DVB-T2 muss kommen Tower Overlay könnte Brücke zwischen Broadcast und Mobilfunk schlagen - NET-im-web
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MODERNE MEDIENVERSORGUNG DVB-T2 muss kommen Tower Overlay könnte Brücke zwischen Broadcast und Mobilfunk schlagen Rainer Bücken 2017 wollen ARD und ZDF den Um- stieg von DVB-T nach DVB-T2 begin- nen und ihn bis 2020 abgeschlossen Das terrestrische Fernsehen über haben. Allerdings würden dann die jetzigen DVB-T-Geräte funktionslos. DVB-T steckt in der Krise. RTL zum Und nicht nur die. Selbst derzeitige DVB-T2-Empfänger – ob eingebaut Beispiel hat seinerseits diese oder als Set-Top-Box – blieben bild- Versorgungsart in einigen Gebieten und tonlos. Denn beide Sender setzen für den Umstieg auf die neue Video- bereits aufgekündigt. Andererseits codiertechnik HEVC (= H.265 oder MPEG-H), mit der die Videocodiereffi- ließen sich die Mediengruppe RTL zienz gegenüber H.264 bzw. MPEG-4 Deutschland und ProSiebenSat.1 in nochmals um 50 % gesteigert werden könnte. Um „nicht zu kurz zu sprin- Nordrhein-Westfalen ihre gen“, wie eine Pressesprecherin der Übertragungslizenzen bis 2019 ARD gegenüber NET betont. gerade verlängern. Dabei hält selbst Bis zu acht HD-Sender auf Noch müssen die großen Fernsehtürme nicht gefällt werden. Sollte es aber nicht zu DVB-T2 Media Broadcast als einem Kanal kommen und würden sich die Privaten aus die- ser Versorgungsart zurückziehen, könnte das Sendernetzbetreiber eine Migration Während sich mit dem „alten“ DVB- Szenario zumindest fürs Fernsehen so kommen. T2 auf Basis der bisherigen Codier- Allein für den Hörfunk rechnen sich die Tower nach DVB-T2 für zwingend. technik H.264/MPEG-4 AVC in einem nicht terrestrischen 8-MHz-Kanal nur vier (Foto: Stihl Timbersports/Fotograf: Sebastian Marko/Sportler: Robert Ebner/Archiv: Rainer HD-Programme übertragen lassen, Bücken) können es mit HEVC bis zu acht sein. Dieses frequenztechnische Einsparpo- handelt. Seine Abkündigung der digi- tenzial betrifft auch SD-Programme. talen SD-Programme für den 2. Sep- Die Simulcastphase von DVB-T und tember kommt vielen ungelegen – DVB-T2 soll aus Kosten- und Zeitgrün- selbst 50 Jahre nach Beginn der den kurz ausfallen, um die Terrestrik HDTV-Entwicklung überhaupt. künftig möglichst nur noch hochauf- lösend laufen zu lassen. Doch längst Private ringen um denken die öffentlich-rechtlichen Finanzierungsmodell Broadcaster an ein generelles Ende des Fernsehens in Standardauflösung, Da im Koalitionsvertrag erstmalig Fre- auch über Satellit. Da z.B. ARD und quenzsicherheit auch für die Terrestrik ZDF (fast) alle ihre Programme über erwähnt wurde, gibt es nun nach An- Satellit im digitalen Simulcast, also so- ke Schäferkordt, u.a. Geschäftsführe- wohl in SD mit DVB-S als auch in HD rin der Mediengruppe RTL Deutsch- mit DVB-S2 übertragen, würde die land, „die Bereitschaft, noch einmal Abschaltung des Standardfernsehens zu diskutieren“. Zudem stünde mit zu enormen Einsparungen führen. DVB-T2 ein technischer Standard zur Vorausgesetzt, die Privaten machen Verfügung, der sinnvolle Geschäfts- mit – und sparen mit. Der belgische modelle für die übertragenden Sender Kabelnetzbetreiber Telenet will dies ermögliche. „Wir sind in Diskussion demnächst schon mal praktizieren – mit Media Broadcast, und in den Rainer Bücken ist freier Journalist in Berlin und hat sich heftige Proteste einge- nächsten Wochen und Monaten rech- NET 5/14 21
