Digitales Lehren und Lernen - NEXUS IMPULSE FÜR DIE PRAXIS - Ausgabe 12 | Dezember 2016 - HRK nexus

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Digitales Lehren und Lernen - NEXUS IMPULSE FÜR DIE PRAXIS - Ausgabe 12 | Dezember 2016 - HRK nexus
NEXUS IMPULSE FÜR DIE PRAXIS
Digitales Lehren und Lernen

                               Ausgabe 12 | Dezember 2016
2                                                                            nexus IMPULSE FÜR DIE PRAXIS | Ausgabe 12

     Einführung
     Digitalisierung greift zunehmend in alle Bereiche un-         Die Studierenden sollen mit Hilfe der Kommunikations-
     seres Alltags ein und konfrontiert die Hochschulen mit        anwendungen, die sie auch privat nutzen ­(Vornberger
     vielfältigen strukturell-strategischen Aspekten und an-       2002-2016), die nötigen Medienkompetenzen im
     wendungsbezogenen Herausforderungen und Chancen.              ­Studium erlangen. Digitale Technologien sind allerdings
     Neben der Möglichkeit, neue Wege der Kommunikation             kein Selbstzweck. Sie erlangen ihren Mehrwert erst durch
     – zum Teil in Echtzeit – zu nutzen, Wissensbestände zu         die Einbettung in didaktische Konzepte, die bereits seit
     bewahren und zur Verfügung zu stellen, haben digitale          den 1990er Jahren Eingang in die Präsenzlehre finden
     Technologien auch zu einer Neustrukturierung vieler            (Wannemacher 2016).
     Lernsituationen beigetragen. Die vorliegende Publikation
     konzentriert sich auf das Potenzial digitaler Medien für
     die Bereiche Lehre und Studium. Lernen ist nicht mehr         BLENDED LEARNING
     zwangsläufig an einen Ort, an eine Zeit oder an in der
     Bibliothek vorhandene Bücher und Materialien gebun-           Im Kontext von Modularisierung und lebenslangem
     den.                                                          Lernen sowie bei Veranstaltungen ohne Präsenzpflicht
                                                                   kommt Selbstlernphasen in einem zeit- und ortsunab­
     Über den Mehrwert einer Integration digitaler Formate in      hängigen Lernprozess eine besondere Bedeutung zu.
     die Lehre herrscht weitgehend Einigkeit (Stifterverband       Nach Schulmeister et al. (2012) besteht die Heterogenität
     2014; Means et al. 2010). Digitale Formate erlauben auf-      der Studierendenschaft vorwiegend im unterschiedlichen
     grund einer veränderten Kommunikation und Interaktion         individuellen Lernverhalten während des Selbststudiums
     zwischen Menschen eine stärkere Lernendenorientie-            und bestimmt maßgeblich den Studienerfolg. Die Ge-
     rung, wodurch die Studierenden an der Gestaltung des          staltung der Selbstlernphasen wird damit immer wichti-
     Lernprozesses und der Lernumgebung beteiligt werden.          ger und rückt in den Mittelpunkt der Konzeption einer
     Lernende und Lehrende übernehmen gemeinsam Verant-            Lehrveranstaltung. Andererseits machen Studien auch
     wortung für den Lernprozess (Mayrberger i.E.). Verände-       deutlich, dass gerade festgelegte Präsenzzeiten, die von
     rungsprozesse benötigen Pioniere – aus diesem Grund           den Studierenden aktiv genutzt werden, zu besseren
     erkennen die HRK und der Stifterverband innovative            Abschlussergebnissen führen als die Bearbeitung von
     Leistungen der Lehrenden in einer sich wandelnden Lehr-       ­Online-Materialien allein (Schulmeister i.E.). Die Konse-
     und Lernkultur mit der Verleihung des Ars legendi-Lehr-        quenz für die Erstellung von digitalen Lehrformaten liegt
     preises 2015 zum Digitalen Lehren und Lernen an.               auf der Hand: Entscheidend für den Lernerfolg ist der
                                                                    gelungene Mix aus Online- und Präsenzphasen, dem
     DIGITALE MEDIEN IN                                             sogenannten Blended Learning, welches die didaktisch
                                                                    sinnvolle Verknüpfung von E-Learning Elementen mit
     LEHRVERANSTALTUNGEN – WOZU?
