NATURGEFAHRENREPORT 2017 - DIE SCHADEN-CHRONIK DER DEUTSCHEN VERSICHERER IN ZAHLEN, STIMMEN UND EREIGNISSEN - GDV

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NATURGEFAHRENREPORT 2017 - DIE SCHADEN-CHRONIK DER DEUTSCHEN VERSICHERER IN ZAHLEN, STIMMEN UND EREIGNISSEN - GDV
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.

Naturgefahrenreport 2017
Die Schaden-Chronik der deutschen Versicherer
in Zahlen, Stimmen und Ereignissen
NATURGEFAHRENREPORT 2017 - DIE SCHADEN-CHRONIK DER DEUTSCHEN VERSICHERER IN ZAHLEN, STIMMEN UND EREIGNISSEN - GDV
NATURGEFAHRENREPORT 2017

                 Inhaltsverzeichnis

                      		   Einleitung

                     1  Editorial
                     2	„Wir müssen den Menschen das Risiko bewusst machen.“ Ein Gespräch mit
                        GDV-Präsident Dr. Wolfgang Weiler
                     3  Schäden durch Naturgefahren auf einen Blick

                      		   Kapitel eins: Die Katastrophe – vom Umgang mit dem Unvorhersehbaren

                     6  Wimpernschlag für die Natur, Katastrophe für die Menschen
                    13  Die Gefahr aus dem Untergrund. Über Erdrutsch, Erdsenkung und Erdbeben
                    16  Freiräume für die Gefahr. Strategien aus Simbach und Braunsbach
                    20  Die Katastrophe fürs Korn. Naturgefahren in der Landwirtschaft
                    22	„Wir rechnen mit Jahrhundert-Hochwassern.“ Risikogerechter Versicherungsschutz
                        und Katastrophen
                    24  Kontinuität im Katastrophenfall. Das Business Continuity Management

                      		Kapitel zwei: Unaufhörlich Regen. Die Schadenbilanz 2016 der Sachversicherung

                    28     Schlamm und Schneepflüge im Frühsommer. Der Jahresrückblick 2016
                    30     Zwei zerstörerische Starkregen. Die Schadenbilanz 2016
                    32     Mehr Wasser, mehr Landschaft in der Stadt. Eine Topografie der Klimaanpassung
                    35     Der schöne Schutz organischer Architektur

                      		Kapitel drei: Verheerender Hagel, zerstörerischer Starkregen.
                         Die Schadenbilanz 2016 an Kfz

                    40     Fünf verheerende Unwettertage

                      		   Kapitel vier: Klimaschützer, Klimastrategen

                    44     „In den Senken besteht größere Gefahr.“ Das Starkregen-Forschungsprojekt des GDV
                    46     Rundumschutz für Erneuerbare Energien
                    48     Naturgefahren erkennen und handeln
                    49     Kompass Naturgefahren – Risiken per Mausklick erkennen

                      		   Anhang: Publikationen/Links
NATURGEFAHRENREPORT 2017 - DIE SCHADEN-CHRONIK DER DEUTSCHEN VERSICHERER IN ZAHLEN, STIMMEN UND EREIGNISSEN - GDV
EINLEITUNG   1

Editorial
In unserer Mediengesellschaft erleben wir die       Wie sehen etwa die Folgen von Starkregenereig-
großen und kleinen Katastrophen der Welt in ei-     nissen aus – konkret im niederbayerischen Sim-
ner endlosen Abfolge aus Tagesereignissen. Neu-     bach, das im letzten Jahr von einer wahren Sintflut
este Nachrichten von ungeheuren Schäden, die        heimgesucht wurde? Was können wir tun, um den
durch Wasser oder Dürre, Stürme oder Beben in       Menschen eine Rückkehr in ihr Leben zu erleich-
der Welt angerichtet wurden, sind nur einen Klick   tern? Und welche Lehren sollten wir aus den Erfah-
entfernt. Auch Deutschland ist regelmäßig be-       rungen der letzten Jahre ziehen? Auf diese Fragen
troffen – sei es durch Sturzfluten, Tornados oder   können auch wir in unserem Naturgefahrenreport
Erdrutsche –, oft mit katastrophalen Folgen für     keine abschließenden Antworten geben. Aus unse-
die Menschen.                                       rer Sicht aber haben wir alle wichtigen Hinweise
                                                    und Erkenntnisse für Sie zusammengefasst.
Doch so schnell wir die Nachrichten aufrufen, so
schnell vergessen und verdrängen wir sie auch.      Einen Schwerpunkt möchten wir dabei schon hier
Und die Öffentlichkeit wendet ihre Aufmerksam-      herausgreifen: die Notwendigkeit der Prävention
keit wieder anderen Dingen zu.                      sowie des nachhaltigen Planens und Handelns.
                                                    Denn extreme Wetterereignisse werden zuneh-
Für die Betroffenen sind solche Ereignisse da-      men. Damit die Schäden nicht in gleichem Aus-
gegen weit mehr als eine flüchtige Schlagzeile.     maß ansteigen, müssen wir jetzt die richtigen
Sondern sie sind, ganz im ursprünglichen Sinne      Weichen stellen. Für mehr Schutz der Bevölkerung,
des Wortes Katastrophe, oft ein Wendepunkt in       für eine bessere Schadenprävention, für mehr
ihrem Leben. Haus, Wohnung oder Eigentum sind       Aufklärung und verständlichere Information über
beschädigt oder zerstört. Die Arbeit von Jahren     Gefährdungslagen.
und Jahrzehnten wurde zunichtegemacht. Das
Leben ist auf den Kopf gestellt. Für diese Men-     Denn wir Versicherer sind eben nicht nur Exper-
schen endet die Katastrophe nicht, wenn die         ten in der Absicherung von Risiken. Sondern wir
Naturgewalten vorübergezogen sind. Sondern es       verfügen auch über viel Wissen und Erfahrung,
beginnt damit erst eine lange, anstrengende Zeit    wenn es darum geht, Gefahren zu erkennen und
des Wiederaufbaus. Mit unserem diesjährigen         ihnen vorzubeugen. Diese Kompetenz wollen wir
Naturgefahrenreport wollen wir Versicherer da-      in die gesellschaftliche Debatte einbringen und
her die Aufmerksamkeit auf die Menschen rich-       konkrete Projekte vorantreiben. Um auch in einer
ten und berichten, wie Katastrophen ihr Leben       Zeit wachsender Gefahren mehr Sicherheit zu
verändert haben.                                    schaffen.

Dr. Wolfgang Weiler               Dr. Jörg von Fürstenwerth
Präsident                         Vorsitzender der Geschäftsführung
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2   INTERVIEW

                 „Wir müssen den Menschen das Risiko bewusst machen.“
                 Naturgewalten können jeden treffen. Katastrophen wie in Simbach und Braunsbach machen das
                 erschreckend deutlich. Wie die Anpassung an den fortschreitenden Klimawandel gelingen kann, erklärt
                 GDV-Präsident Dr. Wolfgang Weiler.

