Digitalisierung und Agilisierung - Zwei Trends mit viel Potenzial für das Performance Management, aber auch einigen Widersprüchen

 
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Digitalisierung und Agilisierung - Zwei Trends mit viel Potenzial für das Performance Management, aber auch einigen Widersprüchen
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Digitalisierung
und Agilisierung
Zwei Trends mit viel Potenzial für
das Performance Management,
aber auch einigen Widersprüchen

Von Meike Wiemann-Hügler und Simon Schafheitle

   In vielen Unternehmen befindet sich das Performance Manage-       3.		Mitarbeitende müssen zur Leistungserbringung nicht kon-
ment im Wandel. Aus gutem Grund: Mitarbeitende nehmen zum                 trolliert und extrinsisch angetrieben werden. Im Gegenteil:
Beispiel immer häufiger wahr, dass in Quartal 1 festgelegte Jah-          Sie entfalten durch Selbstbestimmung die für Unternehmens-
resziele schon nach wenigen Wochen obsolet sind oder dass Line            erfolg notwendige Kreativität und intrinsische Motivation.
Manager im jährlichen Mitarbeitergespräch gar nicht recht wissen,    4.		Führungserfolg resultiert nicht aus Steuerung und Kontrolle,
wie sie die Leistung ihrer Mitarbeitenden vergleichbar beurteilen         denn Führungskräfte haben keine Informationshoheit (mehr)
sollen. Hinzukommt, dass in Feedback- und Beurteilungsgesprä-             darüber, was Erfolg versprechende Ziele und Wege der Auf-
chen oft mit Leistungsindikatoren jongliert wird, die mit dem             gabenerfüllung sind. Auch sind sie nicht (mehr) in der Lage,
täglichen Arbeitserfolg der Belegschaft oft herzlich wenig zu tun         die Leistung von Mitarbeitenden valide, also genau und reali-
haben. Offenbar wird das traditionelle Performance Management             tätsgetreu, zu messen und zu evaluieren. Im Gegenteil: Der
den Anforderungen der „neuen Arbeitswelt“ nicht mehr gerecht              Erfolg der Führungskraft von heute bemisst sich an ihrer
– schließlich wurde es vor über 100 Jahren in Zeiten der Indust-          Fähigkeit, selbstbestimmte Mitarbeitende zu koordinieren,
rialisierung mit einer Top-down-Steuerungslogik entwickelt und            zu motivieren, zu befähigen und zu entwickeln.
seither im Personalmanagement oft weiterhin nach dem „Com-           Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihr Performance Ma-
mand-and-Control“-Prinzip, zum Beispiel mittels klassischem          nagement dringend an die neue Arbeitswelt anpassen müssen.
„Management by Objectives“ (MbO), praktiziert. Dies entspricht       Das erfordert Mut, da dies oft radikale Veränderungen von etab-
nicht den Erfordernissen der vernetzten und digitalisierten VUCA-    lierten Strukturen, Prozessen und Verhaltensweisen notwendig
Welt. In diesem Umfeld sind schnelle Umsteuerungslogik, lokales      macht. Erfreulicherweise ist jedoch zu beobachten, dass viele
Anpassen und Ausprobieren sowie resiliente und teamfähige Mit-       Unternehmen diesen Schritt wagen und ihr Performance Manage-
arbeitende gefragt – Anforderungen, die mit einer „Command-          ment (kurz „PM“) inkrementell oder sogar radikal modernisieren.
and-Control“-Logik nur schwer unter einen Hut zu bringen sind.       Dabei zeigen sich vor allem zwei Trends der Modernisierung: ei-
   Dass die Grundannahmen des traditionellen Performance             nerseits die Digitalisierung durch die Nutzung intelligenter Tech-
Managements mit dieser Arbeitswelt unvereinbar sind, wird            nologien und andererseits die Agilisierung mit der Verwendung
schnell deutlich, wenn man sie einander direkt gegenüberstellt:      neuer Praktiken, die eine flexible Anpassung von Arbeitsprozes-
                                                                                                                                          personalmagazin 06.21

