Die Zukunft wird männlicher denn je - Frauen und Männer

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Die Zukunft wird männlicher denn je - Frauen und Männer
Unterwegs ins gelobte Land.

Frauen und Männer

Die Zukunft wird männlicher denn je
Von Linus Reichlin _ Der radikale Feminismus hat die Welt nicht weiblicher gemacht, im Gegenteil:
Nur wer männlich ist, darf noch Mensch sein. Das gilt auch für die Frauen.

Im Film «My Fair Lady» von 1964 singt Rex          weniger diskret «Chüngelstall». Was uns a­ lle     Mann schockiert Broccolis Ankündigung
Harrison aus Verzweiflung darüber, dass er die     so schockierte, war, dass Tante Vera eine nor-     nicht mehr: Ich habe mir zu lange auf Netflix,
Gedanken und Gefühle der Blumenverkäufe-           male Frau war, die alles tun dürfen wollte, was    Amazon und HBO Serien angeschaut, in d    ­ enen
rin Eliza Doolittle nicht versteht: «Why can’t a   ein Mann tun durfte. Und einiges von dem,          die Helden junge Germanistikstudentinnen
woman be more like a man?» In jener Zeit           was eine Frau tun durfte, wollte sie nicht mehr    sind, die je nach Genre mit dem Maschinenge-
­haben sich viele Frauen ähnliche Gedanken ge-     tun und nannte es Stereotype. Heute glaube         wehr oder der Wikingeraxt eins neunzig
 macht, zum Beispiel meine Tante Vera. Sie ent-    ich, dass ihre Veränderung uns deshalb so          grosse Männer abschlachten. Um bei «Vik-
 wickelte sich, vom Rest der Familie unbemerkt,    schockierte, weil wir irgendwie spürten, dass      ings» zu bleiben: In dieser Serie tummeln sich
 zu einer hartgesottenen Feministin, die eines     sie auf dem Holzweg war.                           auf den Schlachtfeldern mehr Frauen als in
 Tages an Heiligabend überraschend mit einer                                                          einem ­
                                                                                                      ­        Yogakurs. Sie tragen aufreizende
 Kurzhaarfrisur, in engen Männerhosen und in       Denkfehler rächen sich immer                       Brustrüstungen und führen Tante Veras
 Herrenschuhen vor dem Christbaum stand und        Heute würde ich sagen: Tante Vera machte           Kampf für die t­ otale physische Gleichberechti-
 sagte: «Ich werde dieses Jahr nicht mitsingen.»   ­einen Denkfehler, und zwar denselben wie          gung mit einer Brutalität weiter, die, wenn sie
   Diesen Traditionsbruch hätte meine Familie       Barbara Broccoli. Die Broccoli ist die Produ-     von Frauen ausgeübt wird, als Tugend gilt. In
 verstanden, wenn Tante Vera sich als Lesbin        zentin der James-Bond-Reihe, und in einem         fast jedem zeitgenössischen Blockbuster-Film
 geoutet hätte, das hätte man wenigstens noch       Interview erwähnte sie kürzlich die Möglich-      muss man sich sogenannte Rambolitas anse-
 unter dem Begriff «schwarzes Schaf» einord-        keit, dass der nächste James Bond eine Frau       hen, die all das tun, was früher Männer getan
 nen können. Aber sie war nicht lesbisch. Im        sein werde. Das würde Tante Vera gefallen,        haben. Sie schreien, sie fluchen, sie schneiden
 Gegenteil lebte sie kurz darauf mit zwei Män-      wenn sie nicht 1995 beim Versuch, sich in einer   Hälse durch – nur furzen habe ich bisher noch
 nern in einer WG in St. Gallen, die von den        Klinik in Bombay eine Prostata einpflanzen zu     keine gehört. Aber das wird noch kommen.
Nachbarn «Vogelhüüsli» genannt wurde oder           lassen, verstorben wäre. Mich als alten weissen   Denn die Rambolitas glauben wie Tante Vera,

