Dreikampf mit Hindernissen - Konrad-Adenauer-Stiftung
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LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. DR. KRISTIN WESEMANN MELDA AKBAS MARTEN NEELSEN April 2015 Dreikampf mit Hindernissen www.kas.de/argentinien EIN PERONIST ODER EIN NICHT-PERONIST – WER BEERBT DIE ZWEIMALIGE www.kas.de PRÄSIDENTIN CRISTINA KIRCHNER? EIN AUSBLICK AUF DAS SUPERWAHLJAHR IN ARGENTINIEN Es dürfte der teuerste Wahlkampf aller wenn es drauf ankommt. Nicht abgebrüht Zeiten in Argentinien werden. Fast genug, eine Ansammlung von Leuten mit 100 Millionen Dollar, so die Prognose, Glaskinn, die in einer politischen Rauferei werde die monatelange Schlacht um die nichts einstecken können und lieber das Casa Rosada, den rosafarbenen Präsiden- Handtuch werfen. Vor allem Peronisten, die tenpalast, insgesamt kosten. Amtsinhabe- sich für den Gegenentwurf halten, lästern rin Cristina Kirchner darf nach acht Jahren gern über die älteste Partei des Landes, an nicht noch einmal antreten, und ihre Re- deren Gründung im Jahr 1892 noch der gierung zittert angesichts schlechter Um- fragewerte und kaum besserer Wirt- frühere Präsident Bartolomé Mitre beteiligt schaftsdaten um die Macht. Abgestimmt war. Doch seit der Jahrtausendwende wird zwar erst am 25. Oktober, und die schwächeln die Radikalen tatsächlich; die Stichwahl einen Monat später ist wahr- alte Dame der argentinischen Politik ver- scheinlich. Aber die Parteien und ihre suchte sich an immer neuen Allianzen und möglichen Kandidaten haben bereits auf Wahlbündnissen mit kleinen und Kleinstpar- Wahlkampfmodus geschaltet. Drei Männer teien, weil die Kraft zum Alleinregieren nicht hätten im Augenblick die besten Chancen: mehr ausreichte. Die eigentliche Opposition der kirchnernahe Peronist Daniel Scioli, der kirchnerkritische Peronist Sergio Mas- zum seit 2003 regierenden Kirchnerismus sa und der Nichtperonist Mauricio Macri, kam aus dem Peronismus oder der PRO. der allerdings auch peronistisches Perso- nal angeworben hat. Dabei zählt sich die regierende Frente para la Victoria (FpV) von Präsidentin Cristina Der 15. März 2015 könnte in die argentini- Kirchner selbst zum Peronismus. Doch hatte sche Geschichte eingehen. Nach stunden- sie unter Führung von Néstor und Cristina langen Diskussionen und Aussprachen hatte Kirchner alles daran gesetzt, sich den Pero- die altehrwürdige Partei Unión Cívica Radical nismus einzuverleiben – jenes allumfassen- (UCR) in der Karnevalsstadt Gualeguaychú de politische Sammelbecken, das ihren Na- nahe der uruguayischen Grenze am frühen mensgeber Juan Domingo Perón zum kleins- Morgen für eine politische Allianz mit der ten gemeinsamen Nenner hat. Normaler- Mitte-Partei Propuesta Nacional (PRO) und weise ist es aber der Peronismus, der seine ihrem Präsidentschaftskandidaten Mauricio Führer bestimmt. Will jemand mit dieser Macri gestimmt. Die UCR hat Argentinien Regel brechen, dann spaltet sich die Bewe- zwar immer wieder regiert, sogar zweimal gung und läuft Gefahr die Macht zu verlie- seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr ren. Vor allem unter Präsidentin Cristina 1983. Allerdings steht sie im Ruf, ihre eh- Kirchner, die 2007 die Nachfolge ihres Mann renwerten politischen Ideen nicht umsetzen antrat und schärfer als dieser auf Konfron- zu können. Zu zögerlich seien die Radikalen, tation setzt, hat sich der Peronismus mehr
2 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und mehr gespalten: in Kirchneristen und keinesfalls sicher ist, dass auch diesmal ein Antikirchneristen. Dazwischen sammeln sich Peronist – egal welcher Couleur – die Wahl DR. KRISTIN WESEMANN all jene, die je nach Vorteil immer mal wie- gewinnt. Derzeit teilen sich drei politische der die Seiten wechseln. Kräfte das Szenario: die linkspopulistische April 2015 Siegesfront der Staatschefin, die Mitte- Sogar der Fußball macht Pause Partei Propuesta Nacional (PRO), die seit www.kas.de/argentinien acht Jahren mit Mauricio Macri die Haupt- www.kas.de Das argentinische Superwahljahr beginnt stadt Buenos Aires regiert, und das Mitte- am 12. April mit den Vorwahlen für das Links-Bündnis Frente Renovador (FR), das Gouverneursamt in der Provinz Salta. Acht sich ebenfalls auf den Peronismus beruft Monate später, am 10. Dezember, endet es und von Sergio Massa angeführt wird, einst mit der Ernennung des neuen Präsidenten. Kabinettschef von Cristina Kirchner, dann Bis dahin gibt es viele Vorwahlen, Wahlen Bürgermeister der Kleinstadt Tigre und jetzt und Stichwahlen. Gesucht wird nicht nur ein oppositioneller Abgeordneter. Es ist schwer, Staatsoberhaupt. Auch im Nationalparla- den Umfragen Glauben zu schenken. Der- ment werden viele Sitze neu vergeben – die zeit liegt meist Macri vorne, aber auch Mas- Hälfte im Abgeordnetenhaus, ein Drittel im sa oder Scioli führen mitunter das Feld an. 3 Senat; es endet die Legislaturperiode für die Journalisten und Politikberater meinen zu 2011 gewählten Politiker. In weiten Teilen wissen, welchem Kandidaten welches Insti- des zweitgrößten Landes Lateinamerikas tut gehört und wer welche Werte bezahlt. wird auch über neue Bürgermeister, Gou- Längst ist die Rede von einem „Umfrage- verneure sowie Regional- und Kommunal- krieg“, 4 doch um seine Reputation scheint vertretungen abgestimmt. „Im Dezember momentan kaum jemand zu fürchten. wird die politische Landkarte eine ganz an- dere sein“, sagt Sergio Berensztein, einer Noch vor einem Jahr erschien Macris Kandi- der wichtigsten Meinungsforscher Argentini- datur aussichtslos. Die Begründung lieferten ens. Er rechnet mit einem Ende der nahezu siegessichere Peronisten aus beiden Lagern: allumfassenden kirchneristischen Machtkon- Dem einstigen Unternehmer und seiner jun- zentration des Landes. 1 gen, erst 2005 gegründeten Partei fehlten das Territorium, die Masse von Anhängern, Andere Themen werden es in den kommen- die Wurzeln in den Weiten des Landes, das den Monaten schwer haben – vom Fußball fast achtmal so groß ist wie Deutschland – abgesehen, versteht sich, für den in Argen- Wahlsieg ausgeschlossen. Dahinter steht tinien ja immer Platz ist. Damit die größte das argentinische Muster der Stimmabgabe: Leidenschaft des Volkes der Politik tatsäch- Wer die meisten Wahlhelfer stellt, den lich auch nicht in die Quere kommt, endet Wahlbezirk politisch und die Urnen per Hand die Meisterschaftssaison sicherheitshalber kontrolliert, gewinnt das Mandat. Die demo- schon Anfang November. Die Stichwahl, von kratische Willensbekundung ist – von eini- der man im Augenblick ausgehen kann, ist auf den 24. November terminiert. 3 Eduardo Paladini, „ Las últimas encuestas presi- denciales, con llamativas diferencias”, Clarín, Argentinien steckt derzeit in einer so tiefen 25.03.2015, http://www.clarin.com/elecciones- 2015/Elecciones_2015-encuestas-Macri-Massa- politischen und wirtschaftlichen Krise, 2 dass Scioli_0_1327067470.html [25.03.2015]. 4 „ Guerra de encuestas: un nuevo sondeo sitúa a Massa como el candidato con mayor intención de 11 Sergio Berensztein, „Lo esencial es invisible a voto”, Infobae, 24.03.2015, los ojos“, Perfil, 08.03.2015, S. 22. http://www.infobae.com/2015/02/24/1628810- guerra-encuestas-un-nuevo-sondeo-situa-massa- 2 Vgl. Länderbericht: Kristin Wesemann, Land oh- como-el-candidato-mayor-intencion-voto ne Halt, 06.02.2015, [25.03.2015]. http://www.kas.de/wf/de/33.40407/ [25.03.2015].
