Standort Berlin - Industrien neu denken - Special - Private Equity Buyouts M&A - VC Magazin

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Standort Berlin - Industrien neu denken - Special - Private Equity Buyouts M&A - VC Magazin
Special Oktober 2017                            Private Equity • Buyouts • M&A
                                                                www.vc-magazin.de

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                       Special
                       Standort Berlin –
                       Industrien neu denken

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Editorial

Ein zweiter Blick lohnt sich

Liebe Leserinnen und Leser,

Berlin und seine Start-up-Szene sind mittlerweile nicht nur
in der breiten Öffentlichkeit angekommen – regelmäßige
Berichterstattungen in überregionalen Zeitungen und lan-
desweiten Fernsehanstalten zeugen ebenso davon wie die
Tatsache, dass das Thema auf Bundesebene bei beinahe
allen politischen Parteien auf der Agenda steht –, sondern                                   Benjamin Heimlich, Chefredakteur

haben auch im internationalen Wettbewerb der Gründer-
Hotspots ihren festen Platz in der Spitzengruppe gefunden.

Den Weg dorthin haben zweifellos die E-Commerce-Unter-          Berlin und seine Start-up-Szene sind in der breiten Öffent-
nehmen bereitet. Die Vorzeigeberliner aus diesem Feld sind      lichkeit angekommen und haben ihren festen Spitzenplatz
dabei Zalando, die nicht nur eine beeindruckende Wachs-         im internationalen Ranking der Gründungshotspots. Dass
tumsstory vorweisen können, sondern seit ihrem IPO vor          dies auch in Zukunft so bleibt, dafür sorgt eine Szene, die
knapp drei Jahren auch an der Börse eine echte Erfolgs-         noch viel facettenreicher ist, als es auf den ersten Blick
geschichte sind. Die sozusagen zweite Welle in der Berliner     scheinen mag.
Gründer- und Investorenlandschaft rollt seit einiger Zeit in
den Bereichen Fintech und Insurtech. Inwieweit der Austritt     Einen erheblichen Einfluss auf diese Entwicklung hatte un-
Großbritanniens aus der EU diese Entwicklung weiter anhei-      bestritten die IBB Beteiligungsgesellschaft. 1997 gegründet
zen wird, ist bislang noch nicht abzusehen. Sicher lässt sich   erlebte der Wagniskapitalgeber beinahe sämtliche Hochs
aber bereits heute sagen, dass es in der deutschen Haupt-       und Tiefs der deutschen Venture Capital-Geschichte und
stadt eine Reihe vielversprechender Unternehmen gibt. Bei-      trug mit seinen Investitionen dazu bei, dass auch im tiefen
spielsweise seien hier die 21 Mio. EUR schwere Finanzie-        Tal der Tränen nach dem Platzen der Dotcom-Blase in der
rungsrunde für den Fintech-Inkubator FinLeap oder das           Berliner Start-up-Szene nicht vollständig die Lichter aus-
international expandierende Start-up SumUp genannt.             gingen. Heute findet sich die IBB Beteiligungsgesellschaft in
                                                                einem der vitalsten Gründerökosysteme der Welt wieder –
Dagegen finden die Gründungen im Berliner Hightech- und         und zählt nach wie vor zu den aktivsten Finanziers in der
Life Sciences-Sektor weniger in Wellen als viel mehr in einer   deutschen Hauptstadt. Das VentureCapital Magazin gratu-
Art permanentem Grundrauschen statt. Etwas abseits des          liert der IBB Beteiligungsgesellschaft herzlich zum 20-jähri-
grellen Lichts der Öffentlichkeit haben sich in Deutschlands    gen Bestehen.
Hauptstadt vitale Cluster entwickelt, die Unternehmen her-
vorbringen, die nicht im B2C-Internet-Bereich angesiedelt       Eine spannende Lektüre wünscht
sind. Und obwohl sie sich u.a. in der Kundengruppe, den
Entwicklungszyklen oder dem Risikoprofil von den viel-
beachteten Digital-Start-ups unterscheiden, profitieren
auch sie von der Aufmerksamkeit, die die Internetbranche
erzeugt. Denn mit ihr kommen mehr und mehr Kapitalgeber
in die Stadt, in deren Investitionsfokus auch Bereiche wie
Life Sciences, Hardware oder Hightech fallen.                                                benjamin.heimlich@vc-magazin.de

Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“                                                                               3
Standort Berlin - Industrien neu denken - Special - Private Equity Buyouts M&A - VC Magazin
Inhalt

3     Editorial                                          14     Life Sciences in Berlin: eine Verbindung von
      Ein zweiter Blick lohnt sich                              Wirtschaft, Wissenschaft und Humankapital
                                                                Zugkraft für neue Entwicklungen

Standort Berlin                                          16     Interview mit Dr. Matthias Birkholz, lindenpartners
                                                                „Auch die Blue Chip Corporates wollen Teil des
6     Start-up-Szene der deutschen Hauptstadt 2017              Aufbruchs werden“
      Berlin pulsiert: Digitalisierung und
      Internationalisierung treiben an
                                                         Im Fokus
10    Grußwort
      Die Rolle von Start-ups in Berlin                  18     Standort: Technologiepark Adlershof
      Ramona Pop, Senatorin für Wirtschaft,                     Zurück im Rampenlicht
      Energie und Betriebe

11    Interview mit Tim Dümichen, KPMG
      „Hightech- und Life Sciences-Start-ups können       Impressum                                  VentureCapital
      von Berlins gutem Ruf profitieren“
                                                                                                                            Magazin
                                                              18. Jg. 2017
12    Interview mit Roger Bendisch und Marco Zeller,          „Standort Berlin – Industrien neu denken“
      IBB Beteiligungsgesellschaft                            ein Special des VentureCapital Magazins
      „Es ist ein relevanter Faktor, dass erfolgreiche        Verlag: GoingPublic Media AG, Hofmannstr. 7a, 81379 München,
      Unternehmer die Seite wechseln“                         Tel.: 089-2000339-0, Fax: 089-2000339-39, E-Mail: info@goingpublic.de,
                                                              Internet: www.vc-magazin.de, www.goingpublic.de

                                                              Redaktion: Mathias Renz (Verlagsleitung), Benjamin Heimlich (Chefredakteur),
                                                              Elke Hartmann

                                                              Mitarbeit an dieser Ausgabe:
                                                              Bärbel Brockmann, Christina Cassala, Bernd Frank, Holger Garbs, Torsten Holler,
                                                              Ramona Pop

                                                              Lektorat: Benjamin Eder, Sabine Klug

                                                              Gestaltung: Holger Aderhold

                                                              Titelbild: © elxeneize – stock.adobe.com, © peshkova – stock.adobe.com

                                                              Druck: Joh. Walch GmbH & Co. KG, Augsburg

4                                                                    Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“
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V EN TUR E
                                                                                                 CA PITA L
                                                                                              F ÜR BER LIN

                                                                                                 œĜųĀűĹDŽĜåųåĹåųüŅĬčųåĜÏĘå
                                                                                                      Berliner Start-ups!

19    Standort: CleanTech Business Park Berlin-Marzahn
      Zukunftsort für saubere Technologien

Aus der Praxis

20 Case Study | Learnfield GmbH:
      Musikalische Weiterbildung
      Klavierspielen für alle

21    Case Study | Bonaverde GmbH:
      Innovativer Kaffeeautomat
      Rösten, Mahlen, Aufbrühen

Service

22 Partner des Specials

                                                               185+                                          65+                                 Mio.     100                   €

                                                                INVESTMENTS                                  START-UPS                                AKTUELLES
                                                                  INSGESAMT                                IM PORTFOLIO                             FONDSVOLUMEN

                                                             Unser Portfolio (Auswahl)

                                                                                                                                                   www.ibb-bet.de
                                                             Der Tech Fonds II und der Kreativ Fonds II sind eine gemeinsame Initiative der Investitionsbank Berlin und des Landes
  Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“      5   Berlin. Die Fonds werden von der Investitionsbank Berlin und der Europäischen Union, Europäischer Fonds für Regi-
                                                             SREPI*RX[MGOPYRKǻRER^MIVX
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Standort Berlin

         Start-up-Szene der deutschen Hauptstadt 2017

         Berlin pulsiert:
         Digitalisierung und
         Internationalisierung
         treiben an
         Berlin ist die Start-up-Metropole Deutschlands und misst sich mit internationalen Gründerzentren wie Paris, London,
         Stockholm, Barcelona. Vielfältig und zunehmend professioneller: Geld aus erfolgreichen Exits wird reinvestiert, die
         Branchenschwerpunkte verschieben sich, die Anziehungskraft für internationale Investoren steigt – und ebenso die
         Bedeutung für die Berliner Wirtschaft. Verlangt wird aber noch mehr Unterstützung durch Politik und Verwaltung.

