräfte entscheiden sich Jahre interpretiert haben als einen stand später als bislang erfolgen. Wenn gleichzeitig mittlerweile flexibel und ganz nach ihren individuellen Zugewinn an nicht produktiver Tätigkeit, mehr Frauen die Chance haben zu arbeiten und Äl- Vorteilen für oder gegen einen Nationalstaat. Der haben wir uns im Prinzip unser eige tere besser integriert werden, kann ungefähr bis zum Fachkräftemangel und die wachsende Sorge um die nes System zerstört. Und wir haben Jahr 2025 der demografisch bedingte Rückgang der Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte zeigen, im Umkehrschluss auch kaum dafür Arbeitskräfte kompensiert werden (DIW, 2008). dass der deutsche Arbeitsmarkt für viele Hochqua- gesorgt, dass die Älteren in das System lifizierte nicht attraktiv genug ist. Sie werden in der integriert werden.“ Zukunft aber dringend benötigt. Daher greift eine Patrick M. Liedtke, Diskussion zu kurz, die sich darauf beschränkt, Zu- Generalsekretär der Geneva Association for the Study of Insurance Economics Informationen zum Thema Arbeit finden Sie in wanderungserleichterungen für qualifizierte Arbeits- folgenden Publikationen des Roman Herzog kräfte aus anderen Nationen zum Thema zu machen. Instituts, die Sie kostenfrei bestellen können Auch für deutsche Arbeitskräfte muss der Standort unter www.romanherzoginstitut.de: Deutschland attraktiv bleiben. Publikationen des Roman Herzog Instituts zum ■■Stefan Hardege, 2008, Arbeitswelt im Der verstärkte internationale Wettbewerb fordert Thema Standort Deutschland im internationalen Wandel: Wie Unternehmen und Gesellschaft von den Unternehmen ein immer höheres Maß an Wettbewerb: morgen arbeiten werden (RHI-Position Nr. 5) Flexibilität und die Fähigkeit, schnell Entscheidungen „Wir können Erfahrungswissen und ■■Andreas Kruse, 2009, Arbeitsmodelle der zu treffen – nur so können sie sich rasch an den ■■Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Offenheit für Neues systematisch mit Zukunft: Lebenszyklusorientierung und ver- Wandel der zukünftigen Gegebenheiten anpassen. 2008, Was ist dran an der Globalisierungs- einander verbinden. Erfahrungswissen änderte Personalaltersstrukturen Die Anpassungsfähigkeit und der Spielraum der kritik? Fakten, Zahlen, Analysen an sich hat aber keinen Wert. Es ist nur (RHI-Position Nr. 6) Unternehmen werden durch die gesetzlichen Rah- (RHI-Diskussion Nr. 8) dann nutzbar, wenn die Persönlichkeit ■■Steffen J. Roth, 2007, Würde, Einkommen menbedingungen am Arbeitsmarkt bestimmt. Zum ■■Institut der deutschen Wirtschaft Köln, offen, plastisch und beeindruckbar und Arbeit in der Sozialen Marktwirtschaft Beispiel determiniert der gesetzliche Kündigungs- 2007, Der Zukunft den Weg bahnen: Struk- bleibt, und wenn ein Unternehmen in (RHI-Position Nr. 4) schutz die Möglichkeiten, Personal einzustellen oder turwandel und Strukturpolitik in Deutschland der Lage ist, auch älteren Mitarbeitern ■■Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 2008, zu entlassen und setzt Anreize für unbefristete oder (RHI-Diskussion Nr. 4) in positiver Weise Zumutungen zu Die Professionalisierung der Gesellschaft. zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse. ■■Michael Hüther / Thomas Straubhaar, 2007, präsentieren. Dann können die Unter Wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus? Plädoyer für ein Leitbild für Deutschland nehmen sich auf die älteren Mitarbeiter (RHI-Diskussion Nr. 7) Der Markt für Humankapital am Standort Deutsch- (RHI-Diskussion Nr. 3) freuen.“ ■■Institut der deutschen Wirtschaft Köln, land muss daher renoviert werden. Aus einer Samm- ■■Nicola Hülskamp / Oliver Koppel, 2006, Andreas Kruse, 2007, Demografischer Wandel: Gehen lung fehlerhaft ausgestalteter und überholter Regeln Förderung unternehmerischer Innovation in Direktor des Instituts für Gerontologie Deutschland die Arbeitskräfte aus? sollte ein modernes Regelwerk für den Arbeitsmarkt Deutschland: Eckpunkte einer Neuausrich- der Universität Heidelberg (RHI-Diskussion Nr. 5) werden, das unternehmerisches Engagement tung (RHI-Position Nr. 2) belohnt und die Anreize erhöht, in Deutschland zu 16 17
