Digitale Prävention - D.U.T. Report

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168   Digitale Prävention                                Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020

      Digitale Prävention

          Digitale Präventionsstrategien können          Trotz steigender Zahlen des Typ-2-Diabetes ist
                                                         derzeit in Deutschland eher kein koordiniertes
          eine bislang wenig umgesetzte Option
                                                         Vorgehen zur Prävention des Typ-2-Diabetes zu
             zur Verbesserung der Prävention des         erkennen. Bemühungen, diesen Zustand durch
       Typ-2-Diabetes sein – gerade angesichts           eine „Nationale Diabetes-Strategie“ zu verbes-
                                                         sern, die einen starken Fokus auf die Präventi-
            der Tatsache, dass in Deutschland ei-
                                                         on des Typ-2-Diabetes hat, sind im Jahr 2019
       ne „Nationale Diabetes-Strategie“ bisher          trotz entsprechender Absichtserklärungen im
                                    gescheitert ist.     Koalitionsvertrag der Bundesregierung leider
                                                         gescheitert. Angesichts der großen Zahl po-
                                                         tenzieller Adressaten von Maßnahmen zur Ri-
            Prof. Dr. Bernhard Kulzer, Bad Mergentheim
                                                         sikokommunikation, Risikobestimmung, Früh-
                             Dr. Jens Kröger, Hamburg
                                                         erkennung sowie Interventionen im Bereich der
                                                         Verhaltens- und Verhältnisprävention können
                                                         digitale Präventionsstrategien eine hoffnungs-
                                                         volle, leider allerdings bislang wenig umgesetz-
                                                         te Option zur Verbesserung der Prävention des
                                                         Typ-2-Diabetes sein.

                                                         Aktuelle Studie prognostiziert
                                                         deutliche Zunahme des Typ-2-Diabetes
                                                         Wie drängend Maßnahmen zur Prävention des
                                                         Typ-2-Diabetes sind, zeigen die Ergebnisse ei-
                                                         ner aktuellen Studie des Deutschen Diabe-
Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020                                    Digitale Prävention   169

