Einfluss der Luftfeuchte auf den Menschen und seine Gesundheit
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RWTH-EBC 2021-001 Einfluss der Luftfeuchte auf den Menschen und seine Gesundheit Felix Nienaber1 , Kai Rewitz1 , Paul Seiwert1 , Dirk Müller1 1 Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik, E.ON Energieforschungszentrum, RWTH Aachen This work is licensed under a Creative Commons Attribution 3.0 Germany License. Please cite this article as: F. Nienaber, K. Rewitz, P. Seiwert, D. Müller, Einfluss der Luftfeuchte auf den Menschen und seine Gesundheit, White Paper RWTH-EBC 2021-001, Aachen, 2021, DOI: 10.18154/RWTH-2021-01238 RWTH Aachen University E.ON Energy Research Center Institute for Energy Efficient Buildings and Indoor Climate (EBC) Mathieustr. 10, 52074 Aachen T +49 241 80-49760, F +49 241 80-49769 ebc-office@eonerc.rwth-aachen.de, www.eonerc.rwth-aachen.de/ebc
Einfluss der Luftfeuchte auf den Menschen und seine Gesundheit Felix Nienaber1 , Kai Rewitz1 , Paul Seiwert1 , Univ.-Prof Dr.-Ing. Dirk Müller1 1 Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik, E.ON Energieforschungszentrum, RWTH Aachen Kurzzusammenfassung In der wissenschaftlichen Literatur, in Normen und in Richtlinien werden unterschiedliche Empfehlungen für untere und obere Grenzwerte der relativen Luftfeuchte für Innenräume genannt, um Beeinträchtigungen der Menschen und deren Gesundheit zu verringern. Diese Grenzen sind allerdings nicht einheitlich und in manchen Quellen wird nur eine untere oder obere Grenze angegeben. Oftmals wird in wissenschaft- lichen Veröffentlichungen ein für den Menschen optimaler Bereich der relativen Luftfeuchte zwischen 40 % und 60 % genannt. In dieser Arbeit werden anhand der Bewertungskriterien Komfort, Gesundheit sowie Einfluss auf Krankheitserreger und Schadstoffe die Ergebnisse der betrachteten Quellen analysiert und die Empfehlungen in einen Gesamtkontext gesetzt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Einflüsse der relativen Luftfeuchte für jedes Kriterium individuell betrachtet werden sollten und dass die Forderung nach einem konkreten Zielbereich immer einen Kompromiss darstellt. So können niedrige relative Luftfeuchten zu einer höheren Akzeptanz der empfundenen Luftqualität und zu einer Reduktion der Vermehrung von Staubmilben und den entsprechenden Gesundheitsbeeinträchtigungen führen. Das Einhalten von mittleren relativen Luftfeuchten kann gesundheitliche Beeinträchtigungen der Augen, Haut und Atemwege und damit verbundene Fehlzeiten signifikant verringern. In Bezug auf Krankheitserreger kann je nach Virustyp durch die relative Luftfeuchte deren Inaktivierung beeinflusst werden. So werden Polioviren bei niedrigen, Influenzaviren bei mittleren und Coronaviren bei mittleren bis hohen relativen Luftfeuchten zu einem maximalen Grad inaktiviert. Hohe relative Luftfeuchten verringern die Suspensionszeit von Partikeln und Aerosolen, sollten jedoch aufgrund der Gefahr von mikrobiellem Wachstum und Schimmelbildung vermieden werden. Insgesamt zeigen sich somit für den Kompro- miss eines mittleren Bereichs der relativen Luftfeuchte die wenigsten Beeinträchtigungen in Bezug auf den Menschen und seine Gesundheit. Schlagwörter Relative Luftfeuchte — Komfort — Gesundheit — Krankheitserreger — Schadstoffe — Optimaler Feuchtebereich — IEQ Inhaltsverzeichnis Menschen und seiner Gesundheit zu verringern [1, 2, 3, 4, 5, 6]. Teilweise variieren je nach Quel- le und Betrachtungsaspekt diese Grenzwerte je- 1 Einleitung 1 doch um mehr als 10 %. So wird beispielswei- 2 Einfluss auf den Menschen 2 se in der DIN EN 15251 eine untere Grenze von 2.1 Komfort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 30 % angegeben [7]. In der vorliegenden Ver- 2.2 Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 öffentlichung wird anhand einer umfangreichen 3 Einfluss auf Krankheitserreger und Schadstoffe9 Literaturstudie analysiert, auf welchen Untersu- 3.1 Schimmel und Staubmilben . . . . . . . . . . . . 9 chungen die jeweiligen abgeleiteten Grenzwer- 3.2 Partikel, Aerosole und Viren . . . . . . . . . . . 10 te beruhen. Die Untersuchungsaspekte werden 4 Feuchtegrenzen in Normen und Richtlinien 18 hierbei in die direkten Einflüsse auf den Men- 5 Diskussion 20 schen unterschieden, unterteilt in dessen Ge- 6 Zusammenfassung 23 sundheit und Komfort, und die Einflüsse auf Danksagung 24 Krankheitserreger und Schadstoffe. Dabei wer- A Diagramme mit englischer Beschriftung 30 den die Einflüsse auf Viren insbesondere am Bei- spiel von Influenza- und Coronaviren beschrie- ben. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Un- tersuchungen werden anschließend in den Kon- 1. Einleitung text der empfohlenen Feuchtegrenzen in Normen und Richtlinien gesetzt und diskutiert. In der Literatur wird für die relative Luftfeuch- te in Innenräumen oftmals der Bereich von 40 – 60 % empfohlen, um Beeinträchtigungen des Seite 1 von 36
2. Einfluss auf den Menschen gebnisse zeigen, dass eine relative Luftfeuchte von 22 % bei 24 ◦ C und einer metabolischen Rate Die relative Luftfeuchte hat Einfluss auf eine Viel- von 1 met von 95 % der Probanden als akzepta- zahl von Parametern, welche direkte oder indi- bel empfunden werden. 55 % relative Luftfeuchte rekte Auswirkungen auf den Menschen haben. werden dahingegen nur noch von 85 % der Pro- Im folgenden Abschnitt werden die Einflüsse auf banden akzeptiert. Die empfundene Luftqualität den Komfort und die Gesundheit des Menschen wird bei 78 % relativer Luftfeuchte lediglich von beschrieben. Dabei lassen sich die Einflüsse auf 65 % der Probanden als akzeptabel eingestuft. den Komfort hinsichtlich des thermischen Emp- Durch weitere Untersuchungen bei 20 und 27 ◦ C findens und der empfundenen Luftqualität un- wurde gezeigt, dass die Einflüsse der relativen terteilen. Die Einflüsse auf die Gesundheit wer- Luftfeuchte auf das thermische Empfinden bei den in Bezug auf Augen, Haut, Atemwege und höheren Temperaturen weiter zunehmen [9]. Schlaf sowie die Produktivität unterschieden. In einer Studie von Lindgren et al. wird der Ein- fluss der Befeuchtung in Flugzeugkabinen un- tersucht, in welchen ohne Befeuchtung rela- 2.1. Komfort tive Luftfeuchten im Bereich von 6 – 15 % und mit Befeuchtung im Bereich von 9 – 25 % gemes- In verschiedenen Untersuchungen zum Komfort- sen werden. Während der Flüge wird das ther- empfinden des Menschen wird gezeigt, dass so- mische Empfinden und die empfundene Luft- wohl die empfundene Luftqualität als auch das qualität durch Befragungen des Kabinenperso- thermische Empfinden von der relativen Luft- nals erhoben. Durch die Anhebung der relati- feuchte abhängig sind. ven Luftfeuchte um wenige Prozentpunkte (3 – In