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                                                                                                                 Bild: «The Promised Land» von Bo Bartlett, 1988 (zVg)
Die Zukunft wird männlicher denn je - Frauen und Männer
dass die Gleichberechtigung erst dann erreicht
ist, wenn alles Weibliche ausgemerzt ist. In
diesen Filmen sehen wir nicht Frauen, die wie
Männer handeln, sondern wir sehen Frauen,
                                                               Wenn Penisse Politik machen
die nicht wie Frauen handeln. In «Star Wars –                  Von Regula Stämpfli
Die letzten Jedi» könnte man die Rolle der jun-
gen Rey ohne die geringste Skriptänderung
mit ­einem Mann besetzen – der Zuschauer                        Erinnern Sie sich noch an Geri-Gate? SRF      (Heilsbringer Obama), dort das faule,
könnte keinen Unterschied feststellen. Das                      brachte im Sommer 2014 eine 24-stündi-        ­böse Mädchen – mediales Pech inklusive
Weibliche reduziert sich bei Rey vollkommen                     ge Totalberichterstattung inklusive            (Sexist Trump). Die Mechanismen, die
auf ihren Körper – das ist nicht gerade das, was                Extra-­«Club» zu den angeblichen Sex-          Obama feiern und Trump medial ver-
Feministinnen sich wünschen. Aber Denkfeh-                      Chats des links-grünen Politikers Geri         nichten wollen, sind aber ähnlich demo-
ler r­ ächen sich immer, und so unterscheiden                   Müller. 2016 wurde die damalige                kratieschädigend.
                                                                Chat-Partnerin verurteilt, im Moment             «Change» und «hope» klingen in lin-
Das Männliche hat sich im Zuge                                  läuft in dieser Angelegenheit noch ein         ken Ohren besser als «Make America great
                                                                weiteres Strafverfahren.                       again». Slogan bleibt indessen Slogan.
der «Befreiung der Frau» auf der                                   Alles in allem eine sprichwörtlich          Obamas Reden waren nachhaltig, sein
ganzen Linie durchgesetzt.                                      unappetitliche Geschichte, die ich mit         Freihandelsabkommen aber eine einzige
                                                                «Wenn Penisse sprechen, verstummt die          ökologische Katastrophe. Obama blieb bis
sich diese heldenhaften, maskulin handeln-                      Demokratie», auf den Punkt brachte.            zum Schluss ein Meister rhetorischer Ge-
den Frauen nur noch durch ihre Titten von                       Denn Geri Müllers Penis gestaltet keine        sinnungs-PR. Klar: Trumps Tweets zeu-
Sylvester Stallone und nicht durch die Art, wie                 künftige ­ Politik. Das schweizerisch-­        gen oft von abgründiger Dummheit. Doch
sie denken, reden und fühlen. Sie haben exakt                   chinesische Freihandelsabkommen, das           letztlich entscheiden die Taten – wie
dieselben Wünsche wie Männer, sind ebenso                       auch im Sommer 2014 verhandelt wurde,          Trumps Nein zum Freihandelsabkom-
ehrgeizig, ebenso kaltschnäuzig, und sie inte-                  indessen schon. Dazu gab es aber weder         men TTIP –, nicht die Worte oder gar der
ressieren sich für dieselben Dinge wie Männer,                  eine Live-­Berichterstattung noch einen        Stil.
denn es wäre irritierend, wenn sie nach einem                   «Club», noch eine «Arena».                       Obama machte leere Hoffnungen,
Feuergefecht sagen würden: «So, und jetzt                                                                      Trump lügt vielleicht. Beides ist irre­
möchte ich ein Kind!» Das Männliche hat sich                    Leere Hoffnungen und Lügen                     levant. Ebenso wie die sexuellen Präfe-
also im Zuge der «Befreiung der Frau» auf der                   «Geri-Gate» sagte eigentlich alles über        renzen von Obama oder Trump erst dann
ganzen Linie durchgesetzt.                                      den Niedergang des Qualitätsjournalis-         wichtig werden, wenn sie in Gesetze
                                                                mus. Wenn die privaten Eigenschaften           münden. Demokratie lebt nicht vom Stil,
Doppelt so gut wie die Männer                                   ­eines Politikers oder einer Politikerin       von Worthülsen oder Versprechungen,
Im realen Leben müssen die Frauen dank ­Tante                    ­höher gewertet werden als deren tatsäch-     sondern von der politischen Praxis. Ich
Vera und den Rambolitas nun gleich zwei                           liche Politiken, verkommt in einer De-       habe es als Bürgerin satt, via Medien
schwierige Anforderungen erfüllen: Sie dürfen                     mokratie alles zu Fake-­   N ews. Bestes     ständig unter der Gürtellinie informiert
keine «stereotypen» weiblichen Eigenschaften                      Journi-­Märchen: Der ­Abschied von Barack    zu ­werden.
mehr haben, und sie müssen alles doppelt so                       Obama und das Kommen von Donald
gut machen wie die Männer. Wie sollten sie da                     Trump. Hier das fleissige, brave Mäd-       Regula Stämpfli ist Politologin und Autorin. Sie lebt
noch gelassen und heiter sein! Wenn ihnen bei                     chen, das mit Gold übergossen wird          in Bern.
der Firmenweihnachtsfeier ein eigentlich ganz
netter, aber betrunkener Kollege die Hand aufs
Knie legt, finden sie das gar nicht so schlimm,
aber weil sie kein altmodisches Lieschen sein
wollen, treten sie auf Twitter trotzdem einen
                                                             Romantik siegt
Shitstorm wegen ­      sexueller Belästigung los.
                                                             Von Beatrice Schlag
Wenn ihnen ein Mann die Wagentür aufhält,
schämen sie sich ein bisschen dafür, dass ihnen
das gefällt. Und es ist keine Befreiung von der              Das Wort gibt es tatsächlich: die Nicht-­         les, amerikanischer Wortmix aus «mixed»
Befreiung in Sicht! Niemand will natürlich in                Beziehung als Alternative zur alten Zweier-       und «Singles», wollen sich alle Optionen
die Zeiten von «My Fair Lady» zurück. Aber                   kiste. Zwar tut man weitgehend dasselbe          ­offenhalten.
­eigentlich ist in der Mann-Frau-Sache auch nie-             wie früher, als häufiges Zusammensein               Früher brachen Mingles, die damals noch
 mand so richtig mit der Gegenwart glücklich,                noch Beziehung hiess. Man redet und schläft       nicht so hiessen, den Frauen das Herz. Denn
 ausser den Paartherapeuten, Beziehungs­                     miteinander, geht gemeinsam aus, lernt die        es waren vorwiegend Männer, die sich nicht
 coaches, Sexualberatern und Barbara Broccoli.               Freunde des andern kennen und freut sich          durchringen konnten, die Frau, mit der sie
 Letztere kann nur gewinnen: Wenn der Zeit-                  auf das nächste Wiedersehen. Man lässt im         seit Monaten oder Jahren weit mehr als eine
 geist sich ändern sollte und die Leute keine                Bad des andern sogar eine Dose Rasier-            Affäre hatten, als «meine Freundin» vorzu-
 Frauen mit Panzerfäusten mehr auf der Lein-                 schaum oder ­    e ine Packung Abschmink­         stellen. Im letzten Jahrzehnt sind die Mingles
 wand sehen wollen, kann sie die Rolle des Bond              tücher liegen. Mehr allerdings nicht. Vor         Millionen geworden und sind fast genauso
 auch mit einem Roboter besetzen – das ist viel-             ­allem aber verliert man kein Wort über das,      oft weiblich wie männlich. Therapeuten und
 leicht sowieso die Zukunft.                                  was sich da zwischenmenschlich gerade ab-        Soziologen beugen sich besorgt über das Phä-
                                                              spielt. Von gemein­samen Zukunftsplänen          nomen, das weder Nähe noch Verbindlichkeit
Linus Reichlin ist Schriftsteller und Weltwoche-Kolumnist.    nicht zu reden. Die Nicht-Beziehung soll         vorsieht. Den jungen Menschen, sagen sie, sei
Er lebt in Berlin.                                            frei sein von emotionalem Gepäck. Die Ming-                                   ››› Fortsetzung auf Seite 18