1.		Erfolgsfaktoren sind nicht (mehr) langfristig planbar und ein   sen und Mitbestimmung erlauben und fördern. Beide Trends
     dafür nötiges, jährliches Budget ist es auch nicht. Im Gegen-   haben wir in interdisziplinären Forschungsprojekten (NFP75
     teil: Flexibilität und Umsteuerungspotenzial sind nun selbst    und Innosuisse, Nr. 41955.1 IP-SBM) unter der akademischen
     Erfolgsfaktoren.                                                Leitung von Professorin Antoinette Weibel an der Universität­
2.		Die Unternehmensleistung kann längst nicht (mehr) durch die     St. Gallen eingehend untersucht. Wir konnten feststellen, dass
     einfache Summe von Einzelleistungen abgebildet werden. Im       sich jeweils sowohl Nutzenpotenziale als auch Risiken ausma-
     Gegenteil: Heute resultiert Wertschöpfung aus Ko-Kreation.      chen lassen. Die Gefahr, dass Risiken das Nutzenpotenzial über-
Performance Management                                                                                                             37

                   steigen, scheint beim Digitalisierungstrend al-     sich zum Beispiel in der App „Humu“, die automatisiertes Leis-
                   lerdings größer als bei der Agilisierung. Zudem     tungsfeedback ermöglicht und so zu einer zweiten, maschinel-
                  zeigte sich, dass beide Trends nicht zwingend        len Führungskraft avanciert. Der Humu-Algorithmus analysiert
                 vereinbar sind. So wider­sprechen sich das zu-        im Vorfeld eines Meetings mögliche Leistungspotenziale und
                grunde liegende Menschenbild und daraus resul-         -hemmnisse des Teilnehmerkreises und sendet der Führungs-
tierend, ihre Ziele, Funktions- und Führungslogiken sowie ihre         kraft vor dem Meeting entsprechende Handlungsempfehlungen,
Prozessrationalitäten. Das ist bedauerlich, denn agiles Arbeiten       zum Beispiel zu welchen Themen sie welche Fragen stellen sollte
könnte vom Einsatz digitaler PM-Methoden durchaus profitieren.         oder welche Art von Feedback für gewisse Teilnehmer besonders
In diesem Beitrag illus­trieren wir mithilfe von Praxisbeispielen      geeignet wäre (Buck & Morrow, 2018).
Potenziale und Risiken beider PM-Trends, zeigen ihre Widersprü-
che auf und sprechen evidenzbasierte Handlungsempfehlungen
                                                                       Potenziale und Risiken der Digitalisierung
aus, wie eine Vereinigung am Ende doch gelingen kann.
                                                                       Die Nutzenpotenziale der Digitalisierung lassen sich aus dem
                                                                       angemessenen Funktionieren intelligenter Technologien sowie
Digitalisierung des Performance Managements
                                                                       aus ihrem vorausschauenden Agieren ableiten (Nilsson, 2014).
Sowohl in der Forschung als auch in der Praxis beobachten wir,         Angemessen bedeutet, dass sie optimale Lösungen finden kön-
dass sich die Digitalisierung in einer zunehmenden Datafizie-          nen, also komplizierte Berechnungen schneller, präziser und mit
rung und auch Automatisierung des Performance Managements              viel geringerer Fehlerwahrscheinlichkeit durchführen, als es ein
äußert, die längst auch die Bereiche Kreativ- und Wissensarbeit        Mensch je könnte. Die Voraussicht basiert auf maschinellem Ler-
miteinschließt (Phan, Wright & Lee, 2017). Als Datafizierung be-       nen und ermöglicht intelligenten Technologien, autonom besser
greifen wir die technologiegetriebene Schaffung des gläsernen          zu werden und ihren Einsatzbereich auch auf neuartige Fragestel-
Mitarbeitenden, sprich seine/ihre allumfassende und feinstoffliche     lungen anzuwenden. Aus Managementperspektive bedeutet dies,
Vermessung inklusive der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz.         dass PM-Entscheidungen nun auf der Basis von umfangreicheren
Die fortschreitende Automatisierung äußert sich darin, dass intelli-   Informationen, schneller, passgenauer und effizienter getroffen
gente Technologien die Leistung von Mitarbeitenden selbstständig       werden können. Für Mitarbeitende verspricht die Digitalisierung
und ohne Einbezug von Führungskräften messen und evaluieren,           Arbeitserleichterungen durch mehr Transparenz, da diese zur
um so Empfehlungen für Lernen und Verhaltensänderung abzu-             besseren Koordination der Zusammenarbeit, effizientem Wissens-
geben. Beide Trends etablieren sich zunehmend, die Datafizierung       management und Lernen beitragen kann. In Bezug auf die Anfor-
vor allem in der Leistungsmessung und -evaluation, die Automa-         derungen der neuen Arbeitswelt bedeutet dies wiederum, dass der
tisierung hingegen im Bereich des Leistungsfeedbacks.                  Einsatz digitaler PM-Methoden zur Erhöhung der Flexibilität und
   Die fortschreitende Datafizierung wird beispielsweise am            Anpassungsfähigkeit von Unternehmen beitragen kann.
Einsatz von Gesichtserkennungsalgorithmen spürbar, die zum               Zeitgleich zeigen Forschung und Praxis, wie schnell Risiken
Zweck der formalen Leistungsmessung in Las Vegas Casinos               den erwarteten Nutzen übersteigen können – sie reichen, neben
genutzt werden. Triebfeder ist dabei die Annahme, dass häufig          erhöhten Stresslevels der Mitarbeitenden von ihrer schlichten
und fröhlich lächelnde Croupiers die Spielfreude der Casinogäste       Weigerung der Technologienutzung über Gruppenwiderstand,
anregen (Solis, 2020). Die fortschreitende Automatisierung zeigt       Gaming und Faking-Verhalten bis hin zum teuren Zustand der
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Digitale Performance-Management-Methoden