einer Literaturstudie von Wolkoff wird ein 10) wird die Zufriedenheit des Kabinenpersonals Überblick über die Einflüsse von feuchter Luft hinsichtlich der Luftqualität um 4 – 14 % gestei- auf verschiedene Aspekte der Gesundheit und gert [11]. Aufgrund der hohen Anzahl von Ver- des Komforts gegeben. So wird herausgestellt, suchspersonen (N = 71), der mehrfachen Wie- dass sensorische Reizstoffe wie flüchtige organi- derholung der Versuche und des Designs der sche Verbindungen (engl.: Volatile Organic Com- Studie als randomisierte Doppelblind-Versuche pounds – VOC) und Irritationen der Schleimhäu- kann dieser Untersuchung eine hohe Aussage- te sehr wahrscheinlich die Ursache für eine als kraft zugewiesen werden. trocken empfundene Luft sind. Ebenso trägt die Durch Laviana et al. wird in ihrer Literaturstudie relative Luftfeuchte zur Wahrnehmung von Ge- herausgestellt, dass die Wahrnehmung von Ge- rüchen bei, da beispielsweise feuchte Luft von rüchen durch die relative Luftfeuchte beeinflusst Menschen als stickiger wahrgenommen wird. Ei- werden kann [12]. Bei niedrigen relativen Luft- ne wichtige Erkenntnis ist in diesem Zusammen- feuchten wird die Nasenschleimhaut ausgetrock- hang, dass der Mensch kein Sinnesorgan zur di- net, was zur vermehrten Irritation durch Schad- rekten Wahrnehmung von relativer Luftfeuchte stoffe führen kann. Gleichzeitig können gerin- besitzt, sodass es zu einer Überschneidung zwi- ge relative Luftfeuchten dazu führen, dass Gerü- schen dem Empfinden trockener Luft und der che wie beispielsweise Zigarettenrauch intensi- Wahrnehmung von Gerüchen, Partikeln und an- ver wahrgenommen werden [13]. deren Umwelteinflüssen kommt [8]. Weiterhin wird durch Laviana et al. eine Studie Berglund und Cain zeigen, dass die empfundene von Rohles beschrieben, in welcher der thermi- Luftqualität mit steigender relativer Luftfeuchte sche Komfort von 1600 Probanden in einem brei- als weniger akzeptabel bewertet wird [9, 10]. In ten Spektrum von relativen Luftfeuchten unter- Abbildung 1 sind die Ergebnisse einer Proban- sucht wird. Dazu wird der Anteil der Zufriedenen denstudie mit 20 Teilnehmern zu sehen. Die Er- anhand der Bewertungen des thermischen Emp- Seite 2 von 36
Abbildung 1 – Empfundene Luftqualität in Abhängigkeit von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, eigene Dar- stellung nach [9]. findens, welches die Antwortmöglichkeiten „et- was kühl“ (-1), „neutral“ (0) und „etwas warm“ (1) umfasst, über die Temperatur aufgetragen [14]. Die Visualisierung dieser Daten in Abbildung 2 zeigt, dass bei warmen Umgebungen durch ei- ne Verringerung der relativen Luftfeuchte die Zu- friedenheit mit der thermischen Umgebung im Durchschnitt höher bewertet wird bzw. sich die Verteilung der zufriedenen Bewertungen zu hö- heren Temperaturen verschiebt. Durch Rohles wird zusätzlich herausgestellt, dass bei Männern ein siebenmal und bei Frauen ein neunmal so großer Einfluss der Temperatur auf das ther- Abbildung 2 – Anteil an Zufriedenen hinsichtlich mische Empfinden gemessen werden kann wie der thermischen Umgebung in Ab- durch die relative Luftfeuchte [15]. hängigkeit der Temperatur und re- lativen Luftfeuchte, eigene Dar- stellung nach [12] anhand der Da- In weiteren Untersuchungen weist Berglund ten von [15]. nach, dass das thermische Empfinden durch eine Senkung der relativen Luftfeuchte von 50 % auf 20 % im selben Ausmaß wie durch eine Tempe- funden, da oberhalb von 25 % die Reibung zwi- ratursenkung von 1 K beeinflusst wird [10]. Somit schen Haut und Kleidung signifikant zunimmt liegt hier eine Übereinstimmung mit den Aussa- [10]. gen von Rohles vor, dass im Komfortbereich eine Erhöhung der Temperatur um etwa 0,5 K und eine Anhand der vorgestellten Veröffentlichungen Absenkung der relativen Luftfeuchte um 15 % zu wird gezeigt, dass die relative Luftfeuchte der einem gleichen Temperaturempfinden führt [16]. Umgebung einen nicht zu vernachlässigbaren Weiterhin wird ein starker Zusammenhang vom Einfluss auf das Komfortempfinden von Men- Komfort und Hautfeuchte beschrieben. So wird schen hat. Dabei führen niedrige relative Luft- Kleidung bei einer Hautfeuchte unterhalb von feuchten zu einer akzeptableren Bewertung der 25 % als angenehmer und geschmeidiger emp- empfundenen Luftqualität. Zudem führt eine Er- Seite 3 von 36
höhung der relativen Luftfeuchte zu einem wär- meren thermischen Empfinden. 2.2. Gesundheit Durch die relative Luftfeuchte werden verschie- dene für die Gesundheit von Menschen relevan- te Aspekte beeinflusst. Wolkoff gibt einen weit- reichenden Überblick über die einzelnen Aspekte dieser Einflüsse und wie diese zusammenhängen können [8]. In Anlehnung an Wolkoff werden in Abbildung 3 – Anzahl der Lidschläge in 2 Minuten diesem Kapitel die Einflüsse der relativen Luft- in Abhängigkeit der relativen Luft- feuchte auf Augen, Haut, Atemwege sowie Pro- feuchte, eigene Darstellung nach duktivität, Schlaf und Stress beschrieben. [21]. 2.2.1. Augen wurde. Dabei befanden sich die Probanden zu- nächst in einem Vorraum mit 50 % relativer Luft- Wolkoff gibt in mehreren Arbeiten einen Über- feuchte und wechselten dann in einen Raum mit blick über die Einflüsse der relativen Luftfeuch- 10 %, 30 % oder 50 %. Die Temperatur wurde über te auf verschiedene Aspekte der Gesundheit und die Versuchsdauer konstant auf 25 ◦ C geregelt. des Komforts, wobei auch Einflüsse auf die Au- Die Ergebnisse zeigen, dass ein Aufenthalt bei gen beschrieben werden. Insgesamt werden ne- 10 % und 30 % relativer Luftfeuchte zu einer sta- gative Einflüsse von sehr niedrigen und niedri- tistisch signifikant erhöhten Lidschlagfrequenz gen relativen Luftfeuchten auf die Augen heraus- führen. gestellt [8, 17, 18, 19]. Diese Aussage wird durch die Untersuchungen Barabino et al. analysieren die Einflüsse der re- von Wyon et al. bestätigt, in welchen die Aus- lativen Luftfeuchte auf die Augen anhand von wirkungen verschiedener relativer Luftfeuchten Untersuchungen mit Mäusen [20]. In ihrem Bei- (5 %, 15 %, 25 % und 35 %) auf die Augen von 30 trag wird die Tränenproduktion bei ca. 18 % rela- Probanden untersucht wurden [22]. Dort wird ei- tiver Luftfeuchte gegenüber einem Luftfeuchte- ne erhöhte Lidschlagfrequenz und ein erhöh- Bereich von 50 – 80 % verglichen. In ihren Unter- ter subjektiver Diskomfort bei 5 % relativer Luft- suchungen wird gezeigt, dass die Zelldichte der feuchte im Vergleich zu 35 % beschrieben. Eben- Becherzellen in der oberen Bindehaut der Mäu- so wird eine verringerte Tränenfilmqualität bei se, welche in der trockenen Umgebung gehalten 5 % und 15 % relativer Luftfeuchte gemessen. werden, stark zurückgeht. In den Becherzellen der Bindehaut wird Schleim produziert und somit 2.2.2. Haut ein wichtiger Teil des Tränenfilms gebildet. Dies führt zu einer verringerten Tränenfilmproduktion Sunwoo et al. analysieren im Rahmen des bereits in der Umgebung mit geringerer Luftfeuchte. in Abschnitt 2.2.1 beschriebenen Experiments Durch Sunwoo et al. wird ebenfalls nachgewie- den transepidermalen Wasserverlust (TEWL) und sen, dass die relative Luftfeuchte einen Einfluss den Hydrierungszustand der Haut der Proban- auf die Augen hat [21]. In Abbildung 3 sind die den. Die Ergebnisse sind in Abbildung 4 dar- Ergebnisse aus einer Untersuchung mit 16 Pro- gestellt. Die Versuchsreihen bei relativen Luft- banden dargestellt, bei denen die Lidschlagfre- feuchten unterhalb von 50 % weisen einen si- quenz bei unterschiedlichen Luftfeuchten erfasst gnifikanten Anstieg des transepidermalen Was- Seite 4 von 36