                 Herr Dr. Weiler, in diesem Sommer hatte man das         Wir können uns also an den Klimawandel anpassen?
                 Gefühl, dass eine Katastrophe die nächste jagte –       Nicht unbegrenzt. Daher stand das Ziel einer Be-
                 Starkregen in Deutschland, Hurrikane in den USA,        grenzung der Erderwärmung auf zwei Grad im Mit-
                 Waldbrände und Dürre in Südeuropa –, ist das jetzt      telpunkt des Klimagipfels von Paris. Aber wenn der
                 schon der Klimawandel?                                  Klimawandel ungebremst weitergeht, lassen sich die
                 Für einzelne Wetterereignisse lässt sich das nie ge-    Folgen kaum mehr kompensieren. Dann wird es im-
                 nau sagen. Aber wir sehen natürlich, dass extreme       mer schwerer, erforderliche Anpassungsmaßnahmen
                                     Wetterlagen sich häufen. Und        durchzuführen und zu bezahlen.
                                     das wird mit einem fortschrei-
                                     tenden Klimawandel noch zu-         Und was kann jeder für sich tun, um sich besser zu
                                     nehmen.                             schützen?
                                                                         Jeder sollte mit kritischem Blick sein Haus bzw. seine
                                        Gibt es Regionen in Deutsch­     Wohnlage betrachten. Hanglagen, Senken oder Öl-
                                        land, die besonders gefährdet    tanks im Keller, die bei einer Überschwemmung auf-
                                        sind?                            schwimmen und platzen, sind klassische Schadentrei-
                                        Jede Region in Deutschland ist   ber. Hier kann man Gefahren entschärfen. Und für das
                                        durch Naturgewalten gefähr-      unvermeidliche Restrisiko gibt es Versicherungsschutz.
                                        det. Natürlich ist die Gefahr    Aktuell sind vier von zehn Gebäuden gegen Natur­
                                        eines klassischen Hochwassers    gefahren versichert. Das ist noch zu wenig. Zumal die
                                        regional begrenzt. Sturm, Ha-    Politik angekündigt hat, dass es künftig nur noch in
    Dr. Wolfgang Weiler                 gel, Schneedruck oder Stark­     Ausnahmefällen staatliche Nothilfen geben soll.
                                        regen können dagegen jeden
                     treffen. Starkregenereignisse etwa hatten wir in    Aber gibt es überhaupt für jeden Versicherungs­
                     den letzten Jahren vielerorts. Auf Simbach am       schutz?
                     Inn in Niederbayern sind beispielsweise in sieben   Im Jahr 2002 glaubten wir noch, dass gut zehn Pro-
                     Stunden fünf Milliarden Liter Regen gefallen, das   zent der Fläche nicht gegen Naturgefahren wie Hoch-
                     entspricht der Menge, die in einer halben Stunde    wasser versicherbar seien. Inzwischen können wir für
                     die Niagarafälle hinunterrauscht. So etwas kann     99 von 100 Gebäuden Versicherungsschutz anbieten.
                     sich überall in Deutschland wiederholen.            Die bessere Datenlage und verstärkte Prävention sind
                                                                         dabei die entscheidenden Faktoren. Leider denken
                 Kann man sich darauf vorbereiten?                       viele Menschen immer noch irrtümlich, ihr Haus sei
                 Das müssen wir sogar! Denn so wie wir heute             rundum gegen alle Naturgefahren versichert. Dabei
                 Häuser und Städte bauen, laufen wir sehenden            ist in vielen alten Wohngebäudeversicherungen nur
                 Auges in den Schaden hinein. Böden werden wei-          Sturm und Hagel abgesichert. Wieder andere unter-
                 ter versiegelt und Überschwemmungsflächen be-           schätzen das Risiko.
                 baut. Eingänge und Lichtschächte auf Bodenhöhe
                 lassen schon kleinste Mengen Wasser ungehin-            Und wie wollen Sie dieses Problem lösen?
                 dert in Häuser fließen. Hier müssen wir dringend        Wichtig ist es vor allem, den Menschen das Risiko
                 umsteuern. Hier ist auch die Politik gefordert: Es      bewusst zu machen. Die Ministerpräsidenten haben
                 ist vollkommen unverständlich, dass (hoch-)was-         darum im Juni 2017 beschlossen, eine bundesweite
                 sersicheres Bauen 15 Jahre nach den verheeren-          Informationskampagne und ein bundesweites Natur-
                 den Elbe-Fluten noch immer kein Bestandteil der         gefahrenportal aufzubauen. Das sollte zügig ange-
                 Bauvorschriften ist.                                    gangen werden.
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Schäden durch Naturgefahren auf einen Blick

Schadenaufwand 2016:
über 2,5 Milliarden Euro in der Sach- und Kfz-Versicherung

                                                                                     Sachversicherung                                         Kfz-Versicherung
                                              Wohngebäude, Hausrat, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft                                     Voll- und Teilkasko

1,9                                   1.000 Mio. €                                         900 Mio. €                               575 Mio. €          40
                                                                                                                                                       Mio. €
                                                                                                                                                                      615
Mrd. €                                                                                                                                                                 Mio. €

                                        540.000                                              110.000                                  265.000                  8.000
                                       Sturm- und                                           Elementar-                               Sturm- und         Überschwemmungs-
                                      Hagelschäden                                           schäden                                Hagelschäden             schäden

Sachversicherung*: Jährlicher Schadenaufwand für Sturm, Hagel und Elementarereignisse**
in Milliarden Euro***

                                                                               8,7

8

                                                                                                                       7,0
7
                                                                                                                                                        6,2

6
                   5,3          5,3
                                                                                                                                    4,9
5

4

3

                                                                                                                                                                     1,9
2

1

0
           1970            1975              1980            1985             1990            1995             2000          2005           2010               2015

Wert für 2016 vorläufig

*) Wohngebäude, Hausrat, Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft
**) Schäden durch Überschwemmung/Starkregen, Hochwasser, Erdbeben, Erdsenkung, Schneedruck, Lawinen/Erdrutsch und Vulkane
***) Sturm-/Hagel-, seit 1999 auch Elementarschäden; hochgerechnet auf Bestand und Niveau 2016                                                                      Quelle: GDV
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4   KAPITEL EINS: DIE KATASTROPHE
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Die Katastrophe –
vom Umgang mit dem
Unvorhersehbaren

Katastrophe. Ein Begriff für Unfassbares; für Ereignisse, die all
unsere Erwartungen schlimmstens übertreffen. Auch Naturkata­
strophen durch Hochwasser, Starkregen, Sturm oder Hagelschläge.
Was macht Naturkatastrophen aus, welche Erscheinungen haben
sie im Detail und welche Auswirkungen auf den urbanen Raum,
Natur, Menschen? Wie organisiert sich Katastrophenmanagement?
Und wie kann das Leben nach einer Katastrophe weitergehen?
Facetten des Unvorhersehbaren, Strukturen seiner Bewältigung
und die Frage, wie alltäglich Katastrophen werden können.
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6   KAPITEL EINS: STARKREGEN

                  V O M W E S E N D E R K A TA S T R O P H E

                  Wimpernschlag für die Natur,
                  Katastrophe für die Menschen
                  Naturgewalt trifft verletzliche Städte, Landschaften und Menschen. Immer wieder, allerorten.
                  Natur­katastrophen teilen die Zeit der Menschen in ein Davor und ein Danach. Ausnahmezustand.
                  Vom Wesen der Katastrophe. Einblicke in das Katastrophenmanagement in Deutschland.

                  „Für die Natur ist das nur ein Wimpernschlag. Für    Orkan Kyrill ist die verheerendste Sturmkata­
                  uns ist es eine Katastrophe.“ Diethard Altrogge,     strophe, die der Gesamtverband der Deutschen
                  der Leiter des nordrhein-westfälischen Forst­amtes   Versicherungswirtschaft in seinen Statistiken
                  Siegen, meint den Orkan Kyrill. Zehn Jahre danach    verzeichnet. Zerstört, erschüttert, weggefegt und
                  sind in den Wäldern des Sauerlandes Spuren des       umgeknickt wird deutlich mehr als der Wald.
                  verheerenden Orkans vom Januar 2007 noch             13 Menschen sterben in diesen Januartagen, Tau-
                  sichtbar. Auf Tausenden Hektar mühen sich junge      sende Hausdächer, Gebäude und Gebäudeteile
                  Bäumchen, wieder zum Wald heranzuwachsen.            werden von Windgeschwindigkeiten bis 200 Kilo-
                  Es fehlt eine ganze Generation Bäume, 25 Millio-     meter pro Stunde einfach weggeblasen. Ein volks-
                  nen allein in Nordrhein-Westfalen, einem der am      wirtschaftlicher Schaden von vier Milliarden Euro
                  stärksten betroffenen Bundesländer des Orkans.       entsteht, davon 2,1 Milliarden Euro versicherte
                  Sie brechen nicht nur in ganzen Schneisen im         Schäden an Hausrat, Gebäuden, im Gewerbe und
                  Wald weg, sie stürzen zu Tausenden auf Straßen,      in der Landwirtschaft.
                  Fahrzeuge, Gebäude.
NATURGEFAHRENREPORT 2017 - DIE SCHADEN-CHRONIK DER DEUTSCHEN VERSICHERER IN ZAHLEN, STIMMEN UND EREIGNISSEN - GDV
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                                                          K ATA S T R O P H E
                                                          Eine Katastrophe ist laut Bundesamt für Bevölkerungs-
                                                          schutz und Katastrophenhilfe eine Situation, in der eine
                                                          Vielzahl an Menschen oder natürliche Lebensgrundlagen
                                                          oder Sachwerte in außergewöhnlichem Ausmaß gefähr-
                                                          det sind. Es bedarf einer einheitlichen Führung aller Ka-
                                                          tastrophenschutzkräfte, um diese Gefahr zu unterbinden
                                                          oder abzuwehren.