PM-Bereich   Beschreibung und Ziel der Methode                Zentrale Charakteristika                         Einsatz in der Praxis

Leistungs­   Datafizierung in der Leistungsmessung            Akteur: Arbeitgeber                              Die Teramind-Technologie von Palantir
messung      Einsatz intelligenter Technologien am            Führungsansatz: direktiv, top-down               sammelt beispielsweise im Hintergrund
             Arbeitsplatz, die die Ganzheitlichkeit und                                                        Informationen zu Log-in-Zeiten, Mauszeiger-
                                                              PM-Fokus/Ziel: Effizienz und Effektivität,
             Einzigartigkeit des Mitarbeitenden in quanti-                                                     bewegungen oder URL-/Logfile-Einträgen,
                                                              Leistungssteigerung
             fizierbare Daten übersetzen.                                                                      um Leistung zu messen und Norm-Compli-
                                                              Zeithorizont: andauernd, zeitlich unbegrenzt     ance sicherzustellen.
             Ziel ist eine möglichst genaue, allumfassen-
                                                              Menschenbild: tayloristisch, Mitarbeitende       Internet-of-things-Applikationen können
             de und feinstoffliche Informationssammlung,
                                                              als humane Ressourcen, Befehlsempfänger          darüber hinaus Augenbewegungen (Smart
             -aufzeichnung und -analyse, die auch den
                                                              und verlängerter Arm der Maschine                Glasses), Mimik (Gesichtserkennung), Bio-
             sozialen und höchstpersönlichen Lebens-
             bereich des Mitarbeitenden miteinschließt                                                         daten (Smart Toilets), Körpergewicht (Smart
             (Kellogg, Valentine & Christin, 2020), um                                                         Chairs), körperliche Ermüdung (Exoskelet-
             seine/ihre Leistung bewerten zu können.                                                           tons) oder die CO2-Konzentration in der
                                                                                                               Raumluft (Smart Offices) als Indikatoren für
                                                                                                               Einzel- oder Teamleistung messen.
                                                                                                               Weitere Beispiele: Timedoctor, Hubstaff,
                                                                                                               Activtrack, Helix, ProTime, Starmind, Sales-
                                                                                                               force, UPS Orion und andere

Leistungs­   Datafizierung in der Leistungsevaluation         Akteure: Arbeitgeber, teilweise die selbst-      Der Starmind-Algorithmus interpretiert
evaluation   Einsatz intelligenter Technologien am            lernende Technologie selbst                      beispielsweise wer, wem zu welchem Thema
             Arbeitsplatz, die mittels Analysen auf unter-    Führungsansatz: direktiv, top-down               eine E-Mail mit welchem Inhalt schickt, um
             schiedlichen Intelligenzstufen (zum Beispiel                                                      Mitarbeitende als Experten zu qualifizieren
                                                              PM-Fokus/Ziel: Effizienz und Effektivi-
             prädiktive versus präskriptive Analysen)                                                          und sie bei künftigen Fragen oder Problemen
                                                              tät, Leistungssteigerung und -optimierung,
             Leistungsinformationen kategorisieren, inter-                                                     vorzuschlagen.
                                                              Lernen
             pretieren und autonom Handlungsempfeh-                                                            Advaisor nutzt die algorithmenbasierte Echt-
                                                              Zeithorizont: andauernd, zeitlich unbegrenzt
             lungen aussprechen (Schafheitle et al., 2020).                                                    zeitanalyse von E-Mail-Texten, um Verbes-
                                                              Menschenbild: tayloristisch, Mitarbeitende       serungsvorschläge für E-Mails an Kunden zu
             Ziel ist eine möglichst effektive Entschei-
                                                              als humane Ressourcen, Befehlsempfänger          machen, damit die Wahrscheinlichkeit eines
             dungsfindung zu ermöglichen, die je nach
                                                              und „verlängerter Arm“ der Maschine              Vertragsabschlusses steigt.
             Intelligenzstufe der Technologie die menschli-
             che Entscheidungsfreiheit mehr oder weniger                                                       Weitere Beispiele: Keen Corp, Kenelyze, No-
             stark beeinflusst oder vorbestimmt (Leicht-                                                       de-XL, Trust Sphere, UCI-Net, Workday, SAP
             Deobald et al., 2019).                                                                            Sucessfactors oder Workpath und andere

