Durchstarten trotz Unsicherheiten: Eckpunkte einer anpassungsfähigen Wasserstoffstrategie - Ariadne-Kurzdossier
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Ariadne-Kurzdossier Durchstarten trotz Unsicherheiten: Eckpunkte einer anpassungsfähigen Wasserstoffstrategie Wie die Politik Wasserstoffpfade hin zur Klimaneutralität 2045 finden kann
Das vorliegende Ariadne-Kurzdossier wurde von den unten genannten Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Sie spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider. Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesmi- nisterium für Bildung und Forschung erstellt. Herausgeben von Bildnachweis Kopernikus-Projekt Ariadne Titel: Ashley Batz / unsplash Potsdam-Institut für Klimafolgen- forschung (PIK) Telegrafenberg A 31 14473 Potsdam November 2021 2
Autorinnen und Autoren » Dr. Falko Ueckerdt » Dr. Benjamin Pfluger » Adrian Odenweller Potsdam-Institut für Fraunhofer-Einrichtung für Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Energieinfrastrukturen und Klimafolgenforschung Geothermie IEG » Dr. Jörg Kemmerzell » Claudia Günther » Prof. Dr. Michèle Knodt Technische Universität Potsdam-Institut für Technische Universität Darmstadt Klimafolgenforschung Darmstadt » Dr. Matthias Rehfeldt » Christian Bauer » Dr. Philipp Verpoort Fraunhofer-Institut für System- Paul Scherrer Institut Potsdam-Institut für und Innovationsforschung ISI Klimafolgenforschung » Dr. Hans Christian Gils » Prof. Dr. Gunnar Luderer Deutsches Zentrum für Luft- und Potsdam-Institut für Raumfahrt Klimafolgenforschung
INHALT Zusammenfassung 1 Einleitung 4 1. Konkurrierende Leitbilder in der Wasserstoffdebatte 5 1.1. Konsens über die Bedeutung erneuerbaren Stroms und Notwendigkeit von grünem Wasserstoff 5 1.2. Dissens in der Wasserstoffdebatte 6 1.3. Konkurrierende Transformationsmuster verschiedener Wasserstoffleitbilder 8 2. Szenario-Bandbreiten und techno-ökonomische Unsicherheiten 10 2.1. Szenario-Bandbreiten für Wasserstoff und E-Fuels 10 2.2. Techno-ökonomische Unsicherheiten und gesicherte Erkenntnisse 12 2.3. Markthochlauf von grünem Wasserstoff 14 2.4. Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit von Wasserstoff 17 3. Eckpunkte einer anpassungsfähigen Wasserstoffstrategie 19 3.1. Das Angebot – vor allem Importe – von grünem Wasserstoff- und E-Fuels mit Nachdruck entwickeln. 20 3.2. Fokussierung auf „No-Regret-Anwendungen“ auf der Wasserstoff- Nachfrageseite 22 3.3. Schrittweise über eine Verbreiterung des Wasserstoff-Einsatzes entscheiden. 23 3.4. Die direkte Elektrifizierung und den heimischen EE-Ausbau deutlich beschleunigen. 25 3.5. Die Option einer „blauen Wasserstoffbrücke“ 25 Literaturangaben 29
ZUSAMMENFASSUNG In der deutschen energie- und klimapoli- grünem Wasserstoff zu überbrücken? tischen Debatte herrscht der noch recht Hinter den unterschiedlichen Antworten junge Konsens, dass Strom aus erneuer- auf diese Fragen stehen letzten Endes baren Quellen (EE-Strom) zum Rückgrat auch konkurrierende Leitbilder über die der Sektorenkopplung und damit der zu- langfristige Bedeutung strombasierter künftigen Energieversorgung werden Energieträger und über das zukünftige muss. Grundsätzlich besteht zudem Ei- Energiesystem – insbesondere ob EE- nigkeit darüber, dass es dabei beider Strom schwerpunktmäßig heimisch3 pro- Elektrifizierungsformen bedarf: Die di- duziert werden kann, was für die direkte rekte Elektrifizierung erreicht in einigen Elektrifizierung unabdingbar ist, oder Anwendungen (z.B. E-Pkw, Wärmepum- stattdessen indirekt in Form von Wasser- pen) bereits schnell steigende Marktan- stoff und E-Fuels aus dem Ausland im- teile, nutzt im Vergleich zu Wasser- portiert werden sollte. stoffanwendungen den knappen EE- Strom effizienter und ist dadurch meist Tatsächlich gibt es langfristig große eine vergleichsweise kostengünstige Kli- technologische Bandbreiten für die Was- maschutzoption. Die indirekte Elektrifi- serstoff- und E-Fuel-Nutzung, die mit den zierung durch grünen Wasserstoff1 und aktuellen Klimazielen in Deutschland E-Fuels2 steht zwar noch am Anfang ih- und der EU vereinbar sind. Aktuelle Sze- rer Entwicklung, kann aber in Zukunft nariostudien zur Erreichung von Klima- über verschiedene Grenzen der direkten neutralität in Deutschland (Ariadne, Elektrifizierung hinausgehen, was sie an- 2021; BDI, 2021; BMWi, 2021; dena, gesichts der begrenzten Verfügbarkeit 2021; Prognos, Öko-Institut, Wuppertal- nachhaltiger Biokraftstoffe für das Errei- Institut, 2021) spannen in 22 Einzelsze- chen von Klimaneutralität unverzichtbar narien einen Lösungsraum für Wasser- macht. stoff- und E-Fuel-Nutzung von 10 % bis zu 35 % der Endenergienachfrage im In der aktuellen Debatte gibt es dennoch Jahr 2045 auf. harte Konfliktlinien insbesondere zu zwei grundlegenden Fragen: Erstens, in wel- Jedoch hängt die Erreichbarkeit der ver- chen Sektoren und Anwendungen soll- schiedenen Szenarien entscheidend von ten Wasserstoff und E-Fuels eingesetzt Innovationen und Technologiediffusion werden? Zweitens, sind fossile Zwischen- sowohl von grünem Wasserstoff als auch lösungen wie blauer Wasserstoff aus Erd- der direkten Elektrifizierung ab. Diese zu- gas mit CO2-Abscheidung und -Speiche- künftigen Entwicklungen sind mit tech- rung (CCS) erforderlich und geeignet, um no-ökonomischen Unsicherheiten behaf- die kurz- bis mittelfristige Knappheit von tet, was sich in den unterschiedlichen 1 Grüner Wasserstoff ist Elektrolyse-Wasserstoff der aus 100% erneuerbarem Strom hergestellt wird. 2 E-Fuels sind strombasierte, synthetische Kraftstoffe, die aus Wasserstoff und Kohlenstoff, meist Kohlendioxid oder Kohlenmonoxid, syntheti- siert werden. 3 Mit „heimisch“ ist in erster Linie in Deutschland gemeint, aber in geringem Maße auch der europäische Stromverbund, insbesondere Deutsch- 1 lands direkte Stromnachbarn.
