Einführung digitaler Technik in Schulen als Anwendungsfall für die sozio-technische Systemgestaltung

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Einführung digitaler Technik in Schulen als Anwendungsfall für die sozio-technische Systemgestaltung
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https://doi.org/10.1007/s11612-023-00667-8

 HAUPTBEITRÄGE - THEMENTEIL

Einführung digitaler Technik in Schulen als Anwendungsfall für die
sozio-technische Systemgestaltung
Thomas Hardwig1

Angenommen: 27. Dezember 2022
© Der/die Autor(en) 2023

Zusammenfassung
Der pandemiebedingte Digitalisierungsschub hat gezeigt, dass Schulen unterschiedlich erfolgreich sind, digitale Medien
zur Verbesserung des Lehrens und Lernens einzusetzen. Beherrschen viele Schulen die Implementierungsprozesse digi-
taler Medien nicht und benötigen Nachhilfe von der sozio-technischen Systemgestaltung? Diese verfügt über Konzepte
zur erfolgreichen Implementierung und Nutzung technischer Systeme in Organisationen. Der Beitrag arbeitet zentrale
Erkenntnisse moderner, sozio-technischer Ansätze heraus, um den Nutzen zu identifizieren, den eine systematischere
Berücksichtigung haben könnte. Sozio-technische Begriffe und Konzepte spielen in der Literatur zur Schulentwicklung
bislang keine Rolle, obwohl die Schulentwicklungsforschung verdeutlicht, dass der Einsatz von digitalen Medien für das
Lehren und Lernen ein typischer Anwendungsfall für sozio-technische Konzepte wäre.
Die normative Schulentwicklungsliteratur macht Gestaltungsvorschläge zur Implementierung und Nutzung von neuen Me-
dien durch Schulleitungen, Lehrkräfte und weitere Akteursgruppen. Der Beitrag analysiert, inwieweit diese die zentralen
Erkenntnisse sozio-technischer Systemgestaltung berücksichtigen und welche Lücken bestehen. Ergebnis der kritischen
Sichtung ist, dass die normative Schulentwicklung zwar wesentliche Erkenntnisse mit sozio-technischen Konzepten teilt,
aber durch eine Fokussierung auf pädagogische Aspekte Verkürzungen vornimmt. Eine Berücksichtigung sozio-techni-
scher Ansätze würde dagegen durch das Einbeziehen der Arbeitsrealität von Lehrkräften ein zentrales Hemmnis gegenüber
der Techniknutzung in der Schule bearbeitbar machen. Zudem könnte eine Übernahme des Konzepts der wechselseiti-
gen Abhängigkeit von sozialem und technischem System sowie von Erfahrungen mit Systementwicklungsprozessen die
Erfolgsbedingungen der Nutzung digitaler Technik in Schulen verbessern. Insofern bietet eine systematische Berücksich-
tigung sozio-technischer Systemgestaltung sowohl einen integrativen konzeptionellen Rahmen als auch eine wirksamere
Unterstützung des digital unterstützte Lehren und Lernens.

Schlüsselwörter Schulentwicklung · Digital unterstütztes Lehren und Lernen · Informations- und
Kommunikationstechnologien · Schule · Innovation · Organisationsentwicklung

Implementation of digital technology in schools as a use case for socio-technical system design

Abstract
The pandemic digitalisation surge has shown that schools have varying degrees of success in using digital media for
teaching and learning. Do many schools not master the implementation processes of digital media and need help from
socio-technical system design? The latter has concepts for the successful implementation and use of technical systems in
organisations. The article elaborates central findings of modern socio-technical approaches in order to identify the benefits
that a more systematic consideration could have. Socio-technical concepts do not play a role in the literature on school
development, although school development research shows that the use of digital media for teaching and learning would
be a typical application for socio-technical concepts.

