Die Zulässigkeit sozialer Kriterien im Vergaberecht - unipub
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Die Zulässigkeit sozialer Kriterien im Vergaberecht Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Public Administration im Rahmen des Universitätslehrganges „Parlamentarismus und Landespolitik“ eingereicht von Mag.a Theresia Metzenrath, LL.M. Ass. Prof. Dr. Klaus Poier Karl- Franzens- Universität Graz und UNI for LIFE September 2017 1
Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegeben Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version. Graz, den 12.9.2017 Mag.a Theresia Metzenrath, LL.M. I
Kurzfassung Der Staat ist kein Wirtschaftsakteur wie private Unternehmen oder auch Privatpersonen. Die öffentliche Hand hat eine große Marktmacht, so beträgt das Volumen der öffentlichen Hand in der gesamten Europäischen Union etwa rund 22% des Bruttoinlandsproduktes, das entspricht für Österreich einem Auftragsvolumen von rund 61 Milliarden Euro. Es gibt daher bereits seit längerer Zeit rechtliche Regelungen, die das Verhalten der öffentlichen Hand am Markt zum Inhalt haben. Diese Regelungen werden als Vergaberecht bezeichnet. Eine wesentliche Weiterentwicklung des Vergaberechts passierte aufgrund des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union. Das nationale Vergaberecht entwickelt sich kontinuierlich weiter, maßgeblich dafür sind meist EU- Verordnungen, die ins nationale Recht umzusetzen sind. Da die öffentliche Hand nicht nur die Verpflichtung hat, das beste Produkt zum besten Preis zu erwerben, sondern auch vergabefremde Ziele (wie etwa Umweltschutz, Senkung der Arbeitslosigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Integration benachteiligter Personen in den Arbeitsmarkt etc.) verfolgt, stellt sich die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit solcher Ziele. Entsprechend der derzeit gültigen Gesetzeslage und basierend auf gerichtlichen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes können im Rahmen eines „sozial verantwortlichen Beschaffungswesens“ und unter Beachtung der europarechtlichen Grundprinzipien der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung eine Reihe von Zielen verfolgt werden. Als Beispiele können etwa die Garantie menschenwürdiger Arbeit durch die Einhaltung von arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen, die soziale Eingliederung (auch von Menschen mit Behinderung) oder auch die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien genannt werden. Diese können etwa im Rahmen der Eignungsprüfung des Anbieters Niederschlag finden, sie können aber auch in der Beschreibung der zu vergebenden Leistung (auch in Form technischer Spezifikationen) oder bei den geforderten Ausführungsbedingungen berücksichtigt werden. Wenn das Bestbieterprinzip angewandt wird, können Sozialkriterien auch als II
Zuschlagskriterien verwendet werden. Auch wenn die Einhaltung von Sozialkriterien in den verschiedenen Phasen des Vergabeprozesses gefordert werden kann, so ist dies immer nur möglich, wenn die „Auftragsbezogenheit“ gewährleistet bleibt und den Anbietern schon vorab bekannt ist, welches Kriterium in welcher Phase des Vergabeprozesses zur Entscheidung über die Auftragsvergabe berücksichtigt wird. Anhand des praktischen Beispiels der Anwendung eines Sozialkriteriums bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Frauenförderung im Rahmen von Beschaffungen verschiedener Abteilungen des Magistrats Wien) wird abschließend gezeigt, dass der Spielraum des öffentlichen Auftraggebers groß ist; dass es aber am (politischen) Willen der öffentlichen Hand liegt, diesen auch zur Umsetzung „vergabefremder“ sozialer Zielsetzungen zu nützen. III
Abstract The state’s market role is in many ways different then that of private actors or enterprises, mainly because it’s market power is far bigger. The volume of public procurement in the European Union sums up to 22% of the gross domestic product. This corresponds to a volume of roughly 61 billions Euros in Austria. Therefore, legal regulations have been adopted that discipline the behaviour of the public sector as a market player; the public procurement laws. In the aftermath of Austria’s accession to the European Union, its national public procurement law corpus underwent profound changes. Its current evolution is mainly due to european regulations which have to be implemented in national law. As the public sector not only aims at acquiring the best product to the best price, but also follows directions that are not specifically market driven (e.g. environmental protection, reduction of unemployment rates, gender equality or the integration of discriminated individuals in the labour market), the question of the admissibility of those aims in the legal frame of the public procurement law becomes central. According to current legal reglementations and on the ground of the European Court’s jurisdiction, acceptable aims would fall in the frame of „socially responsable public procurement“ and should comply with the european principles of equal treatment and non-discrimination. For instance, one such aim would be the guarantee of humane working conditions by compliance to labour and social law, social integration (also of disabled persons) or the consideration of sustainability criteria. These aims can be pursued within the qualifiying examination of the tenderer, but can also appear in the specifications of the service or in the demanded conditions of accomplishment. When applying the best bidder principle, social criteria can be used as award criteria. While the compliance with social criteria can be required during the whole procurement process, commission relatedness has to be warranted and tenderers should be informed at the process beginning which criteria will be taken into consideration in which phase IV
of the award procedures. By the example of the application of a social criterion in the procurement process of a public commission (the promotion of women in the context of acquisitions by various departments of the city of Vienna), it can be shown that there is an ample margin of action for the public procurer. Still, the political will is needed to enact it in the application of social criteria, that might be far more political than pure market driven principles. V
