Economic Adviser - Outlook 2022 - Macro Research Ausblick 2022: Corona, Inflation, Geldpolitik - Quo vadis Weltwirtschaft? - Die NORD/LB
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Economic Adviser – Outlook 2022 Macro Research Ausblick 2022: Corona, Inflation, Geldpolitik – Quo vadis Weltwirtschaft? 10. Dezember 2021 Ausgabe Jahresausblick 2022
1 / Economic Adviser Outlook 2022 Inhalt Einleitung: Ausblick 2022: Corona, Inflation, Geldpolitik – Quo vadis Weltwirtschaft? 2 USA: Wachstum und Inflation stellen Fed vor Herausforderungen 4 Euroland: Erhöhte Risiken für Konjunktur und Inflation – EZB nimmt Fuß vom Gaspedal 8 Deutschland: Erholung mit Hindernissen – schwieriges Umfeld für neue Bundesregierung 15 Schweiz: Franken nähert sich Euro-Parität – wo liegt die Schmerzgrenze der SNB? 21 Japan: Abwarten und Hoffen – das Motto in Japan auch für 2022 23 China: Die Politik scheint nicht mehr so expansiv unterwegs zu sein 25 Großbritannien: Bank of England ist zögernd – aber dennoch wohl First Mover 27 Australien: Wachstumsstabilisierung – doch die RBA möchte abwarten 29 Aktienmärkte: Börsen überraschen 2021 mit Indexrekorden und deutlichen Kursanstiegen 31 Rohöl: Back to the future 33 Portfoliostrategien: Zinsstrukturkurve Euroland 35 Portfoliostrategien: Zinsstrukturkurve International 36 Portfoliostrategien: Aktienmarktstrategie 37 Übersicht Prognosen 38 Ansprechpartner 39 Wichtige Hinweise 41 Researchportal: www.nordlb.de/research Bloomberg: RESP NRDR
2 / Economic Adviser Outlook 2022 Einleitung Ausblick 2022: Corona, Inflation, Geldpolitik – Quo vadis Weltwirtschaft? Analysten: Christian Lips, Chefvolkswirt Kräftige, aber uneinheitliche Erholung der Weltwirtschaft Nach dem Corona-Schock hat sich die Weltwirtschaft im Jahr 2021 sehr kräftig erholen kön- nen, mit einem realen Weltwirtschaftswachstum von voraussichtlich mehr als 5%. Viele Volkswirtschaften haben das Vorkrisenniveau schon wieder überschritten oder zumindest fast wieder erreicht. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Corona-Pande- mie auch wirtschaftlich tiefe Spuren hinterlassen hat und noch viel zu tun ist auf dem Weg zur vollständigen Erholung. Hartnäckige Material- und Lieferengpässe, wachstumshem- mende Knappheiten am Arbeitsmarkt und der massive Inflationsanstieg sind Belege dafür, dass die Corona-Pandemie noch nicht überwunden ist und nach wie vor einen erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung hat. Wiederkehrende Virusausbrüche haben im Jahr 2021 immer wieder in einzelnen Regionen den konjunkturellen Aufholprozess unter- brochen oder gar zurückgeworfen. Bei den Impfungen konnten im Laufe des Jahres große Fortschritte erzielt werden, die Impfquoten sind angesichts der im Vergleich zum Ursprungs- typ aus Wuhan inzwischen deutlich ansteckenderen Virusvarianten jedoch noch in vielen Ländern zu niedrig. Dies ist nicht nur eine Frage der Impfbereitschaft, vielen ärmeren Län- dern fehlt es bislang schlicht an ausreichend Impfstoff. Entsprechend unstet und uneinheit- lich verlief auch der wirtschaftliche Aufholprozess, und bis heute sind coronabedingt immer wieder neue Störungen der globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten aufgetreten. Für das Jahr 2022 rechnen wir in unserem Basisszenario mit einer erneut recht dynamischen Kon- junkturerholung, auch in Europa werden die meisten Volkswirtschaften spätestens 2022 bei der realen Wirtschaftsleistung das Vorkrisenniveau wieder übertreffen. Chart: BIP-Entwicklung – Auf den Absturz folgte rasante Erholung im Jahr 2021 24 in %, Y/Y 20 16 12 8 4 0 -4 -8 -12 -16 -20 -24 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 BIP USA BIP Japan BIP Euroraum BIP UK BIP China Quelle: Feri, Bloomberg, NORD/LB Macro Research Weltwirtschaft: Corona bleibt größtes Risiko – Omikron erhöht Unsicherheit Die Risiken für die globale Erholung bleiben erhöht, Knappheiten und Engpässe könnten län- ger anhalten und stärker die Erholung bremsen. Das Säbelrasseln im Russland-Ukraine-Kon- flikt ist nur ein Beleg für gestiegene geopolitische Risiken, auch der Konflikt China-Taiwan ist ungelöst. Die Corona-Pandemie bleibt jedoch zunächst das größte Risiko für die weltwirt- schaftliche Entwicklung. Die aktuelle vierte Welle hat weite Teile Europas im Griff. Die neu
3 / Economic Adviser Outlook 2022 entdeckte Virusvariante Omikron hat in den letzten Tagen aufgrund seiner Vielzahl an Mu- tationen und der extrem schnellen Verbreitung in Südafrika ein hohes Maß an zusätzlicher Unsicherheit verursacht. Erste Meldungen hatten Ende November auch kräftige Kurskorrek- turen an den Aktienmärkten bewirkt, typische Safe-Haven-Anlagen waren wieder verstärkt gesucht. Derzeit müssen noch die Untersuchungen der Omikron-Variante abgewartet wer- den, es könnte jedoch eine unangenehme Kombination aus hoher natürlicher Ansteckungs- rate und – was hinsichtlich der Bemühungen zur vollständigen Überwindung der Pandemie noch schwerer wiegen würde – teilweiser Umgehung der durch Erkrankung oder Impfung erworbenen Immunität drohen. Omikron könnte eine deutliche Eintrübung des Ausblicks für 2022 bewirken, erste Untersuchungen deuten in der Tat eine geringere Wirksamkeit der aktuellen Impfstoffe an. Es ist aber durchaus auch ein positiveres Szenario denkbar, wenn Omikron weniger schwere Krankheitsverläufe verursachen würde oder auch wenn neue Me- dikamente zur Behandlung schwerer Verläufe bald zur Verfügung stehen sollten. Wegen der hohen Unsicherheit haben wir in unserem Basisszenario Omikron nur insofern berücksich- tigt, als sich über den Stimmungskanal schon jetzt ökonomische Auswirkungen abzeichnen. Inflation geht 2022 allmählich zurück – Risiken für USA größer als im Euroraum Der rasante Anstieg der Inflation im Jahr 2021 ist sicher eine der größten Überraschungen des abgelaufenen Jahres gewesen. In den USA kletterte die Preissteigerungsrate im Novem- ber auf 6,8% Y/Y, in der Eurozone wurde zuletzt mit 4,9% Y/Y der höchste Stand seit dem Bestehen der Währungsunion markiert. Knappheiten, Lieferengpässe und deutlich höhere Energiepreise waren wesentliche Faktoren im abgelaufenen Jahr, zudem wirkten auch ei- nige Sonderfaktoren inflationssteigernd. Zwar geht im Jahr 2022 gemäß unserer Prognose sowohl in den USA als auch in Europa die Inflation allmählich zurück, sie wird jedoch länger auf deutlich erhöhten Niveaus verharren als bislang vermutet. Die Inflationsrisiken sind auf- grund der unterschiedlichen Arbeitsmarkt- und Lohnentwicklung in den USA, wo Knapphei- ten inzwischen auch am Arbeitsmarkt klar zu Tage treten, sicher als größer einzustufen als im Euroraum. Bereits jetzt ist der binnenwirtschaftliche Preisdruck in den USA – gemessen an der Entwicklung der Kerninflation – deutlich größer als im Euroraum. Notenbanken vor schwierigem Spagat – Finanzmarktbedingungen im Fokus Dies erklärt auch, warum die US-Notenbank bereits im November ein Tapering beschlossen hat und inzwischen sogar über eine Beschleunigung nachdenkt. Zudem deutet sich für das Jahr 2022 die Einleitung der Zinswende durch die Fed an, wenngleich an den Märkten aus unserer Sicht zwischenzeitlich schon eine zu aggressive Vorgehensweise eingepreist wurde. Es sollte nicht unterschätzt werden, dass mit einer rückläufigen Inflationsrate in 2022 auch der Handlungsdruck kurzfristig wieder geringer erscheinen könnte. Angesichts der erhöhten Abwärtsrisiken für die Konjunktur und Aufwärtsrisiken für die Inflation, insbesondere durch die neue Omikron-Variante, stehen die Notenbanken zudem vor einem schwierigen Spagat. Das Grundproblem auch für die Notenbanken ist, dass die weitere Pandemieentwicklung praktisch nicht prognostizierbar ist, jedoch erheblichen Einfluss auf Konjunktur und Inflation hat. Für die EZB ist vor diesem Hintergrund zwar ein Auslaufen des Notfallprogramms PEPP wahrscheinlich, ansonsten wird die geldpolitische Ausrichtung jedoch 2022 noch sehr ex- pansiv bleiben. Die Auswirkungen der Veränderungen der Geldpolitik auf die Finanzmärkte werden die Notenbanken sicher im Blick behalten, eine zu starke und abrupte Straffung der Finanzierungskonditionen wird auch die Fed vermeiden wollen. Ein moderater Anstieg der Kapitalmarktzinsen ist daher aus unserer Sicht das wahrscheinlichste Szenario für 2022 – womit die Phase negativer Realzinsen noch einige Zeit anhält. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen unseres Jahresausblicks, ein frohes und friedli- ches Weihnachtsfest sowie einen guten Start in ein glückliches und erfolgreiches Jahr 2022. Bleiben Sie vor allem gesund und zuversichtlich!