                                                                                                                               Foto: © elxeneize – stock.adobe.com, © peshkova – stock.adobe.com

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N
         irgendwo in Deutschland entstehen so viele Start-       deutschlandweiten Venture Capital-Investitionen mit Betei-
         ups wie in der Hauptstadt – laut dem Netzwerk           ligung von Inkubatoren fanden 2015 in Berlin statt. Diese
         StartUP Berlin etwa alle 20 Minuten ein neues. In den   Dominanz dürfte sich mittlerweile noch verstärkt haben.
letzten Jahren hat sich eine erfolgreiche und bunte Szene        Ebenso die Impulse für die Beschäftigung: Start-ups, die in
entwickelt, die stärker international geprägt ist und auch       den Jahren 2011 bis 2015 eine Venture Capital-Finanzierung
mehr internationale Investoren anzieht als andere deutsche       erhielten, stellen immerhin rund 17.000 Mitarbeiter (laut
Standorte. Im ersten Halbjahr 2017 floss laut dem Start-up-      Technologiestiftung Berlin); deutlich mehr als in der Ber-
Barometer von EY die Rekordsumme von 1,48 Mrd. EUR               liner Chemie- und Pharmaindustrie. Allein im Bereich IKT
(erstes Halbjahr 2016: 530 Mio. EUR) in Berliner Start-          stieg die Beschäftigung laut einer Studie der IBB, die ein
ups, wobei allein Delivery Hero und Auto1 zusammen fast          umfangreiches Förderprogramm bietet und mit ihrer Beteili-
750 Mio. EUR einsammelten. Zum Vergleich: In Deutschland         gungsgesellschaft im Frühphasenbereich sehr aktiv ist, in
insgesamt waren es 2,2 Mrd. EUR. Berlin zählte 116 Finanzie-     den acht Jahren bis 2016 um 70%. Die Wirtschaftskraft der
rungsrunden und lag weit vor den nächstplatzierten Bayern        zehn Technologieparks und acht Gründerzentren wächst –
(44) und Hamburg (22).                                           vom Business Cleantech Park Marzahn über den EUREF-
                                                                 Campus bis zum Charlottenburger Innovation Center
Verzahnung mit etablierten Firmen                                (CHIC). Allein der Wissenschafts- und Technologiepark
Laut EY fließt überdurchschnittlich viel Kapital in die Be-      Adlershof zählt über 1.000 Firmen und Einrichtungen mit
reiche IKT, E-Commerce, Fintech, Software & Analytics,           mehr als 15.000 Beschäftigten und über 1,6 Mrd. EUR
Media & Entertainment und Health. Zudem findet eine im-          Umsatz. Vom Bundeswirtschaftsministerium wurde Berlin
mer engere Verzahnung mit der traditionellen Wirtschaft,         z.B. als Hub-Standort für die Bereiche Internet of Things
mit etablierten Unternehmen statt. Ein zentraler Treiber ist     (IoT) und Fintech ausgewählt.
hier die Digitalisierung. Immer mehr Corporates aus dem
In- und Ausland bringen Geld und Know-how ein, um an             Auf Platz sieben der Weltrangliste vorgerückt
Innovationen teilzuhaben. Die Zahl der Akzeleratoren und         „Man merkt, dass Berlin inzwischen eine weltweit aner-
Inkubatoren von Großunternehmen – von Telekom und                kannte Start-up-Metropole geworden ist“, sagt Jan Pörksen,
Springer-Verlag bis Plug&Play und Microsoft – ist in den         Geschäftsführer Beratung und Service der IHK Berlin. Das
letzten Jahren sprunghaft gestiegen. Internationale Inves-       sehe man auch an Studien wie dem „Global Startup Ecosys-
toren spielen insbesondere eine wichtige Rolle bei kapital-      tem Report 2017“, in dem Berlin von Rang neun auf Rang
intensiven Vorhaben in der Expansionsphase, während              sieben vorgerückt ist und in Europa nur noch London vor
heimische Investoren stärker in Frühfinanzierungsphasen          sich hat. „Es gibt einen starken Zuzug von ausländischen
vertreten sind.                                                  Gründern, hier hat Berlin nach dem Silicon Valley die zweit-
                                                                 höchste Rate weltweit“, so Pörksen. Mittlerweile ist es nicht
Hauptstadt der Inkubatoren                                       mehr die erste, sondern die zweite und dritte Generation
„Berlin ist die Hauptstadt der Inkubatoren und das Labor für     von Gründern in Berlin, und viel Geld aus erfolgreichen
neue Finanzierungsformen“ – so schrieb die Technologie-          Exits bleibt im Kreislauf der Berliner Szene. Beispielhaft für
stiftung Berlin schon in ihrem Venture Capital Report 2016       die positive Entwicklung nennt Pörksen die Gründerstand-
(„Impulse für die digitale Wirtschaft“): Rund zwei Drittel der   orte Adlershof und das CHIC in Charlottenburg sowie den

Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“                                                                            7
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Standort Berlin

