Die These vom langen Gedicht. Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht
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Zeitschrift für Germanistik | Neue Folge XXX (2020), Peter Lang, Bern | H. 3, S. 594–608 M aximilian Mengeringhaus Die These vom langen Gedicht. Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht Im Herbst 1968 richtete das Literarische Colloquium Berlin ein Treffen deutsch- und schwedischsprachiger Autoren, Kritiker und Literaturwissenschaftler zum Thema „Erklärbarkeit oder Nicht-Erklärbarkeit der Welt als Axiom der Literatur“ aus. Beschlossen wurde die Tagung, deren Dokumentation bald darauf im LCB-Hausorgan Sprache im technischen Zeitalter erschien, mit dem Panel Probleme des langen Gedichts. Impulsgebend sollte ein Vortrag Lars Gustafssons über die Aporien der langen Gedichtform wirken. Die an Gustafssons Referat anschließende Diskussion offenbarte allerdings, dass einige der Anwesenden vielmehr ein Problem mit dem langen Gedicht hatten, als dass sie über dessen Probleme beraten wollten. Stellvertretend für das Unbehagen mag ein polemischer Zwischenruf Heiner Bastians stehen, seinerzeit Übersetzer US-amerikanischer Beat-Lyrik, der offensichtlich nicht bereit war, auf die poetologischen Anregungen seines Vorredners Walter Höllerer einzugehen: Wer hier immer noch vom ‚langen Gedicht‘ spricht, der sollte dies mit sich selbst tun. Ist es nicht so, daß jeder Beteiligte diesen Begriff zu seiner persönlichen Interpretation gemacht hat? Daß er nichts taugt, wissen wir doch spätestens seit den kuriosen Gedanken, die Herr Horst Bienek 1966 in der Zeitschrift Akzente zu diesem Thema dachte. Obwohl kein Mensch weiß, was das eigentlich ist, das lange Gedicht – ich erinnere, daß es etwa 500 Synonyme gibt: freilich eines haarsträubender als das andere –, wird auch hier dauernd davon gesprochen. Aber wenn man Ihnen zuhört, dann kann man bestenfalls eine riesige Angst davor bekommen.1 Bastians Unverständnis, das muss 50 Jahre nach besagter Tagung betont werden, artikulierte sich ausdrücklich im Hallraum einer Debatte, die die Nummer 2/1965 der Akzente zum „Thema: Lange Gedichte“ losgetreten hatte. Die Herausgeber Hans Bender und Walter Höllerer hatten ein Heft konzipiert, das nachhaltigen Eindruck auf ihre Zeitgenossen machte. Es war ihnen, zumal Höllerer, der in diesem Fall die treibende Kraft verkörperte, gelungen, die langen Gedichte als gattungstheoretischen Diskursgegenstand in die deutsch- sprachige Literatur einzuführen und sogleich zu etablieren.2 In einem umfangreichen Dossier präsentierten die Akzente Gedichte von: Peter Weiss, Peter Rühmkorf, Hans Carl Artmann, Horst Bienek, Günter Grass, Erich Fried, Uwe Greßmann, Guillevic, Andrea Zanzotto, Ivo Fleischmann, Jerzy S. Sito, Tadeusz Różewicz, Adam Ważyk, Nathaniel Tarn, Theodore Holmes, Philip Whalen3 1 Sprache im technischen Zeitalter (1969, 251). 2 Vgl. Höllerer (1964–1967). 3 A kzente (1965, Cover). © 2020 Maximilian Mengeringhaus - http://doi.org/10.3726/92167_594 - Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 Internationalen Lizenz Weitere Informationen: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht | 595 – und betonten mit dieser Auswahl nicht nur deutschsprachiger Gegenwartslyrik gleich- ermaßen Internationalität und Aktualität ihrer thematischen Schwerpunktsetzung. Dass vor allem Walter Höllerers Name eng mit der Rede über die langen Gedichte verbunden bleibt, verdankt sich weniger seinem glücklichen Herausgeber-Händchen als den sechzehn Thesen zum langen Gedicht, dem programmatischen Kernstück des Hefts. Obwohl die gerade einmal zwei Druckseiten füllenden Stichpunkte Höllerers von der Kritik mitunter vorschnell als literaturbetrieblicher Publicity Stunt oder lyriktheoretische Hütchenspielerei abgetan wurden, handelt es sich doch um so etwas wie das Gründungsmanifest des deutschspra- chigen langen Gedichts bzw.: Langgedichts, wie es sich als Terminus im Lauf der Dekaden durchgesetzt hat. Die anekdotische Mythenbildung zumindest, die unmittelbar nach der Veröffentlichung der Akzente 2/1965 und der darin enthaltenen Thesen zum langen Gedicht einsetzte, untermauert diesen Status gebührend. So verfasste Johannes Bobrowski als eines seiner letzten Gedichte das Epithalamion Thesen zur langen Liebe für Walter Höllerer und Renate von Mangoldt zum 30. Juni 1965.4 Friedrich Christian Delius hingegen resümiert in seinen biographischen Skizzen über den Alltag im Sommer des Wahljahres: Prosa vorantreiben, Nono hören, Fahrschulprüfungen absolvieren, sich gegen die SPD-Panik und den Grass-Horror der Großeltern wehren und die Mutter wegen Willy Brandt beruhigen, ein langes Gedicht gegen die langen Gedichte schreiben, Tucholsky studieren, Buster Keaton sehen.5 Tatsächlich war es Höllerer gelungen, der bundesrepublikanischen Literaturlandschaft einen Floh ins Ohr zu setzen, den sie so schnell nicht mehr loswurde, wie auch Helmut Böttiger zu berichten weiß: Der Höhepunkt war 1967 erreicht. Immer noch sprachen alle von der Nummer der Zeitschrift Akzente mit ‚Langen Gedichten‘, die Walter Höllerer 1965 herausgebracht hatte, und seine Ver- anstaltungsreihe in der Berliner Akademie der Künste ‚Ein Gedicht und sein Autor‘ war das Ereignis der Saison. Dieter Hildebrand schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 15. Januar 1967: Was Höllerer anfaßt, gelingt ihm. Sogar noch die Bonmots, die andere über ihn machen, gelingen ihm. Am Mittwochabend, dem ersten Neujahrstermin der Fernsehlesereihe ‚Ein Gedicht und sein Autor‘, kursierte der Satz, den Arnfrid Astel in einer Diskussion gesagt haben soll: ‚Zur Hölle mit den kurzen Gedichten, zu Höllerer mit den langen.‘6 Dass die langen Gedichte einen anhaltenden Hype entfachten und nicht rasch nach ihrer Proklamation wieder in Vergessenheit gerieten, hat seine Gründe in der angeregt geführten Debatte, die über die Thesen zum langen Gedicht und deren Zielsetzung ausgefochten wurde. Im Rückblick – aus Anlass von Höllerers 65. Geburtstag im Dezember 1987 – fasste Peter Rühmkorf die ambivalenten Reaktionen auf dessen poetologischen Vorstoß 4 Bobrowski (2017, 352–354). 5 Delius (2014, 21). 6 Böttiger (2005, 7). Das digitale Archiv der FAZ gibt als Erscheinungsdatum von Hildebrands Artikel den 16.1.1967 an. – Bei dem kolportierten Satz Arnfrid Astels handelt es sich augenscheinlich um das zur Floskel heruntergebrochene Gedicht Ernst Jandls zum höll (3.3.1966 ) aus dem band der künstliche baum, s. Jandl (2000, Bd. 4, 86). Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