                                                  Prävention

tes-Zentrums (DDZ) und des Robert Koch-In-              ventionsprogramm in England 50 % der Perso-
stituts (RKI) [Tönnies 2019]. Auf Basis der Da-         nen mit einem Prädiabetes erfolgreich und dau-
ten von rund 65 Mio. gesetzlich Versicherten            erhaft an Maßnahmen zur besseren Ernährung
in Deutschland und des Statistischen Bundes-            und Gewichtsreduktion teilnehmen würden. Von
amts prognostizieren die Wissenschaftler für            den prognostizierten Zuwächsen könnten allein
den Zeitraum von 2015 bis 2040 einen deut-              bis 2030 etwa 400.000 Diabetes-Fälle verhin-
lichen Anstieg der Diabeteserkrankungen um              dert werden – bei einer Beteiligung von 90 %
bis zu 77 %. In der Prognose wurden auch die            derer mit Prädiabetes sogar 1 Mio. Diabetesfäl-
aktuellen Entwicklungen einbezogen hinsicht-            le. Eine aktuelle Metaanalyse [Uusitupa 2019]
lich neu auftretender Fälle, einer steigenden           kam erneut zu dem Schluss, dass Typ-2-Diabe-
Lebenserwartung und abnehmender Morta-                  tes durch eine Änderung des Lebensstils verhin-
litätsrate aufgrund des medizinischen Fort-             derbar ist und die Risikominderung nach der ak-
schritts. Danach ergibt sich für den Zeitraum           tiven Intervention viele Jahre lang anhält. Eine
von 2015 bis 2040 eine relative Zunahme der             Ernährungsumstellung und gesteigerte körper-
Typ-2-Diabetes-Fälle um 54 % (+3,8 Mio. Fälle)          liche Aktivität sind für die langfristige Präventi-
bis 77 % (+5,4 Mio. Fälle). Dies bedeutet, dass         on von Diabetes empfehlenswert.
in ca. 20 Jahren 10,7 bis 12,3 Mio. Menschen an
Diabetes erkrankt sind. Besonders stark wird            Wissen über Prävention
die Zahl der älteren Menschen mit Typ-2-Dia-            Bei Patienten und auch bei Ärzten ist das Wis-
betes zunehmen.                                         sen über das Risiko für die Entwicklung ei-
In einer weiteren Arbeit wurde eine Prognose            nes Typ-2-Diabetes wie auch über die Inter-
unter der Annahme modelliert, dass wie im finni-        ventionsmöglichkeiten nicht ausreichend. Ei-
schen Diabetes-Präventionsprogramm oder dem             ne bundesweite repräsentative Befragung des
aktuell fast flächendeckend umgesetzten Prä-            Robert Koch-Instituts zeigte, dass, obwohl
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      ca. 13 Mio. Bundesbürger (20,8 % der 18- bis        Typ-2-Diabetes bekommen – neben allgemei-
      79-Jährigen) bereits einen Prädiabetes auf-         nen Maßnahmen zur Steigerung des Wissens-
      weisen, diese ein viel zu geringes Wissen über      stands bezüglich der Prävention. Auch die ak-
      ihr Diabetesrisiko haben und das Risiko dra-        tuell geplante „Nationale Aufklärungs- und
      matisch unterschätzen. Auch Ärzte haben ein         Kommunikationsstrategie zu Diabetes melli-
      deutlich zu geringes Wissen über die evidenz-       tus“ der Bundeszentrale für gesundheitliche
      basierten Empfehlungen und Möglichkeiten der        Aufklärung prüft, ob nicht gezielt mithilfe von
      Diabetesprävention.                                 Social-Media-Kampagnen der Wissensstand der
                                                          Bevölkerung über Prädiabetes und Diabetes er-
      Wissenslücken bei Allgemeinärzten                   höht werden könnte.
      Eine repräsentative Untersuchung bei Allge-
      meinärzten [Tseng 2019] ergab deutliche Wis-        Präventionsempfehlungen in
      senslücken bezüglich der Risikofaktoren des         Expertensysteme
      Typ-2-Diabetes und Behandlungsempfehlun-            Bei Ärzten sollten die Empfehlungen zur Typ-2-
      gen. Nur 36 % der Befragten würden bei Risi-        Diabetes-Prävention sowie das Screening von
      kopatienten initial eine Maßnahme zur Lebens-       Risikopersonen in die Praxis- oder Krankenhaus-
      stilintervention empfehlen – ein klassischer        software bzw. Expertensysteme integriert sein.
      Fall von „clinical inertia“. Die Ärzte empfah-      Eine Initiative kanadischer Kinderdiabetologen
      len als eine wichtige Maßnahme zur Prävention       zeigte mit dem „iSCREEN Electronic Diabetes
      des Typ-2-Diabetes einen leichteren und bes-        Dashboard“, dass es mit einfachen Mitteln gelin-
      ser koordinierten Zugang zu Diabetes-Präven-        gen kann, wissenschaftliche Leitlinien und Emp-
      tionsprogrammen.                                    fehlungen erfolgreich in die klinische Praxis zu
      Auch eine aktuelle Befragung von Medizinstu-        übertragen. Im Rahmen ihrer Präventionskam-
      denten [Khan 2019] zeigte, dass beim The-           pagne „NHS Diabetes Prevention Programme“
      ma „Diabetesprävention“ gravierende Wis-            (NHS DPP) entwickelte der National Health Ser-
      senslücken bestehen. Weniger als 50 % wuss-         vice (NHS) in England gemeinsam mit dem „Ro-
      ten elementare Grundlagen der Prävention des        yal College of General Practitioners“ ein E-Mo-
      Typ-2-Diabetes.                                     dul (https://elearning.rcgp.org.uk/course), das
                                                          Allgemeinärzte über Präventionsmöglichkeiten
      Digitale Formen von Risikorechnern                  bei Typ-2-Diabetes informiert.
      Für Patienten bietet sich die Integration digita-
      ler Formen von Risikorechnern in die elektroni-     Risikopersonen digital identifizieren
      sche Gesundheitskarte (ePA) an – zur Bestim-        Für erfolgreiche Präventionsstrategien ist es
      mung des persönlichen Risikos für Typ-2-Diabe-      wichtig, das Risiko für die Entwicklung eines
      tes und zur Steigerung des Wissensstands über       Typ-2-Diabetes zu identifizieren. Zum einen hat
      Prävention. Je nach Ergebnis könnten dann dif-      natürlich jeder Bürger das Recht, über mögli-
      ferenzierte Informationen zu entsprechenden         che Krankheitsrisiken informiert zu werden,
      Maßnahmen der Diabetesprävention erfolgen.          um selbst zu entscheiden, welche Schlussfol-
      Auch könnten (z. B. von Krankenkassen) Perso-       gerungen für das eigene Leben getroffen wer-
      nen mit einem erhöhten Risiko gezielt auf di-       den. Zum anderen zeigen Studien zur Effektivi-
      gitalem Weg Informationen zur Prävention des        tät von Maßnahmen der primären Prävention,
Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020                                    Digitale Prävention   171