                                                                    Präsenzphasen zu Lernarrangements bezeichnet und
     Die stetig steigende Zahl und die damit einhergehende          die heute verfügbaren Möglichkeiten der Vernetzung
     Heterogenität der Studierenden stellen die Hochschulen         über das Internet optimal nutzt (Sauter et al. 2004).
     vor die Herausforderung, sowohl die Studienpläne als           Bereits seit dem ersten Einsatz von „Lernmaschinen“
     auch die Veranstaltungen stärker auf individuelle Be-          durch B. F. Skinner in den 1950er Jahren eröffnen sich
     dürfnisse abzustimmen. Multimediaanwendungen und               Lehrenden heute zahlreiche Möglichkeiten, die eigene
     E-Learning sind elementare Bausteine, die dazu beitragen       Lehre mit digitalen Medien anzureichern oder gezielt
     können, die akademische Lehre weiter zu flexibilisieren        Selbstlernphasen in ihre Veranstaltungen – unabhängig
     und qualitativ zu verbessern, da durch die Digitalisierung,    ob Vorlesung, Seminar oder Übung – zu integrieren und
     „die Auswahl an didaktischen Möglichkeiten schlicht grö-       unter Zuhilfenahme digitaler Formate zu unterstützen.
     ßer und vielfältiger“ wird (Mayrberger i.E.): Lern­inhalte     Hierdurch erhöht sich sowohl die methodische Vielfalt
     und Wissen werden leicht einer großen Hörerschaft              als auch die organisatorische Flexibilität in der Nutzung
     zugänglich gemacht, zeit- und ortsunabhängiges Lernen          von Lehrangeboten. Blended Learning kommt somit den
     kann realisiert werden, Lernräume werden verbunden             Bedürfnissen der Studierenden nach individuellen Lern-
     sowie inhaltliche und soziale Vernetzung ermöglicht.           möglichkeiten entgegen.
Kapitelname
nexus IMPULSE FÜR DIE PRAXIS | Ausgabe 12                                                                                   33

Vermittlung – Aktivierung – Betreuung
Der Dreiklang aus der Vermittlung von Inhalten, der             in die eigene Veranstaltung ist eine gewisse technische
Aktivierung der Studierenden und deren Betreuung ist            Infrastruktur unverzichtbar. Diese kann – muss aber nicht
sowohl in klassischen Lehrformaten als auch in Blended          zwingend – ein schon vielfach an Hochschulen genutztes
Learning-Formaten notwendig, um die festgelegten Lehr-          Lernmanagement­system sein, welches die Einbindung
und Lernziele in Veranstaltungen zu erreichen (Rein-            von digitalen Medien in die Veranstaltung unterstützt.
mann 2013). Die Abbildung verdeutlicht dies ­grafisch           Lernmanagementsysteme dienen als Plattformen, um
und zeigt Gestaltungsmöglichkeiten auf, an denen                Inhalte bereitzustellen, zur Organisation von Lehre (bspw.
digitale Formate ansetzen können – entweder als ver-            Kursverwaltung und Administration der Teilnehmer) und
einzelte Maßnahmen innerhalb eines didaktischen Kon-            als Kommunikationstools. Am weitesten in Deutschland
zepts oder im Zusammenwirken mehrerer Aspekte. Die              verbreitet sind das ILIAS-System, das Stud.IP-Portal oder
funktional aufeinander abgestimmte Kombination von              Moodle. Alle drei Systeme sind Open Source-Anwendun-
Präsenzlehre und digi­talen Elementen erlaubt es, in allen      gen, welche Hochschulen kostenlos nutzen und nach
drei Gestaltungsbereichen die Vorteile der jeweiligen           eigenen Vorstellungen weiterentwickeln können, sodass
Lernmodi zu nutzen und Nachteile zu mindern (Wan-               es heute viele hilfreiche Ergänzungen als Plug-Ins (bspw.
nemacher 2016). Zur Integration von E-Learning-Tools            STACK; s. u.) gibt (e-teaching.org 2016).

Integrationsmöglichkeiten von digitalen Elementen zur Gestaltung von Lehrveranstaltungen;
eigene Darstellung in Anlehnung an Reinmann (2013).
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     Die Lernplattform k-MED beispielsweise ist eine Anpas-
     sung des ILIAS-Systems an die Bedarfe von Medizin-             LERNPLATTFORM K-MED KNOWLEDGE-
     studierenden und zeigt, dass Online-Lernplattformen            BASED MEDICAL EDUCATION
     Stu­dierenden auch die Möglichkeit bieten, ihren Kommi-
                                                                    Diese bietet Lerninhalte für das Studium der Human-
     litonen Materialien zur Verfügung zu stellen und als sog.      medizin an und wird vor allem von den Medizinstu-
     „Prosumenten“, d. h. nicht nur als Nachfrager nach Ma-         dierenden der Gießener und Marburger Universität
     terialien, sondern auch als deren Anbieter, aufzutreten.       genutzt.