Einschätzungen und Positionen in der und der notwendige Netzausbau nur mit Darüber hinaus müssen Innovationen zu Debatte widerspiegelt. Auch wenn die breiter gesellschaftlicher Akzeptanz Wasserstoffanwendungen oder Elektrifi- Politik Fortschritte mit guten Rahmen- möglich. Die möglichen Grenzen der zierung über Forschungs- und Pilotpro- bedingungen beschleunigen kann, ver- Elektrifizierung lassen sich heute noch jekte auch in den Bereichen gefördert bleiben fundamentale Unsicherheiten schwer abschätzen, in den nächsten Jah- werden, für die noch unsicher ist, ob der hinsichtlich sowohl der kurzfristig reali- ren werden dazu aber wichtige Erkennt- jeweilige Energieträger dort eine Rolle sierbaren Dynamik als auch des langfris- nisse gewonnen werden. spielen kann oder sollte. Dabei sollten tigen Potenzials von Technologien. Es noch keine Vorentscheidungen getroffen würde somit die Erreichung der Klimazie- Die großen Szenario-Bandbreiten sollten werden, um Pfadabhängigkeiten zu ver- le gefährden, sich schon heute auf einen somit nicht als technologischer oder po- meiden. Trotz der Unsicherheiten kön- langfristigen Technologiepfad festlegen litscher Spielraum interpretiert werden. nen teure Lock-ins weitgehend vermie- zu wollen. Der Pfad mindestens bis zur Erreichung den werden, wenn die bestehende der 2030-Klimaziele ist sehr schmal und (In-)Flexibilität beim Wechsel von Ener- Die künftige Rolle von Wasserstoff und E- die notwendigen Schritte klar sichtbar. gieträgern beachtet bzw. genutzt wird. Fuels, die derzeit praktisch noch nicht Nach 2030 gibt es mehr mögliche Pfade, Die technologischen Fortschritte und als Energieträger verwendet werden, ist deren Tragfähigkeit aus heutiger Sicht Grenzen sollten stetig überprüft, neue in den nächsten Jahren vor allem durch allerdings unsicher ist. So könnten sich Erkenntnisse gesichert und die Gesamts- deren Verfügbarkeit begrenzt. In 2030 die realisierbaren Bandbreiten – durch trategie entsprechend angepasst wer- können nur etwa 1 % der Energienach- Engpässe beim Wasserstoff- und E-Fuel- den. frage der EU mit heimischem grünem Angebot auf der einen Seite und Barrie- Wasserstoff werden, falls das europäi- ren bei der direkten Elektrifizierung auf Fünf Eckpunkte einer anpassungsfähi- sche 40-GW-Ausbauziel für Elektrolyse- der anderen Seite – als begrenzt heraus- gen Wasserstoffstrategie sollen der neu- kapazität erreicht wird. Dafür muss der stellen, sodass sich auch langfristig nur en Bundesregierung helfen, durch den Wasserstoff-Markthochlauf allerdings ein schmaler, noch nicht definierbarer, von Unsicherheiten geprägten Szenari- doppelt so schnell wie bei Windkraft und gangbarer Pfad zeigt. enraum zu navigieren. ähnlich schnell wie bei Photovoltaik er- folgen. Auch wenn ein noch schnelleres, Eine erfolgreiche Wasserstoffstrategie 1. Das Angebot (vor allem Import) von beispielloses Wachstum denkbar ist und muss in eine Klimaschutzstrategie einge- grünem Wasserstoff und E-Fuels außereuropäische Importe berücksich- bettet werden, die den Unsicherheiten sollte dringend und mit Nachdruck tigt werden, sind die Wasserstoffmengen sowohl von Wasserstoff und E-Fuels als entwickelt werden. Damit wird die bis mindestens 2030 anteilig gering. auch der direkten Elektrifizierung Rech- Wahrscheinlichkeit erhöht, dass zu- Auch für die Zeit danach verbleiben Unsi- nung trägt. Eine solche integrierte Stra- mindest die unbedingt notwendigen cherheiten darüber, ab welchem Zeit- tegie kann und muss sich nicht auf ein Mengen strombasierter Energieträ- punkt grüner Wasserstoff in großen Men- präferiertes Wasserstoff-Leitbild oder ei- ger langfristig verfügbar sind. Vor- gen (>10 % der Endenergienachfrage) nen langfristigen Pfad des gesamten aussetzung für ein schnelles Wachs- und zu welchen Preisen verfügbar sein Energiesystems festlegen. Stattdessen tum sind gezielte regulatorische wird. Die realisierbaren Mengen und Prei- ermöglicht sie der Politik, gemeinsame Maßnahmen und technologiespezifi- se von E-Fuels werden zusätzlich durch Lernprozesse mit der Wirtschaft, Wissen- sche Förderungen. Steigende CO2- die Knappheit und die Kosten von nicht- schaft und Gesellschaft anzustoßen und Preise unterstützen die Diffusion, fossilen CO2-Quellen, insbesondere aus adaptiv auf Basis neuer Erkenntnisse zu sind jedoch vor 2030 wahrscheinlich Anlagen zur CO2-Luftabscheidung, be- entscheiden. nicht ausreichend hoch, um die Wett- stimmt. bewerbsfähigkeit von grünem Was- Eine solche Strategie fußt dabei zu- serstoff zu ermöglichen, sodass es Darüber hinaus hängen die zukünftigen nächst darauf, dass es bereits gesicherte auf eine aktive, technologiespezifi- Einsatzbereiche von Wasserstoff und E- Erkenntnisse über Elemente gibt, die sche politische Förderung ankommt. Fuels davon ab, inwieweit der heimische trotz der Unsicherheiten gemeinsamer Die Politik sollte zudem die Entste- EE-Ausbau und die direkte Elektrifizie- Teil aller Szenarien sind und die somit hung eines internationalen Wasser- rung auf Engpässe und Grenzen stoßen. als notwendig erachtet werden können. stoffmarktes koordinierend unter- Neben Engpässen in Bezug auf die Ge- Solche „No-Regret-Elemente“ müssen stützen. schwindigkeit des heimischen EE-Aus- aufgrund der Dringlichkeit der Klimaziele baus und der Diffusion elektrifizierender konsequent umgesetzt werden. Die dafür 2. Zunächst sollte Wasserstoff prioritär Technologien, gibt es Unsicherheiten im notwendigen Richtungsentscheidungen für „No-Regret-Anwendungen“ ver- Hinblick auf die langfristige Tiefe, mit der führen bereits in den nächsten Jahren zu wendet werden, solange nicht ab- Anwendungen wettbewerbsfähig elektri- neuen Erkenntnissen über zukünftige sehbar ist, wann und zu welchen fiziert werden können. Während die tech- Technologiekosten, Diffusionsgeschwin- Preisen strombasierte Energieträger nischen EE-Potenziale auch für eine tief- digkeiten oder Potenzialgrenzen. verfügbar sein werden. Dies sind ins- greifende Elektrifizierung ausreichen, besondere Anwendungen, in denen sind ein stark beschleunigter EE-Ausbau eine direkte Elektrifizierung grund- 2
sätzlich nicht möglich ist: die Nut- sind. Der Wechsel zu E-Fuels wäre port von blauem Wasserstoff im zung von Wasserstoff in der Industrie auch nach 2035 für den verbleiben- Übergang zu einer vollständig grü- (Ammoniak, Stahl) sowie von E-Fuels den Bestand an Verbrennungstech- nen Wasserstoffversorgung zu. Da in der Petrochemie und im Fernflug- nologien kurzfristig möglich, falls die die Treibhausgasemissionen (THG) und Schiffsverkehr. Diese Nachfragen E-Fuel-Produktion zügig genug vor- von blauem Wasserstoff je nach Her- liegen an relativ wenigen Standorten anschreitet. Wenn hingegen im Vor- kunftsland und der verwendeten und Regionen gebündelt vor und hinein auf eine breite Verfügbarkeit CCS-Technologie stark variieren könnten somit potenziell Keimzellen von günstigem Wasserstoff und E- kann, bedarf es der Zertifizierung, eines späteren Wasserstoffnetzes bil- Fuels gesetzt wird und sich diese Er- Regulierung und Bepreisung der Le- den. Die Summe dieser Nachfragen wartungen nicht erfüllen, drohen ein benszyklus-THG-Emissionen. Dies dürfte auf absehbare Zeit die