serverlustes nach 30 Minuten auf, welcher dann 43 % (Versuchsgruppe, N = 14) auf Mitarbeiter von über die restliche Versuchsdauer annähernd zwei Stationen eines Krankenhauses untersucht konstant bleibt. Gleichzeitig führt dieser Anstieg [23]. Die Probanden wurden zwei mal im Abstand zu einer signifikanten Abnahme des Hydrierungs- von 6 Wochen untersucht und auf das Vorhan- zustandes der Haut - angegeben in arbiträren densein von Krankheitssymptomen an den Au- Einheiten (a.E.) - nach ebenfalls 30 Minuten, wel- gen, der Nase, des Rachens und der Haut so- cher auch für die restliche Versuchsdauer deut- wie auf weitere generelle Symptome geprüft. Da- lich unter dem Initialzustand bleibt. Weiterhin durch kann gezeigt werden, dass die Anzahl von wird eine signifikante Absenkung der mittleren auftretenden Symptomen bezüglich der Haut in Hauttemperatur um 0,4 K kurz nach dem Betre- der Versuchsgruppe statistisch signifikant zu- ten des Raumes mit 10 % relativer Luftfeuchte rückgeht (Reduktion von 10 nach 9), während es festgestellt, die jedoch zum Ende des Versuches in der Kontrollgruppe ansteigt (Zunahme von 6 mit ca. 0,2 K auf gleichem Niveau liegt wie bei auf 8). Bei den anderen untersuchten Sympto- den anderen Versuchen. Sunwoo et al. kommen men wurden keine statistisch signifikanten Zu- zu dem Schluss, dass für die untersuchten Luft- sammenhänge festgestellt. feuchten unterhalb von 50 % signifikante Beein- trächtigungen für die Haut auftreten [21]. 2.2.3. Atemwege Im Alltag nimmt der Mensch eine Vielzahl an Partikeln und Schwebstoffen über die Atmung auf. Darunter sind ca. 1011 Nanopartikel in ei- ner Größe von 10 – 1000 nm. Im Vergleich da- zu haben Viren eine Größe von 20 – 300 nm und Bakterien von 1000 – 10.000 nm [24]. In Abbil- dung 5 sind die wesentlichen Transportvorgän- ge von Partikeln in den Atemwegen des Men- schen dargestellt. Der menschliche Organismus verfügt über unterschiedliche Mechanismen, um inhalierte Partikel wieder abzuscheiden. Größe- re Staubpartikel werden dabei bereits in der Na- se absorbiert und durch das Nasensekret ab- transportiert. Gelangen Partikel durch die Luft- röhre weiter in den Bronchialbereich, können diese über die sogenannte mukoziliare Clearan- ce abtransportiert werden. Dabei lagern sich die Partikel zunächst in einer schützenden Schleim- schicht ab, die kontinuierlich über eine Bewe- Abbildung 4 – Transepidermaler Wasserverlust (TEWL) und Hydrierungszustand gung der Flimmerhärchen zum Rachenraum ab- der Haut in Abhängigkeit der Zeit transportiert wird. Dadurch können vorhande- und der relativen Luftfeuchte im ne Fremdkörper, wie beispielsweise eingeatme- Versuchsraum, eigene Darstellung ter Staub, Pollen, Viren und Bakterien aus den nach [21]. Atemwegen heraus befördert werden. Falls ein Abtransport nicht möglich ist, kann der Körper In einer Longitudinalstudie von Norbäck et al. mit Immunantworten, Abwehrreaktionen, Zerset- wird der Einfluss einer Anhebung der relativen zungsprozessen und Weitertransport in andere Luftfeuchte von 35 % (Kontrollgruppe, N = 12) auf Organe reagieren. Geringe relative Luftfeuchten Seite 5 von 36
Schleimhäute auswirkt, da sich ein feuchtes Mi- kroklima zwischen Gesicht und Maske einstellt. In Untersuchungen von Salah et al. zum Einfluss der relativen Luftfeuchte auf den Nasensekret- Transport anhand der Messung der nasalen Saccharin-Transitzeit mit 11 Probanden wird be- legt, dass durch das Einatmen von extrem tro- ckener Luft der mukoziliare Transport negativ beeinflusst werden kann [26]. Abbildung 6 zeigt, dass sich die nasale Saccharin-Transitzeit bei re- lativen Luftfeuchten von 0,1 % im Vergleich zu den ebenfalls getesteten 40 – 43 % um 55 % er- höht. In dieser Versuchsreihe wird ein Extrem- fall, welcher im Alltag nicht vorkommt, mit ei- ner mittleren relativen Luftfeuchte verglichen. Zwar werden somit grundlegende Zusammen- Abbildung 5 – Transportmechanismen inhalier- hänge deutlich, allerdings ist ein quantifizierba- ter Partikel in den Atemwegen, rer Einfluss für Luftfeuchten zwischen den unter- eigene Darstellung nach [24]. suchten Grenzwerten nicht möglich. können zu Beeinträchtigungen der körpereige- nen Reinigungsfunktionen der Schleimhäute und der Abwehrmechanismen des Körpers führen [5, 12, 25], welche wiederum eine höhere Anfälligkeit für Infektionen verursachen können. So kann es zum Beispiel zu einem Austrocknen der Schleim- häute kommen, sodass die schützende Schleim- schicht durchlässiger wird und somit leichter von Krankheitserregern durchdrungen werden kann. Eine Verringerung der mukoziliaren Transportge- schwindigkeit bietet Krankheitserregern zudem einen längeren Zeitraum, um durch die schützen- de Schleimschicht zu dringen, bevor diese ab- transportiert werden kann. Weiterhin kann bei geringen Luftfeuchten eine verringerte Zellrepa- Abbildung 6 – Nasale Saccharin-Transitzeit in ratur der Lungenzellen und bei zusätzlich nied- Abhängigkeit der relativen Luft- rigeren Temperaturen eine geringere Interferon- feuchte und Temperatur, eigene Ausschüttung festgestellt werden, welche wie- Darstellung nach [26]). derum zu einer verringerten Immunantwort der Körpers führen kann [5]. Moriyama et al. geben In ihren Untersuchungen wird durch Sunwoo bei Empfehlungen zur Infektionsprävention im et al. ebenfalls nachgewiesen, dass die Nasen- Winter unter anderem einen Zielwert der rela- schleimhaut bei relativen Luftfeuchten von 10 % tiven Luftfeuchte von 40 – 60 % an. Zudem ver- im Vergleich zu 30 % und 50 % einen langsame- weisen sie darauf, dass sich das Tragen von Mas- ren mukoziliaren Transport aufweist [21]. Zusätz- ken bei geringen Luftfeuchten vorteilhaft auf die lich wird gezeigt, dass der mukoziliare Trans- Seite 6 von 36