Inhaltsverzeichnis Ehrenwörtliche Erklärung................................................................................. I Kurzfassung ..................................................................................................... II Abstract ........................................................................................................... IV Inhaltsverzeichnis ........................................................................................... VI 1 Einleitung ....................................................................................................... 8 2 Bedeutung und rechtliche Einordnung des öffentlichen Beschaffungswesens ...................................................................................... 9 2.1 Wirtschaftliche Bedeutung der öffentlichen Beschaffungen ...................... 9 2.2 Einordnung des Vergaberechts in das Wirtschaftsrecht ......................... 11 2.3 Notwendigkeit und Grundzüge des Vergaberechts ................................ 16 2.4 Entwicklung im europäischen Recht ....................................................... 19 2.5 Umsetzung ins österreichische Recht..................................................... 20 2.5.1 Die Ursprünge des Bundesvergabegesetzes: ..................................... 20 2.5.2 Österreich und der europäische Wirtschaftsraum ................................ 20 2.5.3 Innerstaatliche Kompetenzverteilung ................................................... 21 3 Soziale Kriterien im Vergaberecht ............................................................. 23 3.1 Was versteht man unter sozialen Kriterien im Kontext des Vergaberechts? ............................................................................................ 23 3.2 Definition von „Sozial- Kriterien“: ............................................................ 23 3.2.1 Vorteile sozialverantwortlicher Beschaffung (SRPP) ........................... 30 3.3 Ihre Verankerung im europäischen und innerstaatlichen Recht/ Judikatur ..................................................................................................................... 32 3.3.1 Verankerung im europäischen Recht................................................... 33 3.3.2 Europäischer Rechtsrahmen entsprechend den Richtlinien 2004/18/EG und 2004/17/EG ........................................................................................... 35 3.3.3 Ausgewählte EuGH- Rechtsprechung zu Sozialkriterien im Vergaberecht ................................................................................................ 35 3.3.3.1 RS Beentjes ...................................................................................... 36 3.3.3.2 RS Nord- Pas-de- Calais .................................................................. 37 3.3.3.3 RS Rüffert ......................................................................................... 40 VI
3.3.3.4 RS Wienstrom................................................................................... 41 3.3.3.5 Rs Concordia Bus Finland ................................................................ 41 3.3.3.6 Rs Unix/ Kommission vs. Königreich der Niederlande ...................... 42 3.3.3.7 RS Dundalk III/ Kommission gegen Irland ........................................ 42 3.3.3.8 Rs Nord Holland ............................................................................... 43 3.4 Zulässigkeit der Anwendung in den verschiedenen Phasen des Vergabeprozesses ........................................................................................ 45 3.4.1 Eignungsprüfung.................................................................................. 47 3.4.2 Leistungsbeschreibung/ Auftragsgegenstand ...................................... 51 3.4.3 Ausführungsbestimmungen ................................................................. 52 3.4.4 Technische Spezifikationen ................................................................. 55 3.4.5 Zuschlagskriterium............................................................................... 56 3.4.6 Änderungen durch die RL 2014/24/ EU ............................................... 57 3.4.6.1 Sozialkriterien als Zuschlagskriterien ................................................ 60 3.4.6.2 Ausführungsbedingungen ................................................................. 62 3.4.6.3 Technische Spezifikationen .............................................................. 63 3.5 Praktisches Beispiel der Anwendung eines Sozialkriteriums bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ....................................................................... 63 3.5.1 Stadt Wien: Frauenförderung und Gender- Aspekte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ..................................................................................... 63 4 Conclusio ..................................................................................................... 70 5 Literaturverzeichnis .................................................................................... 72 5.1 Rechtsquellen ......................................................................................... 72 5.2 Materialien .............................................................................................. 73 5.3 Entscheidungen ...................................................................................... 74 5.4 Dokumente der Europäischen Kommission ............................................ 74 5.5 Selbständige Werke................................................................................ 76 5.6 Beiträge in Zeitschriften .......................................................................... 77 5.7 Internetquellen ........................................................................................ 77 VII
