Digitale Transformation im stationären Einzelhandel - Prof. Dr ...
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Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel Digitale Transformation im stationären Einzelhandel Keine Veränderung prägt die Geschäftswelt in den letzten Jahren stärker als die Digitalisierung. Europäische Einzelhandelsunternehmen stehen hinsichtlich des Einsatzes digitaler Technologien und der Bereitstellung digitaler Services jedoch noch weitgehend am Anfang. Kunden bevorzugen ein hybrides Shopping-Modell gegenüber reinem Online- oder Offline-Handel. Der steigende Wettbewerbsdruck und die Transformation klassischer Geschäftsmodelle des Einzelhandels hin zu digitalen Geschäftsmodellen stellen die gesamte Branche vor große Herausforde- rungen. Technologische Entwicklungen und ein sich veränderndes Kundenverhal- ten machen tiefgreifende Veränderungen in den Unternehmen notwendig. Durch das Aufzeigen von kritischen Faktoren und konkreten Digitalisierungsmaßnahmen inklusive einer Vielzahl von Beispielen soll eine Entscheidungs- und Handlungs- grundlage für Verantwortungsträger im stationären Einzelhandel geschaffen werden. Mark Stieninger, Andreas Auinger und René Riedl Wirtschaftsinformatik & Management https://doi.org/10.1365/s35764-018-0152-4 © Der/die Autor(en) 2019 Wirtschaftsinformatik & Management
Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel Die Digitalisierung prägt und beeinflusst die Geschäftswelt Mark Stieninger MSc () bereits seit Jahren. Dabei gelingt es einigen Branchen besser ist seit 2013 wissenschaftlicher Mitar- (z. B. der Einsatz von Industrie-4.0-Technologien in der Fer- beiter und Lektor sowie seit 2018 Leiter tigungsindustrie) als anderen, durch neue Strategien Vorteile des Research Centers an der Fakultät aus der Digitalisierung zu ziehen. Eine der Branchen, die ihr für Management der Fachhochschule Potenzial diesbezüglich derzeit bei Weitem noch nicht ausge- Oberösterreich. In zahlreichen Forschungs- schöpft hat, ist der stationäre Einzelhandel. Traditionelle eu- projekten beschäftigt er sich u. a. mit den ropäische Einzelhandelsunternehmen stehen hinsichtlich des Themen Cloud Computing, Enterprise 2.0 Einsatzes digitaler Technologien und der Bereitstellung digi- und Digital Retail. Zudem ist er Dissertant an der Johannes Kepler Universität (JKU) taler Services für ihre Kunden noch weitgehend am Anfang, Linz. wenngleich viele Technologien bereits marktfähig wären. Vie- mark.stieninger@fh-steyr.at le Digitalisierungspotenziale sind zwar weitgehend bekannt, werden allerdings in der Praxis kaum umgesetzt. Neben dem FH-Prof. Dr. Andreas Auinger ist seit 2006 Professor für Digital Business steigenden Wettbewerbsdruck durch den Online-Handel, der an der Fachhochschule Oberösterreich, bislang im Zentrum der Entwicklung von Innovationen stand Campus Steyr und leitet den gemeinsam [1], stellt die Transformation klassischer Geschäftsmodelle mit der Johannes Kepler Universität Linz des stationären Einzelhandels hin zu digitalen Geschäftsmo- ausgerichteten Masterstudiengang Digital dellen die gesamte Branche vor große Herausforderungen. Business Management; zudem ist Andreas Nicht nur das Einkaufsverhalten der Konsumenten verändert Auinger federführend in Forschungspro- sich, auch die Verkaufsaktivitäten der Unternehmen befinden jekten wie dem EU Projekt PERFORM im sich im Wandel [2]. Man spricht von einer Evolution des Ein- Bereich Digital Retail und im Bereich des E-Commerce tätig. zelhandels (siehe Abb. 1). Im vorliegenden Beitrag werden mit dem Begriff Einzelhandel jene Unternehmen bezeichnet, die Prof. Dr. René Riedl Waren beschaffen und direkt an Endverbraucher verkaufen, ist seit 2013 Inhaber einer Professur für sowie deren Handelsaktivitäten. Digital Business und Innovation an der Fachhochschule Oberösterreich, Fakultät Empirische Studien belegen die konsumentenseitige Präfe- für Management, und dort aktuell Vize- renz für hybride Shopping-Modelle (z. B. [3–5]) bei denen die dekan für Forschung und Entwicklung; Vorteile stationärer Geschäftslokale mit mehrwertschaffenden zudem ist er Assoziierter Universitätspro- digitalen Dienstleistungen kombiniert werden (z. B. Cross- fessor am Institut für Wirtschaftsinfor- und Omnichannel Shopping in Abb. 1). Zusätzlich wird von matik – Information Engineering an der Unternehmen das Abdecken aller Vertriebskanäle erwartet; es Johannes Kepler Universität (JKU) Linz. ist zudem zu erwarten, dass dies langfristig eine Voraussetzung wird, um im Einzelhandel überleben zu können [1, 6]. FH Oberösterreich, Fakultät für Manage- Die digitale Transformation ist „der Prozess zur Neudefi- ment, Digital Business nition von Geschäftsmodellen, Produkten sowie Dienstleis- Steyr, Österreich tungen und den unternehmerischen Strukturen und Prozes- sen unter der Prämisse der Digitalisierung und Vernetzung“ [7, S. 187]. Umgelegt auf den Einzelhandel kann man daraus das Ziel der Verschmelzung verschiedener Verkaufskanäle ab- leiten, im englischsprachigen Schrifttum als „seamless cus- tomer experience“ bezeichnet [6]. Die nahtlose Verbindung unterschiedlicher Kanäle soll dazu beitragen, den Kunden ins Zentrum zu rücken (siehe dazu Abb. 1, Omnichannel Shop- ping) und situationsunabhängige Präsenz zu gewährleisten, was insbesondere durch den Einsatz mobiler Technologien wie dem Smartphone unterstützt wird. Dadurch kann der Wirtschaftsinformatik & Management
Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel Gefahr des „Beratungsdiebstahls“ (im Omnichannel-Kon- formation erfolgreich einleiten und umsetzen können. Durch text auch als Showrooming bekannt) begegnet werden. Da- das Aufzeigen kritischer Faktoren soll auf mögliche Fallstricke mit wird jene Situation beschrieben, in der im stationären Ge- bereits im Vorfeld des Transformationsprozesses hingewie- schäft die Produkte zur Begutachtung und die Beratung durch sen werden. Darüber hinaus werden konkrete Maßnahmen die Mitarbeiter bereitgestellt werden, der Kaufabschluss hin- zur Nutzung digitaler Technologien im stationären Einzel- gegen bei Online-Mitbewerbern erfolgt. handel exemplarisch beschrieben. Manche dieser Maßnah- Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Notwendigkeit, men sind heute schon verfügbar, werden aber kaum genutzt, den klassischen stationären Einzelhandel zu innovieren und andere werden mittelfristig verfügbar sein. seine Unternehmen mit den erforderlichen Fähigkeiten und In diesem Beitrag werden zunächst Treiber der Digitalisie- Ressourcen (Prozesse, Technologien, Skills etc.) auszustat- rung identifiziert, die eine Ursache für veränderte Anforde- ten, um neue Online-Technologien (z. B. im Mobile-Bereich) rungen in der Branche sind. Anschließend werden Herausfor- wirksam und wirtschaftlich einzusetzen. Die Digitalisierung derungen für die Unternehmen des stationären Einzelhandels des Einzelhandels stellt daher nicht mehr bloß eine strategi- beschrieben, die von den zuvor genannten Treibern ausgelöst sche Option für stationäre Händler dar, sondern ist vielmehr werden. Danach folgt eine systematische Darstellung exempla- eine Notwendigkeit geworden, um den sich verschärfenden rischer Anwendungsmöglichkeiten digitaler Technologien. Ab- Anforderungen sowohl auf Kundenseite – diese wird im vor- schließend werden Transformationsschritte zur Digitalisierung liegenden Beitrag betrachtet – als auch auf Lieferantenseite von Unternehmen des stationären Einzelhandels vorgeschla- gerecht zu werden. Aus diesem Grund besteht akuter Hand- gen, die konkrete Anhaltspunkte für die Initiierung und das lungsbedarf, um die Möglichkeiten der Digitalisierung für fortlaufende Vorantreiben des Digitalisierungsprozesses liefern. den Einzelhandel nutzbar zu machen. Man spricht dabei von der digitalen Transformation. Treiber der veränderten Anforderungen Ziel dieses Beitrags ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie In diesem Kapitel werden ausgewählte Treiber für die verän- Unternehmen im stationären Einzelhandel die digitale Trans- derten Anforderungen an den stationären Einzelhandel aus Abb. 1 Die Evolution des Einzelhandels Wirtschaftsinformatik & Management
Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel der Fachliteratur abgeleitet und hinsichtlich ihres potenziel- len Einflusses auf die Elemente branchentypischer Geschäfts- Zusammenfassung modelle untersucht. Als wichtigste Treiber gelten hierbei (i) • Für den stationären Einzelhandel bedeutet Digitali- die Informationstechnologie, ihre Fortschrittlichkeit sowie sierung gleichermaßen Potenzial und Herausforde- ihre Ausrichtung, die die Einstellung der Kunden sowie die rung. Kundenbindung maßgeblich bestimmen [8], (ii) das Kunden- • Die größten Herausforderungen betreffen die kun- verhalten, das durch digitale Technologien neu geformt wird denzentrierte Ausrichtung, die Digitalisierung ope- [9] und (iii) Kundendaten, die durch Analysen die Vorhersa- rativer Prozesse und die Innovation von Geschäfts- ge von Kundenverhalten ermöglichen [10]. modellen. Informationstechnologie: Die rasante Entwicklung im Be- • Die Handelsbranche ist seit jeher von einer starken reich der Informationstechnologie bietet Kunden und Unter- Dynamik geprägt. Neu ist im Kontext der Digitali- nehmen völlig neue Möglichkeiten. Insbesondere die gestei- sierung die hohe Geschwindigkeit, mit welcher Ver- gerte Konnektivität durch neue Mobilfunktechnologien (LTE, änderungen stattfinden. 5G) spielt dabei gemeinsam mit dem Smartphone als Schnitt- stelle eine Schlüsselrolle. Informationsbeschaffung, Produkt- sowie Preisvergleiche deutet die Integration virtueller Objekte in die reale Welt. Im sind ortsunabhängig (und somit auch vor Ort im stationären stationären Einzelhandel kann diese Technologie dazu ver- Laden) möglich. Dies reduziert Informationsasymmetrien, wendet werden, zusätzliche Informationen zu Produkten im erhöht den Informationsstand von Kunden und bewirkt so- Geschäft bereitzustellen. Dies kann wiederum mittels Smart- mit einen Machtverlust für Händler, da zunehmend die Pro- phone erfolgen, wobei der Kunde das gewählte Produkt mit duktentscheidung vor der Händlerwahl getroffen wird. Durch der Kamera filmt, und die Informationen über das Display die umfangreichen Möglichkeiten zur Online-Informations- angezeigt werden. Aber auch mit geschäftseigener Infrastruk- beschaffung nimmt der Bedarf an Beratungsleistungen, der tur, z. B. stationären Terminals neben den Produktregalen bislang durch Verkaufspersonal gedeckt werden konnte, ab, oder über Endgeräte, die mit dem Einkaufswagen verbunden und zudem steigt durch entsprechende Vergleichsportale der sind, ist die Übermittlung von Informationen möglich. Mit Preisdruck. Darüber hinaus steht den Kunden immer das ge- dem Einsatz von Augmented-Reality-Spiegeln können nicht samte Sortiment zur Verfügung, da Begrenzungen des Ver- nur zusätzliche