Leistungs­   Automatisierung des Leistungsfeedbacks           Akteure: Arbeitgeber, teilweise die selbstler-   Peakon verspricht beispielsweise einen
feedback     Einsatz intelligenter Technologien am            nende Technologie selbst und Mitarbeitende       selbstlernenden Algorithmus, der die Mitar-
             Arbeitsplatz, um den Inhalt des Leistungs-       Führungsansatz: sowohl direktiv und top-         beitenden nicht nur autonom nach Feedback
             feedbacks inhaltlich umfassender sowie den       down als auch interaktiv und lateral             fragt, sondern das Feedback auch qualitativ
             Prozess schneller, einfacher, attraktiver und                                                     analysiert und in Echtzeit Gamification-An-
                                                              PM-Fokus/Ziel: Effizienz und Effektivität,
             beteiligungsoffener zu gestalten.                                                                 reize für Feedbackart und -inhalt setzt.
                                                              Leistungssteigerung und -optimierung, Lernen
             Ziel ist es, Feedback als kontinuierlichen und                                                    Weitere Beispiele: Humu, 15 Five, 7 Geese,
                                                              Zeithorizont: andauernd, zeitlich unbegrenzt
             wesentlichen Prozess des Lernens und der                                                          Betterworks Fuel 50, Glint, Echometer, Enga-
                                                              Menschenbild: vornehmlich tayloristisch,         gedly, Leapsome, Haufe Talent Management,
             leistungssteigernden Verhaltensänderung im
                                                              in Teilen wird die Selbstbestimmtheit und        Personio und andere
             Arbeitsalltag zu etablieren (Lechermeier &
                                                              Einzigartigkeit des Individuums anerkannt
             Fassnacht, 2018).

inneren Kündigung. Gründe hierfür sind vor allem die Signalisie-               Vertrauensverluste oder sogar Misstrauen sind häufige Folgen.
rung geringen Vertrauens in die Mitarbeitenden, die Zuspitzung                 Das Paradox der Transparenz beschreibt, dass sich Mitarbeitende
                                                                                                                                                              personalmagazin 06.21

des Transparenzparadoxons, das Schüren ungesunden Wettbe-                      aufgrund zunehmender Transparenz am Arbeitsplatz immer
werbs sowie die Kontrollillusion.                                              mehr zur Schau stellen und sich aktionistisch damit beschäf-
  Vertrauen basiert auf Gegenseitigkeit. Also beobachten Mit-                  tigen, gut dazustehen, statt sich tatsächlichen Arbeitsinhalten
arbeitende genau, ob Unternehmen und Führungskräfte ihnen                      und Problemstellungen zuzuwenden. Aus diesem Grund ist ein
Vertrauen entgegenbringen. Datafizierung und Automatisierung                   gewisser Grad an „sich unbeobachtet fühlen“ unbedingt not-
lassen aber häufig vermuten, dass Mitarbeitende Mittel zum                     wendig für tatsächliche Leistungssteigerung (Bernstein, 2017).
Zweck sind und daher zweckgenau funktionieren sollen. Herbe                    Durch den Einsatz intelligenter Technologien verschiebt sich
Performance Management                                                                                                         39

die Wahrnehmung der Transparenz gar von bloßer Sichtbarkeit
leicht hin zu panoptischer Überwachung. In der Konsequenz          Unternehmen
                                                                   müssen ihr
versuchen Mitarbeitende also entweder dem „Big Brother“ mit
allen Mitteln zu entkommen oder das Leistungsschauspiel zu
perfektionieren – hohe Leistungseinbußen jeweils inklusive.