Weltwoche Nr. 02.18                                                                                                                                                   17
Die Zukunft wird männlicher denn je - Frauen und Männer
››› Fortsetzung von Seite 17
der Wunsch nach romantischer Liebe keines-
wegs abhandengekommen. Aber der wach-
sende ­Individualismus und Egoismus der Ge-
sellschaft, das unablässige Streben nach
Selbst­optimierung führten dazu, dass Ming-
les sich trotz Beziehung – oder eben Nicht-­
Beziehung – frei fühlen wollen. Denn irgend-
wo da draussen könnte ja ein noch süsserer
Honig­topf zu finden sein. Die Liebesfachleu-
te ­begrüssen Nicht-Beziehungen allenfalls
für frisch Getrennte und entsprechend Ange-

In unserem verkachelten
Mann-Frau-Verhältnis täte uns
eine Ruhepause gut.

schlagene, die sich amüsieren wollen, ohne
gleich das nächste D
                   ­ esaster zu riskieren. Alle
anderen, sagen sie, sollten Liebe und Nähe
wagen, mit allen Tiefen, die diese mit sich
bringen.                                            Der Wert des Mannes bemisst sich an seinem Einkommen.

Gesunde Auszeit vom Stressfaktor Liebe
 Warum eigentlich? Könnte es nicht sein, dass
 eine Ruhepause guttäte in unserem verka-
                                                    Feministisch lieben
 chelten Mann-Frau-Verhältnis? Wieso wird
                                                    Die Zukunft zwischen Mann und Frau? Ist hoffentlich nicht
 bei den Liebesplädoyers der Experten die
 Scheidungsrate souverän ignoriert, die seit
                                                    ­weiblich. Aber weiblicher, steht zu hoffen.Von Claudia Schumacher
 Jahren zwischen vierzig und fünfzig Prozent
 liegt? Von all denen nicht zu reden, die trotz     «Ich bin Feministin»: Den Satz habe ich vor ein         dass Frauen überhaupt eine Bildung, Bewe-
 unglücklicher Ehe aus Gewohnheit oder aus          paar Monaten das erste Mal gesagt. Ging mir           gungsfreiheit, Arbeit und ein eigenes Einkom-
 finanziellen Gründen zusammenbleiben.              schwer über die Lippen, hat ein wenig ge-             men erhalten. Afrikanische Feministen wollen,
    In den letzten Jahrzehnten hat sich rasant      schmerzt, aber danach: grosse Freude. Und jetzt       dass ihre Töchter – sofern diese zur Schule ge-
 viel im Verhältnis zwischen Männern und            meine ich es so ernst, dass ich sogar mit einem       hen dürfen – nicht zwölf Wochen pro Jahr auf-
 Frauen verändert. Beide Geschlechter haben         Feministen unter einer Decke stecke. Vom Saulus       grund ihrer Menstruation im Unterricht fehlen
 es im Schnitt nicht besonders gut verkraftet.      zum Paulus quasi, nur heisst der neue Mann            müssen. Und indische Feministen kämpfen
 Frauen wackeln zwischen Opferrolle, Über­          anders. Warum die dramatische Wandlung?
                                                    ­                                                     noch nicht gegen sexuelle Belästigung, son-
 legenheitsgefühlen Männern gegenüber und           Weil sie richtig ist und längst überfällig war. «We   dern dagegen, dass Frauen ungehindert und
 wütender Enttäuschung, dass alles so lang-         Should All Be Feminists»: Da hat die nigeriani-       straffrei vergewaltigt werden dürfen. In vielen
 sam vorwärtsgeht. Männer müssen nicht              sche Autorin Chimamanda Ngozi Adichie recht.          Ländern wollen Feministen auch einfach nicht,
 mehr Ernährer und Entscheider sein, dank           Und auch die Italienerin Maria Grazia Chiuri,         dass Frauen umgebracht werden, weil diese in
 Samenbank nicht einmal mehr Zeuger, was            die erste weibliche Chefdesignerin im Hause Di-       den Augen ihrer Brüder oder Väter den falschen
 sie selten als Erleichterung, sondern meist als    or, die Adichies Forderung auf T-Shirts druckte.      Geschmack bei Männern haben. Oder noch
 Amputation der ihnen zustehenden Aufgabe                                                                 ­banaler: bei Kleidern.
 empfinden.                                         Die Königin beschützt den König                           Der Feminismus im Westen ist weit gekom-
    oMeToo tritt gerade eine kulturelle Grund-      Feministen sind Menschen, die wollen, dass             men. Aber solange grobe Sexisten Weltmächte
 welle los, die Männer, die weder Vergewalti-       Frauen über ihre Identität, ihre Sexualität und        regieren, Lohnungleichheit besteht und Frauen
 ger noch Belästiger sind, also die grosse Mehr-    ihre reproduktiven Organe selber bestimmen             immer noch wie selbstverständlich den Löwen­
 heit, so ratlos wie zornig macht. Darf man         können. Die wollen, dass Frauen für gleiche            anteil im Haushalt und bei der Kindererzie-
 Frauen denn noch ein freundliches Kompli-          Arbeit gleichen Lohn erhalten und Familie              hung übernehmen, ist die Gleichberechtigung
 ment machen? Oder wird nun auch jedes              und Karriere unter einen Hut bekommen. Fe-             auch bei uns nicht realisiert. Und auch nicht,
 nicht strafbare Verhalten, das entfernt mit        ministen sind Frauen und Männer, die sich              ­solange der Wert von Männern allein an ihrer
 Erotik zu tun ­haben könnte, bis zur Sterilität    wünschen, dass auch Väter eine gute, liebevol-          Position auf der Karriereleiter und ihrem Ein-
 reglementiert? Worauf die Frauen sagen:            le Beziehung zu ihren Kindern entwickeln.               kommen bemessen wird und Männer sich als
 «Hä? Habt ihr gar nicht begriffen, wie mies        Und die wollen, dass diese Kinder im Schulun-           Väter in ihren Familien überflüssig fühlen. Die
 bisher unsere Chancen waren, uns gegen             terricht nicht mehr aufgrund ihres Geschlechts          traditionell höhere Selbstmordrate unter Män-
 männliche Übergriffe zu wehren?» Wie               in diesem oder jenem Fach abgeschrieben wer-            nern liesse sich vielleicht senken, wenn unser
 ­gesagt, es ist reichlich verkachelt. Vielleicht   den. Feministen möchten, dass Männer und                Verständnis von Stärke ein klügeres wäre. Und
  lassen uns Nicht-Beziehungen eine Weile           Frauen sich in Beziehungen auf Augenhöhe                wenn Frauen genug gestärkt wären, nicht nur
  durchatmen, bevor wir uns, hoffentlich ent-       erkennen. Und irgendwie bezweifle ich, dass             für sich selbst, sondern auch für ihre Männer
  spannter, wieder in den Wildbach Liebe            Liebe auf anderem Weg möglich ist. In vielen            einzustehen, wie die Königin im Schach, die den
­wagen.                                       g    Ländern der Welt wollen Feministen vor allem,           König beschützt, wenn er schwächelt. Warum es