DVB-T2 muss kommen ne ich hier mit ersten Erkenntnissen“, scheint. Trotzdem könnte es sinnvoll Beides könnte in Zukunft verbunden ist Schäferkordt sicher. sein, Handys oder Tablet-PCs mit ei- werden, sowohl Broadcast-Dienste, Doch noch sind es Gedankenspiele. nem TV-Empfangsteil auszustatten. also Live-Videos in hoher Qualität, als So müssen die privaten Programmver- Doch solche mobilen Handy- oder Ta- auch individueller Online-Verkehr über anstalter erst entscheiden, ob und mit blet-Fernseher werden aus verschie- die Mobilfunkzellen, die dann nicht welchem Finanzierungsmodell sie den denen Gründen nicht hergestellt, vor mehr unter der Last zusammenbre- Umstieg zu DVB-T2 mitmachen. allem wollen die Netzbetreiber dies chen. „Es müssen die Stärken der bei- Schließlich ist es für sie wenig sinnvoll, nicht. Mehr noch. Das sog. Handy- den Techniken zusammengebracht terrestrisches HDTV zum Nulltarif an- Fernsehen ist hierzulande out. Worte werden, Broadcast und Mobilfunk“, zubieten, wenn auf der anderen Seite beschreibt Reimers die Aufgaben der Nutzer für den Empfang in höherer nächsten Zeit. Dazu sollen von den Qualität über Satellit und Kabel wie bisherigen Fernsehtürmen künftig mit HD+ zusätzlich zu zahlen haben. nicht nur DVB-T2 übertragen werden, Unklar noch, ob es bei einer immer sondern für künftige Smartphones noch nicht endgültig auszuschließen- und Tablet-PCs auch die Signale einer den DVB-T2-Abstinenz der Privaten Weiterentwicklung der neuesten LTE- überhaupt ein DVB-T2-Engagement Generation (LTE – Long Term Evoluti- der Öffentlich-Rechtlichen gibt. Denn on), nämlich LTE-Advanced. Hierzu ein reiner DVB-T-Betrieb scheint auf sollen vor allem durch Trägerbünde- Dauer nicht zeitgemäß. lung (Carrier Aggregation) Datenraten bis 500 Mbit/s und mehr möglich wer- DVB-T2-Umstieg allein reicht Prof. Reimers vom IfN der TU Braunschweig mit den. So könnten lineare und nichtli- seinen Mitarbeitern Daniel Rother (Mitte) und neare Inhalte auf einem Gerät vereint nicht Stefan Ilsen (rechts) während der IBC im ver- werden, letztere natürlich auch mit gangenen Jahr (Foto: Bücken) Doch mit dem Umstieg auf DVB-T2 al- Rückkanal. lein ist es nicht getan. Zwar erreichen wie DVB-H, DMB oder MFD mit Wat- „Für die TV-Übertragung und den ARD und ZDF damit die immer wieder cha tun nur noch weh. Zu viel Geld Mobilfunk gibt es eben zwei unter- postulierte übertragungstechnische wurde in den Sand gesetzt, zu viele schiedliche Netze, nämlich HTHP und Unabhängigkeit, die in den letzten Hoffnungen enttäuscht. LTLP, also High Tower – High Power Jahren durch das Vorgehen von Kabel In Japan hingegen gehört die sog. und Low Tower – Low Power”, so Ale- Deutschland & Co. vor allem für die ISDB-T-1Seg-Technik zur häufig ge- xander Schertz vom Institut für Rund- Zuschauer auf der Strecke geblieben nutzten Regelausstattung der dorti- funktechnik (IRT) kürzlich während ist. Noch ist aber nicht gewiss, dass gen Smartphones. Tablet-PCs sind so- eines Vortrags. Unterschiede auch in sich die Zuschauer auch neue Set-Top- gar schön öfter mit sog. Full-Seg-HD- der Höhe der Sender – meist über Boxen anschaffen. ISDB-T-Empfangsteilen, also auch für 100 m einerseits und auf Hausdä- Prof. Ulrich Reimers, Vizepräsident der Full-HD ausgestattet. Für ISDB-T haben chern andererseits –, der Leistung pro TU Braunschweig, sieht die Zukunft sich übrigens u.a. auch Brasilien, Ar- Sender mit 100 kW gegenüber 1 kW, des terrestrischen Fernsehens nicht gentinien und Chile ausgesprochen. Senderabstand 50 km gegenüber nur wegen der schwindenden Akzep- 1 bis 5 km. tanz getrübt: „Immer mehr Nutzer Flächendeckender, stabiler Tendenzielle Vorteile der beiden Netz- schauen mit ihren Tablets und Smart- Empfang notwendig arten sind preisgünstigere Versorgung phones Videos aus dem Internet. Und aufgrund der geringeren Senderzahl nun stelle man sich vor, dass bei der Immerhin – mit kleinen externen DVB- auf der einen und des geringeren nächsten Fußball-WM