                                                                1
                                                                    Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften,
 Dr. Thomas Hardwig                                                Georg-August-Universität Göttingen, Platz der Göttinger
   thomas.hardwig@uni-goettingen.de                                 Sieben 3, Göttingen, Deutschland

                                                                                                                        K
T. Hardwig

The normative school development literature makes design proposals for the implementation of ICT by school administra-
tors, teachers and other groups of actors. The article analyses to what extent these take into account the central findings
of socio-technical system design and what gaps exist. The result of the critical analysis is that although normative school
development shares essential insights with socio-technical concepts, it is shortened by focusing on pedagogical aspects.
A consideration of socio-technical approaches, on the other hand, would make it possible to work on a central obstacle
to the use of technology in schools by including the reality of teachers’ work. In addition, adopting the concept of the
interdependence of social and technical systems as well as experience with system development processes could improve
the conditions for success in the use of digital technology in schools. In this respect, a systemic consideration of socio-tech-
nical system design offers both an integrative conceptual framework and more effective support for digitally supported
teaching and learning.

Keywords School development · Digitally supported teaching and learning · Information and communication
technologies (ICT) · School · Innovation · Organizational Development

Die Pandemie hat mit den wiederholten Schulschließun-             mit raschen technologischem und sozialem Wandel vorzu-
gen seit März 2020 und dem damit erforderlichen Distanz-          bereiten (Kampylis et al. 2015). Da die zentrale Leistung
unterricht einen Digitalisierungsschub ausgelöst, welcher         der Organisation Schule darin besteht, dass die Schülerin-
in erster Linie der Sicherung der Unterrichtsversorgung           nen und Schüler die Kompetenzen erwerben sollen, „die
diente (Albó et al. 2020; Gogolin et al. 2021; Mußmann            für eine aktive, selbstbestimmte Teilhabe in einer digitalen
et al. 2021; Scully et al. 2021). Vor der Pandemie nut-           Welt erforderlich sind“ (KMK 2017), ist eine solche digi-
zen in deutschen Schulen der Sekundarstufe I/II 39 % der          tale Kluft in einer demokratischen Gesellschaft kaum zu
Lehrkräfte digitale Medien jeden Tag für das Unterrich-           verantworten.
ten, ein Jahr später waren es 68 % (Mußmann et al. 2021).            Die Schulforschung geht davon aus, dass eine erfolg-
Eine stärkere Techniknutzung kann für alle Schulen kon-           reiche Implementierung digitaler Medien in den Schulen
statiert werden, jedoch zeigt sich eine sehr große Kluft bei      nicht allein durch Fortbildungen der Lehrkräfte (Personal-
ihrer digitalen Reife (Mußmann et al. 2021). Damit ist ge-        entwicklung) ermöglicht werden kann. Denn es reicht nicht
meint, dass Schulen hinsichtlich der Qualität ihrer techni-       aus, wenn die digitalen Medien von einzelnen Lehrkräf-
schen Ausstattung und deren Nutzung ein unterschiedlich           ten nach deren individuellem Engagement genutzt werden.
hohes Niveau erreichen, das mit Hilfe von Evaluationskri-         Vielmehr wird es für erforderlich gehalten, dass Schulen
terien ermittelt wird (Ilomäki und Lakkala 2018; Castano          integrierte Konzepte für ein modernes Unterrichten umset-
Munoz et al. 2018; Mußmann et al. 2021). In der Studie            zen (Schmid et al. 2017). Dazu muss sich ein Kollegium
von Mußmann et al. (2021) werden dazu siebzehn Merk-              gemeinsam über die pädagogischen und didaktischen Ziele
male herangezogen, welche die schulische Strategie und die        für das digital unterstützte Unterrichtens verständigen und
digitale Infrastruktur als zentrale Voraussetzungen für das       Konzepte für den Einsatz der Medien entwickeln (Heldt
digital unterstützte Lehren und Lernen bewerten. Die Au-          et al. 2020). Dabei geht es nicht einfach darum, analo-
toren stellen fest, dass 12 % der Schulen sich demnach als        ge Werkzeuge (Schiefertafel) durch digitale (Smartboards)
„Digitale Vorreiter“ von anderen Schulen absetzen, wäh-           zu ersetzen, sondern neue Formen des digital unterstützten
rend 33 % der Schulen als Digitale Nachzügler zu qualifi-         Lehrens und Lernens zu entwickeln (z. B. selbstgesteuer-
zieren sind (Mußmann et al. 2021). Lehrkräfte an digitalen        tes Lernen mit digitalen Medien). Dies setzt voraus, dass
Nachzügler Schulen erleben gravierende Einschränkungen,           eine Integration der Techniknutzung in das pädagogische
überhaupt digitale Medien im Unterricht einsetzen zu kön-         Handeln erfolgt (Gilmore und Deos 2020). Zum Erwerb
nen, Konzeptlosigkeit beim digital unterstützten Unterrich-       zukunftsfähiger Kompetenzen der Schülerinnen und Schü-
ten und können somit einen Rückstand bei der Entwicklung          ler wird zudem eine Transformation des Unterrichtens in
der digitalen Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler          Richtung auf eine aktive, partizipative Form des Lernens für
kaum vermeiden (Eickelmann und Drossel 2020). Darüber             erforderlich gehalten (Glover et al. 2016; Jeladze und Pata
hinaus werden sie aber auch mit schlechteren Arbeitsbe-           2018; Islam und Grönlund 2016). Um dies zu ermöglichen,
dingungen und Einschränkungen hinsichtlich ihrer beruf-           müssen organisationale Verantwortlichkeiten und belastba-
lichen Entwicklungsperspektiven konfrontiert (Mußmann             re Infrastrukturen geschaffen werden. Das digitale Lehren
et al. 2021). Schulen müssen wie alle Bildungseinrichtun-         und Lernen soll zudem nachhaltig implementiert und nicht
gen digitalen Medien integrieren und lernen, diese effektiv       nach dem Ende der Pandemie, dem Weggang von Promo-
zu nutzen, um ihre Kernaufgabe erfüllen zu können, Schü-          toren oder dem Wegfall von Fördermitteln wieder einge-
lerinnen und Schüler auf ein Leben in einer komplexen Welt        stellt werden. „Diese Merkmale verdeutlichen, dass die Im-

