Digitalisierung und Agilisierung - Zwei Trends mit viel Potenzial für das Performance Management, aber auch einigen Widersprüchen
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36 Schwerpunkt Digitalisierung und Agilisierung Zwei Trends mit viel Potenzial für das Performance Management, aber auch einigen Widersprüchen Von Meike Wiemann-Hügler und Simon Schafheitle In vielen Unternehmen befindet sich das Performance Manage- 3. Mitarbeitende müssen zur Leistungserbringung nicht kon- ment im Wandel. Aus gutem Grund: Mitarbeitende nehmen zum trolliert und extrinsisch angetrieben werden. Im Gegenteil: Beispiel immer häufiger wahr, dass in Quartal 1 festgelegte Jah- Sie entfalten durch Selbstbestimmung die für Unternehmens- resziele schon nach wenigen Wochen obsolet sind oder dass Line erfolg notwendige Kreativität und intrinsische Motivation. Manager im jährlichen Mitarbeitergespräch gar nicht recht wissen, 4. Führungserfolg resultiert nicht aus Steuerung und Kontrolle, wie sie die Leistung ihrer Mitarbeitenden vergleichbar beurteilen denn Führungskräfte haben keine Informationshoheit (mehr) sollen. Hinzukommt, dass in Feedback- und Beurteilungsgesprä- darüber, was Erfolg versprechende Ziele und Wege der Auf- chen oft mit Leistungsindikatoren jongliert wird, die mit dem gabenerfüllung sind. Auch sind sie nicht (mehr) in der Lage, täglichen Arbeitserfolg der Belegschaft oft herzlich wenig zu tun die Leistung von Mitarbeitenden valide, also genau und reali- haben. Offenbar wird das traditionelle Performance Management tätsgetreu, zu messen und zu evaluieren. Im Gegenteil: Der den Anforderungen der „neuen Arbeitswelt“ nicht mehr gerecht Erfolg der Führungskraft von heute bemisst sich an ihrer – schließlich wurde es vor über 100 Jahren in Zeiten der Indust- Fähigkeit, selbstbestimmte Mitarbeitende zu koordinieren, rialisierung mit einer Top-down-Steuerungslogik entwickelt und zu motivieren, zu befähigen und zu entwickeln. seither im Personalmanagement oft weiterhin nach dem „Com- Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihr Performance Ma- mand-and-Control“-Prinzip, zum Beispiel mittels klassischem nagement dringend an die neue Arbeitswelt anpassen müssen. „Management by Objectives“ (MbO), praktiziert. Dies entspricht Das erfordert Mut, da dies oft radikale Veränderungen von etab- nicht den Erfordernissen der vernetzten und digitalisierten VUCA- lierten Strukturen, Prozessen und Verhaltensweisen notwendig Welt. In diesem Umfeld sind schnelle Umsteuerungslogik, lokales macht. Erfreulicherweise ist jedoch zu beobachten, dass viele Anpassen und Ausprobieren sowie resiliente und teamfähige Mit- Unternehmen diesen Schritt wagen und ihr Performance Manage- arbeitende gefragt – Anforderungen, die mit einer „Command- ment (kurz „PM“) inkrementell oder sogar radikal modernisieren. and-Control“-Logik nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. Dabei zeigen sich vor allem zwei Trends der Modernisierung: ei- Dass die Grundannahmen des traditionellen Performance nerseits die Digitalisierung durch die Nutzung intelligenter Tech- Managements mit dieser Arbeitswelt unvereinbar sind, wird nologien und andererseits die Agilisierung mit der Verwendung schnell deutlich, wenn man sie einander direkt gegenüberstellt: neuer Praktiken, die eine flexible Anpassung von Arbeitsprozes- personalmagazin 06.21 1. Erfolgsfaktoren sind nicht (mehr) langfristig planbar und ein sen und Mitbestimmung erlauben und fördern. Beide Trends dafür nötiges, jährliches Budget