Standort Berlin - Industrien neu denken - Special - Private Equity Buyouts M&A - VC Magazin
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Special Oktober 2017 Private Equity • Buyouts • M&A www.vc-magazin.de Das Magazin für Investoren und Entrepreneure Special Standort Berlin – Industrien neu denken powered by
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Editorial Ein zweiter Blick lohnt sich Liebe Leserinnen und Leser, Berlin und seine Start-up-Szene sind mittlerweile nicht nur in der breiten Öffentlichkeit angekommen – regelmäßige Berichterstattungen in überregionalen Zeitungen und lan- desweiten Fernsehanstalten zeugen ebenso davon wie die Tatsache, dass das Thema auf Bundesebene bei beinahe allen politischen Parteien auf der Agenda steht –, sondern Benjamin Heimlich, Chefredakteur haben auch im internationalen Wettbewerb der Gründer- Hotspots ihren festen Platz in der Spitzengruppe gefunden. Den Weg dorthin haben zweifellos die E-Commerce-Unter- Berlin und seine Start-up-Szene sind in der breiten Öffent- nehmen bereitet. Die Vorzeigeberliner aus diesem Feld sind lichkeit angekommen und haben ihren festen Spitzenplatz dabei Zalando, die nicht nur eine beeindruckende Wachs- im internationalen Ranking der Gründungshotspots. Dass tumsstory vorweisen können, sondern seit ihrem IPO vor dies auch in Zukunft so bleibt, dafür sorgt eine Szene, die knapp drei Jahren auch an der Börse eine echte Erfolgs- noch viel facettenreicher ist, als es auf den ersten Blick geschichte sind. Die sozusagen zweite Welle in der Berliner scheinen mag. Gründer- und Investorenlandschaft rollt seit einiger Zeit in den Bereichen Fintech und Insurtech. Inwieweit der Austritt Einen erheblichen Einfluss auf diese Entwicklung hatte un- Großbritanniens aus der EU diese Entwicklung weiter anhei- bestritten die IBB Beteiligungsgesellschaft. 1997 gegründet zen wird, ist bislang noch nicht abzusehen. Sicher lässt sich erlebte der Wagniskapitalgeber beinahe sämtliche Hochs aber bereits heute sagen, dass es in der deutschen Haupt- und Tiefs der deutschen Venture Capital-Geschichte und stadt eine Reihe vielversprechender Unternehmen gibt. Bei- trug mit seinen Investitionen dazu bei, dass auch im tiefen spielsweise seien hier die 21 Mio. EUR schwere Finanzie- Tal der Tränen nach dem Platzen der Dotcom-Blase in der rungsrunde für den Fintech-Inkubator FinLeap oder das Berliner Start-up-Szene nicht vollständig die Lichter aus- international expandierende Start-up SumUp genannt. gingen. Heute findet sich die IBB Beteiligungsgesellschaft in einem der vitalsten Gründerökosysteme der Welt wieder – Dagegen finden die Gründungen im Berliner Hightech- und und zählt nach wie vor zu den aktivsten Finanziers in der Life Sciences-Sektor weniger in Wellen als viel mehr in einer deutschen Hauptstadt. Das VentureCapital Magazin gratu- Art permanentem Grundrauschen statt. Etwas abseits des liert der IBB Beteiligungsgesellschaft herzlich zum 20-jähri- grellen Lichts der Öffentlichkeit haben sich in Deutschlands gen Bestehen. Hauptstadt vitale Cluster entwickelt, die Unternehmen her- vorbringen, die nicht im B2C-Internet-Bereich angesiedelt Eine spannende Lektüre wünscht sind. Und obwohl sie sich u.a. in der Kundengruppe, den Entwicklungszyklen oder dem Risikoprofil von den viel- beachteten Digital-Start-ups unterscheiden, profitieren auch sie von der Aufmerksamkeit, die die Internetbranche erzeugt. Denn mit ihr kommen mehr und mehr Kapitalgeber in die Stadt, in deren Investitionsfokus auch Bereiche wie Life Sciences, Hardware oder Hightech fallen. benjamin.heimlich@vc-magazin.de Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“ 3
Inhalt 3 Editorial 14 Life Sciences in Berlin: eine Verbindung von Ein zweiter Blick lohnt sich Wirtschaft, Wissenschaft und Humankapital Zugkraft für neue Entwicklungen Standort Berlin 16 Interview mit Dr. Matthias Birkholz, lindenpartners „Auch die Blue Chip Corporates wollen Teil des 6 Start-up-Szene der deutschen Hauptstadt 2017 Aufbruchs werden“ Berlin pulsiert: Digitalisierung und Internationalisierung treiben an Im Fokus 10 Grußwort Die Rolle von Start-ups in Berlin 18 Standort: Technologiepark Adlershof Ramona Pop, Senatorin für Wirtschaft, Zurück im Rampenlicht Energie und Betriebe 11 Interview mit Tim Dümichen, KPMG „Hightech- und Life Sciences-Start-ups können Impressum VentureCapital von Berlins gutem Ruf profitieren“ Magazin 18. Jg. 2017 12 Interview mit Roger Bendisch und Marco Zeller, „Standort Berlin – Industrien neu denken“ IBB Beteiligungsgesellschaft ein Special des VentureCapital Magazins „Es ist ein relevanter Faktor, dass erfolgreiche Verlag: GoingPublic Media AG, Hofmannstr. 7a, 81379 München, Unternehmer die Seite wechseln“ Tel.: 089-2000339-0, Fax: 089-2000339-39, E-Mail: info@goingpublic.de, Internet: www.vc-magazin.de, www.goingpublic.de Redaktion: Mathias Renz (Verlagsleitung), Benjamin Heimlich (Chefredakteur), Elke Hartmann Mitarbeit an dieser Ausgabe: Bärbel Brockmann, Christina Cassala, Bernd Frank, Holger Garbs, Torsten Holler, Ramona Pop Lektorat: Benjamin Eder, Sabine Klug Gestaltung: Holger Aderhold Titelbild: © elxeneize – stock.adobe.com, © peshkova – stock.adobe.com Druck: Joh. Walch GmbH & Co. KG, Augsburg 4 Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“
V EN TUR E CA PITA L F ÜR BER LIN ĜųĀűĹDŽĜåųåĹåųüŅĬčųåĜÏĘå Berliner Start-ups! 19 Standort: CleanTech Business Park Berlin-Marzahn Zukunftsort für saubere Technologien Aus der Praxis 20 Case Study | Learnfield GmbH: Musikalische Weiterbildung Klavierspielen für alle 21 Case Study | Bonaverde GmbH: Innovativer Kaffeeautomat Rösten, Mahlen, Aufbrühen Service 22 Partner des Specials 185+ 65+ Mio. 100 € INVESTMENTS START-UPS AKTUELLES INSGESAMT IM PORTFOLIO FONDSVOLUMEN Unser Portfolio (Auswahl) www.ibb-bet.de Der Tech Fonds II und der Kreativ Fonds II sind eine gemeinsame Initiative der Investitionsbank Berlin und des Landes Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“ 5 Berlin. Die Fonds werden von der Investitionsbank Berlin und der Europäischen Union, Europäischer Fonds für Regi- SREPI*RX[MGOPYRKǻRER^MIVX
Standort Berlin Start-up-Szene der deutschen Hauptstadt 2017 Berlin pulsiert: Digitalisierung und Internationalisierung treiben an Berlin ist die Start-up-Metropole Deutschlands und misst sich mit internationalen Gründerzentren wie Paris, London, Stockholm, Barcelona. Vielfältig und zunehmend professioneller: Geld aus erfolgreichen Exits wird reinvestiert, die Branchenschwerpunkte verschieben sich, die Anziehungskraft für internationale Investoren steigt – und ebenso die Bedeutung für die Berliner Wirtschaft. Verlangt wird aber noch mehr Unterstützung durch Politik und Verwaltung. Foto: © elxeneize – stock.adobe.com, © peshkova – stock.adobe.com 6 Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“