verfüg- fossiler Lock-in, hohe Kosten und muss insbesondere den Methan- baren Mengen grünen Wasserstoffs eine Verfehlung der Klimaziele. E- schlupf bei der Förderung und Be- übertreffen, sodass die Fokussierung Fuels sollten daher als eine erst lang- reitstellung von Erdgas im Ausland auf wenige Anwendungen den ange- fristig verfügbare, und potenziell kos- einschließen. Grüner Wasserstoff soll- botsseitigen Wasserstoffhochlauf tenintensive „Fallback-Option“ be- te unabhängig von blauem Wasser- nicht begrenzt. Klimaschutzverträge trachtet werden, für Bereiche, in stoff gefördert und entwickelt wer- (CCfDs) für Wasserstoffanwendungen denen sich für die Elektrifizierung den, um die Innovationspotenziale in der Industrie und E-Kerosin-Quo- und Wasserstoff Grenzen gezeigt ha- und Kostenreduktionen zu realisie- ten im Flugverkehr schaffen gesi- ben. ren. Auch hier bedarf es der vollstän- cherte Nachfragen und somit auch digen Berücksichtigung der THG- Anreize für die Wasserstoffangebots- 4. Die direkte Elektrifizierung und der Emissionen. seite. Da dies bis mindestens 2030 heimische EE-Ausbau müssen deut- wahrscheinlich nicht marktbasiert lich beschleunigt werden. Ein robus- Nach einer Dekade mit nahezu stagnie- von einem CO2-Preis koordiniert wer- tes Ergebnis der Szenarien ist, dass renden Emissionen in den Sektoren Ver- den kann, sollte der Regulierung und eine zügige und weitgehende Elektri- kehr, Industrie und Gebäude muss die Förderung von Wasserstoff eine um- fizierung auf Basis eines beschleunig- neue Bundesregierung nun eine sehr ak- fassende Hierarchisierung (oder „Me- ten EE-Ausbaus ebenfalls unverzicht- tive Rolle bei der Gestaltung der Trans- rit-Order”) der verschiedenen Was- bar zur Erreichung der Klimaziele ist. formation spielen. Technologiespezifi- serstoff-Anwendungen zugrunde Bis 2030 bedarf es einer „Dekade der sche Regulierung und Förderung insbe- liegen. Diese Ordnung kann zukünf- Elektrifizierung“, in der sich die EE- sondere zu „No-Regret-Elementen“ sind tig angepasst werden, wenn Mengen Kapazität verdreifacht, batterieelek- dabei unumgänglich. Dabei können klare und Preise von Wasserstoff und po- trische Fahrzeuge die Pkw-Neuzulas- Leitplanken auch verhindern, dass Was- tenzielle Grenzen der direkten Elek- sungen dominieren und etwa 5 Mio. serstoff zu früh in Bereichen eingeplant trifizierung besser abschätzbar sind. neue Wärmepumpen installiert wer- wird, für die bis 2030 keine ausreichen- den. In 2045 liegen die Anteile der di- den Wasserstoffmengen oder Infrastruk- 3. Schrittweise sollte über eine Ver- rekten Nutzung von Strom im Ende- turen verfügbar sind. Gleichzeitig ist ein breiterung des Wasserstoff-Einsat- nergiemix in allen Ariadne-Szenarien starker Anstieg des CO2-Preises notwen- zes entschieden werden. In den zwischen 50 % und 70 %. Ein konse- dig, damit dieser zunehmend auch nach- nächsten Jahren wird sich in Projek- quentes Voranschreiten und Austes- frageseitige Transformationen in Indus- ten zunehmend herauskristallisieren, ten der Grenzen der direkten Elektri- trie, Verkehr und Gebäuden anstoßen welche Wasserstoffkosten und -men- fizierung ist mit vergleichsweise kann. Eine zentrale Rolle bei der Koordi- gen realisierbar sind und inwieweit geringen Risiken verbunden, wenn nation zwischen Elektrifizierung, Wasser- der Wasserstoffeinsatz nach einem dies kontinuierlich mit dem Fort- stoff und E-Fuels, kann der CO2-Preis ambitionierten und fokussierten schritt des EE-Ausbaus abgeglichen dann übernehmen, wenn die komplexen Start schrittweise verbreitert werden wird. Elektrische Anwendungen im Energie- und Kohlenstoffflüsse eines sek- kann. Gleichzeitig wird eine Beschleu- Verkehrs- und Gebäudebereich sind torgekoppelten Energiesystems in eine nigung des EE-Ausbaus und der di- so effizient, dass die zusätzlichen hohe und umfassende CO2-Bepreisung rekten Elektrifizierung deren Innova- Strombedarfe bis 2030 bei erfolgrei- eingebettet sind. tionspotenziale und Grenzen zeigen. cher Diffusion etwa 100 TWh (im Vgl. Dann können Marktakteure und die zu 2020) betragen würden (knapp 20 Politik besser über Einsatzgebiete % der heutigen Stromnachfrage). von Wasserstoff entscheiden. Insbe- sondere im schweren Lkw-Güterver- 5. Eine „blaue Wasserstoffbrücke“ kehr und bei der Prozesswärme kann könnte das Angebot klimafreundli- der Wettbewerb der Energieträger chen Wasserstoffs erhöhen und eine zunehmend von steigenden CO2-Prei- frühere Transformation hin zu Was- sen koordiniert werden, sofern auch serstoff ermöglichen. Die nationale die Energiesteuern harmonisiert Wasserstoffstrategie lässt den Im- 3
EINLEITUNG In der deutschen energie- und klimapoli- siblen Wasserstoffpfade mit Hilfe fünf ak- tischen Debatte herrscht ein weitgehen- tueller Szenariostudien der Energie-sys- der Konsens, dass Strom aus erneuerba- temtransformation in Deutschland abzu- ren Quellen (EE-Strom) zum Rückgrat stecken (Kapitel 2). Ziel ist es dann, der Sektorenkopplung und damit der zu- Eckpunkte einer anpassungsfähigen Was- künftigen Energieversorgung werden serstoffstrategie abzuleiten, die helfen muss. Die zukünftige Rolle von Wasser- soll, durch den von Unsicherheiten ge- stoff wird hingegen noch diskutiert. Es prägten Szenarioraum zu navigieren (Ka- gibt sehr unterschiedliche, teilweise kon- pitel 3). Die Analyse beinhaltet eine Dis- kurrierende Leitbilder im Hinblick dar- kussion sowohl des Notwendigen und auf, inwieweit EE-Strom direkt mittels Wahrscheinlichen, als auch der Grenzen Elektrifizierung oder indirekt als grüner des Möglichen zum Beispiel im Hinblick Wasserstoff4 oder in Form von E-Fuels5 auf den Wasserstoffhochlauf (Kapitel 2.3). eingesetzt werden soll. Damit verbunden Dies ist gerade beim Thema grüner Was- sind die Fragen, wieviel Wasserstoff ins- serstoff und E-Fuels erforderlich: Die da- gesamt eingesetzt werden sollte und ob hinter stehenden noch sehr jungen Tech- EE-Strom schwerpunktmäßig heimisch6 nologien sind für den Klimaschutz unver- produziert kann (insbesondere für die di- zichtbar, werden in der Diskussion je- rekte Elektrifizierung wichtig) oder in doch teilweise zur Projektionsfläche und Form von Wasserstoff und E-Fuels aus zum Heilmittel für viele Herausforderun- dem Ausland importiert werden sollte. gen insbesondere der direkten Elektrifi- Ein weiterer ungeklärter Punkt ist die zierung stilisiert. Frage, ob fossile Zwischenlösungen wie blauer Wasserstoff aus Erdgas mit CO2- Abscheidung und -Speicherung (CCS) er- forderlich und geeignet sind, um die Knappheit von grünem Wasserstoff ins- besondere in den nächsten Jahren zu überbrücken. In diesem Überblicksdossier skizzieren wir zunächst die konkurrierenden Leitbil- der und Präferenzen, die sich hinter den Konfliktlinien der Debatte verbergen (Ka- pitel 1), um dann die grundsätzlich plau- 4 Grüner Wasserstoff ist Elektrolyse-Wasserstoff der aus 100% erneuerbarem Strom hergestellt wird 5 E-Fuels sind strombasierte, synthetische Kraftstoffe, die aus Wasserstoff und Kohlenstoff synthetisiert werden 6 Mit „heimisch“ ist in erster Linie in Deutschland gemeint, aber in geringem Maße auch der europäische Stromverbund, insbesondere Deutsch- 4 lands direkte Stromnachbarn.
