Joe Dante - Genre-Bender - Eine Einführung in Dantes Œuvre

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Joe Dante – Genre-Bender

Joe Dante – Genre-Bender
Eine Einführung in Dantes Œuvre
                                                              Von Marcus Stiglegger

»I make the illogical logic.«                        Aus den Tiefen des Kinderzimmers: Be-
             Hoyt Axton in GREMLINS (1984)       lebte Spielzeug-Actionfiguren entfesseln ein
                                                 suburbanes Inferno und spielen Standard-
    s ist Weihnachten, und im schneeum-          situationen aus Kriegs- und Actionszenen
E   flockten Trubel der letzten Einkäufe stol-
pert ein Familienvater (Hoyt Axton) in einen
                                                 nach. So wird der jugendliche Protagonist
                                                 in einer Fluchtszene auf einem Strommast
düsteren kleinen Trödelladen in Chinatown.       vom Anführer der Spielzeugsoldaten in ei-
Auf der Suche nach einem Geschenk für sei-       nem Miniaturhelikopter angegriffen, wäh-
nen Sohn scheint er fündig zu werden: Ein        rend dazu das Walkürenritt-Thema von Ri-
sirenenhaft singendes Pelzwesen namens           chard Wagner erklingt.
Mogwai scheint ihm geeignet, doch der alte           GREMLINS, THE HOWLING, INNERSPACE und
Ladenbesitzer will das niedliche Tier nicht      SMALL SOLDIERS – das sind nur vier Einblicke
verkaufen – zu gefährlich sei der falsche Um-    in ein Regiewerk von schier endlosem Erfin-
gang mit ihm. Als der Enkel des Verkäufers       dungsreichtum – einem Reichtum allerdings,
den Käfig doch noch übergibt, nimmt das          der aus dem Kino selbst schöpft. So ist das
Grauen seinen Lauf. Bald haben sich aus ei-      Kino von Joe Dante Genrevariante und Meta-
ner Unmenge von Pelztieren grünschuppi-          film zugleich. Auf eine unvergleichliche Weise
ge Monster generiert, die die Kleinstadt auf     stellt er im variierten und parodierten Zitat
den Kopf stellen.                                die Mechanismen des Hollywoodkinos aus,
   Andernorts: In einer ominösen Ferienko-       ohne diese zu dekonstruieren oder zu ent-
lonie infiziert sich die Fernsehjournalistin     zaubern. Dantes Kino ist immer noch Holly-
Karen White (Dee Wallace) mit einem Wer-         woodspektakel, aber von einer charmanten
wolf-Virus. Um die Welt zu warnen, verwan-       und sehr persönlich gefilterten Art. Dante
delt sie sich in ihrer Sendung vor laufenden     dreht Genrekino, das das Kino aus sich selbst
Kameras in ein tragisch-trauriges Monstrum       heraus neu entwickelt – und immer schon in
und wird erschossen.                             einer Filmwelt spielt. Wo sich andere Kollegen
   Jahre später: Ein zu mikroskopischer Grö-     als Genreprofessionals genügen, ist Dante der
ße geschrumpfter Testpilot (Dennis Quaid) in     ultimative Genre-Bender Hollywoods.
einem U-Boot wird statt in das vorgesehene
Versuchstier in einen Menschen injiziert. Im
Rahmen einer turbulenten Verfolgungsjagd
                                                 Genre / auteur / Maverick?
gelangt auch ein miniaturisierter Killer in      Das Wort »Genre« gehört zu jenen Verständi-
die Blutbahn. Es gelingt dem Protagonisten,      gungsbegriffen, deren jeweiliges Verständnis
den Killer in der Magensäure seines Wirtes       am unmittelbarsten mit dem populären Ver-
zu entsorgen.                                    ständnis vom Film verbunden scheint.1 Unter