  „Wir beobachten seit einigen Jahren verschie-      gewissermaßen die Schaltzentrale für den überre-
  dene Trends bei Katastrophen. Zum einen ereig-     gionalen Katastrophenschutz in Deutschland.
  nen sich immer mehr multiple, also miteinander
  verkettete Katastrophen. Beispielsweise löst ein
  Seebeben eine Flutwelle aus, die wiederum in ein     Ein gestaffeltes System: der Katastrophenschutz
  kerntechnisches Ereignis mündet, wie beim Re-
  aktorunfall in Fukushima. Zum anderen werden       Katastrophenschutz ist laut Grundgesetz Aufgabe
  die Schäden immer höher, weil Menschen auch        der Bundesländer. Ein gestaffeltes System, das in-
  in entlegenen Gebieten immer aufwendiger           einandergreift – von der obersten Katastrophen-
  bauen und teurere Infrastruktur bereitstellen.“    schutzbehörde in den Innenministerien der Län-
                                                     der bis zu den unteren Behörden in Landkreisen
  Frank Roselieb, Geschäftsführender Direktor des
  Krisennavigator – Institut für Krisenforschung
                                                         „Unsere Experten beobachten die Lage rund um die
Katastrophe. Ein zutiefst subjektives Erleben.           Uhr. Wir tragen für Deutschland länderübergreifend
Wer definiert verbindlich, was eine Katastrophe          Informationen zusammen und werten sie aus. Das
ist? „Wenn eine Vielzahl an Menschen oder na-            sind beispielsweise Wetternachrichten oder Hochwas­
türliche Lebensgrundlagen oder Sachwerte in              sermeldungen. Wir bewerten die Relevanz, analysieren
außergewöhnlichem Ausmaß gefährdet sind“,
                                                         die Risiken und erstellen daraus einmal täglich Lage­
sagt Christoph Schmidt-Taube vom Bundesamt
                                                         berichte für die zuständigen Bundesbehörden und die
für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe,
                                                         Länder. Im Katastrophenfall erstellen wir mehrmals
„wenn es dann einer einheitlichen Führung aller
                                                         täglich Lagemeldungen.“
Katastrophenschutzkräfte bedarf, um diese Ge-
fahr zu unterbinden oder abzuwehren, dann spre-          Christoph Schmidt-Taube, Lagezentrum im Bundesamt für Bevölke-
chen wir von Katastrophe.“ Das Lagezentrum des           rungsschutz und Katastrophenhilfe
Bundesamtes, dem Schmidt-Taube vorsteht, ist
NATURGEFAHRENREPORT 2017 - DIE SCHADEN-CHRONIK DER DEUTSCHEN VERSICHERER IN ZAHLEN, STIMMEN UND EREIGNISSEN - GDV
8   KAPITEL EINS: DIE KATASTROPHE

                                          und kreisfreien Städten. Der    gibt es 470.000 Einsatzkräfte, davon arbeiten
       „Die Rolle der Versi­              Bund unterstützt, wenn die      450.000 ehrenamtlich. Der Bund unterstützt im
       cherungswirtschaft                 Kata­strophe überregionales     Notfall mit Personal des Technischen Hilfswerkes
       im Katastrophenfall                Ausmaß annimmt, wenn            und der Bundeswehr.
       ist zunächst einmal                mehrere Bundesländer
       die schnelle Regulie­              gleichzeitig betroffen sind.       „Im Katastrophenfall vertrauen wir auf immer
                                          Seit 2004, als Folge des ver-      ausgeklügeltere Technologien, auf immer bes-
       rung der Schäden für
                                          heerenden August-Hoch-             sere Vorwarnsysteme. Doch was hilft mir die
       ihre Kunden. Wichtig
                                          wassers 2002, das vier Bun-        Warngruppe bei Facebook, wenn der Strom
       sind dann auch Rück­
                                          desländer überschwemmt,            ausfällt? Sollten wir nicht besser redundante,
       schlüsse: Wie ordnen               existiert das Bundesamt für        bewährte Techniken weiter vorhalten – wie die
       wir das Ereignis klima­            Bevölkerungsschutz und             handbetriebene Sirene auf dem Rathausdach?“
       tologisch ein? Welcher             Katastrophenhilfe. Das ist
       Schutz ist notwendig?              eine Lehre der Flut: Es be-        Frank Roselieb
       Wie kann man zukünf­               darf eines über­regionalen
       tig Schäden vermeiden              Lagemanagements, damit
       oder mindern?“                     Informationen schnell und         Wie viel Katastrophe ist menschengemacht?
                                          verlässlich fließen können.
       Oliver Hauner, Leiter Sach-
       und Technische Versicherung,       Damit der Einsatz von Hilfs-    An der Elbe stehen sie 2002 alle nebeneinander.
       Schadenverhütung und               kräften, Fahrzeugen und         Soldaten, Ehrenamtler des Technischen Hilfswer-
       Statistik beim GDV                 Material bundesweit koor-       kes, Feuerwehrleute, freiwillige Helfer. Sie stapeln
                                          diniert werden kann.            in einem der größten Einsätze der Bundes­
                                                                          geschichte 40 Millionen Sandsäcke. Sie versuchen,
                       „Katastrophen und Katastrophenschutz sind          die Altstadt von Dresden mit dem einzigartigen
                       immer auch ein gesellschaftliches Abwägen.         Zwinger, versuchen das historische Pirna und Des-
                       Welches Risiko wollen wir eingehen? Und wer        sau zu retten. Vergeblich. Der Dresdner Zwinger
                       bestimmt das? Ich kann bei Sturmwarnung aus        versinkt in der neun Meter hohen Flutwelle, Pirna
                       Sicherheitsgründen den gesamten öffentlichen       wird komplett überschwemmt. Es folgen Döbeln,
                       Personenverkehr einstellen. Oder ich kann Züge     Dessau, Grimma. Eines der schwersten Hochwas-
                       fahren lassen, weil mir die Beförderung der Pas-   ser der Geschichte. 14 Menschen sterben, 81.000
                       sagiere das Risiko wert ist.“                      müssen aus den komplett gefluteten Gebieten
                                                                          und Städten evakuiert werden. Die Elbe und an-
                       Prof. Martin Voss, Leiter der Katastrophen­        dere Flüsse hinterlassen Schäden bisher unge-
                       forschungsstelle der Freien Universität Berlin     kannten Ausmaßes in diesem August. Allein
                                                                          1,8 Milliarden Euro versicherte Sachschäden.
                    Der Katastrophenfall. Beherrscht eine Kommune
                    ein Naturereignis nicht aus eigener Kraft, rufen         „In der Katastrophe zeigt sich, was vorher
                    Landrat oder Bürgermeisterin den Katastrophen-           schiefgelaufen ist. Wo vorher Konflikte zwischen
                    fall aus. Die Gefahrenabwehr organi­siert sich von       den Menschen schwelten, brechen sie nun auf.
                    oben nach unten. Krisenstäbe auf Landes- und             Wo vorher Solidarität und Vertrauen waren, ist
                    kommunaler Ebene übernehmen die Führung. Sie             ein Fundament für einen schnellen Erholungs-
                    koordinieren den Einsatz von Katastrophenschüt-          prozess gelegt.“
                    zern und Hilfsmitteln. Sie geben Informationen
                    raus. Die Menschen müssen über Rundfunk, Inter-          Prof. Martin Voss
                    net und lokale Durchsagen von der bedrohlichen
                    Lage erfahren. Vor Ort übernehmen Einsatzleitun-      In den Wochen, da das Wasser abfließt, beginnen
                    gen. Helfer retten Menschen, schützen lebens-         die Fragen. Ist Deutschland für solche Katastro-
                    wichtige Einrichtungen und kritische Infrastruktu-    phen gewappnet? War der Einsatz der über 40.000
                    ren. Jedes Bundesland verfügt über verschiedene       Helfenden gut koordiniert? Und mehr noch: Wie
                    Einsatzkräfte wie Feuerwehr, Johanniter-Unfall-       viel dieser Katastrophe ist menschengemacht?
                    Hilfe, Arbeiter-Samariter-Bund. Allein in Bayern      Weil immer mehr Mauern, wachsende Städte,
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Sachversicherung: Die zehn verheerendsten Naturkatastrophen in Deutschland
(Sturm- und Hagelereignisse 1997 – 2016; Elementarereignisse 2002 – 2016)

 Ereignis-                   Name                    Datum         Natur­   Zahl der     Schaden­aufwand Sachversicherung
   jahr                                                            gefahr   Schäden      in Mio. Euro

   2007         Kyrill                           18.01. – 19.01.            2.060.000                                                       2.060

   2002         August-Hochwasser                31.07. – 02.09.             107.000                                                1.800

   2013         Juni-Hochwasser                  25.05. – 15.06.             120.000                                         1.650

   2013         Andreas                          27.07. – 28.07.             245.000                                        1.600