1. KONKURRIERENDE LEITBILDER IN DER WASSERSTOFFDEBATTE In diesem Kapitel strukturieren wir die nicht nur Kohle und Erdgas zur Deckung Konfliktlinien der aktuellen Debatte um der heutigen Stromnachfrage ersetzen, Wasserstoff, um dann die dahinter lie- sondern auch fossile Brenn- und Grund- genden konkurrierenden Leitbilder her- stoffe (u.a. Erdöl, Erdgas und Koks) im auszuarbeiten. Wir beginnen zunächst Verkehrs-, Gebäude- und Industriesektor. mit dem Konsens. Grundsätzlich besteht zudem ein Kon- 1.1. Konsens über die Bedeutung sens darüber, dass es beider Elektrifizie- erneuerbaren Stroms und rungsformen bedarf. Die direkte Elektrifi- Notwendigkeit von grünem zierung hat dabei den Vorteil, dass sie Wasserstoff den in Deutschland und weltweit knap- pen EE-Strom effizient nutzt und dass di- Grüner Wasserstoff und E-Fuels sind in rektelektrische Technologien bereits ver- das Zentrum der Debatte zu Energiewen- fügbar und in vielen Bereichen ver- de und Klimaschutz gerückt. Zusammen gleichsweise kostengünstig sind. Insbe- mit der direkten Elektrifizierung bilden sondere batterieelektrische Pkws und sie den Kern der Sektorenkopplung, der Wärmepumpen wachsen bereits mit gro- zentralen Säule für Klimaschutz in den ßer Dynamik7 und haben weiteres Kost- Energie- und Industriesektoren. Das ist endegressionspotenzial. Die Entwicklung zunächst einmal Ausdruck eines noch der Technologien um grünen Wasserstoff recht jungen und bemerkenswerten Kon- und E-Fuels steht zwar noch am Anfang, senses über die Bedeutung von EE- hat aber ebenfalls großes Innovationspo- Strom als dem Rückgrat der Energie- tenzial. Strombasierte Kraft- und Brenn- wende. Die direkte Elektrifizierung (z.B. stoffe können in Zukunft über die Gren- batterieelektrische Pkw, Wärmepumpen, zen der direkten Elektrifizierung hinaus- elektrische Kessel) und die indirekte gehen und sind somit für das Erreichen Elektrifizierung (über grünen Wasserstoff von Klimaneutralität unverzichtbar.8 Es und E-Fuels) ermöglichen die breite Nut- besteht somit weitgehende Einigkeit dar- zung von EE-Strom auch in Anwendun- über, dass das Erreichen der Klimaziele gen, die heute überwiegend auf der Ver- ein dringendes Wachstum beider Elektri- brennung fossiler Brennstoffe beruhen. fizierungsformen auf Basis von vorwie- Erneuerbare Energien, vor allem aus gend erneuerbarem Strom erforderlich Windkraft- und Solar-Photovoltaik-Anla- macht. gen (Solar-PV), können auf diesem Wege 7 ~17 % der in September 2021 neu zugelassenen Pkw in Deutschland sind voll-batterieelektrische Fahrzeuge (Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt). Der Marktanteil von Wärmepumpen neu genehmigten Wohngebäuden erreichte 2020 erstmals 50 % (Quelle: Statistisches Bundesamt). 5 8 Insbesondere bei begrenztem Biotreibstoffpotenzial
1.2. Dissens in der Wasserstoffdebatte märstahl, Ammoniak, Olefine) und im verbänden (BDEW, 2021; DVGW, 2021; Fernverkehr (Flugverkehr, Schiffsver- RWE, 2021; VDMA, 2021; VKU, 2021) so- Die Wasserstoffdebatte findet auf allen kehr), die sich langfristig nur mit großen wie vom Nationalen Wasserstoffrat Ebenen des politischen Diskurses statt - Mengen an Wasserstoff oder E-Fuels de- (NWR, 2021)10 und der Deutschen Ener- von der Wissenschaft und Politikbera- fossilisieren ließen. gieagentur (dena, 2021) vertreten. tung über die organisierten Interessen bis zu den Parteien. Im parteipolitischen Eine solche Fokussierung wird von vielen Einige Akteure nehmen eine „mittlere“ Raum zeigte sich die Debatte in den Beratungsgremien, NGOs und Instituten Position im Hinblick auf Wasserstoff-Ein- Wahlprogrammen zur Bundestagswahl vertreten (Agora, 2021; BMWi, 2021a; satzgebiete ein (BDI, 2021a; BEE, 2021; 2021 ebenfalls erstmals in ihrer ganzen DNR, BUND, DUH, E3G, Germanwatch, VDI, 2020). Kennzeichnend für eine sol- Breite (Kemmerzell et al., 2021). NABU und WWF, 2021; ESYS, 2021; KAD, che Position ist beispielsweise die Befür- 2021; Öko-Institut, 2021; SRU, 2021; wortung von Wasserstoff als Energieträ- Die Konfliktlinien lassen sich an unter- UBA, 2021). Unter den Unternehmen ger bei Fahrzeugen, jedoch eine skep- schiedlichen Einschätzungen entlang vertreten insbesondere in der Stromwirt- tische Einschätzung gegenüber dem Ein- zweier Dimensionen darstellen (Abbil- schaft sowie der Schwerindustrie tätige satz in der Gebäudewärmeversorgung dung 1): Akteure eine Fokussierung, beispielswei- (Vattenfall, 2021). se 50Hertz und Thyssenkrupp (50Hertz, 1. Die Einsatzgebiete von Wasserstoff 2021; Thyssenkrupp, 2021). Besonders intensiv wird der Einsatz von und E-Fuels auf der Nachfrageseite. Wasserstoff und E-Fuels für Pkws und Diese Frage ist stark verknüpft mit Die Position eines breiten Einsatzes ist Wärme in Gebäuden diskutiert. Im Pkw- der relativen Bedeutung der direkten mit der Einschätzung verbunden, dass Bereich kristallisieren sich zwar batterie- Elektrifizierung gegenüber der indi- zukünftige Innovationen bei Wasserstoff- elektrische Fahrzeuge immer deutlicher rekten Elektrifizierung (via Wasser- technologien (z.B. Elektrolyse und Brenn- als dominierende Klimaschutzoption her- stoff und E-Fuels) und somit auch stoffzellen) die aktuell hohen Kosten zü- aus, gleichzeitig werden Wasserstoff und mit dem Anteil von Wasserstoff im gig reduzieren und rechtzeitig zu hohen E-Fuels unter dem Stichwort „Technolo- Energiemix sowie dem Anteil von verfügbaren Mengen von grünem Was- gieoffenheit“ insbesondere als Gegenar- Energieimporten. serstoff und E-Fuels führen werden. In gument zu einem potenziellen Verbot diesem Zusammenhang wird oft auf die der Neuzulassung von Pkw-Verbren- 2. Die Rolle von nicht-grünem Wasser- Innovationskraft und Geschäftsmöglich- nungsmotoren ab 2030 oder 2035 ein- stoff auf der Angebotsseite. Dies be- keiten der deutschen Wirtschaft verwie- gebracht. Bei der Wärmeversorgung in trifft insbesondere die Frage, ob aus sen. Vertreter:innen dieser Position Gebäuden wird vor allem mit hohen Effi- Erdgas gewonnener blauer oder tür- möchten die Vielseitigkeit von Wasser- zienzen für eine Elektrifizierung mit Wär- kiser9 Wasserstoff eine Brückenfunk- stoff und E-Fuels nutzen, um auf breiter mepumpen argumentiert. Wasserstoffbe- tion einnehmen sollte und welche Front fossile Brenn- und Kraftstoffe zu fürworter:innen entgegnen, dass Wärme- Möglichkeiten und Risiken damit ein- ersetzen. Während die Vorteile der di- pumpen in Teilen des Gebäudebestands hergehen. rektelektrischen Optionen zwar prinzipi- erst nach teuren energetischen Sanie- ell anerkannt werden, wird auf die rungen eingesetzt werden können. Was- An einem Ende der Debatte um die Ein- Hemmnisse und Beschränkungen dieses serstoff hingegen könne die heutige Erd- satzgebiete steht die Empfehlung, Was- Pfads verwiesen. Betont wird dabei die gasinfrastruktur nutzen und Gasheiz- serstoff und E-Fuels sehr fokussiert für Bedeutung von Wasserstoff- und E-Fuel- ungen auf „H2 ready“ umgestellt wer- solche Sektoren zu priorisieren, in denen Importen, die den Druck auf die heimi- den. eine direkte Elektrifizierung nicht mög- schen EE-Potenziale lindern und damit lich ist. Der gezielte Einsatz wird in der auch die Bedeutung des Effizienzvorteils Die zweite Debattendimension betrifft Regel damit begründet, dass grüner direkter Elektrifizierung reduzieren wür- die Rolle von blauem Wasserstoff. Hinter- Wasserstoff zu knapp und teuer sein den. Auch könne durch die Weiternut- grund oder Treiber der Diskussion ist da- werde, um ihn in Sektoren einzusetzen, zung derzeit fossiler Infrastrukturen, ins- bei, dass grüner Wasserstoff zumindest in denen auch eine direkte Elektrifizie- besondere des Gasnetzes, der Strom- in dieser Dekade ein knappes Gut sein rung möglich ist. Dabei werden die Kos- netzausbaubedarf deutlich reduziert wird, da Elektrolysekapazitäten aufge- ten- und Effizienzvorteile sowie der Vor- werden. baut und Infrastrukturen geschaffen teil der kurzfristigen Verfügbarkeit der werden müssen. Je nach Einschätzung direkten Elektrifizierung betont. Für den Die Position, Wasserstoff in vielen Sekto- des Wasserstoffbedarfs und des erreich- Einsatz von Wasserstoff und E-Fuels blie- ren einzusetzen, oder zumindest keine baren Hochlaufs des Grünwasserstoffan- ben somit wenige sogenannte „No-Re- Festlegungen zu treffen, wird von eini- gebots, ergibt sich teilweise ein Defizit. gret-Anwendungen“ in der Industrie (Pri- gen Unternehmen und Unternehmens- Blauer Wasserstoff und einige andere po- 9 Türkiser Wasserstoff: Erdgas wird mittels Methanpyrolyse in Wasserstoff und festen Kohlenstoff aufspaltet. Das Verfahren befindet sich noch in der Entwicklung (Technology Readiness Level ~3-5). 10 Die Klima-Allianz Deutschland und der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) haben im NWR ein Sondervotum abgegeben, 6 das eine „strikte Priorisierung“ von No-Regret-Sektoren und eine Ablehnung von blauem oder türkisem Wasserstoff beinhaltet.