     LERNINHALTE VERMITTELN                                         Über die Lernplattform werden fachliche Inhalte in
                                                                    diversen medizinischen Bereichen (bspw. Allgemein-
     Vorlesungen und Vorträge können mittels unterschied-           medizin, Biochemie, Zahnheilkunde) zum curricula-
     licher Hard- oder Softwarelösungen als audiovisuelle           ren Bestandteil von Lehrveranstaltungen. Jeder Lern-
     Mitschnitte aufgezeichnet werden, um zeit- und orts­           kurs wird fachlich überprüft, didaktisch aufbereitet
                                                                    und grafisch optimiert. In abschließenden Testfragen
     unabhängig angeschaut oder in einzelnen Sequenzen
                                                                    können Lernende ihren Lernstand überprüfen.
     von den Studierenden erneut nachvollzogen zu werden.
     Im Vergleich zum klassischen Abfilmen der Veranstal­
                                                                    k-MED bietet darüber hinaus die Möglichkeit, Foren
     tun­gen ermöglicht der Einsatz der digitalen Technologie       zur Kommunikation zwischen Teilnehmenden und
     qualitativ bessere Ergebnisse: Die Präsentation wird vom       Dozenten zu verwenden [1].
     Computer aus aufgezeichnet, sodass die Folien gut lesbar
     sind; das Bild des Sprechers und der Ton werden separat
     aufgenommen und mit der Präsentation synchronisiert.
     Im fertigen Video kann z. B. die PowerPoint-Präsentation
     den Großteil des Bildes einnehmen, während der Redner          VIRTUELLE PATIENTEN DER
     in einem kleinen Bild-im-Bild-Fenster zu sehen ist (Claus-     MEDIZINISCHEN FAKULTÄT HEIDELBERG
     sen 2010). Derartige Mitschnitte lassen sich beispiels-
                                                                    (RUPRECHT-KARLS-UNIVERSITÄT
     weise über Anwendungen des internationalen Netzwerks
     Opencast [2] oder über Lecture2Go [3] realisieren. Beide
                                                                    HEIDELBERG)
     Ver­sionen sind kostenlos erhältlich, erfordern jedoch         Auf Grundlage eines interaktiven und fallbasierten
     Ressourcen für Administration und Wartung.                     Lernprogramms erarbeiten sich die Studierenden
                                                                    den Lernstoff in unterschiedlichen medizinischen
     Von dem Vortrags- oder Vorlesungsmitschnitt zu unter­          Fach­richtungen. Der Nutzer betreut einen virtuellen
                                                                    Patien­ten von der Anamnese bis zur Therapie und
     scheiden sind Lehr-/ Lernvideos, die genutzt werden
                                                                    muss dabei viele Entscheidungen selbst treffen;
     können, um komplexe Sachverhalte kompakt darzu­
                                                                    da­­bei erhält er jeweils Feedback zu seinen Entschei-
     stellen und anschaulicher zu erläutern, als dieses in tradi-
                                                                    dungen.
     tionellen Lehrbüchern und Vorlesungen möglich ist. Die
     Videos werden zu einem bestimmten Thema geplant und            Ziel von virtuellen Patienten ist es, die Studierenden
     ohne Publikum mithilfe einer Screencastsoftware [4a/4b]        auf den wirklichen Patienten vorzubereiten. Im Re-
     produziert. Im Gegensatz zum hohen Aufwand für die             gelbetrieb einer Universitätsklinik fehlt es oftmals an
     Produktion von etwa 20-minütigen E-Lectures, hält sich         geeigneten Patienten für den Unterricht, da über-
     dieser bei kurzen Micro-Lectures in Grenzen. So können         wiegend akute Fälle behandelt werden, saisonale
     solche Lernvideos z. B. Diagramme darstellen und Ver-          Krankheitsbilder unter Umständen unberücksichtigt
     änderungen einzelner Parameter eingängig erläutern             bleiben oder die Studierenden nicht den gesamten
     (Handke 2015, 151 ff.).                                        Patientenverlauf begleiten können.

                                                                    Zudem lassen sich anhand virtueller Patienten bereits
     INHALTLICHE PRAXISBEZÜGE STÄRKEN                               in der vorklinischen Phase des Studiums relevante kli-
                                                                    nische Inhalte einüben. Darüber hinaus können die
     Lernen als ein Prozess der Informationsverarbeitung und        virtuellen Patienten auch sehr gut im Blended Lear-
     Bedeutungskonstruktion mit dem Ziel, Probleme und              ning Bereich eingesetzt werden, ins­besondere in der
     Fragestellungen zu lösen (Reinmann 2013) kann durch            Vorbereitung für z. B. „Skills Lab“-Ein­heiten u. ä. [5].