N irgendwo in Deutschland entstehen so viele Start- deutschlandweiten Venture Capital-Investitionen mit Betei- ups wie in der Hauptstadt – laut dem Netzwerk ligung von Inkubatoren fanden 2015 in Berlin statt. Diese StartUP Berlin etwa alle 20 Minuten ein neues. In den Dominanz dürfte sich mittlerweile noch verstärkt haben. letzten Jahren hat sich eine erfolgreiche und bunte Szene Ebenso die Impulse für die Beschäftigung: Start-ups, die in entwickelt, die stärker international geprägt ist und auch den Jahren 2011 bis 2015 eine Venture Capital-Finanzierung mehr internationale Investoren anzieht als andere deutsche erhielten, stellen immerhin rund 17.000 Mitarbeiter (laut Standorte. Im ersten Halbjahr 2017 floss laut dem Start-up- Technologiestiftung Berlin); deutlich mehr als in der Ber- Barometer von EY die Rekordsumme von 1,48 Mrd. EUR liner Chemie- und Pharmaindustrie. Allein im Bereich IKT (erstes Halbjahr 2016: 530 Mio. EUR) in Berliner Start- stieg die Beschäftigung laut einer Studie der IBB, die ein ups, wobei allein Delivery Hero und Auto1 zusammen fast umfangreiches Förderprogramm bietet und mit ihrer Beteili- 750 Mio. EUR einsammelten. Zum Vergleich: In Deutschland gungsgesellschaft im Frühphasenbereich sehr aktiv ist, in insgesamt waren es 2,2 Mrd. EUR. Berlin zählte 116 Finanzie- den acht Jahren bis 2016 um 70%. Die Wirtschaftskraft der rungsrunden und lag weit vor den nächstplatzierten Bayern zehn Technologieparks und acht Gründerzentren wächst – (44) und Hamburg (22). vom Business Cleantech Park Marzahn über den EUREF- Campus bis zum Charlottenburger Innovation Center Verzahnung mit etablierten Firmen (CHIC). Allein der Wissenschafts- und Technologiepark Laut EY fließt überdurchschnittlich viel Kapital in die Be- Adlershof zählt über 1.000 Firmen und Einrichtungen mit reiche IKT, E-Commerce, Fintech, Software & Analytics, mehr als 15.000 Beschäftigten und über 1,6 Mrd. EUR Media & Entertainment und Health. Zudem findet eine im- Umsatz. Vom Bundeswirtschaftsministerium wurde Berlin mer engere Verzahnung mit der traditionellen Wirtschaft, z.B. als Hub-Standort für die Bereiche Internet of Things mit etablierten Unternehmen statt. Ein zentraler Treiber ist (IoT) und Fintech ausgewählt. hier die Digitalisierung. Immer mehr Corporates aus dem In- und Ausland bringen Geld und Know-how ein, um an Auf Platz sieben der Weltrangliste vorgerückt Innovationen teilzuhaben. Die Zahl der Akzeleratoren und „Man merkt, dass Berlin inzwischen eine weltweit aner- Inkubatoren von Großunternehmen – von Telekom und kannte Start-up-Metropole geworden ist“, sagt Jan Pörksen, Springer-Verlag bis Plug&Play und Microsoft – ist in den Geschäftsführer Beratung und Service der IHK Berlin. Das letzten Jahren sprunghaft gestiegen. Internationale Inves- sehe man auch an Studien wie dem „Global Startup Ecosys- toren spielen insbesondere eine wichtige Rolle bei kapital- tem Report 2017“, in dem Berlin von Rang neun auf Rang intensiven Vorhaben in der Expansionsphase, während sieben vorgerückt ist und in Europa nur noch London vor heimische Investoren stärker in Frühfinanzierungsphasen sich hat. „Es gibt einen starken Zuzug von ausländischen vertreten sind. Gründern, hier hat Berlin nach dem Silicon Valley die zweit- höchste Rate weltweit“, so Pörksen. Mittlerweile ist es nicht Hauptstadt der Inkubatoren mehr die erste, sondern die zweite und dritte Generation „Berlin ist die Hauptstadt der Inkubatoren und das Labor für von Gründern in Berlin, und viel Geld aus erfolgreichen neue Finanzierungsformen“ – so schrieb die Technologie- Exits bleibt im Kreislauf der Berliner Szene. Beispielhaft für stiftung Berlin schon in ihrem Venture Capital Report 2016 die positive Entwicklung nennt Pörksen die Gründerstand- („Impulse für die digitale Wirtschaft“): Rund zwei Drittel der orte Adlershof und das CHIC in Charlottenburg sowie den Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“ 7
Standort Berlin BiotechPark Berlin-Buch. Es gibt aber auch noch einige Initiative Start Alliance verbinden wir die Ökosysteme von Dinge zu verbessern, gerade in der Verwaltung, die auf die Tel Aviv, New York etc. mit Berlin und laden auch dortige Entwicklungen reagieren muss. Anträge müssten mehr und Investoren nach Berlin ein“, so Franzke. „Das führt zu einer mehr online und auf Englisch gestellt werden können. „Ad- immer stärkeren internationalen Verflechtung.“ Vor dem ministrativ könnte einiges vereinfacht werden“, sagt Pörk- Hintergrund des Brexit seien die Anwerbeaktivitäten in sen. „Bei den teils langen Bearbeitungszeiten in Berliner Asien und Nordamerika verstärkt worden. „Zudem haben Ämtern sind uns andere Länder voraus.“ Das hänge auch wir mit der Ausländerbehörde und der IHK die schnellere an der dortigen Personalsituation. Die IHK unterstütze auf Prüfung von Anträgen ausländischer Arbeitskräfte verein- unterschiedlichen Ebenen. „Die Einstiegsberatung gibt einen bart – binnen fünf Werktagen geht ein Bescheid raus. Und ersten Überblick, wichtig gerade für ausländische Grün- wir haben die Kontakte zu Wagniskapitalgebern wie Family der“, so Pörksen. „Bei der Finanzierung Offices, die nach interessanten Start-ups fragen, verstärkt. besteht viel Beratungsbedarf, ebenso Bei einigen Pitches konnten wir schon hervorragende bei Kooperationsfragen – da helfen wir Abschlüsse erzielen.“ mit unserem Netzwerk, ob es um den Kontakt zu Business Angels, zu ande- Mehr Kapital von Business Angels ren Unternehmen oder um Fragen der „Man merkt, dass mehr Kapital durch Internationalisierung geht.“ Um bei der Business Angels zur Verfügung steht“, Suche nach ausländischen Fachkräften sagt Joern-Carlos Kuntze, Managing Part- zu helfen, hat die IHK mit der Auslän- ner der Venture Capital-Gesellschaft derbehörde und mit Berlin Partners Berlin Technologie Holding (BTH). „Die Jan Pörksen, IHK Berlin die Kooperation „Business Immigration Szene profitiert davon, dass Geld aus Service“ gegründet. erfolgreichen Exits reinvestiert wird und diese Investoren wiederum Erfah- Digitalisierung analoger Prozesse rung und Know-how in den Markt ein- „Die Berliner Start-up-Szene wird im- bringen. Die Investmentprozesse sind Joern-Carlos Kuntze, Berlin Technologie Holding mer internationaler“, sagt auch Dr. Ste- weiter professionalisiert worden.