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plementation digitaler Medien an Schulen untrennbar mit                 wort in Datenbankrecherchen keinen Niederschlag. Aus so-
Schulentwicklung verbunden ist.“ (Gräsel et al. 2020) Als               zio-technischer Perspektive ist dies ein niederschmetterndes
Schulentwicklung wird klassischer Weise die „Trias“ von                 Ergebnis, welches die Frage aufwirft, welchen Nutzen eine
Personal-, Organisations- und Unterrichtsentwicklung ver-               systematische Berücksichtigung sozio-technischer Ansätze
standen, im Sinne einer Kombination dreier zusammenhän-                 für die Schulentwicklung hätte. Daher wird in einem zwei-
gender Prozesse (Rolff und Thünken 2020). Vor diesem                    ten Schritt auf der Basis jüngerer Beiträge das Angebot
Hintergrund könnte man also vermuten, dass die digitale                 der STS vorgestellt, indem sechs grundlegende Erkenntnis-
Spaltung zwischen den Schulen sich auch dadurch erklären                se zur erfolgversprechenden Gestaltung digitaler Innovati-
lässt, dass viele Schulen die Implementierungsprozesse di-              onsprozesse herausgearbeitet werden. Um uns dann in ei-
gitaler Medien nicht richtig beherrschen und daher bei ihrer            nem dritten Schritt anhand von ausgewählten Beiträgen aus
Schulentwicklung unterschiedlich erfolgreich sind.                      der Forschung zur Implementierung des digital unterstütz-
    Das Ziel dieses Schwerpunktheftes der GIO ist es,                   ten Unterrichtens zu vergewissern, dass sozio-technische
darüber zu reflektieren, inwieweit soziotechnisches Ge-                 Konzepte auf die Techniknutzung in Schulen grundsätz-
dankengut systematischer genutzt werden kann. In diesem                 lich übertragbar sind. In einem vierten Schritt wird anhand
Sinne soll in diesem Artikel diskutiert werden, inwieweit               der praxisbezogenen Literatur, die Schulentwicklungspro-
Schulen1 Nachhilfe bei der sozio-technischen Systemgestal-              zesse anleiten will, schließlich überprüft, inwieweit diese
tung (STS) benötigen, um ihre Schulentwicklungsprozesse                 Erkenntnisse gegenwärtig in der Literatur zur Schulent-
hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien für das Lehren                wicklung bereits Berücksichtigung finden – inwieweit also
und Lernen zu verbessern. Ausgangspunkt der STS ist die                 eine sozio-technisch informierte Nachhilfe notwendig er-
Erfahrung, dass die Technik ihre Nutzung nicht determi-                 scheint. Auf dieser Grundlage kann abschließend geklärt
niert („Sachzwänge“), sondern bedeutsame Gestaltungs-                   werden, welchen Nutzen STS Ansätze für die Praxis der
spielräume existieren. Eine erfolgreiche Techniknutzung                 Schulentwicklung haben könnten.
setzt voraus, dass die Menschen an ihrer Entwicklung und
Umsetzung beteiligt werden. Der Fokus der STS liegt da-
rauf, Wissen und die Fähigkeiten von Menschen besser                    1 Sozio-technische Ansätze und Schule –
zu nutzen, um die Techniknutzung in einer Organisation                    eine Offenbarung
zu optimieren (Pasmore et al. 2019). Ziel der STS ist
es, Menschen die Kontrolle über die Arbeitsprozesse und                 Der Artikel war ursprünglich als ein systematisches Review