port bei alten Menschen (durchschnittliches Al- wird in vielen anderen wissenschaftlichen Publi- ter 71 Jahre) stärker von einer niedrigen relati- kationen und technischen Richtlinien Bezug ge- ven Luftfeuchte beeinflusst wird als bei jungen nommen, sodass sich als empfohlener Bereich Menschen. Bei 30 % und 50 % relativer Luftfeuch- der relativen Luftfeuchte 40 – 60 % etabliert hat. te wird kein signifikanter Unterschied in den Un- In Kapitel 5 wird näher auf die Zusammenhän- tersuchungen der Nasenschleimhaut nachgewie- ge zwischen den historischen Empfehlungen der sen. Luftfeuchtegrenzen eingegangen. Eine frühe Studie zu der Saison-Abhängigkeit von In einer weiteren Literaturstudie von Wolkoff Atemwegsinfektionen wurde bereits 1924 durch wird ebenfalls gezeigt, dass niedrige Luftfeuch- Young durchgeführt [27]. In dieser wurden die ten (5 – 30 % relative Luftfeuchte) mit Beschwer- Sterblichkeitsraten von Kindern im Alter von 0 den über trockene und stickige Luft und Irrita- bis 5 Jahren durch Pneumonie und Influenza aus tionen der oberen Atemwege zusammenhängen fünf verschiedenen Städten für einen Zeitraum und dass durch Anheben der relativen Luftfeuch- von jeweils 44 bis 54 Jahren ausgewertet. Durch te diese Beschwerden und Irritationen vermin- die Untersuchung dieser Daten in Abhängigkeit dert werden [8]. des Wetters wurde gezeigt, dass sich die Mortali- Durch Taylor und Tasi werden Zusammenhän- tät durch Atemwegserkrankungen durch hohe re- ge zwischen verschiedenen möglichen Vorfäl- lative Luftfeuchten in Verbindung mit niedrigen len und Infektionen in einer betreuten Wohn- Temperaturen erhöht. einrichtung und der jeweiligen durchschnittli- Von Arundel et al. werden in einer Literaturstudie chen relativen Luftfeuchte des Monats darge- 99 Quellen zu den Einflüssen der relativen Luft- stellt [3]. Zur Erfassung der relativen Luftfeuch- feuchte auf den Menschen analysiert [2]. In dem te wurden die Werte einer Wetterstation eines Abschnitt zu Atemwegsinfektionen werden ver- 10 Meilen entfernten Flughafens übernommen schiedene Studien beschrieben, in welchen ein und zu einer effektiven relativen Luftfeuchte in- Einfluss der relativen Luftfeuchte auf die Häufig- nerhalb der Wohneinrichtung verrechnet. In der keiten von Infektionen und die Abwesenheitsra- Studie von Nguyen und Dockery wird gezeigt, ten gezeigt wird. So werden in einer Studie zu dass dies ein valider Ansatz ist, solange die Um- Atemwegsinfektionen in Militärbaracken mit ei- rechnung anhand der absoluten Luftfeuchte ge- ner Befeuchtungsanlage, durch welche Luft mit schieht [28]. In den Untersuchungen wird gezeigt, 40 % relativer Luftfeuchte zur Verfügung gestellt dass weniger Atemwegsinfektionen und Magen- wird, 8 bis 18 % weniger Atemwegsinfektionen Darm-Infektionen in Monaten mit durchschnittli- gemessen als im Vergleich zu Baracken, in den chen Luftfeuchten zwischen 40 – 60 % gemessen 20 % relative Luftfeuchte vorherrschen. In einer werden als in Monaten außerhalb dieser Gren- weiteren Studie zu dem Einfluss von relativer zen. Gleiches wird für Vorfälle gezeigt, bei denen Luftfeuchte auf krankheitsbedingtes Fehlen von Bewohner gestürzt sind. Die relative Luftfeuch- Schulkindern wird gezeigt, dass Kinder, in deren te wird von Taylor und Tasi über den gesamten Schule und Zuhause keine Befeuchtungsanlagen Monat gemittelt und mit den Fallzahlen des Mo- verbaut sind, eine Abwesenheitsrate von 7,1 % nats korreliert. Die tatsächlich vorliegende rela- aufweisen. Kinder, in deren Zuhause und Schule tive Luftfeuchte in den Tagen vor Einsetzen und Befeuchtungsanlagen installiert sind, zeigen le- während der Infektion und der durchschnittli- diglich eine Abwesenheitsrate von 1,3 % auf. Ins- chen monatlichen relativen Luftfeuchte können gesamt wird von Arundel et al. empfohlen, einen aufgrund starker Wetterumschwünge innerhalb Bereich der relativen Luftfeuchte zwischen 40 – eines Monats weit auseinander liegen. Ebenso 60 % einzuhalten, um das Optimum aller vor- ist die Anzahl der insgesamt vorgefallenen In- gestellten Aspekte hinsichtlich der Gesundheit fektionen mit 90 Magen-Darm-Infektionen und des Menschen zu erreichen. Auf diese Ergebnisse 83 Atemwegsinfektionen in dem Untersuchungs- Seite 7 von 36
zeitraum von 4 Jahren eher gering, insbesondere tung ist [19]. Weiterhin korreliert eine Redukti- um aussagekräftige statistische Untersuchungen on der Produktivität mit dem subjektiven Emp- für einzelne Monate durchzuführen. finden von trockener Luft. Wyon et al. untersu- chen den Einfluss der relativen Luftfeuchte auf die Arbeitsleistung anhand typischer Bürotätig- keiten wie Schreiben, Korrekturlesen und Addie- ren [22]. In Abbildung 8 sind die Ergebnisse als prozen- tuale Arbeitsleistung mit einer Normierung auf die Arbeitsleistung bei 5 % relativer Luftfeuchte dargestellt. Es ist zu erkennen, dass im Vergleich zu der sehr trockenen Umgebung die Arbeitsleis- tung mit Erhöhung der relativen Luftfeuchte auf 15 – 35 % um 2 – 6 % leicht ansteigt. Abbildung 7 – Mittlere Verringerung der Abwe- senheiten durch Luftbefeuchtung basierend auf verschiedenen Interventionsstudien, eigene Dar- stellung basierend auf Daten von [29, 30, 31, 32]. Um den Einfluss von technischen Systemen zur Regelung der relativen Luftfeuchte auf Erkran- kungen beziehungsweise auf Fehltage zu quan- tifizieren, wurden bereits vielzählige Interventi- onsstudien durchgeführt [29, 30, 31, 32]. In Ab- bildung 7 sind die Ergebnisse von verschiede- Abbildung 8 – Einfluss der relativen Luftfeuch- nen Interventionsstudien zusammengefasst und te auf die Arbeitsleistung beim hinsichtlich der Altersgruppen Vorschulkinder, Schreiben, Korrekturlesen und Ad- Schüler und Erwachsene ausgewertet. Die Be- dieren, eigene Darstellung nach rechnung der Verringerung der Abwesenheit in [22]. Tagen pro Jahr wurde mit der Annahme von 190 Schultagen und 220 Arbeitstagen pro Jahr durch- geführt. Aus den Daten wird ersichtlich, dass 2.2.5. Schlaf und Stress der Einfluss mit dem Alter abnimmt. So wird die durchschnittliche Abwesenheit pro Jahr für Vor- In den Untersuchungen zum Einfluss von Ände- schulkinder um ca. 4,5 Tage, für Schüler um ca. rungen der relativen Luftfeuchte und Temperatur 1,5 Tage und für Erwachsene um 1 Tag gesenkt. auf den Schlaf konnte durch Okamoto-Mizuno et al. gezeigt werden, dass es zu vermehrten Schla- 2.2.4. Produktivität funterbrechungen und verringerter Schlafquali- tät kommt, wenn Temperatur und relative Luft- Bei der Selbsteinschätzung der Produktivität feuchte erhöht werden [34]. In Auswertungen der sind nach Wiik psychosoziale und Umweltfakto- NASA wird gezeigt, dass der für Schlaf optimale ren von gleicher Bedeutung [33]. Wolkoff weist Bereich zwischen 50 – 60 % und für die allgemei- darauf hin, dass die Luftfeuchte ein wichtiger ne Gesundheit zwischen 40 – 60 % relativer Luft- Umweltfaktor zur Sicherstellung der Arbeitsleis- feuchte liegt [35]. Seite 8 von 36