dass diese besonders bei Personen mit Prädia-           ronales Feed-Forward-Netzwerk“) ein Vorher-
betes effizient sind.                                     sagemodell für das Auftreten des Typ-2-Diabe-
Zunehmend werden Methoden der künstlichen               tes entwickelt, welches mit einer Spezifität von
Intelligenz angewandt, um das Diabetesrisiko            90 % und einer Sensitivität von 77 % relativ gu-
zu bestimmen: Eine kanadische Arbeitsgruppe             te Testgütekriterien aufweist.
[Perveen 2019] entwickelte anhand der haus-
ärztlichen Routinedatensätze von 172.168 Per-           Typ-2-Diabetes-Vorhersage: Vergleich
sonen mithilfe der KI-Technik „Hidden Markov            der KI-Systeme
Model“ (HMM) ein Vorhersagemodell für das               Verschiedene Methoden der KI zur Vorhersage
Diabetesrisiko innerhalb der nächsten 8 Jah-            des Typ-2-Diabetes wurden von unterschiedli-
re. Dieses beruht auf den Variablen Alter, Ge-          chen Arbeitsgruppen miteinander verglichen.
schlecht, Body-Mass-Index, Blutdruck, Nüch-             Auf der Basis eines Datensatzes von 68.994 Per-
ternblutzucker, HDL-Cholesterin und Triglyzeri-         sonen kam eine chinesische Arbeitsgruppe [Zou
de. Die Variable „hereditäre Diabetesbelastung“         2018] zu dem Ergebnis, dass die Methode des
war aus den Akten nicht ersichtlich, würde aber         „Random Forest“ das beste Ergebnis erzielte. [Li
die Vorhersage laut den Autoren weiter erhö-            et al. 2018] verglichen ebenfalls verschiedene
hen. Es zeigte sich, dass das Modell eine besse-        Methoden des Maschinenlernens und erreich-
re Vorhersagewahrscheinlichkeit hat als das eta-        ten mit dem „AdaBoost algorithm“ eine gute
blierte „Framingham Diabetes Risk Scoring Mo-           Vorhersage (Fläche unter der ROC-Kurve (Area
del“ (FDRSM).                                           under the Curve, AUC) 0,98). Die wesentlichen
Von einer neuseeländischen Gruppe [Nguyen               3 Faktoren für die Vorhersage waren das Alter,
2019] wurde ebenfalls mithilfe von KI („Neu-            das Körpergewicht und der Nüchternblutzucker.