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                                                                                                                             Bild: «America» von Bo Bartlett, 2007 (zVg)
trotzdem dreissig Jahre dauerte, bis ich sagen
konnte: «Feministin, das bin auch ich»? Weil
ich wie viele nicht alles unterschreiben kann,
                                                      Als wir noch einen Stab hatten
was unter dem Begriff «Feminismus» firmiert.          Eine Zukunftsvision. Von Markus Theunert
Mich nervt das, wenn irgendwo steht: «Die Zu-
kunft ist weiblich.» Ich will nicht, dass sie weib-
lich ist. Sie soll weiblich und männlich sein.        «Wie hiess das Wort, das wir früher benutzten?»,      ein «Liebesschwert» gar: So sagte man dem. Wie
   Lange Zeit hatte ich das Gefühl, das Identi-       fragt Max, während das Lagerfeuer die Tiefe der       ich Angst hatte, er sei nicht gross genug und blie-
tätsangebot des Feminismus sei darauf aus,            Furchen um seine Augen preisgibt. Wir schrei-         be nicht lang hart genug! Diese Enge. Diese Bür-
                                                      ben das Jahr 2038. «Ficken, meinst du?», frage        de. Dieser Druck. Wie arm unsere Vorstellungen
Rosa, Blowjobs, High Heels: ­                         ich. «Ja, genau: ficken», sagt er. Wir prusten los.   waren – damals, 2018 – und wie dürr und trostlos
                                                      Es ist nicht nur das Wort, das uns erheitert – die-   diese Jagd nach dem blossen Erguss, den wir für
Auch als Feministin finde ich                         ses Klang gewordene Hämmern, das wir damals           einen Orgasmus hielten. Die Lehrjahre waren
das alles noch gut.                                   für Sexualität hielten. Es ist die Komik unserer      hart. Als diese «hme too»-Geschichte anfing,
                                                      eigenen Existenz, an die uns dieser verstaubte        meinten viele Männer noch, sie könnten auch
Frauen zu vermännlichen und alles zu verun­           Begriff gemahnt. Wir liessen die Wogen der bit-       das aussitzen. Aber irgendetwas zerbrach da, un-
glimpfen, was der Vorstellung klassischer Weib-       tersüssen Heiterkeit abebben und schauten eine        widerruflich. Grenzverletzende alte Säcke waren
lichkeit entspricht. Wie Rosa, Blowjobs, High         ganze Weile schweigend ins Feuer. Ich hing mei-       plötzlich nicht mehr Männer im besten Alter,
Heels. Auch als Feministin finde ich das alles        nen Erinnerungen nach. Wie ich als junger Mann        sondern grenzverletzende alte Säcke. Und wir
noch gut. Und weder mein Feminist noch eine           dachte, der Penis sei ein Werkzeug und nicht ein      sahen uns einer nach dem anderen kippen, an-
andere Feministin hat sich bisher daran gestört.      hochsensibler Organismus mit Seele und Ge-
    Spätestens seit sich Frauen wie Taylor Swift      dächtnis. Ein «Stab» oder ein «Knüppel» oder                                       ››› Fortsetzung auf Seite 20
als Feministinnen begreifen, ist das Narrativ
vom Feminismus, der Mannsweiber schafft,
­ohnehin als Gruselmärchen enttarnt. Der Femi-
 nismus hat in seiner Amerikanisierung der letz-
 ten Jahre eine ordentliche Tracht Rosa verpasst
                                                          hMeToo von morgen
 bekommen. Das kann einem fast zu viel werden,            Absolute Ehrlichkeit befreit. Von Milo Moiré
 diese pinkfarbenen Pussyhats und so. Die frohe
 Botschaft ist aber, dass der Feminismus heute
 unter seinem Dach alle Menschen begrüsst, die            hMeToo! Auch ich habe mich hochge-                für ihren Mut zur Aufklärung nicht sankti-
 an der Gleichwertigkeit der Geschlechter und             schlafen! Nach all den Menschen, die über         oniert, ihre Kompetenz wird dadurch nicht
 an einer gerechteren Welt interessiert sind. Der         Belästigungen sprachen, die sie zurückge-         in Frage gestellt. Es kommt sogar der Ver-
 alte Vorwurf, Frauen wollten Opfer sein, ist             wiesen hatten, kommt vielleicht das: Über         gleich zum Sportler auf, der ebenfalls sei-
 Quatsch. Feministinnen machen sich nicht zum             Nacht häufen sich Meldungen von Frau-             nen Körper einsetzt, um seine Ziele zu errei-
 Opfer, wenn sie einfach die ihnen zustehende             en, vereinzelt auch von Männer­n, die ihre        chen. «Wie konnte es zu so viel Transparenz
 Hälfte der Welt für sich beanspruchen. Die               beruflichen Abkürzungen durchs Bett               kommen?», werden die Menschen sich
 ­Männer, die darüber jammern und sich kastriert          offenbaren. Sie posaunen heraus, was
                                                          ­                                                 dann fragen.
  fühlen, machen sich zu Opfern.                          ­viele bisher nur im Verborgenen prakti-              Im Zeitalter von Schein und Unsicher-
                                                           zierten, meist voller Scham. Alles wird          heit vertrauen wir vielleicht nur noch der
Sex mit Feministen                                         plötzlich beim Namen genannt.                    Authentizität und verlangen nach kom-
Ich glaube als Feministin, dass das Leben aus                 Im Spiel zwischen den Geschlechtern           promissloser Ehrlichkeit. Es entsteht
­einem Zusammenspiel von weiblichen und                    wird dann unabhängig von der beruflichen         ­irgendwie die Hoffnung, dass differen-
 männlichen Kräften besteht. Yin und Yang,                 Position Verantwortung für die eigenen            zierte Dialoge ohne Tabus zur gesell-
 weich und hart, Emotion und Ratio. Kann eine              ­Taten übernommen. Kein Detail wird ver-          schaftlichen Norm werden könnten. Die
 Frau in einer Beziehung die Vernunft besit-                                                                 eigene Ambivalenz wird nachvollzieh­
 zen, welcher sich der emotionalere Mann                  Wir vertrauen nur noch der                         barer, wenn nicht annehmbarer. Triebe
 beugt? Natürlich. Nicht alles, was Bart trägt,                                                              lassen sich schliesslich nicht einfach orga-