3 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. gen Ausnahmen abgesehen – so bunt, hek- Über Territorium verfügt der Peronismus, er tisch und undurchsichtig wie der Alltag am bekämpft sich im Augenblick allerdings DR. KRISTIN WESEMANN Río de la Plata. Der Wähler zeigt am Wahl- selbst, und dass sich die gespaltete Bewe- tisch seine Unterlagen vor und betritt dann gung vor den Wahlen noch rechtzeitig wie- April 2015 allein einen Klassenraum. Dort liegen auf dervereinigt, ist eher unwahrscheinlich. Die Tischen die Wahlzettel, die an Partyflyer Peronisten haben sich auch nicht vorstellen www.kas.de/argentinien und Werbezettel erinnern. Mitunter liegen können, dass der ewige Rivale – die angeb- www.kas.de die Zettel bestimmter Parteien und Kandida- lich so zögerliche UCR – seine Truppen und ten allerdings auch nicht aus – besser ge- Gebiete per Parteitagsbeschluss Macri und sagt: nicht mehr, weil sie auf rätselhafte PRO anbieten würde, um den Peronismus Weise verschwunden sind. Also schicken die und vor allem den Kirchnerismus zu besie- Parteien immer wieder ihre Leute zur Kon- gen. trolle vorbei, um notfalls neue Zettel ausle- gen zu können. In den Städten ist das meist Soweit die äußere Logik des beginnenden kein Problem, da finden sich genug Anhä- Wahljahres. nger, um nach dem Rechten zu schauen. Aber hat die Partei auch noch jemanden in Der logische Kandidat erhält keine Hilfe dem fernen Dorf, das 2000 Meter hoch liegt Wäre es nach Cristina Kirchner gegangen, und nur über eine überschwemmte Schot- hätte sich Frage nach dem Präsident- terpiste zu erreichen ist? Der Peronismus – schaftskandidaten der Regierungspartei gar auch das macht seine Stärke aus – hat dort nicht gestellt: Nach ihrer triumphalen Wie- seine Leute. Nur Peronisten gibt es in Ar- derwahl im Jahr 2011 mit fast 54 Prozent gentinien tatsächlich überall. wollte sie die Verfassung ändern und die Begrenzung von zwei Amtszeiten für das Ein einheitlicher Stimmzettel (boleta única) Staatsoberhaupt abschaffen lassen, um steht seit Jahren auf der Wunschliste vieler Bürger, Journalisten und Politologen. Doch 2015 abermals anzutreten. Doch bei den Kongresswahlen im Oktober 2013 stimmten durchsetzen konnte er sich bislang kaum. zwei von drei Argentiniern für die Oppositi- Dort, wo die Stimmabgabe elektronisch er- on – und die Regierung verfehlte die Zwei- folgt, also einfach und transparent ist – in drittelmehrheit im Parlament, um die Ver- der Nordprovinz Salta etwa –, fürchten die fassungsänderung beschließen zu können. Regierenden die Abwahl. Denn wer in Ar- Danach schien Daniel Scioli lange der logi- gentinien regiert, der verteilt auch soziale sche Kandidat auf die Nachfolge Kirchners Wohltaten. Und die Ansprüche verteilen sich zu sein. Er regiert als Gouverneur die Pro- nicht ausschließlich nach Bedürftigkeit, son- vinz Buenos Aires, den wichtigsten und dern vor allem auch nach politischer Folg- größten Distrikt des Landes, Heimat von samkeit. Wer also genau den Wahlzettel in fast 40 Prozent aller Wahlberechtigten. Wer die Urne wirft, den ihm ein Wahlhelfer des hier gewinnt, kann im Rest des Landes Bürgermeisters oder des Gouverneurs beim kaum noch verlieren. Die Wahl in dieser Mate im eigenen Wohnzimmer in die Hand Provinz gilt als Mutter aller Schlachten und gedrückt hat, kann sich bei genehmem wird deshalb besonders hart ausgefochten. Wahlergebnis über mancherlei Wohltat freuen: eine Stelle in der Verwaltung für den Neffen oder ein Fahrrad für die Enkelin. So hat Politik schon unter Juan Domingo Perón und seiner Frau Evita funktioniert.