1 Einleitung Die öffentliche Hand ist keine Wirtschafts- bzw. Marktakteurin wie alle anderen. Sie hat einerseits eine bedeutende wirtschaftliche Macht und verfolgt andererseits nicht nur rein wirtschaftliche Ziele. Es muss daher ein ganz besonderes Augenmaß auf die Kriterien, nach denen öffentliche Aufträge vergeben werden, gelegt werden. Der Staat hat hier die Verantwortung, seine Marktmacht nicht in diskriminierender oder willkürlicher Art auszunützen, da er ja im Interesse der ihn finanzierenden SteuerzahlerInnen zu handeln hat. Er muss daher auf transparente, dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechende Art wirtschaftliche Entscheidungen treffen, die auch einer Kontrolle im Rahmen eines effektiven Rechtsschutzsystems unterworfen sind. Diese Regelungen finden sich im Vergaberecht, das von europäischen Vorgaben bestimmt wird. Wirtschaftlich sinnvoll sind Entscheidungen, wenn das beste Produkt/ die beste Dienstleistung zum besten Preis beschafft wird (bestes Preis- Leistungsverhältnis). Bei der Entscheidung, welches Produkt bzw. welche Dienstleistung das bzw. die beste ist, verfolgt der Staat jedoch neben diesem wirtschaftlichen Ziel noch weitere, nicht rein wirtschaftliche Ziele. Diese betreffen etwa die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Er befindet sich daher immer im Spannungsfeld zwischen der Vorgabe, die betriebswirtschaftlich sinnvollste Entscheidung zu treffen und der Verfolgung seiner volkswirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Ziele. Es wird daher gefordert, dass der Staat entsprechende (per se „vergabefremde“) Kriterien in seine Entscheidungen mit einbezieht und das „Bestbieterprinzip“ entsprechend verstanden wird. Gerade wenn der Entscheidung für ein Produkt/ eine Dienstleistung aber nicht nur betriebswirtschaftlich nachvollziehbare Kriterien zugrundegelegt werden, dann ist auch die Gefahr von Willkür und Intransparenz erhöht. Es ist daher besonders wichtig, dass der Rahmen, in dem vergabefremde Kriterien zur Entscheidungsfindung angewandt werden, vorab geregelt wird. 8
In der geplanten Arbeit beschäftige ich mich mit der Frage, in wie weit die Anwendung von sozialen Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zulässig ist. Nach einer Einleitung, in der die Bedeutung des Vergaberechts dargestellt und die oben ausgeführten Überlegungen vertieft werden, wird die historische Entwicklung des geltenden Rechtsrahmens auf europäischer und innerstaatlicher Ebene dargestellt. Nach dem Versuch einer Definition sozialer Kriterien wird untersucht, in wie weit die Anwendung dieser Kriterien im Vergaberecht bisher sowohl im europäischen als auch im österreichischen Recht verankert ist. Da sich das österreichische Vergaberecht aufgrund der Notwendigkeit der Umsetzung europäischer Richtlinien gerade wieder in Veränderung befindet, werden auch die Regelungen im derzeit in Begutachtung befindlichen Entwurf zum „Vergaberechtsreformgesetz“ unter diesem Blickwinkel unter die Lupe genommen. Besonders interessant ist neben der Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit „vergabefremder“ Kriterien auch, in welchem Stadium des Vergabeverfahrens (Eignungsprüfung, Zuschlagserteilung, Vertragsabschluss) soziale Kriterien ausschlaggebend sein können bzw. dürfen. Zur Beantwortung dieser Fragen wird auch die Judikatur mit einbezogen. 2 Bedeutung und rechtliche Einordnung des öffentlichen Beschaffungswesens 2.1 Wirtschaftliche Bedeutung der öffentlichen Beschaffungen Das Wirtschaftsvolumen der öffentlichen Hand ist nur sehr schwer anhand konkreter Zahlen festzumachen. Genaue Daten sind schwer verfügbar, so spricht die Tageszeitung „Der Standard“ am 25.6.2015 von einer sehr hohen 9
Dunkelziffer öffentlicher Auftragsvergaben.1 So werden weniger als 20 % aller Vergaben veröffentlicht, davon seien auch rund zwei Fünftel unzureichend dokumentiert. Die Dunkelziffer öffentlicher Auftragsvergaben war auch Thema Schriftlicher Anfragen etwa der Grünen an Mitglieder der österreichischen Bundesregierung.2 Diese Anfragen wurden aber nicht ausführlich beantwortet, da es kein gemeinsames Register aller Beschaffungsvorgänge aller österreichischen Gebietskörperschaften und weiterer, den Vergaberechtsregeln unterliegenden Auftraggebern gibt. Nach § 44 Bundesvergabegesetz 2006 (BVergG) sind statistische Aufzeichnungen an das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zu übermitteln. Die entsprechenden Auswertungen sind aber nicht sonderlich ergiebig.3 Bekanntmachungen von Ausschreibungen müssen im Supplement (S) zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht werden.4 Dies ist aber erst ab bestimmten Schwellenwerten notwendig. 5 Daher stellen diese Daten nur einen sehr geringen Teil der gesamten Beschaffungsvorgänge der öffentlichen Hand in Österreich dar. 1 „Staat, öffne dich“, Der Standard, 25.6.2015 http://derstandard.at/2000017977431/Staat- oeffne-dich (abgefragt am 17.6.2017). 2 Anfrage der Abgeordneten Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend Vergabevolumen BMASK 2014-2015 https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_10373/fnameorig_561973.html (abgefragt am 17.6.2017). 3 Vizekanzler BMin Dr. Reinhold Mitterlehner, Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 10385/J betreffend "Vergabevolumen BMWFW 2014 und 2015" https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_09939/imfname_575566.pdf (abgefragt am 17.6.2017). 4 Das über die Adresse https://simap.ted.europa.eu/de/web/simap/european-public-procurement (abgefragt am 1.7.2017) verfügbar ist. 5 Information des Europäischen Parlaments „Aufträge und Finanzhilfen, Öffentliches Beschaffungswesen“, http://www.europarl.europa.eu/contracts-and- grants/de/20150201PVL00098/Ausschreibungen (abgefragt am 17.6.2017). 10
Auch wenn hinsichtlich der Daten keine exakte Angabe über die Höhe der Ausgaben im Rahmen öffentlicher Beschaffung zu erhalten ist, so ist es unbestritten, dass das öffentliche Beschaffungswesen wirtschaftlich von großer Bedeutung ist. Das Volumen der öffentlichen Auftragsvergabe besitzt sowohl in Österreich als auch in der gesamten Europäischen Union eine erhebliche volkswirtschaftliche Relevanz. Unionsweit wurde von der Europäischen Kommission für die Auftragsvolumina 2004 ein Annäherungswert von über 1.500 Milliarden Euro ermittelt, was in etwa 16% des gesamten BIP der EU ausmacht.6 Für 2006 ging man dann schon von rund 17% des BIP aus.7 Die Europäische Union gibt für Österreich an, dass das Auftragsvolumen der öffentlichen Hand rund 22% des gesamten Bruttoinlandsproduktes der Europäischen Union ausmacht. Das entspricht Auftragsvolumina im Ausmaß von rund 61 Milliarden Euro in Österreich.8 Es zeigt sich also, dass die Bedeutung des öffentlichen Auftragsvolumens von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist. 2.2 Einordnung des Vergaberechts in das Wirtschaftsrecht Das öffentliche Wirtschaftsrecht wurde durch den europäischen Binnenmarkt entsprechend der Logik des wirtschaftlichen Wettbewerbs ausgerichtet und ist der Wettbewerbsgedanke nunmehr eines der prägenden Leitmotive des öffentlichen Wirtschaftsrechtes.9 Es geht darum, dass ein funktionierender, 6 Heid Schiefer Rechtsanwälte, Vergaberecht INFO- Letter, Ausgabe/ September 2007. 7 M. Fruhmann, Die Schwellenwerteverordnung 2009, ZVB 2009/43. 8Europäische Kommission, Public Procurement Indicators 2009- 2014, Brüssel 2010, abrufbar unterhttp://www.forumvergabe.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Indicators_Public_Procure ment_2009-2014.pdf (abgefragt am 17.6.2017). 9 Merli, Hat das öffentliche Wirtschaftsrecht ein System und leitende Prinzipien? ÖZW 2015, 32 (34). 11