“ Zu- fan Franzke, Geschäftsführer der Wirt- dem seien einige junge Fonds hinzuge- schaftsfördergesellschaft Berlin Part- kommen, die relativ frühphasig in Unternehmen investier- ner für Wirtschaft und Technologie. In ten. Besonders viel Aktivität sieht auch Kuntze in Geschäfts- der Branchenbetrachtung sei E-Com- modellen, die dazu beitragen, die traditionelle Industrie zu merce immer noch stark, aber andere digitalisieren. „Der Fokus verschiebt sich, ein bisschen von seien in den letzten zwei Jahren weiter E-Commerce-Ideen hin zu Bereichen wie Fintech, Insurtech nach vorne gerückt – wie z.B. Games, sowie Internet of Things, z.B. mit dem Thema Sensorik“, so Fintech, B2B-Geschäftsmodelle und Dr. Stefan Franzke, Kuntze. Neben etablierten Konzernen wenden sich auch Berlin Partner für Wirt- B2B2C-Lösungen u.a. in den Bereichen schaft und Technologie immer mehr Family Offices Start-up-Investments zu – direkt E-Health und Proptech (Property Tech- oder über (eigen- oder fremdgemanagte) Fonds. Die Be- nologies). „Branchen, die schwächer geworden sind bzw. deutung der Start-up-Szene in der Berliner Wirtschaft – ihr nachgelassen haben, kann ich nicht feststellen“, so Franzke. Anteil an der Wertschöpfung – nimmt kontinuierlich zu. „Insbesondere die Digitalisierung von analogen Prozessen „Junge, innovative Unternehmen nehmen mittlerweile eine schreitet weiter voran.“ Ein Beispiel sei Doozer, eine Inter- sehr wichtige Rolle ein“, so Kuntze. „Es gibt inzwischen im- netplattform für die Vermittlung von Handwerksleistungen, mer mehr, die schon über 100 Mitarbeiter beschäftigen und die die Bedürfnisse von Wohnungseigentümern, Handwer- hohe Umsätze generieren.“ Die Politik habe das Thema kern und Mietern verknüpfe. Bei der Finanzierung seien in Technologie und Innovation klar erkannt, man wolle Berlin jüngster Zeit immer größere Runden gestemmt worden. als Standort noch stärker nach vorne bringen. „Das ist be- Auch auf der Investorenseite werde es stetig internatio- sonders im Wahlkampf immer populär. Aber insgesamt pas- naler. Franzke nennt mehrere Gründe: „Zum einen hatten siert aus meiner Sicht, was diesen Anschub angeht, immer wir viele ausländische Gründer mit inzwischen erfolgrei- noch zu wenig“, so Kuntze. „Den Worten der Politiker müs- chen Exits, die wieder in Berlin reinvestieren. Zum anderen sen nun auch Taten folgen.“ Positiv seien zwar die vielen gibt es immer mehr ausländische Corporates, die hier u.a. Förderprogramme, allerdings herrsche hier noch viel Büro- über eigene Akzeleratoren in Start-ups investieren.“ Auch kratie und Unübersichtlichkeit, so Kuntze. Administrative der deutsche Mittelstand sei zunehmend engagiert. „Mit der Prozesse müssten verschlankt werden. 8 Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“
Venture Capital-Investitionen (in Mio. EUR) nach Bundesländern 1.600 1.480 1.400 1.200 1.000 erstes Halbjahr 2016 800 erstes Halbjahr 2017 531 600 400 231 197 178 200 74 54 53 47 67 32 45 34 26 26 23 16 5 0 6 1 17 2 6 0 Berlin Bayern Hamburg Baden- Nordrhein- Hessen Sachsen Mecklenburg- Rheinland- Nieder- Branden- andere Württemberg Westfalen Vorpommern Pfalz sachen burg Quelle: KPMG Vom Brexit profitieren ansiedeln kann.“ Die Entwicklung bei Inkubatoren und Akze- Dr. Robin Tech vom Hightech-Accelera- leratoren sieht Tech etwas skeptisch. „Es gibt inzwischen tor, -Analyst und -Investor AtomLeap über 60 Akzeleratoren in Berlin, das ist vollkommen inflatio- beobachtet viel Zuzug von Start-ups när.“ Auch viele Corporate Accelerators seien dazugekom- aus anderen deutschen Städten. „Wäh- men. Einige davon würden aber wieder verschwinden, denn rend in Deutschland insgesamt zu we- sie seien nicht ausreichend spezifiziert und fokussiert aus- nig gegründet wird, lässt sich in Berlin gerichtet. Um erfolgreich zu sein, müssten die Konzerne die ein ganz klares Wachstum beobach- Start-ups stärker in ihre Strategien einbinden, so wie das bei- ten.“ Das etablierte Gründerökosystem spielsweise Microsoft mit seinem Accelerator mache. Das habe die Hauptstadt anderen deut- Investmentinteresse von Family Offices und Business Angels schen Hotspots wie München und Köln Dr. Robin Tech, sei weiter gestiegen, sagt Tech, auch wenn es von beiden AtomLeap voraus. „Das ist in Deutschland einzig- Seiten noch nicht genügend Kapital gebe. „Insgesamt aber gilt: artig und steht in Konkurrenz zu Plät- Wer in Deutschland Wachstumskapital braucht, bekommt zen wie Paris und Barcelona, Tel Aviv und Schanghai“, so dies am besten in Berlin.“ Tech. Und natürlich zu London. Und wie ist das mit dem Brexit? „Davon können Standorte wie Paris und Berlin profi- Fazit tieren, wenn Unternehmen einen Eintritt in den europäi- Berlin ist hip und hat andere Städte in Deutschland inzwi- schen Markt suchen“, erklärt Tech. Paris sei allerdings fo- schen klar abgehängt. Auch im Wettbewerb mit internatio- kussierter und habe bessere Ansiedlungsprogramme. Die nalen Start-up-Hotspots marschiert die Hauptstadt nach Frage sei: Wie professionell wird für Berlin geworben? Wie vorne. Damit das so bleibt, sollten Bürokratie und Verwal- lässt sich, um Londoner Start-ups hierher zu locken, bei- tung allerdings mitziehen. Dann ist in einigen Jahren Platz spielsweise eine Ltd. möglichst unkompliziert in eine GmbH eins in Europa – vor London – möglich. umwandeln? Tech vermisst in diesem Zusammenhang noch einen klaren Plan für Berlin. „Das gilt auch für die Frage, wie Bernd Frank Berlin – in Konkurrenz zu Frankfurt – Fintechs aus London redaktion@vc-magazin.de Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“ 9
Standort Berlin Grußwort von Ramona Pop, Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe Die Rolle von Start-ups in Berlin M an kann es wenden, wie man will: Letzten Endes ist es fast immer die Innnovationsfähigkeit von Ramona Pop Unternehmen, die maßgeblich dafür ist, dass sich ist seit Dezember 2016 Berliner Bürger- ein Wirtschaftsstandort in seiner Qualität von anderen ab- meisterin und Senatorin für Wirtschaft, heben kann. Energie und Betriebe. Seit November 2001 ist sie Mitglied des Abgeordnetenhauses Innovationen sind Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung, von Berlin. Von Oktober 2009 bis Dezem- sie bestimmen die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Regionen ber 2016 war sie dort Vorsitzende der und tragen maßgeblich zu strukturellen Veränderungs- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Außer- prozessen bei. Geforscht und erfunden wird in den For- dem ist Pop Aufsichtsratsvorsitzende der schungslabors von Großunternehmen, im Mittelstand mit Berliner Stadtreinigung (BSR), der Berliner Verkehrsbetriebe seinen fachspezifischen Qualifikationen und in meist mit Digi- (BVG) und der Berliner Wasserbetriebe (BWB) sowie Vorsitzen- talisierungsprozessen befassten Start-ups. de des Verwaltungsrats der Investitionsbank Berlin (IBB). Und überall dort, wo Neues entsteht, ist Beteiligungskapital nicht weit. Gerade für junge und innovative Unternehmen ist Venture Capital von großer Bedeutung. Das große Wachs- tumspotenzial vieler Start-ups ist in der Regel mit einem 1,5 Mrd. EUR und damit zwei Drittel des gesamten in Deutsch- hohen Kapitalbedarf verbunden, der aufgrund fehlender land investierten Risikokapitals in Start-ups aus Berlin. Ein Sicherheiten oder der Unerprobtheit neuer Produkte selten Schwerpunkt der Investments liegt im Bereich E-Commerce. über das Geschäftsbankensystem