596 | Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht bündig zusammen, indem er auf die fast schon schismatische Lagerbildung in Gegner und Fürsprecher der Thesen hinwies: Es ist jetzt fast ein Vierteljahrhundert her, daß Walter Höllerer am damals noch ziemlich vernagel- ten Utopiehorizont ein neues lyrisches Lebewesen ausmachte: das lange Gedicht. Was einem Teil der Szeneberichterstatter zunächst eine bloße Chimäre schien – eine Kreuzung vielleicht zwischen Midgardschlange und Windkanal – wurde von anderen Literaturfreunden allerdings mit freudigen Heureka-Rufen begrüßt. Genau so hatten sie sich den Ausbruch aus dem Trappistenkloster der Weltverneinungspoesie immer vorgestellt.7 Rühmkorfs Erinnerungen sind in mehrerer Hinsicht aufschlussreich. Zunächst einmal wird Höllerer vielleicht nicht die Erfindung, aber zumindest die Entdeckung des langen Gedichts zugeschrieben. Zugleich kommt Rühmkorf wenig später nach oben angegebenem Zitat auf seine persönliche Situation 1965 zu sprechen: Zum Erscheinungszeitpunkt der zweiten Akzente des Jahres habe er als Stipendiat der Villa Massimo in Rom, noch ohne Kenntnis von Höllerers Thesen, an Gedichten gearbeitet, die eine ähnliche Stoßrichtung wie diese verfolgten.8 Aller poetologische Pionierleistung zum Trotz, die er Höllerer zugestehen will, suggeriert Rühmkorf somit doch auch, das lange Gedicht habe gewissermaßen in der Luft gelegen oder, um das von ihm verwendete Bild aufzugreifen, am Horizont gedämmert, sichtbar für all jene, die aus dem „Trappistenkloster der Weltverneinungspoesie“ ausbrechen und der deutschsprachigen Lyrik neue Wege aufzeigen wollten. Höllerer selbst hatte das lange Gedicht bereits seit einiger Zeit vor Augen.9 Sein Aufsatz Nach der Menschheitsdämmerung. Notizen zur zeitgenössischen Lyrik von 1954, im Gründungsjahr der Akzente und in deren fünfter Nummer erschienen, thematisiert die hermeneutischen Herausforderungen, vor welche die Leserschaft zeitgenössischer Lyrik sich gestellt sieht. Gerade „[w]o ein größerer, zyklischer Zusammenhang versucht wird, tauchen noch erheblichere Schwierigkeiten des Verstehens auf“, merkt Höllerer gegen Ende seiner Ausführungen an. Es besteht ja nicht mehr eine geschlossene Fabel und nicht mehr ein Thema, das von einem Anfang zu einem Ende hin abgehandelt wird. Der größere Zusammenhang kann nur noch durch Konfi- guration solcher Einzelzustände uns inselhaft gesetzter Zeichen vollzogen werden, im Wechsel der Perspektiven; im Voraus- und Zurückbeziehen; im Abbrechen und Wiederaufnehmen.10 Obschon Höllerer hier noch von zyklischen Zusammenhängen spricht, wird deutlich, dass es ihm grundlegend um lyrische Arbeiten größeren Umfangs – lyrische Großprojekte sozusagen – geht. Als Exempel für seine Beobachtung nennt er schließlich T. S. Eliots The Waste Land, das er in den 1950ern mit ihrer Begeisterung für den Literaturnobelpreisträger von 1948, 7 Rühmkorf (2001, 223). 8 Vgl. Rühmkorf (2001, 224). Eines der Gedichte, die Rühmkorf in diesem Zusammenhang nennt, Gruß aus Rom, wurde passenderweise und sicher nicht zufällig in eben jener Nummer erstgedruckt, vgl. A kzente (1965, 112 f.). 9 Vgl. Böttiger (2005, 111–121), der sich allerdings auf die – zweifellos bedeutende – Auseinandersetzung Höllerers mit der US-amerikanischen Lyrik beschränkt. 10 Höllerer (1992, 46). Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht | 597 dessen Werke nun in rascher Folge übersetzt wurden, als einigermaßen bekannt voraus- setzen konnte (die rezenteren Four Quartets unterschlägt er).11 Als Äquivalent in der Prosa nennt Höllerer zudem James Joyce, und mit Ezra Pound zitiert er einen dritten Autor, der ihn deutlich in Wahlverwandtschaft mit einer ganz bestimmten Spielart der Moderne stellt, von der er seine poetologischen Schlüsselbegriffe ‚Augenblick‘ und ‚Epiphanie‘ bezieht.12 Die Kontinuität dieser Konzepte ist insofern beachtlich, als Höllerer in seinem Aufsatz von 1954 mit zentralen Aspekten von Hugo Friedrichs zwei Jahre später publizierter Struk- tur der modernen Lyrik übereinstimmt, wenn er diese nicht sogar vorausnimmt. Im Werk Charles Baudelaires erblickt er zu dieser Zeit die Begründung der modernen Lyrik, welche er maßgeblich über „negative Merkmale“ zu definieren sucht – ganz ähnlich wie Friedrich es mit seinen „negativen Kategorien“ kurz darauf und mit ungleich größerer Popularität unternahm.13 Das von Höllerer herausgegebene Kompendium Theorie der modernen Lyrik hingegen, wie das Akzente-Heft zu den langen Gedichten 1965 erschienen, wird nicht nur Friedrichs Zeitrahmen Von der Mitte des neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahr- hunderts sprengen, sondern das Vorzeichen der Definition ex negativo umkehren.14 Mit den Vorarbeiten zur Theorie der modernen Lyrik hatte Höllerer bereits begonnen, als er am 27. Juli 1962 Shepard Stone von der Ford Foundation sein Exposé für die Gründung des Literarischen Colloquium Berlin unterbreitete.15 Das Finanzierungsgesuch war bekanntlich erfolgreich, und so konnten einige der Pläne „für Kurse wie auch für öffentliche Veranstal- tungen“, die Höllerer Stone aufgelistet hatte, in den kommenden Jahren realisiert werden. Das Thema „Kurzformen und Langformen in der Lyrik“, von dem er schrieb, behielt er sich allerdings für die Akzente vor.16 Als er dort seine Thesen zum langen Gedicht vorstellte, hatten seine Überlegungen zum langen Gedicht die bloße Opposition zum kurzen längst überwunden: „Das lange Gedicht, so wie es hier verstanden wird, unterscheidet sich nicht nur durch seine Ausdehnung von den übrigen lyrischen Gebilden, sondern durch seine Art sich zu bewegen und da zu sein, durch seinen Umgang mit der Realität.“17 So lautete die erste der insgesamt sechzehn The- sen, die Höllerer inmitten der vielen Gedichte im Heftinneren fast schon versteckte. Die unauffällige Platzierung seines Beitrags war bereits ein Statement: Hätte Höllerer seine Notate als Auftakt den Gedichten vorangestellt, wäre der Eindruck verstärkt worden, es 11 Vgl. Boecker (2007), Gallus (2016). 