Abbildung 1: Der aktuelle Debattenraum zu Wasserstoff und E-Fuels lässt sich entlang der Nachfrage (fokussierter vs. breiter Einsatz) sowie des Angebots (Ergänzung des grünen Wasserstoffs um u.a. blauen oder türkisen Wasserstoff) strukturieren (oben). Zwei Dimensionen der Wasserstoffdebatte Angebotsseite: Wasserstoffherkunft Ausschließlich grüner Wasserstoff Nachfrageseite: Einsatzbereich Fokussierter Einsatz Schmale Brücke Mittelbereich Breiter Einsatz von Wasserstoff und E-Fuels von v.a. blauem, Einsatz auch im von Wasserstoff und E-Fuels in der Industrie (Primärstahl, Wasserstoff Schwerlastverkehr, (auch in Pkw und Gebäuden) Ammoniak, Olefine) und und für Prozesswärme in Fernverkehr (Flugverkehr, Industrieanwendungen Schiffsverkehr) Breite und potentiell längerfristige Ergänzung mit blauem, türkisen Wasserstoff tenzielle Brückenlösungen könnten diese liche und langfristig überflüssige Erdgas- nigen Ausnahmen fallen die Positionie- Engpässe oder Knappheiten bei der Er- und CO2-Infrastruktur (DNR, 2020; DUH, rungen für eine Fokussierung auf be- zeugung oder Nutzung von grünem Was- 2021; Germanwatch, 2021; SRU, 2021). stimmte Anwendungen und ausschließ- serstoff und E-Fuels überbrücken. Neben Dabei rücken besonders die Leckagen lich grünen Wasserstoff ebenso zusam- blauem Wasserstoff gehört dazu unter bei der Förderung von Erdgas in den Fo- men wie eine Befürwortung eines breiten anderem die Verwendung von kus, da der Hauptbestandteil Methan ein Anwendungsspektrums und blauen Was- Graustrom für die Elektrolyse und die besonders hohes Treibhauspotenzial auf- serstoffs. Eine Kombination aus grünem Verwendung von CO2 aus fossilen Quel- weist. Insbesondere der SRU, die DUH Wasserstoff und einem breiten Anwen- len für die Synthese von E-Fuels. und die Klima-Allianz lehnen nicht-grü- dungsbereich bzw. einem Verzicht auf nem Wasserstoff grundlegend ab (DUH, klare Fokussierung findet sich bei weni- Die Befürworter:innen einer „blauen 2021; KAD, 2021; SRU, 2021). Auch der gen Akteuren (BEE, 2021; VDI, 2020). Wasserstoffbrücke“ argumentieren, dass VDI hat eine Präferenz für grünen Was- diese erforderlich ist, solange grüner serstoff (VDI, 2020). Eine ähnliche Positi- Eine Kombination aus Befürwortung ei- Wasserstoff knapp ist, um sobald wie on nehmen auch viele Akteure in der nes begrenzten Nutzungsspektrums und möglich eine Wasserstoffinfrastruktur Stromwirtschaft ein: Neben den Netzbe- blauen Wasserstoffs findet sich in der aufbauen und befüllen zu können sowie treibern Amprion und 50Hertz, plädieren Studie „Die Wasserstoffstrategie 2.0 für um die Umstellung von Nachfragean- der BWE, RWE und Vattenfall für die Kon- Deutschland” des Öko-Instituts sowie in wendungen auf Wasserstoff zu beginnen. zentration auf grünen Wasserstoff der Studie „Klimaneutrales Deutschland Dazu gehören sowohl Unternehmensver- (50Hertz, 2021; Amprion, 2021; BWE, 2045“, die für eine „blaue Brücke“ und bände und Gewerkschaften (IGBCE, 2019; RWE, 2021; Vattenfall, 2021). eine klare Fokussierung plädiert (Öko-In- 2020; VKU, 2021), der Nationale Wasser- stitut, 2021; Prognos, Öko-Institut, Wup- stoffrat11 sowie die Studie „Klimaneutra- Insbesondere der breite Einsatz von Was- pertal-Institut et al., 2021). les Deutschland 2045“, die von der Ago- serstoff und E-Fuels erhöht den Bedarf ra und der Stiftung Klimaneutralität und verschärft somit potenzielle Engpäs- In der Positionierung von Akteuren zu beauftragt wurden ((NWR, 2021; Öko-In- se auf der Angebotsseite, sodass der Ruf den beiden Hauptstreifragen – Breite des stitut, 2021; Prognos, Öko-Institut, Wup- nach einem breiten Einsatz oft mit dem Einsatzes und Bedeutung von Brücken- pertal-Institut et al., 2021). Ruf nach Pragmatismus im Hinblick auf technologien – spiegeln sich teilweise de- fossile Zwischenlösungen verknüpft ist ren wirtschaftliche Interessen. Beispiels- Die Kritiker:innen von blauem Wasser- (Grimm and Kuhlmann, 2021). Somit weise setzen sich der Gasverband DVGW stoff fürchten erhöhte Emissionen im sind die Positionen entlang der ersten oder die Thüga-Holding für ein breites Vergleich zu einer Beschränkung auf und zweiten Dimension in Abbildung 1 in Anwendungsspektrum und den Einsatz grünen Wasserstoff und teilweise zusätz- der Debatte teilweise verknüpft. Mit we- blauen Wasserstoffs ein. Auf der anderen 11 Die Klima-Allianz Deutschland und der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) haben im NWR ein Sondervotum abgegeben, 7 das eine „strikte Priorisierung“ von No-Regret-Sektoren und eine Ablehnung von blauem oder türkisem Wasserstoff beinhaltet.