   1999         Lothar                           25.12. – 26.12.             550.000                        800

   20162        Elvira, Friederike, Gisela       27.05. – 09.06.                   –                        800

   2002         Jeanett                          27.10. – 28.10.             995.000                        760

   20151        Niklas                           30.03. – 01.04.             590.000                  590

   2010         Xynthia                                  28.02.              580.000             510

   2014         Ela                                      09.06.              270.000            450

1) vorläufig   2) vorläufig aus Sonderumfragen                     Sturm                Hochwasser                Hagel         Starkregen
10   KAPITEL EINS: DIE KATASTROPHE

                      neues Ackerland den Flüssen ihren natürlichen        überschwemmen Städte und Landschaften, Dei-
                      Raum nehmen. Die Gründung des Bundesamtes            che brechen. Bewährungsprobe auch für das
                      für Bevölkerungsschutz erfolgt kurz darauf. Länger   Bundesamt für Bevölkerungsschutz. Schmidt-
                      dauert die Einsicht, dass Flüsse ihren natürlichen   Taube: „Wir hatten 2013 erstmals sehr frühzeitig
                      Raum brauchen, sollen sie nicht Städte überfluten.   ein deutschlandweites Bild des Geschehens. So
                      Dass ein Hochwasserschutz auch länderübergrei-       wusste zum Beispiel die Bundeswehr rechtzeitig,
                      fend abgestimmt werden muss. 2007 schafft die        sie könnte gebraucht werden. Als dann in einigen
                      EU-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie erst-       Bundesländern die Sandsäcke ausgingen, konnten
                      mals verbindliche Standards für die Berechnung       wir sehr schnell Nachschub organisieren.“
                      und Veröffentlichung von Hochwassergefahren-
                      karten.                                                 „Der Katastrophenschutz in Deutschland ist sehr
                                                                              gut aufgestellt. Wir haben mit dem Bundesamt
                      Ausgelöst durch die Ereignisse des Juni-Hoch-           für Bevölkerungsschutz eine länderübergrei-
                      wassers 2013 beschließt die Bundesregierung             fende Koordinierungsstelle. Es gibt unzählige
                      ein Nationales Hochwasserschutzprogramm,                ehrenamtliche Helfer, Fachleute verschiedener
                                   2017 ergänzt durch das Hochwas-            Disziplinen werden in die Prävention einbezo-
                                   serschutzgesetz II. Neben dem              gen. Das ist weltweit einmalig. Was ich vermisse,
                                   koordinierten Bau von Deichen              ist der nachhaltige Schutzgedanke in der Politik.
                                   beschließt sie dabei auch neue na-         Politiker denken oft in Legislaturperioden. Einen
                                   türliche Überflutungsgebiete, das          Deich zu bauen dauert länger.“
                                   Verbot neuer Baugebiete und ein
                                   Verbot von Ölheizungen in riskan-          Frank Roselieb
                                   ten Gebieten.

                                    Über 40.000 Einsatzkräfte bun-           Regulierung nach der Katastrophe
                                    desweit 2002; 120.000 sind es
                                    bei der Juni-Flut 2013 im ganzen       Warnmeldungen, Informationen – im Katastro-
                                    Land. Katastrophenfall in acht         phenfall sind sie überlebenswichtig. Der Deut-
     Frank Roselieb                 Bundesländern. Flüsse und Bäche        sche Wetterdienst streut seine Warnmeldungen
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Krisenmanagement der                                                                                      Das Krisenmanagement
deutschen Versicherer                                                                                     der Versicherer verläuft
                                                                                                          nach einem festgelegten
                                    INKRAFTTRETEN KUMULPLAN                                               Plan, dem Kumulplan. Er
                                                                                                          tritt bei verheerenden Na-
                                                                                                          turereignissen in Kraft und
                                                                                                          sichert den betroffenen
                                              Erreichbarkeit                                              Kunden schnelle Hilfe. Die
                                                                               Lagebild
                                              auf allen Ka­                                               verschiedenen Maßnah-
  Versicherer beob-                                                            verschaffen                men greifen ineinander.
                                              nälen sichern
   achten Wetter­-
   ent­wicklungen
                                              Personal                         vor Ort
                                              verstärken                       präsent sein

                                              Zahlungsab-                      Netzwerk an
                                              läufe schnell                    Handwerkern
                                              und effizient                    und Dienstleis-               Schadenbeseiti-
    Eintritt einer                            gewährleisten                    tern aktivieren                gung bis zum
  Naturkatas­trophe                                                                                          Ende begleiten

bundesweit, über alle Kanäle. Die Katastrophen-        Seit dem Orkan Kyrill 2007 aktualisieren die Versi-
schutzbehörden senden detaillierte Informationen       cherungsunternehmen ihre Kumulpläne fortlau-
zum Stand der Dinge – notfalls mit Lautsprecher-       fend. Sie vernetzen sich: Personal aus den nicht be-
wagen oder -booten. Die Versicherungsunterneh-         troffenen Regionen wird zu den Kollegen in die
men informieren ihre Kunden per Warn-Apps,             Katastrophengebiete geschickt. Es muss schnell
schalten in der Kata­strophe zusätzliche Telefone      gehen, der Schaden soll so gering wie möglich blei-
und Internetseiten für Schadenmeldungen frei.          ben und so schnell wie möglich behoben werden.
                                                       Zum bundesweiten Netzwerk gehören auch Hand-
Die Schadengutachter der Versicherungen kom-           werker, auf die die Kunden zurückgreifen können.
men als Zweite – nach den Katastrophenschüt-           Ein unschätzbarer Wert in Katastrophenzeiten, da
zern, deren Job die akute Gefahr ist. Der Job der      Handwerker knapp sind. Weil die Natur mit einem
Versicherer ist das Wiederherstellen. Eigentlich.      Wimpernschlag Unvorhersehbares geschaffen hat.
Wenn das Wasser abgelaufen ist, die Straßen nach
dem Sturm von Bäumen geräumt sind. Erst dann               „Bei Katastrophen kollabiert es außen und in-
werden die Schäden vollends sichtbar und können            nen. Die äußere Zerstörung ist nach einigen Jah-
aufgenommen werden. Doch manchmal sind die                 ren wieder beseitigt. Die Häuser
Schadengutachter bereits mit den Katastrophen-             sind aufgebaut, die Fassaden
schützern vor Ort. Dann legen sie mit Hand an. Sie         sind wieder glatt. Doch hinter
schaufeln Schlamm aus den kaputten Häusern,                den Fassaden, hinter den Fens-
organisieren Lebensmittel für alle.                        tern liegen Trauma, Wut, Trauer
                                                           und Depression. Die Sorge um
Ähnlich den Einsatzplänen der Katastrophenschutz-          diese inneren Schäden der Men-
behörden haben auch die Versicherer sogenannte             schen gehört zum Katastro-
Kumulpläne für den Katastrophenfall. Sie bündeln           phenschutz eigentlich dazu.“
Personal – im Backoffice und vor Ort. Sie verschlan-
ken Vorgänge. Sie schaffen ihre eigene Logistik vor        Prof. Martin Voss
Ort – im Schlamm, in den Trümmern des Sturms.
Sie gehen immer wieder persönlich zu den Men-
schen, nehmen Schäden auf, lösen Zahlungen aus.                                                  Prof. Martin Voss
ERDRUTSCH, ERDSEN KU NG, ERDBEBEN

Die Gefahr aus dem Untergrund
Im Untergrund Deutschlands lauern unsichtbare Gefahren, kaum erkennbar, schwer vorhersagbar.
Tonnenschwere herabstürzende Felsen oder Hunderte Kubikmeter rutschendes Geröll begraben
Menschen, Straßen oder Ortschaften unter sich. Gefahren aus der Erde drohen in vielen Regionen.

„Wasser“, sagt Geologe Dr. Johannes Feuerbach. „Was-     Felsstürze, sagt Feuerbach, kommen am häu-
ser ist das auslösende Element.“ Es sickert in Boden     figsten vor. Tendenz steigend. Oft bereiten
und Felsspalten, weicht das Gestein auf, spült es aus,   Menschen den Boden dafür. Wie in der Ver-
macht es porös. Stetig, lange unbemerkt. Je nach Be-     gangenheit: Während der Industrialisierung
schaffenheit reagiert das Gestein unterschiedlich. Der   sprengen Ingenieure Felsen der Mittelgebirge
Felsen kippt einfach ab. Die weiche Oberfläche gleitet   weg. Sie schaffen Platz für Straßen und Schie-
auf dem glitschigen Untergrund weg. Hunderte, Tau-       nen – und Unsicherheit. Die natürliche Stabi-
sende Kubikmeter Gestein und Erde rutschen dann          lität der Gebirge gerät ins Wanken. Wasser tut
ins Tal. Urplötzliche und zerstörerische Energie.        das Übrige. „Ausschlaggebend für die Höhe
                                                         des Risikos sind zwei Faktoren“, sagt Feuerbach,
Felsstürze, Erdrutsche, Schlamm- und Schuttströme        „die Beschaffenheit des Untergrundes und die
und Erdsenkungen – diese Risiken verbergen sich          Hangneigung.“ Je lockerer das Gestein, desto
deutschlandweit im Untergrund. Johannes Feuer­           leichteres Spiel für die Zerstörungskraft des
bach kennt die Risikozonen. Seit 30 Jahren er-           Wassers.
forscht er die Geologie Deutschlands, leitet eine
Forschungsstelle an der Universität Mainz und das        Erdrutsche sind neben Felsstürzen die zweite
Gutachterbüro geo-international. Straßenämter,           Gefahr aus dem Untergrund. Auch sie neh-
Bahn-Unternehmen, Städte und Gemeinden suchen            men zu. Lockeres Gestein wie etwa Kreide
seine Expertise.                                         oder Sand in der oberen Schicht lässt das
13