BiotechPark Berlin-Buch. Es gibt aber auch noch einige                Initiative Start Alliance verbinden wir die Ökosysteme von
Dinge zu verbessern, gerade in der Verwaltung, die auf die            Tel Aviv, New York etc. mit Berlin und laden auch dortige
Entwicklungen reagieren muss. Anträge müssten mehr und                Investoren nach Berlin ein“, so Franzke. „Das führt zu einer
mehr online und auf Englisch gestellt werden können. „Ad-             immer stärkeren internationalen Verflechtung.“ Vor dem
ministrativ könnte einiges vereinfacht werden“, sagt Pörk-            Hintergrund des Brexit seien die Anwerbeaktivitäten in
sen. „Bei den teils langen Bearbeitungszeiten in Berliner             Asien und Nordamerika verstärkt worden. „Zudem haben
Ämtern sind uns andere Länder voraus.“ Das hänge auch                 wir mit der Ausländerbehörde und der IHK die schnellere
an der dortigen Personalsituation. Die IHK unterstütze auf            Prüfung von Anträgen ausländischer Arbeitskräfte verein-
unterschiedlichen Ebenen. „Die Einstiegsberatung gibt einen           bart – binnen fünf Werktagen geht ein Bescheid raus. Und
ersten Überblick, wichtig gerade für ausländische Grün-               wir haben die Kontakte zu Wagniskapitalgebern wie Family
                    der“, so Pörksen. „Bei der Finanzierung           Offices, die nach interessanten Start-ups fragen, verstärkt.
                    besteht viel Beratungsbedarf, ebenso              Bei einigen Pitches konnten wir schon hervorragende
                    bei Kooperationsfragen – da helfen wir            Abschlüsse erzielen.“
                    mit unserem Netzwerk, ob es um den
                    Kontakt zu Business Angels, zu ande-              Mehr Kapital von Business Angels
                    ren Unternehmen oder um Fragen der                „Man merkt, dass mehr Kapital durch
                    Internationalisierung geht.“ Um bei der           Business Angels zur Verfügung steht“,
                    Suche nach ausländischen Fachkräften              sagt Joern-Carlos Kuntze, Managing Part-
                    zu helfen, hat die IHK mit der Auslän-            ner der Venture Capital-Gesellschaft
                    derbehörde und mit Berlin Partners                Berlin Technologie Holding (BTH). „Die
Jan Pörksen,
IHK Berlin
                    die Kooperation „Business Immigration             Szene profitiert davon, dass Geld aus
                    Service“ gegründet.                               erfolgreichen Exits reinvestiert wird
                                                                      und diese Investoren wiederum Erfah-
Digitalisierung analoger Prozesse                                     rung und Know-how in den Markt ein-
„Die Berliner Start-up-Szene wird im-                                 bringen. Die Investmentprozesse sind Joern-Carlos Kuntze,
                                                                                                                 Berlin Technologie Holding
mer internationaler“, sagt auch Dr. Ste-                              weiter professionalisiert worden.“ Zu-
fan Franzke, Geschäftsführer der Wirt-                                dem seien einige junge Fonds hinzuge-
schaftsfördergesellschaft Berlin Part-                                kommen, die relativ frühphasig in Unternehmen investier-
ner für Wirtschaft und Technologie. In                                ten. Besonders viel Aktivität sieht auch Kuntze in Geschäfts-
der Branchenbetrachtung sei E-Com-                                    modellen, die dazu beitragen, die traditionelle Industrie zu
merce immer noch stark, aber andere                                   digitalisieren. „Der Fokus verschiebt sich, ein bisschen von
seien in den letzten zwei Jahren weiter                               E-Commerce-Ideen hin zu Bereichen wie Fintech, Insurtech
nach vorne gerückt – wie z.B. Games,                                  sowie Internet of Things, z.B. mit dem Thema Sensorik“, so
Fintech, B2B-Geschäftsmodelle und Dr. Stefan Franzke,                 Kuntze. Neben etablierten Konzernen wenden sich auch
                                           Berlin Partner für Wirt-
B2B2C-Lösungen u.a. in den Bereichen schaft und Technologie           immer mehr Family Offices Start-up-Investments zu – direkt
E-Health und Proptech (Property Tech-                                 oder über (eigen- oder fremdgemanagte) Fonds. Die Be-
nologies). „Branchen, die schwächer geworden sind bzw.                deutung der Start-up-Szene in der Berliner Wirtschaft – ihr
nachgelassen haben, kann ich nicht feststellen“, so Franzke.          Anteil an der Wertschöpfung – nimmt kontinuierlich zu.
„Insbesondere die Digitalisierung von analogen Prozessen              „Junge, innovative Unternehmen nehmen mittlerweile eine
schreitet weiter voran.“ Ein Beispiel sei Doozer, eine Inter-         sehr wichtige Rolle ein“, so Kuntze. „Es gibt inzwischen im-
netplattform für die Vermittlung von Handwerksleistungen,             mer mehr, die schon über 100 Mitarbeiter beschäftigen und
die die Bedürfnisse von Wohnungseigentümern, Handwer-                 hohe Umsätze generieren.“ Die Politik habe das Thema
kern und Mietern verknüpfe. Bei der Finanzierung seien in             Technologie und Innovation klar erkannt, man wolle Berlin
jüngster Zeit immer größere Runden gestemmt worden.                   als Standort noch stärker nach vorne bringen. „Das ist be-
Auch auf der Investorenseite werde es stetig internatio-              sonders im Wahlkampf immer populär. Aber insgesamt pas-
naler. Franzke nennt mehrere Gründe: „Zum einen hatten                siert aus meiner Sicht, was diesen Anschub angeht, immer
wir viele ausländische Gründer mit inzwischen erfolgrei-              noch zu wenig“, so Kuntze. „Den Worten der Politiker müs-
chen Exits, die wieder in Berlin reinvestieren. Zum anderen           sen nun auch Taten folgen.“ Positiv seien zwar die vielen
gibt es immer mehr ausländische Corporates, die hier u.a.             Förderprogramme, allerdings herrsche hier noch viel Büro-
über eigene Akzeleratoren in Start-ups investieren.“ Auch             kratie und Unübersichtlichkeit, so Kuntze. Administrative
der deutsche Mittelstand sei zunehmend engagiert. „Mit der            Prozesse müssten verschlankt werden.

8                                                                                Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“
Standort Berlin - Industrien neu denken - Special - Private Equity Buyouts M&A - VC Magazin
Venture Capital-Investitionen (in Mio. EUR) nach Bundesländern

 1.600
                1.480

 1.400

 1.200

 1.000

                                                                                                                                 erstes Halbjahr 2016
   800
                                                                                                                                 erstes Halbjahr 2017
          531
   600

   400
                              231
                        197              178
   200
                                                             74 54
                                    53          47 67                     32 45        34          26           26                  23 16
                                                                                   5           0            6          1   17                      2    6
     0
               Berlin    Bayern     Hamburg      Baden-      Nordrhein-   Hessen   Sachsen   Mecklenburg- Rheinland-   Nieder-      Branden-       andere
                                               Württemberg   Westfalen                       Vorpommern     Pfalz      sachen         burg

Quelle: KPMG

Vom Brexit profitieren                                                             ansiedeln kann.“ Die Entwicklung bei Inkubatoren und Akze-
Dr. Robin Tech vom Hightech-Accelera-                                              leratoren sieht Tech etwas skeptisch. „Es gibt inzwischen
tor, -Analyst und -Investor AtomLeap                                               über 60 Akzeleratoren in Berlin, das ist vollkommen inflatio-
beobachtet viel Zuzug von Start-ups                                                när.“ Auch viele Corporate Accelerators seien dazugekom-
aus anderen deutschen Städten. „Wäh-                                               men. Einige davon würden aber wieder verschwinden, denn
rend in Deutschland insgesamt zu we-                                               sie seien nicht ausreichend spezifiziert und fokussiert aus-
nig gegründet wird, lässt sich in Berlin                                           gerichtet. Um erfolgreich zu sein, müssten die Konzerne die
ein ganz klares Wachstum beobach-                                                  Start-ups stärker in ihre Strategien einbinden, so wie das bei-
ten.“ Das etablierte Gründerökosystem                                              spielsweise Microsoft mit seinem Accelerator mache. Das
habe die Hauptstadt anderen deut-                                                  Investmentinteresse von Family Offices und Business Angels
schen Hotspots wie München und Köln Dr. Robin Tech,                                sei weiter gestiegen, sagt Tech, auch wenn es von beiden
                                            AtomLeap
voraus. „Das ist in Deutschland einzig-                                            Seiten noch nicht genügend Kapital gebe. „Insgesamt aber gilt:
artig und steht in Konkurrenz zu Plät-                                             Wer in Deutschland Wachstumskapital braucht, bekommt
zen wie Paris und Barcelona, Tel Aviv und Schanghai“, so                           dies am besten in Berlin.“
Tech. Und natürlich zu London. Und wie ist das mit dem
Brexit? „Davon können Standorte wie Paris und Berlin profi-                        Fazit
tieren, wenn Unternehmen einen Eintritt in den europäi-                            Berlin ist hip und hat andere Städte in Deutschland inzwi-
schen Markt suchen“, erklärt Tech. Paris sei allerdings fo-                        schen klar abgehängt. Auch im Wettbewerb mit internatio-
kussierter und habe bessere Ansiedlungsprogramme. Die                              nalen Start-up-Hotspots marschiert die Hauptstadt nach
Frage sei: Wie professionell wird für Berlin geworben? Wie                         vorne. Damit das so bleibt, sollten Bürokratie und Verwal-
lässt sich, um Londoner Start-ups hierher zu locken, bei-                          tung allerdings mitziehen. Dann ist in einigen Jahren Platz
spielsweise eine Ltd. möglichst unkompliziert in eine GmbH                         eins in Europa – vor London – möglich.
umwandeln? Tech vermisst in diesem Zusammenhang noch
einen klaren Plan für Berlin. „Das gilt auch für die Frage, wie                                                                                  Bernd Frank
Berlin – in Konkurrenz zu Frankfurt – Fintechs aus London                                                                            redaktion@vc-magazin.de

Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“                                                                                                           9
Standort Berlin - Industrien neu denken - Special - Private Equity Buyouts M&A - VC Magazin
Standort Berlin

Grußwort von Ramona Pop, Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe

Die Rolle von Start-ups in Berlin

M
         an kann es wenden, wie man will: Letzten Endes
         ist es fast immer die Innnovationsfähigkeit von           Ramona Pop
         Unternehmen, die maßgeblich dafür ist, dass sich            ist seit Dezember 2016 Berliner Bürger-
ein Wirtschaftsstandort in seiner Qualität von anderen ab-           meisterin und Senatorin für Wirtschaft,
heben kann.                                                          Energie und Betriebe. Seit November 2001
                                                                     ist sie Mitglied des Abgeordnetenhauses
Innovationen sind Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung,          von Berlin. Von Oktober 2009 bis Dezem-
sie bestimmen die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Regionen               ber 2016 war sie dort Vorsitzende der
und tragen maßgeblich zu strukturellen Veränderungs-                 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Außer-
prozessen bei. Geforscht und erfunden wird in den For-               dem ist Pop Aufsichtsratsvorsitzende der
schungslabors von Großunternehmen, im Mittelstand mit                Berliner Stadtreinigung (BSR), der Berliner Verkehrsbetriebe
seinen fachspezifischen Qualifikationen und in meist mit Digi-       (BVG) und der Berliner Wasserbetriebe (BWB) sowie Vorsitzen-
talisierungsprozessen befassten Start-ups.                           de des Verwaltungsrats der Investitionsbank Berlin (IBB).