4 / Economic Adviser Outlook 2022 USA Wachstum und Inflation stellen Fed vor Herausforderungen Analysten: Tobias Basse // Bernd Krampen Die US-Wirtschaft präsentiert sich freundlich Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten hat sich mittlerweile sehr weitgehend von den öko- nomischen Folgen Coronavirus-Krise erholt. Im I. und II. Quartal des Jahres 2021 zeigte sich ein starkes BIP-Wachstum (mit annualisierten Veränderungsraten von jeweils über 6,0%). Im III. Quartal haben ein Wiederanstieg der Neuinfektionszahlen, ein akuter Personalmangel und Lieferkettenprobleme zu spürbaren Belastungen geführt, was die Besserung der Wirt- schaftslage im Land der eigentlich unbegrenzten Möglichkeiten klar verlangsamt hat. Die Nachfrage bleibt allerdings grundsätzlich stark. Die Probleme der US-Wirtschaft sind somit eindeutig auf der Angebotsseite zu verorten. Entsprechend deuten die Ergebnisse der Un- ternehmensbefragungen der vergangenen Monate auch ganz unzweifelhaft auf einen aus- geprägten Optimismus der teilnehmenden Firmen hin. Während beispielsweise der ISM PMI für das verarbeitende Gewerbe bei über 61 Punkten notiert, liegt der ISM Services PMI bei über 69 Punkten. Der wirtschaftliche Aufschwung ist mittlerweile auch am Arbeitsmarkt an- gekommen. So ist sie Arbeitslosenquote inzwischen wieder deutlich unter die auch psycho- logisch wichtige Marke von 5,0% gefallen und weist im November 2021 mit nur noch 4,2% sogar das niedrigste Niveau seit Beginn der Pandemie im Februar 2020 auf. Der Stellenauf- bau in der US-Ökonomie präsentiert sich allerdings nicht ganz so ausgeprägt, wie dies man- cher Optimist wünschen würde. An dieser Stelle zeigen sich sehr klare Belastungen durch den ausgeprägten Mangel an verfügbarem Personal – ein Zustand der zunehmend nicht nur Fachkräfte betrifft. In diesem Umfeld ziehen die Löhne natürlich spürbar an, was bereits zu Sorgen bei den Personalabteilungen einiger Unternehmen zu führen scheint. Die Firmen sind aktuell aber schon dazu in der Lage, höhere Kosten auf die Kunden zu überwälzen. In der Summe läuft der Motor der US-Wirtschaft trotz der Knappheiten eigentlich noch recht rund. Die zentrale Ökonomie Nordamerikas präsentiert sich aktuell fast schon überraschend stark. Mit einem nach und nach verringerten Personalmangel könnte die Konjunktur im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nach der relativen Schwäche im III. Quartal zum Ende des Jahres 2021 hin sogar wieder etwas an weiterer Dynamik gewinnen. Mit Blick auf das Jahr 2021 erwarten wir in den Vereinigten Staaten ein BIP-Wachstum von immerhin 5,6%. Für 2022 rechnen wir dann mit einem Zulegen der realen ökonomischen Aktivität um 3,5%. Eine vorsichtige Neuausrichtung der Fed-Geldpolitik In diesem ökonomischen Umfeld hat die US-Notenbank nun den Prozess einer vorsichtigen Neuausrichtung ihrer Geldpolitik eingeleitet. Die momentane Beschäftigungssituation in den Vereinigten Staaten lässt dies ohne jeden Zweifel zu. Zudem hat das makoökonomische Preisumfeld entsprechende Handlungen der US-Notenbank am aktuellen Rand fast schon erforderlich gemacht. Der jüngst zu beobachtende Anstieg der US-Konsumentenpreise hat die Jahresrate dieser Zeitreihe in der letzten Zeit nach und nach über die auch psychologisch wichtigen Marken von 5,0% und 6,0% Y/Y steigen lassen. Neben den höheren Energiekosten zeigen sich in den US-Inflationsdaten auch die Folgen der Versorgungsengpässe mit ver- schiedenen Gütern und Vorprodukten inzwischen sehr deutlich. Weiterhin beginnen die ge- stiegenen Immobilienpreise zunehmend einen Einfluss auf die Mieten zu haben. Dieses Phä- nomen dürfte noch für eine Weile anhalten – und sich in den kommenden Monaten wohl sogar eher noch verschärfen. Kurzfristig ist zudem mit keinen Entspannungstendenzen an der makroökonomischen US-Preisfront zu rechnen. Die Jahresrate des Headline-Indexes der
5 / Economic Adviser Outlook 2022 Konsumentenpreise dürfte sich zunächst in der Tat noch auf dem aktuellen Niveau halten – und die Marke von 5% wird wahrscheinlich nicht wirklich zügig unterschritten werden. Die Gefahr von erhöhten Inflationserwartungen bei den einzelnen Wirtschaftssubjekten ist da- mit nicht mehr von der Hand zu weisen. Entsprechende Tendenzen würden den aktuellen Preisauftrieb natürlich verstetigen und beispielsweise zu unter Umständen deutlich höheren Lohnforderungen führen. Dies kann keinesfalls im Interesse der US-Notenbank sein. Daher hat sich die Federal Reserve jüngst erwartungsgemäß dafür entschieden, ihre Wertpapier- käufe angesichts der aktuellen Wirtschaftslage langsam herunterzufahren. Sie wird diesen nun eingeschlagenen Pfad auch kontinuierlich weiterverfolgen und ihr QE-Programm zum Kampf gegen die Coronavirus-Krise dann im 1. Halbjahr 2022 beenden. Nach den Äußerun- gen einiger NotenbankerInnen wird sogar eine Beschleunigung bei der Reduzierung der mo- natlichen Wertpapierkäufe auf der letzten FOMC-Sitzung des ablaufenden Jahres am 15. Dezember zu diskutieren sein. Ein Beschluss dahingehend zeichnet sich sogar zunehmend ab. Erst nach dem (dann etwas vorgezogenen) Ende des Tapering werden überhaupt Leit- zinsanhebungen praktisch denkbar. Chart: Zinsentwicklung USA 4 in % 3 2 1 0 16.12.2016 16.12.2017 16.12.2018 16.12.2019 16.12.2020 UST 2J UST 5J UST 10J Fed Funds Target Quelle: Bloomberg, NORD/LB Macro Research Implikationen der US-Geldpolitik für den US-Dollar Wir haben bereits verschiedentlich betont, dass Jerome Powell bei der Neuausrichtung der Geldpolitik in den Vereinigten Staaten wohl eher nicht zu den größten Falken im FOMC ge- hört. Die Finanzmärkte spekulieren nun teilweise schon auf ein recht ambitioniertes Timing bei möglichen Zinsanhebungen durch das FOMC. Die Marktteilnehmer, die dieser Einschät- zung folgen, befinden sich aber zunehmend in der Gefahr, bei der Neuausrichtung der Geld- politik der Notenbank in Washington zu viel Aktivität von den Verantwortlichen zu erwarten. Mit Blick auf den Devisenmarkt bedeutet dies konkret, dass bereits ein gewisses Potential für Enttäuschungen beim Blick des FX-Segments auf die weitere US-Geldpolitik bestehen könnte. In der Tat sehen wir ein nicht zu unterschätzendes Risiko, dass das FOMC mit Leit- zinsabhebungen noch bis zum IV. Quartal 2022 warten könnte. Folglich sehen wir in 6 bis 12 Monaten eher etwas Druck auf die Währung der Vereinigten Staaten zukommen. Gegen- über dem Euro müsste dann die Marke von 1,16 USD pro EUR in den Fokus rücken. Ange- sichts der Markterwartungen drohen in diesem Zeitfenster vielleicht sogar gewisse Überre- aktionen des Devisenmarktes. Die erfreuliche Wirtschaftslage in den Vereinigten Staaten spricht ganz grundsätzlich gesprochen schon für den US-Dollar. Die jüngsten Zahlen zur Stim- mung der Unternehmen aus dem für die Ökonomie der USA sehr wichtigen Service-Segment haben beispielsweise klar positiv überraschen können. Insofern erwarten wir auch keine wirklich nachhaltige Schwäche der Währung der Vereinigten Staaten. Der US-Dollar dürfte aber eben auch nicht zu einer ausgeprägten Stärke gegenüber dem Euro neigen.
