Ein Jahr Malteser Migranten Medizin Erfahrungsbericht

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Ein Jahr Malteser Migranten Medizin

                          Erfahrungsbericht

In Berlin leben heute zahlreiche Menschen, die aus verschiedensten Gründen nicht
krankenversichert sind. Dazu gehören Menschen ohne Aufenthaltsrecht, Obdachlose,
Studenten, die die Altersgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung überschritten
haben, Selbständige, deren Einkommen nicht ausreicht, um die Versicherung zu bezah-
len, ehemals Selbständige, die ihren Betrieb aufgeben mussten, und Besucher aus an-
deren Ländern. Sie alle haben im Krankheitsfall mit erheblichen Problemen zu kämp-
fen.
Seit dem 19. Februar 2001 unterhält und finanziert der Malteser Hilfsdienst e.V. für
diese Menschen eine Beratungsstelle als erste Anlaufstation zur medizinischen Versor-
gung.

Wie sehen die Räumlichkeiten und die Ausstattung aus und wer sind die
Mitarbeiter?

Die Beratungsstelle verfügt über ein Sprech- und Behandlungszimmer und einen War-
teraum und ist im Seitenflügel eines katholischen Krankenhauses untergebracht. Durch
die räumliche Nähe zum Krankenhaus kann dessen Infrastruktur mitgenutzt werden.
Eine Ärztin führt an drei Vormittagen pro Woche die medizinische Voruntersuchung
und Beratung durch. In der Regel unterstützt ein ehrenamtlicher Helfer, der als
Sprechstundenhilfe fungiert und gleichzeitig für die Funktionsfähigkeit der Technik
verantwortlich ist, die Ärztin in ihrer Arbeit.
 Je nach Erfordernis werden die Patienten weiter überwiesen; entweder an niederge-
lassene Ärzte, die die weitere Behandlung ehrenamtlich und unentgeltlich übernehmen,
oder zur Klärung von rechtlichen Fragen oder sozialen Problemen an andere Bera-
tungsstellen.
Die Beratungsstelle ist zwar mit den Notwendigsten ausgestattet, aber bewusst nicht
als Praxis konzipiert. So sind Telefon, Fax und Computer vorhanden, um mit dem Netz
aus niedergelassenen Ärzten, weiteren Beratungsstellen und Krankenhäusern in Ver-
bindung zu treten und rasch, effektiv und optimal helfen zu können. Auch medizini-
sche Geräte, die eine Untersuchung und Erstdiagnostik ermöglichen, gehören zur Aus-
stattung.
Aus Spenden konnte ein Medikamentenpool aufgebaut werden.

An welchen Krankheiten leiden die Menschen, die zur Beratung kommen?
Im ersten Jahr hat die Malteser Migranten Medizin 215 Patienten betreut. Die meis-
ten von ihnen wurden von anderen Beratungsstellen wie Caritas, Jesuiten-
Flüchtlingsdienst, Stadtmission, von Kirchengemeinden oder von Menschen, die mit
Migranten arbeiten, vermittelt. Auch die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert un-
ter den Betroffenen.

Da es für die meisten Menschen schwer ist, Ansprechpartner für ihre vielfältigen Prob-
leme zu finden, werden sie ermutigt, sich bei Bedarf immer wieder an die Beratungs-
stelle zu wenden. Die Hälfte der Patienten kommt deshalb nicht nur einmal. Sie kom-
men entweder aus demselben Grund, z.B. wegen einer Schwangerschaft, wegen einer
erneuten Erkrankung oder aus anderen Gründen wieder.

Am häufigsten finden sich internistische Fälle (30 %), also Erkrankungen des Ver-
dauungstraktes, des Herzens, der Lunge, Bluthochdruck oder Diabetes mellitus.