ist es auch nicht. Im Gegen- haben wir in interdisziplinären Forschungsprojekten (NFP75 teil: Flexibilität und Umsteuerungspotenzial sind nun selbst und Innosuisse, Nr. 41955.1 IP-SBM) unter der akademischen Erfolgsfaktoren. Leitung von Professorin Antoinette Weibel an der Universität 2. Die Unternehmensleistung kann längst nicht (mehr) durch die St. Gallen eingehend untersucht. Wir konnten feststellen, dass einfache Summe von Einzelleistungen abgebildet werden. Im sich jeweils sowohl Nutzenpotenziale als auch Risiken ausma- Gegenteil: Heute resultiert Wertschöpfung aus Ko-Kreation. chen lassen. Die Gefahr, dass Risiken das Nutzenpotenzial über-
Performance Management 37 steigen, scheint beim Digitalisierungstrend al- sich zum Beispiel in der App „Humu“, die automatisiertes Leis- lerdings größer als bei der Agilisierung. Zudem tungsfeedback ermöglicht und so zu einer zweiten, maschinel- zeigte sich, dass beide Trends nicht zwingend len Führungskraft avanciert. Der Humu-Algorithmus analysiert vereinbar sind. So widersprechen sich das zu- im Vorfeld eines Meetings mögliche Leistungspotenziale und grunde liegende Menschenbild und daraus resul- -hemmnisse des Teilnehmerkreises und sendet der Führungs- tierend, ihre Ziele, Funktions- und Führungslogiken sowie ihre kraft vor dem Meeting entsprechende Handlungsempfehlungen, Prozessrationalitäten. Das ist bedauerlich, denn agiles Arbeiten zum Beispiel zu welchen Themen sie welche Fragen stellen sollte könnte vom Einsatz digitaler PM-Methoden durchaus profitieren. oder welche Art von Feedback für gewisse Teilnehmer besonders In diesem Beitrag illustrieren wir mithilfe von Praxisbeispielen geeignet wäre (Buck & Morrow, 2018). Potenziale und Risiken beider PM-Trends, zeigen ihre Widersprü- che auf und sprechen evidenzbasierte Handlungsempfehlungen Potenziale und Risiken der Digitalisierung aus, wie eine Vereinigung am Ende doch gelingen kann. Die Nutzenpotenziale der Digitalisierung lassen sich aus dem angemessenen Funktionieren intelligenter Technologien sowie Digitalisierung des Performance Managements aus ihrem vorausschauenden Agieren ableiten (Nilsson, 2014). Sowohl in der Forschung als auch in der Praxis beobachten wir, Angemessen bedeutet, dass sie optimale Lösungen finden kön- dass sich die Digitalisierung in einer zunehmenden Datafizie- nen, also komplizierte Berechnungen schneller, präziser und mit rung und auch Automatisierung des Performance Managements viel geringerer Fehlerwahrscheinlichkeit durchführen, als es ein äußert, die längst auch die Bereiche Kreativ- und Wissensarbeit Mensch je könnte. Die Voraussicht basiert auf maschinellem Ler- miteinschließt (Phan, Wright & Lee, 2017). Als Datafizierung be- nen und ermöglicht intelligenten Technologien, autonom besser greifen wir die technologiegetriebene Schaffung des gläsernen zu werden und ihren Einsatzbereich auch auf neuartige Fragestel- Mitarbeitenden, sprich seine/ihre allumfassende und feinstoffliche lungen anzuwenden. Aus Managementperspektive bedeutet dies, Vermessung inklusive der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz. dass PM-Entscheidungen nun auf der Basis von umfangreicheren Die fortschreitende Automatisierung äußert sich darin, dass intelli- Informationen, schneller, passgenauer und effizienter getroffen gente Technologien die Leistung von Mitarbeitenden selbstständig werden können. Für Mitarbeitende verspricht die Digitalisierung und ohne Einbezug von Führungskräften messen und evaluieren, Arbeitserleichterungen durch