                                                                   Perfor­mance
   Die Digitalisierung kann auch ungesunden Wettbewerb schü-
ren, da die Steigerung von Transparenz eine (vermeintliche) Ver-
gleichbarkeit von Leistungsinformationen zulässt und dadurch
einen Wettbewerb zwischen Mitarbeitenden anfachen könnte,
der schnell in negativen Emotionen wie Neid oder persönlicher      Mana­gement an
                                                                   die VUCA-Welt
Erschöpfung mündet und schließlich auch zu unethischem Ver-
halten führen kann. Letztlich bleibt noch die Kontrollillusion,
das heißt, die vermeintliche Fehlerlosigkeit der maschinellen

                                                                   anpassen. Das
Beobachtung und die Voraussicht bleiben auf tatsächlich „ver-
messbare“ Tätigkeiten beschränkt. Sobald Tätigkeiten komplex
werden, implizites Wissen erfordern oder echte Teamarbeit im
Mittelpunkt steht, muss der Einsatz von Datafizierung und Auto-
matisierung infrage gestellt werden.                               erfordert Mut, denn
Agilisierung des Performance Managements                           es ist ein radikaler
Ein zweiter aktueller Trend im Performance Management ist die
Einführung agiler PM-Methoden. So werden im Rahmen agiler
Arbeitsmethoden und Frameworks Ziele definiert, Arbeitsprozes-
                                                                   Wandel nötig.
se und -ergebnisse evaluiert sowie vielerlei Feedbackmechanis-
men eingesetzt. Aber auch außerhalb der Frameworks werden
neue Methoden entwickelt, die klassische Performance-Manage-
ment-Praktiken ablösen sollen und nun viel mehr den Anforde-
rungen der neuen Arbeitswelt Rechnung tragen. Dies geschieht
vor allem durch eine Inklusion und zeitliche Flexibilisierung
der PM-Bereiche und die Einbindung verschiedener Akteure.
   Inklusion und zeitliche Flexibilisierung der PM-Bereiche be-
deutet, dass Zieldefinition, Leistungsmessung, -bewertung und
Feedback nicht mehr klar voneinander getrennt und in dieser
Reihenfolge stattfinden. Viele Praktiken werden in Iterationen     zu steigern. So ermöglicht zum Beispiel die Fokussierung auf
oder nach Bedarf eingesetzt und gleichzeitig für Evaluation,       kurze Zyklen kurzfristige Zielanpassungen und Umsteuerung.
Feedback und (wenn nötig) Anpassung von Zielen genutzt. Zu-        Handelnder Akteur ist nicht mehr die Führungskraft allein.
dem haben darin enthaltene Leistungsmessungen und Evalua-          Mitarbeitende, ganze Teams oder sogar andere Stakeholder wie
tionen nicht das Ziel zu kontrollieren und zu bewerten, sondern    Kunden partizipieren stets am Prozess. Auf diese Weise werden
streben Koordination, Lernen, Verbesserung sowie Motivations-      alle Perspektiven einbezogen, sodass Ko-Kreation möglich wird.
erhöhung an. Die Einbindung verschiedener Akteure zeigt sich       Zudem erleben Mitarbeitende Autonomie und Selbstbestim-
durch einen starken Teamfokus sowie den Einbezug weiterer          mung, die Kreativität und Engagement beflügeln. Schließlich
Stakeholder bei der Ausübung der Praktiken.                        versucht auch Führung nicht mehr zu steuern und zu kont-
   Anwendungsbeispiele solcher agilen PM-Praktiken sind „Daily     rollieren, sondern nimmt die in der neuen Arbeitswelt Erfolg
Stand-up Meetings“ oder „Check-ins“. In „Daily Stand-up Mee-       versprechende Rolle als Impulsgeber oder Sparringspartner ein.
tings“ rekapituliert und evaluiert man jeden Morgen gemein-           Dennoch bergen auch diese Praktiken Risiken (Weibel, Wie-
sam im Team den gestrigen Tag, um den neuen erfolgreich zu         mann, 2021). So setzen agile, ebenso wie digitalisierte PM-Prak-
planen. Bei „Check-ins“ handelt es sich um meist wöchentliche      tiken stark auf Transparenz in der Leistungserbringung und
oder monatliche, bottom-up initiierte Gespräche auf Augenhöhe      -evaluation, die auch in diesem Fall teure Transparenzvermei-
zwischen Mitarbeitendem und Führungskraft, innerhalb derer         dungs- oder Zurschaustellungstaktiken zur Folge haben können.
gemeinsame Leistungsevaluation, Feedback und Zielanpassun-         Ebenso kann auch agiles PM ungesunden Wettbewerb oder
gen stattfinden. „Check-ins“ setzen auf Partizipation des Mit-     Gruppendruck fördern, die wiederum leicht zu Burn-out, nega-
arbeitenden und fördern Kompetenzerleben und Eigeninitiative.      tiven Emotionen oder gar unethischen Verhaltensweisen führen.
                                                                   Die Geschwindigkeit, die durch agile PM-Praktiken ermöglicht
Potenziale und Risiken der Agilisierung                            und befördert wird, ist ein weiterer Risikofaktor. Mitarbeitende
                                                                   werden darin trainiert, schnell auf Kundenbedürfnisse zu re-
Im Gegensatz zu klassischem MbO berücksichtigen agile PM-          agieren und entsprechend schnell Entscheidungen zu treffen.
Praktiken die Gegebenheiten der neuen Arbeitswelt und sind         Die heutige unsichere und komplexe Unternehmensumwelt
damit grundsätzlich dazu geeignet, die Unternehmensleistung        erfordert jedoch auch Widerstandsfähigkeit, für die es in vielen
40                                                                                                                        Schwerpunkt