 ist innen mit Holz verkleidet. Nicht alles, was
                                                          ­Authentizität und verlangen                       nisieren.
 auf High Heels daherkommt, ist dominierbar.               kompromisslose Ehrlichkeit.                          Soll ich einen körperlichen Deal ein­
 Ich bin für die Annäherung der Menschen, für                                                                gehen, Sex zum Vergnügen haben oder
 ein besseres Verstehen und gelungene Kom-                schleiert, egal, ob Name, psychische und           den Typen klar in die Schranken weisen?
 munikation. Nicht für Gleichschaltung, son-              emotionale Verfassung, Beweggründe oder            Manche finden dadurch Halt in ihrer
                                                                                                             ­
 dern für Vielfalt. Das Gesetz der Anziehung              konkrete sexuelle Handlungen. Wie bei-             ­Geschlechterrolle, weil nicht nur Verfüh-
 wirkt magnetisch: Es beruht auf G­ egensätzen.           spielsweise bei Anne Jagd. Eine junge Frau          rungstechniken, sondern auch Abwehr-
 Als Feministin bin ich eine Frau, als Feminist           Mitte zwanzig, die sachlich ihre erotischen         strategien rege ausgetauscht werden kön-
 ist mein Freund ein Mann.                                Begegnungen während ihres Praktikums                nen. Was wäre, wenn absolute Ehrlichkeit
    Nicht zuletzt kann der Feminismus übrigens            mit dem einflussreichen Politiker Peter             nicht die nächste Empörungswelle, son-
zur sexuellen Offenbarung werden. Auch die                Dreifuss schildert. In den sozialen Medien          dern den Befreiungsschlag der Geschlech-
körperliche Liebe hat es nicht so mit Unterdrü-           erhält sie für ihre Ehrlichkeit Beifall. Oder       ter anstiesse?
 ckung, Respektlosigkeit, Schubladendenken                Johann Klee, ein ­Anwalt, der sich von seinen
 und Antagonismus. Am Ende der Frauenfeind-               zusätzlichen Einnahmen als Gigolo ein             Milo Moiré ist eine Schweizer Performancekünstlerin.
 lichkeit wird der weibliche Orgasmus sehr viel           ­Eigenheim finanzieren konnte. Sie werden         Sie lebt in Düsseldorf.
 wahrscheinlicher.​                          g
Weltwoche Nr. 02.18                                                                                                                                                19
››› Fortsetzung von Seite 19                               se ich. – «Schon verrückt», sinniert Max. «Was
fangs verschämt, später selbstbewusster, irgend-
wann ­beseelt. Wie wachgeküsst. Bis wir alle zu-
                                                           sich in zwanzig Jahren verändern kann. Was wir
                                                           nicht alles getan haben, um unsere S­ exualität zu
                                                                                                                   Vom Mann zum
sammen über die letzten Dinosaurier lachten,
die sich «charmant» wähnten und nicht merk-
                                                           entdecken. Ich kann mich fast besser an die Zeit
                                                           erinnern, als man im Kino noch rauchen durfte
                                                                                                                   Männchen
ten, wie alle anderen mit den Augen rollten.               als daran, wie wir Sex für ein Gut hielten, das zu      Bitte nicht. Von Peter Keller
  «Stundenlang Atmen üben», reisst mich Max                konsumieren unser gutes Recht sei.»
aus meinen Gedanken. «Die Rollenspiele: ‹Ich
bin mein Schwanz›», lache ich. – «Die Slow-Sex-                                                                     Vom Mann zum Sitzpinkler. In der Pension
                                                           Markus Theunert ist Leiter des Schweizerischen
Übungen . . . drei Stunden Verkehr ohne Bewe-              I­nstituts für Männer- und Geschlechterfragen (SIMG),    «Für dich» im Zürcher Trendquartier Kreis
gung.» – «Damals gab es auch noch Stau», grin-             der Fachstelle des Dachverbands Männer.ch.               4 weist ein Piktogramm den männlichen
                                                                                                                    Gast an, sich im gemeinsam genutzten Eta-
                                                                                                                    gen-WC nur ja brav hinzusetzen. Aus dem
                                                                                                                    stolzen Homo erectus soll ein sich hinkau-
     «Weinsteins wird es immer geben»                                                                               erndes Etwas werden. Schluss damit! Män-
                                                                                                                    ner, steht auf! Pinkelt aufrecht und gerne
                                                                                                                   ­daneben!
     Fünf Fragen an Karl Grammer
                                                                                                                      Als Studenten waren wir abends ebenfalls
                                                                                                                    im Kreis 4 unterwegs, der damals noch von
     68er, das dritte Geschlecht, hMeToo:                    lauf der Evolution erworben haben, ist                 Strassennutten und zwielichtigen Gestalten
     Kann sich eine Gesellschaft aus Sicht des               meiner Meinung nach sinnvoller. So haben               bevölkert wurde. Er war die dreckig-fas­
     Verhaltensforschers allein durch Reden                  Frauen etwa andere soziale Fähigkeiten,                zinierende Kehrseite des properen
     verändern?                                              fei­nere als Männer. Entsprechend benut-               Paradeplatz-­ Zürich. Mittlerweile hat die
       Über Biologie lässt sich nicht streiten: Wir          zen sie andere Führungsstile, die weniger              Dinkel-Laktose­i ntoleranz-Fraktion das