Und überall dort, wo Neues entsteht, ist Beteiligungskapital
nicht weit. Gerade für junge und innovative Unternehmen
ist Venture Capital von großer Bedeutung. Das große Wachs-
tumspotenzial vieler Start-ups ist in der Regel mit einem          1,5 Mrd. EUR und damit zwei Drittel des gesamten in Deutsch-
hohen Kapitalbedarf verbunden, der aufgrund fehlender              land investierten Risikokapitals in Start-ups aus Berlin. Ein
Sicherheiten oder der Unerprobtheit neuer Produkte selten          Schwerpunkt der Investments liegt im Bereich E-Commerce.
über das Geschäftsbankensystem gedeckt werden kann.                Von den rund 940 Mio. EUR, die hier deutschlandweit inves-
Venture Capital-Investoren füllen diese Lücke und tragen           tiert wurden, landeten 95% in Berlin. Es ist also keine Frage,
somit dazu bei, dass innovative Ideen auch tatsächlich am          dass Venture Capital in Berlin eine Schlüsselrolle für die Ent-
Markt Fuß fassen.                                                  wicklung, Markteinführung und wirtschaftliche Verbreitung
                                                                   von Innovationen spielt.
Wir in Berlin erleben dies zurzeit hautnah. Berlin hat sich in
den letzten Jahren zu einer der weltweit führenden Start-up-       Einer der aktivsten Player in der Berliner Venture Capital-
Metropolen entwickelt. In Berlin gibt es seit Jahren etwa          Szene ist seit nunmehr 20 Jahren die IBB Beteiligungsgesell-
40.000 Unternehmensgründungen jährlich, davon rund 9.000           schaft. Mit 43 Transaktionen und einem Investitionsvolumen
Betriebsgründungen. Obwohl Berlin noch immer ein ver-              von rund 15 Mio. EUR hat die IBB Bet im vergangenen Jahr
gleichsweise junger Gründungsstandort ist, wird die deutsche       das zweithöchste Finanzierungsergebnis ihrer 20-jährigen
Hauptstadt mittlerweile in einem Zug mit New York, Tel Aviv        Geschichte erreicht. Der Tech Fonds II mit einem Volumen
und London genannt. Und der Global Startup Ecosystem               von 60 Mio. EUR und der Kreativ Fonds II mit 40 Mio. EUR sind
Report 2017 sieht Berlin in Bezug auf seine Global Res-            spezifisch auf die Belange Berliner Start-ups ausgerichtet.
source Attraction Rate, seine globale Anziehungskraft auf          Die IBB Bet tritt nie alleine auf, sondern immer als Lead-
die entscheidenden Start-up-Player, weltweit auf Platz zwei        oder Co-Investor in Finanzierungsrunden gemeinsam mit an-
hinter dem Silicon Valley. In der Gesamtbewertung schafft          deren Investoren. Über diese Hebelwirkung war die IBB Bet
es Berlin als einzige weitere europäische Stadt neben Lon-         insgesamt an Investitionen von über 1 Mrd. EUR beteiligt.
don unter die besten zehn Standorte.
                                                                   IBB Bet – Start-ups – Venture Capital: Ein Dreiklang, der aus
Weltweit aktive Venture Capital-Investoren sind in Berlin tätig.   dem Berliner Ökosystem nicht mehr wegzudenken ist. Ich
Berlin ist und bleibt deutschlandweit führend, wenn es um          gratuliere der IBB Bet sehr herzlich zu 20 Jahren sehr erfolg-
Venture Capital-Finanzierungen geht, und auch im europäi-          reicher Arbeit mit jungen, innovativen Unternehmen und
schen Metropolenvergleich platzieren wir uns seit Jahren in        wünsche auch für die Zukunft viel Erfolg und eine glückliche
der Spitzengruppe. Im ersten Halbjahr 2017 flossen knapp           Hand bei den Investments.

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Interview mit Tim Dümichen, KPMG

„Hightech- und Life Sciences-Start-ups
profitieren von Berlins gutem Ruf“
Berlins Start-up-Szene ist in den letzten Jahren stark gewachsen und darüber hinaus deutlich gereift. So prägen längst nicht mehr nur kleine
Neugründungen das Bild der Hauptstadt, sondern auch junge Wachstumsunternehmen, die mehrere hundert Mitarbeiter beschäftigen.

VC Magazin: Im zweiten Quartal 2017 haben die Venture Capital-
Investitionen in Berlin wieder deutlich zugelegt. Wie wird es
hier weitergehen?
Dümichen: Wir erwarten, dass sich diese Entwicklung in den
kommenden Monaten bestätigt. Seit Ende 2015 gab es stetig
einen leichten Rückgang der Investitionssummen, der da-
durch ausgelöst wurde, dass in den USA in einigen Fällen die
Bewertungsniveaus aus den privaten Finanzierungsrunden
am Kapitalmarkt nicht mehr erreicht wurden. Daraus ist
die Erkenntnis gereift, dass die Bewertungen vieler Venture
Capital-finanzierter Unternehmen am oberen Ende ange-
langt waren. Das führte dazu, dass die Wagniskapitalgeber
im letzten Jahr ihre potenziellen Investments noch stärker
geprüft haben, mehr Meilensteine definiert wurden und so
weiter. Nichtsdestotrotz war ausreichend Liquidität vorhan-
den, um auch große Runden mit hohen Bewertungen zu rea-                 Tim Dümichen
lisieren. Die Delle des Jahres 2016 ist unserer Einschätzung               ist seit 2008 Partner im Bereich Corporate Tax Services bei
nach aber mittlerweile überwunden. Auch weil die Szene                     KPMG in Berlin. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der
insgesamt weiter gereift ist, wie sich beispielsweise bei den              Beratung nationaler und internationaler Mandate in allen Fra-
Geschäftsmodellen vieler Unternehmen zeigt.                                gen des Unternehmenssteuerrechts. Außerdem ist er Gründer
                                                                           der Initiative „Smart Start“ der KPMG, die sich auf die Beratung
VC Magazin: Delivery Hero hat im Sommer ein erfolgreiches                  junger Wachstumsunternehmen spezialisiert.
IPO vollzogen. Sehen Sie aktuell weitere Börsenkandidaten
im Berliner Ökosystem?
Dümichen: Hier gibt es sicherlich eine Reihe von Kandidaten,            hier höhere Investitionssummen in der Breite bislang aus-
die von dem Reifegrad ihres Geschäftsmodells her das Poten-             bleiben?
zial für eine Börsennotierung besitzen. Für diese Unterneh-             Dümichen: Vielfach ist es eine Frage der Skalierung. Insbeson-
men könnte ein Börsengang eine attraktive Möglichkeit für               dere Life Sciences – beispielsweise die Entwicklung neuer
eine nachhaltige Wachstumsfinanzierung sein. Der Exit von               Wirkstoffe – erfordern bekanntlich ja sehr große Investitio-
Delivery Hero über die Börse hat gezeigt, dass dies in                  nen und bergen bis in die klinische Phase drei das Risiko,
Deutschland möglich ist, und ist damit auch ein wichtiges               dass sich das Medikament als unwirksam herausstellt. Digi-
Zeichen für den gesamten Markt gewesen.                                 tale Geschäftsmodelle weisen meist ein deutlich geringeres
                                                                        Risiko bei einer höheren Skalierbarkeit aus, was für Venture
VC Magazin: Welche Branchen sehen Sie aktuell besonders im              Capital-Gesellschaften dann oft attraktiver ist. Dennoch
Fokus der Investoren?                                                   können auch Hightech- und Life Sciences-Start-ups von dem
Dümichen: Im E-Commerce-Sektor gibt es einige sehr reife                mittlerweile sehr guten Ruf Berlins profitieren. Ich glaube
Unternehmen, sodass neue Start-ups eher versuchen, Nischen-             sehr stark an die Wirkung von Cluster-Effekten. In der Stadt
märkte zu besetzen. Investorenseitig gibt es ein großes Inte-           hat sich die notwendige Mixtur aus Talenten, Investoren,
resse an Fin- und Insurtech-Themen. Dazu kommen die                     Unterstützung durch die Politik und, nicht zu vergessen,
Bereiche künstliche Intelligenz sowie Deeptech. Ganz inte-              einem attraktiven Lebensumfeld entwickelt. Das bietet
ressant zu beobachten ist, dass auch der Hardware-Sektor                Chancen für junge Unternehmen jeglicher Branchen.
wieder mehr in den Fokus gerät.
                                                                        VC Magazin: Herr Dümichen, vielen Dank für das Gespräch.
VC Magazin: Hightech und Life Sciences sind ebenfalls mit
starken Clustern in Berlin vertreten. Woran liegt es, dass                                               benjamin.heimlich@vc-magazin.de

Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“                                                                                        11
Standort Berlin

Interview mit Roger Bendisch und Marco Zeller, IBB Beteiligungsgesellschaft

„Es ist ein relevanter Faktor,
dass erfolgreiche Unternehmer
die Seite wechseln“
Die deutsche Hauptstadt hat in den letzten Jahren ihren Platz unter den weltweiten Hotspots zur Gründung von innovativen Unternehmen
zementiert. Insbesondere Start-ups aus dem B2C-Internet-Sektor prägen das Bild Berlins in der öffentlichen Wahrnehmung. Doch auch in
den Bereichen Life Sciences oder Hightech hat sich eine vitale Gründerlandschaft entwickelt.

VC Magazin: Berlin ist in den letzten Jahren ein interna-
tionaler Start-up-Hotspot geworden. Was sind aus Ihrer
Sicht die wichtigsten Meilensteine auf dem Weg dorthin
gewesen?
Zeller: Wenn man auf die letzten 20 Jahre zurückblickt, war
ein wichtiger Meilenstein, dass man in Berlin erkannt hat,
dass die Zukunft der Stadt nicht darin liegt, große Konzerne
in die Stadt zu holen oder Mittelständler anzusiedeln. Als
Stärke hat man die Attraktivität der Stadt für junge Men-
schen ausgemacht. Außerdem wurden die Hochschulen und
Forschungsausrichtungen als wichtige Assets erkannt. 1997
hat man dann eine ganze Reihe an Maßnahmen ergriffen. So
wurde der Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg
initiiert, der heute der größte regionale Wettbewerb
Deutschlands ist. Die IBB hat eine Reihe von Unterstüt-
zungs- und Fördermaßnahmen für Gründungen ins Leben                Roger Bendisch (l.) und Marco Zeller
gerufen, mit einer eigenen Venture Capital-Gesellschaft an           sind Geschäftsführer der IBB Beteiligungsgesellschaft, des
der Spitze dieser Maßnahmen. Zusammengefasst lässt sich              Beteiligungsarms der Investitionsbank Berlin. Die Beteiligungs-
sagen: Der wichtigste Meilenstein war die Einsicht, dass die         gesellschaft hat Berliner Technologieunternehmen in Konsor-
Zukunft der Stadt maßgeblich von jungen Talenten und jun-            tien mit Partnern seit 1997 über 1 Mrd. EUR zur Verfügung
gen Unternehmen beeinflusst werden kann.                             gestellt.

VC Magazin: Die IBB Beteiligungsgesellschaft ist seit 20 Jahren
am Markt und lange Zeit der aktivste deutsche Investor. Wie        VC Magazin: Wie bewerten Sie den Umstand, dass erfolgreiche
hat sich die Szene verändert – insbesondere in Berlin?             Serial Entrepreneure nun Fonds auflegen?
Zeller: Nach der Euphorie des Neuen Marktes und dem an-            Bendisch: Hier fließt Know-how aus dem Unternehmertum in
schließenden Einbruch kam es in Deutschland – wie auch in          die Venture Capital-Fonds, was wir sehr positiv sehen. Da
vielen anderen Regionen der Welt – zu einer Art Eiszeit für        wir uns stets gemeinsam mit privaten Investoren beteiligen,
Venture Capital. Hierzulande dauerte diese etwa bis 2004. In       schätzen wir die neuen Venture-Fonds von ehemaligen
diesem Jahr hatten Herr Bendisch und ich das große Glück,          Gründern sehr. Vorbild sind natürlich die Samwers, aber
den ersten EFRE-co-finanzierten Fonds aufzulegen. Dieses           daneben gibt es inzwischen eine ganze Handvoll neuer Wag-
Vorgehen wurde dann zu einer Art Blaupause für viele regio-        niskapitalfonds, mit denen wir gemeinsam gerne co-inves-
nale Fonds. Ab den Jahren 2004/2005 hat sich die deutsche          tieren. Wenn man in die USA, ins Silicon Valley blickt, sieht
Venture Capital-Landschaft mehr und mehr erholt, auch              man, dass viele neue Fonds von ehemaligen erfolgreichen
wenn zwischenzeitlich die Finanzkrise natürlich auch in die-       Unternehmern gestartet worden sind. Also eine durchaus
ser Branche Spuren hinterlassen hat.                               weltweite gute Entwicklung.

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Zeller: Man spricht auch oft von einem Berliner Ökosystem, das   den, aber natürlich ist es ein Rückschlag, wenn ein großer
gewachsen ist, und da ist es mit Sicherheit ein relevanter       Name mal ins Schlaglicht kommt.
Faktor, dass erfolgreiche Unternehmer „die Seite wechseln“.
                                                                 VC Magazin: Stichwort Verständnis: In Berlin wird nicht nur
VC Magazin: Die deutsche Hauptstadt ist bekannt für ihre         Landes-, sondern auch Bundespolitik gemacht: Wie hat
B2C-Internet-Start-ups. Welche Branchen gedeihen abseits         sich das Verständnis der Politik für Gründungs- und Venture
des großen medialen Interesses?                                  Capital-Themen verändert?
Bendisch: Wir investieren in vier Branchen. Nicht nur in B2C-    Zeller: Man stellt in den Gesprächen fest, dass das Verständ-
Internet-Geschäftsmodelle, sondern seit 20 Jahren allen voran    nis parteienübergreifend sehr stark gewachsen ist – sowohl
auch in Life Sciences. Daneben sind wir im Cleantech-Sektor      regional wie auf Bundesebene. Die Politiker verstehen, dass
engagiert. Berlin hat mit Adlershof einen historischen High-     neue Unternehmen entstehen, neue Technologien forciert
tech-Standort, wo viele Laser- und Halbleiterunternehmen         werden und dass das für die wirtschaftliche Entwicklung
angesiedelt sind. Darüber hinaus gibt es in der Stadt eine       Deutschlands hoch spannend ist. Dies ist über die Parteien
Vielzahl an Soft- und Hardware-Start-ups. Der B2C-E-Com-         hinweg, regional und überregional unumstritten. Aus Sicht
merce-Hype ist abgeflaut. Jetzt geht es vermehrt um Tech-        der Venture Capital-Szene ist man zwar noch nicht dort, wo
nologien, wie Virtual Reality oder Artificial Intelligence.      man gerne wäre, jedoch gibt es eine Reihe an Initiativen, an-
Dazu passt, dass es in Berlin große Universitäten und viele      hand derer man erkennen kann, dass die Politik schon ver-
Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer-Institut gibt,        standen hat, wie groß das Thema ist.
aus denen sich auch sehr talentierte junge Menschen selbst-      VC Magazin: Wo denken Sie, dass der Standort Berlin zum
ständig machen.                                                  40-jährigen Jubiläum der IBB Beteiligungsgesellschaft steht
                                                                 oder stehen sollte?
VC Magazin: Wie steht es um den Zugang zu Wagniskapital für      Bendisch: Die letzten 20 Jahre betrachtend ist die Entwick-
Start-ups aus diesen Sektoren?                                   lung in Berlin extrem positiv. Daher kann man meines Erach-
Bendisch: Nehmen Sie das Beispiel E-Health und wie es sich       tens auch für die Zukunft damit rechnen, dass sich diese Ent-
hier am Standort in den letzten beiden Jahren entwickelt hat.    wicklung weiter fortsetzt. Zudem haben sich viele deutsche
Der Zugang zu Kapital für diese Unternehmen ist relativ gut.     Städte wie Hamburg, Köln, Dresden oder München ebenfalls
Das geht so weit, dass sich einzelne spezialisierte Fonds nur    sehr positiv entwickelt, sodass wir mehrere Standorte in
diesem Thema widmen. Das lässt sich auch auf andere Bran-        Deutschland haben, die international mithalten können.
chen übertragen, so gibt es auch in Deutschland Fonds, die       Zeller: Wir haben es geschafft, dass es eine ganze Reihe an
ausschließlich in Life Sciences oder Cleantech investieren.      Leuchttürmen gibt. Die nächste Stufe wird sein, dass diese
                                                                 ein nachhaltig erfolgreiches Geschäft betreiben. Es wurden
VC Magazin: Mit Soundcloud durchlebte ein Unternehmen            viele Unternehmen finanziert, um die Internationalisierung
aus dem B2C-Internet-Sektor zuletzt eine schwere Zeit. Wie       voranzutreiben und neue Märkte zu erschließen. In den
wichtig war es für den Standort Berlin, dass das Start-up am     nächsten Jahren wird es darum gehen, sich dort zu etablie-
Ende „gerettet“ wurde?                                           ren, nachhaltig Gewinne zu realisieren und stabile große
Zeller: Die Branche ist insgesamt gereift und hätte ein Schei-   Unternehmen zu bauen. Hierbei blicken wir jedoch nicht
tern von Soundcloud ziemlich sicher überwunden. Aber             nur auf Berlin, sondern ganz Deutschland, wo wir erwarten,
auch wenn das Verständnis für die Start-up- und Venture Capi-    dass erfolgreiche Unternehmen entstehen werden.
tal-Branche, mit all ihren Besonderheiten, mittlerweile viel     VC Magazin: Herr Bendisch, Herr Zeller, vielen Dank für das
größer geworden ist, muss man nach wie vor erklären, wie         Gespräch.
dieses Geschäft funktioniert und dass eben auch Scheitern
ein Teil davon ist. Also: Generell ist das Verständnis vorhan-                                benjamin.heimlich@vc-magazin.de

Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“                                                                          13
Standort Berlin

Life Sciences in Berlin: eine Verbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Humankapital

Zugkraft für
       neue Entwicklungen
Neben München und Heidelberg ist Berlin einer der Biotech-Hotspots in Deutschland. Im Fokus stehen aktuell vor allem Digital-Health-
Firmen. Doch die Hauptstadt hat wesentlich mehr zu bieten und überzeugt vor allem durch einen Mix aus Wirtschaft, Wissenschaft und gut
ausgebildeten Talenten.

A
          llein in den letzten fünf Jahren wurden rund 100 Life
          Sciences-Unternehmen in Berlin-Brandenburg ge-
          gründet. Das Cluster Health Capital ist mit mehr als
500 Unternehmen aus den Branchen Medizintechnik, Bio-
technologie und Pharma mittlerweile das größte lebenswis-
senschaftliche Cluster in Deutschland. Und diese Dynamik

                                                                                                                                         Foto: © sudok1/www.fotolia.com
hält an: Indikatoren sind neben der Zahl der Neugründun-
gen auch vielfältige Vernetzungsmöglichkeiten und Angebote
für Gründer. Alle wichtigen Player der Branche, neben Ver-
tretern aus Wissenschaft und Wirtschaft sind dies vor allem
Entscheider aus Politik und Regulierungsbehörden, ballen
sich in der Hauptstadt. „Berlin ist ein Kernstandort der Life
Sciences-Industrie“, unterstreicht Ute Mercker von der IBB
Beteiligungsgesellschaft. „Vor allem im Bereich Digital Health
ist Berlin in Deutschland die Nummer eins und in Europa ne-          Hochwertige Medikamentenentwicklung
ben Metropolen wie London und Barcelona anzusiedeln.“                Allein in den letzten zwei Jahren sind zwei Medikamente auf
Merker unterstreicht die Bedeutung der digitalen Gesund-             den Markt gekommen, die sich auf Forschung am MDC stüt-
heit, vor allem als Schnittstelle zu anderen Life Sciences-          zen und die neue Wirkprinzipien nutzen: Vonvendi, eine
Bereichen, etwa der Medizintechnik. „Die Zukunft der Ge-             Immuntherapie gegen Krebs, und Blincyto, ein Mittel gegen
sundheit ist digital, und Berlin ist ganz vorne mit dabei.“          eine erbliche Blutgerinnungsstörung. „Omeicos und Berlin
                                                                     Cures sind Beispiele für Ausgründungen aus dem MDC, die
Mehr als Apps                                                        bereits mit klinischen Studien begonnen haben“, ergänzt
Und doch, Berlin hat mehr zu bieten als die neueste Dia-             Lohse. Wichtig für frühe Phasen der Wirkstoffentwicklung in
betes-App. Schwerpunkte in der Hauptstadtregion sind                 Berlin ist unter anderem das Netzwerk „Network for Pharma
neben Digital Health und Big Data vor allem Bioanalytik und          Solutions“, in dem über 40 Unternehmen und Wissenschafts-
Diagnostik sowie regenerative Medizin. „Die Grundlagen-              institutionen aus dem Themenschwerpunkt „Drug Discove-
forschung ist ausgesprochen stark – von der Einzelzell- und                                 ry & Development“ kooperieren. Her-
Systembiologie über Werkzeuge der Gen-Chirurgie wie CRISPR/                                 vorzuheben ist auch der Ausbau der ge-
Cas9 bis hin zur Optogenetik“, weiß Prof. Martin Lohse, Vor-                                meinsamen Screening Unit vom
standsvorsitzender des Max-Delbrück-Centrums für Mole-                                      Leibniz-Institut für Molekulare Pharma-
kulare Medizin (MDC). Berlin beheimatet wissenschaftliche                                   kologie (FMP) und des MDC auf dem
Institutionen, die weltweit einen guten Ruf genießen. So                                    Campus Berlin-Buch als europäische
kooperieren beispielsweise die Charité – Universitätsmedizin                                Plattform EU-Openscreen. „Biologisch
Berlin und das MDC im Berlin Institute for Health noch enger                                aktive Moleküle entdecken Forscherin-
als bisher. Die Charité, mit ihren Expertisen beispielsweise                                nen und Forscher meist durch um-
in der Telemedizin oder Radiologie, genießt einen weltweit           Prof. Martin Lohse,    fangreiche Hochdurchsatz-Screenings
guten Ruf. Das Hasso-Plattner-Institut besetzt wichtige Fel-         Max-Delbrück-Centrums  ganzer Substanzbibliotheken. EU-Open-
                                                                     für Molekulare Medizin
der im Bereich Big Data und Imaging.                                                        screen, das in Berlin koordiniert wird,