Informationen, sondern die virtuelle Reprä- kaufsraums beim Online-Handel irrelevant sind. sentation von Produkten selbst dargestellt werden, was bei- Vorteile der mobilen Kommunikations- und Informations- spielsweise für die Modebranche interessante Möglichkeiten möglichkeiten ergeben sich allerdings auch auf Unternehmens- eröffnet. Kunden können mittels virtueller Umkleidespiegel seite: Kombiniert mit der entsprechenden Laden-Infrastruktur beispielsweise die im Spiegel dargestellte Farbe eines gerade können Smartphones für eine direktere, individualisierte Kom- anprobierten Kleidungsstückes auf andere verfügbare Farben munikation bzw. Interaktion mit den Kunden verwendet wer- ändern, ohne dieses real anprobieren zu müssen. den. Mittels entsprechender mobiler Applikation (App) kann Das Wissen um die Positionen bzw. Bewegungsprofile der z. B. über iBeacons die exakte Position eines Kunden im Ge- Kunden kann in aggregierter Form zur Analyse von Besu- schäft festgestellt werden. Über die App können dem Kunden cherströmen herangezogen werden, was wiederum für Be- somit Informationen in Abhängigkeit der Position im Geschäft treiber von Einkaufszentren oder Einkaufsstraßen von gro- auf das Smartphone übertragen werden (Push-Benachrichti- ßem Interesse ist. gung). Auch die Übermittlung von Coupons für Sonderan- Veränderte Kundenloyalität: Die Kundenloyalität hat sich gebote ist auf diesem Weg möglich. Location-Based-Services gewandelt. Heute ist es üblich, Anbieter zu wechseln, um können ebenfalls in Kombination mit Apps zur direkten Kun- Preisvorteile zu erzielen und den neuesten Trends zu folgen. denansprache eingesetzt werden. Dabei kann dem Kunden bei- Die Wechselbarrieren sinken, da Kunden der Wechsel von ei- spielsweise bei Annäherung an den Laden eine Nachricht auf nem Anbieter zum anderen durch die zunehmende Vernet- das Smartphone übermittelt werden, die zum Besuch animiert. zung erleichtert wird. Zusätzlich trägt der intensivierte Erfah- Ein weiteres Beispiel technologiegetriebener Veränderung rungsaustausch zwischen Konsumenten zu einer Verstärkung ist der Einsatz von Augmented Reality. Augmented Reality be- der Anreize für einen Wechsel bei. Umso wichtiger ist es für Wirtschaftsinformatik & Management
Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel den stationären Einzelhandel, sich durch innovative Maßnah- zehnt Kundendaten und Daten zum Kundenverhalten, viele men von seinen Mitbewerbern – online und offline – abzu- unter ihnen verabsäumten es allerdings bislang, diese Daten heben und seinen Kunden einen nicht einfach imitierbaren zu werthaltigen Informationen zu verarbeiten und dadurch Mehrwert zu bieten. Im Bereich der Digitalisierung eine Vor- für das Unternehmen wertschaffend nutzbar zu machen. reiterrolle einzunehmen, kann einen solchen Mehrwert bie- Gründe hierfür sind unter anderem das fehlende technische ten. Im Bereich der Kommunikation mit den Kunden reicht Knowhow und die falsche Kundengruppensegmentierung. der Versand von Postwurfsendungen und E-Mail-Newslet- Um Letzterem entgegenzuwirken, sind Kenntnisse über die tern nicht mehr aus, um aus der Menge der Anbieter hervor- Gesellschaft und deren sozioökonomische sowie demografi- zustechen. Neue Kommunikationsformen, die aktive Präsenz sche Entwicklung erforderlich. in sozialen Medien und Netzwerken sowie innovative For- Zum Erzielen von Umsatzsteigerungen durch die digitale men der Kundenansprache sind heute unerlässlich. Wechselt Transformation ist es unerlässlich, den Verkaufsprozess durch ein Kunde im Kaufprozess den Kanal (Channel Hopping, z. B. digitale Elemente zu unterstützen und zu erweitern. Der Ein- weil er sich im Geschäft informieren, aber online den Kaufab- satz sozialer Netzwerke wie Facebook zählt ebenso dazu wie schluss tätigen will), so kann die Gefahr des Verlusts eines virtuelle Verkaufsgespräche und zahlreiche weitere Maßnah- Kunden reduziert werden, indem eine Omnichannel-Strate- men (z. B. Facebook Chatbot). Des Weiteren wird „predictive gie verfolgt wird. marketing“ zunehmend bedeutsam. Dabei wird versucht, aus Daten zum Kundenverhalten: Sowohl kundenseitig als vorhandenen Daten zum Kundenverhalten Prognosen zum auch unternehmensseitig steigt das Bewusstsein für den Wert zukünftigen Verhalten zu machen und darauf abgestimmte von Daten. Die zunehmende Verknüpfung von Online- und Marketingaktivitäten umzusetzen. Offline-Welten bietet Unternehmen neue Möglichkeiten zur Ein straffer Kaufprozess soll zusätzlich zur Beschleunigung Datensammlung, wodurch Kunden und ihre Bedürfnisse, In- der Konversion beitragen. Dazu können auch im stationä- teressen und Gewohnheiten besser verstanden werden kön- ren Handel digitale Customer Touchpoints beitragen. Nicht nen. Da es sich um unterschiedlichste Arten von Daten han- für jeden Schritt im Kaufprozess ist die Interaktion mit dem delt (z. B. Bild- und Textdaten), die zu analysieren sind, ist die Verkaufspersonal zweckmäßig. Da Mitarbeiter abhängig vom Verfügbarkeit von leistungsfähiger technischer Infrastruktur Betriebstyp einen erheblichen Kostenfaktor für Unternehmen und von sachkundigem Personal erfolgskritisch. Das Berufs- darstellen, sollten sie vorrangig in jenen Phasen im Verkaufs- bild des Data Scientists ist entstanden; diese beschäftigen sich prozess eingesetzt werden, wo der größte Nutzen zu erwarten mit der Extraktion von Informationen und der Generierung ist. Der Bezahlvorgang bietet sich beispielsweise