die eingesetzte Technik zu verschaffen, um die Leistung                 der Literatur zu sozio-technischen Beiträgen zur Schulent-
der Organisation zu optimieren und die Arbeitsbedingun-                 wicklung geplant und wird nun als Literaturanalyse ausge-
gen der Beschäftigten menschenfreundlicher zu gestalten                 wählter Beiträge zur Weiterentwicklung des mit digitalen
(Bendel und Latniak 2020). Da durch die Digitalisierung                 Medien unterstützten Unterrichtens in Schulen realisiert.
das Tempo der Implementierung neuer Medien und die                      Denn bei der Recherche in Datenbanken (Proquest, Google
Komplexität der technischen Systeme stark zugenommen                    Scholar, Fachportal Pädagogik sowie Researchgate) wurde
haben, werden sozio-technische Ansätze für die Gestaltung               lediglich ein Artikel (Schüpbach 2008) gefunden, der Schu-
für besonders geeignet gehalten (Winby und Mohrman                      len ausdrücklich als sozio-technische Systeme beschreibt.
2018; Parker und Grote 2022). Kann dies auch für die                    Darin finden sich weitere Qualifikationsarbeiten, die heute
Schulentwicklung gelten? Dieser Beitrag möchte diese                    nicht mehr zugänglich sind, daher unberücksichtigt bleiben.
Frage beantworten und klären, worin der Mehrwert eines                  Darüber hinaus findet sich kein weiterer für diesen Beitrag
Rückgriffs der Schulentwicklung auf die STS bestehen                    verwendbarer Eintrag mit dem Schlagwort Schule und den
könnte2.                                                                Stichworten sozio-technisch oder soziotechnisch (bzw. den
    Diese Frage wird in fünf Schritten diskutiert. Erstens              englischsprachigen Varianten).
ist zu konstatieren, dass die sozio-technische Systemgestal-                Auch eine systematische Auswahl für ein Review zur Im-
tung bislang konzeptionell und begrifflich im Kontext der               plementierung von Medien für das digital unterstützte Leh-
Schulentwicklung keine Rolle spielt. Abgesehen von einem                ren und Lernen mit dem Fokus auf die Organisationsent-
Beitrag, auf den wir nachfolgend eingehen, findet das Stich-            wicklung bzw. Schulentwicklung schien nicht realisierbar.
                                                                        Offenbar hat sich noch keine einheitliche Schlagwortver-
1 Die eingangs beschriebenen empirischen Ergebnisse zur Technik-        wendung ergeben, um Prozesse der Implementierung oder
nutzung in Schulen stammen vor allem aus allgemeinbildenden Schu-       Gestaltung der Nutzung von Technik in Schulen zu klassi-
len der Sekundarstufe I und II. Es ist kein Grund bekannt, die hier     fizieren. Es ist nicht einmal sicher, dass das Wort „Schule“
angestellten Überlegungen zur Nutzung digitaler Techniken auf diese
Schulformen zu beschränken.
                                                                        bzw. „school“ als Schlagwort verwendet wird. Beispiels-
2 Ein herzliches Dankeschön an die unbekannten Reviewer*innen für       weise gibt es bei den vier für unser Thema einschlägi-
die Hinweise zur Überarbeitung.                                         gen englischsprachigen Artikeln des dritten Kapitels bei