K a p itel 3 Gestaltungsoptionen der G esellschaft von morgen investieren. Sonst wandern das Sach- und Human wird mit zunehmender Konkurrenz aus anderen künftig aufgebracht werden muss, darf allerdings „Eine Maßnahme, auf die ich relativ kapital ins Ausland ab. Das kostet hierzulande Staaten härter werden, die Anforderungen am nicht missverstanden werden: Sie wird nicht funk- großen Wert lege, heißt Selbsthilfe. Arbeitsplätze – auch und gerade von denen, die Arbeitsplatz werden entsprechend steigen. Vor allem tionieren, wenn eine leistungsbereite Mehrheit eine Zur gegenseitigen Hilfe von Bürgern aufgrund geringer Qualifikation nur wenige Chancen die junge Generation von heute wird zunehmende weniger leistungsbereite Minderheit alimentieren soll. können auch immer mehr ältere auf Wiederbeschäftigung haben. Auf der anderen Leistungen erbringen müssen, um die steigenden Das bedeutet aus heutiger Sicht jedoch auch, sich Menschen beitragen.“ Seite muss auch an der Attraktivität des Standorts gesellschaftlichen Anforderungen zu bewältigen. an neuen Werten zu orientieren. „Werte“ ist dabei ein Stefan Hradil, Deutschlands gearbeitet werden. Hierfür reicht es Allein durch den demografischen Wandel hat sie in Begriff, den es erst noch zu füllen gilt. Auf dem Jah- Professor am Institut für Soziologie an der nicht aus, sich aus ökonomischer Sicht Gedanken der Zukunft schwerere sozialstaatliche Lasten zu ressymposium herrschte darüber Einigkeit, dass vor Johannes Gutenberg Universität Mainz über Steuersysteme zu machen. Die kulturelle schultern. Gleichzeitig wird sie vermutlich weniger allem Eigenverantwortung und Subsidiarität zentrale, Atmosphäre und die soziale Infrastruktur – also staatliche Leistungen in Anspruch nehmen können in der Zukunft gefragte Werte sind. Solidarität muss die sogenannten weichen Standortfaktoren – sind als die heute erwerbstätige Generation, insbeson- immer auch mit Eigenverantwortung und Subsidiari- ebenso maßgeblich. dere in sich entleerenden ländlichen Gebieten. Die tät einhergehen (Rodenstock, 2006). Bereitschaft der künftigen Generationen zur Solidari- tät wird auch durch eine zunehmende Lohnspreizung Ziel dieses notwendigen Wertewandels sollte es 3.4 Werte – Mehr Eigenverantwortung auf die Probe gestellt werden. Wachsende Einkom- sein, die Fähigkeiten der Menschen zur Selbsthilfe zu und Subsidiarität mensunterschiede sind bereits absehbar – aufgrund stärken, damit sie nur noch in Notfällen auf staatliche In der Gesellschaft von morgen sieht sich der Ein- des steigenden Bedarfs an höherqualifizierten Leistungen angewiesen sind. Das Subsidiaritäts- zelne an seinem Arbeitsplatz großen Herausforderun- Mitarbeitern und einer zugleich abnehmenden Zahl prinzip, nach dem die Sicherung und Gestaltung gen gegenüber. Der Wettbewerb der Unternehmen an Nachwuchskräften. Die Solidarität, die somit auch der eigenen Existenz vornehmlich dem Einzelnen und seiner Initiative überlassen bleiben sollte, wird „Nach Qualifikationen differenziert verbreitet angewendet werden. Dies betrifft nicht nur haben wir eine gewaltige Schieflage: die private finanzielle Vorsorge für das Rentenalter, Ein Überangebot an Gering- und sondern auch die Gesundheitsvorsorge und die Mittelqualifizierten und zu wenige Verantwortung für den eigenen Bildungsweg. Wenn Hochqualifizierte. Die Lohnspreizung der Staat seinen Wirkungskreis einschränkt, werden ist ein Reflex dessen, was wir in der familiäre und soziale Netzwerke, deren Mitglieder Weltwirtschaft erleben.