zur Digita- von Wissen aus Daten. lisierung (Automatisierung) an, da dafür typischerweise kei- ne individuelle Beratung erforderlich ist. Der „self-controlled Herausforderungen der digitalen Transformation für den Einzelhandel Die mit der digitalen Transformation einhergehenden, mit- Kernthesen unter disruptiven Veränderungen können in drei Teilberei- • Die rasante Entwicklung von Informations- und che, die drei Säulen der digitalen Transformation im Einzel- Kommunikationstechnologien beeinflusst als we- handel, gegliedert werden: (1) das Kundenerlebnis, (2) den sentlichster Treiber sowohl das Verhalten der Kun- operativen Prozess und (3) das Geschäftsmodell. Die Basis den als auch die Verfügbarkeit von Informationen dafür stellt die zugrundeliegende Technologie dar. über diese. Kundenzentrierte Ausrichtung: Um Kunden ein mög- • Die Digitalisierung stellt Unternehmen hinsichtlich lichst einzigartiges Einkaufserlebnis bieten zu können, sind ihrer kundenzentrierten Ausrichtung, der Anpassung zahlreiche Voraussetzungen zu erfüllen: Mit analytikbasierten von Prozessen und der Innovation von Geschäfts Methoden zur Kundensegmentierung können Big-Data-Ana- modellen vor Herausforderungen. lysen dazu beitragen, Kunden besser kennen und verstehen • Unternehmen müssen die technologischen Voraus- zu lernen, um in der Folge entsprechende Personalisierungs- setzungen konsumentenseitig, am Point of Sale und maßnahmen abzuleiten. Ein beachtlicher Teil der Einzelhan- im Backend schaffen. delsunternehmen sammelt bereits seit mehr als einem Jahr- Wirtschaftsinformatik & Management
Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel checkout“ könnte die Wartezeit an den Kassen erheblich re- te daher ein unerlässlicher Bestandteil einer jeden Digitali- duzieren. Dabei werden Produkte bereits beim Hineinlegen sierungsinitiative sein. Unternehmen haben im Idealfall die in den Einkaufswagen erfasst. Der Kunde wählt frei den Zeit- Möglichkeit, in Echtzeit die Auswirkungen ihrer Aktivitäten punkt und Ort der Durchführung der elektronischen Bezah- zu überwachen und darauf zu reagieren bzw. Planungsände- lung im Laden. Amazon geht in seinem stationären Geschäft rungen für zukünftige Maßnahmen vorzunehmen (datenge- Amazon Go sogar soweit, dass die Bezahlung über das Kun- triebenes Entscheidungsmanagement). Dadurch werden Pro- denkonto beim Verlassen vollautomatisch ausgelöst wird. zesse transparenter, Auswirkungen prognostizierbarer und zu Digitalisierung im operativen Prozess: Der Einsatz digi- setzende Handlungen planbarer. taler Technologien soll aus Prozesssicht einerseits die Wirt- Ein Beispiel für die Prozessoptimierung bei gleichzeitiger schaftlichkeit verbessern (kürzere Durchlaufzeiten und Steigerung der Verbraucherfreundlichkeit liefert Amazon mit niedrigere Kosten) und andererseits neue Funktionen ermög- seinem Dash-Button, der den Kauf von Produkten wesent- lichen, welche die wahrgenommene Leistungsqualität erhö- lich vereinfacht. Der Kaufprozess wird hierbei – nach der Er- hen [11]. Das Digitalisierungspotenzial sowie die zugrunde- steinrichtung des Buttons – auf einen einzigen Schritt (das liegenden Prozessschritte sind vielfältig und erstrecken sich Drücken des Buttons) reduziert. Alle weiteren Schritte lau- über den gesamten Kaufprozess von der Informations- bis zur fen ohne Zutun des Kunden automatisiert ab, und der Kun- Nachkaufphase. Die zunehmende Mobilität von Kunden und de trifft zu diesem Zeitpunkt keine bewusste Produkt-, Preis- Mitarbeitern ist bei der Gestaltung von Informationssyste- und Händlerentscheidung mehr, da diese bereits vorab und men zu berücksichtigen. Die ansteigenden Anforderungen an im Regelfall langfristig getroffen wurde. die zeitliche und räumliche Informationsverfügbarkeit sind in Geschäftsmodellinnovation: Nach Gassmann et al. [12, diesem Gestaltungsprozess besonders zu beachten. S. 7] definiert ein Geschäftsmodell, wer die Kunden sind, was Das Wissen um die Wirksamkeit implementierter Systeme verkauft wird, wie das Angebot erbracht wird und warum das und gesetzter Maßnahmen (z. B. Marketing-Kampagnen) Geschäft Gewinn erwirtschaftet. Wer?-Was?-Wie?-Warum? stellt die Grundlage des Erfolgs-Controllings dar und soll- beschreibt ein Geschäftsmodell, wobei die beiden erstgenann- Abb. 2 Magisches Dreieck: Elemente eines Geschäftsmodells in Anlehnung an Gassmann et al. ([12, S. 7], Original in Englisch) Wirtschaftsinformatik & Management
Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel ten Aspekte externe Dimensionen adressieren und die beiden stationären Läden sind beispielsweise Click-and-Collect letzteren interne Dimensionen. Im magischen Dreieck (sie- sowie Click-and-Reserve, wobei der Kauf oder die Reser- he Abb. 2) sind diese vier Elemente der Definition dargestellt. vierung eines Produktes online erfolgen und die Abholung • Kunden (Wer?): Unabhängig von der spezifischen Ausge- durch den Kunden im Laden. Auch umgekehrt kann dies staltung ist der Kern eines jeden Geschäftsmodells der Kun- mit dem Konzept des Home Delivery stattfinden, wobei de. Zu wissen, welche Kundensegmente adressiert werden hier das Produkt im Laden gekauft und dann nach Hau- sollen und welche nicht, stellt die Grundlage eines jeden se geliefert wird. Geschäftsmodells dar. Es gilt dabei zu beachten, dass die • Ertragsmechanismus (Warum?): Hierzu zählen die Kosten- relevanten Kundensegmente durchaus eine gewisse Dyna- struktur und