                                                         S T I C H W O R T: E R D G E FA H R E N
                                                         Beim Felssturz brechen größere Teile
                                                         einer Bergkuppe oder Bergwand weg.
                                                         Auch stabil erscheinende Felswände
                                                         können betroffen sein, wenn sie von
                                                         Klüften durchzogen sind. Das Gestein
                                                         kann eine Geschwindigkeit von über
                                                         100 km/h erreichen.
                                                         Ein Erdrutsch ist das Abgleiten größerer
                                                         Erd- und Gesteinsmassen, meist ausge-
                                                         löst durch Niederschläge. Das Wasser
                                                         vermindert die Haftreibung zwischen
                                                         vorher gebundenen Bodenschichten.
                                                         Der Hang rutscht ab.
                                                         Eine Erdsenkung entsteht durch das Ein-
                                                         brechen eines natürlichen Hohlraumes
                                                         im Untergrund. Hauptsächliche Ursa-
                                                         che: Subrosion, die Auflösung leicht lös-
                                                         licher Gesteine wie Steinsalz, Gips und
Wasser durchsickern. In der Tiefe trifft es auf          Kalkstein durch Wasser.
wasser­undurchlässigen Ton, staut sich, weicht           Erdbeben sind messbare Erschütterun-
den Ton auf, bis dieser schmierig wie ein Gleit-         gen des Erdkörpers. Sie entstehen durch
mittel wird. Die lockere Oberschicht rutscht weg.        Masseverschiebungen, zumeist als tek-
Rheinland-Pfalz ist eines der Risikogebiete für          tonische Beben infolge von Verschiebun-
Erdrutsche, Baden-Württemberg ein anderes. Die           gen der tektonischen Platten an Bruch-
Erdrutsche bedrohen oder zerstören Ortschaften,          fugen der unteren Erdschichten.
die am Hang siedeln. Auch mit Wein bebaute
Hänge rutschen regelmäßig weg.

VERHEERENDE ERDRUTSCHE
Es beginnt ganz langsam, unmerklich. Die Haus-      Fälle der jüngeren Zeit. So heimtückisch, weil un-
tür klemmt, dann schließen die Fenster nicht        merklich. Manchmal geht es auch rasend schnell:
mehr vollständig. Feine Risse zeigen sich im Fuß-   In Nachterstedt in Sachsen-Anhalt bricht 2009
boden, schließlich wölben sich die Pflastersteine   plötzlich der Hang in einen See. Drei Häuser reißt
in der Auffahrt. Unmerklich rutscht das Haus mit    er mit sich, drei Menschen sterben, 41 weitere ver-
dem Hang hinab ins Tal, drei Zentimeter stünd-      lieren ihre Wohnungen.
lich. Die fünfköpfige Familie wird in Sicherheit
                                                    Im baden-württembergischen Mössingen rasen
gebracht, nur das Notwendigste darf sie auf die
                                                    im Juni 2013 plötzlich 140.000 Tonnen Geröll und
Schnelle mitnehmen. Sie wird nicht mehr in ihr
                                                    Schlamm auf ein Wohnviertel zu. Nur wenige
Haus zurückkehren, die Gemeinde Linz reißt es
                                                    Meter vor den Häusern kommen die Felsen und
aus Sicherheitsgründen ab.
                                                    Steine zum Stehen. Doch der Hang und mit ihm
Der Erdrutsch im rheinland-pfälzischen Linz An-     die Häuser rutschen weiter. 30 Bewohner werden
fang des Jahres 2015 ist einer der verheerenden     evakuiert, die 15 Gebäude sind seitdem gesperrt.
14   KAPITEL EINS: DIE KATASTROPHE

                                                                                                        12,7

     Jährlicher Schadenaufwand für
     Erdgefahren an Wohn­gebäuden
     seit 2006
     in Millionen Euro

                                                                                   4,2    4,5                   4,2    4,3
     Zu den Erdgefahren zählen Erd- und
                                                                           3,5
     Schlammrutsche, Erdbeben und                                                                2,9
     Erdsenkung.                                                  2,1
                                                  1,8     1,6

                                                 2006    2007   2008      2009     2010   2011   2012   2013   2014   2015

     Die schlimmsten Schäden durch Erdgefahren: 10 Millionen Euro
     allein durch Erd- und Schlammrutsche im Jahr 2013.
     Durchschnittsschaden: 19.333 Euro.

                           Feuerbach analysiert die unterirdischen Risiken.          Sechs bis acht Meter hoch sind die Fangzäune,
                           Er begeht zunächst das Gelände, sucht nach                die zum Beispiel entlang des Rheintals stehen.
                           sichtbaren Rissen, Sprüngen. Parallel dazu nimmt          In mehreren Reihen hintereinander, falls einer
                           eine Drohne aus der Luft Radarmessungen vor.              der Stahlkolosse versagt. Viele Meter im Boden
                           Am Computer wertet Feuerbach die Daten aus.               verankert, trägt der Stahl flexible Netze ebenfalls
                           Via 3-D-Modell erkennt er, wo sich Risse, Brüche,         aus Stahl. Die sollen stürzende Felsen und Geröll-
                           Löcher im Gestein zeigen oder wo der Boden                lawinen aufhalten, denn unter ihnen liegen Bahn-
                           nachgibt. Anschließend nimmt er das Gebiet                schienen und Straßen. Solche Schutznetze stehen
                           noch ein zweites Mal persönlich in Augenschein,           im Wert von Hunderten Millionen Euro entlang
                           überprüft die gefährlichen Stellen. Dann gibt er          der Bahntrassen in Deutschland. „Extrem stabile
                           Empfehlungen zum Schutz. Und auch, wo genau               Systeme“, sagt Feuerbach, konstruiert von alpinen
                           und wie vor dem Geröll geschützt werden muss,             Fachfirmen.
                           simuliert er am Computer.

                           Z E R STÖ R E R I S C H E E R D S E N KU N G
                           Die Erde stürzt in sich zusammen. Erdlöcher oder          klafft ein Loch, dann folgen unmittelbar danach
                           Erdsenkungen sind unvorhersagbar, möglich an              zwei weitere. Der Katastrophenschutz muss das
                           allen Orten Deutschlands. Wie im thüringischen            gesamte Gelände – gerade für 600.000 Euro
                           Schmalkalden 2010, mitten auf einer Straße im             saniert – aus Sicherheitsgründen aufgeben.
                           Ort klafft plötzlich ein Krater. Ein Loch so groß wie
                                                                                     Allein in Thüringen gibt es jährlich rund 50 Erd-
                           eine Turnhalle entsteht, ein parkendes Fahrzeug
                                                                                     senkungen. Vielerorts besteht dort der Boden aus
                           stürzt hinein. Menschen und Gebäude bleiben un-
                                                                                     besonders anfälligem Kalkstein. Die Thüringer
                           versehrt.
                                                                                     Landesanstalt für Umwelt und Geologie gibt mit
                           In Nordhausen, auch in Thüringen, reißt die stür-         einem Merkblatt Anweisungen, was zu tun ist:
                           zende Erde 2016 zwei Gebäude auf dem Gelände              „Sofortige Absperrung bis mindestens zwei Meter
                           einer Katastrophenschutzbehörde mit sich. Erst            vom Rand, da Erdfälle nachbrechen können.“
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                                                                                        Erdrutsche können unverhofft auftreten. Wasser
                                                                                        durchweicht das Erdreich, lässt Erdmassen rutschen.

Diese Schutzsysteme müssen sich künftig auch ge-         Die Menschen bereiten auch heute noch den
genüber einer weiteren Gefahr bewähren, die in den       Boden für steigende Risiken. „Wir holzen immer
vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat:              mehr Wälder ab, die einen natürlichen Schutz
Schlammströme. Anders als bei Erdrutschen gleitet        vor Erosion bieten“, sagt Feuerbach. „Immer häu-
dabei nicht die Oberfläche einer Erdschicht kom-         figer siedeln wir in Gebieten, die eigentlich zu
plett ab. Vielmehr reißt extremer Regen Unmengen         riskant sind.“
von Erdkrumen mit sich, löst die völlig durchnässte
Erde, die kein Wasser mehr aufnehmen kann. Ein
Schneeballeffekt: Je mehr Schlamm rutscht, umso
mehr reißt er mit sich. Feuerbach: „Das ist eine sehr
schnelle, sehr extreme Zerstörungskraft.“ Die Fang-           VERSICHERUNGSSCHUTZ BEI
netze aus Stahl sollen die Geröll- und Erdbrocken             E R D G E FA H R E N
auffangen und vom Wasser trennen.
                                                              Risikoschutz bei Erdrutsch, Erdsenkung
                                                              und Erdbeben bietet der erweiterte
Nehmen Starkregen zu, steigen auch die Erdgefah-
                                                              Naturgefahrenschutz (Elementar), den
ren, auch die Erdsenkungen. Bei diesen sogenann-
                                                              Versicherer im Paket mit einer Gebäu-
ten Erdfällen sackt durch Feuchtigkeit porös gewor-
                                                              deversicherung anbieten.
dene Erde einfach in neu entstandene Hohlräume
ab – oft mehrere Meter tief, auch im Flachland.