“ sich materiell und immateriell unterstützen, wieder Michael Hüther, Direktor des Instituts der wichtiger werden. Die Strukturen für das bürger- deutschen Wirtschaft Köln schaftliche Engagement sollten aus diesem Grund überdacht werden: Diese Tätigkeiten verdienen in Zukunft eine gesellschaftliche Aufwertung und mehr Anerkennung. Die Wertehaltung der Generationen ist bereits heute verschieden. Zwar sind sowohl die junge und mittlere Generation als auch die heute ältere Generation bereit, die zusätzlichen Herausforderungen anzu- nehmen. Leistungsbereitschaft ist generationenüber- greifend vorhanden. Mehr als ihre Elterngeneration hat es aber die heutige junge und mittlere Genera- tion gelernt, auf der einen Seite nach Leistung zu streben, dies auf der anderen Seite aber mit dem Streben nach Gemeinschaft, Ordnung und Sicherheit zu verbinden. Natürlich werden auch ihre Eltern viel Wichtiges Anliegen von Randolf Rodenstock: Ethik in der Sozialen Marktwirtschaft zur gegenseitigen Hilfe von Bürgern in Netzwerken 18 19
K a p itel 3 Gestaltungsoptionen der G esellschaft von morgen „Die heute junge und mittlere Genera beitragen können. Die Älteren von morgen sind Für den sozialen Frieden ist es wichtig, dass die tion strebt nach Balancen des Ich und aber im Vergleich zu den Älteren von heute besser Chancen auf Partizipation und Einkommenserzielung Mehr zum Thema Gerechtigkeit – dem Schwer des Wir. Die Elterngeneration stellte ausgebildet und aufgrund des Wertewandels durch gut stehen – das ist wichtiger als eine nachträgliche punktthema des Roman Herzog Instituts 2009 – als Wertewandelgeneration hingegen postmaterialistische Werte geprägt. Die Suche nach Umverteilung durch den Staat. Es geht in Zukunft finden Sie in diesen Publikationen und im die Entwicklung des eigenen Ichs in Selbstverwirklichung kann für sie deshalb durchaus damit nicht mehr primär um staatliche Umverteilung, Laufe des Jahres in weiteren Veröffentlichungen den Vordergrund.“ im Helfen bestehen (Hradil, 2001). sondern um Chancengerechtigkeit. Deren Grundlage des RHI: sind nachhaltige Verbesserungen auf dem Gebiet ■■Roman Herzog Institut, 2008, Bedingungs- Stefan Hradil, Professor am Institut für Soziologie an der der Bildung. Sie befähigt den Einzelnen, sein Leben loses Grundeinkommen: Eine Perspektive Johannes Gutenberg Universität Mainz 3.5 Gerechtigkeit – Partizipations zu meistern und sich finanziell abzusichern. Das für die Soziale Marktwirtschaft? Kontroverse chancen erhöhen Streben nach sozialer Gerechtigkeit per Umvertei- Fragen an ein umstrittenes (Gesellschafts-) Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland in lung kann nicht alle Ungleichheiten beseitigen, und Konzept von morgen (RHI-Diskussion Nr. 9) den Jahren 2006 und 2007 hat die Einkommens sollte dies auch nicht tun. Denn der höhere Lohn ■■Dominik H. Enste, 2008, Bedingungsloses ungleichheit vermindert. Dies gilt für das am Markt von Besserqualifizierten ist ein entscheidender Anreiz Grundeinkommen – Traum oder Alptraum? erzielte Einkommen ebenso wie für die Einkommen, für den Einzelnen, mehr in seine eigene Bildung zu (RHI-Information Nr. 5) die sich nach der staatlichen Umverteilung ergeben investieren. haben. Weil es mehr Erwerbstätige gibt, ist auch das Armutsrisiko gesunken. Es liegt – nach den staatlichen Transferzahlungen – auf nahezu gleichem Niveau wie in den skandinavischen Wohlfahrts staaten. Das ist bemerkenswert, denn Deutschland weist im Vergleich eine sehr viel größere Zahl von Informationen zum Thema