Mechanismen zur Generierung von Umsatz. mik besitzen können. Ein permanentes Zielgruppenmoni- Die Aufgabe besteht in der Klärung der wirtschaftlichen toring und das Anpassen der relevanten Prozesse an neue Umsetzbarkeit eines Geschäftsmodells. Die Herausforde- Zielgruppen sind unerlässlich. rung besteht darin, Zusatzleistungen zu identifizieren und • Wertversprechen (Was?): Mit dem Wertversprechen (auch anzubieten, die aufgrund von Digitalisierungsmaßnahmen als Nutzenversprechen bezeichnet) wird festgelegt, welche möglich werden und direkt oder indirekt zur Umsatzstei- Produkte und Dienstleistungen angeboten und wie die Be- gerung beitragen. darfe der Kunden dadurch befriedigt werden. Um dabei Gassmann et al. [12] bezeichnen die Darstellung als magi- erfolgreich zu sein und vor allem zu bleiben, ist die Ab- sches Dreieck, weil die drei Bereiche Wertversprechen, Wert- stimmung des Angebots auf die Bedarfe der Kunden eine schöpfungskette und Ertragsmechanismus, dargestellt durch Grundvoraussetzung. Der Einsatz digitaler Technologien die drei Ecken, direkt beeinflusst werden können, und Ände- bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Erweiterung der Ser- rungen in einem dieser Bereiche unmittelbare Auswirkungen vices, die den Kunden im Kaufprozess unterstützen und auf die anderen beiden Bereiche haben. Der Bereich innerhalb diesen angenehmer gestalten können. Ein Beispiel dafür des Dreiecks, der Kunde, kann hingegen nicht direkt, sondern ist die Bereitstellung einer Lösung zur Indoor-Navigation nur indirekt durch Anpassungen der äußeren Dimensionen im Shop. Dazu testet Philips gemeinsam mit dem fran- beeinflusst werden. zösischen Lebensmitteleinzelhändler Carrefour ein Sys- Das Geschäftsmodell stellt das Bindeglied zwischen der tem, das codiertes Licht einsetzt und den Kunden mittels Strategie und den Geschäftsprozessen eines Unternehmens Smartphone durch die Regale zu den benötigten Produk- dar. Es handelt sich dabei um eine konzeptuelle Abbildung ten leitet. der Geschäftsstrategie, welche als Grundlage für die Umset- • Wertschöpfungskette (Wie?): Die Wertschöpfungskette be- zung von Geschäftsprozessen und Informationssystemen be- schreibt, wie die angebotenen Produkte und Dienstleistun- nötigt wird. Das Erwirtschaften von Gewinnen stellt dabei das gen erstellt werden. Dazu zählen sämtliche Prozesse, Akti- übergeordnete Ziel dar. vitäten, Ressourcen, Fähigkeiten sowie deren Koordination. Die Digitalisierung führt zu Änderungen auf der strategi- Alternativen zum klassischen Verkauf von Produkten in schen Ebene: Unternehmen definieren zunehmend digitale Strategien bzw. E-Business-Strategien, die sowohl von der Ge- schäftsstrategie abgeleitet sein können, als auch diese beein- Handlungsempfehlungen flussen können [13, S. 243 f.]. Weiters verändern sich durch • Unternehmen müssen die technologischen Voraus- technologische Entwicklungen sowohl die Möglichkeiten als setzungen für die Digitalisierung auf Konsumenten auch die Anforderungen, wie den Kundenbedürfnissen be- ebene, am Point of Sale und im Backend schaffen. gegnet werden kann oder soll bzw. wie interne und externe • Eine Analyse und Optimierung interner sowie exter- Prozesse durch entsprechende E-Business-Konzepte wie bei- ner Prozesse ist zwingend erforderlich. spielsweise Enterprise Ressource Planning (ERP) und Ven- • Die hohe Dynamik der Branche und die immer kür- dor Managed Inventory (VMI) unterstützt werden können. zeren Innovationszyklen machen eine funktionieren- Produkte und Services werden zunehmend digital erwei- de Trenderkennung zum entscheidenden Erfolgs tert, man spricht von digitaler Augmentation. Möbelhäuser faktor. bieten beispielsweise mobile Apps an, die es mit Hilfe von Augmented Reality ermöglichen, Möbel virtuell im Raum zu Wirtschaftsinformatik & Management
Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel platzieren und sich so vorab einen Eindruck von der Raum- Vormarsch von MP3 und damit verbunden die digitale Ver- gestaltung zu verschaffen. Andere Produkte – beispielsweise teilung via Download. Aktuell kann die Tendenz beobach- in der Unterhaltungsindustrie – verschwinden im Zuge der tet werden, dass Streamingdienste den Download ablösen. Digitalisierung zugunsten neuer Distributionswege völlig. So Insgesamt ist ein Trend weg vom Besitzen hin zur On-De- befindet sich der Markt für Video- und Tonträger seit Jah- mand-Nutzung sowie die Etablierung einer Sharing Econo- ren in einem fundamentalen Umbruch: Zunächst kam der my erkennbar. Tab. 1 Auswahl von Anwendungsmöglichkeiten digitaler Technologien im stationären Einzelhandel Phase Anwendung Technologie Funktion Potenzial Beispiele Vorkauf- Digitale Customer Touch- RFID, Bilderkennung, Produktspezifische Informationsbereitstel- Galeria Kaufhof, Tesco phase points: Smart Shelves, Beacons Zusatzinformationen lung Home Plus, Censo Sud Infoterminals Smart Mirror, smarte RFID, Bilderkennung, Produktidentifikation Digitale Produktkonfi- Memomi Labs, Oak Labs, Umkleidekabine 3D-Scanner, Augmented bzw. -empfehlung, virtual guration, -information, Zara Reality try-on -empfehlungen, Zusatz- verkäufe Virtueller Einkaufs Chatbots, Smartphone Virtuelle Einkaufsbera- Effizienzsteigerung bei Home Depot, Shoptagr assistent tung Beratungsleistung Virtuelle Planung Augmented Reality, Virtuelles Platzieren von Kaufunterstützung, Ikea, Obi Smartphone, Tablet Möbelstücken in der rea- Servicedifferenzierung len