4 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. kirchneristischen Jugendorganisation La Cámpora 5 besetzte, löste sich die einst so DR. KRISTIN WESEMANN mächtige Liga der peronistischen Gouver- neure nahezu auf. Die Partei existierte nur April 2015 noch auf dem Papier, eine Struktur hatte sich längst nicht mehr, und fast hätte sie www.kas.de/argentinien sich laut Parteiengesetz auflösen müssen. www.kas.de Über Jahre hatte es weder Parteitage noch Wahlen gegeben. In nahezu letzter Minute veranstaltete die PJ vor einem Jahr einen Wahlparteitag. Die Choreografie hatte die Casa Rosada entschieden: Damit niemand leer ausging, aber auch keiner mit Blick auf die Wahlen herausstach, wurden einfach dutzende neue Posten geschaffen; allein sieben Ehren-Vizepräsidenten gibt es nun. Parteichef wurde Eduardo Fellner, Gouver- Plakatkampagne von Daniel Scioli Quelle: KAS Argentinien neur der abgelegenen Provinz Jujuy, vor Der politische Lebenslauf des früheren Mo- allem aber ein Mann ohne Ambitionen auf torbootrennfahrers beginnt 1997 als pero- den Präsidentenpalast. 6 Cristina Kirchner nistischer Abgeordneter im argentinischen und die, die derzeit mit ihr das Land regie- Kongress. 2003 wird er unter Néstor Kirch- ren, tauchen im Organigramm erst gar nicht ner Vizepräsident und damit automatisch auf. Ohnehin fehlt der Präsidentin der pero- Chef des Senats – wo zu dieser Zeit Cristina nistische Stallgeruch. Sie hat die Partei nie Kirchner die Provinz Buenos Aires vertritt. als Machtfaktor betrachtet und die Heiligen Vier Jahre später, als Néstor Kirchner den – Perón, Evita – nur pflichtschuldig verehrt. Präsidentenstuhl räumt, auf eine zweite Die Kirchners haben Argentinien deutlich Kandidatur verzichtet und seine Gattin Cris- nach links verschoben, und die Heldenfin- tina gewählt wird, siegt Scioli bei den Gou- dung ist dem nachgekommen. Verehrt wer- verneurswahlen in der Provinz Buenos Aires. den heute der Revolutionär Ernesto „Che“ Nach dem Tod Néstor Kirchners 2010 über- Guevara, den schon die peronistische Gue- nimmt er für ein paar Jahre kommissarisch rillaorganisation der Montoneros in den den Vorsitz der peronistischen Gerechtig- siebziger Jahren an die Seite Evitas gestellt keitspartei (PJ), jener mächtigen Bewegung hatte und der nun die stärkere lateinameri- von links bis rechts, die selbst dann Einfluss kanische Identität Argentiniens verkörpern hat in Argentinien, wenn ausnahmsweise soll, die Mütter von der Plaza de Mayo als andere regieren. Gesicht der Menschenrechtspolitik und Hugo Chávez, der inzwischen verstorbene Präsi- Der Peronismus kommt vom Weg ab dent Venezuelas. Cristina Kirchner schaffte es sogar, 1997 aus ihrer Fraktion im Senat Doch der Kirchnerismus hat seine peronisti- schen Wurzeln seit dem Einzug in die Casa Rosada 2003 nicht gut gegossen. Während 5 Vgl. Länderbericht: Kristin Wesemann, „Die jun- Cristina Kirchner altgediente Peronisten aus ge Garde der Präsidentin“, KAS Auslandsinforma- tionen, 5/2013, ihren Funktionen entließ und allmählich fast http://www.kas.de/wf/doc/kas_34437-1522-1- 30.pdf?130828095852 [25.03.2015]. alle wichtigen Ämter (und viele tausend 6 Siehe auch Länderbericht: Kristin Wesemann, Stellen im Staatsdienst) mit jungen, oft völ- Das leise Klassentreffen des Peronismus, 5/2014, lig unerfahrenen Mitgliedern der militanten http://www.kas.de/wf/doc/kas_37753-1522-1- 30.pdf?140515155311 [25.03.2015].
5 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. ausgeschlossen zu werden – sie stimmte oft versagte ihm dieser den Zugang zur Casa gegen die eigene Partei und verhielt sich so Rosada. Scioli behielt sein Amt, musste es DR. KRISTIN WESEMANN „rebellisch“, dass manche sogar ihren Aus- aber von seinem Büro im Senat aus wahr- schluss aus der PJ verlangten. 7 nehmen (der argentinische Vizepräsident ist April 2015 gleichzeitig Senatspräsident). Scioli wurde auch von Cristina Kirchner öffentlich und www.kas.de/argentinien hinter verschlossenen Türen gedemütigt www.kas.de und stand trotzdem bei der nächsten großen Ansprache wieder neben ihr. Er akzeptierte auch, wenn die Präsidentin ihm Vizegouver- neure und Abgeordnete vorschlug. Namhaf- te Kommentatoren wie Ricardo Kirschbaum diagnostizierten ein „Stockholm-Syndrom“ 8, unter dem der Kandidat leide. 9 Das jüngste Beispiel: Eigentlich sollte Gustavo Marango- ni, der über die Parteigrenzen hinweg ge- achtete Präsident der Bank der Provinz Bu- enos Aires (eine Art argentinische Landes- bank), als Bürgermeisterkandidat in der Hauptstadt antreten. „Gustavo Marangoni ist Scioli in der Stadt Buenos Aires“, hieß es Marsch für die Regierung der Cámpora monatelang auf tausenden von orangen Quelle: KAS Argentinien Plakaten. Marangoni wäre bei den Vorwah- Unter Kirchner funktioniert Argentinien wie len am 26. April einer von sechs Kandidaten ein schlecht geführtes Unternehmen: Wer des Kirchnerismus gewesen. Die Präsidentin kuscht und der Chefin folgt, genießt die Vor- persönlich soll Scioli beauftragt haben, des- teile, gemeinsame Fotos und Auftritte, Zu- sen Kandidatur zurückzuziehen. Der Gou- schüsse aus dem Staatshaushalt für Bau- verneur tat wie geheißen und versuchte sich vorhaben. Alle anderen verlieren den Zu- danach an wenig überzeugenden Erklärun- gang zu ihr und den Privilegien. Der Kreis gen: Man habe Marangoni nicht verlieren derer, denen die Präsidentin vertraut, war sehen wollen; der Kandidat habe sich kurz von Anfang klein, und mit jedem Jahr in der vor Listenschluss entschieden nicht anzutre- Casa Rosada ist er weiter geschrumpft. Der ten. 10 Druck aus der Casa Rosada? Nein, auf politische Stil des Kirchnerismus ist ohnehin keinen Fall. die Konfrontation, eine klare Trennung in Freund und Feind. Nach außen wird aggres- Vertraute begründen Sciolis Verhalten stets siv kommuniziert – das betrifft die Oppositi- damit, dass seine Provinz auf die finanzielle on insgesamt, nicht nur Politiker, sondern auch regierungskritische Journalisten, Rich- 8 ter und Staatsanwälte. “Unter dem Stockholm-Syndrom versteht man ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Dies kann dazu füh- Daniel Scioli hat über die Jahre viel einge- ren, dass das Opfer mit den Tätern sympathisiert steckt. Er war kaum zwei Wochen als Vize- und mit ihnen kooperiert.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Stockholm-Syndrom präsident unter Néstor Kirchner im Amt, da 9 „Ricardo Kirschbaum, Aníbal, Daniel, Florencio y Ella“, Clarín, 13.03.2015, S. 2. 10 „El cierre de listas porteñas reavivó la pelea 7 José Angel Di Mauro, „Hace diez años echaban a Cristina-Scioli“, Los Andes, 09.03.2015, Cristina Kirchner del bloque del PJ“, 11.05.2007, http://www.losandes.com.ar/article/el-cierre-de- http://www.parlamentario.com/noticia- listas-portenas-reavivo-la-pelea-cristina-scioli 58570.html [25.03.2015]. [25.03.2015].