6 / Economic Adviser Outlook 2022 Kapitalmarktzinsen von Inflationssorgen und Geldpolitik beeinflusst In den letzten Wochen des Jahres 2021 kam es zu einem starken Anstieg der Renditen am kurzen und mittleren Laufzeitenbereich der US-Treasurykurve, wohingegen die Renditen am langen Laufzeitenbereich teilweise sogar (leicht) zurückgingen. Dieser steiler werdende Ver- lauf am kurzen und die Verflachung am langen Ende der Kurve hatte mit unterschiedlichen Erwartungen bezüglich der Geldpolitik zu tun: So wurden am kurzen Ende im Zuge der rasant gestiegenen Inflationsdaten der Start des Tapering, die Spekulationen über eine Beschleu- nigung des Tapering und damit die grundsätzlich gestiegenen Zinsanhebungserwartungen eingepreist. Angesichts dieser veränderten Lage preiste auf der anderen Seite das lange Ende der Zinskurve erstens die generell vorhandene Zuversicht ein, dass die Federal Reserve auf längere Sicht durchaus das Inflationsproblem (mit eben dieser weniger expansiven Geld- politik) in den Griff bekommen werde. Zweitens wurden die Renditen am langen Laufzeiten- bereich aber auch immer wieder von Safe Haven Zuflüssen gedrückt, welche insbesondere im Zuge der Wiederanstiege der Neuinfektionszahlen und der Meldung über die Omikron- Variante zwischenzeitlich an Relevanz für die Finanzmarktteilnehmer gewannen. Vieles dürfe nun von den in den letzten Wochen des Jahres mit Spannung zu erwartenden Nach- richten zu der Ausbreitungsgeschwindigkeit und der Gefährlichkeit der Omikron-Variante sowie der Wirksamkeit der bereits verfügbaren Impfstoffe abhängen. Jede Meldung dazu könnte für deutliche Bewegungen bei den Renditen sorgen. Perspektivisch sollten aber die Renditen der US-Treasuries im Zuge der generell zu erwartenden Konjunkturstabilisierung im Jahresverlauf ansteigen und verstärkt auch mal die Marke von 2% im Zehnjahresbereich ins Auge nehmen – ohne diese dann aber (nachhaltig) zu überspringen. Die „Midterm Elections“ könnten machtpolitische Verschiebungen bringen Die Zwischenwahlen in 2022 dürfte politische Verschiebungen in Washington auslösen. Das gesamte Repräsentantenhaus und jeder dritte Senator stehen zur Wahl. US-Präsident Joe Biden kämpft aktuell mit einem Stimmungstief. Dies haben die Neuwahlen der Gouverneure in Virginia und New Jersey und Virginia klar gezeigt. In letzterem Bundesstaat stellen nun die Republikaner den Gouverneur, in New Jersey war der Wahlausgang sehr viel knapper, als generell erwartet worden war. Auch andere regionale Wahlen zeigen die republikanische Partei im Aufwind. Neben dem doch sehr hektisch wirkenden Rückzug aus Afghanistan ha- ben Joe Biden auch einige unglückliche Medienauftritte politisch geschadet. Auch die aktu- elle Covid-Situation hilft ihm natürlich nicht (wenngleich die relativ geringe Impfquote von knapp 60% vor allem auf Impfunwillige in Regionen mit einem hohen Anteil an Republika- ner-Wählern zurückzuführen ist). Zudem schwindet die Unterstützung für Biden bei den vor allem ihn gewählten Schwarzen, die enttäuscht von den bisherigen Maßnahmen sind. Auf Basis der momentan verfügbaren Informationen dürften die Republikaner mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Mehrheit im Repräsentantenhaus erringen können. Ob dies auch im Senat gelingen wird, steht aktuell noch in den Sternen. In jedem Fall dürfte es für die aktuelle Regierung nach den Zwischenwahlen im Jahr 2022 noch viel schwieriger werden, ihre wirt- schaftspolitischen Pläne zu realisieren. Dies gilt umso mehr, weil die politische Stimmung in Washington schon aktuell – und nach den „Midterm Elections“ wohl auch weiterhin – durch ein recht konfrontatives Verhalten der Verantwortlichen geprägt zu sein scheint. Ein siche- res Erbe der längst abgelaufenen unsäglichen Präsidentschaft Donald Trumps!