Umgebung, virtuelle Gartenplanung Location Based Services Smartphone, GPS Store Finder, Versand von Steigerung der Sicht- Nespresso, Esprit, Star- Push-Benachrichtigungen barkeit, Steigerung der bucks Kundenfrequenz Digital Signage Digitale Displays Dynamische Werbe- Bedarfsweckung Edeka, e-Spirit, NTS Retail schilder, Information zur Laufzeit anpassbar Kaufphase Interaktives Schaufenster RFID, Bilderkennung, Virtuelle Verlängerung Erweiterung der Funktion Adidas neo Smartphone der Öffnungszeiten, des Schaufensters um Verknüpfung mit Online- die Möglichkeit zur Shop Konversion Indoor Navigation Visible Light Navigati- Orientierung im Optimierung der Wege Carrefour Lille, Philips on, LED, Smartphone, Geschäftslokal des Kunden, Unterstüt- Beacons zung bei Produktsuche im Geschäft Smarte Einkaufswagen Beacons, RFID, Bilderken- Zusatzinformationen zu Informationsbereitstel- Amazon Go, SK telecom nung Produkten über Display lung, Beschleunigung am Einkaufswagen, Check-out Auflistung Warenkorb Automatisierter Check- RFID, Bilderkennung Bezahlung, SB-Kasse Reduktion Wartezeit, Amazon Go Seattle, out, zero-touch checkout Reduktion Personalre- Burberry London ssourcen, Steigerung Effektivität des Perso- naleinsatzes Nachkauf- Virtueller Serviceassistent Chatbot, mobile App Nachbetreuung des Kun- Verbesserter Kunden- DiSA, arvato phase den, Wartung, interaktive service Bedienungsanleitung Alle Digitale Kundenkarte/ NFC, Smartphone Stammkundenprogram- Verknüpfung von Rewe Phasen Loyalty-Card me, Kaufhistorien Online- und Offline-Kun- denprofilen z. B. durch App-Integration NFC Near Field Communication, GPS Global Positioning System, RFID „radio-frequency identification“ Wirtschaftsinformatik & Management
Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel Anwendung digitaler Technologien im inzelhandel stationären E Projekt Perform Digitale Technologien bieten vielfältige Möglichkeiten zur • Das Marie Curie ETN Projekt PERFORM (Pionee- Anwendung im stationären Einzelhandel. Einige davon wer- ring the Digital Future for Omnichannel Retail Mana- den bereits eingesetzt, manche muten noch sehr futuristisch gers) mit einem Volumen von 3,86 Mio Euro beschäf- an. Schröder und Lich [11] sprechen diesbezüglich von digita- tigt sich von 2018 bis 2021 mit zentralen Themen im len Dienstleistungen und nennen Anwendungsmöglichkeiten Digital Retail Bereich. Dabei führen 15 Dissertanten unterschiedlichen Reifegrads, die sie den drei Hauptphasen Trainings und Forschungsaufgaben mit Retail-Bezug Vorkauf-, Kauf- und Nachkaufphase zuordnen. Hosseini et al. in den Bereichen Geschäftsmodell-Transformation, [6] entwickelten einen Katalog von Kunden-Händler-Inter- Technologien am POS in der Customer Journey, Cus- aktionen, in welchem sie je Phase unterscheiden, wer (Kunde tomer Journey und Customer Interaction, Smarte Lo- oder Händler) die Interaktion initiiert; zur Illustration wer- gistikkonzepte, Innovative Zahlungsmethoden sowie den jeweils konkrete Anwendungsbeispiele genannt. Kheira- Data Analytics durch. Die Autoren Andreas Auinger var und Richter [14] geben einen Überblick über den Einsatz und René Riedl sind in Projektmanagement, Trai- digitaler Technologien in Pilotprojekten, wobei sie eine Un- nings und Supervisorfunktionen im Projekt tätig. terscheidung nach Anwendungen für stationäre Geräte und http://www.perform-network.eu/ mobile Anwendungen vornehmen. Tab. 1 zeigt auf der Basis der drei genannten Quellen konkrete Beispiele auf, wie viel- fältig die Einsatzmöglichkeiten digitaler Technologien im sta- ser Kategorie Tablets und Augmented-Reality-Brillen, aber tionären Einzelhandel sind. auch „voice-activated“ bzw. „voice-enabled shopping“, also sprachgesteuertes Einkaufen mithilfe entsprechender Spra- Digitale Transformationsschritte cherkennungssoftware wie Amazon Echo, Google Assistant für den stationären Einzelhandel oder Apples Siri. Da insbesondere diese Technologiekatego- In diesem Kapitel werden aus den in den vorangegangenen rie von immer kürzer werdenden Innovationszyklen geprägt Kapiteln beschriebenen Veränderungen resultierende Impli- ist, gilt es Trends frühzeitig zu erkennen, um rasch entschei- kationen hinsichtlich organisationaler, prozessualer sowie in- den zu können, ob eine bestimmte Technologie im eigenen formations- und kommunikationstechnologischer Faktoren Unternehmen wertschöpfend eingesetzt werden kann. herausgearbeitet und Möglichkeiten aufgezeigt, wie Unter- • In-Store Technologies: Für den stationären Einzelhandel nehmen im stationären Einzelhandel die digitale Transfor- spielt insbesondere die vor Ort im Geschäft eingesetzte mation erfolgreich einleiten und umsetzen können. Technologie eine große Rolle. Sie dient der Unterstützung Technologische Voraussetzungen schaffen: Die technolo- der Konsumenten, während sich diese im Geschäft aufhal- gische Fitness spielt branchenübergreifend eine wachsende ten, und soll zu einer Verbesserung der Customer Experi- Rolle für das erfolgreiche Bestehen von Unternehmen. Auch ence beitragen. Dazu zählen beispielsweise Technologien der stationäre Einzelhandel ist hier keine Ausnahme. Neben zur Indoor Navigation, aber auch virtuelle Einkaufsbera- branchenspezifischen Neuerungen wird es immer wichtiger, ter, die den Kunden zusätzliche Produktinformationen be- auch Entwicklungen in vermeintlich fremden, nicht verwand- reitstellen. Oftmals funktionieren diese Technologien im ten Branchen im Auge zu behalten, um Potenziale für die ei- Zusammenspiel mit den mobilen Endgeräten der Kunden. gene Branche abzuleiten. Eine Einteilung der für den stati- Auch elektronische Preisschilder (wie sie z. B. von Media onären Einzelhandel relevanten Technologien kann in drei Markt eingesetzt werden), die gerade beim Betrieb mehre- Kategorien erfolgen: rer Filialen eine Effizienzsteigerung und gesteigerte Aktuali- • Consumer Technologies: Diese Kategorie umfasst alle End- tät bringen, zählen zu dieser Technologiekategorie. Weiters geräte im Besitz des Konsumenten, über die eine direkte In- können Technologien auch dazu beitragen, das Verhalten teraktion möglich wird. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Kunden im Laden besser zu verstehen. Ein Beispiel da- der mobilen Internettechnologie und den Smartphones zu. für ist der Einsatz von Technologien zur Aufmerksamkeits- Sie werden vielfach als Beschleuniger der digitalen Einzel- messung oder Blickaufzeichnung, die zur Optimierung des handelsevolution bezeichnet. Darüber hinaus zählen zu die- Ladendesigns herangezogen werden können. Wirtschaftsinformatik & Management
Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel • Backend Technologies: Die dritte Kategorie umfasst Tech- rung eines Online-Kundenportals genannt werden. Dadurch nologien, welche die Grundlage für die beiden zuvor ge- ändern sich nicht nur die Prozessschritte der Datenaktualisie- nannten Kategorien bilden. Dazu zählen Werkzeuge zur rung, sondern auch die ausführenden Personen. Datenanalyse und -aufbereitung, aber auch klassische Ein- Trenderkennung: Je kürzer die Innovationszyklen werden, zelhandelssoftware wie Warenwirtschaftssysteme, die al- je schneller Trends kommen und gehen und je dynamischer lerdings Schnittstellen zur Anbindung neuer Technologien das Unternehmens- und Branchenumfeld sich entwickelt, und Services bereitstellen müssen. Sowohl statische Infor- desto wichtiger ist es, neue Entwicklungen frühzeitig zu er- mationen wie Produktbeschreibungen als auch dynamische kennen, zu evaluieren und zu entscheiden, ob sie weiterver- Daten wie Lagerstände oder Einkaufshistorien der Kunden folgt werden sollen. Die Kontrolle über Trends wandert zu- kommen aus den Backend-Systemen und werden dort ent- nehmend mehr von den Anbietern zu den Konsumenten, die sprechend verarbeitet bzw. an weitere Systeme übergeben. immer häufiger Trends schaffen und verbreiten. Ein wesent- Analyse und Optimierung interner und externer Prozesse: licher Erfolgsfaktor für die Händler liegt deshalb in der auf- Der Einsatz digitaler Technologien leistet einen wesentlichen merksamen Beobachtung von und Reaktion auf Aktivitäten, Beitrag zur Prozessoptimierung und -automatisierung. Um die unter anderem in sozialen Netzwerken stattfinden. das Potenzial von Digitalisierungsmaßnahmen dahingehend Die strategische Frühaufklärung („corporate foresight“, bestmöglich ausnutzen zu können, gilt es, vorab die bestehen- SFA) beschäftigt sich mit dieser Herausforderung. SFA dient den Geschäftsprozesse zu erheben, abzubilden und zu analy- (i) der Identifizierung neuer Technologien, Bedürfnisse und sieren, wobei unternehmensinterne Prozesse sowie Prozesse Aktivitäten der Mitbewerber, (ii) der strategischen Neuaus- auf Kunden- und Lieferantenseite zu berücksichtigen sind. richtung durch die Identifizierung neuer Geschäftsfelder bzw. Die steigende Komplexität der Geschäftsprozesse, bedingt der Neuausrichtung bestehender Felder und (iii) dem per- durch die zunehmende Vernetzung mit Kunden und Liefe- manenten Beobachten des technologischen Umfelds und des ranten, aber auch unternehmensintern zwischen unterschied- Marktumfeldes zur Sicherung des Stands der Technik und lichen Abteilungen, macht die Transparenz der Prozesse zur zum rechtzeitigen Erkennen erfolgskritischer Disruptionen. Grundvoraussetzung für Optimierungsmaßnahmen. Prozes- se laufen nicht (mehr) isoliert in den einzelnen Abteilungen Fazit ab, sondern werden zunehmend zu Querschnittsprozessen Die Digitalisierung stellt den stationären Einzelhandel stär- über mehrere Abteilungen hinweg. Nur wenn die erforderli- ker als viele andere Branchen vor neue Herausforderungen. che Transparenz und das Prozesswissen gegeben sind, kann Durch die Umsatzverschiebung in Richtung E-Commerce das Potenzial der Digitalisierung effektiv nutzbar gemacht und die steigende Dynamik der gesamten Branche ist ein werden. Ein wesentliches Merkmal der Digitalisierung ist die Aufbrechen verkrusteter, statischer Strukturen und Denk- Kontinuität der Veränderung. Diese überträgt sich auch auf weisen des stationären Einzelhandels nicht nur empfehlens- die betroffenen Prozesse, was ein Umdenken erfordert. Die wert, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach überlebenswich- gesteigerte Dynamik des gesamten Branchenumfeldes schlägt tig. Richtig umgesetzt stellt die Digitalisierung die Branche sich in den Prozessen nieder, die ebenfalls dynamischer auf allerdings nicht nur vor neue Fragen und Herausforderun- Veränderungen reagieren müssen. gen, sondern liefert zugleich vielfältige Antworten, wie den So wie das Geschäftsmodell das Bindeglied zwischen der Herausforderungen begegnet werden kann. Die Kombination Unternehmensstrategie und den Geschäftsprozessen darstellt, aus (noch) nicht digital imitierbaren Leistungen des stationä- dienen die Geschäftsprozesse der Umsetzung des Geschäfts- ren Einzelhandels und zusätzlichen digitalen Services