Werte und Ethik der Migranten und damit Einwohnern auf, die besonders Sozialen Marktwirtschaft finden Sie in diesen häufig von Armut betroffen sind. Für die Zukunft ist Publikationen des Roman Herzog Instituts: jedoch zu erwarten, dass die Einkommensdispari- täten wieder auseinandergehen. Sie werden größer ■■Roman Herzog Institut, 2008, Bedingungs- sein als heute, da die Megatrends Globalisierung loses Grundeinkommen: Eine Perspektive und Tertiarisierung Personen mit einer höheren für die Soziale Marktwirtschaft? Kontroverse Qualifikation belohnen, während sie die Einkom- Fragen an ein umstrittenes (Gesellschafts-) menschancen der Geringqualifizierten verringern Konzept von morgen (RHI-Diskussion Nr. 9) (Hradil/Schmidt, 2005). ■■Dominik H. Enste, 2008, Zwischen Gier und Moral: Eine Kritik an der Kritik der Marktwirt- Die Gesellschaft von morgen muss daher einen schaft (RHI-Diskussion Nr. 6) neuen Konsens darüber finden, welche Verteilung ■■Werner Abelshauser, 2008, Des Kaisers sie als gerecht empfindet. Wie auch immer die- neue Kleider? Wandlungen der Sozialen ser Konsens aussehen mag: Klar ist, dass sich Marktwirtschaft (RHI-Position Nr. 7) Einkommensungleichheit und Armutsrisiko am ■■Simone Kaminski / Dieter Frey / Eva Traut- besten vermeiden lassen, wenn Beschäftigungsmög- Mattausch / Tobias Greitemeyer, 2007, Die lichkeiten bestehen und die Partizipationschancen Einstellung zur Sozialen Marktwirtschaft aller sichergestellt sind. Entscheidend dafür, ob eine (RHI-Diskussion Nr. 6) Einkommensverteilung akzeptiert wird, ist zudem ■■Randolf Rodenstock, 2006, Ethische Grund- eine hohe Durchlässigkeit der Gesellschaft, die allen Die RHI-Impulsbörse – Diskussion über das Thema „Arbeit und ihre Potenziale“ lagen einer gerechten Wirtschaftsordnung sozialen Schichten Aufstiegschancen bietet – ein aus Sicht der deutschen Wirtschaft wichtiges Element für den sozialen Frieden. Dieser (RHI-Information Nr. 1) ist ein wesentlicher Standortfaktor und die Basis für zukunftsfähige Investitionen. 20 21
K a p itel 4 Aufgaben der gesell zu ermuntern, damit sie positiv auf Veränderungen reagieren und ihre Chancen auch unter den neuen schaftlichen Akteure Rahmenbedingungen erkennen. Trotz aller nötigen Anstrengungen: Deutschland kann durchaus die Chancen nutzen, die sich aus 4.1 Gesellschaft als Ganzes den Megatrends ergeben. Allerdings müssen Bevor davon gesprochen werden kann, dass dafür die verschiedenen gesellschaftlichen Deutschland fit für die Zukunft ist, muss sich im Land Gruppen jeweils ihren Beitrag leisten. Für viele erst eine Reformbereitschaft entwickeln. Um diese politische und soziale Instanzen bedeutet dies zu erzeugen, ist in vielerlei Hinsicht die Gesellschaft ein grundlegendes Umdenken, da sie bisher auf als Ganzes gefragt. Dies gilt zum Beispiel für das eine rigide überindividuelle Regulierung gesetzt Thema demografischer Wandel. In der öffentlichen haben. Worin ihre jeweiligen Beiträge bestehen Diskussion ist immer noch die Tendenz erkennbar, können, wird im Folgenden für jede Gruppe die Produktivität älterer Erwerbstätiger allgemein dargestellt. Das gemeinsame Interesse an einer negativ darzustellen. Es wird zu wenig berücksich- ertragreichen Zukunft sollte Unternehmen, tigt, dass Verallgemeinerungen gerade hier fehl am Arbeitnehmer, Politik, Verbände und Gesellschaft Platz sind. Im Alterungsprozess gehen individuelle soweit verbinden, dass sie das Wirtschafts- und Unterschiede nicht zurück, sondern nehmen eher zu. das Sozialsystem für die anstehenden Heraus Zu dieser Heterogenität trägt bei, dass das Altern in forderungen zusammen umbauen werden. Die den verschiedenen Dimensionen der Person – der Rahmenbedingungen sind so zu gestalten, dass