Fällen überdachte, abgesicherte Entscheidungen und Achtsam-
keit der Mitarbeitenden braucht. In der Konsequenz kann also       Literatur
das gewohnt schnelle und flexible Handeln zu Schnellschüssen
                                                                   Bernstein, E. S. (2017): Making transparency transparent: The evolu-
und damit fundamentalen Fehlentscheidungen führen.                 tion of observation in management theory. Academy of Management
  Außerdem birgt die gleichzeitige Anwendung oder falsche          Annals, 11(1), 217-266.
Kombinatorik von agilen und traditionellen PM-Praktiken wei-       Buck, B.; Morrow, J. (2018): AI, performance management and
tere Risiken. Nutzt man beispielsweise agile Peer-Evaluationen     engagement: keeping your best their best. Strategic HR Review, 17(5),
in einem wettbewerbsfördernden MbO-Kontext, so wird die Eva-       261-262. doi: 10.1108/SHR-10-2018-145.
luation durch Kollegen vermutlich nicht fair und den Tatsachen     Cappelli, P.; Tavis, A. (2016): The performance management revolu-
entsprechend ausfallen. Das kann schnell zu Unzufriedenheit        tion. Harvard Business Review, 94(10), 58-67.
führen und damit der Teamleistung schaden.                         Kellogg, K. C.; Valentine, M. A.; Christin, A. (2020): Algorithms at
                                                                   work: The new contested terrain of control. Academy of Management
Digitalisierung und Agilisierung verbinden                         Annals, 14(1), 366-410.
                                                                   Kluger, A. N.; Nir, D. (2010): The feedforward interview. Human Re-
Die vertiefte Auseinandersetzung mit den zentralen Charakte-       source Management Review, 20(3), 235-246.
ristika beider Trends zeigt deutlich, welche vielversprechenden    Lechermeier, J.; Fassnacht, M. (2018): How do performance feed-
Nutzenpotenziale jeweils vorhanden sind. Es wird aber auch         back characteristics influence recipients’ reactions? A state-of-the-art
klar, dass beide Trends fundamental anderen Logiken folgen.        review on feedback source, timing, and valence effects. Management
Die Digitalisierung fußt auf den Grundannahmen des Tayloris-       Review Quarterly, 68(2), 145-193.
mus, der – zugespitzt formuliert – Mitarbeitende als humane        Leicht-Deobald, U.; Busch, T.; Schank, C.; Weibel, A.; Schafheitle,
Ressource begreift, wobei Herz und Gehirn als notwendiges Übel     S.; Wildhaber, I.; Kasper, G. (2019): The Challenges of Algorithm-­
miteinkalkuliert werden. Die Agilisierung basiert auf einem eher   Based HR Decision-Making for Personal Integrity. Journal of Business
                                                                   Ethics, 160, 377-392. doi: 10.1007/s10551-019-04204-w
humanistischen Ansatz, der die Einzigartigkeit des Individuums
mit all seinen Facetten schätzt und es zugleich als unerschöpf-    Nilsson, N. J. (2014): Principles of artificial intelligence. Burlington:
liche Quelle von Innovation und Fortschritt begreift.              Morgan Kaufmann Publishers.
   Trotz ihrer Widersprüchlichkeit können Digitalisierung und      Phan, P.; Wright, M.; Lee, S.-H. (2017): Of robots, artificial intelligen-
Agilisierung im Performance Management gewinnbringend              ce, and work. Academy of Management Perspectives, 31(4), 253-255.
                                                                   doi: 10.5465/amp.2017.0199
verbunden werden, indem man die Digitalisierung humanis-
tischer gestaltet. Dies kann aus Sicht der Forschung auf zwei      Schafheitle, S.; Weibel, A.; Ebert, I.; Kasper, G.; Schank, C.; Leicht-
                                                                   Deobald, U. (2020): No stone left unturned? Towards a framework
Wegen erfolgen: über die Auswahl der Technologie (Stichwort:
                                                                   for the impact of datafication technologies on organizational control.
Human-centered Design) und über eine verantwortliche An-           Academy of Management Discoveries, 6(3), 455-487.
wendung der Technologie zum Wohl der Mitarbeitenden. Bei
                                                                   Solis, J. (2020): How AI and facial recognition tech could reshape Las
der Auswahl sollten Führungskräfte als erstes sicherstellen,
                                                                   Vegas casinos. The Nevada Independent.
dass eine Technologie mit der im Unternehmen geltenden „HR
                                                                   Sutherland, J. (2014): Scrum: the art of doing twice the work in half
Value Proposition“, mit anderen bereits genutzten Praktiken und
                                                                   the time. New York: Crown Business.
Tools sowie mit dem geltenden Rechtsrahmen übereinstimmt.
                                                                   Weibel, A.; Wiemann, M. (2021): The dark side of OKRs (and why
Darüber hinaus sollten sie sich vor allem für humanistische
                                                                   we should care). https://corporate-rebels.com/dark-side-of-okrs-and-
Design-Optionen stark machen oder diese maßgeschneidert            why-we-should-care/
einfordern. Dabei können folgende Fragen helfen: Bietet die
Technologie den Mitarbeitenden ausreichend Möglichkeiten,
um den Kontext der Arbeit sowie ihre Einzigartigkeit zu be-
schreiben? Und: Ermöglicht die Technologie den Mitarbei-
tenden intuitiv nachzuvollziehen, welche Leistungsdaten mit                                 DR. MEIKE WIEMANN-HÜGLER ist Postdoc
welcher Begründung gesammelt und analysiert werden? Zudem                                   und Lehrbeauftragte am Forschungs-
sollten die Mitarbeitenden idealerweise über das Tool mitent-                               institut für Arbeit und Arbeitswelten der
scheiden können und die Tools vorab testen dürfen. So lässt                                 Universität St. Gallen. Sie leitet das Innova-
sich die Akzeptanz einer Technologie steigern und die Passung                               tionsprojekt „Agiles Performance Manage-
zu Mitarbeitendenbedürfnissen und Kultur sicherstellen. Des                                 ment“ (Innosuisse Nr. 41955.1 IP-SBM).
Weiteren ist es akzeptanz- und vertrauensförderlich, wenn Mit-
arbeitende intelligente Technologien in ihrer Tätigkeit selbst
ausschalten können.                                                                         DR. SIMON SCHAFHEITLE ist International
   Bei der Anwendung sollte die Technologie insgesamt stets in                              Postdoctoral Fellow und Lehrbeauftrag-
                                                                                                                                                personalmagazin 06.21