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bietet einen fairen Zugang zu den notwendigen Technologie-          mierbar. „Aber wir Investoren arbeiten gut überregional zu-
plattformen“, sagt MDC-Vorstand Lohse.                              sammen“, so Mercker. „Die Fonds müssen nicht direkt vor
                                                                    Ort sein. Zudem gibt es in Berlin eine sehr lebendige Busi-
Big Pharma profitiert                                               ness-Angels-Szene.“
Pharmakonzerne wie Bayer, Pfizer oder Aventis sind, wenn
nicht mit ihrer Konzernzentrale, so doch mit großen Haupt-          Sexy allein reicht nicht
stadtniederlassungen in Berlin vertreten. „Big Pharma“ arbei-       „Es gibt eine Menge Aktivitäten in der
tet in Berlin eng mit Start-ups zusammen. Kollaboratoren            Stadt“, fasst Klaus Stöckemann von
und Hubs spielen eine wichtige Rolle in der Stadt, auch für         Peppermint VenturePartners zusam-
die Life Sciences-Industrie. So bietet Bayer mit dem CoLabora-      men. „Da fällt es zuweilen schon
tor jungen Firmen aus den Chemie- und Biowissenschaften             schwer, diese entsprechend zu tra-
geeignete und vollständig eingerichtete Labor- und Büro-            cken.“ Natürlich ist Berlin aktuell vor
räume in unmittelbarer Nähe zu den eigenen Forschern. Das           allem ein Magnet für digitale Themen,
Unternehmen will auf diese Weise Forschung und Innova-              auch im Bereich Gesundheit. „Man sieht
tion vorantreiben und den Start-ups als erster Ansprech-            hier insbesondere, dass sich sowohl
partner bei der Suche nach möglichen Kooperationspart-              Life Sciences-Fonds als auch Tech- Klaus Stöckemann,
                                                                                                              Peppermint Venture-
nern dienen. Die Pharmabranche ist auch unverzichtbarer             Fonds in diesem Bereich engagieren, Partners
Partner bei der Akquisition von Großveranstaltungen wie             was für die Digital-Health-Szene essen-
der BioEurope im November 2017 oder im Diskurs zu wich-             ziell ist“, so Stöckemann. „Somit gibt es einen Austausch
tigen Zukunftsthemen wie Big Data in der Gesundheits-               zwischen Tech- und Healthcare-Fonds, allerdings gibt es
forschung. Weitere Beispiele für Acceleratoren beziehungs-          hier weiteren Nachholbedarf. Die Frage ist: Wird es künftig
weise Inkubatoren sind das Berlin Research Lab und Berlin           ein Amazon oder Netflix für den Healthcare-Bereich geben,
Healthcare Lab von Pfizer, der startupbootcamp-Ableger              wo medizinische Themen mit digitalen verschmelzen?“
von Sanofi, Inkulab von der TU Berlin oder der Flying               Ohne Zweifel, die wissenschaftliche Expertise der Stadt
Health Incubator. Bayer ist darüber hinaus mit der Initiative       führt zu einem wertvollen Humankapital. Gut ausgebildete
Grants4Apps in Berlin vertreten.                                    Menschen aus aller Welt kommen nach Berlin oder werden
                                                                    dort ausgebildet – und diese Menschen wollen bleiben. „Die
Life Sciences versus Digital Health?                                Szene ist noch nicht zu abgehoben, aber nicht mehr weit
                         Im Bereich der Finanzierung trifft die     entfernt davon“, stellt Stöckemann fest, „es gibt eine ganze
                         Berliner Life Sciences-Szene auf altbe-    Reihe von Meets & Greets, Inkubatoren sowie Accelerato-
                         kannte Probleme. „Wenn wir Life Scien-     ren.“ Doch am Ende geht es vor allem um skalierbare Ge-
                         ces-Unternehmen finanzieren wollen,        schäftsmodelle, und hier bleiben viele Start-ups im Digital-
                         dann sind wir mit Investoren aus ganz      Health-Bereich ihre Antwort noch schuldig.
                         Europa im Gespräch“, erklärt Mercker.
                         Ein typisches Szenario. Zudem sieht        Fazit
                         Mercker einen signifikanten Unter-         Wo also sind die viel beschriebenen (und sehnlichst erwar-
                         schied zwischen klassischen Biotech-       teten) „Leuchttürme“? „Außer Peppermint VenturePart-
Ute Mercker, IBB         Investoren und Geldgebern für Digital-     ners, der IBB und Earlybird gibt es wenig Investoren, die
Beteiligungsgesellschaft
                         Health-Innovationen. „Der typische         sich hier vor Ort auf Life Sciences spezialisiert haben“, so
                         Life Sciences-Investor hält sich mit In-   Stöckemann. „Das macht die Entwicklung von Start-ups zu
vestitionen in digitale Gesundheit noch zurück“, so Mercker.        wirklichen Leuchtturm-Projekten nicht einfacher.“ Zwar
So finde man bei Life Sciences-Fonds vor allem Naturwissen-         gebe es eine gute Förderlandschaft in der Stadt, doch gerade
schaftler in den Teams. Diesen fehle zuweilen noch eine ge-         private Venture Capital-Investoren aus In- und Ausland soll-
wisse Affinität zu digitalen Technologiethemen. Im Gegen-           ten sich zuweilen noch besser vernetzen und sichtbarer
zug haben sich neue Fonds, wie beispielsweise Think Health          werden. Die Nähe zur Politik und wichtigen Entscheidern ist
oder XL Health, von Beginn an auf Digital-Health-Invest-            sicher hilfreich. Doch zugleich muss die Vermischung zwi-
ments spezialisiert. „Diese Fonds haben Teams, die sowohl           schen Tech- und Life Sciences-Investoren mit anderen
Gesundheits- als auch digitale Themen beurteilen können“,           Industriebereichen vorangetrieben werden. Berlin präsen-
sagt Mercker. Andere Fonds wie Creathor Venture oder Se-            tiert sich „smart & sexy“ – nur auf so viel Schönheit alleine
venture seien im Gegenzug von vornherein breit genug auf-           sollte man sich besser nicht ausruhen, um national und in-
gestellt, um beide Segmente, die klassischen Life Sciences          ternational konkurrenzfähig zu bleiben.
als auch Digitaltechnologien, zu bedienen. Natürlich ist
auch in der Hauptstadt die Anwesenheit von auf Gesund-                                                              Holger Garbs
heitsthemen spezialisierten Venture Capital-Fonds opti-                                                  redaktion@vc-magazin.de

Special „Standort Berlin – Industrien neu denken“                                                                             15
Standort Berlin

Interview mit Dr. Matthias Birkholz, lindenpartners

„Auch die Blue Chip Corporates
wollen Teil des Aufbruchs werden“
Die Berliner Start-up-Szene befindet sich seit Jahren in einem starken Wandel. Davon betroffen sind beinahe alle Facetten der Gründerland-
schaft – von der Wahl des Geschäftsmodells über den Zugang zu Kapital bis hin zur Bedeutung des Standorts im internationalen Wettbe-
werb der Hotspots.

VC Magazin: Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Berliner Grün-
derlandschaft in den letzten Jahren verändert?
Birkholz: Die Berliner Start-up-Szene wird erwachsen. Zum ers-
ten Mal hat das Start-up-Ökosystem eine echte wirtschaft-
liche Bedeutung für Berlin und darüber hinaus bekommen.
Die Zahl der erfolgreichen Firmen und ihr Umsatzvolumen
sind deutlich gestiegen. Das heißt, dass wir nicht mehr nur –
wie in der Vergangenheit – auf Coolness, Attraktivität und Kul-
turangebot der Stadt setzen können, sondern mittlerweile
auch auf eine echte Wirtschaftskraft. Allein Zalando hat be-
reits 5.700 Beschäftigte in Berlin und stellt weiter kräftig ein.

VC Magazin: Wie steht es um die Finanzierung, das Kapital-
angebot?
Birkholz: Durch signifikante Exits sind einige Leute reich gewor-
den, die viel Geld reinvestieren und auf diese Weise nicht             Dr. Matthias Birkholz
nur mit Kapital, sondern auch mit ihrer Erfahrung die Szene               ist Gründungspartner der Berliner Rechtsanwaltssozietät linden-
unterstützen und befruchten. Überhaupt: Das Klischee, dass                partners. Die Beratung von Gesellschaften, Geschäftsführern,
es in Deutschland so schwierig mit größeren Wachstums-                    Vorständen und Aufsichtsräten im Zusammenhang mit Fragen
finanzierungen ist, halte ich für falsch – zumindest was Berlin           der Pflichtverletzungen von Gesellschaftsorganen bildet einen
betrifft. Für aussichtsreiche bzw. erfolgreiche Unternehmen               besonderen Schwerpunkt seiner Tätigkeit.
ist es hier kein großes Problem, internationales Kapital zu
generieren. Was sich insgesamt grundlegend geändert hat:
Wir sehen heute ein ganz anderes Interesse an Start-ups.               aus ist die technische Komponente der Digitalisierung ein
Während es früher eine Nische – mit der Aura von Jugend-               für das Überleben der klassischen Industrien wichtiger
lichkeit und einer diffusen Kreativität – darstellte, werden           Faktor. Auch hier sind Start-ups oft das Labor für neue Ent-
innovative Gründungen heute als etwas Normales betrach-                wicklungen.
tet. Auch die „Blue Chip Corporate World“ will unbedingt
Teil des Aufbruchs rund um junge Unternehmen in Berlin                 VC Magazin: Gibt es Unterschiede in der Entwicklung ein-
werden. Deutsche Bahn, Metro Group, Deutsche Telekom,                  zelner (Technologie-)Branchen? Wo gibt es besonders viele
Axel Springer und viele andere Konzerne, auch aus dem                  Aktivitäten?
Ausland, bringen Kapital ein und sind hier mit eigenen Acce-           Birkholz: Da hat sich auch einiges verändert. Der frühere
lerator- oder Inkubatoren-Programmen aktiv.                            Fokus auf E-Commerce, der sicherlich immer noch stark ist,
                                                                       hat sich relativiert. Andere Branchen und Bereiche sind
VC Magazin: Ist die Digitalisierung Motivation für eine Ände-          zunehmend wichtig bzw. spannend geworden. So spielt ins-
rung der Unternehmenskultur bei den Etablierten?                       besondere das Thema Fintech eine größere Rolle. Ich nenne
Birkholz: Ja. Die Digitalisierung und die damit zusammenhän-           hier nur das Start-up Number26 als ein Beispiel. Bankbezo-
genden Einstellungsveränderungen ergreifen die gesamte                 gene Prozesse und entsprechende Ideen, die man früher in
Wirtschaft. Jetzt versuchen alle, die in Start-ups gelebte Agili-      Frankfurt angesiedelt hätte, werden nun in neuen Firmen
tät in ihre Prozesse einzubinden und als Innovationstreiber            hier in Berlin entwickelt. Auch der Gaming-Bereich ist wich-
auch für alte, etablierte Branchen zu nutzen. Darüber hin-             tiger geworden.