R I S I KO R E I C H E E R D B E B E N
Erdbeben in Deutschland: Berechnungen von               talgraben gilt als kritisch, die tektonische Platte
Seismologen zeigen, dass mit Erderschütterungen         unterhalb des Rheins zwischen Düsseldorf und der
gerechnet werden kann, die ähnlich zerstörerisch        Grenze zur Schweiz. Einer der jüngsten Fälle: 2014
wirken können wie die verheerenden Überflutun-          bebt etwa in der Nähe von Darmstadt die Erde.
gen oder gewaltigen Stürme. Vor allem der Rhein-        Über 150 versicherte Häuser werden beschädigt.
D I E K A TA S T R O P H E S TA R K R E G E N

Freiräume für die Gefahr
Katastrophenzeit herrscht im Frühsommer 2016 in Teilen Deutschlands. Unmengen an Starkregen über-
schwemmen ganze Orte, reißen Menschen in den Tod und Häuser weg. Zurück bleiben Geröll, Schlamm
und Zerstörung – und ein Jahr danach eine Strategie, wie mit solchen Wassermassen umgegangen wer-
den kann. Ortsbesuch in Simbach, einem der am stärksten zerstörten Orte der Katastrophe von 2016.

Das Wasser fließt friedlich und klar, gefasst in      statistisch nach Auskunft der bayerischen Landes-
einen Brunnen, direkt vor dem Rathaus. Sinnbild       regierung, nur einmal in 1.000 Jahren auftritt.
einer Partnerschaft über Ländergrenzen hinweg.
Simbach auf deutscher, Braunau auf österreichi-          „Im Jahr 1512 kommt es nach einem Hochwas-
scher Seite. Zwei Partnerstädte, getrennt durch          ser zu einem Streit zwischen dem Propst von
den Inn. Die feinen Wasserspiele des Brunnens            Ranshofen und der Gemeinde von Kirchdorf,
verbinden sie.                                           weil durch Verlagerung des Flusses ein Teil der
                                                         Ranshofener Auen weggerissen wurde.“
Es ist nicht der Inn, dessen Hochwasser sie ken-
nen, der am 1. Juni 2016 über die Ufer tritt und         Aus: Die Geschichte der Stadt Simbach
Simbach zum Katastrophengebiet macht, tage-
lang abgeschnitten von der Welt. Es ist der kleine,   Damals schon. 500 Jahre vor dem Hochwasser
schmale Simbach. An regenlosen Tagen schlängelt       vom 1. Juni 2016, das sie in Simbach Jahrtausend-
er sich in einem Betonbett durch die Stadt, unter     Hochwasser nennen, wehrt sich die Natur wider
Dutzend Brücken hindurch. Nach der unvorstellba-      den Menscheneingriff.
ren Regenmenge von fünf Millionen Kubikmetern
Wasser in 13 Stunden tritt er über Rückhalte­         Im Frühsommer 2017 gehen die Kinder der Simba-
becken und Betonmauern und steht in der Innen-        cher Kindertagesstätten regelmäßig zum Simbach.
stadt, 1,70 Meter hoch. Unter einer der Brücken       Sie lassen Blätter und Grashalme hineingleiten
stauen sich mitgespülte Baumstämme. Der Stra-         und schauen zu, wie sie davontreiben. Sie finden
ßendamm birst, das Wasser flutet auch den West-       Kieselsteine und nehmen sie mit. Sie beobachten
teil der Stadt. Eine Überschwemmung, wie sie rein     die Schmetterlinge am Ufer des Baches. Sie suchen
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und finden die andere, die friedliche und schöne       trennt die Straße in zwei Ufer. Auf der einen Seite
Seite des Wassers. Sie sollen sie wieder erlernen.     die versicherten Gebäude. Der Neubau oder die
                                                       Sanierung kurz vor dem Abschluss, Handwerker
Ein rotes Sofa, gerade geliefert. Neu wie das ge-      nehmen die letzten Arbeiten vor. Auf der anderen
samte Haus, wie die Küche, das Bad, Bett und           die Nichtversicherten. Wenn an ihnen überhaupt
Schlafzimmermöbel. Ein paar Sachen zum Anzie-          schon gebaut wird, dann stückweise. Schnelle
hen besitzt Frau Güll noch aus den Tagen vor dem       Begutachtung des Schadens, schnelles Zahlen der
1. Juni 2016. Und ein kleines Nachtschränkchen,        Schadensumme, gute Handwerker, auf die schnell
das sie trotz des Modergeruchs nicht hergeben will.    zugreifbar ist. Von diesen Leistungen ihrer Versi-
Alles andere: weg. Schlamm und Wasser fluten das       cherung hat auch Frau Güll profitiert. „Ohne die
Erdgeschoss. Der Öltank im Keller birst, 6.500 Liter   hätte ich überhaupt nicht noch mal gebaut.“
Öl durchschwemmen mit dem Wasser die Haus-
mauern. „Abriss“ empfiehlt der Gutachter der Ver-      500 Häuser in der Stadt überschwemmt und zer-
sicherungskammer Bayern seiner Kundin. „Das war        stört der Simbach, nur rund ein Drittel davon ist
ein Schock. Ich dachte ja, dass ich nach zwei, drei    versichert. 45 Häuser in der Stadt müssen abgeris-
Wochen wieder einziehen kann“, sagt Frau Güll.         sen werden.
Dann stimmt sie dem Abriss zu. Es ist die einzige
Möglichkeit. „Das wissen wir seit dem Hochwasser          „Durch einen Wolkenbruch schwellen am 22. Juli
in Deggendorf 2013, dass ölverseuchte Gemäuer             1823 die Bäche zu reißenden Strömen an und
nicht mehr zu retten sind“, sagt Günter Selentin,         beschädigen Felder, Gärten und Wohnhäuser.
der Leiter der Sonderschaden Sachversicherung der         Eine Frauensperson ertrinkt bei dem Versuch,
Versicherungskammer Bayern. Das Öl setzt sich in          Vieh aus einem Stall zu retten.“
den Mauern fest, selbst neueste Technologien krie-
gen es nicht raus. Schneller fällt die Entscheidung       Aus: Die Geschichte der Stadt Simbach
zum Abriss und Neubau.
                                                       Am 1. Juni 2016 sterben sieben Menschen, darun-
Das Haus von Frau Güll steht in der Gartenstraße,      ter ein Helfer bei dem Versuch, andere Menschen
die es am schlimmsten erwischt hat an diesem           aus den Schlammfluten zu retten.
1. Juni 2016. Rund einen Kilometer lang, Ein­
familienhäuser links und rechts, mit kleinen Flä-      Im Frühsommer 2017 ist die Stadt halb Baustelle,
chen hinter dem Haus, die mal Gärten waren. Die        halb ungenutzte Kulisse. Bagger reißen noch im-
Flut schlägt noch ein Jahr danach eine Schneise,       mer Häuser ab und richten Straßen wieder her.
18   KAPITEL EINS: DIE KATASTROPHE

                   An vielen Häusern der abgeklopfte Putz, bis über       passt sich an, schafft Raum für das Wasser, räumt
                   die Fenster der Erdgeschosse hinweg. Viele Häuser      Barrieren aus dem Weg. Am 1. Juni 2016 müssen
                   stehen leer, sind gesperrt. An anderen leer stehen-    sie den Deich zum Inn durchstechen, damit die
                   den Häusern klebt „Zu verkaufen“.                      Simbacher Fluten in den Hauptfluss abfließen
                                                                          können. Jetzt bekommt der Simbach seinen eige-
                   Bürgermeister Klaus Schmid spricht von „Auf-           nen Auslauf, durch die Stadt.
                   bruchstimmung“. Nach den langen Monaten, da
                   die Häuser trocken werden müssen, kehren die           Zwischen dem Bach und dem Bürgerhaus liegt der
                   Menschen allmählich nach Simbach zurück. Die,          Stadtpark. Eine kleine hügelige Grünfläche, ein
                   die aus ihren Notquartieren und -wohnungen zu-         Jahr nach der Flut noch nicht wieder zu wirklichem
                   rückkehren wollen. „Gespenstisch“ sei der Winter       Grün gekommen. Von hier aus soll sich ein Grün-
                   im halb leeren, halb kaputten Simbach gewesen,         zug entlang des Wassers durch die ganze Stadt
                   sagt Schmid. Nun allmählich füllt sich die Stadt       ziehen. Keine Betonmauern grenzen den Simbach
                   wieder. Im Eiscafé sitzen Kinder und ältere Leute in   mehr ein und lassen ihn bei Hochwasser schneller
                   der Nachmittagssonne. In der Sonderausstellung         fließen, begrüntes Ufer gibt ihm notfalls Auslauf-
                   „Die Jahrtausend-Flut“ im Bürgerhaus betrachtet        fläche. Ein Radweg begleitet den Grünzug – die
                   eine Seniorengruppe die Bilder vom 1. Juni 2016.       Natur wird wieder erfahrbar. Der Stadtpark selbst
                   Das Bayerische Rote Kreuz ist täglich in den Flut-     dient im Notfall als Auffangbecken für das Was-
                   gebieten unterwegs und bietet psychosoziale Be-        ser. Einige der überschwemmten Gebäude direkt
                   treuung. Aufbruchstimmung und Trauma liegen            am Bachufer hat die Gemeinde bereits gekauft.
                   Straße an Straße.                                      Sie dürfen nicht wieder besiedelt werden. Da, wo
                                                                          Straßen am Bach neu gebaut werden mussten,
                   Aufbruchstimmung. Es ist ein Aufbruch in eine          hat das Wasser bereits mehr Raum bekommen –
                   neue Stadt, die mit diesem Hochwasser lebt und         weiche Hänge aus Erde und Steinen stehen dort
                   in der alte und neue Bewohner auch bei Regen           statt der steilen Mauer. Welche zusätzlichen Auf-
                   „wieder entspannt zum Himmel schauen sollen“,          fangbecken gebraucht werden, wie die Straßen als
                   wie Bürgermeister Schmid sagt. Aufbruch in eine        Abflusswege des Wassers genutzt werden können,
                   bessere Stadt und einen besseren Schutz. Stadt-,       all das ist derzeit in Planung. „Innerhalb der nächs-
                   Grün- und Verkehrsplaner entwerfen gemeinsam           ten zwei Jahre werden wir das meiste realisiert
                   mit den Bürgern diesen besseren Schutz. Die Stadt      haben“, sagt der Bürgermeister.
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   „1954. Einem Wildbach gleich wälzen sich die         sammelt er kurzerhand alle Post in seiner Agentur
   braunen Wassermassen durch die Stadt. Von            und bringt sie zu den Menschen. Ein Stück Sicher-
   der Bach- bis zur Inn- und Gartenstraße über-        heit. Nach und nach, sagt der Versicherungsfach-
   schwemmt der Simbach alle Straßen und richtet        mann, klingeln die Telefone nicht mehr für Scha-
   großen Schaden an.“                                  denmeldungen oder Bauarbeiten. Die Menschen
                                                        rufen an, weil sie für ihre Häuser eine Elementar-
   Aus: Unser Simbach                                   schadenversicherung abschließen wollen.