                                                                                            15
Marcus Stiglegger

einem Filmgenre wird zunächst einmal eine           besten Falle zum ›Maverick Director‹ wurden,
Gruppe von Filmen verstanden, die unter ei-         der den Genrekontext nutzt, um seine persön-
nem spezifischen Aspekt Gemeinsamkeiten             liche Handschrift und seine vision du monde
aufweisen. Diese Gemeinsamkeiten können in          umzusetzen. Erst die 1970er Jahre brachten
einer bestimmten Erzählform, einer speziellen       eine differenziertere Genretheorie, zunächst
Grundstimmung, hinsichtlich des Handlungs-          in den USA (siehe Barry Keith Grants Film Genre
                                                                      Reader, 1977ff.), dann auch in
                                                                      Deutschland (Georg Seeßlens
                                                                      Geschichte und Mythologie des
                                                                      Films, 1979ff.).
                                                                         Wie Knut Hickethier in
                                                                      seiner Bestandsaufnahme
                                                                      »Genretheorie und Gen-
                                                                      reanalyse« feststellt3, hat
                                                                      sich im Laufe der Zeit eine
                                                                      enorme (dreistellige) Zahl
                                                                      von Genredifferenzierun-
                                                                      gen ergeben, die vor allem
                                                                      im alltäglichen Gebrauch
Dee Wallace in THE HOWLING – Die Tragik des Monsters                  (z.B. in Fernsehzeitschrif-
                                                                      ten) immer neu konstruiert
sujets oder in historischen oder räumlichen werden. Dieses Phänomen erklärt sich durch
Bezügen bestehen. Zunächst spielte die Diffe- das Bedürfnis, bereits in der Genrebezeich-
renzierung von Filmgenres in der Frühphase nung eine verbindliche Aussage über Stil und
des Hollywood-Studiosystems eine Rolle: Man Inhalt eines Films zu treffen. Dabei werden
drehte Filme nach bestimmten Schemata, mit vor allem verschiedene Genres miteinander
bestimmten Stars und an denselben Drehor- verschmolzen und ein Genresynkretismus
ten. Dieses Vorgehen befriedigte die wachsen- konstatiert. So wird ALIEN (1979) von Ridley
de Nachfrage des Stummfilmpublikums und Scott etwa zum »Science-Fiction-Horror«
optimierte die Dreharbeiten in wirtschaftli- oder Sam Peckinpahs CONVOY (1978) zu einem
cher Hinsicht. So entstanden die frühen Gen- »Trucker-Western«. Man kann annehmen,
res aus logistischer Notwendigkeit, und zwar dass gerade solche immer neu formierten
nicht nur in den USA, sondern weltweit und Genresynkretismen die beständige Attrak-
insbesondere auch im Kino der Weimarer tivität des Genrekinos ausmachen.
Zeit. Eine kritische und theoretische Reflexi-          Die filmwissenschaftliche Genregeschichts-
on von Filmgenres setzte indes erst spät ein. schreibung bemüht sich in vielen Fällen zu-
Erste Versuche unternahmen André Bazin nächst um eine prototypische Darstellung
in Frankreich (1954) und Robert Warshow in einzelner Meta-Genres (z.B. der Kriminal-
den USA (1954). In Deutschland sprach Rudolf film, der Abenteuerfilm, der fantastische
Arnheim 1932 in Film als Kunst noch abwertend Film) – bereits im Bewusstsein, dass diese
von einem »Konfektionskino«.2 Lange galt der Idealtypen darstellen und, vor allem in der
singuläre, genre-unabhängige Autorenfilm späteren Filmgeschichte, selten in dieser Form
als Königsdisziplin des Filmschaffens. Erst die vorkommen. Die Idee ist, konventionalisier-
Autoren der Cahiers du cinéma entdeckten den te Formen und Muster zu finden, die selbst
amerikanischen Genre-auteur und bestätigen in ihrer Neukombination erkennbar bleiben
die Virtuosität der sog. Professionals, die im und Traditionslinien kenntlich machen.4 In