22 % der Patientinnen sind oder waren schwanger. Ein Teil der Frauen kommt erst
nach der 25. Schwangerschaftswoche und ohne eine einzige Vorsorge-Untersuchung.
Zur Betreuung der Schwangeren gehört neben der Überwachung des Kindes die Suche
nach einem Entbindungsplatz, ggf. die Erstausstattung für das Neugeborene sowie die
Nachsorge durch eine Hebamme. Es wird umfassend beraten und jede mögliche Hilfe
angeboten, jedoch nicht zum Schwangerschaftsabbruch vermittelt. Bisher wurden 12
Kinder geboren, von denen eines nach der Geburt im Krankenhaus verbleiben musste.
(Es gehört zu den schönsten Momenten, wenn eine Mutter nach glücklicher Entbin-
dung mit ihrem Neugeboren in die Beratungsstelle kommt, um das Kind vorzustellen.)

14 % der Menschen haben Probleme mit den Zähnen. Etwa die Hälfte von ihnen be-
nötigt Zahnersatz in Form von Prothesen oder Teilprothesen, um ein auch nur einiger-
maßen funktionelles Kauen zu erreichen.
6 % haben chirurgische Probleme: Hernien, Appendizitis, ein verschlossener Bypass,
Darmtumoren, Brustkrebs.
6 % haben Probleme mit den Gelenken.
5 % haben Erkrankungen im Bereich der ableitenden Harnwege.
4 % leiden an einer Infektionskrankheit.
3 % der Patienten haben Hauterkrankungen.
3 % haben Erkrankungen der Augen.
3 % haben gynäkologische Probleme.
2 % haben Erkrankungen im Bereich HNO.
2 % haben neurologische oder psychiatrische Erkrankungen.

Was sind das für Menschen, die in die Beratungsstelle kommen?

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Die Patienten, die im ersten Jahr in die Beratungsstelle kamen, sind, verglichen mit
denen in Berliner Arztpraxen, deutlich jünger:

85 %   sind jünger als 50 Jahre
 8%    sind Kinder unter 18 Jahren
33 %   sind zwischen 18 und 30 Jahren
44 %   sind zwischen 31 und 50 Jahren
15 %   sind über 50 Jahre

54 % der Patienten sind männlichen, 46 % weiblichen Geschlechts.

38 % der Patienten haben eine Aufenthaltserlaubnis, eine Duldung, ein Besuchsvi-
sum oder haben einen Asylantrag gestellt, lediglich 62% sind ohne Aufenthaltsrecht.

Ihre Herkunftsländer sind:

Mittel- und Südamerika (10 %)
Russland (13 %)
Afrika (24 %)
Asien (18 %)
Süd- und Osteuropa (35 %)

Die Verständigung ist in den meisten Fällen kein Problem. Viele sprechen selbst aus-
reichend deutsch oder bringen einen Sprachmittler mit. In einigen Fällen gelingt die
Verständigung auch auf Englisch oder Französisch.
Manches klärt sich auch individuell. So konnte in einem Fall auf die Hilfe einer nie-
dergelassenen russischsprachigen Ärztin zurückgegriffen werden. In einem anderen
Fall brachte die Patientin ein Sprachbuch mit vorgefertigten Sätzen mit.
Auch die Gebärdensprache ist sehr hilfreich. Ein eigenes Sprachbuch mit vorgefertig-
ten Sätzen in den wichtigsten Sprachen Englisch, Französisch, Koreanisch, Polnisch,
Russisch, Serbisch, Spanisch, Türkisch ist im Entstehen.

Wie werden die Patientendaten erfasst?

Jeder Patientenbesuch wird dokumentiert. Die wichtigsten Personendaten wie Name
(auch Deckname), Alter, Geschlecht, Herkunftsland sowie Status und vermittelnde
Stelle werden erfasst.
Außerdem wird die Anamnese schriftlich erhoben, die durchgeführten Untersuchungen
werden festgehalten, wohin der Patient überwiesen wurde und ob eine Gabe von Me-
dikamenten notwendig war. Zusätzlich wird jeder weitere Kontakt (auch telefonisch
oder mit den weiterbehandelnden Ärzten) notiert.
Dieses Verfahren ist natürlich ein Risiko, weil durch die Dokumentation der Besuch
des Patienten nachvollziehbar und verfolgbar wird. Trotzdem ist es erforderlich, diese
Daten zu erheben und zu dokumentieren, weil der weiterbehandelnde Arzt, z.B. im
Fall einer Operation sicher sein muss, den richtigen Patienten vor sich zu haben.
©Malteser                                                                           3
Im Fall einer Misshandlung sagte ein Kollege, „wenn es hart hergeht und ich vor Ge-
richt aussagen soll, muss ich wenigstens wissen, über wen ich spreche“.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten und
anderen Stellen?