                                                                                                                         K
T. Hardwig

21 Schlagworten nur zwei Dopplungen („ICT“ bzw. „Di-                 Für die erste Frage waren Quellen der analytischen
gital technolog*“) und das Wort „school“ taucht einmal           Schulentwicklungsforschung heranzuziehen, die systema-
allein sowie dreimal in Kombinationen („school leaders“,         tisch Zusammenhänge einer erfolgreichen Nutzung di-
„school improvement“, „school transformation“) auf. Auch         gitaler Technik für das Unterrichten identifizieren. Mit
für Schulentwicklung findet sich kein durchgängiger Termi-       zentralen Befunden war interpretativ zu klären, ob der von
nus. Neben „innovation“ wird „school improvement“ (Ilo-          der sozio-technischen Systemgestaltung angenommene
mäki und Lakkala 2018) oder „school development“ (Pet-           Anwendungsfall prinzipiell gegeben ist.
tersson 2021) als Begriff verwendet. Mit dem Schlagwort              Für die zweite Frage wurden empirisch fundierte Beiträ-
„school development“ ergeben sich bei Proquest 9741 Er-          ge ausgewählt, die Umsetzungsvorschläge für die Einfüh-
gebnisse. In Kombination z. B. mit „digitalization“ (alle Fel-   rung digitaler Medien zum Unterrichten machen. Hier wa-
der ohne Volltext) waren es noch 9 Ergebnisse, davon eines       ren exemplarische Beispiele gefragt, die für den Stand der
zu unserem Thema. Es stellte sich also sehr schnell her-         Diskussion in Schulen von Bedeutung sind (siehe Tab. 1).
aus, dass ein systematisches Review im gegebenen Rahmen          Waffner identifiziert sechs Konzepte für die Schulentwick-
nicht realisierbar war.                                          lung, „die in der aktuellen Forschung diskutiert werden“
    Dementsprechend musste die Methode gewechselt wer-           (Waffner 2021). Davon konnten drei für unsere Fragestel-
den. Zur Klärung der Leitfrage dieses Artikels, welchen          lung übernommen werden (Ilomäki und Lakkala 2018; Gil-
Mehrwert die Berücksichtigung STS in der Schulentwick-           more und Deos 2020; Eickelmann und Gerick 2017). Aller-
lung haben könnte, sollten mit Hilfe einer Literaturanalyse      dings wurde anstelle des Letzteren der Beitrag von Labusch
zwei Fragen geklärt werden:                                      et al. (2020) verwendet, da er aktueller ist und ebenfalls
    Erstens: Beschreibt die analytische Schulentwicklungs-       auf die Gestaltung orientiert. Drei wurden verworfen, weil
forschung einen Anwendungskontext, der für sozio-techni-         sie entweder auf das Führungshandeln von Schulleitungen
sche Analyse- und Gestaltungskonzepte überhaupt geeig-           (Chua und Chua 2017; Kolb 2019) oder die Technikpoli-
net ist – oder unterliegt die Nutzung digitaler Technik in       tik der Schulverwaltung (Sauers und Richardson 2019) fo-
Schulen grundsätzlich abweichenden Bedingungen? Dazu             kussieren und nicht auf die Organisationsentwicklung. Der
wird in Kap. 3 durch Interpretation ausgewählter analyti-        Beitrag von Rolff und Thünken (2020) wurde von Waff-
scher Beiträge der Schulentwicklung geklärt, inwieweit ein       ner (2021) zwar gefunden, aber aus unbekannten Gründen