Abbildung 2 (schematisch): Die direkte Elektrifizierung und indirekte Elektrifizierung (via Wasserstoff und E-Fuels) zeigen sehr unterschiedliche „Transformations- muster“ entlang der Prozesskette von Erzeugung bis Nutzung. Innerhalb der Flow-Chart-Pfeile sind die jeweiligen Herausforderungen genannt. Gleichzeitig gibt es entlang der gesamten Prozesskette und im Hinblick auf alle Technologien „No-Regret-Elemente“, die in allen Klimaschutzszenarien für Deutschland umgesetzt wer- den müssen (untere Zeile). Transformationsbedarfe und Herausforderungen entlang der Prozesskette 1) EE-Stromerzeugung 2) Umwandlung 3) Infrastruktur für 4) Endnutzung Ausland Inland Transport und Verteilung Einzelne Technologien Ausbautempo, Umstellung auf elektrische Direkte Stärkung Stromnetze Anwendungen, Tempo der soziale Elektrifizierung (Verteilung&Übertragung), Akzeptanz, Umstellung, Kosten und Systemstabilität EE-Potentiale langfristige Grenzen Indirekte Elektrifizierung EE-Ausbau- Ausbautempo Aufbau Wasserstoff- Unsichere Verfügbarkeit und via tempo, Elektrolyse, infrastruktur für Transport Preise von Wasserstoff, Wasserstoff Zusätzlichkeit, mangelnde und Speicherung (via Schiff Teilweise hohe Kosten im Vgl. Import- Wirtschaft- und Pipeline) zur Elektrifizierung,Tempo der abhängigkeit lichkeit Umstellung EE-Ausbau- Ausbautempo Nachhaltige via tempo, Elektrolyse, CO2-Quellen E-Fuels Zusätzlichkeit, mangelnde (v.a. CO2- Import- Wirtschaft- Luftab- abhängigkeit lichkeit scheidung) Gemeinsame „No-regret-Elemente“ aller Szenarien für Dts. Stärkung Stromnetze. Umstellung auf elektrische CO2-Luftab- Start-Infrastruktur für Anwendungen vor allem im Massiver EE- Ausbau der scheidung EE-Ausbau Gebäude und Pkw-Bereich, Ausbau Elektrolyse (Ausbau Wasserstoff, die große Industrienachfrager einbindet. und auf Wasserstoff und E- DAC) Fuels in der Industrie. Seite steht beispielsweise der Bundesver- Diese Leitbilder konkurrieren, da die je- • zu potenziellen Beimischungsquoten band Windenergie (BWE), dessen Interes- weils zentralen Technologien und Pro- von Wasserstoff in Gasnetzen, sowie se eine Konzentration auf grünstrom-ba- zessketten durch unterschiedliche • zur Förderung oder Verboten einzel- sierte Elektrolyse bei der Wasserstoff- „Transformationsmuster“ gekennzeich- ner Technologien (z.B. Kaufprämien herstellung ist. net sind: Die direkte Elektrifizierung und von Elektroautos, Förderung von die indirekte Elektrifizierung über Was- Wärmepumpen, Umlagebefreiung 1.3. Konkurrierende Transformations- serstoff oder E-Fuels bedürfen bereits in von Elektrolyseuren, Verbot der Neu- muster verschiedener Wasser- den nächsten Jahren Investitionen und zulassung für Pkw mit Verbren- stoffleitbilder Veränderungen an jeweils unterschiedli- nungsmotor). chen Punkten im Energiesystem. Abbil- Hinter den Konfliktlinien der Debatte zur dung 2 stellt die Transformationsbedarfe Die Debatte spitzt sich in den letzten relativen Bedeutung von Wasserstoff, E- und jeweiligen Herausforderungen ent- Jahren zunehmend zu, sodass eine Ver- Fuels und direkter Elektrifizierung ver- lang der Prozessketten dar. zögerung notwendiger politischer Ent- bergen sich konkurrierende Leitbilder im scheidungen droht. Die teilweise sehr un- Hinblick auf das gesamte Energiesystem. Die Leitbilder führen daher auch zu un- terschiedlichen Einschätzungen, zum Dazu gehört die Frage, ob Importe von E- terschiedlichen Ansichten bezüglich der Beispiel zur zukünftigen Mengen- und Fuels und Wasserstoff den Bedarf des Erfordernisse der Energiewende und den Kostenentwicklung von Wasserstoff, und heimischen EE-Ausbaus reduzieren kön- zugehörigen politischen Rahmenbedin- die regulative Unsicherheit erschweren nen und sollten. Ein weiterer Aspekt ist gungen, zum Beispiel die Erwartungsbildung und Entschei- die Frage, inwieweit Wasserstoff und E- • zum Ausmaß der Beschleunigung dungsfindung von Unternehmen und Fuels die heute fossil genutzten Verbren- des EE-Ausbaus in Deutschland, Konsument:innen. Insbesondere wenn di- nungstechnologien und Infrastrukturen • zur Förderung internationaler Was- rekte und indirekte Elektrifizierung ge- zu einem Teil der Klimalösung machen serstoffprojekte, geneinander ausgespielt werden, kann können, oder ob es stattdessen einer tie- • zur notwendigen Infrastruktur und dies dringend notwendige Entwicklun- fen Transformation der Nachfrageseite potenzieller öffentlicher Ko-Finanzie- gen bis hin zum Stillstand hemmen. hin zu elektrischen Anwendungen be- rung (z.B. Lade- oder Wasserstoffin- darf. frastruktur), 8
Die unterschiedlichen Leitbilder lassen eine Transformation der Endnutzung hängt die notwendige Infrastruktur zum sich auch in den unterschiedlichen Ener- weg von Verbrennungstechnologien und Teil von der Entscheidung ab, in welchen giesystemszenarien wiederfinden, die in hin zu elektrischen Technologien. Endnutzungssektoren und an welchen Kapitel 2.1 kurz vorgestellt werden. Um konkreten Einsatzorten Wasserstoff ver- die Klimaziele zu erreichen, werden zwar E-Fuels zeigen ein dazu komplementäres wendet werden soll. Auch bei der direk- nie nur eine der in Abbildung 2 gezeigten Transformationsmuster: Nahezu die ge- ten Nutzung von Wasserstoff können be- Technologiepfade und Prozessketten ge- samte technische Transformationslast stehende Gasinfrastrukturen (Transport- nutzt, aber insbesondere langfristig kön- liegt in der Energieerzeugung und mehr- und -verteilnetze, Speicher) teilweise nen in den Szenarien unterschiedliche teiligen Umwandlung vor allem im ex- durch Umwidmung weiter genutzt wer- technologische Schwerpunkte entstehen. portierenden Ausland. Die energieinten- den. Zudem könnte eine neue Generati- Kurz- und mittelfristig zeigen die Szena- sive Produktion der Energieträger on von Verbrennungstechnologien (z.B. rien jedoch eine Vielzahl von robusten erfordert hierbei gegenüber der Elektrifi- Brennwertkessel) unter dem Stichwort Gemeinsamkeiten, also Transformati- zierung zusätzliche Anlagen zur Erzeu- „H2 ready“ die Umstellung von Erdgas onsschritte, die unabhängig von Leitbil- gung von EE-Strom, Elektrolyseanlagen, auf Wasserstoff vorbereiten. dern und Präferenzen als notwendig er- Anlagen zur Gewinnung von nicht-fossi- achtet werden können. Diese „No- lem Kohlenstoff (atmosphärisch oder Regret-Elemente“ sind in Abbildung 2 biogen) und Syntheseanlagen. Ein Eng- (untere Zeile) bereits dargestellt und pass mit besonders großen Unsicherhei- werden in Kapitel 3 näher erläutert und ten ist hierbei die Entwicklung von Anla- in Kapitel 2.2 anhand von Szenarienda- gen zur Abscheidung von atmosphä- ten illustriert. rischem CO2 aus der Luft (Direct Air Cap- ture, DAC), einer Technologie, die sich Abbildung 2 illustriert die Transformati- noch in einem frühen Entwicklungs- und onsbedarfe der drei verschiedenen Elek- Demonstrationsstadium befindet. Ge- trifizierungspfade entlang von vier Ele- lingt es, diese aufwendige Produktions- menten von Primärenergie bis kette zügig aufzubauen, können E-Fuels Endnutzung und nennt zentrale fossile Energieträger (Erdgas, Flüssig- kraftstoffe) ohne nachfrageseitige An- Herausforderungen innerhalb der Ver- passungen ersetzen, sodass Verbren- sorgungsflüsse (in den Flow-Chart-Pfei- nungstechnologien und bestehende len). Erstens geht es darum, wo die zu- fossile Infrastrukturen (z.B. Gasnetze) künftige Energieerzeugung stattfindet, zum Teil eines klimaneutralen Energie- d.h. wo zukünftige EE-Anlagen schwer- systems werden könnten. punktmäßig stehen und in welchen Men- gen Energieträger heimisch produziert Die direkte Nutzung von grünem Wasser- oder importiert werden sollen. Dabei stoff als neuem Energieträger erfordert geht es auch um Fragen der Importab- eine Transformation entlang der gesam- hängigkeit (Piria et al., 2021), wobei die ten Prozesskette: Notwendigkeit substanzieller Import- • Anlagen zur Erzeugung von zusätzli- mengen nahezu unumstritten ist (siehe chem EE-Strom, letzte Zeile in der Abbildung). Zweitens • Elektrolysekapazität für die Um- geht es um die Energieform, in der EE- wandlung zu grünem Wasserstoff, Strom schwerpunktmäßig genutzt wer- • Infrastruktur (Transport, Speiche- den soll. Drittens ergeben sich daraus rung und Verteilung), sowie unterschiedliche Infrastrukturbedarfe für • einer Transformation der Endnut- Transport und Verteilung der Energieträ- zung hin zu Wasserstoff (u.a. Direk- ger. Viertens geht es um die Endnut- treduktion beim Stahl, Brennstoffzel- zung, wo sich durch die unterschiedli- len, Wasserstoffbrenner). chen Endenergieformen verschiedene Anforderungen an die anwendungsseiti- Im Unterschied zur direkten Elektrifizie- ge Transformation ergeben. rung und zu E-Fuels ergibt sich hierbei ein besonderer Bedarf für zeitliche und Die direkte Elektrifizierung erfordert ei- räumliche Koordination des erforderli- nen beschleunigten Ausbau erneuerba- chen Infrastrukturaufbaus. Für die meis- rer Stromerzeugung in Deutschland, ten Anwendungen kann die Nutzung von eine entsprechend ausgebaute Strom- Wasserstoffoptionen erst dann beginnen, netzinfrastruktur, inklusive der Ladein- wenn eine zuverlässige Wasserstoffver- frastruktur im Transportsektor, sowie sorgung gewährleistet ist. Gleichzeitig 9