gedeckt werden kann. Von den rund 940 Mio. EUR, die hier deutschlandweit inves- Venture Capital-Investoren füllen diese Lücke und tragen tiert wurden, landeten 95% in Berlin. Es ist also keine Frage, somit dazu bei, dass innovative Ideen auch tatsächlich am dass Venture Capital in Berlin eine Schlüsselrolle für die Ent- Markt Fuß fassen. wicklung, Markteinführung und wirtschaftliche Verbreitung von Innovationen spielt. Wir in Berlin erleben dies zurzeit hautnah. Berlin hat sich in den letzten Jahren zu einer der weltweit führenden Start-up- Einer der aktivsten Player in der Berliner Venture Capital- Metropolen entwickelt. In Berlin gibt es seit Jahren etwa Szene ist seit nunmehr 20 Jahren die IBB Beteiligungsgesell- 40.000 Unternehmensgründungen jährlich, davon rund 9.000 schaft. Mit 43 Transaktionen und einem Investitionsvolumen Betriebsgründungen. Obwohl Berlin noch immer ein ver- von rund 15 Mio. EUR hat die IBB Bet im vergangenen Jahr gleichsweise junger Gründungsstandort ist, wird die deutsche das zweithöchste Finanzierungsergebnis ihrer 20-jährigen Hauptstadt mittlerweile in einem Zug mit New York, Tel Aviv Geschichte erreicht. Der Tech Fonds II mit einem Volumen und London genannt. Und der Global Startup Ecosystem von 60 Mio. EUR und der Kreativ Fonds II mit 40 Mio. EUR sind Report 2017 sieht Berlin in Bezug auf seine Global Res- spezifisch auf die Belange Berliner Start-ups ausgerichtet. source Attraction Rate, seine globale Anziehungskraft auf Die IBB Bet tritt nie alleine auf, sondern immer als Lead- die entscheidenden Start-up-Player, weltweit auf Platz zwei oder Co-Investor in Finanzierungsrunden gemeinsam mit an- hinter dem Silicon Valley. In der Gesamtbewertung schafft deren Investoren. Über diese Hebelwirkung war die IBB Bet es Berlin als einzige weitere europäische Stadt neben Lon- insgesamt an Investitionen von über 1 Mrd. EUR beteiligt. don unter die besten zehn Standorte. IBB Bet – Start-ups – Venture Capital: Ein Dreiklang, der aus Weltweit aktive Venture Capital-Investoren sind in Berlin tätig. dem Berliner Ökosystem nicht mehr wegzudenken ist. Ich Berlin ist und bleibt deutschlandweit führend, wenn es um gratuliere der IBB Bet sehr herzlich zu 20 Jahren sehr erfolg- Venture Capital-Finanzierungen geht, und auch im europäi- reicher Arbeit mit jungen, innovativen Unternehmen und schen Metropolenvergleich platzieren wir uns seit Jahren in wünsche auch für die Zukunft viel Erfolg und eine glückliche der Spitzengruppe. Im ersten Halbjahr 2017 flossen knapp Hand bei den Investments. 10 Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“
Interview mit Tim Dümichen, KPMG „Hightech- und Life Sciences-Start-ups profitieren von Berlins gutem Ruf“ Berlins Start-up-Szene ist in den letzten Jahren stark gewachsen und darüber hinaus deutlich gereift. So prägen längst nicht mehr nur kleine Neugründungen das Bild der Hauptstadt, sondern auch junge Wachstumsunternehmen, die mehrere hundert Mitarbeiter beschäftigen. VC Magazin: Im zweiten Quartal 2017 haben die Venture Capital- Investitionen in Berlin wieder deutlich zugelegt. Wie wird es hier weitergehen? Dümichen: Wir erwarten, dass sich diese Entwicklung in den kommenden Monaten bestätigt. Seit Ende 2015 gab es stetig einen leichten Rückgang der Investitionssummen, der da- durch ausgelöst wurde, dass in den USA in einigen Fällen die Bewertungsniveaus aus den privaten Finanzierungsrunden am Kapitalmarkt nicht mehr erreicht wurden. Daraus ist die Erkenntnis gereift, dass die Bewertungen vieler Venture Capital-finanzierter Unternehmen am oberen Ende ange- langt waren. Das führte dazu, dass die Wagniskapitalgeber im letzten Jahr ihre potenziellen Investments noch stärker geprüft haben, mehr Meilensteine definiert wurden und so weiter. Nichtsdestotrotz war ausreichend Liquidität vorhan- den, um auch große Runden mit hohen Bewertungen zu rea- Tim Dümichen lisieren. Die Delle des Jahres 2016 ist unserer Einschätzung ist seit 2008 Partner im Bereich Corporate Tax Services bei nach aber mittlerweile überwunden. Auch weil die Szene KPMG in Berlin. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der insgesamt weiter gereift ist, wie sich beispielsweise bei den Beratung nationaler und internationaler Mandate in allen Fra- Geschäftsmodellen vieler Unternehmen zeigt. gen des Unternehmenssteuerrechts. Außerdem ist er Gründer der Initiative „Smart Start“ der KPMG, die sich auf die Beratung VC Magazin: Delivery Hero hat im Sommer ein erfolgreiches junger Wachstumsunternehmen spezialisiert. IPO vollzogen. Sehen Sie aktuell weitere Börsenkandidaten im Berliner Ökosystem? Dümichen: Hier gibt es sicherlich eine Reihe von Kandidaten, hier höhere Investitionssummen in der Breite bislang aus- die von dem Reifegrad ihres Geschäftsmodells her das Poten- bleiben? zial für eine Börsennotierung besitzen. Für diese Unterneh- Dümichen: Vielfach ist es eine Frage der Skalierung. Insbeson- men könnte ein Börsengang eine attraktive Möglichkeit für dere Life Sciences – beispielsweise die Entwicklung neuer eine nachhaltige Wachstumsfinanzierung sein. Der Exit von Wirkstoffe – erfordern bekanntlich ja sehr große Investitio- Delivery Hero über die Börse hat gezeigt, dass dies in nen und bergen bis in die klinische Phase drei das Risiko, Deutschland möglich ist, und ist damit auch ein wichtiges dass sich das Medikament als unwirksam herausstellt. Digi- Zeichen für den gesamten Markt gewesen. tale Geschäftsmodelle weisen meist ein deutlich geringeres Risiko bei einer höheren Skalierbarkeit aus, was für Venture VC Magazin: Welche Branchen sehen Sie aktuell besonders im Capital-Gesellschaften dann oft attraktiver ist. Dennoch Fokus der Investoren? können auch Hightech- und Life Sciences-Start-ups von dem Dümichen: Im E-Commerce-Sektor gibt es einige sehr reife mittlerweile sehr guten Ruf Berlins profitieren. Ich glaube Unternehmen, sodass neue Start-ups eher versuchen, Nischen- sehr stark an die Wirkung von Cluster-Effekten. In der Stadt märkte zu besetzen. Investorenseitig gibt es ein großes Inte- hat sich die notwendige Mixtur aus Talenten, Investoren, resse an Fin- und Insurtech-Themen. Dazu kommen die Unterstützung durch die Politik und, nicht zu vergessen, Bereiche künstliche Intelligenz sowie Deeptech. Ganz inte- einem attraktiven Lebensumfeld entwickelt. Das bietet ressant zu beobachten ist, dass auch der Hardware-Sektor Chancen für junge Unternehmen jeglicher Branchen. wieder mehr in den Fokus gerät. VC Magazin: Herr Dümichen, vielen Dank für das Gespräch. VC Magazin: Hightech und Life Sciences sind ebenfalls mit starken Clustern in Berlin vertreten. Woran liegt es, dass benjamin.heimlich@vc-magazin.de Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“ 11