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Joe Dante – Genre-Bender

den USA, wo sich früh ein konventionali- bereits im US-Studiosystem eine Form der
siertes Studiosystem etablierte, formierten Genre-auteurs herausgeprägt, die man als
sich um 1930 – und somit zur Einführung ›Maverick Directors‹ bezeichnet. Regisseu-
des Tonfilms – einige solcher Primärgen- re wie Samuel Fuller, Robert Aldrich oder
res, die sozialen Entwicklungen Rechnung John Frankenheimer wurden als Professi-
trugen (Gangsterfilm), die Schauerfantas- onals innerhalb des kommerziellen Studio-
tik ins Kino holten (Universal-Horrorfilme) systems betrachtet, die ihre Weltsicht, ihre
sowie den größtmöglichen Nutzen aus der Handschrift und ihren Inszenierungsstil er-
Verwendung synchronen Tons zogen (Musi- folgreich in die Produktion von Genrefilmen
cals, Revuefilme). Auch Western und Komö- (Western, Kriegsfilmen, Melodramen) hin-
dien waren bereits fest etabliert.             einschmuggelten.6 Mit dem Untergang des
   In jenen Jahren um 1930 unternahmen klassischen Studiosystems, das Hollywood
Filmjournalisten wie Siegfried Kracauer zwischen 1930 und 1960 geprägt hatte, än-
oder Rudolf Arnheim bereits erste Versuche, derten sich die Bedingungen. Aufstrebenden
diese konfektionierte Filmproduktion zu re- B-Picture-Produzenten wie Roger Corman ge-
flektieren, und letztlich säten sie damit auch lang es mit günstigen Independent-Produk-
einen lange gehegten Vorbehalt gegen das tionen für die Drive-In-Kinos der Südstaaten
Genrekino: nämlich unoriginell und trivial und die Grindhouses der Metropolen, nicht
zu sein. Und ebenfalls lässt sich bereits früh nur neue Publikumsschichten zu erobern,
feststellen, dass eine deutliche Abgrenzung sondern durch die Befriedigung dieses stets
zwischen filmischen Gattungen und Filmgen- hungrigen Marktes eine ganz eigene Form
res besteht. Gattungen bezeichnen die filmi- des hybriden Genrekinos zu erschaffen, das
sche Form: Spielfilm, Dokumentarfilm, Expe- Elemente von Horror, Roadmovie, Thriller,
rimentalfilm, Kurzfilm, Kulturfilm, Lehrfilm, Western, Sexfilm und Gangsterfilm zu einem
Animationsfilm, Propagandafilm und Indus- Spielfeld für eine junge Generation von Regis-
triefilm. Diese Gattungen unterscheiden sich seuren verschmolz. Namhafte Filmemacher
bereits grundlegend in der
Art des vorfilmischen Mate-
rials (real oder inszeniert),
ihrer Intention (Unterhal-
tung oder Information) und
natürlich ihrer Laufzeit und
ihrem Format. Im Unter-
schied dazu sind die Gen-
redefinitionen erheblich in-
haltlicher motiviert. Andere
Gruppierungsmerkmale von
Filmen wie Stumm- oder
Tonfilm, Schwarzweiß- oder
Farbfilm, 2-D- oder 3-D-Film
bleiben technische Spezifi-
kationen jenseits von Genre
oder Gattung.
   Wie zuletzt Ivo Ritzer
in seiner Studie zu Walter Marcus Stiglegger überreicht Joe Dante den Cinestrange-Award für
Hill argumentiert5, hat sich sein Lebenswerk; Dresden 2013

                                                                                        17
Marcus Stiglegger

entstammten dieser Corman-Factory: Francis         als Chefredakteur leitete. Zusammen mit sei-
Ford Coppola, John Milius, Martin Scorsese,        nem Freund Jon Davison wurde er auch erst-
Jonathan Demme – und Joe Dante. Dante be-          mals filmpraktisch tätig: Die beiden schnitten
gann seine Karriere bei Cormans Firma New          Filmclips und Trailer zusammen und erstell-
World Pictures. Als Regisseur drehte Dante         ten den heute legendären Kompilationsfilm
1978 auch seinen international erfolgreichen       THE MOVIE ORGY (1966–68), der an Hochschu-
                                                                     len gezeigt wurde.8
                                                                        1973 stieg Dante dann
                                                                     professionell ins Filmge-
                                                                     schäft ein. Er arbeitete als
                                                                     Editor für Roger Cormans
                                                                     New World Pictures. Jon
                                                                     Davison war zu der Zeit Lei-
                                                                     ter der Werbeabteilung für
                                                                     Produzent Roger Corman
                                                                     und überredete Dante, nach
                                                                     Kalifornien zu ziehen. Roger
                                                                     Corman kann selbst als Ma-
                                                                     verick Director betrachtet
Roger Corman – der Förderer                                          werden, denn vor allem in
                                                                     den 1960er Jahren war ihm
Spielfilm PIRANHA (Piranhas), der ihm die          mit dem unterschätzten Anti-Rassismus-
Aufmerksamkeit seines späteren Produzen-           Thriller THE INTRUDER (Weißer Terror; 1961)
ten sicherte: Steven Spielberg.                    ein ungewöhnlich radikales und kritisches
                                                   Werk gelungen, mit dem er sich jedoch nicht
                                                   etablieren konnte. Corman wandte sich da-
Die Kinder der ›Corman-Factory‹                    raufhin weitgehend der kommerziellen B-
Um diesen Werdegang zu verstehen, bleibt           Film-Produktion zu, die er durch seine pit-
es nicht aus, einen Blick in die Vergangen-        toresken Edgar-Allan-Poe-Filme nachhaltig
heit zu werfen. Joseph Dante, Jr. wurde am         belebte. Zu Beginn der 1970er Jahre war er
28. November 1946 in Morristown, New Jer-          längst zu einem Förderer junger Talente ge-
sey geboren.7 Sein Vater verdiente seinen Le-      worden, die er zu frühen Höchstleistungen
bensunterhalt als professioneller Golfspieler      anspornte und motivierte, mit niedrigen Bud-
und schrieb zudem Bücher zum Thema. Dante          gets und Originalität das Kino für sich stets
erkrankte an Kinderlähmung, die ihn im Al-         neu zu erfinden. Dante selbst fungierte 1973
ter von sieben Jahren fast das Leben kostete.      als Dialogeditor für Produktionen wie Cirio
Er schlug folglich später einen künstlerisch-      H. Santiagos FLY ME und die US-Fassung TI-
kreativen Weg ein – anders als seine Eltern es     DAL WAVE von Shirō Moritanis NIPPON CHIN-
vorgegeben hatten. Dante studierte am Phi-         BOTSU, später als Editor bei Steve Carvers
ladelphia College of Art nach dem Abschluss        THE ARENA (1974) und Ron Howards GRAND
der Highschool. Als Teenager verfasste er          THEFT AUTO (Gib Gas ... und laßt euch nicht
bereits Artikel für die Horrorzeitschriften        erwischen; 1977).
Castle of Frankenstein und Famous Monsters of          Joe Dante profitierte auch als angehender
Filmland. Nach seinem Abschluss am College         Regisseur von diesem Corman-Biotop. 1976
of Art arbeitete er zunächst als Filmkritiker      gab er zusammen mit Co-Regisseur Allan
für die Zeitschrift Film Bulletin, die er später   Arkush sein Debüt: HOLLYWOOD BOULEVARD