„fairer“ und „freier“ Markt geschaffen oder erhalten werden soll, man spricht daher von Regeln des Wettbewerbsrechts. Es wird also das Ziel verfolgt, dem Gemeinwohl durch wettbewerbsschaffende oder –bewahrende Regeln zu dienen.10 Es wird damit die Idee verfolgt, dass wettbewerbliche Auswahlprozesse rationaler ablaufen, was gerade in Hinblick auf die Macht des Staates als Wirtschaftsakteur von Bedeutung ist und dass die getroffenen Entscheidungen „besser“ für das Gemeinwohl sind (Bestbieterprinzip). Andererseits verfolgt das öffentliche Wirtschaftsrecht aber natürlich immer noch „klassische‘“ Lenkungs- und Reglementierungsfunktionen (siehe etwa die Gewerbeordnung). Man kann also davon ausgehen, dass das öffentliche Wirtschaftsrecht einerseits öffentlich- rechtliche und andererseits ökonomisch- wettbewerbliche Ziele verfolgt.11 Wie ist nun das Vergaberecht in das System des Wirtschaftsrechts einzuordnen? Die Regeln des „klassischen“ öffentlichen Wirtschaftsrechts (Lenkung, Reglementierung) richten sich ganz klar auf das Verhältnis des Staates gegenüber den am Wirtschaftsleben Beteiligten. Regelungen wie etwa das Kartell- und das Unlauterkeitsrecht beziehen sich auf die Regelung des Verhältnisses zwischen den (privaten) Marktteilnehmern, die miteinander in Konkurrenz stehen und wird daher als unternehmensgerichtetes Wettbewerbsrecht kategorisiert.12 Dem gegenüber steht das staatsgerichtete Wettbewerbsrecht, das etwa das Beihilfen- und das Vergaberecht umfasst. Sowohl die unternehmens- als auch die staatsgerichteten Aspekte des 10 Müller, Wettbewerbsrecht als Wirtschaftsrecht- eine Neuvermessung, ÖZW 2015 (97) 97. 11 Müller, ÖZW 2015, 97. 12 Müller, ÖZW 2015, 99. 12
Wettbewerbsrechtes sind klar dem öffentlichen Wirtschaftsrecht zuzuordnen, da sie beide starke öffentlich- rechtliche Bezüge aufweisen.13 Ganz besonders deutlich zeigt sich die Richtigkeit dieser Zuordnung des Wettbewerbsrechts zum öffentlichen Wirtschaftsrecht am Beispiel des Vergaberechts. Weiters werden noch das Kartellrecht, das Unlauterkeitsrecht und das Beihilfenrecht in diese Kategorie eingeordnet. Nach Müller zeichnet sich das Wettbewerbsrecht daher durch folgende 4 Strukturmerkmale aus:14 1.) Regelungsgegenstand: Die Rechtsgebiete beziehen sich auf den wirtschaftlichen Wettbewerb, das heißt auf die Konkurrenz zwischen privaten Wirtschaftsakteuren sowie auf die wettbewerbsrelevante wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand. 2.) Regelungsinhalt: Die geregelten Rechtsgebiete umfassen Regeln, deren Normzweck sich auf die Schaffung, Erhaltung, Intensivierung und/ oder Gewährleistung einer bestimmten Qualität wirtschaftlichen Handelns. Die Qualität bezieht sich hier auf einen fairen und lauteren „Leistungswettbewerb“, das beinhaltet etwa, dass es Lauterbarkeitsregeln gibt und ein schrankenloser Konkurrenzkampf, in dem jedes erdenkliche Mittel eingesetzt wird, (zum Schaden nicht nur der Marktteilnehmer, sondern auch der Allgemeinheit), unterbunden wird. 3.) Regelungszweck ist der Schutz vor Wettbewerbsverfälschungen: Es soll ein möglichst freier und unverfälschter Wettbewerb ermöglicht werden. Verfälscht würde der Wettbewerb etwa durch staatliche Beihilfen, weshalb das Beihilfenrecht Teil des Wettbewerbsrechtes ist. Es geht also nicht darum, bestimmte Marktergebnisse herbei zu reglementieren, sondern darum, wettbewerbliche Prozesse zu ermöglichen oder aufrechtzuhalten, da man davon ausgeht, dass sich in diesem 13Müller, ÖZW 2015, 100 mit weiteren Nachweisen. 14 Müller, ÖZW 2015, 100 f. 13
„wettbewerblichen Entdeckungsprozess“ Wirkungen zeigen, die dem Gemeinwohl dienen. 4.) Regelungsziel ist die Erhöhung des Gemeinwohls: Es sollen Voraussetzungen geschaffen werden, innerhalb derer sich Wettbewerb bestmöglich entfalten kann. Man erwartet sich von einem funktionierenden Wettbewerb, dass der so entstehende freie und unverfälschte Markt zu gesellschaftlichem Wohlstand, technischer Innovation und sozialer Dynamik führt. Gerade hinsichtlich des Regelungszieles des funktionierenden Wettbewerbs und der daraus entstehenden Ergebnisse gibt es jedoch Diskussionsbedarf. Es soll hier nicht detaillierter auf die grundsätzlichen politischen Fragen, die sich aus dieser rein positiven Sicht auf den freien Wettbewerb und seine – nach dieser Sichtweise - gesellschaftlichen Vorteile eingegangen werden, auch wenn in diesem Zusammenhang viele Diskussionspunkte gegeben sind. So stellt sich etwa die Frage, in wie weit freier Wettbewerb auch Nachteile hat, wie frei und fair Wettbewerb zwischen Akteuren in unterschiedlichen Staaten unter unterschiedlichen Voraussetzungen überhaupt sein kann (Globalisierung), wem er gesellschaftliche Vorteile und soziale Dynamik bringen kann und wer per se davon ausgeschlossen ist oder gerade durch den verschärften Wettbewerb vom Wirtschaftsleben ausgeschlossen wird. Auch ist die dahinterliegende These, dass wirtschaftlicher Aufschwung generell zu mehr Wohlstand für alle führt, zumindest hinterfragenswert. Es ist vor diesem Hintergrund verständlich, dass es Konzepte gibt, die nicht nur auf eine ökonomische Verfeinerung des Wettbewerbs abzielen, sondern immer auch das Ergebnis des Wettbewerbsprozesses im Auge haben. Dieses soll zu mehr Konsumentenwohlfahrt (Verbraucherschutz) und einer gerechten Ressourcenverteilung führen. Der Wettbewerb soll also nicht um seiner selbst willen geschützt werden, sondern weil damit bestimmte Ziele verfolgt werden. 14