Innerhalb des ersten Jahres konnten 65 niedergelassene Ärzte und Zahnärzte zur Mit-
arbeit gewonnen werden. Sie arbeiten mit großem Engagement, kostenlos und ehren-
amtlich, und betreuen oftmals mehrere Patienten am Tag. Da die Zahl der Patienten
weiter steigt, ist es erforderlich, kontinuierlich neue Ärzte dazu zu gewinnen.

Auch zu vielen der unterschiedlichen Berliner Beratungsstellen konnte ein guter Kon-
takt aufgebaut werden. Bei vielen Patienten ist die Gesundheit eng mit rechtlichen oder
sozialen Fragen verknüpft ist und eine sinnvolle Behandlung nur übergreifend möglich.
Deshalb ist gerade diese Kooperation von großer Bedeutung für die gesamte Arbeit.

Vor allem die Versorgung der Schwangeren umfasst mehr als die medizinische
Betreuung. Manche Patienten benötigen Kleidung für sich oder ihre Kinder. Dafür gibt
es die Kleiderkammern und neuerdings auch eine Kinderkleiderkammer der Malteser.
Zunehmend kommen schwangere Frauen, die kein Bett, keinen Wagen, keine Kleidung
für ihr Kind haben. Für diese Fälle wurde aus Spenden ein Pool an Säuglingserstaus-
stattung erstellt. Nach Gebrauch sollen diese Dinge wieder zurückgegeben werden, so
dass sie für die Nächsten zur Verfügung stehen.

Auch Menschen mit sozialen Problemen, wie Wohnungslosigkeit, Schwierigkeiten mit
dem Partner, Probleme bei der Erziehung der Kinder, kann geholfen werden. Für die
Hungrigen gibt es ein Lunchpaket an der Pforte des Krankenhauses, für diejenigen, die
sich waschen möchten, die Möglichkeit zum Duschen.

Im Interesse der Menschen, die von der Malteser Migranten Medizin betreut werden,
gehört auch der Aufbau von weiteren Kontakten wie z.B. die Teilnahme an Gremien,
die sich mit den Problemen von Migranten beschäftigen, zu den Aufgaben der Mitar-
beiter. Zu diesen Gremien gehören unter anderem der Arbeitskreis Migration und Ge-
sundheit, der Bereich Gesundheit des Flüchtlingsrates oder ein Kreis, der über die Ver-
besserung der Schwangerenbetreuung berät.

Wie finanziert sich die Arbeit?

Der Malteser Hilfsdienst e.V. trägt die laufenden Kosten für die Beratungsstelle.
Da die niedergelassenen Ärzte ehrenamtlich und unentgeltlich arbeiten, entstehen kei-
ne Behandlungskosten. Wohl aber fallen bei einem großen Teil der Patienten Sachmit-

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telkosten für Medikamente, Blutentnahmen, Prothesen, Brillen, Material für Zahner-
satz und anderes an.
Viel Geld kosten Krankenhausaufenthalte, Entbindungen und Operationen. Hierfür
gibt es keine öffentlichen Gelder. Inzwischen wurde ein Spendenkonto eingerichtet,
auf das Spenden für dieses Projekt eingezahlt werden können. Auch sind bereits Mittel
aus dem Bemhard-Lichtenberg-Fonds des Erzbistums bereitgestellt worden. Manche
Patienten können sich auch selbst an den Kosten beteiligen.

Wie wird sich die Arbeit weiter entwickeln? Was muss auf den Weg ge-
bracht werden?

An den rasch steigenden Patientenzahlen zeigt sich der große Bedarf an medizinischer
Beratung und Behandlung. Besonders Pfarrer, Kirchengemeinden und Sozialarbeiter,
aber auch alle anderen, die mit Migranten arbeiten, sind dankbar, zu wissen, wohin sie
Menschen mit medizinischen Problemen schicken können.