6 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Hilfe aus der Casa Rosada angewiesen sei ner es sein wird, die den Kandidaten der und sich der Gouverneur gewissermaßen Bewegung bestimmt. Der Kirchnerismus hat DR. KRISTIN WESEMANN opfere. Er selbst hat wohl auch darauf ge- 25 bis 30 Prozent Stammwähler. Scioli galt setzt, dass er später belohnt würde: mit bislang als jemand, der diese ebenso für April 2015 dem Segen Kirchners für seine Präsident- sich gewinnen könnte wie jene Stimmen des schaftskandidatur 2015. In den guten Ta- traditionellen Peronismus, um die auch Ser- www.kas.de/argentinien gen, als der Kirchnerismus Wahlen trium- gio Massa wirbt. www.kas.de phal gewann, wäre dies eine Art Freifahrt- schein in Richtung Regierungspalast gewe- Wenn er denn antreten darf. sen. In Sciolis Umfeld macht man sich auch jetzt keine Sorgen; dort kennt man die Ein Bombenplan soll helfen kirchnerische Art des Umgangs mit Gouver- Allerdings ist in diesen Tagen nicht einmal neuren und Bürgermeisten seit Jahren; dies das mehr sicher. Die Gründe sind vielschich- sei Teil des „Draufgängertums“, das sich die tig und haben vor allem damit zu tun, dass Präsidentin von ihrem Mann abgeschaut ha- Kirchner dem Gouverneur nicht vertraut. In be. Man wärmt sich an einem Zitat aus al- den Hinterzimmern des Peronismus erklärt ten Tagen: „Néstor will dich mit Tritten in man sich das so: Kirchner akzeptiere zwar, den Hintern ins Paradies befördern.“ 11 dass sie ihr Amt vorerst abgeben müsse. Aber die Macht wolle sie unbedingt behal- Traditionsperonisten schätzen Scioli nach ten. Das gelänge nur über das „russische wie vor als Mann des Ausgleichs. Sie trauen Modell“ oder wenn ein Nicht-Peronist, in ihm zu, die einseitige Ausrichtung ihrer Be- dem Falle Mauricio Macri, Präsident würde. wegung nach links aufzuheben und sie wie- Machte sie es wie einst Wladimir Putin, der zurück in die Mitte der Gesellschaft zu würde sie bis 2019 einen Platzhalter in der führen. Im Stillen haben Scioli und andere Casa Rosada installieren und dann ein drit- verbündete Gouverneure immer wieder ver- sucht, den Peronismus zusammenzuhalten tes Mal die Präsidentschaft anstreben. Das Problem ist nur: Putin hatte in Dimitri Med- und sich nicht ganz und gar dem Kirchne- wedjew einen Mann, der das Spiel mitspiel- rismus zu unterwerfen. Doch Cristina Kirch- te. Ob auch ein Peronist bereit wäre, die ner, bekannt für ihren Instinkt, ließ ihre Macht wieder abzugeben, ist dagegen nicht Vertrauten – „die Pinguine“ aus der Heimat- sicher. Schließlich sind Machterwerb und - provinz Santa Cruz – sogar geheime Pero- erhalt ein Wesenszug der Bewegung. Der nisten-Treffen sprengen. Teilnehmer, die Sozialwissenschaftlicher Juan Carlos Torre noch nicht offiziell mit der Präsidentin ge- charakterisierte peronistische Politiker ein- brochen hatten, mussten solche Veranstal- mal so: Sie sammeln Ideen, um an die tungen hinterher kleinreden und ihr öffent- Macht zu gelangen, anstatt Macht anzustre- lich huldigen. ben, um Ideen umzusetzen. 12 Zwar ist Kirchners Beliebtheit in den ver- Die andere mögliche Strategie Kirchners gangenen zwei Jahren beeindruckend ge- setzt darauf, dass Hauptstadtbürgermeister sunken. Doch der Oficialismo, wie das Re- Macri die Wahl im Oktober gewinnt und gierungslager in Argentinien heißt, lässt dann zwei Jahre auf die geballte Macht des keinen Zweifel daran, dass Christina Kirch- Peronismus trifft. Weil der Kongress alle 11 12 Patricio Navarra, „Scioli y Randazzo aún creen Torre, Juan Carlos, La operación política de la- que Cristina terminará por bendecirlos“, Perfil, transversalidad. El presidente Kirchner y el Partido http://www.perfil.com/politica/El-gobernador-y- Justicialista, 2004, Randazzo-aun-creen-que-Cristina-terminara-por- http://www.clubsocialista.com.ar/scripts/leer.php? bendecirlos-20150322-0005.html [25.03.2015]. seccion=articulos&archivo=127 [15.05.2014].