7 / Economic Adviser Outlook 2022 Fundamentalprognosen USA 2020 2021 2022 BIP -3,4 5,6 3,5 Privater Konsum -3,8 4,8 2,9 Öffentlicher Konsum 2,0 2,2 1,0 Investitionen -1,6 9,5 7,0 Export -13,6 9,0 7,0 Import -8,9 5,0 5,0 Inflation 1,2 4,6 4,3 Arbeitslosenquote1 8,1 4,7 4,2 Haushaltssaldo2 -15,8 -14,5 -7,6 Leistungsbilanzsaldo2 -3,0 -3,5 -3,3 Veränderung gg. Vj. in %, 1 in % der Erwerbstätigen, 2 in % des BIP Quelle: Feri, NORD/LB Macro Research Quartalsprognosen USA I/21 II/21 III/21 IV/21 I/22 BIP Q/Q ann. 6,3 6,7 2,1 5,7 2,5 BIP Y/Y 0,5 12,2 4,9 5,2 4,3 Inflation Y/Y 1,9 4,8 5,3 6,5 6,3 Veränderung in % Quelle: Feri, NORD/LB Macro Research Zinsen und Wechselkurse USA 09.12. 3M 6M 12M Fed Funds Target Rate 0,25 0,25 0,25 0,25 3M-Satz 0,20 0,20 0,25 0,30 10J Treasuries 1,50 1,70 1,80 1,90 Spread 10J Bund 185 190 190 190 EUR in USD 1,13 1,15 1,16 1,17 Quelle: Bloomberg, NORD/LB Macro Research
8 / Economic Adviser Outlook 2022 Euroland Erhöhte Risiken für Konjunktur und Inflation – EZB nimmt vorsichtig den Fuß vom Gaspedal Analyst: Christian Lips, Chefvolkswirt // Marlene Renkel Rückblick 2021: Kräftige, aber noch unvollständige Konjunkturerholung Im Jahr 2021 hat sich die Wirtschaftsleistung in der Eurozone von dem beispiellosen Ein- bruch des Vorjahres wie erwartet deutlich erholen können. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte im Gesamtjahr – Daten für Q4 liegen naturgemäß noch nicht vor – um 5,2% gewachsen sein. Dies liegt noch etwas über unserer optimistischen Prognose von vor einem Jahr (+4,7%) und ist mit Abstand die stärkste je für den gemeinsamen Währungsraum ge- messene BIP-Jahreswachstumsrate. Nachdem die Wirtschaftsentwicklung im ersten Quartal 2021 noch von der zweiten und dritten Infektionswelle und entsprechenden Eindämmungs- maßnahmen gebremst worden war (-0,2% Q/Q), setzte sich die Konjunkturerholung ab dem Frühjahr in den meisten europäischen Staaten mit einem teils sehr hohen Expansionstempo fort. Auch im Sommer hielt der dynamische Aufholprozess aus dem Frühjahr an, die wirt- schaftliche Aktivität konnte dank niedrigerer Infektionszahlen und geringen coronabeding- ten Restriktionen kräftig gesteigert werden. Das preis- und saisonbereinigte Bruttoinlands- produkt legte im Frühjahr und im Sommer um jeweils 2,2% im Vergleich zum Vorquartal zu, die Jahresrate lag zuletzt bei 3,9% Y/Y. In den letzten beiden Quartalen war der private Kon- sum der wichtigste Wachstumstreiber. Die geringen Corona-Belastungen haben sich in einer Zunahme von Reiseaktivitäten sowie einer deutlichen höheren Nachfrage nach Dienstleis- tungen und Konsumgütern niedergeschlagen. In allen großen Volkswirtschaften expandierte die Wirtschaftsleistung bis zum Herbst kräftig, aufgrund eines Nachholeffekts wies Frank- reich mit 3,0% Q/Q im Sommer eine deutlich überdurchschnittliche Wachstumsrate aus. Al- lerdings wird sich das hohe Expansionstempo der letzten beiden Quartale nicht fortsetzen. Besonders Deutschland wird durch die vierte Corona-Welle sowie anhaltende Knappheiten und deutlich höhere Energiepreise ein weiteres Mal im Aufholprozess ausgebremst. Den- noch: Bereits im dritten Quartal lag die Wirtschaftsleistung der Eurozone nur noch marginal (0,3%) unter dem Vorkrisenniveau, wenngleich es hier ebenso wie bei den realen BIP- Wachstumsraten für 2021 teils erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitglieds- ländern gibt (vgl. Chart). Schlusslicht im Jahr 2021 ist Deutschland, wo das BIP-Wachstum von voraussichtlich 2,8% nur etwa halb so stark ausfällt wie im Durchschnitt, und auch der Abstand zum Vorkrisenniveau (1,1%) ist deutlich ausgeprägter. Chart: BIP-Wachstum im Jahr 2021 (swda, Y/Y in %) und Abstand zum Vorkrisenniveau in % 24 20 16 12 8 4 0 -4 -8 DE SK FI ES PT NL LV LT EC CY AT BE IT FR SI LU MT EE GR IE Abstand in Q3/21 zum Vorkrisenniveau (Q4/19) BIP-Wachstum 2021 Quellen: Feri, Bloomberg, Eurostat, NORD/LB Macro Research. Eigene Berechnungen und Schätzungen.
9 / Economic Adviser Outlook 2022 Chart: Vierte Corona-Welle spiegelt sich in Mobilitätsdaten wider 240 Index 200 160 120 80 40 7/20 9/20 11/20 1/21 3/21 5/21 7/21 9/21 11/21 driving AUT driving FRA driving GER driving ITA driving NED driving ESP Anfragen Routenführung Apple. Quelle: Apple Mobility Data (Covid-19), NORD/LB Macro Research Ausblick: Vierte Coronawelle dämpft vorübergehend – 2022 erneut kräftige Erholung Der kurzfristige Konjunkturausblick hat sich aufgrund der vierten Coronawelle verdunkelt. Die aktuelle Lage mutet ein wenig wie ein Déjà-Vu an: Sehr hohe Infektionszahlen, vor allem in Staaten mit einer vergleichsweise niedrigen Impfquote, haben die Belastungen der Ge- sundheitssysteme wieder erhöht. In einigen Regionen ist die Belastungsgrenze der Intensiv- stationen erreicht oder gar überschritten, zur Entlastung müssen Patientinnen und Patien- ten mitunter in weit entfernte Krankenhäuser ausgeflogen werden. In vielen Staaten wur- den bereits wieder Maßnahmen beschlossen, wobei die Restriktionen – im Vergleich zum Jahr 2020 – differenzierter ausfallen und sich zunächst vor allem auf den ungeimpften Teil der Bevölkerung konzentrieren. Gängige Indikatoren wie der Stringency Index können diese feine Unterscheidung jedoch nicht berücksichtigen. Insofern ist davon auszugehen, dass der Erklärungszusammenhang mit der ökonomischen Aktivität deutlich geringer ist und tenden- ziell die tatsächliche BIP-Dämpfung überzeichnet wird. Die Mobilität ist zwar mit dem Beginn der vierten Welle zurückgegangen, jedoch noch nicht so eingeschränkt wie vor zwölf Mona- ten (vgl. Chart). Allerdings ist bei der Interpretation von Mobilitätsdaten eine gewisse Vor- sicht angebracht: Eine hohe wahrgenommene Infektionsgefahr kann Verhaltensänderun- gen, z.B. eine stärkere Nutzung des eigenen PKW, bewirken, was wiederum eine höhere Anzahl von Anfragen zur Routenführung zur Folge haben würde. Zudem haben die bisheri- gen Maßnahmen noch nicht in allen Ländern zu einer deutlichen Verbesserung der Infekti- onszahlen geführt, so dass weitere Verschärfungen der Restriktionen durchaus möglich sind oder aber zumindest eine längere Zeit durchgehalten werden müssen. Insgesamt dürften die Maßnahmen aber etwas weniger strikt als vor einem Jahr ausfallen. Eine Erfahrung aus der letzten Infektionswelle ist, dass für die ökonomische Wirkung zwar auch administrierte Einschränkungen, vor allem jedoch das individuell wahrgenommene Infektionsrisiko und entsprechende Selbstbeschränkungen entscheidend sind. Die neue Virusvariante Omikron hat zusätzlich die Unsicherheit erhöht und dürfte sich negativ auf das Verbrauchervertrauen auswirken. Insofern ist im Winterhalbjahr von einer erneuten Dämpfung des Konsums aus- zugehen, insbesondere kontaktintensive Sektoren wie das Gastgewerbe und Hotellerie wer- den hiervon betroffen sein. Auch die meisten Frühindikatoren deuten eine geringere Dyna- mik im Winterhalbjahr an. Wir rechnen im Basisszenario damit, dass nach der konjunkturel- len Abkühlung im Winter erneut eine kräftige Erholung im kommenden Frühjahr einsetzt. Diese wird aus unserer Sicht vor allem vom privaten Konsum getragen. Zwar belastet derzeit die hohe Inflation stark die real verfügbaren Einkommen, gemäß unserer Prognose nimmt der Preisauftrieb im Laufe des Jahres 2022 jedoch ab, während eine weitere Verbesserung der Arbeitsmarktlage zu erwarten ist. Zudem besteht gerade beim Konsum noch ein gewis- ses Aufholpotenzial und die deutlich erhöhte Sparquote sollte sich bei einer verbesserten