sozio-technischer Anwendungsfall gegeben ist.                    nicht in deren Review eingeschlossen. Er wurde in diesen
    Zweitens: Inwieweit werden Grundannahmen STS in der          Beitrag aufgenommen, da er für unsere Frage einschlägig
empirisch fundierten normativen Schulentwicklung bereits         ist.
berücksichtigt bzw. welche Lücken sind zu verzeichnen?               Der einzige bei der Literaturrecherche gefundene Bei-
Dazu wird anhand der Grundannahmen moderner STS he-              trag, der dezidiert den sozio-technischen Systemansatz für
rausgearbeitet, inwieweit die normative Literatur zur Schul-     die Schulentwicklung empfiehlt, ist von Schüpbach (2008).
entwicklung diese Grundannahmen bereits teilt. Aufgrund          Sein Gegenstand ist die Bewältigung von Arbeitsbelastun-
des Fehlens direkter Bezugnahmen auf sozio-technisch fun-        gen und nicht die Gestaltung technischer Innovation in der
dierte Quellen erfolgte auch hier eine inhaltliche Interpre-     Schule. Der Beitrag zieht in kanonischer Weise den Grün-
tation auf mögliche Übereinstimmungen und Unterschiede.          dungstext der sozio-technischen Systemgestaltung aus den
    Zwar beruht dieser Beitrag nicht auf einer systemati-        frühen 1950er-Jahren heran (Trist und Bamforth 1951).
schen, kontrollierten Auswertung der verfügbaren Literatur       Darin werden nach einer Analyse der negativen Effekte
zur Schulentwicklung, doch stehen die ausgewählten Ar-           eines fehlgesteuerten Industrialisierungsansatzes im briti-
tikel für einen bedeutsamen Ausschnitt der aktuellen em-         schen Bergbau zentrale Prinzipien der STS entwickelt.
pirischen Schulentwicklung. Sie beschäftigen sich mit der            Schüpbach empfiehlt auf dieser Grundlage vier Annah-
Frage, wie Schulen als Organisationen die Implementierung        men der STS auf Schulen zu übertragen: Erstens sollen
und Nutzung digitaler Medien für das Unterrichten bewälti-       Schulen als offene, komplexe Arbeitssysteme behandelt
gen. Ein systematisches Review von 56 Studien zur Schul-         werden, die von ihrer Umwelt beeinflusst werden. Wobei
entwicklung mit Bezug auf das Schulleitungshandeln in der        diese Arbeitssysteme als ein interdependentes Zusammen-
Digitalisierung (Waffner 2021) hat bei der Auswahl geeig-        spiel eines sozialen und eines technischen Systems zu
neter Beiträge sehr geholfen. Zusätzlich wurden Literatur-       verstehen seien. Wenn man diese Umweltabhängigkeit
listen der einschlägigen Artikel ausgewertet, die bei den        akzeptiere, dann ergäbe sich zweitens daraus, dass das
verschiedenen Rechercheansätzen gefunden worden sind.            Unterrichten in der Schule sich nicht als ungestörter Routi-
Auf dieser Grundlage konnten relevante Beiträge ausge-           neprozess darstellen könne. Vielmehr stellten sich ständig
wählt werden, um die beiden angeführten Teilfragen zu be-        neue externe Anforderungen und ergäben sich Störungen
antworten.                                                       vorhandener Routinen. Die Aufgabe der Schulorganisation
                                                                 bestünde also darin, immer wieder auf diese Störungen und