12 Die Bedeutung der ‚Augenblicke‘ und ‚Epiphanien‘ für das moderne Gedicht betont Höllerer auf halber Strecke zu den Thesen zum langen Gedicht in seinem 1959 gehaltenen Vortrag Lyrik heute nochmals deutlich; vgl. Höllerer (1959, 18), dazu Hehl (2012). 13 Vgl. Höllerer (1992, 37–39), Friedrich (1992, 19–23). 14 Vgl. Höllerer (1965). Mit der 9. Auflage 1966 änderte Friedrich den Untertitel seiner Studie Von Baudelaire bis zur Gegenwart in Von der Mitte des neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Ein Jahrzehnt nach der Veröffentlichung hatte sich das Buch bereits über 90.000mal verkauft. – In seinem Nachwort zur erweiterten Neuausgabe von 1985 verweist Jürgen v. Stackelberg ausdrücklich auf das Langgedicht als lyrik- theoretische Leerstelle in Friedrichs Überlegungen, vgl. Friedrich (1992, 295). 15 Vgl. Höllerer (1962). 16 Höllerer (1962). Ebenfalls zit. bei Böttiger (2005, 166). Zur Gründungsgeschichte des LCB vgl. Hehl (2013). 17 Höllerer (1977a, 7). Ich zitiere nach Bender, K rüger (1977), da dieses Kompendium die zunächst maßgebli- chen Debattenbeiträge griffig versammelt. Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
598 | Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht handele sich um eine normativ-bindende Begriffsdefinition. Die auf ein solches Programm folgenden Gedichte wären zwangsläufig mit den Thesen wie mit einer Checkliste abgegli- chen worden. Spezifische Textmerkmale hätten einer Überprüfung mit dem aufgestellten Kriterienkatalog standhalten müssen. Die Frage, ob es sich bei einem Gedicht überhaupt um ein sogenanntes langes handele, hätte die Lektüreerwartung maßgeblich gesteuert. Um keine Lesarten vorzugeben, verzichteten die Akzente unter Bender und Höllerer zumeist auf einleitende und erläuternde Editorials. Fast immer eröffnete ein literarischer Text – einem Motto gleich – die Ausgaben. Die Akzente 2/1965 zum „Thema: Lange Gedichte“ wurden durch zwölf poetologische Zitate von Henri Michaux, William Carlos Williams, Ezra Pound, Apollinaire, Charles Olson, Filippo Tommaso Marinetti und Tadeusz Różewicz eingeleitet. Ähnlich heterogen in der Zusammenstellung wie die anschließenden Gedichte, firmierte dieser Kanon unter der bezeichnend uneindeutigen Überschrift Überlegungen, die für lange Gedichte gelten können.18 Doch so sehr Höllerer sich mühte, seine Thesen zum langen Gedicht nicht allzu prominent zu platzieren und statt ihrer die Ausgabe mit allgemein gehaltenen Bausteinen zu einer Poetik der modernen Lyrik zu eröffnen, konnte er beck- messernde Lektüren, die lediglich auf die Überprüfung einer Kongruenz zwischen seiner Theorie und den Gedichten aus waren, nicht verhindern. Dabei verwies die erste These mit der Formulierung „so wie es hier verstanden wird“19 unmittelbar auf ein spezifisches, aber keineswegs alleinige Gültigkeit beanspruchendes Verständnis des langen Gedichts, das den Thesen zum langen Gedicht zugrunde liege. Diese Klarstellung ist insofern beachtlich, als sie merklich eine dogmatische Lesart auszuschließen gedachte. Über dieses anfängliche Understatement hinaus präzisiert die erste These ihr textuelles Selbstverständnis in zwei weiteren Facetten: Mit dem Verweis auf die „übrigen lyrischen Gebilde“20 schlägt Höllerer das lange Gedicht dezidiert dem gattungstheoretischen Problem- bereich der Lyrik zu. Das lange Gedicht ist ein lyrisches Gedicht. Die Menge der lyrischen Gedichte bildet den Referenzrahmen der Thesen; von einer formalen oder strukturellen Ähnlichkeit zum Epos bspw. ist nicht die Rede. Mit seiner „Theorie“, wie sie eine Notiz aus den Vorarbeiten zu den Thesen zum langen Gedicht zweifach unterstrichen in Aussicht stellt,21 betreibt Höllerer also Lyriktheorie. Das wird deutlich, sobald die Differenz zu den übrigen lyrischen Gebilden markiert wird, von denen sich das lange Gedicht „nicht nur durch seine Ausdehnung“22 unterscheide. Höllerer suggeriert, dass die übrigen lyrischen Gebilde einen gewissen Textumfang für gewöhnlich nicht überschreiten. Das lange Gedicht verletzt dieses Paradigma, das Emil Staiger als Zusammenhang von lyrischem Stil und Kürze erst 1946 einflussreich reformuliert hatte, 23 bereits seinem Namen nach. Weiterhin war sich Höllerer im Klaren, dass er das lange Gedicht unter Wert verkaufte, würde aus- schließlich der Umfang an Versen zum konstitutiven Textmerkmal erhoben. Stattdessen 18 Beschlossen wurde das Heft durch die Marginalien „Anmerkungen zum Gedichtemachen“, s. A kzente (1965, U3). Zum Zusammenhang und der Genealogie der beiden Zitatkompilationen vgl. Höllerer (1964–1967), bes. 1,23, 1,24b, 2,8, 2,9, 2,14. 19 Höllerer (1977a, 7). 20 Höllerer (1977a, 7). 21 Vgl. Höllerer (1964–1967), 1,25. 22 Höllerer (1977a, 7). 23 Vgl. Staiger (1971, 18–21). Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht | 599 behauptete er, das lange Gedicht „unterscheidet sich nicht nur durch seine Ausdehnung von den übrigen lyrischen Gebilden, sondern durch seine Art sich zu bewegen und da zu sein, durch seinen Umgang mit der Realität“.24 Aufmerksame Leser der Akzente dürften sich bei der Erwähnung des Stichworts Realität an Höllerers Aufsatz Veränderung, der 1964 das gleichnamige Doppelheft 5/6 einleitete, erinnert gefühlt haben. Dort hatte Höllerer die literarischen Gattungen nach und nach auf ihre je spezifische Handhabung einer verstärkten „Problematik der gegenwärtigen Realitäts-Erfahrung“ abgeklopft.25 Auch hier war es ihm nicht darum gegangen, „[e]ine geschlossene Theorie der Veränderung festlegen zu wollen“, denn das „wäre ein Widerspruch in sich selber. Man träfe damit gar auf das Gegenteil von Veränderungs-Beschreibung: nicht auf Beweglichkeit, sondern Pedanterie.“26 Beweglichkeit forderten wenig später auch seine Thesen zum langen Gedicht, wie der Auftakt zur zweiten und längsten These zeigt: „Das lange Gedicht ist, im gegenwärtigen Moment, schon seiner Form nach politisch; Gegenbewegung gegen Einengung in abgegrenz- te Kästchen und Gebiete.“27 Damit war eine weitere Verortung vorgenommen, diesmal eine zeithistorische. Was Höllerer hier als „Gegenbewegung“ deklariert, sollte Systemgrenzen überwinden. „Sackgassen hier wie dort: ‚DDR‘ – durch ‚Materialismus‘ verknotete Idea- listen. ‚BRD‘ – durch ‚Idealismus‘ verbogene Materialisten.