7 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. zwei Jahre nur teilweise erneuert wird, blie- weitermacht, ist wahrscheinlich. Die Präsi- be die kirchneristische Siegesfront wohl die dentin vertraut dem jungen Politiker wie DR. KRISTIN WESEMANN größte Fraktion im Parlament. Man würde kaum sonst jemandem. Eigentlich sähe sie den Peronismus wieder auf seine Seite zie- es gerne, wenn ihr Sohn Máximo, Chef der April 2015 hen, wie dies einst Néstor Kirchner gelun- Cámpora, in ihre Fußstapfen und die seines gen war, und auch die Gewerkschaften zu- Vaters Néstor treten würde. Diesem man- www.kas.de/argentinien rück ins Boot holen. Ein paar Massenauf- gelt es möglicherweise nicht an politischem www.kas.de märsche, Generalstreiks, Fabrikbesetzungen und geschäftlichem Geschick, doch ist er und Straßenblockaden – schon wäre Macri niemand, der über die engen Grenzen der am Ende, und Kirchner könnte sich bei militanten Anhänger populär werden könn- Neuwahlen die Präsidentschaft vorzeitig zu- te. Der Kirchnerismus traut sich nicht ein- rückholen. mal, ihn als Bürgermeisterkandidaten seiner Heimatstadt Río Gallegos (Provinz Santa Damit Macri im Falle seines Wahlsieges tat- Cruz) aufzustellen, so schlecht sind seine sächlich scheitert, hat die Präsidentin den Werte selbst dort. Bislang ist er vor allem „Plan Bomba“ bei ihrem Wirtschaftsminister als medienscheuer und bisweilen raubeini- in Auftrag gegeben. 13 Axel Kicillof soll dem- ger Präsidentensohn aufgefallen. nach die makroökonomischen Probleme ig- norieren, derweil Kirchner soziale Wohltaten Kicillof wäre der bessere Nachfolgekandidat: verteilt. Auch bei den alljährlichen Lohnab- jung, eloquent, gebildet, nicht unsympa- schlüssen mit den Gewerkschaften will die thisch und mit reichlich Chuzpe ausgestat- Regierung diesmal keine Grenze setzen. Je tet. Seinen kometenhaften Aufstieg zum höher die Lohnerhöhungen – von mehr als Wirtschaftsminister hat er allein Cristina und 35 Prozent ist die Rede (bei etwa 40 Prozent Máximo Kirchner zu verdanken. Als Kandi- Inflation) –, umso populärer die Präsidentin dat für das erste Amt im Staate kommt er und leerer die Kassen. Ignacio De Mendigu- momentan wohl noch nicht infrage. Aber er ren, Chef des wichtigen Unternehmerver- könnte die machtpolitische Lebensversiche- bandes Unión Industrial, sagt, die Regierung rung der Kirchners sein. Wer unter einem wolle „alles unter den Teppich kehren“, da- Vizepräsidenten Kicillof regierte, wäre nach mit die „Zeitbombe unter dem nächsten dieser Lesart beinahe egal. Präsidenten explodiert“. 14 Die zwölf Kirch- nerjahre sollen im Vergleich zu dem erwar- Das weiß auch Gouverneur Scioli. Eine Ma- teten wirtschaftlichen Zusammenbruch und rionette an der Macht wäre er nicht, dafür den Aufräumarbeiten als goldenes Zeitalter sind seine Truppen zu stark, die er über die erscheinen und Sehnsucht nach der Regen- Jahre um sich geschart hat. Auch deswegen tin wecken. Kicillof reagierte auf das Be- sucht der Kirchnerismus nach einem ande- kanntwerden dieser Pläne erwartungsge- ren Kandidaten. Es gibt eine ganze Reihe mäß: „Wir bauen keine Bombe, denn wir von Musterschülern, und die Präsidentin er- haben vor zu bleiben.“ 15 Dass er persönlich weist mal dem einen, mal dem anderen ihre Gunst. Die Öffentlichkeit kann meist nur ra- ten, wer gerade Liebling ist: an den Positio- 13 nen auf der Bühne hinter ihr, an den Kom- Marcelo Bonelli, „El plan ‚bomba’ de Kicillof: el que gane tendrá que hacerse cargo“, IECO, mentaren in ihren Reden, einem Lächeln 13.03.2015, http://www.ieco.clarin.com/economia/Desequilibri oder Augenzwinkern in Richtung des einen os_macroeconomicos-Tipo_de_cambio-Inflacion- Salarios-Thomas_Griesa- Brasil_0_1319868052.html [21.03.2015]. 14 Ebd. http://www.lanacion.com.ar/1777389-axel- 15 kicillof-no-estamos-armando-ninguna-bomba- „Axel Kicillof: ‚No estamos armando ninguna porque-estamos-pensando-en-quedarnos-no-en- bomba porque estamos pensando en quedarnos, irnos [21.03.2015]. no en irnos’“, La Nación, 19.03.2015,
8 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. oder anderen. Aktueller Stand ist, dass sie didaten, werde der Gouverneur „ein Taliban Transportminister Florencio Randazzo mehr des Kirchnerismus“ 16 bleiben. Danach und DR. KRISTIN WESEMANN schätzt als andere, aber keinen so sehr wie bis zum 9. August, dem Tag der Vorwahl, Wirtschaftsminister Axel Kicillof. Randazzo werde er sich etwas unabhängiger vom na- April 2015 will Präsident werden, hat aber kaum Chan- tional-populären Projekt der Präsidentin zei- cen. Kicillof wäre ein möglicher Vize, ein gen. Wieder ein paar Wochen später, recht- www.kas.de/argentinien Mann mit Zukunft, der nicht nur für die rei- zeitig zum ersten Wahlgang am 25. Okto- www.kas.de ne kirchneristische Lehre steht, sondern an ber, wolle er auf Distanz zu Cristina Kirch- der Seite eines Präsidenten Scioli auch noch ner gehen. 17 Politische Inhalte hingegen auf sie aufpassen könnte. bleiben in dieser Konstellation rar – denn der Kandidat müsste seine Positionen bei Nur: Will Kirchner weder Macht noch Deu- dieser Positionsabfolge ohnehin alle paar tungshoheit aus der Hand geben, so darf Wochen revidieren. Allerdings würde Sciolis sich die Präsidentin nach argentinischer Lo- Kampagne hierunter wohl nicht besonders gik auch gar nicht festlegen. Gäbe es schon leiden. Denn zum einen hat der Kandidat in jetzt einen Anwärter, würde sich kaum je- seiner politischen Vergangenheit die Seiten mand noch mit Kirchner aufhalten. Der schon sehr oft gewechselt – wenn auch Kandidat stünde im Mittelpunkt, jedes Wort stets innerhalb der Grenzen des Peronis- und jede Bewegung bekäme die Aufmerk- mus. Zum anderen verlässt er sich nicht auf samkeit, die heute die Chefin auf sich zieht. eine durchgeplante Kampagne, sondern auf Bisher hat noch jeder Präsident in seinem die traditionelle Stärke seiner Partei: das letzten Amtsjahr mit seinem Abdriften in die Territorium. faktische Bedeutungslosigkeit klarkommen müssen (außer Néstor Kirchner, der auch Eigentlich regiert Daniel Scioli von La Plata dann noch die Geschicke des Landes be- aus, der Hauptstadt seiner Provinz. Doch stimmte, als seine Frau schon in der Casa den Vorwahlkampf plant der Gouverneur im Rosada residierte). Mikrozentrum von Buenos Aires. Dort, un- weit des Präsidentenpalastes in der Straße Doch jeder Kandidat des Kirchnerimus wird San Martín, hat die Banco Provincia ihren – Stand heute – damit leben müssen, dass Sitz. Im 19. Stock empfängt Scioli häufig; er schlechte Chancen hat, die Wahl zu ge- im 4. Stock hat die Fundación DAR winnen. Der Regierung, Präsidentin und (Desarrollo Argentino) ihre Sitz. Ihr Präsi- Partei inklusive, gelingt es schon lange nicht dent ist Jose „Pepe“ Scioli, ein Bruder. Die mehr, sich gegen den Negativtrend zu Stiftung bezeichnet sich als „Think Tank von stemmen. Eigentlich brauchte die Bewegung Daniel Scioli“ 18, und namhafte Experten, eine starke und bekannte Figur, die das ge- darunter viele Mitglieder der Provinzregie- spaltene Land eint – jemanden wie Scioli. rung, erarbeiten hier Ideen für die künftige Aber der darf es bislang nicht sein. Gestaltung des Landes. Der dritte Stock des Bankgebäudes trägt den Beinamen „War Zwei Peronisten werden sich nicht einig Room“, hier arbeiten die Kommunikations- leute, aber auch Operateure des Sciolismo Scioli hat in den vergangenen Tagen zuge- wie Kabinettschef Alberto Pérez an der Stra- geben, dass er sich nicht auf den Ritter- schlag der Präsidentin verlassen wird. Die neue Wahlkampfstrategie tragen seine 16 Carlos Pagni, „Un golpe al plan de supervivencia del kirchnerismo“, La Nación, 16.03.2015, S. 7. Emissäre nun ins Land: Bis zum 20. Juni, 17 Ebd. dem Stichtag für die Bekanntgabe der Kan- 18 Desarollo Argentino, http://www.desarrolloargentino.org/prensa [24.03.2015].