       leben als Männer und Frauen. Menschen,                ­hierarchisch und befehlend und eher ver-              Quartier keimfrei gentrifiziert. Wir kehrten
       die nicht klar in das Schema passen, bil-              netzt funktionieren.                                  damals gerne bei «Rizzi’s» ein, dessen
       den 2 bis 3 Prozent der Gesamtbevölke-              Warum gab es so lange Männer wie Har-                    gleichnamiger Besitzer sein Brusthaar stolz
       rung. Aufgrund dieser überaus kleinen               vey Weinstein?                                           zur Schau trug. Im WC waren die Pissoirbe-
       biologischen Minderheit vom Nieder-                    Solche Männer gab und gibt es, weil das               cken unten mit einem grünen Plastikgitter
       gang des Dualismus von Mann und Frau                   möglich ist. Testosteron beeinflusst das              ausgelegt. Darauf stand ein weisses Fuss-
       zu reden, ist abgehoben. Wenn Sie klei-                Denken – für Östrogen wurde das noch                  balltor. In der Mittel baumelte ­eine kleine
       nen Rhesusaffen Spielzeug geben, greifen               nicht nachgewiesen. Wenn manche Män-                  Kugel, die sich rot färbte, wenn Mann sie an-
       die weiblichen Äffchen zu den Affen-                   ner die Macht zum Missbrauch haben, be-               pinkelte. Tooor!
       püppchen und die männlichen zu moto-                   gehen sie ihn. Menschen, die sich sexuell an
       rischen Spielzeugen. Man kann hier                     anderen Menschen vergreifen: Das ist auch            Austreibung männlichen Verhaltens
       schwer argumentieren, dieses Rollenver-                biologisch eine männliche Geschichte. Im             Jenseits der humorigen Betrachtung bleibt
       ständnis sei sozial konstruiert. Viele Gen-            Tierreich lässt sich heftiger Sexismus beob-         die grundsätzliche Diagnose: Die Entmänn­
       der-Forscher begreifen die Grundlagen                  achten, der allein von Männchen ausgeht.             lichung der Gesellschaft ist in vollem Gange.
       der Biologie nicht. Die Hardware, die in               In der Verhaltensforschung wurde solches             Sie hat begonnen mit der Ausmerzung des
       uns drinsteckt, ist Millionen Jahre alt.               Verhalten als «­alternative Reproduktions-           maskulinen Sprachgebrauchs: Aus dem Leh-
     Aber die Realität der letzten Jahrzehnte                 strategie» b
                                                                         ­ ezeichnet – aber das darf man           rer wurde die Lehrperson, der Fachmann
     zeigt, dass wir nicht ewig auf Veränderung               heute nicht einmal mehr bei Tieren sagen.            wurde zur aseptischen Fachkraft kastriert.
     warten müssen nach einer Debatte. Es gibt                Aus meiner Sicht werden Männer morgen                Die Gendertheorie geht davon aus, dass es
     ja etwa zunehmend Frauen, die Karriere                   noch so übergriffig sein wie heute.                  keine biologischen Geschlechter mit natürli-
     machen, und Männer, die beim Kind sind.               Aber es gibt doch gute, monogame Männer!                chen Eigenschaften gibt, sondern dass Mann
       Klar, es ist natürlich oft nicht alles so ­binär,      Ja, es gibt alles. Die Frage ist, was die            und Frau soziale Konstruktionen sind. In
       wie es aussieht. Es gibt Männer, die eher              ­Gesellschaft zur Norm erhebt. Und an                der Gender-­Praxis geht es allerdings vor
       weiblich denken, und Frauen, die eher                   diesem Punkt haben die Gesellschafts­               ­allem um die Austreibung männlichen Ver-
       männlich denken, und dazu alle Zwi-                     debatten durchaus Macht. Einzelne                    haltens.
       schenstufen. In der Entwicklung sind viele              Weinsteins, die sich der Norm widerset-                  Auch die momentane Sexismusdebatte
       Faktoren wichtig, etwa die erste Hormon­                zen, wird es trotzdem immer geben.                   zielt auf die Negierung der männlichen
       umwelt während der Schwangerschaft                  Die Gender-Forschung, die Sie kritisieren,               ­Sexualität. Es geht hier nicht um die Vertei­
       oder das soziale Lernen im Kindesalter. Ich         ist tendenziell weiblich und politisch links              digung des Grabschers oder die Vernied­
       sage auch nicht, dass die gesellschaft­             geprägt. In Ihrer Wissenschaft gibt es hin-               lichung des Machtmissbrauchs. Aber die An-
       lichen Veränderungen, die wir im Westen             gegen vor allem konservative Männer?                     näherung an das andere Geschlecht ist i­ mmer
       seit Jahrzehnten erleben, schlecht sind.              Ideologie sollte man generell aus der Wis-             mit einer zeitweiligen Grenzüberschreitung
       Man kann auf u  ­ nterschiedliche Weise Kar-            senschaft heraushalten – auch wenn mir               verbunden. Würde jedes erste Nein der Frau
       riere machen, mit eher weiblichen und                   bewusst ist, dass das auch in meiner nicht           zum sofortigen Rückzug des Mannes führen,
       eher männ­lichen Stärken. Schwierig finde               ganz der Fall ist.                                   wäre ich nie geboren worden. Die Andersar-
       ich feministische Strömungen, die das                                                                        tigkeit der Geschlechter stellt ihre Gleich-
       ­Geschlecht an sich nicht anerkennen. Ein                                                                    wertigkeit nicht in Frage. Das Männchen ist
                                                           Karl Grammer ist Verhaltensforscher und Professor
        nachhaltiger Feminismus, der bewusst die           an der Universität Wien. Mit ihm sprach Claudia          keine Alternative zum Mann.
        Vorteile ausnutzt, die sich Frauen im Ver-         Schumacher.
                                                                                                                   Peter Keller ist Nationalrat (SVP).