Wenn diese Orientierung überhandnimmt, dann nähert sich das Wettbewerbsrecht wieder dem Lenkungsrecht an.15 In diesen Zusammenhang ist die Diskussion um den „more economic approach“ des EU- Wettbewerbsrechts einzuordnen. Zu diesem „more economic approach“ gehört die stärkere Ausrichtung der europäischen Wettbewerbsregeln auf den Schutz der Konsumentenwohlfahrt. Nach Auffassung der Europäischen Kommission soll der Nutzen des Wettbewerbs für den Konsumenten in den Mittelpunkt der Europäischen Wettbewerbspolitik gestellt werden. Wettbewerbsregeln bezwecken nicht den Schutz des Wettbewerbs schlechthin, einer bestimmten Marktstruktur oder gar der Konkurrenten des Marktbeherrschers. Marktstrukturen oder die Identität der Konkurrenten können sich ändern und sollen sich auch ändern, wenn dies für Verbraucher vorteilhaft ist. Denn der Wettbewerb soll vor allem als Werte für Konsumenten schaffender Prozess geschützt werden. 16 Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Wettbewerbsregeln immer dann anzuwenden, wenn die Auswirkungen einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung, eines Zusammenschlusses oder der Handlung eines Marktbeherrschers nachteilig für die davon betroffenen Verbraucher ist. Damit ist die zweite wesentliche Komponente des „more economic approach“ angesprochen: der Auswirkungsansatz. Danach kommt es für die Vereinbarkeit eines Marktverhaltens oder einer marktrelevanten Transaktion mit den gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln auf deren Auswirkungen auf den Wettbewerb an. Sind die Folgen einer Handlung oder Transaktion nachteilig für den Wettbewerb, kann davon ausgegangen werden, dass sie auch nachteilig 15 Müller, ÖZW 2015, 102. 16 Albers, Der „more economic approach“ bei Verdrängungsmissbräuchen: Zum Stand der Überlegungen der Europäischen Kommission, Europäische Kommission, GD Wettbewerb,http://ec.europa.eu/competition/antitrust/art82/albers.pdf, 1 (abgefragt am 17.6.2017). 15
für die Konsumentenwohlfahrt ist. Der Schutz des Wettbewerbs ist nur Mittel zum Zweck.17 Es herrscht also ein gewisser Zielkonflikt zwischen Freiheit des Marktes und Effizienz des Marktes.18 Im Zusammenhang mit dem Vergaberecht stellt sich eine ähnliche Fragestellung, die den theoretischen Hintergrund der vorliegenden Arbeit darstellt. In wie weit sind wettbewerbsexterne, politische Sachziele im Rahmen der Wettbewerbsanwendung und –rechtsetzung zulässig? Mit der Zulässigkeit von sozial- und umweltpolitischen Sekundärzielen im Rahmen der Auftragsvergabe im Vergaberecht passiert genau so eine „Repolitisierung“ der Wettbewerbsregeln auf europäischer Ebene. Obwohl damit in gewisser Weise eine „staatliche Lenkung durch die Hintertür“ stattfindet, kann immer noch von der grundsätzliche Zuordnung des Vergaberechts zum Wettbewerbsrecht ausgegangen werden, da das Wettbewerbsziel weiterhin das übergeordnete bleibt.19 2.3 Notwendigkeit und Grundzüge des Vergaberechts Vergaberecht ist Teil des Wettbewerbsrechts und lässt sich daher unter dem Dach des öffentlichen Wirtschaftsrechts einordnen. Was macht nun den Staat als Wirtschaftsakteur aus und warum bedarf es besonderer Regeln, um sein wirtschaftliches Wirken zu reglementieren? Der Staat (Bund, Länder und Gemeinden) aber auch andere „staatsnahe“ Akteure benötigen zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf dem Markt angebotene Waren und Dienstleistungen. Um diese Leistungen zu beziehen, geht die 17 Albers, http://ec.europa.eu/competition/antitrust/art82/albers.pdf (abgefragt am 17.6.2017) 18 Müller, ÖZW 2015, 102. 19 Müller, ÖZW 2015, 99 ff. 16
öffentliche Hand dabei grundsätzlich wie eine private Person vor. Der Staat sucht sich einen, ihm als geeignet erscheinenden „Wirtschaftspartner“ und schließt mit diesem einen privatwirtschaftlichen Vertrag über die gewünschte Leistung ab. Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist es daher notwendig, das Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zu reglementieren, da seine Machtposition in den meisten Fällen weitaus stärker ist als die des privaten Auftragnehmers. Private Auftraggeber können die von ihnen besorgten Güter und Dienstleistungen frei am Markt erwerben, bei öffentlichen Auftragnehmern hingegen kommen öffentliche Gelder zum Einsatz, für deren wirtschaftliche, effiziente und sparsame Mittelverwendung die öffentliche Hand gegenüber dem Steuerzahler verantwortlich ist. Um dieses Marktungleichgewichts auszugleichen und um den Wettbewerb im öffentlichen Auftragswesen sicherzustellen, müssen den Beschaffungsstellen und den mit ausschließlichen Rechten ausgestatteten öffentlichen Unternehmen gesetzliche Rahmenbedingungen vorgegeben werden, damit sie ihre Aufträge im Wege wettbewerbsorientierter Verfahren vergeben. Durch leistungsfähige Beschaffungssysteme kann der Staat beträchtliche Einsparungen erzielen. Diese Einsparungen kommen dann wiederum den Steuerzahlern und den Verbrauchern zugute. Der Staat ist daher verpflichtet, wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Für Unternehmen, die Bieter bzw. Bewerber sind, ist die Regelung des Vergabevorgangs sowie eine Kontrolle des öffentlichen Vergabeverfahrens und der Zuschlagsentscheidung von wesentlicher Bedeutung, da öffentliche Aufträge dadurch nach sach- und leistungsbezogenen Kriterien sowie objektiv nachprüfbar und transparent vergeben werden. Auch wenn die Regelungen des Vergaberechts den Staat im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung20 betreffen und der Staat nicht hoheitlich tätig wird, so ist der Rechtsschutz für 20 Art 14 iVm Art 17 B- VG. 17
Private in diesem Bereich dennoch im öffentlich-rechtlichen Bereich angesiedelt (Landesverwaltungsgerichte, Bundesverwaltungsgericht). Dies wohl auch, da das Prozessrisiko hinsichtlich der Kosten ja reduziert ist und so eher „Waffengleichheit“ garantiert werden kann.21 Der organisierte Parallelwettbewerb von Bietern soll im Sinne eines fairen und transparenten Leistungswettbewerbs Chancengleichheit gewähren, Mehrkosten für den Auftraggeber reduzieren und die Entwicklung konkurrenzfähiger Unternehmen fördern. Im Sinne eines funktionierenden Marktes entsteht also auch hier ein Mehrwert für das Gemeinwohl. Zu bedenken ist aber, dass die besonderen Regeln des Vergaberechts die öffentlichen Beschaffungsvorgänge komplizierter machen und es daher länger dauert, bis eine Entscheidung über eine Anschaffung getroffen werden kann. Es sind auch höhere Personalkosten zu veranschlagen.22 Es bedarf daher längerer Vorlaufzeiten und es kann zu keinen „spontanen“ Beschaffungen kommen. Den oben angeführten Vorteilen des Vergaberechts stehen also auf rein wirtschaftlicher Seite auch Nachteile in Form höherer Transaktionskosten entgegen. Auch ist zu bedenken, dass sich längerfristige Händler- Käufer- Beziehungen unter dem Regime des Vergaberechts nicht in der gleichen Form wie unter privaten Marktteilnehmern bilden können. Es muss immer wieder nach Vertragsende neuerlich ausgeschrieben werden und es ist nicht garantiert, 21 Siehe etwa für Vergaberechtsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgerichtshof die BVwG Pauschalgebührenverordnung Vergabe – BVwG-PauschGebV Vergabe, BGBl II 2013/491. 22 Tretzmüller: Die Direktvergabe- ein unlösbares Problem, Diss. Uni Wien 2012 mit Hinweisen auf die Studie „Public Procurement in Europe- Cost and Effectiveness“ der Europäischen Kommission vom März 2011 http://www.eipa.eu/files/topics/public_procurement/cost_effectiveness_en.pdf (abgefragt am 17.6.2017). 18