den Dienst des Menschen gestellt werden. Wo es um gemeinsa-                                 ter an der Universität St. Gallen. Seine
mes Lernen, Innovation und intrinsische Motivation geht, kann                               Dissertation verfasste er im Rahmen des
Technologie nur hilfreich wirken, wenn sie Freiräume öffnet, die                            NFP75 Forschungsprojekts „Big Data or
Zusammenarbeit stärkt und ohne zu strafen Lernen ermöglicht.                                Big Brother“ (Nr. 167208).
Das geht zum Beispiel nicht, indem man Daten und Analysen
für eine Entscheidung über die Einzigartigkeit der Mitarbeiten-
den stellt.
Performance Management                                                                                                                                   41

Agile Performance-Management-Methoden für Leistungsbeurteilung und Feedback

Methode        Beschreibung und Ziel der Methode                                    Zentrale Charakteristika                          Einsatz in der Praxis

Reviews        Das Ergebnis einer Arbeitszyklus-Iteration (zum Beispiel eines       Akteure: ganzes Team                              Google, Haufe,
               OKR-Zyklus) wird vom Team präsentiert und im Hinblick auf            Führungsansatz: partizipativ, bottom-up           Zalando, My Müsli,
               die Zielerreichung überprüft. Es werden gezielt Feedback                                                               Personio, Trivago
                                                                                    PM-Fokus/Ziel: Lernen, Koordination
               und Verbesserungsvorschläge eingeholt und Learnings und                                                                und viele mehr
               Konsequenzen dokumentiert.                                           Zeithorizont: nach jeder Iteration

               Ziel ist es, Aufgaben in und zwischen Teams zu koordinieren,         Menschenbild: humanistisch; selbstbestimm-
               gemeinsam kontinuierlich zu lernen und durch die Anpassung           tes, einzigartiges Individuum
               von Zielen schnell auf Veränderungen zu reagieren (zum Bei-
               spiel Sutherland, 2014).