“ Das lange Gedicht derweil habe den nötigen Atem, „Marx- und Hegel-Aufgüsse abzuräumen, die Denkgefängnisse zu zerbröckeln, beharrlich den Ausdruck in neuen Anläufen für neue Verhältnisse zu fin- den.“28 Diese Sätze stammen aus eben jenem Jahr 1965, in dem die Studentenbewegung allmählich an Fahrt aufnahm. Deren Politikverständnis teilte Höllerer ebenso wenig wie dasjenige Hans Werner Richters, der in Höllerer zeitlebens einen „gänzlich unpolitischen Menschen“ gesehen hatte.29 In den Thesen zum langen Gedicht ist er das keineswegs – „im gegenwärtigen Moment“, Mitte der 1960er Jahre, sei das lange Gedicht „schon seiner Form nach politisch“. Die dritte These schlüsselt die Konnotationen von Höllerers litera- rischem Politikverständnis weiter auf: „Wer ein langes Gedicht schreibt, schafft sich die Perspektive, die Welt freizügiger zu sehen, opponiert gegen vorhandene Festgelegtheit und Kurzatmigkeit. Die Republik wird erkennbar, die sich befreit.“30 Zutage tritt eine Haltung, die mit einigen grundlegenden Gedanken aus Jacques Rancières dreißig Jahre später entstandenen Schriften zum Verhältnis von Politik und Ästhetik d’accord gehen dürfte.31 Auch in den Thesen ist die Aisthesis – in ihrer ursprünglichen Be- deutung als sinnliche Wahrnehmung – im Aufbegehren gegen ideologische Festlegungen nicht zu unterschätzen. An dieser Stelle rekurriert Höllerer auf sein duales Kernkonzept von Augenblick und Epiphanie, das er bereits in den 1950er Jahren via Eliot, Joyce und Pound entfaltet hatte. Die vierte These fordert entsprechend vom langen Gedicht eine umgesetzte Poetik der Fragmentierung und des Versatzstücks, „[d]ie Auseinandersetzung 24 Höllerer (1977a, 7). 25 Höllerer (1964, 389). 26 Höllerer (1964, 394–395). 27 Höllerer (1977a, 7). 28 Höllerer (1977a, 7). 29 R ichter (2004, 147). 30 Höllerer (1977a, 7). 31 Vgl. R ancière (2002) und (2008). Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
600 | Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht mit Augenblickselementen, mit den Überbleibseln aus der Summe der Wahrnehmungen in der geringfügigsten räumlichen und zeitlichen Ausdehnung“.32 Das lange Gedicht ist damit durchaus in die Pflicht genommen, ökonomisch mit diesen Augenblickselementen und Wahrnehmungen zu verfahren, nicht über ihrer Fülle ihre poetische Wirkung ab- zuschwächen. Entgegen diesem produktionsästhetischen Gebot zur Maßhaltung soll aus den verschiedensten Wahrnehmungen eine Welt aufgebaut werden, wie die fünfte These besagt. Dem in dieser Hinsicht episch anmutenden Totalitätsanspruch wird zugetraut, als Korrektiv einer überbordenden Subjektivität zu fungieren. These sechs nennt wiederum den „freiere[n] Atem“, der „im Versbau, im Schriftbild“ Gestalt annehmen solle und bereits in der zweiten und dritten These adressiert wurde.33 Deutlich schlägt hier das Gedankengut des Dichters und Dichtungstheoretikers Charles Olson durch, dessen Essay Projective Verse maßgeblich auf die Thesen zum langen Gedicht gewirkt hat. Olsons Einfluss auf Höllerers Poetologie der 1960er Jahre kann schlichtweg nicht überschätzt werden.34 Die folgenden Thesen sieben bis dreizehn bilden gewissermaßen die Stilfibel für die langen Gedichte, wie sie Höllerer vorschwebten. Die im Wortlaut beinahe praktischen Tipps wenden sich gegen den hohen Ton, fordern „[a]lle Feiertäglichkeit weg[zu]lassen“ und befürworten stattdessen Banalitäten. Zu vermeiden gilt es zuvörderst „[d]ie erzwungene Preziosität und Chinoiserie des kurzen Gedichts!“ Höllerer vertritt hier, wo er gewisser- maßen seinen persönlichen Teufel aufs Blatt malt, gegenüber dem angeblichen Manieris- mus des kurzen Gedichts die Vorstellung vom Gedicht als Kommunikationssituation, das „Verbindungen zwischen Gegenstand, Leser, Autor, Gedicht“ zu stiften vermag.35 Daher, verfeinert mit einer Prise Ideologie- und Medienkritik, rührt auch der Sprachbegriff, wie er in These zwölf umrissen wird: „Die Sprache dient zur täglichen Verständigung über bekannte Bedürfnisse. Die Sprache dient zur Definition noch kaum bekannter Ausmaße. Das lange Gedicht stellt sich beidem, – Zerreißprobe des Satzes.“36 Das Gebot zur Syntax richtet sich zugleich gegen zunehmende Elliptik, wie Gottfried Benn sie 1951 in seiner Marburger Rede mit der Apotheose des Substantivs vertrat.37 Hatte Höllerers Akzente-Co-Herausgeber Hans Bender die Probleme der Lyrik einst zur Ars poetica für die junge lyrische Generation erklärt, hatten sich ein Jahrzehnt später die 32 Höllerer (1977a, 7). 33 Höllerer (1977a, 8). 34 In deutscher Übersetzung erschien Projective Verse 1965 sowohl in einer Ausgabe von Olsons Gedichten bei Suhrkamp als auch in der von Höllerer herausgegebenen Theorie der modernen Lyrik, vgl. Olson (1965, 105–120) und Höllerer (1965, 395–406). Olsons Werk war Höllerer seit den 1950er Jahren bekannt. In einer Einladung zur Gesprächsreihe Ein Gedicht und sein Autor für den Winter 1966, die Olson auch annahm, schrieb Höllerer: „Lieber Herr Olson, / ich möchte Sie sehr bitten, nach Berlin zu kommen. Sie wissen, daß ich seit der Heraus- gabe der Anthologie JUNGE AMERIKANISCHE LYRIK immer wieder versucht habe, für Sie ein größeres Publikum in Deutschland zu gewinnen. Ich halte ihre Gedichte und Ihre Theorien zum Wichtigsten, was zur Zeit auf diesem Gebiet geschrieben wird. Da, außer ihrem Aufsatz über den projektiven Vers, Ihre Theorien noch nicht übersetzt sind, könnten Sie für diesen vorzulesenden Essay auf weite Strecken bereits Vorhandenes zitieren.“ (Höllerer [1966, 8,6a]; grammatikalische Inkongruenzen und Rechtschreibfehler i. O.). 35 Höllerer (1977a, 8). 36 Höllerer (1977a, 9). 37 Benn (1989, 518–521). Die „Frage ob langes oder kurzes Gedicht“, stellt Benn wie nebenbei zwar auch, sieht in ihr allerdings eine „äußerst persönliche Frage“, womit sich das Thema für ihn erschöpft hatte (ebd., 511). Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht | 601 hermetischen Schreibweisen Höllerer zufolge in eine unmögliche Situation gebracht, die das Gesprächsangebot von Gedichten ernstlich bedrohe.38 Dieser Befürchtung verlieh er in der vierzehnten These Ausdruck: Berufe dich nicht auf ‚Schweigen‘ und ‚Verstummen‘. Das Schweigen als Theorie einer Kunst- gattung, deren Medium die Sprache ist, führt schließlich zu immer kürzeren, verschlüsselteren Gedichten; die Entscheidung für ganze Sätze und längere Zeilen bedeutet Antriebskraft für Bewegliches.39 Die Folgen der Tendenz zum Schweigen machte Höllerer in „der starrgewordenen Metapho- rik, der knarrenden Rhythmik, der bemühten Schriftbildschematik“ aus, wie er in der vor- letzten These kundgab.40 Einmal mehr setzte er der lyrischen Verknöcherung das Moment der Bewegung entgegen. Seinen Sechzehn-Punkte-Plan schloss er mit einem „Clou“, wie Helmut Böttiger zuspitzt, oder der „List des Kenners, der sich beim Bekennen ertappt“, wie Karl Krolow unterstellte:41 „Das lange Gedicht als Vorbereitung für kurze Gedichte.“42 Diese abschließende Volte sorgte für die meiste Verwunderung; selbst die Höllerer Wohl- gesonnenen konnten sich keinen rechten Reim darauf machen. Horst Bienek, über dessen Artikel Am Ende eines lyrischen Jahrzehnts? Unorthodoxe Gedanken zum ‚Langen Gedicht‘ sich Heiner Bastian so erbost gezeigt hatte, gestand seine Ratlosigkeit über den „denkerischen Salto mortale ‚das lange Gedicht als Vorbedingung für kurze Gedichte‘. […] Eine List? Eine Versöhnungsgeste?“43 Dabei hatte er selbst das bewusste Provokationspotential der ihn an Luther gemahnenden Thesen zu Beginn seiner (in der Tat ein wenig mäandernden) Darle- gungen herausgestellt.44 Darüber hinaus verwies Bienek auf den Kontext, in dem Höllerers poetologische Überlegungen stünden. Diese markierten das Ende einer Entwicklung, die zu Beginn der 1950er Jahre durch Lyrikbände von Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Günter Eich und anderen, auch durch den Lyriker Walter Höllerer, losgetreten worden sei, sich zur Mitte der 1960er allerdings leergelaufen habe. Das Attribut ‚kurz‘ bringe die Merkmale dieser in Rückbesinnung auf die Moderne-Rezeption in der Nachkriegszeit meist hermetisch genannten Schreibweise auf den Punkt, derweil auch das Beiwort ‚lang‘ nicht den rein bezifferbaren Umfang an Versen eines Gedichts bezeichne: „‚[L]ang‘ steht nicht für vielzeilig, sondern für offene, dialogische, weiträumige Form, für Beschreibung, für Hereinnahme der Wirklichkeit; ‚kurz‘ für Chiffre, Formel, Metapher, für Sinnbild der Wirklichkeit.“45 Dieser Zusammenfassung dürfte Höllerer en gros zugestimmt haben; die historische Analyse teilte er sicherlich. 38 Vgl. Bender (1955, 9). 39 Höllerer (1977a, 9). 40 Höllerer (1977a, 9). 41 Böttiger (2005, 120), K rolow (1977, 28). 42 Höllerer (1977a, 9). 43 Bienek (1977, 45). 44 Er folgte damit Höllerer (1977b, 29): „Thesen sind keine abwägenden Abhandlungen. Es sind Herausforde- rungen. […] Sie erheben keinen normativen Anspruch. Sie sind auf die gegenwärtige Situation bezogen. In ihrer Zuspitzung forderten sie zum Disput auf.“ 45 Bienek (1977, 44). Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
602 | Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht Im Nachwort zur Anthologie Theorie der modernen Lyrik, das er nochmals zur Bewerbung der langen Gedichte nutzt, legt Höllerer unmissverständliche Emphase auf den Zeitpunkt, der ihm für diesen Gedicht-Typ zu sprechen scheint: Die Entscheidung für lange Gedichte, und damit für lange Zeilen und ganze Sätze, bedeutet, in diesem Moment der festgefrorenen Theorie-Epoche, eine Antriebskraft in eine bewegliche Gedichtmöglichkeit hinüber, in der das Reden die Partikel der Substanz aufwirbelt und in das Gedicht hineinbringt.46 Das günstige Momentum betrachtet er dabei als Teil einer größeren, lyrikgeschichtsphilo- sophischen Dialektik. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts seien die Innovationen eindeutig von den kurzen Gedichten ausgegangen; der Imagismus Pounds sei ein schlagendes Beispiel dafür. Nun habe sich das Innovationspotential dieser Impulse allerdings überlebt. Es brauche neue, die Höllerer sich eben vom langen Gedicht verspricht. Dessen Beweglichkeit könne letztlich Wege für das kurze Gedicht aus „der starrgewordenen Metaphorik, der knarrenden Rhythmik, der bemühten Schriftbildschematik“ aufweisen, die Höllerer in seiner fünfzehn- ten These angeprangert hatte.47 Die Signifikanz des zeithistorischen Kontexts unterstreicht der Titel des Aufsatzes Gedichte in den sechziger Jahren. Antwort auf Karl Krolows Essay. Die Replik in Akzente 5/1966 war nötig geworden, nachdem Karl Krolow eine Nummer zuvor Das Problem des langen und des kurzen Gedichts – heute dargelegt hatte; ein Essay, der aus seiner Zeitbezogenheit ebenfalls keinen Hehl machte,48 obwohl Krolow der Status quo offensichtlich wie ein Déjà-vu vorkam. Viele der nun wieder aufgeworfenen Fragen seien in den 1950er Jahren schon einmal gestellt und von Celan, Eich, Grass oder Rühmkorf erfolgreich beantwortet worden. Andererseits konnte Krolow das Bedürfnis nachvollziehen, bspw. die Sinneswahrnehmung, so radikal sie im Gedicht nach 1945 in Zweifel gezogen wurde, wieder auf die lyriktheoretische Tagesordnung zu setzen.49 In den einleitenden Bemerkungen rekapitulierte sein Essay zuallererst Höllerers dichtungsbiographischen Hintergrund. Ohne ein fundierteres Verständnis dessen sei eine Bewertung von Höllerers Forderungen schwerlich möglich. Auf das anlassgebende lange Gedicht ging Krolow dabei kaum ein, schließlich sei auch die Causa kurz versus lang altbekannt und mitnichten so akut, wie Höllerer vorgebe. Es genügte ihm, wie nebenbei an ein Aperçu Charles Baudelaires zu erinnern, der in einem Brief vom 8. Februar 1860 geschrieben hatte: „Was die langen Ge- dichte betrifft, so wissen wir, was von ihnen zu halten ist. Sie sind die Zuflucht derer, die unfähig sind, kurze zu machen.“50 Die Lyrikgeschichte biete einen schier unermesslichen Fundus an derlei gegen die langen Gedichte gerichteten Spitzfindigkeiten, den Krolow nicht in Gänze zu zitieren gedenke. Es sei der Mühe nicht wert, schließlich sei nicht zu überlesen gewesen, dass Höllerer vom langen Gedicht spreche, wo er oftmals etwas Anderes meine. Eigentlich habe es ihm die Langzeile angetan: Der Fruchtbarmachung der Syntax für die 46 Höllerer (1965, 436). 47 Vgl. Höllerer (1977b, 35), vgl. auch Höllerer (1965, 436 f.). 48 Seinen Text hatte Krolow selbst an die Akzente geschickt. „Er will nicht gegen W. H. polemisieren!“, ließ Hans Bender Walter Höllerer über Krolows diesbezügliche Motivation wissen (Bender 1966). 49 Vgl. K rolow (1977, 10–13). 50 Zit. n. K rolow (1977, 15). Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht | 603 lyrische Poesie gelte seine Faszination.51 Deren Möglichkeiten aber überschätze Höllerer, wie er auch seine Stichwortgeber Olson und Różewicz zu hoch oder schlicht falsch bewerte.52 Aus Olsons Projective Verse lasse sich immerhin festhalten, dass es im Endeffekt um die Energie gehe, die ein Gedicht transportiere, um nichts Anderes. „Die Energieleistung“ schien Krolow derweil „beim kurzen Gedicht deshalb größer zu sein, weil in ihm die Placierung des einzelnen Wortes ungleich wichtiger und folgenreicher wird, und man den poetischen Konzentrationsvorgang auf eine besonders ergiebige und empfindliche Weise ausgebildet findet.“53 Nicht die ausgedrechselten Passagen eines Gedichts, die das einzelne Wort mit Sinn überfrachteten, seien eine Zumutung. Krolow drehte den Spieß kurzerhand um: „Poetische Largesse ist poetische Bequemlichkeit, die bereit ist, immer mehr im Gedicht unterzubringen als es tragen, ertragen kann.“54 Mit Höllerers Programmatik sei unversehens aus dem Gedicht so etwas wie eine gestopfte Gans, ein gemästeter Vogel geworden, gemästet mit allzu freizügiger Perspektive, erstickt am zu langen Sich-Einlassen mit Zusammenhängen, die über das Gedicht hinauswachsen, die es schließlich vor unverdauter Stofflichkeit platzen lassen.55 Was die Debatte zeige, seien keine wünschenswerten Perspektiven für die deutsche Dichtung, sondern deren anhaltende Verunsicherung. Solcherart Verunsicherung dürfte Höllerer willkommen gewesen sein, war sie im Prinzip doch Ausdruck eines Willens zur Veränderung, den er in der Literatur seiner Zeit auszumachen meinte. Krolows detaillier- te Kritik hatte allerdings manchen voreiligen Schluss der Thesen zum langen Gedicht zu bedenken gegeben. Nun wurde eine Replik vonseiten Höllerers erwartet. Immerhin war er quasi der Diskursbegründer und dazu noch Herausgeber jener Zeitschrift, in der die Diskussion eröffnet worden war und jetzt auch ausgetragen wurde. Um den Attacken seines Kontrahenten den Wind aus den Segeln zu nehmen, begann Höllerer seine Antwort rhetorisch gewieft mit einem Bescheidenheitstopos. Er redete die eigenen Ansprüche nachträglich klein: „Thesen sind keine abwägenden Abhandlungen. Es sind Herausforderungen.“ Nichts Anderes konnten demnach seine Thesen zum langen Gedicht gewesen sein: „Sie erheben keinen normativen Anspruch. Sie sind auf die gegenwär- tige Situation bezogen. In ihrer Zuspitzung forderten sie zum Disput auf.“56 Diese Eröffnung geriet freilich sehr defensiv. Auf gewisse Weise wirkte Höllerer irritiert; die stakkatohafte Selbstsicherheit seiner Thesen war passé. Ausreichend Anlass zum gewünschten Disputie- ren fand er in Krolows Essay trotzdem. So sprang er beherzt Tadeusz Różewicz’ bei, oder reklamierte die Dichtung Robert Creeleys, die Krolow zu eigenen Gunsten herangezogen hatte, im Umkehrschluss für seine Poetik. Welche Autoren dieser übrigens alles verpflich- tet seien, listete er ebenfalls auf.57 Ansonsten wiederholte Höllerer die Maximen seines bisherigen Standpunkts – im merklichen Bemühen, ihn dadurch klarzustellen. Abbauen 51 K rolow (1977, 17 u. 23). 52 K rolow (1977, 19–22). 53 K rolow (1977, 27). 54 K rolow (1977, 27). 55 K rolow (1977, 28). 56 Höllerer (1977b, 29). 57 Vgl. Höllerer (1977b, 37). Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
604 | Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht wiederum wollte er die Frontstellung zwischen langem und kurzem Gedicht. Zu diesem Zweck bilanzierte er, wofür diese Zuschreibungen in seinen Thesen stünden: Es ist also nicht der Gegensatz gemeint: hier ein Gedicht mit zahlreichen Zeilen, dort eins mit wenigen. Vielmehr wurde einem Gedicht die Sympathie erklärt, das nicht noch mehr in immer gewähltere oder immer abgestumpftere Metaphern gerät, in noch engeren Chiffren verkürzt wird; einem Gedicht, das für einen breiteren Sprachstrom offen ist, der in Bewegung gehalten wird von unseren Bemühungen uns zu verständigen, zusammenzukommen, zusammen zu leben, eine ‚mögliche Welt aufzubauen‘.58 Was sich nun wirklich eher wie eine Abhandlung las, ließ den ursprünglichen Schwung der Höllerer’schen Thesen vermissen. Aufschlussreich ist die Erwiderung dennoch, insbesondere zu Beginn. Dort gesteht Höllerer Krolow freimütig zu, ganz richtig erkannt zu haben, dass es beim langen Gedicht um einen „Gedicht-Typ“ gehe, der in der modernen deutschen Literatur, in einer seiner Ausprägungen von Arno Holz bekannt ist. Aber es gibt in der modernen deutschen Literatur nicht die ununterbrochene Reihe von geglückten ‚langen Gedichten‘ wie z. B. in der modernen amerikanischen und modernen russischen Literatur.59 Ausgerechnet Höllerer, der zuvor strikt auf das günstige zeithistorische Moment gepocht hatte, das für die langen Gedichte spreche, lieferte mit dem Hinweis auf deren Traditions- losigkeit in der deutschsprachigen Lyrik einen Einwand, dem er im Laufe der Jahre selbst Glauben zu schenken begann. In einem Vortrag zum Abschluss des ersten Lyrikertreffens in Münster im Jahr 1979 wird Höllerer seine einstigen Versuche zur nachhaltigen Popularisierung des langen Ge- dichts aus genau diesem Grund, dem Vorwurf der Traditionslosigkeit, für fehlgeschlagen erklären. Weil es im deutschsprachigen Literaturraum keine relevanten Vorläufer gebe, fasse das lange Gedicht innerhalb dessen Formenkanon nicht Fuß: „[U]nsere poetische Tradition kennt das lang-hinlaufende, bewegliche Sprechgedicht nicht so selbstverständlich wie die amerikanische Literatur mit ihrem Walt Whitman“.60 Arno Holz hatte dann doch nicht die Leaves of Grass geschrieben. Dass die Akzente 2/1965 anno dazumal sich selbst die Stiftung einer solchen poetischen Tradition des deutschsprachigen langen Gedichts zugetraut hat- ten, zumal auf dem vielsprachigen Grund der internationalen Lyrik, hatte der ehemalige Herausgeber wohl nicht mehr präsent. Weitere sieben Jahre darauf datierte Höllerer seine Thesen zum langen Gedicht irrtümlich rück auf das Jahr 1972. Dieser Lapsus relativiert sich ein Stück weit, sobald man den poetologischen Kontext betrachtet, den Höllerer ins Visier nimmt. In der Retrospektive leitet er seine Überlegungen nicht mehr aus einer Zeit wie den 1950er Jahren ab, deren überkommenem Lyrikverständnis sie zu widersprechen suchten. In den 1980er Jahren betrachtet er seine Thesen zum langen Gedicht offenkundig als Trittbrett der sogenannten und damals wie heute heftig umstrittenen Neuen Subjektivität.61 Diese im Vergleich zur gesellschaftspolitisch fokussierten Poesie der 68er „offenere, mitteilsamere 58 Höllerer (1977b, 30). 