mehr Transparenz, da diese zur um so Empfehlungen für Lernen und Verhaltensänderung abzu- besseren Koordination der Zusammenarbeit, effizientem Wissens- geben. Beide Trends etablieren sich zunehmend, die Datafizierung management und Lernen beitragen kann. In Bezug auf die Anfor- vor allem in der Leistungsmessung und -evaluation, die Automa- derungen der neuen Arbeitswelt bedeutet dies wiederum, dass der tisierung hingegen im Bereich des Leistungsfeedbacks. Einsatz digitaler PM-Methoden zur Erhöhung der Flexibilität und Die fortschreitende Datafizierung wird beispielsweise am Anpassungsfähigkeit von Unternehmen beitragen kann. Einsatz von Gesichtserkennungsalgorithmen spürbar, die zum Zeitgleich zeigen Forschung und Praxis, wie schnell Risiken Zweck der formalen Leistungsmessung in Las Vegas Casinos den erwarteten Nutzen übersteigen können – sie reichen, neben genutzt werden. Triebfeder ist dabei die Annahme, dass häufig erhöhten Stresslevels der Mitarbeitenden von ihrer schlichten und fröhlich lächelnde Croupiers die Spielfreude der Casinogäste Weigerung der Technologienutzung über Gruppenwiderstand, anregen (Solis, 2020). Die fortschreitende Automatisierung zeigt Gaming und Faking-Verhalten bis hin zum teuren Zustand der
38 Schwerpunkt Digitale Performance-Management-Methoden PM-Bereich Beschreibung und Ziel der Methode Zentrale Charakteristika Einsatz in der Praxis Leistungs Datafizierung in der Leistungsmessung Akteur: Arbeitgeber Die Teramind-Technologie von Palantir messung Einsatz intelligenter Technologien am Führungsansatz: direktiv, top-down sammelt beispielsweise im Hintergrund Arbeitsplatz, die die Ganzheitlichkeit und Informationen zu Log-in-Zeiten, Mauszeiger- PM-Fokus/Ziel: Effizienz und Effektivität, Einzigartigkeit des Mitarbeitenden in quanti- bewegungen oder URL-/Logfile-Einträgen, Leistungssteigerung fizierbare Daten übersetzen. um Leistung zu messen und Norm-Compli- Zeithorizont: andauernd, zeitlich unbegrenzt ance sicherzustellen. Ziel ist eine möglichst genaue, allumfassen- Menschenbild: tayloristisch, Mitarbeitende Internet-of-things-Applikationen können de und feinstoffliche Informationssammlung, als humane Ressourcen, Befehlsempfänger darüber hinaus Augenbewegungen (Smart -aufzeichnung und -analyse, die auch den und verlängerter Arm der Maschine Glasses), Mimik (Gesichtserkennung), Bio- sozialen und höchstpersönlichen Lebens- bereich des Mitarbeitenden miteinschließt daten (Smart Toilets), Körpergewicht (Smart (Kellogg, Valentine & Christin, 2020), um Chairs), körperliche Ermüdung (Exoskelet- seine/ihre Leistung bewerten zu können. tons) oder die CO2-Konzentration in der Raumluft (Smart Offices) als Indikatoren für Einzel- oder Teamleistung messen. Weitere Beispiele: Timedoctor, Hubstaff, Activtrack, Helix, ProTime, Starmind, Sales- force, UPS Orion und andere Leistungs Datafizierung in der Leistungsevaluation Akteure: Arbeitgeber, teilweise die selbst- Der Starmind-Algorithmus interpretiert evaluation Einsatz intelligenter Technologien am lernende Technologie selbst beispielsweise wer, wem zu welchem Thema Arbeitsplatz, die mittels Analysen auf unter- Führungsansatz: direktiv, top-down eine E-Mail mit welchem Inhalt schickt, um schiedlichen Intelligenzstufen (zum Beispiel Mitarbeitende als Experten zu qualifizieren PM-Fokus/Ziel: Effizienz und Effektivi- prädiktive versus präskriptive Analysen) und sie bei künftigen Fragen oder Problemen tät, Leistungssteigerung und -optimierung, Leistungsinformationen