dass wieder der gleiche Bieter zum Zug kommt. Das kann neben den evidenten Vorteilen auch Nachteile haben.23 Es kann also zusammenfassend festgehalten werden, dass es bei staatlichen Beschaffungsvorgängen, die im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung abgewickelt werden, oft um hohe öffentliche Geldsummen geht und deshalb genaue rechtliche Vorgaben vonnöten sind, um Transparenz, Nichtdiskriminierung der Anbieter (Untersagen der „Freunderlwirtschaft“) und eine lautere Vorgangsweise bei der Vergabe zu garantieren. Es bedarf daher auch eigener effizienter Rechtsschutzeinrichtungen.24 2.4 Entwicklung im europäischen Recht Die Europäische Union hat sich seit ihrer Gründung zum Ziel gesetzt, einen sogenannten gemeinsamen Markt auf dem Gebiet der Mitgliedsstaaten zu erreichen. Dieser Binnenmarkt soll einen fairen, grenzüberschreitenden Wettbewerb ermöglichen und es muss daher schädlichen und protektionistischen Praktiken entgegen gewirkt werden. Vor allem im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe führen protektionistische Vorgehensweisen und nationale Gepflogenheiten zu einer Abschottung der nationalen Märkte. Öffentliche Aufträge werden nur ungern an AusländerInnen vergeben. Wesentlich für das Gelingen des gemeinsamen Marktes ist es daher, die nationalen Märkte für Unternehmen aus allen Mitgliedsstaaten zu öffnen. Da – wie unter 1. gezeigt - das Volumen der öffentlichen Beschaffungen wirtschaftlich bedeutsam ist, hat in diesem Zusammenhang das Beschaffungswesen eine besondere Bedeutung und auch wenn es im EG- Vertrag nicht explizit als einer der „gemeinschaftlichen“ Politikbereiche“ genannt 23 Höfferer, Vergaberecht als praktikables Regulativ- Theoretische Überlegungen und empirische Befunde, 2014. 24 Gruber- Hirschbrich, Vergaberecht graphisch dargestellt4 2014, 1. 19
ist, so muss es dennoch als ein wichtiger Teil zur Verwirklichung eines innergemeinschaftlichen Binnenmarktes gesehen werden. 2.5 Umsetzung ins österreichische Recht 2.5.1 Die Ursprünge des Bundesvergabegesetzes: In der Entwicklung des österreichischen Vergaberechtes bildete die Submissionsverordnung von 1909 einen ersten Höhepunkt. Dieses auch als Submissionsregulativ bzw. Vergabeordnung genannte Gesetz trat am 3.4.1909 betreffend staatlicher Leistungen und Arbeiten in Kraft und ging im Jahr 1918 in den Gesetzesbestand der ersten Republik über. Nach Ende des zweiten Weltkrieges wurde die Submissionsverordnung in Österreich wieder eingeführt. Erst durch den Ministerratsbeschluss im Jahre 1963 wurde in weiterer Folge die ÖNORM A 2050 zur Anwendung gebracht.25 Gleichzeitig wurde die Submissionsverordnung von 1909 außer Kraft gesetzt. 2.5.2 Österreich und der europäische Wirtschaftsraum Aufgrund des Beitritts von Österreich zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) am 1.1.1994 mussten gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen im nationalen Recht verankert werden.26 Daher mussten auch die Vergaberichtlinien in nationales Recht umgesetzt werden. Eine dieser Bestimmungen beinhaltete die Vergaberichtlinien der Europäischen Gemeinschaft. 25 ÖNORM A 2050 "Vergebung von Leistungen" vom 30. März 1957. 26 Bundesgesetz über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz –BvergG 1993) BGBl 462/1993. 20
Im Bereich des öffentlichen Auftragswesens entstanden so das Bundesvergabegesetz 1993 und neun Landesvergabegesetze.27 In der weiteren Entwicklung wurde das Bundesvergabegesetz 1993 novelliert und als Bundesvergabegesetz 1997 wieder verlautbart.28 Auf das Bundesvergabegesetz 1997 folgte nach fünf Novellierungen schließlich das Bundesvergabegesetz 2002 (kurz BVergG 2002). Mit dem BVergG 2002 ist es erstmals gelungen, ein einheitliches Vergabeinstrument für Bund, Länder und Gemeinden zu schaffen. Die Organisation des Rechtsschutzes blieb aber wie bisher aufgeteilt zwischen Bund und Ländern. Vor In-Kraft-Treten des BVergG 2002 gab es in Österreich zehn Vergabegesetze, ein Bundesvergabegesetz und neun Landesvergabegesetze. Die ÖNORM 2050 bildete zwar die Grundlage der einzelnen Vergabeordnungen, hatte aber keinen verbindlichen Charakter. Rechtlich verbindlich wurde sie erst durch eine Erklärung des Auftraggebers. Die große Rechtszersplitterung in Form der Kompetenzverteilung auf Bund und Länder machte eine Vereinheitlichung für das Vergabewesen sehr schwierig. 2.5.3 Innerstaatliche Kompetenzverteilung Durch Änderung der österreichischen Bundesverfassung im Jahr 2002 wurde die Kompetenzverteilung bezüglich des öffentlichen Auftragswesens neu geregelt und verteilt. Im Bundesverfassungsgesetz Artikel 14b ist festgeschrieben, dass die Gesetzgebung im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen einheitlich für Bund, Länder und Gemeinden zu regeln ist. Dies war die Grundlage für ein einheitliches materielles Vergaberecht für den Bund, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie sonstige öffentliche Auftraggeber. 27 Gruber- Hirschbrich, Vergaberecht4, 2. 28 Kundmachung des Bundeskanzlers, mit der das Bundesvergabegesetz wiederverlautbart wird BGBl 56/1997. 21