schafft modells in operative Aufgaben. Gerade die Digitalisierung die Voraussetzungen, um den Anforderungen der Kunden bietet zahlreiche neue Möglichkeiten, wie Aufgaben durch- an ein hybrides Shoppingmodell gerecht zu werden. Eine be- geführt werden können, was wiederum Auswirkungen auf die sondere strategische Bedeutung kommt in einem ganzheitli- dahinterliegenden Prozesse haben kann. Prozessoptimierung chen Digitalisierungsansatz dem Geschäftsmodell zu. Maß- ist daher kein Vorgang, der nur top-down umgesetzt wird, nahmen zur digitalen Transformation können hier auf jeder sondern durchaus von einzelnen Aufgaben ausgehend auch der Geschäftsmodell-Dimensionen Was?, Warum? Und Wie? bottom-up. Als Beispiel kann die Auslagerung der Kunden- direkte Implikationen haben und folglich indirekte Wirkung stammdatenpflege zu den Kunden selbst im Zuge der Einfüh- auf den Kunden ausüben. Wissenschaft und Praxis sind sich Wirtschaftsinformatik & Management
Spektrum: Digitale Transformation im Einzelhandel der Notwendigkeit einer intensiven Auseinandersetzung und [9] Knapp, A.-K., Marchand, A., & Hennig-Thurau, T. (2017). Betrachtung des Digitalisierungsthemas im Einzelhandel be- How to survive in a digital world? A comprehensive analysis of success factors for brick-and-mortar retail stores: an abstract. In wusst, was zahlreiche gemeinschaftliche Projekte zeigen. Das M. Stieler (Hrsg.), Developments in marketing science: proceedings aktuell anlaufende europaweite Kooperationsprojekt „Per- of the Academy of Marketing Science, Creating Marketing Magic and form – Pioneering the Digital Future for Omnichannel Re- Innovative Future Marketing Trends. 2016 Academy of Marketing tail Managers“ (http://www.perform-network.eu/) bildet Science (AMS) Annual Conference. (S. 301). New York: Springer. beispielsweise den Rahmen für gemeinsame Forschungsak- [10] Abirami, M., & Pattabiraman, V. (2016). Data mining ap- proach for intelligent customer behavior analysis for a retail store. tivitäten von fünf Universitäten und neun Unternehmen aus In V. Vijayakumar & V. Neelanarayanan (Hrsg.), Smart innovation, sechs Staaten. Die Handelsbranche war schon immer von systems and technologies. 3rd International Symposium on Big Umbrüchen und Veränderungen geprägt. Neu ist dieses Mal Data and Cloud Computing Challenges. (S. 283–291). New York: in erster Linie die Geschwindigkeit, mit der diese im Kontext Springer. der Digitalisierung passieren, so dass für Entscheidungsträger [11] Schröder, H., & Lich, A.-K. (2017). Digitale Dienstleistungen weniger Zeit als bisher bleibt, um strategische Entscheidun- im stationären Einzelhandel als Antwort auf die Herausforderungen durch Online-Shops. In M. Bruhn & K. Hadwich (Hrsg.), Forum gen zu treffen und Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Dienstleistungsmanagement, Dienstleistungen 4.0: Konzepte – Metho- den – Instrumente (Bd. 1, S. 483–510). Wiesbaden: Springer Gabler. Open Access This article is distributed under the terms of [12] Gassmann, O., Frankenberger, K., & Csik, M. (2014). The busi- the Creative Commons Attribution 4.0 International License ness model navigator: 55 models that will revolutionise your business (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/), which per- (1. Aufl.). Harlow: Financial Times. mits unrestricted use, distribution, and reproduction in any [13] Chaffey, D. (2011). E-business & e-commerce management: medium, provided you give appropriate credit to the original strategy, implementation and practice (5. Aufl.). Harlow: Financial Times Prentice Hall. author(s) and the source, provide a link to the Creative Com- mons license, and indicate if changes were made. [14] Kheiravar, S., & Richter, N. (2016). Neue Technologien im stationären Einzelhandel: Mobile Apps oder stationäre Geräte? In L. Binckebanck & R. Elste (Hrsg.), Digitalisierung im Vertrieb (S. 609–631). Wiesbaden: Springer. Literatur [1] Hagberg, J., Sundstrom, M., & Egels-Zandén, N. (2016). The digitalization of retailing: an exploratory framework. International Journal of Retail & Distribution Management, 44(7), 694–712. [2] Hagberg, J., Jonsson, A., & Egels-Zandén, N. (2017). Retail digitalization: implications for physical stores. Journal of Retailing and Consumer Services, 39, 264–269. [3] Arora, S., Singha, K., & Sahney, S. (2017). Understanding consumer’s showrooming behaviour. Asia Pacific Journal of Marke- ting & Logistics, 29(2), 409–431. [4] Collin-Lachaud, I., & Vanheems, R. (2016). Navigating bet- ween real and virtual spaces: an exploration of the hybrid shopping experience. Recherche et Applications en Marketing (English Editi- on), 31(2), 40–58. [5] Metter, A. (2017). Das digitale Einkaufserlebnis im stationären Handel. Wirtschaftsinformatik & Management, 9(6), 62–71. [6] Hosseini, S., Röglinger, M., & Schmied, F. (2017). Omni- channel retail capabilities: an information systems perspective. 38th International Conference on Information Systems (ICIS). [7] Lemke, C., Brenner, W., & Kirchner, K. (2017). Einführung in die Wirtschaftsinformatik. Berlin, Heidelberg: Springer. [8] Gil-Saura, I., Ruiz-Molina, M.-E., & Calderón-García, H. (2010). Retail IT and customer loyalty: the moderating role of customer age. Journal of Retail Leisure Property, 9(4), 357–371. Mehr zum Thema finden Sie online A www.springerprofessional.de/wum Wirtschaftsinformatik & Management
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