     Lehrende begleitet und mithilfe digitaler Formate
Kapitelname
nexus IMPULSE FÜR DIE PRAXIS | Ausgabe 12                                                                            55

umgesetzt werden (Arnold 2005). So ermöglichen digi-
tale Formate die Herstellung von echten Praxisbezügen,        VERBUNDPROJEKT OPEN MINT LABS
z. B. durch die Verbindung unterschiedlicher Lernräume,       DER HOCHSCHULEN KAISERSLAUTERN,
um Lerninhalte in multiple Anwendungskontexte zu set-         KOBLENZ UND TRIER
zen. Die Studierenden können ortsunabhängig Arbeits­
                                                              In OPEN MINT LABS-Projekten werden interaktive
prozesse beobachten, daran teilnehmen und Entschei-
                                                              E-Learning-Einheiten, sogenannte virtuelle Labore,
dungen nachvollziehen. Ermöglicht wird der virtuelle
                                                              zur Ergänzung der Präsenzlehre in den ingenieur-
Orts­wechsel – sei es in ein virtuelles Labor oder in einen
                                                              und naturwissen­schaftlich-technischen Fächern
virtuellen Behandlungsraum – bspw. durch interaktive
                                                              eingesetzt. Studierende können sich anhand von
Online-Lernprogramme wie den Virtuellen Patienten oder
                                                              Lernvideos, Online-Simulationen und weiteren Lern­
interaktive Videos.
                                                              applikationen eigenständig auf reale Laborversuche
                                                              vorbereiten.
Alternativ können webbasierte Videokonferenzen Einbli-
cke in die alltägliche Berufspraxis geben [7]: So können
                                                              Im Bereich der Grundlagenpraktika werden insbe-
zum Beispiel Lehramtsstudierende live am Unterricht an
                                                              sondere interaktive Elemente dazu genutzt, einen
Schulen hospitieren, um eine enge Verzahnung des fach-        Versuchsablauf zur Vorbereitung bereits durchzu­
didaktischen Wissens mit der schulpraktischen Anwen-          spielen und einzelne Schritte des Experiments er-
dung zu ermöglichen (Böttger et al. 2016).                    fahrbar zu machen. Beispielsweise in (interaktiven)
                                                              Lernvideos werden so Inhalte vermittelt, die sich von
Die jüngste Entwicklung auf dem Gebiet der Verbindung         Studierenden einfacher von einem Film abstrahieren
unterschiedlicher Lernorte und -situationen ist „Seamless     und auf ihr eigenes Handeln übertragen lassen als
Learning“: Ziel ist es, die Grenzen zwischen hochschuli-      durch eine rein textliche und/oder bildliche Darstel-
schen Lernsituationen und dem Alltag der Studierenden         lung [6].
verschwinden zu lassen, um Lernen jederzeit und überall
zu ermöglichen. Der Umstand, dass nahezu alle Studie-
renden einen Zugang zu Smartphones und/oder Tablets
haben, wird hierbei gezielt genutzt, um bspw. eine er-        HÖRSAAL-UMFRAGEN MIT
weiterte Realität („Augmented Reality“) zu erschaffen.
                                                              FREEQUIZ­DOME
So erhalten Studierende bei einem GPS-gesteuerten
Rundgang über den Hohenheimer Campus an unter-                FreeQuizDome ist eine kostenlose „bring your own
                                                              device (BYOD)“-Anwendung, die es – ohne viel Auf-
schiedlichen Lernorten Lernmaterialien (z. B. Texte, Fotos
                                                              wand – ermöglicht, Abstimmungergebnisse,
oder Tests) bereitgestellt (Forster und Hoffmann 2016).
                                                              Wissenstests, Meinungsbilder und inhaltliche
                                                              Beiträge von großen Gruppen zu erfassen und
AKTIVIERUNG UND FEEDBACK                                      auszuwerten. Es werden QR-Codes oder Kurzlinks
                                                              auf dem PC des Dozenten generiert, die von den
In Abhängigkeit von den gewählten Zielen kann der             Studierenden ohne vorherige Anmel­dung auf PCs
Aktivierungsanteil innerhalb eines Lehrszenarios variieren    oder mobilen Endgeräten aufge­rufen wer­den kön-
(Reinmann 2013). Digitale Medien unterstützen hierbei         nen. Der Vortragende oder Moderator tritt aktiv mit
sowohl den Einsatz kleiner und fokussierter Elemente          der Gruppe in Kontakt und kann die Ergebnisse als
wie Abstimmungssysteme (Clicker), aber auch umfang-           didaktisches Instrument oder zur inhalt­lichen Ergän-
reichere Selbstlernanwendungen.                               zung seiner Lehre nutzen.