Insbesondere bei Personen mit obstruktiver 3.1. Schimmel und Staubmilben Schlafapnoe wird bei einer Befeuchtung der nächtlich via CPAP-Beatmungsgerät zugeführten Schimmelpilzbefall in Innenräumen erhöht das Atemluft eine Verbesserung sowohl von Sympto- Risiko für Husten, Infektionen der oberen Atem- men als auch Schläfrigkeit und Lebensqualität wege und Atopie, was wiederum zu allergischem gemessen [36]. Asthma führen kann [38]. Insbesondere bei Kin- dern kann der Aufenthalt in Räumen mit feuch- In einer Studie zu den Auswirkungen der relati- ten Oberflächen und Schimmelpilzbefall auch ven Luftfeuchte auf den Stress von Büroarbei- unabhängig von einer spezifischen Empfindlich- tenden werden 134 Personen von Rajouyan et al. keit zu einer Verschlimmerung von Asthma füh- mit Herzfrequenzmessgeräten ausgestattet, um ren. Auslöser für Pilzwachstum in Gebäuden kön- ihre Stressreaktionen zu erfassen [37]. Die Pro- nen Wasserschäden sein, die zu einer starken banden werden nach Ende der Untersuchungen Erhöhung der Feuchte an den Oberflächen füh- in Gruppen eingeteilt, basierend auf dem Anteil ren. Aber auch über die Kondensation von Raum- der von ihnen in einer Umgebung mit relativen luft an kalten Oberflächen besteht ein indirek- Luftfeuchten zwischen 30 – 60 % oder außerhalb ter Einfluss der relativen Luftfeuchte auf das dieser Grenzen verbrachten Zeit. Bei Personen in Pilzwachstum und damit die Sporenkontaminati- dem mittleren Bereich der relativen Luftfeuchte on der Raumluft. Nach Baughman und Arens tritt wurden 25 % weniger Stresssymptome erfasst als unterhalb von 70 bis 80 % relativer Luftfeuch- bei Personen in trockeneren Bedingungen. In der te ohne weitere Auslöser kein Pilzwachstum auf Auswertung wird gezeigt, dass die optimalen Be- [39]. Diese Erkenntnisse werden durch die Ergeb- dingungen bei ca. 45 % relativer Luftfeuchte vor- nisse in den von Arundel et al. vorgestellten Ver- liegen. öffentlichungen bestätigt [2]. Mendell und Kumagai leiten anhand einer Meta- Studie eine dreistufige Risikoindizierung für Ge- sundheitsschäden durch feuchte Oberflächen 3. Einfluss auf Krankheitserreger und und Schimmelpilzbefall in Gebäuden her, welche Schadstoffe in Tabelle 1 zusammengefasst ist. Hierfür wer- den unter anderem die Häufigkeiten von Husten und Nasenentzündungen bei Kindern verglichen. Die relative Luftfeuchte hat nicht nur einen di- Sobald einer der Indikatoren aus Stufe 1 vor- rekten Einfluss auf den Menschen, sondern wirkt liegt, kann von einem geringen Risiko ausgegan- sich auch auf Krankheitserreger und Schadstoffe gen werden. So wird anhand der Untersuchungen aus, welche wiederum die Gesundheit des Men- gezeigt, dass bereits durch ein geringes Vorhan- schen beeinträchtigen können. Neben der Be- densein von Feuchtigkeit, zum Beispiel in Form einflussung der Suspensionszeit von Aerosolen, von aktuellen oder historischen Wasserschäden, die zum einen in Form von kleinen Partikeln di- Schimmelflächen unter 0,2 m2 oder Schimmel- rekte Beeinträchtigungen der Atemwege verur- gerüche das Risiko von Husten und Nasenent- sachen und zum anderen als Träger von Viren zündungen um 10 bis 100 % erhöht werden kann. dienen können, wirkt sich die relative Luftfeuch- Werden die Grenzwerte aus Stufe 3 für einen In- te auch direkt auf Krankheitserreger hinsichtlich dikator überschritten, so kann von einem hohen deren Aktivitätszeit und Vermehrung aus. Im Fol- Gesundheitsrisiko ausgegangen werden. Sowohl genden werden die Einflüsse auf Schimmelpilz- durch größere Wasserschäden in Verbindung mit befall und Staubmilben, auf Aerosole im Allge- Schimmel als auch durch größere Schimmelflä- meinen und auf die Inaktivierung verschiedener chen werden die Risiken um 70 bis 4150 % erhöht Viren beschrieben. [40]. Seite 9 von 36
Tabelle 1 – Risikoindizierung für Gesundheitsschäden durch Schimmelpilzbefall über drei Stufen nach [40] Stufe 1: Kein Risiko Stufe 2: Geringes Risiko Stufe 3: Hohes Risiko Keiner der Indikatoren: • Mindestens 1 Indikator aus • Sichtbarer Schimmel auf • Wasserschaden Stufe 1 > 0,2 m² in einem Raum • Sichtbarer Schimmel • Grenzwerte sind kleiner als ODER • Schimmelgeruch in Stufe 3 • Sichtbarer Schimmel und • Historische Schimmelspuren Wasserschaden > 0,2 m² • Historische Wasserschäden auf einer Fläche Ein weiteres Gesundheitsrisiko in Gebäuden stel- sigkeitströpfchen, die in der Flüssigkeit gelöste len Hausstaubmilben dar. Diese kommen ty- Salze und nicht gelöste Aerosolpartikel enthal- pischerweise in Innenräumen vor und ernäh- ten können. Die tendenziellen Einflüsse von Tem- ren sich von menschlichen Hautschuppen. De- peratur und relativer Luftfeuchtigkeit auf virus- ren Exkremente können Auslöser für Allergien beladene Aerosole werden durch Hosseini in ei- wie zum Beispiel allergisches Asthma oder Rhi- nem Review-Paper beschrieben, die Ergebnisse nitis (Nasenschleimhautentzündung) sein [39]. sind in Abbildung 9 dargestellt [43]. Baughman und Arens zeigen anhand einer Meta- Studie, dass die Staubmilbenkontamination in direktem Zusammenhang mit der relativen Luft- feuchte der Umgebung steht. Die optimalen Be- dingungen liegen zwischen 70 und 80 % relativer Luftfeuchte vor, wobei die Luftfeuchte im Mikro- habitat, also der direkten Umgebung der Staub- milben, ausschlaggebend ist und unter Umstän- den deutlich höher sein kann als die mittlere Luftfeuchte der Raumluft. Arlian et al. zeigen in diesem Kontext, dass beim Einhalten einer ma- ximalen Luftfeuchte von unter 50 % die Vermeh- rung von Staubmilben signifikant gesenkt wer- den kann [41]. 3.2. Partikel, Aerosole und Viren Abbildung 9 – Einfluss des Umgebungsklimas auf Die relative Luftfeuchte beeinflusst sowohl die die Suspensionszeit von Aeroso- Suspensionszeit von Aerosolen als auch die Dau- len und die Lebensdauer der darin er bis zur Inaktivierung von Viren, welche oftmals enthaltenen Viren, eigene Darstel- auch als „Lebensdauer“ bezeichnet wird. In Ab- lung nach [43]. hängigkeit der Sprechaktivität und der körper- lichen Aktivität von Personen variiert die Men- Darin wird beschrieben, warum die Suspensions- ge an emittierten Tröpfchen und Aerosolen. Die- zeit, also die Verweildauer in der Luft vor ei- se können im Falle einer Infektion der Person nem Absetzen auf Oberflächen, in trockenen Um- mit Viren beladen sein, was wiederum Einfluss gebungen länger ist als in feuchten Umgebun- auf das Infektionsrisiko in Innenräumen haben gen. Dies ist auf die unter trockenen Bedingun- kann [42]. Aerosole bestehen aus kleinen Flüs- gen schnellere Verdunstung des Flüssigkeitsan- Seite 10 von 36