Damit jeder, der eine Therapie benötigt, sie auch erhalten kann, ist es erforderlich,
dass der Staat seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt und für die notwendi-
gen medizinischen Behandlungen die Kosten übernimmt.
Eines der großen Probleme ist, dass in der Regel ein Patient ohne Aufenthaltsstatus
sein Recht auf Kostenübernahme beim Sozialamt nicht einfordert, um nicht entdeckt
und ausgewiesen zu werden. In der Praxis führt das dazu, dass diese Menschen länger
als gewöhnlich zuwarten bis sie sich entschließen, medizinische Hilfe zu suchen. In
der Konsequenz sind sie meist kränker als der durchschnittliche Patient einer normalen
Arztpraxis, die akuten Erkrankungen sind weiter fortgeschritten, die Chronifizierung
hat möglicherweise bereits eingesetzt und auf Grund von Anbehandlungen hat sich
eine Keimresistenz entwickelt, mit dem Erfolg, dass eine weiterführende Behandlung
oftmals aufwändiger und langwieriger und damit auch teurer wird.

Es fehlt nicht an gutem Willen, diesen Menschen zu helfen und das, obwohl eine Hil-
feleistung für Menschen ohne Aufenthaltsrecht von Strafe bedroht ist. Hier ist der Ge-
setzgeber gefordert, Abhilfe zu schaffen und jegliche medizinische Hilfe von Straf-
androhungen freizustellen.

Bei steigenden Patientenzahlen wird ein Teil des Leistungsspektrums an den fehlenden
Finanzierungsmöglichkeiten scheitern müssen. Im Krankenhausbereich wird es auf
Dauer nicht möglich sein, Leistungen unentgeltlich zu erbringen, da die Vorgaben der
Krankenkassen und die Budgets der Häuser eng gesteckt sind. Entbindungen, Operati-
onen und Liegezeiten im Krankenhaus kosten mehrere Tausend Euro, ebenso die Be-
handlung eines kranken Neu- oder Frühgeborenen in einer Abteilung für Neonatologie.
Auch die Versorgung mit Medikamenten ist ein finanziell völlig ungelöstes Problem,

©Malteser                                                                           5
da die Behandlung eines einzigen Patienten mit Hepatitis pro Monat 4.000 Euro und
der Bedarf an Medikamenten für einen Chemotherapiezyklus 18.000 Euro beträgt.

Da die Sozialämter der Meldepflicht unterliegen, nicht aber z.B. die Beratungsstellen
kirchlicher Träger, könnten anerkannte medizinische Beratungsstellen über einen öf-
fentlich geförderten Fonds finanziert werden, den sie selbst verwalten, und dessen Ent-
nahmen sie regelmäßig nachweisen müssen, um Missbrauch vorzubeugen. Eine andere
Möglichkeit wäre die Ausgabe von anonymen Überweisungsscheinen durch aner-
kannte Beratungsstellen, mit denen der Patient zum Arzt gehen kann, und die über die
Beratungsstelle mit dem Sozialamt abgerechnet werden.

Was erleben die Mitarbeiter der Beratungsstelle bei der Betreuung ihrer
Hilfesuchenden und wie stellen sich die Probleme und Sorgen der Menschen
dar?

Eine 28 jährige Patientin aus Rumänien hat ein sehr lückenhaftes Gebiss und zwei
bis in die Wurzeln hohle Backenzähne, die heftige Schmerzen verursachen. Nachdem
die Zähne saniert sind und eine Teilprothese angepasst ist, kommt die Patientin wegen
eines starken Schubes ihrer seit Jahren bekannten Schuppenflechte wieder. Jetzt hat sie
auch Mut über ihre anderen Sorgen zu sprechen. Da sie kein Geld hat, würde sie gern
eine alte Dame pflegen. Sie ist freundlich und geduldig und hat Erfahrung auf diesem
Gebiet. Leider hat sie keine Aufenthaltserlaubnis und darf nicht arbeiten. Nach einiger
Zeit kommt sie wieder, weil ihr deutscher Freund an Diabetes erkrankt ist. Dabei er-
zählt sie, dass der Vermieter der Wohnung, in der sie mit ihrem Freund lebt eine Räu-
mungsklage anstrebt und Erkundigungen über sie beim Landeseinwohnermeldeamt
eingeholt hat.