kategorisieren, inter- vorzuschlagen. Lernen pretieren und autonom Handlungsempfeh- Advaisor nutzt die algorithmenbasierte Echt- Zeithorizont: andauernd, zeitlich unbegrenzt lungen aussprechen (Schafheitle et al., 2020). zeitanalyse von E-Mail-Texten, um Verbes- Menschenbild: tayloristisch, Mitarbeitende serungsvorschläge für E-Mails an Kunden zu Ziel ist eine möglichst effektive Entschei- als humane Ressourcen, Befehlsempfänger machen, damit die Wahrscheinlichkeit eines dungsfindung zu ermöglichen, die je nach und „verlängerter Arm“ der Maschine Vertragsabschlusses steigt. Intelligenzstufe der Technologie die menschli- che Entscheidungsfreiheit mehr oder weniger Weitere Beispiele: Keen Corp, Kenelyze, No- stark beeinflusst oder vorbestimmt (Leicht- de-XL, Trust Sphere, UCI-Net, Workday, SAP Deobald et al., 2019). Sucessfactors oder Workpath und andere Leistungs Automatisierung des Leistungsfeedbacks Akteure: Arbeitgeber, teilweise die selbstler- Peakon verspricht beispielsweise einen feedback Einsatz intelligenter Technologien am nende Technologie selbst und Mitarbeitende selbstlernenden Algorithmus, der die Mitar- Arbeitsplatz, um den Inhalt des Leistungs- Führungsansatz: sowohl direktiv und top- beitenden nicht nur autonom nach Feedback feedbacks inhaltlich umfassender sowie den down als auch interaktiv und lateral fragt, sondern das Feedback auch qualitativ Prozess schneller, einfacher, attraktiver und analysiert und in Echtzeit Gamification-An- PM-Fokus/Ziel: Effizienz und Effektivität, beteiligungsoffener zu gestalten. reize für Feedbackart und -inhalt setzt. Leistungssteigerung und -optimierung, Lernen Ziel ist es, Feedback als kontinuierlichen und Weitere Beispiele: Humu, 15 Five, 7 Geese, Zeithorizont: andauernd, zeitlich unbegrenzt wesentlichen Prozess des Lernens und der Betterworks Fuel 50, Glint, Echometer, Enga- Menschenbild: vornehmlich tayloristisch, gedly, Leapsome, Haufe Talent Management, leistungssteigernden Verhaltensänderung im in Teilen wird die Selbstbestimmtheit und Personio und andere Arbeitsalltag zu etablieren (Lechermeier & Einzigartigkeit des Individuums anerkannt Fassnacht, 2018). inneren Kündigung. Gründe hierfür sind vor allem die Signalisie- Vertrauensverluste oder sogar Misstrauen sind häufige Folgen. rung geringen Vertrauens in die Mitarbeitenden, die Zuspitzung Das Paradox der Transparenz beschreibt, dass sich Mitarbeitende personalmagazin 06.21 des Transparenzparadoxons, das Schüren ungesunden Wettbe- aufgrund zunehmender Transparenz am Arbeitsplatz immer werbs sowie die Kontrollillusion. mehr zur Schau stellen und sich aktionistisch damit beschäf- Vertrauen basiert auf Gegenseitigkeit. Also beobachten Mit- tigen, gut dazustehen, statt sich tatsächlichen Arbeitsinhalten arbeitende genau, ob Unternehmen und Führungskräfte ihnen und Problemstellungen zuzuwenden. Aus diesem Grund ist ein Vertrauen entgegenbringen. Datafizierung und Automatisierung gewisser Grad an „sich unbeobachtet fühlen“ unbedingt not- lassen aber häufig vermuten, dass Mitarbeitende Mittel zum wendig für tatsächliche Leistungssteigerung (Bernstein, 2017). Zweck sind und daher zweckgenau funktionieren sollen. Herbe Durch den Einsatz intelligenter Technologien verschiebt sich