Retrospek-     Der Prozess einer Iteration (zum Beispiel ein Scrum-Sprint)          Akteure: ganzes Team                              Google, Haufe,
tiven          wird retrospektiv im Team evaluiert. Hierzu wird beispiels-          Führungsansatz: partizipativ, bottom-up           Amazon, FBI und
               weise die Start-/Stop-/Continue-Methode verwendet: Start:                                                              viele mehr
                                                                                    PM-Fokus/Ziel: Lernen
               Womit sollten wir ab jetzt anfangen? (Was können wir ver-
               bessern?). Stop: Womit sollten wir aufhören? (Was hat nicht          Zeithorizont: nach jeder Iteration
               funktioniert?). Continue: Womit sollten wir weitermachen?            Menschenbild: humanistisch; selbstbestimm-
               (Was hat gut funktioniert?)                                          tes, einzigartiges Individuum
               Ziel ist es, den bisherigen Arbeitsprozess (Ziele setzen, Auf-
               gaben/Aktivitäten planen und diesen Ressourcen zuweisen)
               zu überprüfen, dabei Verbesserungsvorschläge einzuholen und
               Potenziale zu identifizieren und dadurch den Prozess für die fol-
               gende Iteration zu verbessern (zum Beispiel Sutherland, 2014).

Daily Stand-   Es handelt sich um einen Scrum-Prozessschritt. Dabei                 Akteure: ganzes Team                              Google, Amazon,
up Meetings    werden die Ergebnisse des vorherigen Tags, die Pläne für den         Führungsansatz: partizipativ, bottom-up           FBI und viele mehr
               nächsten Tag und mögliche Hindernisse von den Teammit-
                                                                                    PM-Fokus/Ziel: Lernen, Koordination
               gliedern besprochen.
                                                                                    Zeithorizont: täglich
               Ziel ist es, den Arbeitsfluss durch Synchronisation, Ausrich-
               tung, Inspektion und adaptive Planung innerhalb des Teams            Menschenbild: humanistisch; selbstbestimmtes,
               zu optimieren (zum Beispiel Sutherland, 2014).                       einzigartiges Individuum

Check-ins      Zweiseitiger Dialog zwischen Mitarbeitenden und Führungs-            Führungsansatz: partizipativ, Coaching            Adobe, Deloitte,
               kraft, der häufig als informeller Ersatz für jährliche Beurteilun-   PM-Fokus/Ziel: Lernen, Motivation, Koordina-      Zalando, Netflix
               gen und Zielsetzungen auf individueller Ebene eingesetzt wird.       tion                                              und viele mehr
               Dabei können Erwartungen gesetzt, Prioritäten überprüft, die
                                                                                    Zeithorizont: typischerweise w
                                                                                                                 ­ öchentlich oder
               Arbeit kommentiert und Coaching für die Entwicklung der
                                                                                    monatlich
               Mitarbeitenden angeboten werden.
                                                                                    Menschenbild: humanistisch; selbstbestimm-
               Drei Fragen stehen im Fokus: Was ist der aktuelle Stand?
                                                                                    tes, einzigartiges Individuum
               Was wurde aus dem letzten Check-in umgesetzt? Welche
               Prioritäten setzen wir uns?
               Ziel ist es, aussagekräftige Gespräche zu aktuellen Themen
               zu führen, die zu tieferen Einsichten und größerer Mitarbeiter-
               zufriedenheit führen. Leistung soll kurzfristig auf Kurs und
               abgestimmt gehalten werden (zum Beispiel Cappelli und
               Tavis, 2016).

Feedforward-   Zukunftsgerichtetes und stärkenbasiertes Interviewprotokoll          Akteure: direkte Führungskraft und Mitarbei-      Dyconex, Isolutions
Interview      zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften. Im Kern geht            tender, oft bottom-up initiiert                   und viele mehr
               es darum, in einem Gespräch gemeinsam aus den Erfolgserleb-          Führungsansatz: partizipativ, bottom-up,
               nissen des Mitarbeitenden einen persönlichen „Erfolgscode“           Coaching
               herauszuarbeiten und diesen in den zukünftigen Arbeitsalltag
                                                                                    PM-Fokus/Ziel: Lernen, Koordination, Motivation
               zu übersetzen.
                                                                                    Zeithorizont: typischerweise wöchentlich oder
               Ziel ist es, die eigenen Stärken und Bedürfnisse zu identifizie-
                                                                                    monatlich
               ren und diese im Rahmen der organisationalen Gegebenheiten,
               zukünftigen Zielen und Tätigkeiten bestmöglich einzusetzen.          Menschenbild: humanistisch; selbstbestimm-
               Motivation, Energie, Zufriedenheit und Leistung sollen so ge-        tes, einzigartiges Individuum
               steigert werden. Idealerweise werden während der Gespräche
               gleichzeitig die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mit-
               arbeitenden gepflegt und verbessert (Kluger und Nir, 2010).
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