Standort Berlin Interview mit Roger Bendisch und Marco Zeller, IBB Beteiligungsgesellschaft „Es ist ein relevanter Faktor, dass erfolgreiche Unternehmer die Seite wechseln“ Die deutsche Hauptstadt hat in den letzten Jahren ihren Platz unter den weltweiten Hotspots zur Gründung von innovativen Unternehmen zementiert. Insbesondere Start-ups aus dem B2C-Internet-Sektor prägen das Bild Berlins in der öffentlichen Wahrnehmung. Doch auch in den Bereichen Life Sciences oder Hightech hat sich eine vitale Gründerlandschaft entwickelt. VC Magazin: Berlin ist in den letzten Jahren ein interna- tionaler Start-up-Hotspot geworden. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Meilensteine auf dem Weg dorthin gewesen? Zeller: Wenn man auf die letzten 20 Jahre zurückblickt, war ein wichtiger Meilenstein, dass man in Berlin erkannt hat, dass die Zukunft der Stadt nicht darin liegt, große Konzerne in die Stadt zu holen oder Mittelständler anzusiedeln. Als Stärke hat man die Attraktivität der Stadt für junge Men- schen ausgemacht. Außerdem wurden die Hochschulen und Forschungsausrichtungen als wichtige Assets erkannt. 1997 hat man dann eine ganze Reihe an Maßnahmen ergriffen. So wurde der Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg initiiert, der heute der größte regionale Wettbewerb Deutschlands ist. Die IBB hat eine Reihe von Unterstüt- zungs- und Fördermaßnahmen für Gründungen ins Leben Roger Bendisch (l.) und Marco Zeller gerufen, mit einer eigenen Venture Capital-Gesellschaft an sind Geschäftsführer der IBB Beteiligungsgesellschaft, des der Spitze dieser Maßnahmen. Zusammengefasst lässt sich Beteiligungsarms der Investitionsbank Berlin. Die Beteiligungs- sagen: Der wichtigste Meilenstein war die Einsicht, dass die gesellschaft hat Berliner Technologieunternehmen in Konsor- Zukunft der Stadt maßgeblich von jungen Talenten und jun- tien mit Partnern seit 1997 über 1 Mrd. EUR zur Verfügung gen Unternehmen beeinflusst werden kann. gestellt. VC Magazin: Die IBB Beteiligungsgesellschaft ist seit 20 Jahren am Markt und lange Zeit der aktivste deutsche Investor. Wie VC Magazin: Wie bewerten Sie den Umstand, dass erfolgreiche hat sich die Szene verändert – insbesondere in Berlin? Serial Entrepreneure nun Fonds auflegen? Zeller: Nach der Euphorie des Neuen Marktes und dem an- Bendisch: Hier fließt Know-how aus dem Unternehmertum in schließenden Einbruch kam es in Deutschland – wie auch in die Venture Capital-Fonds, was wir sehr positiv sehen. Da vielen anderen Regionen der Welt – zu einer Art Eiszeit für wir uns stets gemeinsam mit privaten Investoren beteiligen, Venture Capital. Hierzulande dauerte diese etwa bis 2004. In schätzen wir die neuen Venture-Fonds von ehemaligen diesem Jahr hatten Herr Bendisch und ich das große Glück, Gründern sehr. Vorbild sind natürlich die Samwers, aber den ersten EFRE-co-finanzierten Fonds aufzulegen. Dieses daneben gibt es inzwischen eine ganze Handvoll neuer Wag- Vorgehen wurde dann zu einer Art Blaupause für viele regio- niskapitalfonds, mit denen wir gemeinsam gerne co-inves- nale Fonds. Ab den Jahren 2004/2005 hat sich die deutsche tieren. Wenn man in die USA, ins Silicon Valley blickt, sieht Venture Capital-Landschaft mehr und mehr erholt, auch man, dass viele neue Fonds von ehemaligen erfolgreichen wenn zwischenzeitlich die Finanzkrise natürlich auch in die- Unternehmern gestartet worden sind. Also eine durchaus ser Branche Spuren hinterlassen hat. weltweite gute Entwicklung. 12 Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“
Zeller: Man spricht auch oft von einem Berliner Ökosystem, das den, aber natürlich ist es ein Rückschlag, wenn ein großer gewachsen ist, und da ist es mit Sicherheit ein relevanter Name mal ins Schlaglicht kommt. Faktor, dass erfolgreiche Unternehmer „die Seite wechseln“. VC Magazin: Stichwort Verständnis: In Berlin wird nicht nur VC Magazin: Die deutsche Hauptstadt ist bekannt für ihre Landes-, sondern auch Bundespolitik gemacht: Wie hat B2C-Internet-Start-ups. Welche Branchen gedeihen abseits sich das Verständnis der Politik für Gründungs- und Venture des großen medialen Interesses? Capital-Themen verändert? Bendisch: Wir investieren in vier Branchen. Nicht nur in B2C- Zeller: Man stellt in den Gesprächen fest, dass das Verständ- Internet-Geschäftsmodelle, sondern seit 20 Jahren allen voran nis parteienübergreifend sehr stark gewachsen ist – sowohl auch in Life Sciences. Daneben sind wir im Cleantech-Sektor regional wie auf Bundesebene. Die Politiker verstehen, dass engagiert. Berlin hat mit Adlershof einen historischen High- neue Unternehmen entstehen, neue Technologien forciert tech-Standort, wo viele Laser- und Halbleiterunternehmen werden und dass das für die wirtschaftliche Entwicklung angesiedelt sind. Darüber hinaus gibt es in der Stadt eine Deutschlands hoch spannend ist. Dies ist über die Parteien Vielzahl an Soft- und Hardware-Start-ups. Der B2C-E-Com- hinweg, regional und überregional unumstritten. Aus Sicht merce-Hype ist abgeflaut. Jetzt geht es vermehrt um Tech- der Venture Capital-Szene ist man zwar noch nicht dort, wo nologien, wie Virtual Reality oder Artificial Intelligence. man gerne wäre, jedoch gibt es eine Reihe an Initiativen, an- Dazu passt, dass es in Berlin große Universitäten und viele hand derer man erkennen kann, dass die Politik schon ver- Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer-Institut gibt, standen hat, wie groß das Thema ist. aus denen sich auch sehr talentierte junge Menschen selbst- VC Magazin: Wo denken Sie, dass der Standort Berlin zum ständig machen. 40-jährigen Jubiläum der IBB Beteiligungsgesellschaft steht oder stehen sollte? VC Magazin: Wie steht es um den Zugang zu Wagniskapital für Bendisch: Die letzten 20 Jahre betrachtend ist die Entwick- Start-ups aus diesen Sektoren? lung in Berlin extrem positiv. Daher kann man meines Erach- Bendisch: Nehmen Sie das Beispiel E-Health und wie es sich tens auch für die Zukunft damit rechnen, dass sich diese Ent- hier am Standort in den letzten beiden Jahren entwickelt hat. wicklung weiter fortsetzt. Zudem haben sich viele deutsche Der Zugang zu Kapital für diese Unternehmen ist relativ gut. Städte wie Hamburg, Köln, Dresden oder München ebenfalls Das geht so weit, dass sich einzelne spezialisierte Fonds nur sehr positiv entwickelt, sodass wir mehrere Standorte in diesem Thema widmen. Das lässt sich auch auf andere Bran- Deutschland haben, die international mithalten können. chen übertragen, so gibt es auch in Deutschland Fonds, die Zeller: Wir haben es geschafft, dass es eine ganze Reihe an ausschließlich in Life Sciences oder Cleantech investieren. Leuchttürmen gibt. Die nächste Stufe wird sein, dass diese ein nachhaltig erfolgreiches Geschäft betreiben. Es wurden VC Magazin: Mit Soundcloud durchlebte ein Unternehmen viele Unternehmen finanziert, um die Internationalisierung aus dem B2C-Internet-Sektor zuletzt eine schwere Zeit. Wie voranzutreiben und neue Märkte zu erschließen. In den wichtig war es für den Standort Berlin, dass das Start-up am nächsten Jahren wird es darum gehen, sich dort zu etablie- Ende „gerettet“ wurde? ren, nachhaltig Gewinne zu realisieren und stabile große Zeller: Die Branche ist insgesamt gereift und hätte ein Schei- Unternehmen zu bauen. Hierbei blicken wir jedoch nicht tern von Soundcloud ziemlich sicher überwunden. Aber nur auf Berlin, sondern ganz Deutschland, wo wir erwarten, auch wenn das Verständnis für die Start-up- und Venture Capi- dass erfolgreiche Unternehmen entstehen werden. tal-Branche, mit all ihren Besonderheiten, mittlerweile viel VC Magazin: Herr Bendisch, Herr Zeller, vielen Dank für das größer geworden ist, muss man nach wie vor erklären, wie Gespräch. dieses Geschäft funktioniert und dass eben auch Scheitern ein Teil davon ist. Also: Generell ist das Verständnis vorhan- benjamin.heimlich@vc-magazin.de Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“ 13