Performance Management 39 die Wahrnehmung der Transparenz gar von bloßer Sichtbarkeit leicht hin zu panoptischer Überwachung. In der Konsequenz Unternehmen müssen ihr versuchen Mitarbeitende also entweder dem „Big Brother“ mit allen Mitteln zu entkommen oder das Leistungsschauspiel zu perfektionieren – hohe Leistungseinbußen jeweils inklusive. Performance Die Digitalisierung kann auch ungesunden Wettbewerb schü- ren, da die Steigerung von Transparenz eine (vermeintliche) Ver- gleichbarkeit von Leistungsinformationen zulässt und dadurch einen Wettbewerb zwischen Mitarbeitenden anfachen könnte, der schnell in negativen Emotionen wie Neid oder persönlicher Management an die VUCA-Welt Erschöpfung mündet und schließlich auch zu unethischem Ver- halten führen kann. Letztlich bleibt noch die Kontrollillusion, das heißt, die vermeintliche Fehlerlosigkeit der maschinellen anpassen. Das Beobachtung und die Voraussicht bleiben auf tatsächlich „ver- messbare“ Tätigkeiten beschränkt. Sobald Tätigkeiten komplex werden, implizites Wissen erfordern oder echte Teamarbeit im Mittelpunkt steht, muss der Einsatz von Datafizierung und Auto- matisierung infrage gestellt werden. erfordert Mut, denn Agilisierung des Performance Managements es ist ein radikaler Ein zweiter aktueller Trend im Performance Management ist die Einführung agiler PM-Methoden. So werden im Rahmen agiler Arbeitsmethoden und Frameworks Ziele definiert, Arbeitsprozes- Wandel nötig. se und -ergebnisse evaluiert sowie vielerlei Feedbackmechanis- men eingesetzt. Aber auch außerhalb der Frameworks werden neue Methoden entwickelt, die klassische Performance-Manage- ment-Praktiken ablösen sollen und nun viel mehr den Anforde- rungen der neuen Arbeitswelt Rechnung tragen. Dies geschieht vor allem durch eine Inklusion und zeitliche Flexibilisierung der PM-Bereiche und die Einbindung verschiedener Akteure. Inklusion und zeitliche Flexibilisierung der PM-Bereiche be- deutet, dass Zieldefinition, Leistungsmessung, -bewertung und Feedback nicht mehr klar voneinander getrennt und in dieser Reihenfolge stattfinden. Viele Praktiken werden in Iterationen zu steigern. So ermöglicht zum Beispiel die Fokussierung auf oder nach Bedarf eingesetzt und gleichzeitig für Evaluation, kurze Zyklen kurzfristige Zielanpassungen und Umsteuerung. Feedback und (wenn nötig) Anpassung von Zielen genutzt. Zu- Handelnder Akteur ist nicht mehr die Führungskraft allein. dem haben darin enthaltene Leistungsmessungen und Evalua- Mitarbeitende, ganze Teams oder sogar andere Stakeholder wie tionen nicht das Ziel zu kontrollieren und zu bewerten, sondern Kunden partizipieren stets am Prozess. Auf diese Weise werden streben Koordination, Lernen, Verbesserung sowie Motivations- alle Perspektiven einbezogen, sodass Ko-Kreation möglich wird. erhöhung an. Die Einbindung verschiedener Akteure zeigt sich Zudem erleben Mitarbeitende Autonomie und Selbstbestim- durch einen starken Teamfokus sowie den Einbezug weiterer mung, die Kreativität und Engagement beflügeln. Schließlich Stakeholder bei der Ausübung der Praktiken. versucht auch Führung nicht mehr zu steuern und zu kont- Anwendungsbeispiele solcher agilen PM-Praktiken sind „Daily rollieren, sondern nimmt die in der neuen Arbeitswelt Erfolg Stand-up Meetings“ oder „Check-ins“. In „Daily Stand-up Mee- versprechende Rolle als Impulsgeber oder Sparringspartner ein. tings“ rekapituliert und evaluiert man jeden Morgen gemein- Dennoch bergen auch diese Praktiken Risiken (Weibel, Wie- sam im Team den gestrigen Tag, um den neuen erfolgreich zu mann, 2021). So setzen agile, ebenso wie digitalisierte PM-Prak- planen. Bei „Check-ins“ handelt es sich um meist wöchentliche tiken stark auf Transparenz in der Leistungserbringung und oder monatliche, bottom-up initiierte Gespräche auf Augenhöhe -evaluation, die