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Einführung digitaler Technik in Schulen als Anwendungsfall für die sozio-technische Systemgestaltung

Tab. 1 Übereinstimmung von Konzepten der Schulentwicklung mit den Grundannahmen moderner, soziotechnischer Systemgestaltung
                                            Kampylis et al.    Ilomäki und           Labusch et al.    Gilmore und   Rolff und Thün-
                                            (2015)             Lakkala (2018)        (2020)            Deos (2020)   ken (2020)
Organisationen als „ecosystems“
Organisationen als offene komplexe Sys-      *               *                       *                 *             ***
teme
Partizipative Gestaltung der Systement-      **              **                      *                 **            ***
wicklung
Berücksichtigung der Bedürfnisse aller       **              **                      *                 **            ***
Menschen im System
Mehr-Ebenen-Ansatz der Gestaltung            **              ***                     **                **            ***
Techniknutzung als sozio-technische Innovation
Dualität von sozialem und technischem        Unklar          **                      Unklar            o             ***
System
Widersprüchliche Steuerungslogiken           Unklar          Unklar                  Unklar            Unklar        Unklar
Komplementäre aufeinander bezogene           Unklar          **                      Unklar            o             **
Gestaltung
Raum für innovative, feldspezifische         ***             ***                     *                 ***           ***
Lösungen
Menschenorientierte Gestaltung der Mensch-Computer-Interaktion
Ziel ist die menschliche Kontrolle über      ***             ***                     ***               ***           ***
die Technik
Humanorientierte Gestaltung der              **              **                      **                **            **
Mensch-Computer-Interaktion
Prinzip der humanorientierten Arbeits-       o               o                       o                 o             **
systemgestaltung
Gestaltung der technischen Infrastruktur     o               **                      ***               **            **
und unterstützender Netzwerke
Ganzheitlichkeit der Systemgestaltung
Alle Systemelemente müssen kongruent         ***             ***                     **                o             ***
aufeinander bezogen werden
Fokus der Gestaltung: Zusammenspiel          ***             ***                     **                o             ***
von Menschen, Technik, Organisation
Integration von Personal- und Organisati-    ***             ***                     **                o             ***
onsentwicklung
Multidimensionalität der Ziele der Syste-    **              **                      **                **            ***
mentwicklung
Prozesskontrolle und Selbststeuerung
Problemlösung durch Verantwortliche          ***             ***                     **                ***           ***
vor Ort
Autonomie und Multifunktionalität der        Unklar          **                      Unklar            ***           ***
Beschäftigten
Prozesskontrolle auch bezüglich der          o               o                       o                 o             o
Arbeitsgestaltung
Auf permanenten Wandel orientiertes Vorgehensmodell
Veränderung als „co-evolution“ sozialer      **              ***                     **                o             ***
und technischer Systeme
Iterative Vorgehensmodelle                   **              **                      **                ***           ***
Beteiligung vielfältiger Anspruchsgrup-      **              ***                     **                **            ***
pen
Systematische Gestaltung von Reflexi-        ***             ***                     **                ***           ***
onsphasen
*** Übereinstimmung, ** teilweise Übereinstimmung, * implizite Übereinstimmung, o keine Übereinstimmung