                                                              Die an der Universität Bielefeld entwickelte Soft-
Clicker dienen der Aktivierung der Studierenden, ins­
                                                              ware stellt unterschiedliche Fragentypen bereit,
besondere innerhalb großer Auditorien, und geben ihnen
                                                              die fast alle grundlegenden didaktischen Szenarien
ein unmittelbares Feedback über ihren Kenntnisstand;
                                                              abdecken: Ja/Nein-Fragen, Single Choice, Multiple
selbst zögerliche Studierende können mit Kurzumfragen         Choice, Freitextantworten oder Rating­skala-Fragen
erreicht und zur Mitarbeit angeregt werden. Lehrenden         (von 1-100%). Zur direkten Nutzung der Ergebnisse
gibt das Clicker-System Hinweise darüber, ob die ange-        liefert FreeQuizDome eine statistische Interpretation
strebten Lernerge­bnisse mithilfe der gewählten Lernform      der Antworten und eine visualisierte Darstellung [8].
erreicht werden. Die Anwendungen liefern – unabhängig
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     davon, ob es sich um „bring your own device (BYOD)“-
     Anwendungen mit dem eigenen Smartphone [8] oder                E- PORTFOLIOS
     eigens bereitgestellte Abstimmungsgeräte handelt –             E-Portfolios ergänzen als persönliche Arbeitsbe-
     umgehend die Kurzumfrageergebnisse für alle sichtbar           reiche, die z. B. mit Mahara angeboten werden,
     im Präsentationsformat. Das Stellen von Verständnis-           Lernplattformen wie Moodle optimal. Eigene Do-
     fragen, kombiniert mit Kleingruppendiskussionen nach           kumente können erstellt, geteilt, kommentiert und
     bspw. der Methode der „Peer-instruction“ von Mazur             in Verbindung mit unterschiedlichen multimedialen
     (2006), deckt Verständnisschwierigkeiten auf und gibt          Elementen wie Videos gestaltet werden.
     Lehrenden die Möglichkeit, diese gezielt zu adressieren.
                                                                    In einem E-Portfolio kann – ähnlich einer digitalen
                                                                    Sammelmappe – die Entwicklung der zu bearbeiten-
     Selbstlernanwendungen ermöglichen individuell ange-
                                                                    den Aufgabe, die Präsentation der Ergebnis­se und
     passte Übungsaufgaben und Hilfestellungen durch auto-
                                                                    das Feedback festgehalten und einem ausgewählten
     matisierte Feedbacks, die den Lernfortschritt für die Stu-
                                                                    Personenkreis zugänglich gemacht werden [9].
     dierenden unmittelbar sichtbar machen und inhalt­liche
     Hinweise liefern. Die technische Umsetzung kann mit
     Plug-Ins für Lernplattformen wie Moodle realisiert wer-
     den, z. B. lassen sich mit der Anwendung „STACK“ ma-
     thematische Aufgaben generieren und auswerten [9]. Die
     persönliche Betreuung der Studierenden kann, dadurch
     entlastet, auf tiefergehende Fachinhalte fokussieren.          INVERTED CLASSROOM AM INSTITUT
                                                                    FÜR ANGLISTIK UND AMERIKANISTIK
     BETREUUNG UND PEER-TO-PEER-                                    DER PHILIPPS-UNIVERSITÄT MARBURG
     FORMATE                                                        Das Inverted Classroom-Modell wird durch den
                                                                    „Virtual Linguistics Campus“ (VCL), der größten
     Gruppenbasierte Textarbeiten werden durch virtuelle            E-Learning Plattform für Lingusitik weltweit, unter-
     Gruppenarbeitsräume organisatorisch stark vereinfacht          stützt. Es wird in Marburg zunehmend innovativ
     und stehen online auf diversen Plattformen unkom­pliziert      eingesetzt. In dem 2-in-1 Format können z. B. unter-
     zur Verfügung. Zusätzlich bieten Chats und Foren die           schiedliche Kurse in einer zeitgleichen Präsenzphase
     Möglichkeit, Verständnisfragen zu stellen und zu diskutie-     betreut werden oder die Studierenden können im
     ren sowie bearbeitete Themengebiete in Wikis öffentlich        FLOCK-Format (flexibler on-campus-Kurs) zwischen
     zugänglich zu machen. Dadurch wird eine neue Grund-            drei Kursrhythmen – drei, fünf oder sieben Tage
     lage für Peer-to-peer-Formate geschaffen, die begleitet        – wählen und in individuellen Geschwindigkeiten
                                                                    arbeiten.
     von geschulten E-Tutoren eine wesent­liche Säule der
     Studierendenbetreuung ausmachen (Peetz 2016). Wem
                                                                    In der Präsenzzeit arbeiten die Studierenden – mit
     die dynamische Struktur von Wikis und Hypertexten zu
                                                                    individueller selbstständiger Vorbereitung – an ver­
     ungewohnt erscheint, kann auch auf Hardware-Lösun-             schiedenen Übungsmaterialien. Die Lehren­den kön-
     gen wie die mobile „Team Box“ der Hochschule Fulda             nen den Bearbeitungsfortschritt von Online-Materia-
     (Lingelbach 2016) zurückgreifen, die einen Arbeitsplatz        lien der Studierenden über den sog. „Mastery Level“
     mit lokalem Netzwerk zur Verfügung stellt, auf dem alle        nachvollziehen und einschätzen, wie vorbe­reitet die
     Gruppenmitglieder Dokumente er­stellen, bearbeiten und         Studierenden in die Präsenz­phasen kommen [10].
     kommentieren können.