auch in diesem Fall teure Transparenzvermei- zwischen Mitarbeitendem und Führungskraft, innerhalb derer dungs- oder Zurschaustellungstaktiken zur Folge haben können. gemeinsame Leistungsevaluation, Feedback und Zielanpassun- Ebenso kann auch agiles PM ungesunden Wettbewerb oder gen stattfinden. „Check-ins“ setzen auf Partizipation des Mit- Gruppendruck fördern, die wiederum leicht zu Burn-out, nega- arbeitenden und fördern Kompetenzerleben und Eigeninitiative. tiven Emotionen oder gar unethischen Verhaltensweisen führen. Die Geschwindigkeit, die durch agile PM-Praktiken ermöglicht Potenziale und Risiken der Agilisierung und befördert wird, ist ein weiterer Risikofaktor. Mitarbeitende werden darin trainiert, schnell auf Kundenbedürfnisse zu re- Im Gegensatz zu klassischem MbO berücksichtigen agile PM- agieren und entsprechend schnell Entscheidungen zu treffen. Praktiken die Gegebenheiten der neuen Arbeitswelt und sind Die heutige unsichere und komplexe Unternehmensumwelt damit grundsätzlich dazu geeignet, die Unternehmensleistung erfordert jedoch auch Widerstandsfähigkeit, für die es in vielen
40 Schwerpunkt Fällen überdachte, abgesicherte Entscheidungen und Achtsam- keit der Mitarbeitenden braucht. In der Konsequenz kann also Literatur das gewohnt schnelle und flexible Handeln zu Schnellschüssen Bernstein, E. S. (2017): Making transparency transparent: The evolu- und damit fundamentalen Fehlentscheidungen führen. tion of observation in management theory. Academy of Management Außerdem birgt die gleichzeitige Anwendung oder falsche Annals, 11(1), 217-266. Kombinatorik von agilen und traditionellen PM-Praktiken wei- Buck, B.; Morrow, J. (2018): AI, performance management and tere Risiken. Nutzt man beispielsweise agile Peer-Evaluationen engagement: keeping your best their best. Strategic HR Review, 17(5), in einem wettbewerbsfördernden MbO-Kontext, so wird die Eva- 261-262. doi: 10.1108/SHR-10-2018-145. luation durch Kollegen vermutlich nicht fair und den Tatsachen Cappelli, P.; Tavis, A. (2016): The performance management revolu- entsprechend ausfallen. Das kann schnell zu Unzufriedenheit tion. Harvard Business Review, 94(10), 58-67. führen und damit der Teamleistung schaden. Kellogg, K. C.; Valentine, M. A.; Christin, A. (2020): Algorithms at work: The new contested terrain of control. Academy of Management Digitalisierung und Agilisierung verbinden Annals, 14(1), 366-410. Kluger, A. N.; Nir, D. (2010): The feedforward interview. Human Re- Die vertiefte Auseinandersetzung mit den zentralen Charakte- source Management Review, 20(3), 235-246. ristika beider Trends zeigt deutlich, welche vielversprechenden Lechermeier, J.; Fassnacht, M. (2018): How do performance feed- Nutzenpotenziale jeweils vorhanden sind. Es wird aber auch back characteristics influence recipients’ reactions? A state-of-the-art klar, dass beide Trends fundamental anderen Logiken folgen. review on feedback source, timing, and valence effects. Management Die Digitalisierung fußt auf den Grundannahmen des Tayloris- Review Quarterly, 68(2), 145-193. mus, der – zugespitzt formuliert – Mitarbeitende als humane Leicht-Deobald, U.; Busch, T.; Schank, C.; Weibel, A.; Schafheitle, Ressource begreift, wobei Herz und Gehirn als notwendiges Übel S.; Wildhaber, I.; Kasper, G. (2019): The Challenges of Algorithm- miteinkalkuliert werden. Die Agilisierung basiert auf einem eher Based HR Decision-Making for Personal Integrity. Journal of Business Ethics, 160, 377-392. doi: 10.1007/s10551-019-04204-w humanistischen Ansatz, der die Einzigartigkeit des Individuums mit all seinen Facetten schätzt und es zugleich als unerschöpf- Nilsson, N. J. (2014): Principles of artificial intelligence. Burlington: liche Quelle von Innovation und Fortschritt begreift. Morgan Kaufmann Publishers. Trotz ihrer Widersprüchlichkeit können Digitalisierung und Phan, P.; Wright, M.; Lee, S.