10 / Economic Adviser Outlook 2022 Pandemielage sukzessive normalisieren. Insgesamt rechnen wir auch für 2022 mit einer Ex- pansionsrate weit oberhalb des Potenzialwachstums, nach gut 5% in diesem Jahr dürfte sich die Dynamik nur leicht auf 4,1% abschwächen. Weit ins Jahr 2022 hinein bleiben jedoch kon- junkturelle Abwärtsrisiken pandemiebedingt deutlich erhöht. Bei einem ungünstigeren Pan- demieverlauf als unterstellt könnten direkte und mittelbare Folgen der Pandemie (z.B. Ma- terialengpässe) stärker und noch länger die wirtschaftliche Dynamik dämpfen. Fiskalpolitik bleibt 2022 expansiv ausgerichtet – Investitionen werden angeschoben Neben dem privaten Konsum werden auch die Investitionen 2022 einen positiven Wachs- tumsbeitrag liefern. Unterstützt wird dies von der nach wie vor sehr expansiv ausgerichteten Fiskalpolitik. Das Herzstück der gemeinsamen fiskalpolitischen Antwort der EU bildet ein Konjunkturpaket von gut EUR 2 Bio. Es besteht aus dem langfristigen EU Haushaltsplan (rund EUR 1,2 Bio.) und einer Aufstockung um weitere rund EUR 800 Mrd. im Rahmen des „Next Generation EU“-Programms (NGEU). Die fiskalpolitische Reaktion der EU auf die Corona- Krise unterscheidet sich fundamental von der Reaktion auf die Staatsschuldenkrise. Lag da- mals noch der Schwerpunkt auf Anpassungsprogrammen und der internen Abwertung für Krisenstaaten, wird nun durch den derzeitigen EU-Haushaltsplan der Fokus auf die Bereit- stellung von Hilfen gelegt. Die damaligen Anpassungsprogramme hatten als restriktiver Fis- kalimpuls die wirtschaftliche Erholung behindert. Aufgrund dieser Erfahrungen will die EU- Kommission nun mehr Zeit für die Konsolidierung gewähren. Die Mittelbereitstellung des NGEU-Programms ist an die Bedingung geknüpft, dass die Finanzhilfen in zukunftsorien- tierte Zwecke wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung und ökonomische sowie gesellschaftliche Resilienz gelenkt werden. Die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne, die für die Mobilisie- rung der Hilfen notwendig sind, wurden von der Kommission bewertet und im Grundsatz befürwortet. Sowohl 2022 als auch 2023 werden nach Angaben der EU-Kommission durch die Mittel aus der Fazilität für Wiederaufbau und Resilienz (RRF) zusätzliche Ausgaben von jeweils mehr als 0,5% des BIPs getätigt, wobei der überwiegende Teil zur Steigerung privater und öffentlicher Investitionen aufgewendet werden soll. Hierdurch wird im besten Fall – wie intendiert – eine Steigerung des Wachstumspotenzials erreicht. Auf kürzere Sicht ist vor al- lem die zusätzliche Unterstützung der konjunkturellen Erholung bedeutsam. Chart: Fiskalpolitik bleibt 2022 expansiv – Diskussion über Anpassung der Schuldenregeln 220 in % v. BIP 200 180 160 140 120 100 80 60 ? 40 20 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 2023 Euroland Deutschland Frankreich Italien Spanien Portugal Griechenland Maastricht-Kriterium Quellen: Feri, Eurostat; Bloomberg; NORD/LB Macro Research Reformdebatte EU-Verschuldungsregeln: Konjunkturschonende Konsolidierung ab 2023 Auch auf nationaler Ebene haben die europäischen Länder große fiskalische Unterstützun- gen zur Bewältigung der Corona-Krise beschlossen. Dies hat zu einer deutlichen Ausweitung der Defizit- und in der Folge auch der Staatsschuldenquoten geführt (vgl. Chart). Besonders
11 / Economic Adviser Outlook 2022 ausgeprägt war der Anstieg der Schuldenquote im Jahr 2020, da hier zu der Defizitauswei- tung der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts hinzukam. Mit der Aktivierung der allgemei- nen Ausweichklausel in den EU-Fiskalregeln als Reaktion auf die Unwägbarkeiten der Covid- 19-Pandemie im März 2020, wurde der Weg für dringend benötigte Fiskalimpulse freige- macht. Die Ausweichklausel bleibt vorerst aktiviert und die EU-Fiskalregeln sollen nach einer zwischenzeitlich eingeleiteten Überprüfung auf Reformbedarf voraussichtlich erst 2023, dann wahrscheinlich in modifizierter Form, wieder in Kraft treten. Anpassungen sind hier nicht nur wahrscheinlich, bis zu einem gewissen Grad erscheinen sie auch gerechtfertigt. Die Kriterien des Stabilitäts-und Wachstumspakts (SWP) wurde in den 1990er Jahren in einem völlig anderen gesamtwirtschaftlichen Umfeld kalibriert (u.a. positive Nominal- und Realzin- sen). Zudem lag die durchschnittliche Schuldenquote der EU-Staaten damals im Bereich von 60% vom BIP. Trotz krisenbedingt deutlich höherer Schuldenstände ist die Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte mit dem Rückgang des allgemeinen Zinsniveaus spürbar gesunken. Mit einer deutlich veränderten Ausgangslage ist daher auch die Frage nach der Aktualität des SWP und der übrigen Fiskalregeln aufgeworfen worden. Im Oktober 2021 beschloss die EU-Kommission die Wiederaufnahme der Prüfung der EU-Fiskalregeln. Weitgehend einig sind sich Volkswirte hinsichtlich der zu hohen Komplexität des Regelwerkes. Zudem haben die bestehenden Regeln eine erhebliche Schuldenzunahme nicht verhindern können, und unrealistische Zielmarken (Zwanzigstel-Regel, gerade nach dem Corona-Schock) können letztlich die Glaubwürdigkeit und Bindungswirkung des Regelwerks insgesamt untergraben. Vor allem die angestrebte Wiedereinsetzung ab 2023 treibt nun die Debatte um eine Reform der Schuldenregeln an. Hintergrund sind Sorgen, dass ein zu schneller fiskalischer Exit kon- junkturschädlich wäre und letztlich eine nachhaltige Erholung der europäischen Wirtschaft behindern könnte. Derzeit diskutierte Reformoptionen sind eine „grün-goldene Regel“, die Investitionen in die Nachhaltigkeit begünstigen würde, oder auch eine Anpassung der Grenze für die Staatsschuldenquote in den Bereich zwischen 80 und 100% des BIP. Die Re- formdebatte ist ein Versuch, Solidität der Finanzen und Spielräume für notwendige Investi- tionen zu verbinden. In der Tendenz dürfte das Regelwerk etwas gelockert werden, was die Wahrscheinlichkeit für einen konjunkturschonenden Konsolidierungskurs ab 2023 erhöht. Arbeitsmarkt: Beschäftigung trotz Besserungen noch weit unter Vorkrisenniveau Der Arbeitsmarkt hat sich bereits im Jahr 2021 deutlich und schneller als erwartet von dem Corona-Schock erholen können. So ist die Arbeitslosenquote im Oktober erstmals unter das Vorkrisenniveau gesunken, die Beschäftigung und die Partizipationsrate bleiben jedoch noch hinter dem Vorkrisenniveau zurück. Die Auswirkungen auf die Haushaltseinkommen blieben bislang jedoch begrenzt, wozu Maßnahmen wie Kurzarbeitsregelungen maßgeblich beigetragen haben. Die Krise wirkte sich stärker auf