Standort Berlin Life Sciences in Berlin: eine Verbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Humankapital Zugkraft für neue Entwicklungen Neben München und Heidelberg ist Berlin einer der Biotech-Hotspots in Deutschland. Im Fokus stehen aktuell vor allem Digital-Health- Firmen. Doch die Hauptstadt hat wesentlich mehr zu bieten und überzeugt vor allem durch einen Mix aus Wirtschaft, Wissenschaft und gut ausgebildeten Talenten. A llein in den letzten fünf Jahren wurden rund 100 Life Sciences-Unternehmen in Berlin-Brandenburg ge- gründet. Das Cluster Health Capital ist mit mehr als 500 Unternehmen aus den Branchen Medizintechnik, Bio- technologie und Pharma mittlerweile das größte lebenswis- senschaftliche Cluster in Deutschland. Und diese Dynamik Foto: © sudok1/www.fotolia.com hält an: Indikatoren sind neben der Zahl der Neugründun- gen auch vielfältige Vernetzungsmöglichkeiten und Angebote für Gründer. Alle wichtigen Player der Branche, neben Ver- tretern aus Wissenschaft und Wirtschaft sind dies vor allem Entscheider aus Politik und Regulierungsbehörden, ballen sich in der Hauptstadt. „Berlin ist ein Kernstandort der Life Sciences-Industrie“, unterstreicht Ute Mercker von der IBB Beteiligungsgesellschaft. „Vor allem im Bereich Digital Health ist Berlin in Deutschland die Nummer eins und in Europa ne- Hochwertige Medikamentenentwicklung ben Metropolen wie London und Barcelona anzusiedeln.“ Allein in den letzten zwei Jahren sind zwei Medikamente auf Merker unterstreicht die Bedeutung der digitalen Gesund- den Markt gekommen, die sich auf Forschung am MDC stüt- heit, vor allem als Schnittstelle zu anderen Life Sciences- zen und die neue Wirkprinzipien nutzen: Vonvendi, eine Bereichen, etwa der Medizintechnik. „Die Zukunft der Ge- Immuntherapie gegen Krebs, und Blincyto, ein Mittel gegen sundheit ist digital, und Berlin ist ganz vorne mit dabei.“ eine erbliche Blutgerinnungsstörung. „Omeicos und Berlin Cures sind Beispiele für Ausgründungen aus dem MDC, die Mehr als Apps bereits mit klinischen Studien begonnen haben“, ergänzt Und doch, Berlin hat mehr zu bieten als die neueste Dia- Lohse. Wichtig für frühe Phasen der Wirkstoffentwicklung in betes-App. Schwerpunkte in der Hauptstadtregion sind Berlin ist unter anderem das Netzwerk „Network for Pharma neben Digital Health und Big Data vor allem Bioanalytik und Solutions“, in dem über 40 Unternehmen und Wissenschafts- Diagnostik sowie regenerative Medizin. „Die Grundlagen- institutionen aus dem Themenschwerpunkt „Drug Discove- forschung ist ausgesprochen stark – von der Einzelzell- und ry & Development“ kooperieren. Her- Systembiologie über Werkzeuge der Gen-Chirurgie wie CRISPR/ vorzuheben ist auch der Ausbau der ge- Cas9 bis hin zur Optogenetik“, weiß Prof. Martin Lohse, Vor- meinsamen Screening Unit vom standsvorsitzender des Max-Delbrück-Centrums für Mole- Leibniz-Institut für Molekulare Pharma- kulare Medizin (MDC). Berlin beheimatet wissenschaftliche kologie (FMP) und des MDC auf dem Institutionen, die weltweit einen guten Ruf genießen. So Campus Berlin-Buch als europäische kooperieren beispielsweise die Charité – Universitätsmedizin Plattform EU-Openscreen. „Biologisch Berlin und das MDC im Berlin Institute for Health noch enger aktive Moleküle entdecken Forscherin- als bisher. Die Charité, mit ihren Expertisen beispielsweise nen und Forscher meist durch um- in der Telemedizin oder Radiologie, genießt einen weltweit Prof. Martin Lohse, fangreiche Hochdurchsatz-Screenings guten Ruf. Das Hasso-Plattner-Institut besetzt wichtige Fel- Max-Delbrück-Centrums ganzer Substanzbibliotheken. EU-Open- für Molekulare Medizin der im Bereich Big Data und Imaging. screen, das in Berlin koordiniert wird, 14 Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“
bietet einen fairen Zugang zu den notwendigen Technologie- mierbar. „Aber wir Investoren arbeiten gut überregional zu- plattformen“, sagt MDC-Vorstand Lohse. sammen“, so Mercker. „Die Fonds müssen nicht direkt vor Ort sein. Zudem gibt es in Berlin eine sehr lebendige Busi- Big Pharma profitiert ness-Angels-Szene.“ Pharmakonzerne wie Bayer, Pfizer oder Aventis sind, wenn nicht mit ihrer Konzernzentrale, so doch mit großen Haupt- Sexy allein reicht nicht stadtniederlassungen in Berlin vertreten. „Big Pharma“ arbei- „Es gibt eine Menge Aktivitäten in der tet in Berlin eng mit Start-ups zusammen. Kollaboratoren Stadt“, fasst Klaus Stöckemann von und Hubs spielen eine wichtige Rolle in der Stadt, auch für Peppermint VenturePartners zusam- die Life Sciences-Industrie. So bietet Bayer mit dem CoLabora- men. „Da fällt es zuweilen schon tor jungen Firmen aus den Chemie- und Biowissenschaften schwer, diese entsprechend zu tra- geeignete und vollständig eingerichtete Labor- und Büro- cken.“ Natürlich ist Berlin aktuell vor räume in unmittelbarer Nähe zu den eigenen Forschern. Das allem ein Magnet für digitale Themen, Unternehmen will auf diese Weise Forschung und Innova- auch im Bereich Gesundheit. „Man sieht tion vorantreiben und den Start-ups als erster Ansprech- hier insbesondere, dass sich sowohl partner bei der Suche nach möglichen Kooperationspart- Life Sciences-Fonds als auch Tech- Klaus Stöckemann, Peppermint Venture- nern dienen. Die Pharmabranche ist auch unverzichtbarer Fonds in diesem Bereich engagieren, Partners Partner bei der Akquisition von Großveranstaltungen wie was für die Digital-Health-Szene essen- der BioEurope im November 2017 oder im Diskurs zu wich- ziell ist“, so Stöckemann. „Somit gibt es einen Austausch tigen Zukunftsthemen wie Big Data in der Gesundheits- zwischen Tech- und Healthcare-Fonds, allerdings gibt es forschung. Weitere Beispiele für Acceleratoren beziehungs- hier weiteren Nachholbedarf. Die Frage ist: Wird es künftig weise Inkubatoren sind das Berlin Research Lab und Berlin ein Amazon oder Netflix für den Healthcare-Bereich geben, Healthcare Lab von Pfizer, der startupbootcamp-Ableger wo medizinische Themen mit digitalen verschmelzen?