teils zurückzuführen, welche dazu führt, dass der Durchmesser der Aerosole sinkt und die auskris- tallisierten Salze, Partikel und Viren als virus- beladene Feststoffaerosole übrig bleiben. Dieser Prozess hat ebenso wie die Temperatur einen Einfluss auf die Lebensdauer von Viren. Findet die Verdunstung und damit die Aufkonzentra- tion der Salzlösung bei feuchten Umgebungen vergleichsweise langsam statt, so führt die ho- he Salzkonzentration in dem Flüssigkeitströpf- chen zu einer schnellen Inaktivierung der Viren, die sich darin befinden. Findet dieser Prozess bei trockenen Umgebungen sehr schnell statt, so reicht die Zeit, in welcher die Viren der hohen Salzkonzentration ausgesetzt sind, nicht aus, um eine Inaktivierung zu verursachen. In dieser Ver- öffentlichung werden unter anderem die Unter- Abbildung 10 – Einfluss der relativen Luftfeuch- suchungen von Yang et al. [44] dargelegt, welche te auf die Stabilität unterschied- im Kapitel 3.2.1 ausführlich beschrieben werden. licher Viren basierend auf einer Datenanalyse von [5]. Es gilt jedoch zu beachten, dass je nach Vi- rus der Einfluss der relativen Luftfeuchte unter- schiedlich ausgeprägt ist. In Abbildung 10 sind ven Luftfeuchten (80 ± 5 %) werden für Poliomye- die Ergebnisse einer Metastudie von Moriyama litis die längsten Überlebensdauern nachgewie- et al. dargestellt [5]. Die grauen Punkte sind die sen. Unter niedrigen (30 ± 5 %) und mittleren re- untersuchten Bereiche der relativen Luftfeuch- lativen Luftfeuchten (50 ± 5 %) wird die Überle- te und die roten Markierungen sind die Berei- bensdauer so sehr verkürzt, dass diese mit der che mit hoher Stabilität für das jeweilige Virus. angewandten Methodik nicht bestimmt werden Aus der Abbildung wird deutlich, dass behüllte können. Die Tendenzen dieser Untersuchungen und unbehüllte Viren in unterschiedlichen Berei- werden von den Ergebnissen von Hemmes et al. chen der relativen Luftfeuchte eine hohe Stabi- bestätigt, welche in Abschnitt 3.2.1 ausführlich lität aufweisen. Während die dargestellten un- beschrieben werden. behüllten Viren die höchste Stabilität bei 80 % In einer Übersichtsarbeit wird von Arundel et relativer Luftfeuchte aufweisen, variiert dieser al. unter anderem zusammengefasst, welche Ein- Bereich bei den behüllten Viren. Für den Influ- flüsse die relative Luftfeuchte auf Viren und Bak- enzavirus wird je nach Quelle beispielsweise so- terien hat bzw. bei welchen relativen Luftfeuch- wohl ein niedriger als auch ein hoher Bereich ten diese eine möglichst geringe Beeinträchti- der relativen Luftfeuchte angegeben, bei welcher gung der menschlichen Gesundheit verursachen das Virus eine hohe Stabilität aufweist. [2]. Für Viren werden die geringsten Beeinträch- tigungen in einem Bereich zwischen 50 und 70 % In ihren Untersuchungen werden von Ijaz et relativer Luftfeuchte angegeben. Für Bakterien al. Versuche mit Poliomyelitisviren durchgeführt, wird ein ähnliches Verhalten beschrieben und durch welches Kinderlähmung ausgelöst werden ein Minimum zwischen 30 und 60 % dargestellt. kann [45]. Dort wird ermittelt, welche Zusammen- hänge zwischen der Überlebensdauer von Viren Lai et al. beschreiben im Buch „Aerosol Science“ in Aerosoltröpfchen und der Temperatur und re- mögliche Risiken von Bioaerosolen in Kran- lativen Luftfeuchte der Umgebung bestehen. Bei kenhäusern und wie diese beeinflusst werden mittleren Temperaturen (20 ◦ C) und hohen relati- [46]. Dort werden die Ergebnisse einer WHO- Seite 11 von 36
Untersuchung präsentiert, laut derer zwischen nach 30 Sekunden keine Viren mehr nachgewie- 5,7 und 19,1 % aller Patienten von therapieasso- sen werden. Ein Unterschied zwischen den bei- ziierten Infektionen betroffen sind, wobei in ein- den Viren besteht darin, dass es sich bei dem In- zelnen Notaufnahmen Werte bis zu 88,9 % festge- fluenzavirus um ein behülltes Virus handelt, wo- stellt werden [47]. Durch solche Infektionen wer- hingegen das Poliomyelitisvirus keine Hülle auf- den vor allem Patienten, die an Beatmungsgeräte weist. angeschlossen sind gefährdet. Weiterhin wird ein Überblick über Filter- und Deaktivierungsmög- lichkeiten von Bioaerosolen gegeben. Sie be- schreiben zudem mit Bezug auf das Buch von Hinds, dass die relative Luftfeuchte einen ent- scheidenden Einfluss auf die Verdunstungsrate des Flüssigkeitsanteils in von Menschen emit- tierten Aerosolen hat, was wiederum Einfluss auf deren aerodynamischen Durchmesser und Sus- pensionszeit hat [48]. Der Einfluss der relativen Luftfeuchte auf die Suspensionszeit wird von Lindgren et al. be- schrieben [11]. Sie zeigen am Beispiel einer Flug- zeugkabine, dass durch die Anhebung der re- lativen Luftfeuchte um wenige Prozentpunkte Abbildung 11 – Einfluss der relativen Luftfeuch- (3 – 10 %) in sehr trockenen Umgebungen (bspw. te auf die Inaktivierung von Flugzeugkabine) die Konzentration lungengängi- Poliomyelitis- und Influenzavi- ger Partikel von 6 auf 1 µg/m³ gesenkt werden ren, eigene Darstellung nach [49]. kann. In Untersuchungen von Schaffer et al. wird ge- zeigt, dass für Influenzaviren bei 50 % relati- 3.2.1. Influenzaviren ver Luftfeuchte die höchste Inaktivierung auftritt [50]. Die Ergebnisse sind als Rückgewinnungsra- In den Untersuchungen von Hemmes et al. zu te über die relative Luftfeuchte in Abbildung 12 Viren in Aerosolen wird gezeigt, dass Influenza- aufgetragen. Darin wird der Einfluss der Zeit auf und Polioviren unterschiedlich von der umge- die Rückgewinnungsrate deutlich, da der Unter- benden relativen Luftfeuchte beeinflusst werden schied zwischen den Rückgewinnungsraten ver- [49]. Die Inaktivierung von Viren wird - für ty- schiedener relativer Luftfeuchten mit längerer pische Innenraumbedingungen - von der rela- Versuchsdauer immer ausgeprägter wird. Das Mi- tiven Luftfeuchte stärker beeinflusst als durch nimum der Rückgewinnungsrate wird bei 50 % eine Variation der Temperatur. In Abbildung 11 gemessen. wird zeigt, dass Influenzaviren bei relativen Luft- feuchten von 50 – 90 % schneller und im Be- Durch Noti et al. wird die Infektiosität von reich von 15 – 40 % langsamer inaktiviert werden. Influenzaviren bei verschiedenen relativen Im Übergang zwischen diesen beiden Bereichen Luftfeuchten der Umgebungsluft untersucht wird ein starker Anstieg aufgezeigt. In paralle- [51]. Dabei werden virusbeladene Aerosole len Untersuchungen bezüglich des Poliomyelitis- über einen Analog-Kopf mit einem künstlichen virus wird gezeigt, dass ein umgekehrtes Verhal- Hust-Vorgang in einen Versuchsraum emittiert ten vorliegt. Für das Poliomyelitisvirus liegt ober- (Emmitent) und ein zweiter Kopf mit künstlichem halb von 50 % eine langsame Inaktivierung vor. Atemvorgang verwendet, um die Aerosole wie- Unterhalb von 45 % relativer Luftfeuchte konnten der einzuatmen (Rezipient). Der Versuchsaufbau Seite 12 von 36