„Ein Stück Sicherheit“ steht auf der Visitenkarte von   Frau Güll feiert in ihrem neuen Haus ein Einwei-
Versicherungsfachmann Bernhard Garhammer,               hungsfest – Bauleiter, Versicherer, Nachbarn sind
Versicherungskammer Bayern. „Langsam kommen             eingeladen. Das Haus wird mit Fernwärme aus
wir zur Ruhe“, sagt Garhammer im Frühsommer             Geothermie beheizt, wie viele Häuser künftig in
2017. Die 200 Häuser mit Schäden sind weitest           Simbach – ein Gemeinschaftsprojekt mit der ös-
gehend wieder aufgebaut. In Besuchen auf den            terreichischen Partnergemeinde Braunau. „Eine
Baustellen und in Telefonaten erfährt Garhammer         Ölheizung kommt mir nicht mehr
den neuesten Stand. Garhammer ist wie seine             ins Haus“, sagt Frau Güll.
Kollegen der Versicherungsunternehmen Wochen
nach der Flut ständig unterwegs. Als Berater, als Be-
treuer, auch als Postbote: Weil seinen Kunden mit
den Häusern auch die Briefkästen wegschwimmen,

                                                                                                             Nürnberg

       Braunsbach: Flut und Chance                                                           Braunsbach

                                                                                           Stuttgart
                                                                                                                 B AY E R N
       Der Ort Braunsbach beginnt nach der Starkregen-Katastrophe 2016,
                                                                                         BADEN-                               Simbach
       wie das bayerische Simbach, wie viele zerstörte Gemeinden sein
                                                                                       WÜRTTEMBERG
       Leben von vorn. „Flut und Chance“ nennt der Bürgermeister das Wie-                                      München

       deraufbauprogramm. Auch das neue Braunsbach soll lebenswert
       sein – und verheerenden Unwettern widerstehen können.

       Am 29. Mai 2016 schwellen die Bäche im baden-würt-           Wie das baye-
       tembergischen Braunsbach an. Wassermassen, die              r­ische Simbach setzt auch
       Schlamm und Geröll mit sich führen, begraben den Ort         Braunsbach auf Anpassung an Unwetterextreme. Das
       unter sich. Hunderte Häuser, unzählige Fahrzeuge und         Braunsbacher Aufbauprogramm trägt den Titel „Flut
       die Infrastruktur sind weitestgehend zerstört. Wochen,       und Chance“. In mehreren Projektgruppen schaffen Pla-
       Monate, Jahre des Wiederaufbaus werden folgen. Die           ner, Bauleute und Bürger gemeinsam einen Ort, der sich
       meisten Häuser haben Versicherungsschutz. Sie sind           den Naturgewalten anpasst. Orlacher Bach und Schloss-
       ein Jahr nach der Flut größtenteils wieder errichtet und     bach, die beiden Flüsschen, die unter dem Starkregen
       bewohnbar. Infrastruktur und öffentliche Einrichtungen       anschwollen und Geröll und Schlamm in den Ort brach-
       brauchen länger. „Drei bis fünf Jahre“, schätzt Bürger-     ten, erhalten Rückhaltebecken, die künftig Wassermas-
       meister Frank Harsch, braucht Braunsbach, bis es wieder     sen aufnehmen können. Ihre Betonmauern werden ent-
       ein funktionierender, lebendiger Ort ist.                   fernt. Straßen an den Flüssen werden als Wasserabläufe
                                                                   ausgelegt und zugleich barrierefrei. Geröllfänge an den
       Braunsbach wird ein neues, anderes Braunsbach. Die           umliegenden Hängen sollen künftig das Herabstürzen
       2.500-Einwohner-Gemeinde in einer Tallage behält             von Steinen und Erdreich verhindern.
       ihren Charakter als schmucker Fachwerkort. Und sie
       geht mit der Zeit und passt sich den Naturgewalten an.      „Flut und Chance“ – auf dem völlig zerstörten Markt-
       Harsch: „Wir müssen die Natur respektieren, wie sie ist –   platz des Ortes soll künftig ein Dokumentationszentrum
       auch wenn das bitter sein mag.“                             über Naturschutz und Naturgewalten informieren.
LAN DWI RTSC HAFT

Die Katastrophe fürs Korn
Für Landwirte können Hitze, Hagel und Überschwemmung existenzbedrohende Katastrophen sein.
Welche Auswirkungen Naturgewalten auf Getreide, Kartoffeln und Mais haben und wie sich Landwirte
den Risiken anpassen können.

Beregnungsrohre ragen über dem Boden. Sie be-               hin zum Totalausfall sind die Folge. Dürre ist eine
wässern die staubtrockenen Äcker, in denen die              Katastrophe, die sich überregional ausbreitet und
Kartoffeln stecken, eigentlich bereit zur Ernte.            Landwirte in vielen Regionen schädigt. Auch in
Doch der Boden, nach wochenlanger Hitze hart                Deutschland. Feldfrüchte im Wert von 1,6 Milliar-
getrocknet, gibt die Kartoffeln nicht her. Im August        den Euro vernichtet allein die Dürre-Katastrophe
und September 2016 herrscht auf vielen Äckern in            2003; zehn Jahre zuvor sterben Pflanzen im Wert
Deutschland dieses ungewohnte Bild. Die Kartof-             von 2,1 Milliarden Euro in der Trockenheit ab. Dürre
feln werden künstlich be-                                                       ist eine zunehmende Gefahr.
regnet, damit sie geerntet                                                      Die Zahl der Hitzetage – der
werden können. „So etwas              „Die zunehmenden Wetter­                  Tage mit Temperaturen über
gab es seit 25 Jahren nicht“,         extreme infolge des Klima­                30 Grad – wird mit dem Klima-
sagt Dr. Horst Gömann,                                                          wandel zunehmen. Eine Studie
                                      wandels sind für Landwirte
Fachbereichsleiter in der                                                       im Auftrag des Bundesland-
                                      die größten Risiken. Je nach
Landwirtschaftskammer                                                           wirtschaftsministeriums, die
                                      Zeitpunkt und Pflanzenkul­
Nordrhein-Westfalen. Der                                                        Experte Gömann leitete, sagt
Ertrag des Jahres liegt rund
                                      tur kann es bis zu Totalaus­              ein Mehr an Hitzetagen vor al-
fünf Prozent unter dem                fällen kommen.“                           lem für den Süden und Osten
Bundesdurchschnitt. Viele             Dr. Horst Gömann, Fachbereichs­           Deutschlands voraus.
Kartoffeln sind nur als               leiter Landbau der Landwirtschafts-
                                      kammer Nordrhein-Westfalen
Viehfutter geeignet.                                                            Im Sommer 2016, nur wenige
                                                                                Wochen vor der Trockenheit,
Auch wenn die Trockenheit                                                       vernichten Starkregen und
im Spätsommer 2016 vergleichsweise glimpflich               Überschwemmung vor allem Pflanzen kurz vor
abläuft – Dürre ist die verheerendste Gefahr für            der Ernte – das Sommergetreide, den Mais, auch
Landwirte. Pflanzen können in solchen Hitzeperi-            den kostbaren Spargel. Stehen Äcker und Felder
oden keine Nährstoffe mehr aufnehmen. Sie hören             unter Wasser, dann ersticken die Pflanzen, weil sie
auf zu wachsen, vertrocknen. Ernteschäden bis               in Schlamm und Wasser keinen Sauerstoff mehr
D I E L A N D W I R T S C H A F T-
     L I C H E M E H R G E FA H R E N -                                                                                   21
     VERSICHERUNG

     Die Landwirtschaftliche Mehrge-
     fahrenversicherung ist ein um-
     fassender Risikoschutz vor den              Landwirtschaftliche Hagelversicherung: Schadenaufwand 1980 – 2016
     Folgen von Hagel, Starkregen,               in Millionen Euro
     Sturm und Überschwemmung. In
                                                 200
     vielen Ländern der Welt erhalten
     Landwirte staatliche Zuschüsse
     für eine solche Versicherung. Um            150
     deutsche Landwirte vor einem in-
     ternationalen Wettbewerbsnach-              100
     teil zu schützen, fordern Experten
     der Branche und Versicherungs-
                                                 50
     unternehmen eine staatliche För-
     derung auch in Deutschland.