“ von Sanofi, Inkulab von der TU Berlin oder der Flying Ohne Zweifel, die wissenschaftliche Expertise der Stadt Health Incubator. Bayer ist darüber hinaus mit der Initiative führt zu einem wertvollen Humankapital. Gut ausgebildete Grants4Apps in Berlin vertreten. Menschen aus aller Welt kommen nach Berlin oder werden dort ausgebildet – und diese Menschen wollen bleiben. „Die Life Sciences versus Digital Health? Szene ist noch nicht zu abgehoben, aber nicht mehr weit Im Bereich der Finanzierung trifft die entfernt davon“, stellt Stöckemann fest, „es gibt eine ganze Berliner Life Sciences-Szene auf altbe- Reihe von Meets & Greets, Inkubatoren sowie Accelerato- kannte Probleme. „Wenn wir Life Scien- ren.“ Doch am Ende geht es vor allem um skalierbare Ge- ces-Unternehmen finanzieren wollen, schäftsmodelle, und hier bleiben viele Start-ups im Digital- dann sind wir mit Investoren aus ganz Health-Bereich ihre Antwort noch schuldig. Europa im Gespräch“, erklärt Mercker. Ein typisches Szenario. Zudem sieht Fazit Mercker einen signifikanten Unter- Wo also sind die viel beschriebenen (und sehnlichst erwar- schied zwischen klassischen Biotech- teten) „Leuchttürme“? „Außer Peppermint VenturePart- Ute Mercker, IBB Investoren und Geldgebern für Digital- ners, der IBB und Earlybird gibt es wenig Investoren, die Beteiligungsgesellschaft Health-Innovationen. „Der typische sich hier vor Ort auf Life Sciences spezialisiert haben“, so Life Sciences-Investor hält sich mit In- Stöckemann. „Das macht die Entwicklung von Start-ups zu vestitionen in digitale Gesundheit noch zurück“, so Mercker. wirklichen Leuchtturm-Projekten nicht einfacher.“ Zwar So finde man bei Life Sciences-Fonds vor allem Naturwissen- gebe es eine gute Förderlandschaft in der Stadt, doch gerade schaftler in den Teams. Diesen fehle zuweilen noch eine ge- private Venture Capital-Investoren aus In- und Ausland soll- wisse Affinität zu digitalen Technologiethemen. Im Gegen- ten sich zuweilen noch besser vernetzen und sichtbarer zug haben sich neue Fonds, wie beispielsweise Think Health werden. Die Nähe zur Politik und wichtigen Entscheidern ist oder XL Health, von Beginn an auf Digital-Health-Invest- sicher hilfreich. Doch zugleich muss die Vermischung zwi- ments spezialisiert. „Diese Fonds haben Teams, die sowohl schen Tech- und Life Sciences-Investoren mit anderen Gesundheits- als auch digitale Themen beurteilen können“, Industriebereichen vorangetrieben werden. Berlin präsen- sagt Mercker. Andere Fonds wie Creathor Venture oder Se- tiert sich „smart & sexy“ – nur auf so viel Schönheit alleine venture seien im Gegenzug von vornherein breit genug auf- sollte man sich besser nicht ausruhen, um national und in- gestellt, um beide Segmente, die klassischen Life Sciences ternational konkurrenzfähig zu bleiben. als auch Digitaltechnologien, zu bedienen. Natürlich ist auch in der Hauptstadt die Anwesenheit von auf Gesund- Holger Garbs heitsthemen spezialisierten Venture Capital-Fonds opti- redaktion@vc-magazin.de Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“ 15
Standort Berlin Interview mit Dr. Matthias Birkholz, lindenpartners „Auch die Blue Chip Corporates wollen Teil des Aufbruchs werden“ Die Berliner Start-up-Szene befindet sich seit Jahren in einem starken Wandel. Davon betroffen sind beinahe alle Facetten der Gründerland- schaft – von der Wahl des Geschäftsmodells über den Zugang zu Kapital bis hin zur Bedeutung des Standorts im internationalen Wettbe- werb der Hotspots. VC Magazin: Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Berliner Grün- derlandschaft in den letzten Jahren verändert? Birkholz: Die Berliner Start-up-Szene wird erwachsen. Zum ers- ten Mal hat das Start-up-Ökosystem eine echte wirtschaft- liche Bedeutung für Berlin und darüber hinaus bekommen. Die Zahl der erfolgreichen Firmen und ihr Umsatzvolumen sind deutlich gestiegen. Das heißt, dass wir nicht mehr nur – wie in der Vergangenheit – auf Coolness, Attraktivität und Kul- turangebot der Stadt setzen können, sondern mittlerweile auch auf eine echte Wirtschaftskraft. Allein Zalando hat be- reits 5.700 Beschäftigte in Berlin und stellt weiter kräftig ein. VC Magazin: Wie steht es um die Finanzierung, das Kapital- angebot? Birkholz: Durch signifikante Exits sind einige Leute reich gewor- den, die viel Geld reinvestieren und auf diese Weise nicht Dr. Matthias Birkholz nur mit Kapital, sondern auch mit ihrer Erfahrung die Szene ist Gründungspartner der Berliner Rechtsanwaltssozietät linden- unterstützen und befruchten. Überhaupt: Das Klischee, dass partners. Die Beratung von Gesellschaften, Geschäftsführern, es in Deutschland so schwierig mit größeren Wachstums- Vorständen und Aufsichtsräten im Zusammenhang mit Fragen finanzierungen ist, halte ich für falsch – zumindest was Berlin der Pflichtverletzungen von Gesellschaftsorganen bildet einen betrifft. Für aussichtsreiche bzw. erfolgreiche Unternehmen besonderen Schwerpunkt seiner Tätigkeit. ist es hier kein großes Problem, internationales Kapital zu generieren. Was sich insgesamt grundlegend geändert hat: Wir sehen heute ein ganz anderes Interesse an Start-ups. aus ist die technische Komponente der Digitalisierung ein Während es früher eine Nische – mit der Aura von Jugend- für das Überleben der klassischen Industrien wichtiger lichkeit und einer diffusen Kreativität – darstellte, werden Faktor. Auch hier sind Start-ups oft das Labor für neue Ent- innovative Gründungen heute als etwas Normales betrach- wicklungen. tet. Auch die „Blue Chip Corporate World“ will unbedingt Teil des Aufbruchs rund um junge Unternehmen in Berlin VC Magazin: Gibt es Unterschiede in der Entwicklung ein- werden. Deutsche Bahn, Metro Group, Deutsche Telekom, zelner (Technologie-)Branchen? Wo gibt es besonders viele Axel Springer und viele andere Konzerne, auch aus dem Aktivitäten? Ausland, bringen Kapital ein und sind hier mit eigenen Acce- Birkholz: Da hat sich auch einiges verändert. Der frühere lerator- oder Inkubatoren-Programmen aktiv. Fokus auf E-Commerce, der sicherlich immer noch stark ist, hat sich relativiert. Andere Branchen und Bereiche sind VC Magazin: Ist die Digitalisierung Motivation für eine Ände- zunehmend wichtig bzw. spannend geworden. So spielt ins- rung der Unternehmenskultur bei den Etablierten? besondere das Thema Fintech eine größere Rolle. Ich nenne Birkholz: Ja. Die Digitalisierung und die damit zusammenhän- hier nur das Start-up Number26 als ein Beispiel. Bankbezo- genden Einstellungsveränderungen ergreifen die gesamte gene Prozesse und entsprechende Ideen, die man früher in Wirtschaft. Jetzt versuchen alle, die in Start-ups gelebte Agili- Frankfurt angesiedelt hätte, werden nun in neuen Firmen tät in ihre Prozesse einzubinden und als Innovationstreiber hier in Berlin entwickelt. Auch der Gaming-Bereich ist wich- auch für alte, etablierte Branchen zu nutzen. Darüber hin- tiger geworden. 16 Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“