2. SZENARIO-BANDBREITEN UND TECHNO-ÖKONO- MISCHE UNSICHERHEITEN Wir zeigen hier zunächst, dass sich die wältigung der Engpässe der eigenen verschiedenen Wasserstoff-Leitbilder der technologischen Präferenz und argu- Debatte vor allem in der langfristigen mentieren mit den Unsicherheiten und Sicht in den großen Bandbreiten für Grenzen des jeweils anderen Leitbildes. Wasserstoff- und E-Fuel-Nutzung der ak- Es gilt jedoch die Existenz der teilweise tuellen Klimaschutzszenarien für großen techno-ökonomischen Unsicher- Deutschland widerspiegeln. Kurzfristig heiten sowohl der direkten als auch indi- hingegen ist der Pfad zur Erreichung der rekten Elektrifizierung zu akzeptieren 2030-Klimaziele schmal, eine Reihe not- und die Konsequenzen für eine robuste wendiger Schritte klar sichtbar und die Klimaschutzstrategie zu ziehen. Dafür Rolle strombasierter Kraftstoffe ver- schlagen wir im nächsten Kapitel 3 Eck- gleichsweise klein. punkte einer anpassungsfähigen Wasser- stoffstrategie vor. Wir argumentieren dann, dass die Szena- rio-Bandbreiten nicht als technologische 2.1. Szenario-Bandbreiten für oder politische Spielräume interpretiert Wasserstoff und E-Fuels werden sollten. Zwar sind nach 2030 eine Vielzahl von Pfaden unterschiedli- Im laufenden Jahr wurden fünf detaillier- cher Richtung denkbar und grundsätz- te Szenarioanalysen für die Transforma- lich plausibel, jedoch ist deren wirkliche tion des Energiesystems hin zu einem Tragfähigkeit aus heutiger Sicht unsi- klimaneutralen Deutschland vorgestellt cher. So können die realisierbaren Band- (Ariadne, 2021; BDI, 2021b; BMWi, breiten durch Engpässe beim Wasser- 2021a; dena, 2021; Prognos, Öko-Insti- stoff- und E-Fuel-Angebot auf der einen tut, Wuppertal-Institut et al., 2021). Die Seite und Barrieren bei der direkten Bandbreiten für Wasserstoff und E-Fuels Elektrifizierung auf der anderen Seite be- aus den insgesamt 22 Einzelszenarien12 grenzt werden, sodass sich auch langfris- sind in Abbildung 3 gezeigt. Sowohl die tig nur eine schmale Bandbreite, noch BMWi-Langfristszenarien (BMWi, 2021a) nicht definierbarer, Pfade als gangbar (Klimaneutralität 2050) als auch die Sze- herausstellen kann. narioanalyse im Ariadne-Projekt (Ariad- ne, 2021) (Klimaneutralität 2045) neh- In diesem Zusammenhang sind die Be- men dabei die unterschiedlichen Leit- fürworter:innen der jeweiligen Leitbilder, bilder in der (Wasserstoff-)Debatte expli- also zum Beispiel eines breiten oder eher zit auf und übersetzen diese in Szenarien fokussierten Einsatzes von Wasserstoff, mit unterschiedlichen technologischen zumeist optimistisch in Bezug auf die Be- Schwerpunkten. Die dena-Szenarien 10 12 Davon Agora 1 Szenario, Ariadne 12 Szenarien, BDI 1 Szenario, BMWi 3 Szenarien und dena 5 Szenarien.
(dena, 2021) spannen zwar mit „More Markthochlauf von Elektrolyse-Projekten, Für 2045 illustrieren wir in Abbildung 4, Molecules“ und „Efficient Electrons“-Pfa- der in den Kapiteln 2.3 und 2.4 diskutiert dass sich die verschiedenen Leitbilder den ebenfalls einen Szenariokorridor auf, wird. In 2030 werden in allen Szenarien auch in der unterschiedlichen Bedeutung jedoch liegt dieser in der Gesamtband- maximal 80 TWh grüner Wasserstoff ge- von E-Fuel-Importen in den Szenarien breite der Ariadne und BMWi-Szenarien nutzt, und der Anteil am Endenergie- zeigen. Die Szenarien zeigen einen an dem Ende mit mehr indirekter Elektri- und Grundstoffbedarf in 2030 liegt in grundsätzlichen „Trade-off“: Heimische fizierung und großen E-Fuel-Importen. den Szenarien zwischen nahe 0 % und EE-Bedarfe sind rund 20 % geringer, Das einzelne Szenario, das Agora Ener- maximal 3,5 %. Diese Größenordnung wenn der technologische Schwerpunkt in giewende präsentiert hat (Prognos, Öko- deckt sich mit den Zielen der Nationalen den Szenarien von direkter zu indirekter Institut, Wuppertal-Institut et al., 2021), Wasserstoffstrategie für 2030 (BMWi, Elektrifizierung verschoben wird und liegt relativ zentral mit einem leichten 2020)13 und den Elektrolyse-Kapazitäts- mehr strombasierte Brenn- und Kraft- Schwerpunkt auf direkter Elektrifizie- zielen der Europäischen Kommission (EC, stoffe importiert werden. Gleichzeitig rung. Das einzelne BDI-Szenario (BDI, 2020), siehe auch Kapitel 2.3. Während in zeigt sich, dass in allen Szenarien, auch 2021b) liegt zwischen dem dena-Korridor den Ariadne- und BMWi-Szenarien E- jenen mit hohen E-Fuel-Importen, ein und dem Agora-Szenario und zeichnet Fuels in dieser Dekade fast keine Rolle massiver heimischer EE-Ausbau hin zu sich dadurch aus, dass der Schwerpunkt spielen, nehmen die dena-Szenarien und mindestens 800 TWh jährlicher Erzeu- innerhalb der strombasierten Kraftstoffe das BDI-Szenario einen kleinen Import- gung notwendig ist. Eine Vervierfachung mehr auf E-Fuels und etwas weniger auf beitrag bereits für 2030 an, der dann bis der EE-Stromerzeugung in Deutschland der direkten Nutzung von Wasserstoff 2045 signifikant wächst. kann somit als „No-Regret-Element“ ge- liegt. Das für Anfang November 2021 sehen werden. Die REMIND- und REMod- vom Forschungszentrum Jülich angekün- Nach 2030 weitet sich die Szenario- Szenarien des Ariadne-Berichtes zeigen digte Szenario konnte hier noch nicht be- Bandbreite im Hinblick auf die Bedeu- die für die Erreichung der Klimaschutz- rücksichtigt werden. tung direkter und indirekter Elektrifizie- ziele für 2030 die Notwendigkeit einer rung. Die 2045-Bandbreiten für grünen Verdreifachung gegenüber 2020 auf Für die Rolle von Wasserstoff bis 2030 Wasserstoff und E-Fuels liegen zwischen 550-615 TWh (Ariadne, 2021). Die Unei- sind sich die Modellierer:innen der ver- 250 und 800 TWh. Der Anteil der indirek- nigkeit über Leitbilder und die Bedeu- schiedenen Institute und Organisationen ten Elektrifizierung am Endenergie- und tung langfristiger Importe darf somit dahingehend einig, dass die denkbare Grundstoffbedarf liegt bei einem sehr fo- kein Grund sein, den heimischen EE-Aus- Bandbreite schmal ist (Abbildung 3). Ein kussierten Wasserstoff- und E-Fuel-Ein- bau nicht mit größtem Nachdruck zu Schlüsselfaktor ist dabei die Knappheit satz in Industrie und internationalem verfolgen. von grünem Wasserstoff aufgrund der Verkehr bei etwa 10 % und bei einem Herausforderungen und Grenzen beim breiten Einsatz bei maximal 35 %. Abbildung 3: Bandbreiten der Nutzung von Wasserstoff (a), Wasserstoff und E-Fuels (b) und des Endenergieanteils von Wasserstoff und E-Fuels in 2045 (c) aus den fünf aktuellen Szenarien-Analysen zur Erreichung von Klimaneutralität in Deutschland. (a) und (b) enthalten auch die Nachfragen strombasierter Kraftstoffe, die selbst wieder rückverstromt werden. Diese sind in der Endnutzung in (c) per Definition nicht explizit enthalten. Die REMod*-Szenarioergebnisse basieren auf dem REMod-Modell, wurden aber für nicht-energetische Nutzung von Wasserstoff und E-Fuels im Industriesektor mit Ergebnissen des FORECAST-Modells ergänzt. 13 Die Nationale Wasserstoffstrategie definiert in 2030 erforderliche Menge an grünem Wasserstoff nur indirekt und mit großem Spielraum. Ne- ben den anvisierten 14 TWh Wasserstoff aus heimischer Elektrolyse wird der geplante Wasserstoffeinsatz mit 90-110 TWh angegeben, was aller- 11 dings die ca. 55 TWh in bestehenden Anwendungen einschließt, die derzeit grauen Wasserstoff nutzen.