9 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. tegie des Kandidaten. 19 Scioli selbst be- könnte man dann mitnehmen, um die Casa gründet seine Kandidatur mit Sätzen, die Rosada zu erobern. Das hatte so ähnlich DR. KRISTIN WESEMANN seine Wahlkampfleute danach für Plakate schon einmal funktioniert: 2011 hatte Mas- verwenden: „Wegen allem, was mir in mei- sa darauf verzichtet, Scioli als Gouverneur April 2015 nem Leben widerfahren ist, fühle ich, dass herauszufordern. Legt man die ungefähren Gott mich darauf vorbereitet hat, Präsident Umfragewerte von je 30 Prozent für Macri, www.kas.de/argentinien zu sein.“ Massa und Scioli zugrunde, so kämen die www.kas.de beiden Peronisten zusammen auf 60 Pro- Als Scioli 2007 das Amt des Vizepräsidenten zent. Die Präsidentschaft wäre sicher. gegen den Gouverneursposten eintauschte, ließ sich Sergio Massa zum Bürgermeister Massa ist auf solche Verlockungen diesmal der Stadt Tigre wählen. Der Gouverneur nicht eingegangen und hat die Spaltung des stand damit in der politischen Hierarchie Peronismus damit noch vertieft. Derzeit ist über ihm, doch Massa war dennoch einer völlig offen, wer die Einzelteile der Bewe- der „bonarenser Barone“, jenen Bürger- gung wieder zusammenführen wird. Sogar meistern der Provinz Buenos Aires, denen Eduardo Duhalde, der peronistische Über- die argentinische Politikwissenschaft sogar gangspräsident nach der Staatspleite von eine eigene Machtkategorie zuteilt. Nach 2001, hat schon reagiert und ist dabei, die einem Jahr ließ der junge Peronist die Partei neuzugründen – freilich ohne kirchne- Kommunalpolitik ruhen, um Cristina Kirch- ristischen Anstrich. 21 Massa hat auf Sciolis ner als Kabinettschef zu dienen. Scioli und Rechenspiel ganz anders reagiert, als man Massa sind beide Peronisten, auch deshalb das im War Room des Gouverneurs erwartet haben sie schon etliche Male und ohne Not hatte. Er distanzierte sich noch weiter vom die Seiten und Ideologien gewechselt. Ein Kirchnerismus, zu dem Scioli zählt, und aktuelles Buch über Scioli nennt den Gou- suchte nach anderen politischen Partnern. verneur ein „Geheimnis“ und verspricht den Dabei schloss er PRO aus, umwarb aber an- Lesern große Erkenntnisse: „Wie es ihm ge- dere Peronisten und vor allem die UCR. Von lungen ist, 20 Jahre in der argentinischen beiden erhielt er einen Korb. 20 Politik zu überleben.“ Die beiden Politiker unterscheidet, dass sich Massa 2013 zur Massa organisiert seinen Wahlkampf vom innerperonistischen Opposition entschlossen 17. Stock des Turms der Nationen in Tigre. hat. Für Scioli war das kein Problem, denn Er ist mit 42 Jahren noch sehr jung, deutlich er hatte die Präsidentschaftspläne des 15 jünger als Macri (56) und Scioli (58). Er hat Jahre jüngeren Abgeordneten nie ernst ge- Zeit und könnte sogar noch in den 2030-er nommen. Im Gegenteil, Massas Schwenk in Jahre regieren. Er muss nicht jetzt seine die Opposition war bislang die wichtigste Chance nutzen und tritt wohl auch deshalb Variable seiner Rechnung: Der Kontrahent bisweilen ungestüm auf. Eine ausgeklügelte würde in diesem Jahr auf seine Kandidatur Taktik verfolgt er nicht. Er liebt das Bad in verzichten, um zunächst als Gouverneur der der Menge und spricht ohne Manuskript. Provinz Buenos Aires anzutreten. Massas Massa ist charismatisch, aber ihm fehlt der Stimmen, so die Logik im Scioli-Lager, politische Maschinenraum, den Scioli und Macri auf ganz unterschiedliche Weise besit- zen. Massa will nah bei „den Menschen“ sein 19 Rosario Ayerdi, „Secretos de los búnkeres donde se cocina la campaña“, Perfil, 15.03.2015, http://www.perfil.com/politica/Secretos-de-los- bunkeres-donde-se-cocina-la-campana-20150315- 21 0039.html [24.03.2015]. „Eduardo Duhalde fue elegido presidente del PJ no oficialista“, La Nación, 14.03.2015, 20 Pablo Ibáñez und Walter Schmidt, 2015, Scioli http://www.lanacion.com.ar/1776299-eduardo- secreto: Cómo hizo para sobrevivir a 20 años de duhalde-fue-elegido-presidente-del-pj-no- política argentina, Sudamericana, Buenos Aires. oficialista [25.03.2015].