                                                      1980    1985     1990     1995     2000      2005     2010   2015

Derzeit sind in Deutschland acht Millionen Hektar landwirtschaftlicher
Kulturen im Wert von 20 Milliarden Euro gegen Hagel versichert.
Das sind etwa 72 Prozent der Ackerfläche – Tendenz steigend.

aufnehmen. Ist das Wasser abgeflossen, bleibt ver-          „Zur Absicherung vor großen Katastrophen wird
dorbenes Grün zurück, das aufwendig entsorgt wer-           eine Versicherung immer notwendiger“, sagt
den muss. Modernder Abfall statt                                                   Dr. Hans Feyen, Mitglied des
Ernte – auch von Überschwem-                                                       Expertennetzwerks Land-
mungen droht deutschen Land-               „Für einen umfassenden                  wirtschaft  des GDV. Bisher
wirten zunehmend Gefahr.                                                           sind deutsche Landwirte vor
                                           und bezahlbaren Versiche­
                                                                                   allem vor Hagelschäden ge-
                                           rungsschutz benötigen
„An den allmählichen Tempe-                                                        schützt, einen umfassenden
                                           die Landwirte finanzielle
raturanstieg können sich Land-                                                     Risikoschutz auch vor ande-
wirte anpassen“, sagt Gömann
                                           Förderung durch den                     ren Naturgewalten besitzen
mit Blick auf den Klimawandel.             Staat. Diese Förderung ist              die wenigsten. Feyen: „In
Sie pflanzen zum Beispiel wider-           in zahlreichen Ländern                  der Regel macht ein Land-
standsfähige Sorten, schützen              üblich, in Deutschland                  wirt jährlich rund 200 bis
mit Ganzjahresbepflanzung                  bisher nicht.“                          300 Euro Gewinn pro Hektar.
den Boden vor Erosion und mit              Dr. Hans Feyen, Expertennetz-           Damit ist eine Mehrgefah-
Mischkulturen die Bodenqualität.           werk Landwirtschaft des GDV,            renversicherung aus eigener
                                           Swiss Re                                Kraft schwer finanzierbar.“
Verheerende Gefahr für Ernte                                                       Das Problem haben andere
und Existenz droht durch die zu-                                                   Länder für ihre Landwirte
nehmenden Wetterextreme: Neben Dürre und Über-              längst gelöst. In Spanien und Italien beispielsweise
schwemmung auch durch Hagel und durch Fröste,               wird der Versicherungsschutz zu 60 Prozent staat-
die viele Pflanzen mitten in der Blüte treffen. Die         lich gefördert, in den USA zu rund 50 Prozent. Um
Studie „Landwirtschaftliche Mehrgefahrenversiche-           Wettbewerbsnachteile für deutsche Landwirte zu
rung für Deutschland“ des GDV beobachtet in den             vermeiden, plädieren in Deutschland die Landwirte
vergangenen 25 Jahren eine Zunahme der Schäden.             selbst sowie Experten der Branche für eine staatli-
Durchschnittlich liegt der Schaden in der Landwirt-         che Förderung.
schaft bei rund 500 Millionen Euro jährlich.
22   KAPITEL EINS: DIE KATASTROPHE

                           VERSICHERUNGSSCHUTZ

                           „Wir rechnen mit Jahrhundert-Hochwassern.“
                           Risikogerechter Versicherungsschutz basiert auf präzisen Kalkulationen der Versicherungsunter­
                           nehmen. Wie berechnet sich der Schutz, welchen Einfluss haben verheerende Naturereignisse?
                           Die Experten Dr. Gerald Sussmann, Versicherungskammer Bayern, und Dr. Matthias Land, Gothaer
                           Versicherung, geben Einblicke in die Zahlenwelt hinter der Versicherungspolice.

                                           Herr Dr. Sussmann, Herr Dr. Land,    Selbstverständlich verfügt jeder Versicherer auch
                                           wie berechnen Sie den Versiche­      über eigene Schadenerfahrungen. Mit diesen
                                           rungsschutz für Wohngebäude          passen Versicherer die Zahlen des Verbandes ih-
                                           vor Naturgefahren?                   rem Portfolio an. Schließlich möchte jedes Unter-
                                           Dr. Sussmann: Dafür berechnen        nehmen den Kunden eine attraktive Prämie bie-
                                           wir zunächst den sogenannten         ten – und da sollte man die Besonderheiten der
                                           Erwartungswert eines Schadens,       unterschiedlichen Regionen Deutschlands mitbe-
                                           einen Mittelwert. Dafür müssen       rücksichtigen.
                                           wir folgende Fragen beantworten:
                                           Mit welchen Schadenhöhen ist         Katastrophen wie das August-Hochwasser 2002
                                           zu rechnen? Und wie oft treten       oder das Juni-Hochwasser 2013 verursachten meh­
     Dr. Gerald Sussmann                   diese ein? Das ist abhängig von      rere Milliarden Euro versicherter Schäden. Wie kal­
                                           der Naturgefahr – ob Sturm oder      kulieren Sie solche Katastrophen?
                                           Überschwemmung – und von             Dr. Sussmann: Dafür gibt es den Faktor der Ex­
                                           Lage und Art des betreffenden        tremwert-Berechnung, zum Beispiel: Mit wie viel
                                           Gebäudes. Ist es ein Hochhaus,       Schäden müssen wir bei einem sogenannten Jahr-
                                           ein Einfamilienhaus, liegt es am     hundert-Hochwasser rechnen? Gemeinsam mit
                                           Fluss oder am Hang? Für jedes Ge-    dem Erwartungswert eines Schadens und der Ri-
                                           bäude in Deutschland lässt sich so   sikozone bildet dieser die Grundlage für den risiko-
                                           die Wahrscheinlichkeit für Über-     gerechten Versicherungsschutz. Die Wahrschein-
                                           schwemmung und Hochwasser            lichkeitsberechnungen für den Extremwert-Faktor
                                           berechnen.                           sind so stabil, dass einzelne Katastrophen sie kaum
                                                                                verändern. Das ist auch notwendig, damit wir den
                                          Wie ist diese Präzisierung mög­       Kunden verlässliche Versicherungsprämien anbie-
                                          lich?                                 ten können.
     Dr. Matthias Land                    Dr. Sussmann: Wir gruppieren die
                                          Wahrscheinlichkeit von Hochwas-       Dr. Land: Extremereignisse wie 2002 oder 2013
                           ser und Überschwemmung zum Beispiel in gering,       liefern darüber hinaus wichtige Erkenntnisse, um
                           mittel und hoch. So lässt sich jedes Gebäude einer   die lokalen und regionalen Risikozonen präzisieren
                           der sogenannten Risikozonen zuordnen.                zu können. Und die Versicherer erhalten mehr Wis-
                                                                                sen, damit sie sich noch genauer auf die Risikolage
                           Woher stammen die Daten für Ihre Berechnungen?       einstellen können.
                           Dr. Land: Für die Berechnungen des Erwartungs-
                           wertes brauchen wir die Daten langer Zeiträume,      Was bedeutet das im Detail?
                           damit sie verlässlich sind. Die Basis bilden die     Dr. Land: Versicherungsunternehmen wollen und
                           Statistiken des Gesamtverbandes der Deutschen        müssen jedem Einzelnen ihrer Kunden auch im
                           Versicherungswirtschaft. Diese bieten einen Über-    Katastrophenfall die ihm zustehenden Leistungen
                           blick über Zahl und Höhe der versicherten Schäden    auszahlen. Dazu müssen sie über ausreichend Risi-
                           durch einzelne Naturgefahren und die Anzahl der      kokapital verfügen, damit sie die Schäden erstatten
                           versicherten Gebäude – deutschlandweit.              können. Je mehr reale Überschwemmungsdaten
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