Ein 50 jähriger Patient leidet seit längerer Zeit an Bluthochdruck. Es gelingt, die
zeitweise bedrohlich hohen Werte zu senken und den Blutdruck gut einzustellen. Zu-
sätzlich hat der Mann eine chronische Bronchitis mit Luftnot. Zwischendurch klagt er
immer wieder über größere Mengen von Sputum, besonders am Morgen, und über Un-
regelmäßigkeiten beim Wasserlassen. Nach einigen Monaten berichtet er über Schmer-
zen im rechten Ohr, dass schon vor Jahren einmal operiert worden sei.

Ein 40 jähriger Mann aus dem Iran kommt mit einer stark geschwollenen Wange in
die Beratungsstelle. Er hat starke Schmerzen und eine heftige Entzündung, die vom
Unterkiefer ausgeht. Bei näherer Betrachtung findet sich als Ursache eine nur noch in
Resten vorhandene Teilprothese, bei der ein scharfes Metallstück bei jedem Aufbiss in
den Unterkiefer schneidet.

Ein Patient kommt mit lückenhaften Frontzähnen. Er wird mit einer Teilprothese ver-
sorgt. Nach einem halben Jahr kommt er sehr traurig wieder. Beim Sturz mit dem

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Fahrrad wegen Eisglätte ist er auf das Gesicht gefallen und hat dabei die schöne neue
Prothese zerbrochen.

Einer 24 jährigen Patientin aus Bolivien sind beim Streit mit dem Ehemann vor ei-
nem halben Jahr die Frontzähne ausgeschlagen worden. Sie hat seitdem vor Scham
nicht mehr gewagt zu lächeln. Auch in der Beratungsstelle sitzt sie mit gesenktem
Kopf und nickt nur zu dem Bericht ihrer Schwester. Als sie neue Zähne hat, kommt sie
allein, um zu danken und spricht sehr gut deutsch ohne Dolmetscherin.

Ein 36 jähriger Patient aus Brasilien kommt mit seiner deutschen Freundin. Beide
haben seit drei Monaten einen Leistungsknick, seit sie bei einem gemeinsamen Auf-
enthalt in Afrika an einer Lebensmittelvergiftung erkrankt waren. Bei beiden bestehen
unklare Bauchschmerzen und eher der Verdacht auf einen psychosomatischen Prozess.
Drei Tage nach dem ersten Gespräch muss der Patient mit einem akuten Darmver-
schluss notoperiert werden. Dabei wird ein Darmkrebs in fortgeschrittenem Stadium
mit Lebermetastasen entdeckt. Eigentlich wollen beide nach Brasilien gehen. Die
Freundin hat, seitdem der Patient operiert wurde, keine Beschwerden mehr.

Eine junge Frau aus Afrika war in ihrem Heimatland vor sieben Jahren in einen Au-
tounfall verwickelt. Sie hatte Frakturen im Bereich des Beckens und der Beine, wurde
nach deutschen Maßstäben schlecht versorgt und muss nun mit Hilfe von zwei Geh-
stützen gehen. Das rechte Knie ist sehr instabil und müsste mit einem Stützapparat ver-
sorgt werden, der aber 1200 € kosten würde. Es ist abzusehen, dass zumindest eine
Hüfte ersetzt werden muss, um ein schmerzfreies Gehen zu erreichen. Das Gesichts-
feld ist eingeschränkt, und in einer Blickrichtung sieht sie Doppelbilder.