59 Höllerer (1977b, 29). Über seine Entdeckung von Arno Holz vgl. Höllerer (1986, 87). 60 Höllerer (1981, 21). 61 Vgl. Höllerer (1986, 92). Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht | 605 ‚neue Subjektivität‘, die wieder Platz hatte für das individuelle Bewußtsein und das spon- tane persönliche Erleben“,62 wie Michael Hamburger resümiert, war allem Anschein nach aber nicht das, was Höllerer sich erhofft hatte. Seine lyriktheoretische Zeitdiagnostik war schlechterdings von der Gegenwart überholt worden. Hat Gerhard Falkner im Rahmen einer Polemik von 2004 das letzte Wort gesprochen, als er bezweifelte, dass die „Thesen zum langen Gedicht eine viel längere Bahn als die vom ersten Stock des Literarischen Colloquium Berlin bis vorne zum Eingangstor am Sand- werder 5 gebrochen haben“?63 Ja und Nein. Beizupflichten ist Falkner sicher darin, dass man eine unmittelbare und produktive Auseinandersetzung mit den einzelnen Thesen in der Gegenwartslyrik – und das gilt für 2004 wie für 2020 – nicht ausmachen kann. An- dererseits hat Höllerer sich mit seiner aufwendig orchestrierten Kampagne für das lange Gedicht erfolgreich in die deutschsprachige Lyrikgeschichte nach 1945 eingeschrieben.64 Und es ist die Frage, ob seine Bemühungen nicht entschieden dazu beigetragen haben, das Langgedicht, wie es der Literaturbetrieb – in Person von Autoren, Kritikern sowie Literatur- wissenschaftlern – heute als selbstverständliche Vokabel im Mund führt, terminologisch zu verankern. Wobei eine eindeutige und verbindliche Begriffsdefinition weiterhin Desiderat bleibt65 – vielleicht sogar bleiben muss, wenn man Höllerers Fürsprache sowie die Gegen- reaktionen für symptomatisch erachtet. Höllerer hat das Langgedicht nicht erfunden, er fand es vor. Er orientierte sich an Proto- typen anstatt an gattungstheoretischen Begriffsbestimmungen.66 Der Bezug auf teils sehr unterschiedliche Vorbilder bot ihm zweifelsohne einen weiten Interpretationsspielraum für die Ausarbeitung der eigenen Thesen. Diese Freiheit wusste Höllerer zu nutzen und instanzi ierte eine Poetologie, die ihrerseits anschlussfähig für Fortschreibungen blieb. Es ist diese potenzielle Deutungsoffenheit des Langgedichts, die auch anderen Autoren vor und nach ihm nicht verborgen geblieben ist.67 Wenngleich Kontroversen um das kurze oder lange Ge- dicht im deutschsprachigen Literaturraum vor Höllerer zumeist ausschließlich den Umfang eines Gedichts diskutierten und damit weit unter den theoretischen Möglichkeiten blieben, die sich in der Debatte im Anschluss an die Akzente 2/1965 offenbarten, haben die Lyrik- produzenten diesbezüglich komplexere poetologische Fragen schon lange in ihren Gedichten verhandelt. Das ließe sich, um nur zwei zu nennen, anhand der Werke von Johannes R. Becher wie auch derer Yvan Golls nachvollziehen. Beide verfassten Gedichte, die im Ansatz bereits für die Idee eines lyrischen Großprojekts stehen, das sich im Spannungsfeld zwischen Buch, Epos, Essay, Kapitel, Poem, Roman in Versen und Zyklus bewegt. In der deutsch- sprachigen Gegenwartslyrik hat diese Tendenz noch einmal deutlich an Kontur gewonnen. Sie ist reich an Langgedichten, die nicht selten zu ihren Sternstunden gehören, wie Paulus Böhmers Zum Wasser will alles Wasser will weg, Elke Erbs Winkelzüge oder Ulf Stolterfohts holzrauch über heslach. Auch Gerhard Falkners Gegensprechstadt – ground zero ist hier zu 62 H amburger (1985, 436). 63 Falkner (2017, 309). 64 Vgl. Bormann (2006, 436); Korte (2004, 109); K nörrich (2001, 567); Schnell (2003, 311–313). 65 Vgl. Röhnert (2007). 66 Der Fokus auf Prototypen prägt auch in der angloamerikanischen Literaturwissenschaft weiterhin die meisten Definitionsversuche des „long poem“, vgl. Dewey (2014), Gardner (2012) u. K eller (1993). 67 Ähnliches lässt sich für das Prosagedicht festhalten, vgl. Bunzel (2005). Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
606 | Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht nennen, das laut Klappentext entschieden „[d]er Tradition der großen Langgedichte des 19. und 20. Jahrhunderts folg[t]“ – einer Tradition, deren Existenz damit bewiesen wäre.68 Literaturverzeichnis A kzente (1965), H. 2. Bender, Hans (Hrsg.) (1955): Mein Gedicht ist mein Messer. Lyriker zu ihren Gedichten. Heidelberg. – (1966): Brief an Walter Höllerer vom 14.3.1966. In: Redaktions-Korrespondenz „Akzente“, Litera- turarchiv Sulzbach-Rosenberg, 01AK/34852. –, K rüger, Michael (Hrsg.) (1977): Was alles hat Platz in einem Gedicht? Aufsätze zur deutschen Lyrik seit 1965. München. Benn, Gottfried (1989): Essays und Reden in der Fassung der Erstdrucke. Mit einer Einführung von B. Hildebrand. Frankfurt a. M. Bienek, Horst (1977, 39–45): Am Ende eines lyrischen Jahrzehnts? Unorthodoxe Gedanken zum ‚Langen Gedicht‘. In: Bender, K rüger (1977). Bobrowski, Johannes (2017): Gesammelte Gedichte. Hrsg. v. E. Haufe. Mit einem Nachwort v. H. Böttiger. München. Boecker, Bettina (2007, 139–154): „Zuspruch inmitten Sinnlosigkeit“. Zur Rezeption T. S. Eliots im Deutschland der Nachkriegszeit. In: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik, Jg. 55, H. 2. Böttiger, Helmut (2005): Elefantenrunden. Walter Höllerer und die Erfindung des Literaturbetriebs. Berlin. Bormann, Alexander von (2006, 435–452): Über die Lyrik zu den Zwecktexten. In: W. Barner (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. 