die Menschen T-Empfängern lassen sich auch hierzu- Spektrumsbedarf auf der anderen Sei- auf den Tablets diese Spiele live sehen lande bestimmte Smartphones und te. Zudem können die Verbreitungsar- wollen. Dann kann es durchaus sein, Tablet-PCs zumindest DVB-T-tüchtig ten auch differenziert werden – ent- dass bis zu acht verschiedene Live- machen. Diese Lösung ist immer noch weder eine Verbindung für alle Nutzer Streams in den 30.000 Netzzellen ei- deutlich preiswerter als das parallele bzw. eine Nutzergruppe (Broadcast/ nes jeden der vier Mobilfunkbetreiber Streamen linearer Programme über Multicast) oder eine eigene Verbin- angefordert werden. Und dann sollte Mobilfunknetze. Trotzdem wäre es dung für jeden Nutzer (Unicast). Für man bedenken, dass ein gutes Bild sinnvoll, mit „normalen“ Handys oder TV-Übertragungen ab drei gleichzeiti- mit einem guten Ton durchaus pro Ta- Tablet-PCs auch ohne „angeschnallte gen Anwendern pro Zelle ist Broad- blet 1,4 Mbit/s erfordert. Bei einer Zusatztechnik“ neben dem individuel- cast/Multicast vorzuziehen, während derartigen Last müssen die Mobil- len Internetverkehr auch noch TV-Pro- nur ein bis zwei gleichzeitige Nutzer funkzellen überlastet sein. Und das gramme zu empfangen, um große pro Zelle mit Unicast besser bedient kann es doch nicht sein.“ Veranstaltungen live und gleichzeitig sind. Für das Broadcasting für Mobil- Kann es auch nicht, selbst wenn man- zu erleben – und nicht per Abruf von funkgeräte bieten sich verschiedene chem Reimers Szenario übertrieben jedem Nutzer einzeln. Lösungen an. 22 NET 5/14
DVB-T2 muss kommen Tower Overlay die Signalisierungsinformationen für Mobilfunknetzbetreiber sollten nicht die Umschaltung auf die Broadcast- länger auf immer kleinere Zellen set- Auf der International Broadcasting Programme der großen Zelle. Dabei zen, sondern über eine Servicediffe- Conference (IBC) in Amsterdam zeigte können alle Mobilfunknetzbetreiber renzierung nachdenken – in den groß- das IfN im Herbst vergangenen Jahres diese Overlay-Technik gleichzeitig nut- flächigen Netzen den zu broadcasten- eine digitale terrestrische Fernseh- zen – und müssen nicht parallel die- den Live-Video-Content und in den übertragung nach dem DVB-T2-Stan- selben Programme übertragen. Mobilfunkzellen die Individualkom- dard, allerdings um einen speziellen Doch diese Signalisierung muss welt- munikation wie E-Mail-Abrufe und in- LTE-Advanced-Signalanteil erweitert. weit standardisiert sein. „Dann errei- dividuelle Youtube- oder Mediathe- Der DVB-T2-Standard entstand 2007, ken-Videos. Und die Broadcaster sind und schon damals wurden sog. Future aufgerufen, Mobilfunker in ihre Netze Extension Frames (FEF), gewisserma- zu lassen.“ So könnte es zu einer ßen informationstechnische Lücken, funktechnischen Symbiose von linea- für das LTE-Signal eingeplant. „Diese ren und nichtlinearen Medieninhalten Future Extension Frames sind ein kommen – vorausgesetzt, DVB-T2 Schuhlöffel für die Zukunft, damit kommt wirklich. weitere Techniken möglich werden, Doch Reimers Vorschlag hat auch Kri- wie Tower Overlay eben“, so Reimers. tiker. So befürchtet IRT-Mann Schertz, Und weiter: „Ein übliches DVB-T2- dass der Rundfunk wieder mehr Spek- Gerät merkt gar nicht, dass innerhalb trum benötigt, was konträr zur aktu- Sony bietet u.a. in Japan gleich mehrere Tablet- des normalen Datenstroms etwas an- PCs mit Full-Seg-TV-Support an – für freien ter- ellen Politik sei. Und gibt es kein wei- deres, z.B. LTE, eingebettet ist. Man restrischen HDTV-Empfang (Foto: Sony) teres Spektrum, müssten Programm- sieht DVB-T2 völlig ungestört.