die Lohnentwicklung aus, bei der bis zuletzt trotz der im Jahr 2021 deutlich gestiegenen Inflationsrate eine Verlangsamung zu beobachten gewesen ist. In unserem Basisszenario gehen wir davon aus, dass sich dieser Trend nicht fortsetzt, sondern ab 2022 ein höheres Lohnwachstum erreicht wird. Für eine starke Beschleunigung mit der Gefahr von Zweitrundeneffekten und somit einer Versteti- gung des aktuellen Inflationsimpulses gibt es bislang jedoch keine Hinweise. Zudem beste- hen innerhalb des Euroraums noch große Divergenzen, besonders die Arbeitsmärkte einiger südeuropäischer Länder mit einem hohen Wertschöpfungsanteil der beschäftigungsintensi- ven Tourismusbranche hatten stark unter den Corona-Folgen zu leiden. Die Inflation geht 2022 allmählich zurück, bleibt aber länger über dem EZB-Zielwert Eine der größten Überraschungen des Jahres 2021 war sicher das Ausmaß des Inflationsan- stiegs weltweit. Auch in der Eurozone wurden alle Prognosen übertroffen. Aufgrund einiger Sonderfaktoren – wie der Basiseffekt infolge der Rückkehr zu den normalen Mehrwertsteu- ersätzen in Deutschland – ist die Inflationsrate seit der Jahresmitte deutlich angestiegen. Im November ist die Inflationsrate im Euroraum gemäß Schnellschätzung auf 4,9% gesprungen,
12 / Economic Adviser Outlook 2022 der höchste Wert seit dem Bestehen des gemeinsamen Währungsraums. Im Juli 2008 – als der bisherige Spitzenwert markiert wurde – lag die Preissteigerungsrate mit 4,1% deutlich niedriger. Auch wenn die mittelfristigen Inflationserwartungen bislang gut verankert zu sein scheinen, unter den Kapitalmarktakteuren wachsen dennoch Sorgen hinsichtlich zunehmen- der Aufwärtsrisiken für die Inflation. Diese Sorgen haben aufgrund der bis zuletzt anhalten- den Materialengpässe und infolge des Energiepreisschubs im Herbst 2021 zusätzliche Nah- rung erhalten. Zwar dürften die Ursachen bei den meisten inflationssteigernden Faktoren isoliert betrachtet tatsächlich weitgehend vorübergehender Natur sein. Es besteht aber ein nicht unerhebliches Risiko, dass aus einer ganzen Kette an inflationssteigernden Einmalef- fekten ein dauerhafter Anstieg der Inflationsdynamik entsteht. Zumal über die weitere Ener- giepreisentwicklung große Unsicherheit herrscht. Je länger die Inflation deutlich erhöht ist, desto größer ist das Risiko, dass sich Verhaltensänderungen einstellen und sich höhere In- flationserwartungen durchsetzen, zum Beispiel bei Lohnverhandlungen. Wir rechnen in un- serem Basisszenario mit einem einmalig etwas stärkeren Rückgang der Inflationsrate zum Jahreswechsel, wenn einige Basis- und Sondereffekte auslaufen. Die Inflation bleibt jedoch in Deutschland und im Euroraum wahrscheinlich noch für eine längere Zeit deutlich über dem EZB-Inflationsziel von 2%. Dank allmählich rückläufiger oder zumindest nicht weiter steigender Energiepreise und entlastenden Basiseffekten wird sich die HVPI-Jahresrate im weiteren Verlauf des Jahres 2022 allmählich wieder der Marke von 2% Y/Y annähern. Zu- gleich ist davon auszugehen, dass die Kernrate gegenüber dem Vorjahr weiter anzieht. Ad- verse Entwicklungen in der Pandemie, z.B. durch Omikron, könnten trotz eines konjunktur- dämpfenden Effekts sogar die Inflation weiter anschieben, da Konsumenten dann noch län- gere Zeit verstärkt Waren anstelle von Dienstleistungen nachfragen dürften. Auch über mit- telbare Effekte wie eine weitere Verschärfung von Material- und Lieferengpässen könnte sich in einem solchen adversen Szenario zusätzliches Inflationspotenzial ergeben. Chart: Inflation geht 2022 allmählich zurück, bleibt aber vorerst deutlich über Zielwert 6,0 Y/Y, in %-P. Y/Y in % 200 Prognose 175 150 4,0 125 100 75 2,0 50 25 0,0 0 -25 -50 -2,0 -75 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 Kernrate ex Energie Energie HVPI-Gesamt Y/Y "Supercore" Euroland Inflation Swap Forward 5Y5Y Ölpreis Y/Y, (r.S.) Quellen: Feri, Bloomberg, NORD/LB Macro Research EZB: PEPP läuft 2022 aus, Zinserhöhungen laut Lagarde aber „sehr unwahrscheinlich“ Die EZB muss beim Thema Inflation inzwischen um die Deutungshoheit kämpfen. Grundsätz- lich hält die EZB an ihrer Interpretation fest, dass der aktuell ausgeprägte Anstieg der Infla- tionsrate weitgehend auf temporäre Sonderfaktoren zurückzuführen sei. Dies gehe vor al- lem auf Folgen des Wiederanspringens der wirtschaftlichen Aktivität nach dem coronabe- dingten Einbruch 2020 zurück. Hierdurch haben sich Energiepreise deutlich von den Tief- ständen erholt, zudem resultieren aus der nicht synchronen Erholung von gesamtwirtschaft- licher Nachfrage und Angebot derzeit Knappheiten. Präsidentin Lagarde verwies zuletzt zu- dem wiederholt auf die Verzerrungen durch den Basiseffekt wegen Veränderungen bei der deutschen Mehrwertsteuer. Alle Effekte dürften nach Ansicht der Mehrheit im Rat im Ver- lauf des kommenden Jahres auslaufen. Allerdings fällt der aktuelle Inflationsschub deutlich
13 / Economic Adviser Outlook 2022 stärker als ursprünglich erwartet aus. Die EZB muss daher mögliche Risiken für Zweitrunden- effekte im Blick behalten, Verhaltensänderungen der Wirtschaftssubjekte können nicht aus- geschlossen werden. Zumindest dieses Risiko wird inzwischen auch im Rat intensiver wahr- genommen und diskutiert. Im September hatte der Rat erstmals leicht den Fuß vom Gaspe- dal genommen und eine Rekalibrierung des PEPP-Ankauftempos beschlossen. Im vierten Quartal fallen die monatlichen Nettoankäufe daher verglichen mit den beiden Vorquartalen etwas geringer aus. Eine wichtige Bedingung der EZB ist, dass die Aufrechterhaltung günsti- ger Finanzierungskonditionen nicht gefährdet wird. Die Reduktion in den Monaten Oktober und November auf jeweils EUR 68 Mrd. fiel denn auch sehr moderat aus. Und auch unter Berücksichtigung der für Dezember sicher geringeren Nettoankaufsumme ist diese Rekalib- rierung am ehesten vergleichbar mit der Einleitung des Wendemanövers eines Supertankers in voller Fahrt. Die EZB muss vor allem mehr Flexibilität zurückgewinnen, um bei Bedarf rechtzeitig und angemessen gegensteuern zu können. Ein erster Schritt dürfte daher ein Auslaufen des PEPP Ende März 2022 sein. Immerhin hat sich das Gesamtvolumen aus QE- Maßnahmen und TLTROs der EZB seit dem Beginn der Pandemie verdoppelt (vgl. Chart). Der Fokus der Marktteilnehmer richtet sich seit längerer Zeit auf die Ratssitzung der EZB am 16. Dezember, wenn hierzu und zu flankierenden Maßnahmen Entscheidungen zu erwarten sind. Zwar haben die Risiken zuletzt u.a. durch die Omikron-Variante wieder zugenommen, worauf vor allem die Tauben im Rat hinweisen dürften. Zugleich werden die Beratungen allerdings orchestriert von den neuen Projektionen der EZB. Hierbei dürfte die Inflationspro- jektion – zumindest für das Jahr 2022 – gegenüber der letzten Prognose aus dem September (1,7%) erheblich aufwärts revidiert werden. Daher dürfte bei aller Unsicherheit der gut vor- bereitete Ausstieg aus dem Notfallprogramm PEPP nun erfolgen. Die geldpolitische Ausrich- tung der EZB bleibt aber dennoch vorerst