10 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und eine „andere“ Politik machen für „das Anders als Scioli und Macri hat Massa kaum Argentinien, das kommt“. Seine Frau und Geld für den Wahlkampf, der mit schät- DR. KRISTIN WESEMANN wichtigste Ratgeberin Malena Galmarini hat zungsweise 100 Millionen Dollar – pro Kan- längst angekündigt, nicht in die Präsiden- didat – schon heute als einer der teuersten April 2015 tenresidenz im Hauptstadtvorort Olivos um- gilt, den Argentinien jemals gesehen hat. 23 zuziehen, sondern in Tigre wohnen zu blei- Finanziell ist Massa abhängig von zahlrei- www.kas.de/argentinien ben. Man sei eine ganz normale Familie. chen Experten, die um einen Platz in seinem www.kas.de Seine Unverstelltheit liefert einerseits Grün- Schattenkabinett kämpfen. Außer seinem de für seine Beliebtheit. Auch Argentinier Abgeordnetenbüro und der Kommunalver- haben insgesamt keine hohe Meinung von waltung in Tigre hat er keinen Apparat, über ihren Politikern – und Massa gibt da eher den er seine Erfolge präsentieren oder Kon- den Kumpel von nebenan, den Nachbarn, zepte entwickeln lassen kann. der verspricht, sich um alles zu kümmern. Andererseits ist der Verzicht auf politische Anders als Scioli, der fast ausschließlich auf Gepflogenheiten auch ein Problem. Denn traditionelle peronistische Wahlkampfin- der Kandidat hat ein besonderes Talent, be- strumente setzt – auch seine Einträge in kannte Gesichter und langjährige Gefährten den sozialen Netzwerken wirken wie insze- mit widersprüchlichen Aussagen vor den nierte Massenkundgebungen –, will Massa Kopf zu stoßen. Selbst die Liga der Provinz- auch Nicht-Peronisten überzeugen. Aber Bürgermeister, die bisher als Massas ihm fehlen Geld und Ideen für eine über- stabilste Front galt, bröckelt. Einflussreiche zeugende Kampagnenführung. Ob Websei- und bekannte peronistische Stadtregenten te, Facebook, Twitter oder Spots, es fehlt an wie Gustavo Posse (San Isidro), Jesús Professionalität, an klaren Botschaften und Cariglino (Malvinas Argentinas), Humberto Stringenz. Obendrein gab es reichlich Spott, Zúccaro (Pilar), Carlos Acuña (Hurlingham) als Massa in einem Fernsehwerbefilm im oder Walter Queijeiro (Quilmes) kokettieren jeweiligen Provinzdialekt zu den Menschen mit dem Macrismo. Und seit sich Carlos zu sprechen versuchte. Reutemann vor ein paar Wochen auf Macris Seite geschlagen hat, haben auch diese Das Leitmotiv der Kampagne „distinto“ (an- „bonarenser Barone“ kaum noch Berüh- ders) ist ein großes, aber eher inhaltsleeres rungsängste. Überhaupt, Reutemann: Den Versprechen. Die eigenen Leute wirken zu- erfolgreichen Rennfahrer, früheren Gouver- nehmend unzufrieden. Der lange Rausch neur von Santa Fe, Fast-Herausforderer von nach dem Triumph bei den Kongresswahlen Cristina Kirchner vor vier Jahren und heuti- im Oktober 2013, als Massa plötzlich zum gen Senator hatte auch Massa hofiert. Nur: Oppositionsanführer aufstieg, ist vorbei. Angebote wie das, Vizepräsident zu werden, Kandidat und Team stecken in den Mühen waren nicht exklusiv, auch andere Schwer- der Ebenen fest und finden kein Thema, das gewichte hatten sie erhalten. Das kam ers- mit ihnen verbunden wird. tens raus und zweitens dann schlecht an. Das Vertrauen in den Mann aus Tigre hatten viele Bürgermeister allerdings schon vorher verloren. Dass er fordert, nicht nur Präsi- denten, auch Argentiniens Stadtfürsten soll- periodos ‚se tienen que ir’“, InfoLítica, ten nicht mehr als zwei Amtszeiten am 22.12.2014, http://infolitica.com.ar/massa-aclaro- que-intendentes/ [25.03.2015]. Stück regieren, dürfte dabei eine wesentli- 23 Lucas Morando und Jairo Straccia, „La campaña che Rolle gespielt haben. 22 del futuro presidente costará 100 millones de dó- lares“, Perfil, 02.11.2014, http://www.perfil.com/politica/La-campana-del- futuro-presidente-costara-100-millones-de- 22 dolares-20141102-0005.html [25.03.2015]. „Massa aclaró que intendentes con más de dos
11 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Die Wochenendzeitung Perfíl titelte jüngst: der 50.000 Euro teuren Tische beim Spen- 24 „Rebellion gegen Massa.“ Der Kandidat dendinner des Konkurrenten Macri gebucht DR. KRISTIN WESEMANN musste vor der eigenen Mannschaft klarstel- hatten. Es schien, als würden einige der mit len, dass er das Rennen um die Präsident- Massa sympathisierenden Unternehmen die April 2015 schaft nicht aufgeben würde – kein gutes Hoffnungen aufgeben und noch rechtzeitig Zeichen. Beraten wird Massa von Sergio einen Seitenwechsel in Richtung PRO vorbe- www.kas.de/argentinien Bendixen, der in Lateinamerika als Kam- reiten. 27 www.kas.de pagnenguru gilt und auch schon für Barack Obama gearbeitet hat. Das Problem: Der Wahlkampf in Argentinien bedeutet traditio- gebürtige Peruaner stellt so hohe Honorar- nell zuallererst: Sichtbarkeit des Kandida- forderungen, dass sich Massa dessen Diens- ten, immer und überall. Man kauft große te nicht dauerhaft leisten kann. Nur alle Werbeflächen in den Städten und entlang paar Wochen schaut der Fachmann in Tigre der Autobahn; man schickt die Anhänger vorbei. mit Farbeimern und Pinseln los, um Parolen und Namen an Mauern und Brücken zu ma- Immerhin weiß er um die Schwächen. We- len; man veranstaltet Großaufmärsche mit nige Tage vor der UCR-Entscheidung für Bannern, Trommeln und Fahnen auf Stra- Macri und PRO knöpfte sich Bendixen gar ßen und Plätzen. Die Strategie ist bei allem: den Kandidaten vor. Massa hätte auf seiner Viel hilft viel. Auch der Glaube an die Wir- Wahlkampftour in Rosario über den Kampf kung klassischer Werbeanzeigen und Rund- gegen die Drogenmafia reden sollen, habe funkspots ist nach wie vor groß. Macri indes sich aber andere Themen aufzwingen lassen geht einen anderen Weg. Eine Neuigkeit wie und selbst ausgesucht: Macri, Reutemann, die Allianz mit Carlos Reutemann hätte die die Radikalen, ja sogar die Arbeit der Steu- Konkurrenz vermutlich auf einer Bühne ze- erbehörde. So lasse sich in der Kampagne lebriert. Macri verkündete sie zuerst über keine eigene Identität herstellen, meinte Facebook. Viele Argentinier meinten da, sich der Berater: „Scioli ist regierungstreu, Macri versehen oder vertippt zu haben. Bürger, steht für die Opposition, und wir wissen Nachrichtenagenturen und Journalisten 25 nicht, wer wir sind.