                                   Risikobewertung
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      Neben den klassischen Risikotests – dem ora-          stattfinden. Eine amerikanische Arbeitsgruppe
      len Glukosetoleranztest (OGGT) und Blutunter-         [Acharya 2018] untersuchte, ob mit den Anga-
      suchungen (Nüchternblutzucker, HbA1c-Wert) –          ben von Health Records des Zahnarztes eine
      bietet sich die Auswertung von Glukoseprofi-          Risikoerkennung stattfinden kann: Mit einem
      len als Screening-Methode an, die mit den ver-        Modell, das die Angaben aus der bestehenden
      schiedenen Methoden des kontinuierlichen              elektronischen Dokumentation des Zahnarztes
      Glukosemonitorings (CGM) gemessen werden.             übernahm, konnte eine Sensitivität von 0,70
      Die Arbeitsgruppe um Acciaroli et al. [2018] un-      und eine Spezifität von 0,62 erreicht werden –
      tersuchte CGM-Profile von Stoffwechselgesun-          mit den Prädiktoren Alter, Geschlecht, ethni-
      den, Personen mit einer gestörten Glukoseto-          sche Herkunft, Gewicht, Hypertonie, Hyperli-
      leranz (IGT) und mit einem manifesten Typ-2-          pidämie, Rauchstatus, Anzahl der fehlenden
      Dia­betes: Es stellte sich heraus, dass vor allem     Zähne, Prozentsatz der Zähne mit einer Krone.
      das Ausmaß der Glukosevariabilität (GV) eine          Mit der Hinzunahme anderer medizinischer Pa-
      Unterscheidung der 3 Gruppen möglich mach-            rameter erhöht sich die Screening-Eigenschaft.
      te und die alleinige GV-Betrachtung eine Ge-
      nauigkeit von beachtlichen 86,6 % erbrachte.          Digitale Interventionen zur
                                                            ­Lebensstiländerung
      Virtueller Arzt stellt Diagnose                       Während lange Zeit global relativ wenige struk-
      Einen ganz anderen Weg schlug eine deut-              turierte Programme zur Lebensstilmodifikation
      sche Arbeitsgruppe aus Marburg, Straubing             bei Personen mit einem erhöhten Risiko umge-
      und Magdeburg ein [Säning 2019], die mithilfe         setzt wurden, gibt es mittlerweile eine kaum
      von KI („Deep Neural Networks“ (DNNs), „Sup-          mehr überschaubare Anzahl strukturierter Pro-
      port-Vector Machines“ (SVMs)) einen „virtuel-         gramme, die unter Praxisbedingungen evaluiert
      len Arzt“ für die Patienten entwickelten, so-         und in ganz unterschiedlichen Settings einge-
      dass diese selbst eine mögliche Diagnose eines        setzt werden:
      Typ-2-Diabetes stellen können. Dies ist ange-         In England wird das weltweit ambitionierteste
      sichts von ca. 2 Mio. Menschen in Deutschland,        Präventionsprogramm (NHS-DPP) umgesetzt
      die bisher keine Kenntnis ihrer Diagnose ha-          (NHS 2019). Bislang wurden von der Teilneh-
      ben, sicher ein wichtiger Ansatz. Die Patien-         merbeteiligung und von den ersten Evaluati-
      ten werden aufgefordert, sich auf eine Waage          onsergebnissen die Modell­an­nahmen des Pro-
      zu stellen und im Sprachmodus Fragen zu Ge-           gramms übertroffen. Seit 2016 wurde in ei-
      schlecht, Alkoholkonsum und Nikotinstatus zu          nem zusätzlichen Modellprojekt, an dem über
      beantworten. Bei einem erhöhten Score wer-            5.000 Personen teilnahmen, geprüft, ob mit
      den sie aufgefordert, beim Arzt eine mögliche         einem digitalen Präventionsprogramm ähnli-
      Dia­gnose des Typ-2-Diabetes verifizieren zu          che Ergebnisse wie in den Präsenzkursen er-
      lassen. Der Algorithmus wurde anhand der Da-          reicht werden können. Die Teilnehmer erhal-
      ten der ­Nixdorf Recall Study (n = 4 814) trainiert   ten eine App, die den Benutzern den Zugriff
      und erreicht eine zufriedenstellende Testgüte.        auf die Kursinhalte und die Kommunikation mit
      Die Erkennung von Personen mit einem erhöh-           dem Gesundheits-Coach (Blended Learning)
      ten Risiko für Typ-2-Diabetes kann aber auch in       ermöglichen, den Zugang zu Online-Peer-Sup-
      ganz anderen Settings wie z. B. beim Zahnarzt         port-Gruppen, ein Monitor- und Zielerrei-
Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020                                   Digitale Prävention   173