Ein junger Mann aus dem Tschad hat sich bei einem Treppensturz eine Verletzung
des rechten Knies zugezogen. Er hat starke Schmerzen und das Knie ist sehr instabil.
Nach der Operation wird der Patient in eine Krankenstation vermittelt, da er obdachlos
ist. Er bekommt Krankengymnastik, um das Knie zu mobilisieren und damit eine zwei-
te Operation vermieden werden kann. Nach einer Woche bricht er die Behandlung ab
und ist verschwunden. Nach sechs Wochen ist er plötzlich wieder da und berichtet,
dass er bei einer Kontrolle aufgegriffen und in Haft genommen worden sei.

Eine Frau bringt einen schwerkranken Patienten aus Russland, aus dessen Röntgen-
bild hervorgeht, dass er an einer Lungentuberkulose leidet. Nach der Einweisung in ein
Krankenhaus bekommt er eine Duldung für die Dauer der Behandlung, da er anste-
ckend krank und in Russland bereits anbehandelt worden ist, was zu einer Resistenz
der Erreger geführt hat. Der Patient erholt sich nur langsam. Die soziale Geschichte
des Patienten beschäftigt die Sozialarbeiterin intensiv, da der Patient aus Angst anfangs
einen falschen Namen angegeben hat, was beinahe die Erteilung der Duldung vereitelt
hätte.

Ein junge Frau, gerade 20 Jahre geworden, lebt zusammen mit dem doppelt so alten
Vater ihres zukünftigen Kindes. Sie bewohnen die Küche der Einzimmerwohnung ei-
©Malteser                                                                              7
nes Alkoholikers. Das Leben der Beiden ist geprägt von Hunger und Sorge um das täg-
liche Auskommen. Trotzdem freut die Frau sich auf ihr Kind. Der Kindsvater berichtet
immer wieder, wie schön er die Wohnung hergerichtet habe. Die betreuende Hebamme
lehnt jedoch nach einiger Zeit jeden weiteren Hausbesuch unter Hinweis auf die völli-
ge Unmöglichkeit der Verhältnisse ab. Eine Unterbringung in einer Mutter-Kind-
Einrichtung scheitert am Vater, der für seine Familie selbst sorgen will. Die Mutter des
inzwischen geborenen Kindes bekommt die Auflage, sich jede Woche mit dem Kind in
der Beratungsstelle vorzustellen, damit die Entwicklung der Situation im Auge behal-
ten werden kann und notfalls weitere Hilfsangebote gemacht werden können.

Eine junge Frau aus Tunesien ist mit einem deutschen Mann verheiratet und erwartet
ein Kind von ihm. Der Mann schlägt die Frau, wenn er betrunken ist, so dass sie vor
ihm zu ihrem Onkel flieht. Nun strengt der Mann ein Verfahren an, dass nur eine
Scheinehe bestünde. Die Frau versäumt auch aus sprachlichen Gründen einen Anhö-
rungstermin und bekommt zwei Wochen nach der Geburt des Kindes die Ausweisung
zugestellt.

Ein Mann aus der Ukraine, der eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung hat, arbei-
tet bei einer Firma, die pleite macht. Der noch zustehende Lohn wird nicht ausgezahlt.
Der Mann traut sich nicht, seine Forderung einzuklagen, da der ehemalige Arbeitgeber
weiß, dass sich seine Freundin illegal hier aufhält und ein Kind erwartet. Die Heirat
der beiden scheitert an fehlenden Papieren.

Eine Studentin kommt in der 30. Schwangerschaftswoche in die Beratungsstelle. Sie
ist recht verzweifelt und in Sorge um ihr Kind, weil sie noch keine Untersuchung wäh-
rend der Schwangerschaft hatte, nicht weiß, wo sie entbinden kann und woher sie ein
Bett und Kleidung für ihr Kind nehmen soll. Ihr Mann, ebenfalls Student, ist fleißig
und tüchtig und versucht den Spagat zu meistern zwischen der Arbeit, um seine Fami-
lie zu ernähren, und seinem Studium, um innerhalb der Regelstudienzeit zum Ab-
schluss zu kommen. Nachdem ein Gynäkologe und ein Entbindungsplatz gefunden und
die notwendige Erstausstattung für das Kind übergeben worden sind, ist die Frau
glücklich und kann sich jetzt erst richtig auf ihr Kind freuen.

©Malteser                                                                             8
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