-H. (2017): Of robots, artificial intelligen- Agilisierung im Performance Management gewinnbringend ce, and work. Academy of Management Perspectives, 31(4), 253-255. doi: 10.5465/amp.2017.0199 verbunden werden, indem man die Digitalisierung humanis- tischer gestaltet. Dies kann aus Sicht der Forschung auf zwei Schafheitle, S.; Weibel, A.; Ebert, I.; Kasper, G.; Schank, C.; Leicht- Deobald, U. (2020): No stone left unturned? Towards a framework Wegen erfolgen: über die Auswahl der Technologie (Stichwort: for the impact of datafication technologies on organizational control. Human-centered Design) und über eine verantwortliche An- Academy of Management Discoveries, 6(3), 455-487. wendung der Technologie zum Wohl der Mitarbeitenden. Bei Solis, J. (2020): How AI and facial recognition tech could reshape Las der Auswahl sollten Führungskräfte als erstes sicherstellen, Vegas casinos. The Nevada Independent. dass eine Technologie mit der im Unternehmen geltenden „HR Sutherland, J. (2014): Scrum: the art of doing twice the work in half Value Proposition“, mit anderen bereits genutzten Praktiken und the time. New York: Crown Business. Tools sowie mit dem geltenden Rechtsrahmen übereinstimmt. Weibel, A.; Wiemann, M. (2021): The dark side of OKRs (and why Darüber hinaus sollten sie sich vor allem für humanistische we should care). https://corporate-rebels.com/dark-side-of-okrs-and- Design-Optionen stark machen oder diese maßgeschneidert why-we-should-care/ einfordern. Dabei können folgende Fragen helfen: Bietet die Technologie den Mitarbeitenden ausreichend Möglichkeiten, um den Kontext der Arbeit sowie ihre Einzigartigkeit zu be- schreiben? Und: Ermöglicht die Technologie den Mitarbei- tenden intuitiv nachzuvollziehen, welche Leistungsdaten mit DR. MEIKE WIEMANN-HÜGLER ist Postdoc welcher Begründung gesammelt und analysiert werden? Zudem und Lehrbeauftragte am Forschungs- sollten die Mitarbeitenden idealerweise über das Tool mitent- institut für Arbeit und Arbeitswelten der scheiden können und die Tools vorab testen dürfen. So lässt Universität St. Gallen. Sie leitet das Innova- sich die Akzeptanz einer Technologie steigern und die Passung tionsprojekt „Agiles Performance Manage- zu Mitarbeitendenbedürfnissen und Kultur sicherstellen. Des ment“ (Innosuisse Nr. 41955.1 IP-SBM). Weiteren ist es akzeptanz- und vertrauensförderlich, wenn Mit- arbeitende intelligente Technologien in ihrer Tätigkeit selbst ausschalten können. DR. SIMON SCHAFHEITLE ist International Bei der Anwendung sollte die Technologie insgesamt stets in Postdoctoral Fellow und Lehrbeauftrag- personalmagazin 06.21 den Dienst des Menschen gestellt werden. Wo es um gemeinsa- ter an der Universität St. Gallen. Seine mes Lernen, Innovation und intrinsische Motivation geht, kann Dissertation verfasste er im Rahmen des Technologie nur hilfreich wirken, wenn sie Freiräume öffnet, die NFP75 Forschungsprojekts „Big Data or Zusammenarbeit stärkt und ohne zu strafen Lernen ermöglicht. Big Brother“ (Nr. 167208). Das geht zum Beispiel nicht, indem man Daten und Analysen für eine Entscheidung über die Einzigartigkeit der Mitarbeiten- den stellt.