sehr expansiv. Dies wird sich auch darin äußern, dass der Ausstieg aus dem PEPP zur Vermeidung von Klippeneffekten vorübergehend etwas flankiert wird und zugleich die übrigen Instrumente so angepasst werden, dass genügend Flexibilität zur Reaktion auf mögliche Marktverwerfungen erhalten bleibt. Und für den Fall einer erheblichen Verschärfung der Pandemie wird die Mehrheit im Rat auch auf die Mög- lichkeit der Wiederbelebung des PEPP bestehen. Aufhorchen ließen Überlegungen aus dem EZB-Rat, zur Kompensation der Kosten des Bankensektors infolge hoher Überschussliquidi- tät und negativem Einlagezins perspektivisch einer Erhöhung des Tiering-Faktors den Vorzug gegenüber weiteren Superkonditionen bei TLTROs zu geben. Die Auflage einer neuen Serie von TLTROs ist zwar nicht unwahrscheinlich, allerdings dürften die Konditionen dann weni- ger attraktiv ausfallen als bei den TLTRO III-Geschäften. Die Belastungen des Bankensektors durch die Negativzinsen ließen sich natürlich auch durch ein Ende des negativen Einlagezin- ses lösen, eine Leitzinserhöhung scheint jedoch derzeit noch in weiterer Ferne. So traten in den letzten Wochen Lagarde, Lane und andere prominente Ratsmitglieder Markterwartun- gen zu einer ersten Zinserhöhung bereits im Laufe des Jahres 2022 recht deutlich entgegen. Chart: EZB – Volumen aus QE-Programmen und (T)LTROs seit Krisenbeginn verdoppelt Mrd. Euro 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 CBPP I & II SMP CBPP3 ABSPP PSPP CSPP PEPP (T)LTROs Quellen: Feri, Bloomberg, EZB, NORD/LB Macro Research
14 / Economic Adviser Outlook 2022 Kapitalmarktzinsen: Bundrenditen bewegen sich nur langsam aufwärts Die Kapitalmarktrenditen hatten im Jahr 2021 zunächst aufwärts tendiert, wenngleich dies- seits des Atlantiks bei weitem nicht so dynamisch wie US-Treasuries. Die Rendite deutscher Bundesanleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit nahm im Mai und Oktober zwei Anläufe, schaffte jedoch beide Male nicht den Sprung zurück in den positiven Renditebereich. Mit neuen Corona-Sorgen und weniger forschen Zinserhöhungserwartungen ging es hingegen Anfang Dezember bis auf die Marke von -0,40% zurück – was unserer Prognose von vor zwölf Monaten entspricht. Weder der Beginn des Taperings in den USA noch die klare Erwartung eines Endes des PEPP haben bislang auch nur annähernd einen Anstieg der Bundrenditen bewirkt. Die Nachfrage der Investoren ist aus vielfältigen Gründen gerade bei deutschen Bundesanleihen weiterhin sehr hoch, zudem wird das Bekenntnis der EZB zur Aufrechter- haltung günstiger Finanzierungskonditionen weiterhin als glaubhaft angesehen. Ein nach- haltiger Regimechange bei der Inflationsentwicklung könnte die Gewichte jedoch verschie- ben und zu einem stärkeren Renditeanstieg beitragen. Dies ist derzeit nicht unser Basissze- nario, so dass die Rendite 10-jähriger Bunds auf Jahressicht zwar leicht aufwärts tendieren dürfte, eine nachhaltige Rückkehr in den positiven Bereich erwarten wir auf Sicht von zwölf Monaten jedoch nicht. Fundamentalprognosen Euroland 2020 2021 2022 BIP -6,5 5,2 4,1 Privater Konsum -8,0 3,2 4,6 Öffentlicher Konsum 1,3 3,9 2,8 Investitionen -7,3 3,5 3,5 Außenbeitrag1 -0,4 1,4 0,3 Inflation 0,3 2,6 2,9 Arbeitslosenquote2 7,9 7,7 7,1 Haushaltssaldo3 -7,2 -7,1 -3,9 Leistungsbilanzsaldo3 2,0 2,5 2,4 Veränderung gg. Vj. in %, 1 Wachstumsbeitrag, 2 in % der Erwerbstätigen, 3 in % des BIP Quelle: Feri, NORD/LB Macro Research Quartalsprognosen Euroland I/21 II/21 III/21 IV/21 I/22 BIP sa Q/Q -0,2 2,2 2,2 0,6 0,1 BIP sa Y/Y -1,1 14,4 3,9 4,8 5,2 Inflation Y/Y 1,1 1,8 2,8 4,5 3,8 Veränderung in % Quelle: Feri, NORD/LB Macro Research Zinsen Euroland 09.12. 3M 6M 12M Tendersatz EZB 0,00 0,00 0,00 0,00 3M-Satz -0,59 -0,56 -0,55 -0,50 10J Bund -0,35 -0,20 -0,10 0,00 Quelle: Bloomberg, NORD/LB Macro Research
15 / Economic Adviser Outlook 2022 Deutschland Erholung mit Hindernissen – schwieriges Umfeld für neue Bundesregierung Analyst: Christian Lips, Chefvolkswirt // Marlene Renkel Rückblick: Erholung mit Hindernissen – BIP erreicht 2021 noch nicht Vorkrisenniveau Die deutsche Wirtschaft hat im Jahr 2021 erwartungsgemäß einen Gutteil des vorherigen coronabedingten massiven Konjunktureinbruchs aufholen können, das Vorkrisenniveau je- doch noch nicht wieder erreicht. Verglichen mit dem Vorjahr legte das preis- und saisonbe- reinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2021 um voraussichtlich 2,8% zu. Dies liegt nur leicht unter unseren Erwartungen von vor einem Jahr, als wir mit einer Wachstumsprognose von 3,2% zu den Pessimisten im Lager der Prognostiker gehörten. Letztlich profitierten wir da- von, dass vor allem unsere Erwartungen zum Pandemieverlauf und den Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität recht treffsicher waren. So dominierte Corona auch im abgelau- fenen Jahr maßgeblich die Wirtschaftsentwicklung. Zunächst verhagelten die zweite und dritte Infektionswelle zunächst den Start ins Jahr, die reale Wirtschaftsleistung ging im ers- ten Quartal deutlich zurück. Besserungen im Infektionsgeschehen und Fortschritte bei der Impfkampagne ermöglichten dann im Frühjahr spürbare Lockerungen der Schutzmaßnah- men. Die wirtschaftliche Aktivität nahm vor allem in den Corona-sensitiven Sektoren (weite Teile des Dienstleistungssektors, Hotellerie und Gastgewerbe sowie der stationäre Einzel- handel) teils sprunghaft zu und trug so maßgeblich zum konjunkturellen Aufholprozess im zweiten und dritten Quartal bei. Verwendungsseitig war vor allem der private Konsum im Sommerhalbjahr der Wachstumstreiber, während vom Außenbeitrag und den Investitionen kaum Impulse ausgingen (vgl. Chart). Das Vorkrisenniveau hat der private Konsum jedoch noch nicht erreicht. Im europäischen Vergleich fällt der Aufholprozess in Deutschland zudem bislang etwas schwächer aus, was nicht nur mit dem etwas geringeren Aufholpotenzial zu erklären ist. Vor allem die unterproportionale Wachstumsdynamik im Sommerhalbjahr ist auf Belastungen für die Produktion im verarbeitenden Gewerbe (Material- und Liefereng- pässe, Energiepreisschub) zurückzuführen gewesen. Nachdem im Sommer viele Industrie- unternehmen ihre Produktion durch Kurzarbeit, Werksferien und sogar Werksschließungen sehr stark gedrosselt hatten, ist für das vierte Quartal ein Rückpralleffekt wahrscheinlich. Allerdings wird zum Ende des Jahres die reale Wirtschaftsleistung von einer heftigen vierten Corona-Infektionswelle erneut gebremst. Chart: Wachstumsbeiträge zum realen BIP 12,0 Q/Q, in %-P. 9,0 8,0 4,0 2,0 1,7 0,6 0,4 1,1 0,4 0,7 0,0 -0,4 -0,4 -0,5 -0,1 -4,0 -1,8 -1,9 -8,0 -12,0 -10,0 I/18 III/18 I/19 III/19 I/20 III/20 I/21 III/21 Privater Konsum Staatsausgaben Bruttoanlageinv. Vorräte Außenbeitrag BIP-Wachstum Quellen: Feri, Bloomberg, NORD/LB Macro Research