VC Magazin: Welche Veränderungen hinsichtlich rechtlicher stärkste Standort in Europa werden wird. Nach dem „Global Themen und des Umgangs damit stellen Sie fest? Startup Ecosystem Report 2017“ ist Berlin schon von Platz Birkholz: Die Gründerszene ist heute viel stärker internatio- neun auf Platz sieben vorgerückt – in Europa rangiert nur nalisiert. Wir sehen einen steigenden Anteil ausländischer London weiter vorne. Bei der Attraktivität für internationale Gründer, aber auch ein deutlich steigendes Interesse inter- Talente liegt Berlin sogar als beste europäische Stadt auf nationaler Investoren wie Venture Capital-Gesellschaften, Platz fünf! Family Offices etc. Die Konsequenz: Schon kleine Start-ups beginnen oft mit englischsprachigen Vertragsdokumenten, VC Magazin: Wie steht es um das Thema Rechtsformwechsel, weil häufig ein ausländischer Investor mit dabei ist und, wie z.B. von einer Ltd. zu einer GmbH? gesagt, auch die Gründer oft international sind. Birkholz: Natürlich gibt es noch Verbesserungsbedarf beim grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel. In diesem Zusam- VC Magazin: Wie sehen Sie das Thema Brexit mit Blick auf menhang laufen zurzeit EU-Konsultationen, um dies weiter die Konkurrenz der europäischen Start-up-Metropolen wie voranzubringen bzw. den Wechsel von einem Land zum an- Paris und Berlin? deren zu erleichtern. Ich denke aber nicht, dass das der ent- Birkholz: Für Londoner Start-ups ist das Thema Brexit ein scheidende Punkt für kleine Unternehmen ohne große Desaster – auch für den Zugriff auf internationale Fach- Umsätze ist. Für diese geht es mehr darum, wie die Lebens- kräfte und Talente. Wegen der Unsicherheit wollen viele bedingungen, die Sprache und die unmittelbaren Rahmen- heute nicht mehr nach London gehen. Ich denke, Berlin bedingungen für Gründer sind. Und da ist Berlin eben beson- kann hier enorm profitieren. Und zwar mehr als beispiels- ders attraktiv. weise Paris. Die Internationalität der Szene, die Verbreitung der englischen Sprache, die immer noch relativ erträglichen VC Magazin: Vielen Dank für das Interview! Mietkosten und die Vitalität sprechen für Berlin; in der Kom- bination dieser Punkte ist es anderen Städten überlegen. Ich Bernd Frank schätze, dass Berlin in ca. fünf Jahren der mit Abstand redaktion@vc-magazin.de ANZEIGE
Im Fokus Standort: Technologiepark Adlershof Zurück im Rampenlicht Wissenschaft, Wirtschaft und Medien – mit diesem Dreiklang hat es Berlin-Adlershof zum größten und wichtigsten Technologiestandort der Bundeshauptstadt geschafft. Dessen Dynamik reicht inzwischen über das gesamte Stadtgebiet. F ür Angela Merkel war es am ersten Wochenende im September nicht nur der Weg in eine neue politische Zukunft, sondern auch eine Reise in die Vergangenheit. In den Fernsehstudios von Adlershof wurde das TV-Duell um die zukünftige deutsche Kanzlerschaft aufgezeichnet. Foto: © Wista-Management GmbH Dort, wo die Ostdeutsche Merkel als Physikern ihre berufliche Laufbahn begann. Mit Merkels Aufstieg vollzog sich zugleich der vorübergehende Abstieg des Standortes, doch der Turn- around in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten ist in Adlers- hof mehr als geglückt. Aktivitäten im gesamten Stadtgebiet In den kommenden Jahren soll der Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof weiter Auf dem 4,2 km² großen Areal arbeiten und studieren heute wachsen. mehr als 25.000 Menschen, mehr als 1.000 Firmen haben sich hier angesiedelt. Längst ist der Standort ins Rampen- so Roland Sillmann, Geschäftsführer der Wista-Management, licht Berlins zurückgekehrt, über 2 Mrd. EUR an Kapital und und ergänzt: „Wir setzen auf IT, optische Technologien und Investitionen flossen in den Technologiestandort im Süd- Mikrosystemtechnik, aber auch Energie und neue Materiali- osten der Stadt. Wobei Adlershof mehr als Synonym steht: en stehen im Fokus. Die Interdisziplina- Der Betreiber des Standortes, die Wista-Management GmbH, rität steigt permanent. Zahlreiche Un- ist inzwischen in der gesamten Stadt präsent, immer in der ternehmen haben in ihrem Segment die Nähe der führenden Universitäten. Sieben Technologie- und Technologieführerschaft inne.“ Am zwei Gründerzentren werden von der Wista betrieben, Standort Adlershof wurden auch Un- zweitgrößter Standort nach Adlershof ist das Charlotten- ternehmen aus den klassischen Indust- burger Innovationszentrum CHIC in unmittelbarer Nähe zur rien angesiedelt, wie etwa die Ahlberg Technischen Universität und zur Universität der Künste. Im Metalltechnik, die mit Stanz- und Prä- Südwesten, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Freien Uni- geteilen ein wichtiger Zulieferer für die versität Berlin, zur Charité und zur Bundesanstalt für Mate- Automobilindustrie ist. Dazu kommen Roland Sillmann, rialprüfung werden derzeit über 50 Mio. EUR investiert. Auf traditionsreiche Mittelständler wie der Wista-Management dem Gelände des ehemaligen US-amerikanischen Militär- Laserspezialist Trumpf und der Schrau- hospitals entsteht bis Ende 2021 das Technologie- und Grün- benhersteller Würth. Der Konzern Siemens beschäftigt sich derzentrum FUBIC. Hier sollen einmal 80 Unternehmen ange- hier mit dem Thema autonomes Fahren. Alle profitieren da- siedelt werden – Start-ups und insbesondere Ausgründungen bei vom Potenzial der Berliner Universitäten, insbesondere aus den Universitäten mit dem Schwerpunkt IT und Lebens- von der naturwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt- wissenschaften, die mit der Wissenschaft und etablierten Universität und deren Campus in Adlershof. Unternehmen kooperieren. Nächster Schritt: Das alte Indus- triegebiet Berlin-Oberschöneweide, wo einst Emil Rathenau Fazit den Industriekonzern AEG gründete, wird in der Nachbar- Junge Unternehmen noch stärker mit den etablierten Unter- schaft der Hochschule für Technik und Wirtschaft neu er- nehmen und Investoren zu vernetzen und weiter über das schlossen. Mit 25 Mio. EUR aus verschiedenen Fördertöpfen gesamte Stadtgebiet auszustrahlen ist die Strategie der soll hier eine Modellregion für Industrie 4.0 entstehen. Zukunft für Adlershof. So sollen in den kommenden Jahren weitere Unternehmen entstehen, die die Technologieführer- Start-ups treffen etablierte Unternehmen schaft in ihrer Branche innehaben. Das alles spricht potenzielle Geldgeber an: „100 Mio. EUR sind grob geschätzt allein im letzten Jahr an Venture Capital in Torsten Holler die bei uns in Adlershof ansässigen Unternehmen geflossen“, redaktion@vc-magazin.de 18 Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“
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