20                                                                                                                                                       Weltwoche Nr. 02.18
diese Frauen nicht beschützen (können),
                                                                                                         ­Weicheier.
                                                                                                           Jede Attacke auf eine Frau zielt auch auf die
                                                                                                          Demütigung des (deutschen, westeuropäi-
                                                                                                          schen, metropolitanen) Manns. Ob der das
                                                                                                          schon gemerkt hat?
                                                                                                            Es ist das alte Lied: Der Vorteil liegt, ganz
                                                                                                          wie im Krieg, stets bei jenen, die die Regeln
                                                                                                          brechen. So siegte Napoleon.

                                                                                                         Angriff des Archaischen
                                                                                                         Klar, ich mag sie irgendwie auch, die total flui-
                                                                                                         den Männer mit den Wollmützen auf dem Kopf
                                                                                                         und dem Baby vor dem Bauch. Ich fürchte nur,
                                                                                                         dass dieses Rollenmodell dem Angriff des
                                                                                                         ­Archaischen nicht lange standhalten wird.
                                                                                                            Ganz offenbar blieben deutsche Frauen
                                                                                                          2017 zu Silvester in grosser Zahl zu Hause. Ist
                                                                                                          ja nur vernünftig – und zugleich die Bestäti-
                                                                                                          gung des Gesellschaftsbilds der Angreifer: Sie
                                                                                                          gehört ins Verborgene und ins Haus, die Frau.
                                                                                                            «Dekadenz» nennt man, wenn eine Gesell-
                                                                                                          schaft vergisst, dass ihre Sitten und Gebräu-
Triumph der Romantik.                                                                                     che vom Wohlwollen (oder von der Ignoranz)
                                                                                                          aller anderen abhängen (oder von fest ge-
                                                                                                          schlossenen Grenzen). Die «Barbaren» stehen
Freiwild und Weicheier                                                                                    wie so häufig in der Geschichte vor der Tür
                                                                                                          (nein, das ist keine rassistische Beleidigung),
Mit der Natur lässt sich nicht verhandeln. Von Cora Stephan                                               lachen über die sittliche Verfeinerung und
                                                                                                          bringen Archaisches ins Spiel: Männer rauben
                                                                                                          Frauen, wenn Männer sie nicht beschützen
In einem deutschen Nachrichtenmagazin                  die noch nicht so verfeinert sind wie deutsche     (können).
heisst es jubelnd: «Die alte, bipolare Welt, in        Grossstadtbewohner, die was mit Medien               Was bleibt? Die fluide Metropolenfrau lernt
der Männer noch Männer waren und Frauen                ­machen, lassen ungern mit sich verhandeln:        heutzutage besser Krav Maga, als sich auf den
nur Frauen, ist vorbei – und was heutzutage             Für viele neuerdings Eingewanderte mit dem        fluiden Mann zu verlassen.
‹normal› ist, muss neu verhandelt werden.»              entsprechenden «Hintergrund» ist eine Frau,
  Schade, dass sich mit der Natur nicht ver-            die sich lose bekleidet und sich ohne männ­      Cora Stephan lebt als Publizistin und Schriftstellerin
                                                                                                         in Oberhessen und Südfrankreich. Ihr jüngstes Buch,
handeln lässt, die das mit der «Geschlechter-           liche Begleitung auf der Strasse aufhält,        «Ab heute heisse ich Margo», erschien bei
polarität» angerichtet hat. Auch Menschen,              ­Freiwild – und die Brüder, Männer, Väter, die   Kiepenheuer & Witsch.