“ Der Kandidat habe nahmen die Nachricht gleichzeitig auf – und Besserung versprochen, auch wolle er seine setzen damit die Medienmaschinerie in Besuche bei den Bürgermeistern besser Gang. Im PRO-Bunker war alles vorbereitet: planen. Oft schaut er unangekündigt vorbei Die Experten für die Talkrunden standen und verärgert damit die Anhänger. ebenso bereit wie die Pressesprecher, die die Medien mit weiteren Informationen füt- Der Nicht-Peronist setzt aufs Netz terten. Ein Peronist, ein dissidenter und re- gierungskritischer zwar, macht sich für PRO Doch nicht nur die schlechten Umfragewerte stark. Und dann auch noch der populäre drücken im Massismo aufs Gemüt, auch das Reutemann, „El Lole“. Für Macri war das Geld wird knapp, zumal nicht einmal der kostenlose Werbung zur Primetime und auf Wahlkampf von 2013 komplett abbezahlt den Titelbildern der dicken Ausgaben der ist. 26 Man sah mit Sorge, dass viele der ei- Sonntagszeitungen. Auf teure Zeitungsan- genen Sponsoren neulich einen zeigen, großformatige Plakate und Radio- oder Fernsehsport will die Partei weitgehend 24 Perfil, 21.03.2015, S. 1. 25 Rosario Ayerdi, „Massa se enfrenta a una rebe- 27 lión en su fuerza y le exigen cambios“, Perfil, „La millonaria cena de Macri, con llamativo 21.03.2015, S. 6. aporte chino“, Clarín, 18.03.2015, http://www.clarin.com/politica/Elecciones_2015- 26 Francisco Zoroza, „Su peor momento“, Noticias, Macri-cena-chinos_0_1322867927.html 07.03.2015, S. 30ff. [25.03.2015].
12 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. verzichten. Stattdessen werden Ereignisse Wahlkampf von außen bestreitet, jede Be- und Nachrichten kreiert, die die Medien wegung, jede Umfrage ist im wahren Sinne DR. KRISTIN WESEMANN freiwillig aufgreifen. Dabei gilt Macri weder des Wortes hausgemacht. Die parteinahe als Charismatiker noch als besonders nah- Denkfabrik Pensar entwickelt Regierungs- April 2015 bar. Dennoch: Wenn er durchs Land reist, programme für alle Politikfelder und Lan- liefert der Kandidat den Journalisten Bilder desteile. www.kas.de/argentinien und Geschichten, die sich von der Konkur- www.kas.de renz unterscheiden: Er steht nicht auf ei- Und trotz aller technischen Professionalität nem Truck und fährt durch eine Menschen- – auch die Instinkte funktionieren. Macri hat menge, die ihm zujubelt, sondern trifft nicht nur die Radikalen in seine Kampagne normale, aber authentische Leute, die in geholt, sondern auch Elisa Carrió, ein echtes ihrer Nachbarschaft bekannt sind, zum Ma- Original der argentinischen Politik. Kaum tetrinken in der Küche. Das kann der örtli- jemand wählt sie – bei der Präsident- che Feuerwehrchef sein, eine alte Kinder- schaftswahl 2011 kam sie auf 1,8 Prozent –, gärtnerin, der Kioskbesitzer an der Ecke. aber fast jeder kennt sie. Sie wirkt oft über- Macri begegnet ihnen auf Augenhöhe, veröf- dreht, lässt kaum ein Mikrofon aus und fentlicht ein Foto samt kurzer Story auf Fa- spielt selten mannschaftsdienlich. Aber cebook und schafft es so oft mindestens in selbst ihre Gegner legen die Hand dafür ins die Lokalnachrichten. Es ist bislang eine Feuer, dass sie nicht korrupt ist. Davon bemerkenswert moderne, kluge und günsti- könnte Macri profitieren. Sein Vater Franco, ge Kampagne. Sie funktioniert auch, weil im ein Unternehmer mit guten Kontakten nach Hintergrund eine Schar von Helfern weiß, China, ist nicht unumstritten, stand öfter was zu tun ist. unter Korruptionsverdacht und soll sich zu allen argentinischen Zeiten mit den Mächti- gen gut verstanden zu haben. Dass die So- listin Carrió nun dazugehört, ist zwar für die durchgetaktete Kampagne von PRO nicht ohne Risiko. Als bekannte Kämpferin gegen die Korruption kann sie für Macri allerdings auch eine wichtige moralische Stütze sein. Vielen Argentiniern gilt die gelernte Juristin als Idealbesetzung der Obersten Staatsan- wältin, denn ihre Vermutungen über die Mauricio Macris Präsenz in der Öffentlichkeit Verfehlungen anderer Politiker haben sich Quelle: KAS Argentinien bislang oft als richtig erwiesen. Und wäh- Auch wenn PRO beim Territorium weder mit rend „Lilita“, wie sie liebevoll genannt wird, den Peronisten noch den Radikalen mithal- kräftig gegen die Konkurrenz austeilt, kann ten kann: In den vergangenen zwei Jahren Macri seinen Positivwahlkampf fortsetzen. hat die Partei in hunderten von Gemeinden Er greift niemanden direkt an, schon gar Filialen eröffnet, auch schon mal in der Ga- nicht die Präsidentin. Er verweigert Streit rage oder im Wohnzimmer eines Mitglieds. mit den Konkurrenten, nennt Scioli, den er Jedwede Aktivität der Partei und ihrer Ak- tatsächlich schon sehr lange und gut kennt, teure vor Ort wird dabei zentral von Buenos seinen „Amigo“. Auch das ist erstaunlich: Aires aus begleitet. In der Balcarce 402, Zwar versuchen Massa und Scioli sich und dem Stammhaus im Stadtteil San Telmo, auch Macri jeweils in die kirchneristische arbeiten mehr als 200 Kommunikations- oder neoliberale Schmuddelecke zu schie- und Strategiefachleute an einer stimmigen ben. Doch die eigentlichen Boshaftigkeiten Kampagne. Es gibt keine Agentur, die den kommen nicht von den Kandidaten, sondern
13 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. von der Regierung oder der Präsidentin selbst. DR. KRISTIN WESEMANN Auch das gehört zum argentinischen Su- April 2015 perwahljahr: eine scheidende Amtsinhabe- rin, die zur Unberechenbarkeit neigt, nicht www.kas.de/argentinien genau weiß, was sie will und vor allem: www.kas.de wen, und trotzdem die Hauptrolle für sich beansprucht.
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