Abbildung 12 – Einfluss der relativen Luftfeuch- te und der Zeit auf die Rück- Abbildung 13 – Von Noti et al. verwendeter Ver- gewinnungsrate, welche die Pro- suchsaufbau, eigene Darstellung zentzahl der aktiven Influenza- nach [51]. viren widerspiegelt, eigene Dar- stellung nach [50]. vierung die Ergebnisse von Harper genutzt [52]. Der Verdunstungsprozess wird durch niedrige re- ist vereinfacht in Abbildung 13 dargestellt. Die lativen Luftfeuchten beschleunigt, sodass größe- Auswertung der Infektiosität in Abhängigkeit re Tröpfchen schneller schrumpfen und aufgrund der relativen Luftfeuchte wird für das gesamte von Auftriebseffekten länger in der Luft schwe- untersuchte Größenspektrum in Abbildung 14 ben können. Die beim Husten vermehrt ausge- dargestellt. Dort wird ersichtlich, dass bei rela- schiedenen größeren Tröpfchen setzen sich bei tiven Luftfeuchten von 7 – 23 % ca. fünfmal mehr höheren relativen Feuchten schneller ab, wäh- infektiöse Viren nach einer Stunde messbar rend sie bei niedrigen relativen Luftfeuchten sind als bei 43 %. Oberhalb von 43 % wird eine schrumpfen und länger in der Luft verbleiben. leichter Anstieg der Infektiosität gemessen, Durch die Erhöhung der Luftwechselrate wird welcher allerdings weit unterhalb der maximal auch die Anzahl der kleineren Tröpfchen in der gemessenen Werte bleibt. Raumluft reduziert, welche sich sonst aufgrund von Auftriebseffekten nicht absetzen. Durch die In einer Simulationsstudie von Yang und Marr Kombination aller Effekte wird bei einer hohen wird betrachtet, wie sich die Luftwechselrate und relativen Luftfeuchte zusammen mit einer hohen die relative Luftfeuchte auf die Inaktivierung und Luftwechselrate die Anzahl der Viren in der Luft Absetzung von Viren in emittierten Hustentrop- am schnellsten reduziert [53]. In dieser Veröf- fen auswirken können. Hierbei wird gezeigt, dass fentlichung wird ein sehr detaillierter Einblick in mit steigender relativer Luftfeuchte die Abset- die Simulation dieser Effekte gegeben, allerdings zungsrate von Aerosolen und die Inaktivierungs- werden die direkten Einflüsse auf Viren, welche rate der Viren erhöht werden. Die Absetzungsra- in Tröpfchen während der Verdunstung auftreten te von Aerosolen innerhalb von 10 Minuten nach können, nicht berücksichtigt. der Emission wird von 86 % bei 10 % relativer Luftfeuchte auf 91 % bei 90 % relativer Luftfeuch- In einer zweiten Veröffentlichung werden diese te gesteigert, während 0 % der Viren bei 10 % re- Effekte von Yang et al. betrachtet, indem sie Ver- lativer Luftfeuchte und 28 % bei 90 % relativer suche mit Influenzaviren in verschiedenen Aero- Luftfeuchte nach 10 Minuten inaktiviert werden. solen durchführen [44]. Hierbei werden die Aus- Dabei werden für die Modellierung der Inakti- wirkungen in Tröpfchen aus Salzlösungen mit de- Seite 13 von 36
Abbildung 14 – Abhängigkeit der Infektiosität von der relativen Luftfeuchte, eigene Darstellung nach [51]. nen aus einer dem Speichel ähnlichen Lösung ver Luftfeuchte gehalten wurden [54]. Bei den verglichen. Die Tröpfchen können bei hoher Salz- Mäusen in der trockenen Umgebung werden konzentration und geringer relativer Luftfeuch- deutlich schwerere Krankheitsverläufe festge- te vollständig verdunsten und auskristallisieren, stellt. Zudem wird die Zellheilung ihrer Lungen- was im Vergleich zu hochkonzentrierten Salzlö- Epithelzellen reduziert und die Aktivität von sungen zu höheren Überlebenswahrscheinlich- Interferon-aktivierten Genen, welche einen wich- keiten der Viren führt. Die geringsten Überle- tigen Teil der körpereigenen Abwehrmechanis- benswahrscheinlichkeiten für Viren wurden un- men darstellen, gedämpft. Dies führt zu einer ter Bedingungen gemessen, bei denen die Tröpf- schnelleren Virusausbreitung in den Körpern der chen schnell verdunsten, aber nicht kristallisie- Mäuse. Von den untersuchten Mäusen überlebte ren. Darüber hinaus werden die Viren in Aero- keines der Versuchstiere die Umgebung mit 20 % solen aus der speichelähnlichen Flüssigeit durch relativer Luftfeuchte, während in der Umgebung das Vorhandensein von Proteinen positiv beein- mit 50 % relativer Luftfeuchte 40 % der Mäuse die flusst. Durch die Verdunstung bei niedrigeren re- Infektion überlebten. lativen Luftfeuchten wird die Proteinkonzentra- tionen der Tröpfchen erhöht, was sich wiederum Lowen et al. zeigen, dass die aerosolgebunde- positiv auf die Viren auswirkt und die Inaktivie- ne Übertragung von Influenzaviren in Versuchen rung reduziert. Bei hohen relativen Luftfeuchten mit Meerschweinchen starke Abhängigkeiten von werden für Viren in den speichelähnlichen Aero- der relativen Luftfeuchte und der Temperatur soltröpfchen höhere Inaktivierungsraten gemes- aufweisen, siehe Abbildung 15. In ihren Versu- sen, da die Tröpfchen Wasser aus der Luft auf- chen wird die Übertagungsrate der Influenza- nehmen und so die Konzentration der Proteine viren in Abhängigkeit der relativen Luftfeuchte in der Flüssigkeit sinkt. Die Zusammensetzung bei moderaten (20 ◦ C, rote Line) und niedrigen der Trägerflüssigkeit eines virusbeladenen Aero- (5 ◦ C, blaue Linie) Temperaturen verglichen. In sols hat somit einen zusätzlichen Einfluss auf die Abbildung 15 wird gezeigt, dass niedrige Tem- durch die relative Luftfeuchtigkeit bedingte Inak- peraturen die Übertragung in weiten Bereichen tivierung von Viren. der relativen Luftfeuchte begünstigen [55]. Da- bei ist anzumerken, dass im Rahmen der Un- In der Veröffentlichung von Kudo et al. wird der tersuchungen bei 20 ◦ C fünf und bei 5 ◦ C vier Krankheitsverlauf von mit Influenza infizierten verschiedene diskrete relative Luftfeuchten un- Mäusen untersucht, welche entweder bei 50 % tersucht worden sind und für jede Kombinati- relativer Luftfeuchte oder bei 10 – 20 % relati- on aus relativer Luftfeuchte und Temperatur acht Seite 14 von 36