     E-ASSESSMENTS
     Das Lernverhalten der Studierenden orientiert sich maß-      besondere Bedeutung zu. Komplettiert wird daher das
     geblich an den konkreten Prüfungsanforderungen der           facettenreiche Potenzial von digitalen Informations- und
     Veranstaltung – gelernt wird, was geprüft wird (Schaper      Kommunika­tionstechnologien erst durch ihre Anwen-
     und Hilkenmeier 2013, S. 27). Aus diesem Grund kommt         dung in digi­talen Prüfungen und in der elektronischen
     Prüfungen bei der Konzeption von Lehrveranstaltun-           Leistungs­bewertung (E-Assessments).
     gen und der Unterstützung des Lernprozesses eine
Kapitelname
nexus IMPULSE FÜR DIE PRAXIS | Ausgabe 12                                                                                 77

E-Assessments können sowohl zur Studienorientierung          MEHRWERTE UND
als auch für Einstufungstests eingesetzt werden und fle-
                                                             HERAUSFORDERUNGEN
xibilisieren summative Assessments, die das Endergebnis
des Lernprozesses zum Abschluss eines Moduls, häufig in      Die Digitalisierung kann als Verstärker didaktischer Quali-
einer Klausur, abfragen. Insbesondere bei hohen Studie-      tät fungieren, indem die Lehre individuell auf die Studie-
rendenzahlen versprechen Automatisierungseffekte eine        renden ausgerichtet werden kann und deren Selbstlern-
Verringerung des Korrekturaufwands, aber auch zeitna-        kompetenzen gestärkt werden. Eine gute und kontinuier-
hes, individuelles Feedback.                                 liche Anleitung ist hierfür unabdingbar, denn die Studie-
                                                             renden suchen und nutzen die Medien in der Hochschule
Formative Prüfungsformen, die semesterbegleitend den         nicht selbstständig (Persike und Friedrich 2016). Durch
Lernprozess abbilden, zur Reflexion anregen und Wis­         den Einsatz digitaler Elemente können gezielt Studieren-
sens­inhalte verknüpfen, sind besonders geeignet, um         dengruppen angesprochen werden, um so den Umgang
einen nachhaltigen Erkenntnisgewinn jenseits des             mit studentischer Diversität zu unterstützen. Zusätzlich
„Bulimie-Lernens“ zu fördern. Formatives Prüfen kann         ist der Einsatz digitaler Medien im Studium ein wichtiger
digital optimal umgesetzt werden, wie z. B. durch die        Faktor, wenn es um die Vorbereitung von Studierenden
wöchentliche Bearbeitung von Übungsaufgaben über             auf eine digitalisierte Arbeitswelt geht (Beuth Hochschule
Moodle-Plug-Ins oder das Erstellen von Lerntagebüchern       für Technik Berlin 2016).
mit E-Portfolios.
                                                             Allerdings haben digitale Lehrformen ihren Preis. Dieser
INVERTED CLASSROOM                                           drückt sich vor allem im höheren zeitlichen Aufwand für
                                                             Lehrende und Studierende sowie in gesteigerten Anfor-
Im Konzept des Inverted Classroom findet die Wissens-        derungen an die technische und räumliche Infrastruktur
vermittlung zeitlich gesehen vor der Präsenzphase statt      aus. Bedarfe an Coachings und Weiterbildung aufseiten
und muss von den Studierenden selbstständig geleistet        der Lehrenden, die weiterhin die inhaltliche Umsetzung
werden. Hierbei können unterschiedliche E-Learning-          ihrer Veranstaltungen verantworten, werden steigen,
Instrumente die Studierenden beim individuellen Wis-         könnten aber durch den Aufbau von Servicestellen ge-
senserwerb unterstützen: Die Inhalte können über Lern-       deckt werden. Gepaart mit individuellen Anreizstrukturen
videos zeitlich flexibel und ortsunabhängig vermittelt,      kann so eine Weiterentwicklung der Lehre gefördert
in Chats und Foren diskutiert und in Online-Selbsttests      werden.