2., akt. u. erw. Auflage, München. Bunzel, Wolfgang (2005): Das deutschsprachige Prosagedicht. Theorie und Geschichte einer literari- schen Gattung der Moderne. Tübingen. Delius, Friedrich Christian (2014): Als die Bücher noch geholfen haben. Biographische Skizzen. Reinbek b. H. Dewey, Anne Day (2014, 65–76): The Modern American Long Poem. In: W. Kalaidjian (Hrsg.): The Cambridge Companion to Modern American Poetry. Cambridge. Falkner, Gerhard (2005): Gegensprechstadt – ground zero. Gedicht. Idstein. – (2017, 299–314): Baumfällen – Zur Phänomenologie des Niedermachens in der deutschen Literatur- kritik am Beispiel Michael Brauns und des Bandes Lyrik von JETZT (2004). In: Ders.: Bekenner- schreiben. Essays, Reden, Kommentare, Interviews und Polemiken. Fürth. Friedrich, Hugo (1992): Die Struktur der modernen Lyrik. Von der Mitte des neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit einem Nachwort v. J. v. Stackelberg. Reinbek b. H. Gallus, Alexander (2016, 56–70): Traditionstransfer an der offenen Grenze des Geistes. T. S. Eliots ‚kultu- relle‘ Remedur in der deutschen politisch-intellektuellen Diskussion nach 1945. In: A. Schildt (Hrsg.): Von draußen. Ausländische intellektuelle Einflüsse in der Bundesrepublik bis 1990. Göttingen. Gardner, Thomas (2012, 813 f.): Modern Long Poem. In: The New Princeton Encyclopedia of Poetry and Poetics. 4. Ausgabe. Princeton. H amburger, Michael (1985): Wahrheit und Poesie. Spannungen in der modernen Lyrik von Baudelaire bis zur Gegenwart. Frankfurt a. M. Hehl, Michael Peter (2012, 45–53): Poetik der Institution. Walter Höllerers institutionelles Engage- ment und die Literatur der Moderne. In: kultuRRevolution 63. – (2013, 155–189): Berliner Netzwerke. Walter Höllerer, die Gruppe 47 und die Gründung des Lite- rarischen Colloquiums Berlin. In: A. Geisenhanslüke, M. P. Hehl (Hrsg.): Poetik im technischen Zeitalter. Walter Höllerer und die Entstehung des modernen Literaturbetriebs. Bielefeld. 68 Falkner (2005, Klappentext U4). Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht | 607 Höllerer, Walter (1959): Lyrik heute. Bad Homburg vor der Höhe u. a. – (1961–1965): Materialien zur Anthologie „Theorie der modernen Lyrik“ [11965]. In: Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, Nachlass Walter Höllerer, 03 WH / BJ. – (1962): Brief an Shepard Stone vom 27.7.1962. In: Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, Nachlass Walter Höllerer, 03WH/AA/59,33. – (1964, 386–398): Veränderung. In: Akzente 5/6. – (1964–1967): Materialien zum Akzente-Themenheft „Lange Gedichte“ [11965]. In: Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, Nachlass Walter Höllerer, 03WH / BI. – (1965, 419–439): Nachwort. In: Theorie der modernen Lyrik. Dokumente zur Poetik I. Reinbek b. H. – (1966): Materialien zur Anthologie „Ein Gedicht und sein Autor“ [11967]. In: Literaturarchiv Sulz- bach-Rosenberg, Nachlass Walter Höllerer, 03WH / BN. – (1977a, 7–9): Thesen zum langen Gedicht. In: Bender, K rüger (1977). – (1977b, 29–38): Gedichte in den sechziger Jahren. Antwort auf Karl Krolows Essay. In: Bender, K rüger (1977). – (1981, 13–31): Anmerkungen zur Autorenpoetik. – In: L. Jordan, A. Marquardt, W. Woesler (Hrsg.): Lyrik – von allen Seiten. Gedichte und Aufsätze des ersten Lyrikertreffens in Münster. Frankfurt a. M. – (1986, 85–102): Portrait Walter Höllerer. Ein Gespräch mit Ruth Lorbe. In: The German Quarterly, Jg. 59, Nr. 1. – (1992): Zurufe, Widerspiele. Aufsätze zu Dichtern und Gedichten. Hrsg. v. M. Krüger, N. Miller, S. Unseld. Berlin 1992. Jandl, Ernst (2000): Poetische Werke. Hrsg. v. K. Siblewski [11997]. München. K eller, Lynn (1993, 534–563.): The Twentieth-Century Long Poem. In: The Columbia History of American Poetry. New York. K nörrich, Otto (2001, 551–575): Bundesrepublik Deutschland. In: W. Hinderer (Hrsg.): Geschichte der deutschen Lyrik. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 2., erw. Auflage. Würzburg. Korte, Hermann (2004): Deutschsprachige Lyrik seit 1945. 2., völlig neu bearb. Auflage. Stuttgart, Weimar. K rolow, Karl (1977, 10–28): Probleme des langen und kurzen Gedichts – heute. In: Bender, K rüger (1977). Olson, Charles (1965): Gedichte. Aus dem Amerik. übertragen u. mit einem Nachwort versehen v. K. Reichert. Frankfurt a. M. R ancière, Jacques (2002): Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. Aus dem Franz. v. R. Steurer. Frankfurt a. M. – (2008): Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien. Hrsg. v. M. Muhle. Aus dem Franz. v. M. Muhle. 2., durchges. Auflage. Berlin. Röhnert, Jan Volker (2007, 419): Langgedicht. In: Metzler-Lexikon Literatur. Hrsg. v. D. Burdorf u. a. Stuttgart, Weimar. R ichter, Hans Werner (2004): Im Etablissement der Schmetterlinge. 21 Portraits aus der Gruppe 47. Mit Photos von Renate v. Mangoldt. Berlin. Rühmkorf, Peter (2001, 223–228): Dem ‚Langen Gedicht‘ ein langes Leben. Walter Höllerer zum 65. Geburtstag. In: Schachtelhalme. Schriften zur Poetik und Literatur. Werke 3. Hrsg. v. H. Steinecke. Reinbek b. H. Schnell, Ralf (2003): Geschichte der deutschsprachigen Literatur seit 1945. 2., überarb. u. erw. Auf- lage. Stuttgart, Weimar. Sprache im technischen Zeitalter (1969), H. 31. Staiger, Emil (1971): Grundbegriffe der Poetik [11946]. München. Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
608 | Maximilian Mengeringhaus: Walter Höllerer und das deutschsprachige Langgedicht Abstract Der Begriff Langgedicht ist gebräuchlich geworden: Autoren und Verlage, Kritiker und Literaturwissen- schaftler nutzen ihn heutzutage nahezu selbstverständlich. Gattungstheoretischer Konsens herrscht über das Langgedicht jedoch nicht, eine allgemeingültige und bindende Definition steht aus. Ein Blick auf die Debatte, die Walter Höllerer 1965 mit seinen Thesen zum langen Gedicht lostrat, soll die Schwierig- keiten, die mit jeder diesbezüglichen Definitionsbestrebung einhergehen, veranschaulichen – und auf eine Gedichtform und ihre Theoriebildung hinweisen, die bislang kaum erforscht worden ist. The term Langgedicht has by now become common in Germany’s literary scene: authors and publishers, critics and researchers use it on a regular basis. From the perspective of genre theory, however, there is no consensus on what a Langgedicht actually is or might be. A general definition has yet to be established. The difficulties in elaborating a binding definition are illustrated by a closer look on the debate triggered by Walter Höllerer’s Thesen zum langen Gedicht of 1965. The reconstruction of the debate shall also help to popularize this form of poetry and its theory formation. Keywords: Langgedicht, Lyrik nach 1945, Lyriktheorie, Poetologie Anschrift des Verfassers: Maximilian Mengeringhaus, Freie Universität Berlin, Friedrich Schlegel Graduiertenschule, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin, Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
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