16 / Economic Adviser Outlook 2022 Corona, Lieferengpässe und Energiepreisschub bremsen Konjunkturerholung Die Probleme des Jahres 2021 (Corona, Liefer- und Materialengpässe sowie Energiepreis- schub) erklären nicht nur den bisherigen Konjunkturverlauf. Die weitere Entwicklung bei den Belastungsfaktoren wird auch maßgeblichen Einfluss auf den wirtschaftlichen Aufholprozess im Jahr 2022 haben. Schon zu Beginn der Pandemie kam es zu zeitweise erheblichen ange- botsseitigen Friktionen, Liefer- und Materialengpässe haben sich jedoch im Jahr 2021 uner- wartet deutlich verschärft. Vor allem die deutsche Industrie wird durch Flaschenhälse bei wichtigen Vorprodukten und Rohstoffen seit längerer Zeit ausgebremst. Umfragen des ifo- Instituts in der Industrie ergeben seit Monaten, dass rund drei Viertel der befragten Unter- nehmen von Engpässen bei Rohstoffen und Vorprodukten betroffen sind und ihre Produk- tion hierdurch deutlich behindert wird. In einigen Wirtschaftszweigen wie im Fahrzeugbau berichten die Unternehmen praktisch ausnahmslos von erheblichen Problemen, entspre- chend kräftig fiel der Produktionsrückgang hier aus (vgl. Chart). Im Sommer hatten immer mehr Unternehmen keine Möglichkeiten mehr, die Material- und Lieferengpässe zu kom- pensieren. Die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes schätzen, dass die Probleme im Durchschnitt noch acht Monate andauern, in besonders betroffenen Sektoren wie der Au- tomobilindustrie rechnet man sogar mit deutlich länger andauernden Belastungen. Nach neuesten Erkenntnissen des IW rechnen manche Unternehmen inzwischen sogar mit Stö- rungen bis ins Jahr 2023 hinein. Dies hängt jedoch auch an dem weiteren Pandemieverlauf. Bei starken Rückschlägen durch neue Virus-Mutanten – hier hat insbesondere die neue ent- deckte Variante Omikron große Unsicherheit verursacht – könnten die Störungen der Lie- ferketten noch einige Zeit anhalten. Auch könnten die Verschiebungen bei der Endnachfrage länger anhalten, wonach Konsumenten weniger Dienstleistungen und mehr Waren und Gü- ter nachfragen. Auch im Einzelhandel sind die Verspannungen inzwischen angekommen, nicht alle Waren sind derzeit verfügbar und die Unternehmen planen verstärkt Preiserhö- hungen. Verbraucher und Unternehmen leiden zusätzlich unter dem Energiepreisschub (ins- besondere Gas) in diesem Herbst. In einigen energieintensiven Industriebranchen wie der Metallerzeugung und der Chemie kam es bereits zu Produktionsdrosselungen als Reaktion auf den starken Energiepreisanstieg. Aus unserer Sicht dürften die angebotsseitigen Restrik- tionen die wirtschaftliche Aktivität zunächst noch dämpfen, im Verlauf des Jahres 2022 soll- ten sie sich aber sukzessive auflösen und damit auch Raum für ausgeprägte Aufholeffekte eröffnen. Auch wenn sich die Bestelldynamik zuletzt deutlich reduziert hatte, können die Unternehmen von einem rekordhohen Auftragsbestand zehren. Angesichts des geringen Produktionstempos beträgt die Auftragsreichweite inzwischen 7,4 Monate. Chart: Industrieproduktion kann wegen Engpässen mit Nachfrage nicht Schritt halten 150 Index (2015=100) 130 110 90 70 50 1/18 7/18 1/19 7/19 1/20 7/20 1/21 7/21 Produktion Verarb. Gewerbe Auftragseingänge Industrie Fahrzeugbau AE Fahrzeugbau Bauproduktion Auftragsbestand Quelle: Destatis, Feri, Bloomberg, NORD/LB Macro Research
17 / Economic Adviser Outlook 2022 Ausblick: Corona trübt Sentiment – Aufholprozess setzt sich im Jahr 2022 aber fort Zunächst steht der deutschen Wirtschaft jedoch ein erneut schwieriges Winterhalbjahr be- vor. Die Stimmung in der Wirtschaft hat sich zum Jahresende – insbesondere unter dem Eindruck der vierten Corona-Welle – deutlich eingetrübt. Das ifo-Geschäftsklima für die ge- werbliche Wirtschaft reduzierte sich im November auf nur noch 96,5 Punkte und fiel damit fast auf das Vorkrisenniveau im Februar 2020 zurück. Sowohl die aktuelle Geschäftslage als auch die Geschäftserwartungen wurden von den Unternehmen schlechter beurteilt, die Zu- kunftsaussichten der Unternehmen sind so skeptisch wie seit Anfang 2021 nicht mehr. Im Herbst ist die Coronakrise mit Rekordinfektionszahlen zurückgekehrt, und zwar mit größerer Wucht als von vielen Optimisten für möglich gehalten. Wegen der im Vergleich zu anderen europäischen Staaten zu niedrigen Impfquote muss sich Deutschland auf deutliche Ein- schränkungen auch in diesem Winter einstellen. Nicht nur aus Unternehmenssicht ist hieran besonders ärgerlich, dass diese Entwicklung mit geringem Aufwand zu vermeiden gewesen wäre. Die vierte Corona-Welle trifft die Wirtschaft zudem in einer Schwächephase. Neben den hartnäckigen Liefer- und Materialengpässen, die weiterhin die Produktionsmöglichkei- ten einschränken, belastet auch der Kostenschub durch den breiten Preisanstieg bei Energie und Rohstoffen die Unternehmen. Die vierte Welle hat sich vor allem auf das Sentiment im Dienstleistungssektor sowie im Handel negativ ausgewirkt. Auch das Verbrauchervertrauen hat sich bereits wieder eingetrübt. Der konjunkturelle Aufholprozess gerät im laufenden Quartal somit erneut ins Stocken. Dabei sind die neuen Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Omikron-Variante in den Novemberdaten der Frühindikatoren noch gar nicht ent- halten gewesen, sondern konnten erstmals in den Dezembererhebungen vom ZEW sowie von sentix Berücksichtigung finden. Unter dem Eindruck von Omikron, was zeitweise auch an den Märkten zu deutlicher Verunsicherung geführt hatte, hat sich die Stimmungseintrü- bung noch einmal beschleunigt. Die ZEW-Konjunkturerwartungen sanken zwar nur mode- rat, die aktuelle Lage wird jedoch deutlich schlechter als im Vormonat beurteilt. Hierin kommt der spürbar aufgefrischte Gegenwind für die deutsche Konjunktur zum Ausdruck. Die vierte Corona-Welle bringt das deutsche Gesundheitssystem an den Rand seiner Belas- tungsgrenze, weshalb erneut Gegenmaßnahmen beschlossen wurden und voraussichtlich auch längere Zeit noch gelten müssen. Hochfrequente Daten zur Mobilität oder Restaurant- buchungen liefern bereits erste Hinweise auf teils deutliche Einschränkungen der ökonomi- schen Aktivität am aktuellen Rand. Das verarbeitende Gewerbe dürfte zwar im letzten Som- mer die Talsohle durchschritten haben, zumindest legte die Industrieproduktion im Oktober kräftig um 2,8% M/M zu. Der Output bleibt jedoch noch weit unter dem Vorkrisenniveau, und die Belastungen durch Knappheiten sowie hohe Energiepreise sind noch sehr ausge- prägt. Die sich abzeichnende moderate Erholung der Industrie in Q4 dürfte durch die Belas- tungen für Corona-sensitive Sektoren konterkariert werden. Nach einem schwierigen Win- ter mit einem Restrisiko für ein Abgleiten in eine technische Rezession, ist jedoch mit einer Fortsetzung des konjunkturellen Aufholprozesses zu rechnen. Wenn dann noch die Belas- tungen durch die angebotsseitigen Restriktionen abnehmen, sind Nachholeffekte und somit eine Rückkehr zu einer höheren Wachstumsdynamik wahrscheinlich. Dies könnte – in Ab- hängigkeit vom weiteren Pandemieverlauf – vor allem im zweiten Halbjahr 2022 zu höheren Wachstumsbeiträgen der Industrie führen. Wir prognostizieren daher für das Jahr 2022 ein BIP-Wachstum von 3,5%.
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