überprüft und eingeübt werden. Mithilfe formativer
Assessments (z. B. der Abfrage von Grundlagenwissen          Die fortschreitende Digitalisierung verändert nicht nur
und Definitionen) wird sichergestellt, dass die Studieren-   unsere Lebens- und Arbeitswelt, sondern auch das Leh-
den die Einheiten erfolgreich bearbeitet haben.              ren und Lernen an den Hochschulen. Digitale Medien
                                                             rücken vermehrt in den Fokus von Wissenschaft und
Die Präsenzzeit kann nun für Übungen und Anwen-              Hochschulpraxis, die Aufmerksamkeit für die Entwicklung
dungen oder zur Reflexion und Klärung offener Fragen         und Verbreitung innovativer Lerntechnologien nimmt zu.
genutzt werden. Zur Gestaltung der Präsenzphase treten       So prognostiziert auch der Horizon Report 2015, der die
studierendenzentrierte Lehrformen, wie beispielsweise        Auswirkungen neuer Technologien auf Bildungseinrich-
das aktive Plenum, eine Gruppenmethode nach dem              tungen aus aller Welt in den kommenden fünf Jahren
Konzept „Lernen durch Lehren“ (Martin 2000), oder            erfasst, bis 2018 einen zunehmenden Einsatz von Blen-
gemein­same Aufgabenbearbeitung nach „Think-Pair-            ded Learning-Formaten an Hochschulen (Johnson et al.
Share“-Methode in den Vordergrund (Spannagel 2013).          2015).
Der klassische Frontalunterricht stellt eher die Ausnahme
dar. Der Lehrende tritt in diesen Szenarien in den Hinter-
grund und nimmt die Rolle eines Lernbegleiters ein.
                                                             WEITERE INFORMATIONEN UND LINKS
                                                             Alle Links ([1] - [10]) sowie elektronisch verfügbaren
                                                             Quellen sind unter: http://www.hrk-nexus.de/impulse/
                                                             Digitales-Lehren-und-Lernen zu finden.
Literatur
                                 „„Arnold,  Patricia (2005): Einsatz digitaler Medien in der Hochschullehre aus lerntheore­tischer
                                   Sicht. In: Portal zum Einsatz digitaler Medien in der Hochschullehre e-teaching.org.
                                 „„Beuth Hochschule für Technik Berlin (2016): Projekt Digitale Zukunft.
                                 „„Böttger, Heiner; Dose, Julia; Müller, Tanja (2016): Interactive Distance Classroom Observation.
                                   Posterpräsentation. Digitale Lehrformen für ein studierendenzentriertes und kompeten-
                                   zorientiertes Studium. Hochschulrektoren­konferenz Projekt nexus. Freie Universität Berlin,
                                   16.06.2016.
                                 „„Claussen, Jan Torge (2010): Lecture2Go: Vorlesungsaufzeichnung und –distribution an der
                                   Universität Hamburg – eine Erweiterung der Präsenzlehre? Hg. v. e-teaching.org.
                                 „„e-teaching.org (Hg.) (2016): Lernmanagement-Systeme (LMS) — e-teaching.org.
IMPRESSUM                        „„Forster, Ulrich; Hoffmann, Friederike (2016): Point of Learning: ein Projektbericht der
nexus impulse für die Praxis       Hohenheimer Lernorte. In: Zeitschrift für Hochschulentwicklung.
Nr. 12: Digitales Lehren und     „„Handke, Jürgen (2015): Handbuch Hochschullehre Digital. Marburg: Tectum (Tectum-
                                   Sachbuch).
Lernen
                                 „„Handke, Jürgen (2016): Lehre digital und interaktiv – Inverted Classroom und die Folgen.
                                   Lehre Digital - Herausforderungen und Möglichkeiten. Hochschule Augsburg. Augsburg,
Herausgeber                        13.01.2016.
Hochschulrektorenkonferenz |     „„Lingelbach, Jan (2016): Let's TeamBox. Posterpräsentation. Digitale Lehrformen für ein
Ahrstraße 39 | 53175 Bonn |        studie­rendenzentriertes und kompetenzorientiertes Studium. Hochschulrektorenkonferenz
+49 (0)228/887-0                   Projekt nexus. Freie Universität Berlin, 16.06.2016.
nexus@hrk.de |                   „„Martin, Jean-Pol (2000): Lernen durch Lehren: ein modernes Unterrichtskonzept.
                                   In: Schulverwaltung Bayern: Link Verlag, S. 1–13.
www.hrk-nexus.de
                                 „„Mayrberger (im Erscheinen): Digitalisierung von Lehre und Lernen…oder warum die Frage
                                   nach einem Mehrwert von E-Learning obsolet geworden ist. In: HRK nexus (Hg.): Digitale
Autorinnen:                        Lehrformen für ein studierendenzentriertes und kompetenzorientiertes Studium. Tagungs-
Dr. Stephanie Grabowski,           band. Berlin, 16./17.06.2016. Hochschulrektorenkonferenz Projekt nexus.