                                                        chungstool sowie Wearables zur Erfassung und
                                                        zum Monitoring der körperlichen Bewegung.
                                                        Ca. 50 bis 70 % der Teilnehmer begrüßen die-
                                                        se zusätzliche Option. Das Durchschnittsalter
                                                        der Teilnehmer am digitalen Programm lag bei
                                                        58 Jahren und damit unter dem Alter derjeni-
                                                        gen, die eine persönliche Intervention (64 Jah-
                                                        re) vorziehen. 16 % der Teilnehmer an dem di-
                                                        gitalen Kurs waren zwischen 18 und 44 Jah-
                                                        re alt (Teilnehmer traditioneller Gruppenpro-
                                                        gramme: 7 %). Zukünftig wird ca. ein Fünftel
                                                        aller Präventionskurse, die pro Jahr in Eng-
                                                        land umgesetzt werden, digital stattfinden.
                                                        Insgesamt werden damit ab 2020 pro Jahr
                                                        ca. 40.000 Personen an einem digitalen Prä-
                                                        ventionskurs zur Reduktion des Diabetesrisikos
                                                        teilnehmen.
                                                        Ähnlich wie in England werden auch in vielen
                                                        anderen Ländern die Inhalte der großen Präven-
                                                        tionsstudien DDP oder DPS digital umgesetzt,
                                                        sodass die Teilnehmer einen 24/7-Zugang zu
                                                        den Kursinhalten und dem Online-Coaching ha-
                                                        ben. Deutschland ist hier eher Nachzügler, da
                                                        sowohl für Präsenzkurse wie auch für digitale

   Digitale                                             Angebote hier weitgehend die Rahmenbedin-
                                                        gungen fehlen. In Belgien hat z. B. die Auto-

Intervention                                            rengruppe um Poppe et al. [2019] erfolgreich
                                                        ein digitales mHealth-Programm „MyPlan 2.0“
                                                        evaluiert, eine kanadische Gruppe um Alwashmi
                                                        [2019] das Programm „Transform“ – und eine ja-
                                                        panische Gruppe um Yamaguchi et al. [2019]
                                                        entwickelte erfolgreich das Programm „Gluco-
                                                        Note“, welches Apples ResearchKit benutzte.
                                                        „DMagic“ ist ein Programm mit Textnachrichten,
In England wird das                                     das erfolgreich in den ländlichen Gegenden von
ambitionierteste                                        Bangladesch evaluiert wurde, ebenfalls wurde
Typ-2-Diabetes-                                         ein sehr einfaches Programm mit Textnachrich-
Präventionsprogramm um-                                 ten in New York in Harlem bei sozial deprivierten
gesetzt: Jährlich nutzen                                Personen erfolgreich implementiert.
40 000 Personen digita-                                 Mit „DIP“ gibt es mittlerweile von der Deut-
le Präventionskurse.                                    schen Diabetes-Stiftung auch eine multifunkti-
174   Digitale Prävention                                 Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020