                                                                                                         gigkeit, gibt Selbstbewusstsein und Mut

     Auf Augenhöhe                                                                                       zum Protest – im Beruf wie im Privat­
                                                                                                         leben.
     Nach dem Protest kommt die Freude. Von Margit Osterloh                                              Eingespielter Umgang
                                                                                                         Sicher hat auch die weitere Verbreitung der
     Genies und solche, die sich dafür halten,         Sexuelle Übergriffe kannte auch damals jede       sozialen Medien seit 2006 die individuel-
     glauben häufig, gesellschaftliche Normen          aus ihrem Umfeld. Und man empfand das             len Kosten des Protestes gegen Machtmiss-
     gälten nur für andere. Einflussreiche Män-        nicht als Kavaliersdelikt. Dennoch schlossen      brauch gesenkt. Frauen merken, dass ihre
     ner sind besonders anfällig dafür. Wer da­        sich kaum Frauen dem öffentlichen Protest an.     Erfahrungen nicht singulär sind, und füh-
     gegen protestiert, hatte schon immer ho-             Auch wenn wir noch weit von der Chan­          len sich in der Legitimität ihres Anliegens
     he Kosten. Unverschämtheiten, verbale             cengleichheit der Geschlechter auf dem            bestärkt. Es ist einfacher, Protest gemein-
     und physische Übergriffe werden hinge-            ­Arbeitsmarkt entfernt sind, hat sich die Posi-   sam mit Tausenden zu twittern, als persön-
     nommen, wenn die Karriere auf dem Spiel            tion der Frauen heute in den reichen Ländern     lich jemanden anzugreifen.
     steht.                                             enorm verbessert, vor allem infolge ­besserer       Ein eingespielter Umgang der Geschlech-
       Dagegen hilft nicht moralische Entrüs-           Bildung. Sie hat Frauen aus dem permanen-        ter auf Augenhöhe wird auch bewirken,
     tung, sondern Unabhängigkeit durch eine            ten Zustand der Unterlegenheit befreit. So       dass groteske Formen der Political Correct­
     starke Wettbewerbsposition. Das dürfte             weisen sie in der Schweiz eine um mehr als 10    ness wieder verschwinden und spielerische
     entscheidend dafür gewesen sein, dass              Prozent höhere Maturitätsquote als die Män-      Erotik wieder Freude machen darf.
     «hme too» heute viel mehr Resonanz fin-            ner auf, in einigen Kantonen sogar eine um
     det als 2006, als die Aktivistin Tarana Bur-       mehr als 15 Prozent höhere. Bildung stärkt       Margit Osterloh ist emeritierte Ökonomie-Professorin
     ke den ersten «me too»-Hashtag lancierte.          die Wettbewerbsposition, reduziert Abhän-        an den Universitäten Zürich und Basel.

Weltwoche Nr. 02.18                                                                                                                                             21
Bild: «The Triumph of Romance» von Bo Bartlett, 2009
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