“ angebot und/oder die Qualität redu- Wird das DVB-T2-Signal mit LTE-Sig- chen die Broadcaster auf direktem ziert werden. Schließlich ist recht nalen aufgefüllt, bleibt die Bildqualität Wege auch Tablet-PCs und Smartpho- wahrscheinlich, dass der Bereich von unbeschädigt, aber die Zahl der Pro- nes, die Mobilfunknetzbetreiber ent- 694 bis 790 MHz für Mobilfunknetz- gramme reduziert sich je nach Um- lasten ihre eigenen Mobilfunkzellen betreiber und andere Nutzer geräumt fang der LTE-Anteile, wobei die Kapa- und Infrastrukturen und die Geräte- wird, wie es der aktuelle Koalitions- zitäten gegeneinander skaliert, also hersteller können weiterhin für den vertrag vorsieht. Schertz plädiert indes verschoben werden können. Wird an- Weltmarkt liefern, ohne dass sie auf für Beibehaltung des Status quo bis fangs mehr DVB-T2 gewünscht, kann spezifische nationale oder regionale 2020, damit der Umstieg nach DVB- das Verhältnis durchaus 70:30 betra- Standards für das Fernsehen Rück- T2 konfliktfrei möglich werde. Dabei gen. Und umgekehrt: Broadcaster sicht nehmen müssen“, fasst Reimers sehen selbst die Mobilfunker im Mo- könnten ihren Anteil immer weiter zu- die Vorteile von Tower Overlay zusam- ment keine weiteren Frequenzbedar- rückfahren, im Extremfall gar auf Null. men. „Wir haben hier eine Brücke fe: Ersteigern und Ausbau kosten. „Dann gibt es eben nur noch LTE-Ad- zwischen den Broadcast- und den Als Gegenpol zu Tower Overlay gibt es vanced+ über die Broadcast-Schiene“, Mobilfunkwelten gebaut.“ Das Mo- unter dem Kürzel eMBMS (Enhanced erklärt Reimers. bilfunk-Geschäftsmodell soll dabei in Multimedia Broadcast Service) eine Ein Haken: Während die „normalen“ keinster Weise angekratzt werden, reine LTLP-Lösung. Dann arbeiten die DVB-T2-Fernsehgeräte nur den reinen nur müssten die Mobilfunknetzbetrei- LTE-Mobilfunknetze im sog. Broad- DVB-Anteil verstehen und den Rest ber die zusätzlichen Infrastrukturen cast-Modus, was aber zu rund neun- ignorieren, können LTE-Advanced-Ta- betreiben oder anmieten. fach höheren Kosten führen dürfte. blet-PCs und -Handys nur den ande- In den USA stößt dieses Konzept be- Entscheidend wird aber sein, ob wirk- ren Teil verarbeiten, der als FEFs über- reits auf positive Resonanz. Gates Air, lich alle Zuschauer für den Umstieg tragen wird. Werden aber Portraits das Nachfolgeunternehmen von Har- noch einmal „durch den Nullpunkt einzelner Spieler gewünscht, geht das ris Broadcast, stellte auf der NAB in gehen“, so der Terminus Technicus für nur über kleine Mobilfunkzellen. Und Las Vegas zusammen mit dem IfN der die Anschaffung einer neuen Geräte- die sind weiterhin erforderlich – wie TU Braunschweig dieses Konzept vor, generation. Es ist noch nicht ausge- auch die großen terrestrischen Fern- allerdings zugeschnitten auf den dor- macht, ob sich die Zuschauer neue sehtürme. tigen Übertragungsstandard der Empfänger kaufen, nur um DVB-T2 Ein zweiter Haken: Zum Empfang des nächsten Generation ATSC 3.0. mit HEVC sehen zu können. gebroadcasteten LTE-Signals genügen Bei der zeitlichen Prognose ist Reimers Immerhin: DVB-T2 mit Tower Overlay „normale“ LTE-Advanced-Handys oder sehr ambitioniert, denkt an 2016 oder über LTE-A+ oder auch LTE Broadcast -Tablet-PCs nicht, sie brauchen einen 2017. Aber er und sein Team kennen mit eMBMS bzw. gar 5G – der Ver- kleinen Zusatz, eben „LTE Advanced die Tücken und wissen, was bis dahin schmelzung von HTHP und LTLP – plus“, kurz LTE-A+. Damit bekommen zu tun ist: „Wir müssen beide Grup- wären interessante Perspektiven für künftige LTE-A+-Tablet-PCs oder -Han- pen überzeugen, gemeinsam Brücken die Zukunft. Und was danach kommt, dys aus den kleinen Mobilfunkzellen zwischen den Welten zu bauen. Die weiß eh keiner. (bk) NET 5/14 23
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