Performance Management 41 Agile Performance-Management-Methoden für Leistungsbeurteilung und Feedback Methode Beschreibung und Ziel der Methode Zentrale Charakteristika Einsatz in der Praxis Reviews Das Ergebnis einer Arbeitszyklus-Iteration (zum Beispiel eines Akteure: ganzes Team Google, Haufe, OKR-Zyklus) wird vom Team präsentiert und im Hinblick auf Führungsansatz: partizipativ, bottom-up Zalando, My Müsli, die Zielerreichung überprüft. Es werden gezielt Feedback Personio, Trivago PM-Fokus/Ziel: Lernen, Koordination und Verbesserungsvorschläge eingeholt und Learnings und und viele mehr Konsequenzen dokumentiert. Zeithorizont: nach jeder Iteration Ziel ist es, Aufgaben in und zwischen Teams zu koordinieren, Menschenbild: humanistisch; selbstbestimm- gemeinsam kontinuierlich zu lernen und durch die Anpassung tes, einzigartiges Individuum von Zielen schnell auf Veränderungen zu reagieren (zum Bei- spiel Sutherland, 2014). Retrospek- Der Prozess einer Iteration (zum Beispiel ein Scrum-Sprint) Akteure: ganzes Team Google, Haufe, tiven wird retrospektiv im Team evaluiert. Hierzu wird beispiels- Führungsansatz: partizipativ, bottom-up Amazon, FBI und weise die Start-/Stop-/Continue-Methode verwendet: Start: viele mehr PM-Fokus/Ziel: Lernen Womit sollten wir ab jetzt anfangen? (Was können wir ver- bessern?). Stop: Womit sollten wir aufhören? (Was hat nicht Zeithorizont: nach jeder Iteration funktioniert?). Continue: Womit sollten wir weitermachen? Menschenbild: humanistisch; selbstbestimm- (Was hat gut funktioniert?) tes, einzigartiges Individuum Ziel ist es, den bisherigen Arbeitsprozess (Ziele setzen, Auf- gaben/Aktivitäten planen und diesen Ressourcen zuweisen) zu überprüfen, dabei Verbesserungsvorschläge einzuholen und Potenziale zu identifizieren und dadurch den Prozess für die fol- gende Iteration zu verbessern (zum Beispiel Sutherland, 2014). Daily Stand- Es handelt sich um einen Scrum-Prozessschritt. Dabei Akteure: ganzes Team Google, Amazon, up Meetings werden die Ergebnisse des vorherigen Tags, die Pläne für den Führungsansatz: partizipativ, bottom-up FBI und viele mehr nächsten Tag und mögliche Hindernisse von den Teammit- PM-Fokus/Ziel: Lernen, Koordination gliedern besprochen. Zeithorizont: täglich Ziel ist es, den Arbeitsfluss durch Synchronisation, Ausrich- tung, Inspektion und adaptive Planung innerhalb des Teams Menschenbild: humanistisch; selbstbestimmtes, zu optimieren (zum Beispiel Sutherland, 2014). einzigartiges Individuum Check-ins Zweiseitiger Dialog zwischen Mitarbeitenden und Führungs- Führungsansatz: partizipativ, Coaching Adobe, Deloitte, kraft, der häufig als informeller Ersatz für jährliche Beurteilun- PM-Fokus/Ziel: Lernen, Motivation, Koordina- Zalando, Netflix gen und Zielsetzungen auf individueller Ebene eingesetzt wird. tion und viele mehr Dabei können Erwartungen gesetzt, Prioritäten überprüft, die Zeithorizont: typischerweise w öchentlich oder Arbeit kommentiert und Coaching für die Entwicklung der monatlich Mitarbeitenden angeboten werden. Menschenbild: humanistisch; selbstbestimm- Drei Fragen stehen im Fokus: Was ist der aktuelle Stand? tes, einzigartiges Individuum Was wurde aus dem letzten Check-in umgesetzt? Welche Prioritäten setzen wir uns? Ziel ist es, aussagekräftige Gespräche zu aktuellen Themen zu führen, die zu tieferen Einsichten und größerer Mitarbeiter- zufriedenheit führen. Leistung soll kurzfristig auf Kurs und abgestimmt gehalten werden (zum Beispiel Cappelli und Tavis, 2016). Feedforward- Zukunftsgerichtetes und stärkenbasiertes Interviewprotokoll Akteure: direkte Führungskraft und Mitarbei- Dyconex, Isolutions Interview zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften. Im Kern geht tender, oft bottom-up initiiert und viele mehr es darum, in einem Gespräch gemeinsam aus den Erfolgserleb- Führungsansatz: partizipativ, bottom-up, nissen des Mitarbeitenden einen persönlichen „Erfolgscode“ Coaching herauszuarbeiten und diesen in den zukünftigen Arbeitsalltag PM-Fokus/Ziel: Lernen, Koordination, Motivation zu übersetzen. Zeithorizont: typischerweise wöchentlich oder Ziel ist es, die eigenen Stärken und Bedürfnisse zu identifizie- monatlich ren und diese im Rahmen der organisationalen Gegebenheiten, zukünftigen Zielen und Tätigkeiten bestmöglich einzusetzen. Menschenbild: humanistisch; selbstbestimm- Motivation, Energie, Zufriedenheit und Leistung sollen so ge- tes, einzigartiges Individuum steigert werden. Idealerweise werden während der Gespräche gleichzeitig die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mit- arbeitenden gepflegt und verbessert (Kluger und Nir, 2010).
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