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VC Magazin: Welche Veränderungen hinsichtlich rechtlicher       stärkste Standort in Europa werden wird. Nach dem „Global
Themen und des Umgangs damit stellen Sie fest?                  Startup Ecosystem Report 2017“ ist Berlin schon von Platz
Birkholz: Die Gründerszene ist heute viel stärker internatio-   neun auf Platz sieben vorgerückt – in Europa rangiert nur
nalisiert. Wir sehen einen steigenden Anteil ausländischer      London weiter vorne. Bei der Attraktivität für internationale
Gründer, aber auch ein deutlich steigendes Interesse inter-     Talente liegt Berlin sogar als beste europäische Stadt auf
nationaler Investoren wie Venture Capital-Gesellschaften,       Platz fünf!
Family Offices etc. Die Konsequenz: Schon kleine Start-ups
beginnen oft mit englischsprachigen Vertragsdokumenten,         VC Magazin: Wie steht es um das Thema Rechtsformwechsel,
weil häufig ein ausländischer Investor mit dabei ist und, wie   z.B. von einer Ltd. zu einer GmbH?
gesagt, auch die Gründer oft international sind.                Birkholz: Natürlich gibt es noch Verbesserungsbedarf beim
                                                                grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel. In diesem Zusam-
VC Magazin: Wie sehen Sie das Thema Brexit mit Blick auf        menhang laufen zurzeit EU-Konsultationen, um dies weiter
die Konkurrenz der europäischen Start-up-Metropolen wie         voranzubringen bzw. den Wechsel von einem Land zum an-
Paris und Berlin?                                               deren zu erleichtern. Ich denke aber nicht, dass das der ent-
Birkholz: Für Londoner Start-ups ist das Thema Brexit ein       scheidende Punkt für kleine Unternehmen ohne große
Desaster – auch für den Zugriff auf internationale Fach-        Umsätze ist. Für diese geht es mehr darum, wie die Lebens-
kräfte und Talente. Wegen der Unsicherheit wollen viele         bedingungen, die Sprache und die unmittelbaren Rahmen-
heute nicht mehr nach London gehen. Ich denke, Berlin           bedingungen für Gründer sind. Und da ist Berlin eben beson-
kann hier enorm profitieren. Und zwar mehr als beispiels-       ders attraktiv.
weise Paris. Die Internationalität der Szene, die Verbreitung
der englischen Sprache, die immer noch relativ erträglichen     VC Magazin: Vielen Dank für das Interview!
Mietkosten und die Vitalität sprechen für Berlin; in der Kom-
bination dieser Punkte ist es anderen Städten überlegen. Ich                                                     Bernd Frank
schätze, dass Berlin in ca. fünf Jahren der mit Abstand                                              redaktion@vc-magazin.de

                                                                                                                   ANZEIGE
Im Fokus

Standort: Technologiepark Adlershof

Zurück im Rampenlicht
Wissenschaft, Wirtschaft und Medien – mit diesem Dreiklang hat es Berlin-Adlershof zum größten und wichtigsten Technologiestandort der
Bundeshauptstadt geschafft. Dessen Dynamik reicht inzwischen über das gesamte Stadtgebiet.

F
       ür Angela Merkel war es am ersten Wochenende im
       September nicht nur der Weg in eine neue politische
       Zukunft, sondern auch eine Reise in die Vergangenheit.
In den Fernsehstudios von Adlershof wurde das TV-Duell
um die zukünftige deutsche Kanzlerschaft aufgezeichnet.

                                                                                                                                                            Foto: © Wista-Management GmbH
Dort, wo die Ostdeutsche Merkel als Physikern ihre berufliche
Laufbahn begann. Mit Merkels Aufstieg vollzog sich zugleich
der vorübergehende Abstieg des Standortes, doch der Turn-
around in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten ist in Adlers-
hof mehr als geglückt.

Aktivitäten im gesamten Stadtgebiet
                                                                     In den kommenden Jahren soll der Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof weiter
Auf dem 4,2 km² großen Areal arbeiten und studieren heute            wachsen.
mehr als 25.000 Menschen, mehr als 1.000 Firmen haben
sich hier angesiedelt. Längst ist der Standort ins Rampen-           so Roland Sillmann, Geschäftsführer der Wista-Management,
licht Berlins zurückgekehrt, über 2 Mrd. EUR an Kapital und          und ergänzt: „Wir setzen auf IT, optische Technologien und
Investitionen flossen in den Technologiestandort im Süd-             Mikrosystemtechnik, aber auch Energie und neue Materiali-
osten der Stadt. Wobei Adlershof mehr als Synonym steht:             en stehen im Fokus. Die Interdisziplina-
Der Betreiber des Standortes, die Wista-Management GmbH,             rität steigt permanent. Zahlreiche Un-
ist inzwischen in der gesamten Stadt präsent, immer in der           ternehmen haben in ihrem Segment die
Nähe der führenden Universitäten. Sieben Technologie- und            Technologieführerschaft inne.“ Am
zwei Gründerzentren werden von der Wista betrieben,                  Standort Adlershof wurden auch Un-
zweitgrößter Standort nach Adlershof ist das Charlotten-             ternehmen aus den klassischen Indust-
burger Innovationszentrum CHIC in unmittelbarer Nähe zur             rien angesiedelt, wie etwa die Ahlberg
Technischen Universität und zur Universität der Künste. Im           Metalltechnik, die mit Stanz- und Prä-
Südwesten, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Freien Uni-            geteilen ein wichtiger Zulieferer für die
versität Berlin, zur Charité und zur Bundesanstalt für Mate-         Automobilindustrie ist. Dazu kommen Roland Sillmann,
rialprüfung werden derzeit über 50 Mio. EUR investiert. Auf          traditionsreiche Mittelständler wie der Wista-Management
dem Gelände des ehemaligen US-amerikanischen Militär-                Laserspezialist Trumpf und der Schrau-
hospitals entsteht bis Ende 2021 das Technologie- und Grün-          benhersteller Würth. Der Konzern Siemens beschäftigt sich
derzentrum FUBIC. Hier sollen einmal 80 Unternehmen ange-            hier mit dem Thema autonomes Fahren. Alle profitieren da-
siedelt werden – Start-ups und insbesondere Ausgründungen            bei vom Potenzial der Berliner Universitäten, insbesondere
aus den Universitäten mit dem Schwerpunkt IT und Lebens-             von der naturwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-
wissenschaften, die mit der Wissenschaft und etablierten             Universität und deren Campus in Adlershof.
Unternehmen kooperieren. Nächster Schritt: Das alte Indus-
triegebiet Berlin-Oberschöneweide, wo einst Emil Rathenau            Fazit
den Industriekonzern AEG gründete, wird in der Nachbar-              Junge Unternehmen noch stärker mit den etablierten Unter-
schaft der Hochschule für Technik und Wirtschaft neu er-             nehmen und Investoren zu vernetzen und weiter über das
schlossen. Mit 25 Mio. EUR aus verschiedenen Fördertöpfen            gesamte Stadtgebiet auszustrahlen ist die Strategie der
soll hier eine Modellregion für Industrie 4.0 entstehen.             Zukunft für Adlershof. So sollen in den kommenden Jahren
                                                                     weitere Unternehmen entstehen, die die Technologieführer-
Start-ups treffen etablierte Unternehmen                             schaft in ihrer Branche innehaben.
Das alles spricht potenzielle Geldgeber an: „100 Mio. EUR
sind grob geschätzt allein im letzten Jahr an Venture Capital in                                                                    Torsten Holler
die bei uns in Adlershof ansässigen Unternehmen geflossen“,                                                              redaktion@vc-magazin.de

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