      onale App zur Diabetesprävention, die momen-        zu verzeichnen [Kaufmann 2018]. Damit kön-
      tan den Teilnehmern des Innovationsfonds-Pro-       nen auch Personen erreicht werden, die entwe-
      jektes Dimini (www.dimini.org) zur Verfügung        der wenig Zeit und/oder eine weite Entfernung
      gestellt wird. Die Hauptfunktionen der App lie-     zu einem Präsenzkurs haben oder diese Form
      gen im Bereich Ernährung und Bewegung sowie         der Unterstützung schätzen.
      im Tracking des Gewichts. Auch ein KI-basier-
      ter Ernährungs-Coach („Whisk“), der Menschen        Digitale Verhältnisprävention
      mit Diabetes personalisierte Essensempfeh-          Bei der Entstehung und Aufrechterhaltung un-
      lungen gibt, basierend auf individuellen Ge-        gesunder Lebensweisen und des Typ-2-Diabe-
      schmackspräferenzen, ist in Deutschland ver-        tes sind Umweltfaktoren entscheidend betei-
      fügbar. Bei den Empfehlungen werden persön-         ligt. Interventionen im Rahmen der Verhält-
      liche Präferenzen berücksichtigt wie bestimmte      nisprävention berücksichtigen auch andere
      Diätvorlieben, Allergien, zeitliche oder finanzi-   Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen kön-
      elle Beschränkungen. Auch Glukosedaten kön-         nen, wie die Lebens-, Arbeits- und Wohnver-
      nen in die aktuellen Essensempfehlungen inte-       hältnisse. Auswertungen von Routinedaten der
      griert werden.                                      Krankenkassen und der Kassenärztlichen Ver-
                                                          einigungen (KV) sowie populationsbezogene
      Digitalisierung auch bei Älteren                    Studien weisen auf deutliche geografische Un-
      Digitale Präventionsprogramme sind auch             terschiede in der Prävalenz des Typ-2-Diabe-
      bei älteren Personen wirksam: Eine Studie           tes innerhalb Deutschlands hin. Die alters- und
      mit 1.121 übergewichtigen Erwachsenen über          geschlechtsstandardisierte Prävalenz im Osten
      65 Jahre [Chen 2016] konnte zeigen, dass mit        Deutschlands ist mit 11,6 % deutlich höher als
      einem digitalen Coaching-Programm zur Le-           in Westdeutschland (8,9 %), wofür vor allem
      bensstilintervention bei Personen mit einem         soziale Gründe und Umweltfaktoren verant-
      erhöhten Dia­be­tes­risiko die meisten Personen     wortlich gemacht werden. In Gemeinden mit
      abnahmen (6,8 % des Body-Mass-Index). Ins-          der höchsten strukturellen Benachteiligung im
      gesamt können mit diesem digitalen Präventi-        Vergleich zu sozio­ökonomisch gut gestellten
      onsprogramm im Verlauf von 10 Jahren pro Per-       Gemeinden konnten Rathmann et al. in dem
      son 11.550 bis 14.200 Dollar an direkten Ge-        Diab-Core-Projekt des Deutschen Zentrums
      sundheitskosten eingespart werden.                  für Diabetesforschung (DZD) feststellen, dass
      Erste Ergebnisse mit Apps ohne jeden Kontakt        Typ-2-Dia­betes unabhängig vom individuellen
      mit Coaches zeigen eher enttäuschende Ergeb-        sozialen Status der Einwohner mehr als dop-
      nisse, da für die Etablierung einer Verhaltens­     pelt so häufig auftritt.
      änderung besonders in der Stabilisierungspha-       Für die Planung von Präventionsstrategien
      se ein persönlicher Kontakt über einen digitalen    ist es wichtig, diese diabetogenen (und oft
      Coach hilfreich ist.                                auch adipogenen) Umgebungsvariablen iden-
      Insgesamt sind die Ergebnisse für digitale Pro-     tifizieren, wie z. B. ein bewegungsunfreund-
      gramme zur Verhaltensprävention eher ermu-          liches Wohn­umfeld, Luftschadstoffe, Lärm,
      tigend [Bian 2017] und eine Option zur Präven-      Fast-Food-Angebote etc. Die Arbeitsgruppe
      tion des Typ-2-Diabetes. In den letzten Jahren      um Präger et al. [2019] vom Helmholtz Zen-
      ist eine stetige Zunahme digitaler Programme        trum München versucht mit der Technik des
Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020                                         Digitale Prävention    175

„Online Geocoding Services“ von Google Maps              7. Li Y, Li H, Yao H: Analysis and study of diabetes
and OpenStreetMap (OSM) Datenpunkte zu                       follow-up data using a data-mining-based appro-
                                                             ach in new urban area of Urumqi, Xinjiang, China,
identifizieren, die aus der Literatur als wichtige
                                                             2016 – 2017. Comput Math Methods Med 2018;
Umweltvariablen bekannt sind. Dies kann da-                  10; 7207151
zu beitragen, dass Regionen identifiziert wer-           8. Nguyen BP, Pham HN, Tran H, Nghiem N, ­Nguyen
den können, in denen ein erhöhtes Diabetesri-                QH, Do TTT, Tran CT, Simpson CR: Predicting the
siko mit konkreten negativen Umweltfaktoren                  onset of type 2 diabetes using wide and deep
in Zusammenhang steht, was für die Planung                   ­learning with electronic health records. Comput
                                                              Methods Programs Biomed 2019; 182: 105055
gesunder Städte und Gemeinden wichtig ist.
                                                         9. NHS: Diabetes Prevention Programme. htt-
Das von der WHO entworfene „Urban Diabetes                    ps://www.england.nhs.uk/publication/diabe-
Risk Assessment“, welches einen Algorithmus                   tes-prevention-programme-information-gover-
aus verschiedenen diabetogenen Bereichen er-                  nance-and-data-flows-framework (Zugriff am
stellt, kann hier ebenfalls hilfreich sein.                   8.12.2019)
                                                         10. Perveen S, Shahbaz M, Keshavjee K, Guergachi A:
                                                              Prognostic modeling and prevention of diabetes
                                                              using machine learning technique. Sci Rep 2019;
   Quellen:
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