Dr. Annika Pape                  „„Mazur, Eric (2006): Peer Instruction: Wie man es schafft, Studenten zum Nachdenken zu
Gestaltung:                        bringen. In: Praxis der Naturwissenschaften; Physik in der Schule 4 (55), S. 11–15.
Gabriele Hentschel               „„Means, Barbara; Toyama, Y.; Murphy, R.; Bakia, M.; Jones, K. (2010): Evaluation of evidence
                                   based practices in online learning. A meta analysis and review of online learning studies.
Dezember 2016
                                 „„Peetz, Angela (2016): Virtuelle Kompetenzen - vom eLearner zum eTutor. Posterpräsen­tation.
1. Auflage ISSN: 2195-3615
                                   Digitale Lehrformen für ein studierendenzentriertes und kompetenzorientiertes Studium.
                                   Hochschulrektorenkonferenz Projekt nexus. Freie Universität Berlin, 16.06.2016.
Aus Gründen der besseren         „„Persike, Malte; Friedrich, Julius-David (2016): Lernen mit digitalen Medien aus Stu­die­renden­
Lesbarkeit wird in dieser          perspektive. Hg. v. Hochschulforum Digitalisierung. Bonn (Arbeitspapier, 17).
Broschüre auf die Nennung        „„Reinmann, Gabi (2013): Didaktisches Handeln. Die Beziehung zwischen Lerntheorien und
der männlichen und weib-           Didaktischem Design. In: Martin Ebner, Sandra Schön und Jennifer C. Frey (Hg.): Lehrbuch
lichen Form verzichtet. Es         für Lernen und Lehren mit Technologien. 2. Aufl.
                                 „„Sauter, Annette M.; Sauter, Werner; Bender, Harald (2004): Blended Learning. Effiziente
sind selbstverständlich immer
                                   Integration von E-Learning und Präsenztraining. 2., erw. und überarb. Aufl. Unterschleiss-
beide Geschlechter gemeint.        heim/München: Luchterhand.
                                 „„Schaper, Niclas; Hilkenmeier, Frederic (2013): Fachgutachten - Umsetzungshilfen für
Nachdruck und Verwendung           kompe­tenzorientiertes Prüfen. Hg. v. Hochschulrektorenkonferenz Projekt nexus. Bonn
in elek­tronischen Systemen –      (Fachgutachten).
auch auszugsweise – nur mit      „„Schulmeister, Rolf (im Erscheinen): Präsenz und Selbststudium im eLearning. Indizien für
vorheriger schriftlicher Ge-       eine besondere Rolle der Präsenz. In: HRK nexus (Hg.): Digitale Lehrformen für ein studieren-
                                   denzentriertes und kompetenzorientiertes Studium. Tagungsband. Berlin, 16./17.06.2016.
nehmigung durch die Hoch-          Hochschulrektorenkonferenz Projekt nexus.
schulrektorenkonferenz. Die      „„Schulmeister, Rolf; Metzger, Christiane; Martens, Thomas (2012): Heterogenität und Studien­
HRK übernimmt keine Ge-            erfolg. Lehrmethoden für Lerner mit unterschiedlichem Lernverhalten. Universität Paderborn.
währ für Aktualität, Richtig-      Paderborn (Paderborner Universitätsreden).
keit und Vollständigkeit der     „„Spannagel, Christian (2013): Was mache ich eigentlich in der Präsenzphase?
bereitgestellten Informatio-     „„Stifterverband (2014): Die digitale Gesellschaft - Perspektiven fürs Lehren und Lernen.
nen der abgedruckten Texte         Podiumsdiskussion zur Jahresversammlung 2014.
und Illustrationen. Praxisbei-   „„Vornberger, Oliver (2002-2016): Blended Learning. Unterstützung der Präsenzlehre durch
                                   digitale Medien. In: Brigitte Berendt, Birgit Szczyrba, Hans-Peter Voss und Johannes Wildt
spiele aus den Hochschulen         (Hg.): Neues Handbuch Hochschullehre. Lehren und Lernen effizient gestalten, 46. EL;
dienen zur Illustration der        D 3.19. Stuttgart [u.a.]: Raabe.
Thematik. Die Auswahl stellt     „„Wannemacher, Klaus (2016): Digitale Lernszenarien im Hochschulbereich. Unter Mitarbeit
keine Wertung dar.                 von Imke Jungermann, Julia Scholz, Hacer Tercanli und Anna von Villiez. Hg. v. Hoch­schul­
                                   forum Digitalisierung. Bonn (Arbeitspapier, 15).
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