körperlichen, der seelischen, der geistigen und der das Selbstvertrauen der Einzelnen gestärkt sozialen Dimension – sehr verschiedenartig verläuft. Jörg Schwitalla (l.), Peter Neher (r.) wird und sie eigenverantwortliches Handeln als Altern ist nicht als eindimensionales, homogenes, einen neuen Entwicklungspfad verstehen, der sondern vielmehr als mehrdimensionales, komplexes Spielräume eröffnet für individuelle Freiheiten. Phänomen zu verstehen (Kruse et al., 2004; Kruse, Dazu zählt auch, die Menschen zur Offenheit 2009). Alter ist zudem anders zu definieren als frü- und Beruf, die über ein höheres Bildungsniveau und Weiterbildung ständig erneuern, sondern auch bereit her – der Blick auf die gestiegene Lebenserwartung über höhere intellektuelle, motivationale und finan sein, sich neue Wissensgebiete zu erschließen. verdeutlicht dies. zielle Ressourcen verfügen (Kruse et al., 2004). Wer die Aufgabe des lebenslangen Lernens in Angriff „Die Belastungen durch die Megatrends Die Gesellschaft von morgen benötigt deshalb ein nimmt, sollte von politischen Reformen unterstützt 4.2 Unternehmen und kommen daher, dass wir uns umstellen neues Bild des Alters wie auch des Alterns. Stärken werden. Diese Reformen können auf eine Entzerrung Arbeitgeberverbände müssen. Es gibt in der Bevölkerung leider und Kräfte der Älteren sollten in der Öffentlichkeit der Rushhour des Lebens hinwirken – jener fünf Die Unternehmen müssen sich in erster Linie auf starke Beharrungskräfte. Doch wenn thematisiert werden. Alte Menschen wollen als bis sechs Jahre umfassenden Lebensphase, in der die Veränderungen einstellen, die durch die Mega wir jetzt das Richtige tun, stehen wir am aktive Staatsbürger angesprochen werden, deren wichtige Weichen gestellt werden: die Entscheidung trends entstehen. Dies betrifft alle Bereiche eines Ende besser da. Und dafür ist das Roman Wissen, Erfahrung und Handlungsstrategien von der über die ökonomische Unabhängigkeit, die berufliche Unternehmens, angefangen bei der Anpassung an Herzog Institut da, wichtige und richtige Gesellschaft gebraucht werden und dazu beitragen Etablierung und die Familiengründung. veränderte Kundenwünsche über effiziente Produk- und vielleicht manchmal ungewöhnliche können, das Humanvermögen zu erhöhen (Kruse tionsmöglichkeiten im Kontext des internationalen Fragen aufzuwerfen – und nicht nur das, et al., 2004). Deutschland benötigt ein neues Verständnis von Wettbewerbs bis hin zur nachhaltigen Personalrekru- sondern auch zu bewirken, dass Antwor Bildung. In weiten Teilen der Bevölkerung und auch tierung und -entwicklung. Die Wettbewerbsfähigkeit ten kommen, und zwar nicht nur isolierte, Die Neuorganisation des Lebenslaufs – im Sinne unter Wissenschaftlern herrscht das Bild vor, dass auf den Gütermärkten kann durch ein hohes Maß an sondern geschlossene Antworten und einer Auflockerung der starren Abfolge von Aus- in der Ausbildungszeit das breite Fundament der Flexibilität gesteigert werden, die sich bereits heute in ganzheitliche Handlungsempfehlungen.“ bildung, Erwerbstätigkeit und Ruhestand – wird in Qualifikation gelegt wird, welches für das gesamte dem Ausbau von produktbegleitenden Dienstleistun- Randolf Rodenstock, Deutschland derzeit nur langsam und von einem Berufsleben ausreichen muss. Dieses Denken gen, der Stärkung der Kundenorientierung und dem Vorstandsvorsitzender des kleinen Teil der Bevölkerung umgesetzt. Vor allem greift zu kurz. In einer sich wandelnden Arbeitswelt Angebot maßgeschneiderter Lösungen zeigt. Außer- Roman Herzog Instituts e. V. jene Frauen und Männer integrieren bereits Lernen müssen die Beschäftigten nicht nur ihr Wissen durch dem werden Personalstrategien wichtiger werden, 22 23
Sie können auch lesen