Nach dem Bundesvergabegesetz 200229 kam es dann bereits 2006 zu einer Novellierung, seit damals gibt es das BVergG 2006,30 das in der Zwischenzeit vielfach geändert wurde, oftmals wurden die Wertgrenzen angepasst. Die letzte inhaltlich maßgebliche Änderung fand mit der Novelle 2015 statt.31 In dieser Novelle wurde das Bestbieterprinzip als das leitende Zuschlagsprinzip etabliert.32 Nunmehr ist das Vergaberecht aufgrund der Umsetzung des „Vergaberichtlinienpaketes“ aus 2014 neuerlich zu novellieren. Obwohl die Umsetzungsfrist schon im Jahr 2016 abgelaufen ist, liegt bisher erst ein Entwurf zu einem neuen Bundesvergabegesetz (Vergaberechtsreformgesetz 2017) vor.33 29 Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes sowie des Bundesgesetzes über die Errichtung einer Bundesbeschaffung Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Erlassung eines Bundesvergabegesetzes 2002, BGBl 99/2002. 30 Bundesgesetz über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 2006 – BVergG 2006), BGBl 17/2006. 31 Bundesgesetz, mit dem das Bundesvergabegesetz 2006 und das Bundesvergabegesetz Verteidigung und Sicherheit 2012 geändert werden, BGBl. 7/2016. 32 Siehe § 79 Abs 3 BVergG. 33 Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 2017), ein Bundesgesetz über die Vergabe von Konzessionsverträgen (Bundesvergabegesetz Konzessionen 2017 – BVergGKonz 2017) und ein Bundesgesetz über die Regelung des Rechtsschutzes für Vergaben des Bundes im Öffentlichen Personenverkehr (Bundesvergaberechtsschutzgesetz Öffentlicher Personenverkehr – BVRG-ÖPV) erlassen werden sowie das Bundesvergabegesetz Verteidigung und Sicherheit 2012 geändert wird (Vergaberechtsreformgesetz 2017), https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_01658/index.shtml (abgefragt am 17.6.2017). 22
3 Soziale Kriterien im Vergaberecht 3.1 Was versteht man unter sozialen Kriterien im Kontext des Vergaberechts? Sozial –und Qualitätskriterien werden in der Literatur als „vergabefremde“ oder sekundäre Kriterien bezeichnet, man findet auch die Bezeichnung Sekundärzweck. Es handelt sich um ein kontrovers diskutiertes Thema, da das Beschaffungswesen doch hauptsächlich das Ziel der möglichst (kosten)effizienten Beschaffung verfolgt. Andererseits ist es aber nicht von der Hand zu weisen, dass der Staat/ die öffentliche Hand auch als „role Model“ zu fungieren hat und auch über den reinen Beschaffungsprozess hinausgehende Ziele zu verfolgen hat.34 3.2 Definition von „Sozial- Kriterien“: Es findet sich keine abschließende Definition und Kategorisierung solcher Kriterien, die Europäische Kommission hat in ihrem Leitfaden für eine sozialorientierte Beschaffung aus dem Jahr 2010 jedoch dargelegt, welche Vorstellungen sie von einem sozialverantwortlichen öffentlichen Beschaffungswesen hat.35 Auch wenn es sich dabei um nicht bindendes „soft law“ handelt, so ist die Signifikanz dieses Dokumentes doch hoch einzustufen. Die Europäische Kommission verwendet den Begriff „Sozialverantwortliches öffentliches Beschaffungswesen“ SRPP (Socially Responsable Public Procurement). Darunter versteht sie Beschaffungsmethoden, die auf mindestens eine der folgenden sozialen Belange ausgerichtet sind: 34 Mitterlehner, Qualitätskriterien bei der Beauftragung zur Erbringung sozialer Dienstleistungen, Public Social Responsibility Institut, 2015, 75, http://arbeitplus.at/wordpress/wp- content/uploads/2015/10/PSR-Studie_Quartettstudie.pdf (abgefragt am 17.6.2017). 35 Europäische Kommission, GD Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit, Sozialorientierte Beschaffung (2010), 7 ff. 23
Beschäftigungschancen Menschenwürdige Arbeit Einhaltung von arbeitsrechtlichen und sozialen Bestimmungen Soziale Eingliederung (einschließlich Menschen mit Behinderungen) Chancengleichheit Barrierefreiheit und „Design für alle“ Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien Einbeziehung von fairem Handel Größere freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen zu sozialer Verantwortung (CSR-Corporate Social Responsibility) SRPP wird von der Kommission als leistungsfähige Strategie sowohl für die Förderung von nachhaltiger Entwicklung als auch für die Erreichung der Sozialziele der EU und ihrer Mitgliedsstaaten betrachtet.36 SRPP deckt ein breites Spektrum von sozialen Belangen ab, die von den öffentlichen Auftraggebern im jeweiligen Stadium des Beschaffungsprozesses beachtet werden können. Die Europäische Kommission schlägt daher bestimmte Themenblöcke samt Teilaspekten vor, die im Rahmen eines Beschaffungsprozesses berücksichtigt werden können. Es ist dabei zu beachten, dass viele der genannten Punkte naturgemäß nur in bestimmten Stadien des Beschaffungsprozesses berücksichtigt werden können. Darüber hinaus sollen die öffentlichen Auftraggeber in Abhängigkeit des Vertragsgegenstandes und der Zielsetzungen von Fall zu Fall entscheiden, welche Erwägungen zum Tragen kommen sollen. Folgende soziale Belange können daher relevant für das Beschaffungswesen sein: 36 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, 10. 24
1. Förderung von „Beschäftigungschancen“37 Darunter fallen: Förderung der Jugendbeschäftigung Förderung der Gleichbehandlung der Geschlechter (z.B. Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Bekämpfung von branchenspezifischer und beruflicher Trennung, usw.) Förderung von Beschäftigungschancen für Langzeitarbeitslose und ältere ArbeitnehmerInnen Diversitätsstrategien und Beschäftigungschancen für Angehörige benachteiligter Gruppen (z.B. Zuwanderer, ethnische und religiöse Minderheiten, Menschen mit geringem Bildungsniveau usw.) Förderung der Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinderung durch Schaffung eines barrierefreien Arbeitsumfelds, das durch soziale Eingliederung gekennzeichnet ist. 2. Förderung von „menschenwürdiger Arbeit“ 38 Menschen haben das Recht auf eine produktive Beschäftigung, die sie in freier Wahl, unter sicheren Arbeitsverhältnissen und im Einklang mit der Menschenwürde ausüben können.39 Es geht daher um folgende Elemente: Das Recht auf produktive Arbeit, die in freier Wahl ausgeübt wird. 37 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, 10. 38 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, 7. 39 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, 8. 25
Den Grundprinzipien und Rechten am Arbeitsplatz, einem fairen Einkommen, Sozialschutz und dem sozialen Dialog. Die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Nichtdiskriminierung sind ebenfalls Teil des Konzeptes „menschenwürdiger Arbeit“. Im Konzept von SRPP sind daher folgende Aspekte wichtig: Einhaltung der Kern- Arbeitsstandards40 Faire Bezahlung Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz Sozialer Dialog Fortbildungsmöglichkeiten Gleichstellung der Geschlechter und Nichtdiskriminierung Anspruch auf soziale Grundsicherung 3. Förderung der Einhaltung von „arbeitsrechtlichen und sozialen Bestimmungen“,41 darunter fallen: Einhaltung der nationalen Gesetzgebung sowie von Tarifverträgen, die dem EU- Recht entsprechen 40 Die Kernarbeitsstandards der ILO verbieten Zwangsarbeit, Kinderarbeit und etablieren das Recht auf Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie sowie Antidiskriminierung in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, siehe Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung (2010), 8 mit Nachweisen zu den einzelnen ILO- Konventionen. 41 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, 8. 26
Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung von Frauen und Männern, einschließlich des Grundsatzes der gleichen Vergütung für gleiche Arbeit, sowie der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter Einhaltung der Gesetze zur Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz Bekämpfung der Diskriminierung aus anderen Gründen (Alter, Behinderung, Rasse, Religion oder Weltanschauung, sexuelle Ausrichtung usw.) und Schaffung von Chancengleichheit. 4. Unterstützung von „sozialer Eingliederung“ und Förderung von Organisationen der Sozialwirtschaft,42 darunter: Gleichberechtigter Zugang zu öffentlichen Aufträgen für Unternehmen, die sich im Besitz von Angehörigen ethnischer und anderer Minderheitengruppen befinden oder ethnische oder andere Minderheitengruppen beschäftigen (z. B. Genossenschaften, sozial orientierte und gemeinnützige Unternehmen) Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen, einschließlich der Verbesserung ihrer Beschäftigungsfähigkeit auf dem regulären Arbeitsmarkt. 5. Förderung von „Barrierefreiheit und Design für alle“:43 Aufnahme von Bestimmungen in die Leistungsbeschreibungen, die Menschen mit Behinderungen den sicheren Zugang zu öffentlichen 42 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, 8. 43 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, 9, mit weiteren Nachweisen, insbesondere auf das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen und den Abschluss des Einkommens durch die Europäische Gemeinschaft. 27
Dienstleistungen, öffentlichen Verkehrsmitteln, öffentlichen Informationen sowie zu Informations- und Kommunikationstechnologie- Produkten und – Dienstleistungen. Es geht darum, dass Produkte und Dienstleistungen für alle Menschen zugänglich sein müssen. 6. Berücksichtigung von Aspekten des „fairen Handels“,44 darunter fallen: Die Möglichkeit, Ausschreibungen und Verträge unter bestimmten Voraussetzungen auf den fairen Handel auszurichten. Eine größere freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen zu „Sozialer Verantwortung“, in dem sie sich etwa CSR- Reglements unterwerfen, die beinhalten, dass sie im Tagesgeschäft unaufgefordert über das gesetzlich fixierte Maß hinaus soziale und ökologische Ziele verfolgen und danach handeln. 7. Schutz vor Menschenrechtsverletzungen und die Förderung und Achtung der Menschenrechte 8. Förderung von KMU (Klein- und Mittelunternehmen) in Hinblick auf eine Verbindung der oben genannten Erwägungen: Schaffung von Anreizen, die KMU verstärkt an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen lassen, z.B. Kostensenkungen oder Abbau von Hürden, die der Verwirklichung von SRPP- Chancen entgegen stehen könnten. Dies lässt sich etwa durch möglichst überschaubare Verträge erreichen, die keine Teilnahmehindernisse für KMU darstellen, angemessen lange Ausschreibungsdauern, Einhaltung der Zahlungsziele, Wahrung der 44 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, 9. 28
Verhältnismäßigkeit bei der Festlegung von Kompetenzen und wirtschaftlichen Erfordernissen.45 Chancengleichheit durch Förderung der Vergabe von Unteraufträgen 46 Es geht um die Möglichkeit der Schaffung von Chancengleichheit durch Förderung der Vergabe von Subaufträgen an kleine und mittlere Unternehmen. Dies ist ein umstrittenes Thema: einerseits soll es kleinen und mittleren Unternehmen ermöglicht werden, als Subunternehmer an großen Ausschreibungen teilnehmen zu können und wirtschaftlich davon profitieren zu können.47 Andererseits kann es aber gerade für kleine und mittlere Unternehmen schwieriger sein, andere Sozialkriterien erfüllen zu können. So können sie aufgrund der geringeren ArbeitnehmerInnenanzahl etwa Vorgaben hinsichtlich der sozialen Eingliederung (Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, Förderung der Gleichstellung der Geschlechter) schlechter erfüllen. Streng gesehen könnte daher eine soziale Vergabe im Sinne einer KMU- Förderung sogar zum Nachteil für die allgemeine soziale Dimension der Leistung werden.48 Zusammengefasst können daher folgende Aspekte im Rahmen einer sozialverantwortlichen Vergabe berücksichtigt werden: Einhaltung von arbeitsrechtlichen Vorgaben, unter anderem der Kernarbeitsstandards der ILO (z.B. das Verbot von ausbeuterischer Kinderarbeit und Zwangsarbeit) 45 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, 9. 46 auch §§ 83 BVergG. 47 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, 9. 48 Mitterlehner, Qualitätskriterien, 79. 29
Faire Entlohnung, Tarifgebundenheit/ Schutz tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen Förderung der Beschäftigungschancen und von Arbeitsplätzen (z.B. von Jugend- und Langzeitarbeitslosen, für Angehörige benachteiligter Gruppen, ältere Arbeitnehmer, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderungen) Arbeitsplatzsicherheit (Übernahme von Personal) Bildung, Qualifikation und Fortbildungsmöglichkeiten Gleichstellungsaspekte (Förderung der Gleichbehandlung der Geschlechter, etwa bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben) Sicherheit Gesundheit Qualität am Arbeitsplatz KMU: Schaffung von Chancengleichheit durch Förderung der Vergabe von Subaufträgen Fair Trade: Verbesserung der Herstellungsbedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern 3.2.1 Vorteile sozialverantwortlicher Beschaffung (SRPP) Welche potentiellen Vorteile bietet nun eine sozialverantwortliche Beschaffung (SRPP)? Förderung der Einhaltung von arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen, einschließlich eines einschlägigen nationalen und internationalen Engagements und politischer Agenden: SRPP kann zu einer verstärkten Umsetzung von nationalen und internationalen Zielen im Hinblick auf eine sozialere Entwicklung beitragen. Es kann so verstärkt das Synergiepotential von sozialen und wirtschaftlichen Faktoren gehoben werden. 30
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