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Joe Dante – Genre-Bender

(In Hollywood ist der Teufel los). Corman- derne Methode also, der er von HOLLYWOOD
typisch entstand der Film in nur zehn Tagen BOULEVARD bis heute treu geblieben ist. Dabei
mit einem Budget von 50.000 Dollar. Teile des achtet Dante sorgsam auf die Doppelcodie-
Films wurden mit Stock Footage aus ande- rung seiner Filme: dass sie als Zitatenkom-
ren Corman-Produktionen ergänzt. Dieser pilation für den Film-buff ebenso gut funk-
Metafilm kann als Parodie auf die von New tionieren wie als genuine Genrewerke. Man
World Pictures betriebenen
Exploitationstrategien gese-
hen werden und entstand in
zehn Tagen für nur 60.000
US-Dollar. Was man von THE
MOVIE ORGY und HOLLYWOOD
BOULEVARD an beobachten
kann, ist Joe Dantes liebe-
voller und konstanter Bezug
zum klassischen Genrekino
der 1940er bis 60er Jahre. Er
reflektiert nicht nur die Me-
chanismen dieser Filme, zi-
tiert sie auf augenzwinkern- INVASION OF THE BODY SNATCHERS – Hollywoods Paranoia-Kino der
                                1950er Jahre
de Weise, sondern reflektiert
zugleich ihre Rezeption –
nirgends wird diese Strategie deutlicher als beachte auch hier den plötzlichen Umschlag
in der Drive-in-Szene aus HOLLYWOOD BOU- von ironischen Metakommentaren in der be-
LEVARD, in welcher der Filmvorführer selbst sagten Drive-in-Szene hin zu einem sich an-
zur Rechenschaft gezogen wird, als eine B- bahnenden Rape-&-Revenge-Szenario.9 Auch
Schauspielerin ihre eigenen Sexszenen auf die Verfolgung und Tötung durch einen Psy-
der Leinwand nicht mehr erträgt – worauf- chokiller wird in einer späteren Szene aus
hin sie fast selbst Opfer einer realen Verge- HOLLYWOOD BOULEVARD ebenso künstlich wie
waltigung wird. Dante wird auch in späteren durchaus schockierend umgesetzt – um im
Filmen die Filmkompetenz und die subjektive Umschnitt von der erstochenen Leiche auf
Meinung des Genrepublikums stets mitden- einen Zeitungsbericht zu münden, auf den
ken. Auf diese Weise gelingt ihm zudem ein rote Sandwichsoße tropft.
ironischer Kommentar auf die MPAA-Zensur
in Hollywood, die Sexualisierung verdammt
und das Umschlagen sexueller Spannung in
Gewalt fördert.
   Statt seine kindlichen Einflüsse zu ver-
schleiern, nutzt Joe Dante diese explizit als
Basis seiner kinematografischen Fantasie
und entwickelt seine Filme stets aus diesen
Quellen heraus. Man findet daher weniger
eine dezidierte audiovisuell nachweisbare       Leseprobe aus:
Handschrift in seinem Werk als vielmehr         Michael Flintrop / Stefan Jung / Heiko Nemitz (Hg.)
                                                Joe Dante: Spielplatz der Anarchie
einen speziellen, reflektierten Umgang mit      © 2014 Bertz + Fischer Verlag / www.bertz-fischer.de
Zitaten und Variationen – eine fast postmo-

                                                                                             19
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