Abbildung 4: Strombedarfe bei Klimaneutralität 2045 unterschieden nach im Inland produziert (einge- gelt. Zwar kann und muss die Politik rahmt) und aus dem Ausland importiert (in Form von Wasserstoff, E-Fuels oder Strom-Interkonnektoren). technologische Fortschritte sowohl mit Annahmen: 60 % Gesamteffizienz bei der elektrolytischen Wasserstoffproduktion bzw. 40 % Gesamteffizi- enz bei der Synthese von E-Fuels. technologiespezifischer Förderung und Regulierung als auch mit einem steigen- den CO2-Preis beschleunigen, dennoch verbleiben fundamentale Unsicherheiten über kurzfristig realisierbare Dynamik sowie über das langfristige Potenzial von Technologien. Die künftige Rolle von Wasserstoff und E- Fuels, die derzeit praktisch noch nicht als Energieträger verwendet werden, ist in den nächsten Jahren vor allem durch deren Verfügbarkeit begrenzt. Auch mit- tel- bis langfristig verbleiben Unsicher- heiten darüber, ab welchem Zeitpunkt grüner Wasserstoff in großen Mengen (>10 % der Endenergienachfrage) und zu welchen Preisen verfügbar sein wird. Das nächste Kapitel 2.3 beschäftigt sich mit den Herausforderungen und Unsicher- heiten beim Wasserstoffmarkthochlauf. Gleichzeitig sollte unumstritten sein, gelöst werden bevor Wasserstoff in gro- Auf Seiten der direkten Elektrifizierung dass substanzielle Wasserstoff- und E- ßen Mengen zur Verfügung steht. Die Kli- gibt es Unsicherheiten in Bezug auf die Fuel-Importe für Klimaneutralität not- maziele bis 2030 müssen fast aus- erreichbaren Geschwindigkeiten des EE- wendig sind. Der dafür nötige EE-Ausbau schließlich durch Energieeffizienz, Ausbaus und der Diffusion von neuen im Ausland entspricht, aufgrund der heimischen EE-Ausbau und direkte Elek- elektrischen Anwendungen. Langfristig niedrigen Effizienz indirekter Elektrifizie- trifizierung erreicht werden. Diese „Deka- gibt es Unsicherheiten im Hinblick auf rung, bereits in einem Szenario mit de der direkten Elektrifizierung“ verklei- die Tiefe, mit der verschiedene Bereiche Schwerpunkt auf direkter Elektrifizie- nert den verbleibenden Spielraum für die elektrifiziert werden können: Im Trans- rung mit knapp 500 TWh etwa der heuti- indirekte Elektrifizierung, da eine einmal portsektor entscheidet u.a. die weitere gen Stromnachfrage Deutschlands. Um elektrifizierte Anwendung später nur in Entwicklung hin zu höheren Energiedich- zudem die oben genannten 20 % heimi- Ausnahmefällen noch auf Wasserstoff ten von Batterien über das Potential der schen EE-Ausbau zu sparen, kommen in wechseln wird. Das schränkt die langfris- Elektrifizierung im Schwerlast-, Schiffs- einem E-Fuel-betonten Szenario Importe tige Rolle ein, die Wasserstoff in dem und Flugverkehr (Schäfer et al., 2019). strombasierter Kraftstoffe hinzu, die Leitbild eines breiten Einsatzes spielen Im Industriesektor ist das theoretische mindestens nochmal der heutigen kann. Elektrifizierungspotenzial sehr hoch; Stromnachfrage entsprechen. Dennoch aber es gibt für einige Hochtemperatur- bleibt der Importanteil in den klimaneu- 2.2. Techno-ökonomische Unsicher- Anwendungen Unsicherheiten darüber, tralen Szenarien unter dem heutigen Ni- heiten und gesicherte Erkenntnisse ob diese auch in großskaligen Industrie- veau, sodass Importabhängigkeiten ins- anlagen genutzt werden können (Maded- gesamt abnehmen und sich zudem Die Szenario-Bandbreiten sollten in der du et al., 2020). Im Wärmesektor hängt grundsätzlich verändern (Piria et al., öffentlichen und politischen Debatte die langfristige Tiefe der Elektrifizierung 2021). nicht als technologische oder politische vor allem von der Dynamik ab, mit der Spielräume interpretiert werden, aus de- neben Neubauten auch der Gebäudebe- Die Szenario-Bandbreiten können helfen, nen nur der beste Pfad ausgewählt und stand (teil-)saniert und elektrifiziert wer- die öffentliche Debatte auf solche Pfade verfolgt werden muss. Die Erreichbarkeit den kann. Ein wichtiger Engpass ist hier- zu fokussieren, die grundsätzlich plausi- aller Szenarien hängt entscheidend von bei auch die Verfügbarkeit von Energie- bel sind. So können Wasserstoff und E- Innovationen, Technologiediffusion, Ak- berater:innen und Handwerker:innen, die Fuels kaum mehr als 35 % der Endener- zeptanz und vielen weiteren Parametern sich mit der vergleichsweise neuen Tech- gie- und Grundstoffnachfrage in 2045 sowohl bei grünem Wasserstoff als auch nologie der Wärmepumpe ausreichend decken und sind damit weit davon ent- der direkten Elektrifizierung ab. Diese zu- auskennen. Zudem ist unklar, was die fernt, die bisherige Nutzung fossiler künftigen Entwicklungen sind mit Unsi- langfristigen Grenzen an nutzbarem EE- Brennstoffe universell zu ersetzen. Für cherheiten behaftet, was sich auch in Potenzial in Deutschland und Europa die Erreichung der Klimaschutzziele den unterschied-lichen Einschätzungen sind. Während die technischen Potenziale müssen viele Herausforderungen bereits und Positionen in der Debatte widerspie- Deutschlands eigentlich keinen Engpass 12
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