sen auf aerosolgebundene Viren und auf Ober- flächen abgesetzte Viren unterschieden. Zudem werden im Kontext der Covid19-Pandemie die Wetterabhängigkeit von Infektionen und über- greifende Literaturstudien zu Coronaviren be- schrieben. Im Allgemeinen muss bei der Aus- wertung zwischen Untersuchungen unterschie- den werden, welche die jeweils konkret zu be- wertenden Coronaviren verwenden und jenen, die für Menschen unschädliche Ersatzviren wie transmissiblen Gastroenteritisviren (TGEV) oder Maus Hepatitis Viren (MHV) einsetzen. Abbildung 15 – Abhängigkeit der Infektionsrate der untersuchten Meerschwein- Aerosole Durch Ijaz et al. werden die Einflüs- chen in Abhängigkeit der umge- se der relativen Luftfeuchte (30 ± 5 %, 50 ± 5 %, benden relativen Luftfeuchte und 80 ± 5 %,) und der Temperatur (6 ◦ C, 20 ◦ C) auf Temperatur, eigene Darstellung das Coronavirus HCoV-229E untersucht. Bei einer nach [55]. mittleren relativen Luftfeuchte von 50 ± 5 % wird sowohl bei 20 ◦ C als auch bei 6 ◦ C die längste Meerschweinchen-Pärchen als Versuchstiere zur Überlebensdauer gemessen. Sowohl bei hohen Verfügung standen. In Abbildung 15 wird eine (80 ± 5 %) als auch niedrigen (30 ± 5 %) relativen Darstellung der in der Veröffentlichung aufgelis- Luftfeuchten wird diese verkürzt. Bei moderaten teten Messungen abgebildet. Die Kreuze der ro- Temperaturen (20 ◦ C) wird im Vergleich zu nied- ten Linie zeigen die Messpunkte bei 20 ◦ C, wäh- rigen Temperaturen (6 ◦ C) bei allen untersuch- rend die Pluszeichen der blauen Linie die Mes- ten relativen Luftfeuchten eine geringere Über- sungen bei 5 ◦ C darstellen. Jeder Punkt im Dia- lebensdauer gemessen. Die insgesamt niedrigste gramm zeigt somit, wie viele der jeweils acht Überlebensdauer wird bei der Kombination von untersuchten Meerschweinchen infiziert worden einer hohen relativen Luftfeuchte (80 ± 5 %) und sind. Trotz der geringen Anzahl untersuchter Da- einer moderaten Temperatur (20 ◦ C) gemessen tenpunkte wird diese Veröffentlichung von 799 [45]. anderen Veröffentlichungen zitiert [56]. Um die Einflüsse der relativen Luftfeuchte auf das Coronavirus SARS-CoV-2 zu ermitteln, wird 3.2.2. Coronaviren von Smither et al. eine Studie durchgeführt, bei der die Überlebensdauer der Viren in Aerosolen Aufgrund der globalen Covid19-Pandemie 2020 basierend auf einer Gewebekultur-Nährlösung und 2021 haben Coronaviren und deren Potential und basierend auf einer Lösung mit künstli- zur Beeinträchtigung der menschlichen Gesund- chem Speichel untersucht wird. Aus den Ergeb- heit durch das Auslösen des schweren akuten re- nissen geht hervor, dass die Inaktivierung für spiratorischen Syndroms (SARS) auch in der brei- die Gewebekultur-Nährlösung bei hohen rela- ten Öffentlichkeit stark an Bedeutung gewonnen. tiven Luftfeuchten (68 – 88 %) höher ist als bei Zudem unterscheiden sich die Einflüsse der rela- mittleren relativen Luftfeuchten (40 – 60 %). Bei tiven Luftfeuchte auf Coronaviren von denen auf künstlichem Speichel ist dieser Zusammenhang Influenzaviren. Daher werden die Einflüsse auf umgekehrt [57]. Ein mögliche Unsicherheit in die- Coronaviren im Folgenden separat betrachtet. Da ser Studie besteht in den vergleichsweise brei- die Ergebnisse aus der Literatur unterschiedli- ten Untersuchungsbereichen der relativen Luft- che Trends aufweisen, wird zwischen den Einflüs- feuchte, innerhalb derer zusätzliche Effekte auf- Seite 15 von 36
treten können, wie für die Influenzaviren in den pro Minute und bei 70 % relativer Luftfeuchte von Untersuchungen von Hemmes et al. und Noti et 1,5 % pro Minute nachgewiesen. al. gezeigt wurde [49, 51]. Durch Schuit et al. wird untersucht, welchen Ein- Oberflächen Neben der Übertragung durch Ae- fluss die relative Luftfeuchte und künstliches rosole kann eine Viren-Infektion auch durch die Sonnenlicht auf SARS-CoV-2 in Aerosolen so- Berührung von kontaminierten Oberflächen er- wohl basierend auf Gewebekultur-Nährlösung folgen, wenn eine Person nach dem Oberflä- als auch mit künstlichem Speichel haben. Die re- chenkontakt anschließend beispielsweise über lative Luftfeuchte wird dabei in einem Bereich ihre Hände die Viren in den Bereich der eigenen von 20 – 70 % variiert. Die zwei untersuchten Binde- oder Schleimhäute transportiert [60, 61]. Intensitäten des künstlichen Sonnenlichts ent- Um die Überlebensdauer von Coronaviren auf sprechen der natürlichen Sonnenstrahlung Mitte Oberflächen zu bestimmen, wird von Casanova Juni und Anfang März bzw. Oktober mittags bei 40 et al. eine Studie durchgeführt, bei der Tempe- Grad nördlicher Breite, wie zum Beispiel in Spa- raturen von 4, 20 und 40 ◦ C und relative Luft- nien oder Italien. Die Temperatur wird in dieser feuchten von 20, 50 und 80 % in allen Kombi- Versuchsreihe bei 20 ◦ C konstant gehalten. Durch nationen eingestellt und die Überlebensdauer diese Untersuchung wird gezeigt, dass die solare von Ersatzviren (TGEV und MHV), welche für Men- Einstrahlung einen höheren Einfluss auf die In- schen ungefährlich sind, gemessen werden [62]. aktivierungsrate von aerosolgebundenen SARS- Die Versuche werden jeweils dreimal wiederholt. CoV-2-Erregern hat als die relative Luftfeuchte. In den Ergebnissen wird eine Abhängigkeit der Ohne künstliche solare Einstrahlung werden In- Inaktivierung von der Temperatur herausgestellt. aktivierungsraten von durchschnittlich 0,8 % pro Durch steigende Temperaturen werden die Vi- Minute gemessen, während eine hohe künstliche ren schneller inaktiviert. Die schnellste Inakti- solare Einstrahlung zu Inaktivierungsraten von vierung für beide verwendeten Ersatzviren wird durchschnittlich 26,1 % pro Minute führen. Ein bei 40 ◦ C und 80 % relativer Luftfeuchte gemes- Einfluss der relativen Luftfeuchte auf die Inakti- sen. Für 20 ◦ C wird die höchste Inaktivierung auf vierungsrate kann in dieser Untersuchung nicht Oberflächen bei 50 % relativer Luftfeuchte ge- statistisch nachgewiesen werden [58]. messen. Durch Chan et al. werden Versuchsreihen zu den In einer Folgestudie werden von Dabisch et al. Überlebensdauern von Coronaviren auf Oberflä- neben den Einflüssen von relativer Luftfeuchte chen durchgeführt [63]. In ihrer Studie werden und künstlicher solarer Einstrahlung zusätzlich die Bedingungen von klimatisierten Gebäuden die Einflüsse der Temperatur auf SARS-CoV-2 in (22 – 25 ◦ C, 40 – 50 % relative Luftfeuchte) mit tro- Aerosolen untersucht [59]. Dabei werden Teile pischen Bedingungen (38 ◦ C, >95 % relative Luft- des Versuchsaufbaus von Schuit et al. verwen- feuchte) verglichen. Aus den Ergebnissen geht det. Mit den Untersuchungen wird wie von Schuit hervor, dass die tropischen Umgebungsbedin- et al. gezeigt, dass die künstliche solare Einstrah- gungen zu kürzeren Überlebensdauern führen. lung den größten Einfluss auf die Inaktivierungs- rate von SARS-CoV-2 in Aerosolen hat. Zusätz- In den Literaturstudien von Otter et al. und lich wird sowohl für die Temperatur als auch für Kampf et al. wird ein Überblick über aktuelle die relative Luftfeuchte ein statistisch signifikan- Studien zu den Überlebensdauern von Corona- ter Einfluss auf die Inaktivierungsrate nachge- viren auf Oberflächen gegeben. So wird durch wiesen. Die relative Luftfeuchte hat den gerings- Otter et al. zusammengefasst, dass Coronavi- ten Einfluss. So wird bei 20 ◦ C und ohne sola- ren deutlich längere Überlebensdauern auf tro- re Einstrahlung bei 20 % relativer Luftfeuchte ei- ckenen Oberflächen aufweisen als Influenzavi- ne Inaktivierungsrate von durchschnittlich 0,6 % ren. Zudem sind die Überlebensdauern bei nied- Seite 16 von 36
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