                                                                                                                           K
T. Hardwig

Veränderungsimpulse reagieren zu müssen. Für Lehrkräfte          heitsbereich befasst, bei dem auch die Einbindung der Pati-
würde dies bedeuten, dass sie neben der Primäraufgabe des        entinnen und Patienten – die nicht Teil der Arbeitsorganisa-
Unterrichtens immer auch für die Sekundäraufgabe Schul-          tion sind – ein Erfolgsfaktor darstellt (Winby und Mohrman
entwicklung mitverantwortlich seien (z. B. Abstimmung            2018). In einer sehr stark verdichteten Zusammenschau des
zwischen den Fachlehrkräften, Weiterentwicklung des Cur-         aktuellen Stands der sozio-technischen Systemansätze las-
riculums, Einführung digitaler Technik usw.). Drittens erge-     sen sich heute sechs Grundannahmen identifizieren, welche
be sich daraus ein schulspezifischer Gestaltungsspielraum        eine sozio-technisch informierte Technikgestaltung leiten.
beim flexiblen Umgang mit den externen Anforderungen,            Sie werden im Folgenden dargestellt, damit wir in den fol-
da sich die pädagogischen Ziele auf verschiedene Weise           genden Abschnitten prüfen können, inwieweit diese in der
erreichen lassen. Viertens sollten teilautonome Arbeitsgrup-     Literatur zur Schulentwicklung berücksichtigt werden.
pen eingeführt werden, da Lehrkräfte dadurch besser mit
                                                                 1. Organisationen als „Ecosystem“: Organisationen wer-
den Schwankungen im Arbeitssystem umgehen könnten.
                                                                    den als offene und komplexe Systeme betrachtet, die auf
Sie könnten dann im Team die Aufgaben flexibel verteilen
                                                                    externe Anforderungen flexibel reagieren und die daraus
und Arbeitsbelastungen besser untereinander ausgleichen.
                                                                    resultierenden Impulse laufend intern verarbeiten müs-
   Darüber hinaus stellt er fest: „In der Literatur zur Schul-
                                                                    sen. Und zwar indem sie diese Anforderungen mit den
und Unterrichtsforschung finden sich bisher keine nennens-
                                                                    Bedürfnissen der Menschen im System in Einklang brin-
werten Bestrebungen, den soziotechnischen Systemansatz
                                                                    gen. Organisationen müssen damit notwendigerweise
auf Schulen anzuwenden. (...) Erprobte Verfahren oder In-
                                                                    neben ihren Primäraufgaben (die Erzeugung der Dienst-
strumente zur soziotechnischen Systemanalyse in Schulen
                                                                    leistung) auch die Sekundäraufgabe der Systementwick-
existieren somit beim gegenwärtigen Stand der methodi-
                                                                    lung bewältigen. Diese wird im sozio-technischen Ansatz
schen Entwicklung nicht.“ (Schüpbach 2008) Dies nimmt
                                                                    mit entsprechenden Methoden und Vorgehensweisen als
er zum Anlass zu skizzieren, wie eine expertengetriebene
                                                                    partizipative Gestaltung realisiert. Aufgrund der Kom-
Arbeits- und Organisationsanalyse auf den Schulkontext
                                                                    plexität moderner Arbeitsprozesse, ihrer räumlichen Ver-
zu übertragen wäre (Strohm und Ulich 1997). Demnach
                                                                    teilung und ihrer sozialen und informationstechnischen
würde „unter der Leitung einer Psycholog*in“ in einem
                                                                    Vernetzung reicht es nicht mehr aus, die Gestaltung wie
„dreimonatigen“ Projekt umfangreiche Analysen mittels
                                                                    im klassischen STS-Ansatz auf einzelne Bereiche oder
Interviews, Gruppendiskussionen, Dokumentenanalysen
                                                                    Organisationen zu beschränken. Vielmehr nimmt die
und schriftlichen Befragungen durchgeführt. Im Sinne des
                                                                    moderne STS „ecosystems“ in den Blick und strebt eine
klassischen Survey-Feedback-Verfahrens sollen dann die
                                                                    Berücksichtigung der Interessen der unterschiedlichen
Beteiligten auf Basis der Expertenrückmeldung in einem
                                                                    Stakeholder (Beschäftigte, Management, Kunden usw.)
partizipativen Prozess ihre Arbeitssituation gezielt verbes-
                                                                    an (Winby und Mohrman 2018). Im Zuge der Digitali-
sern.
                                                                    sierung zwingen überbetriebliche Vernetzungen darüber
   Diese recht abstrakten Prinzipien aus einer fünfzig Jahre
                                                                    hinaus zu einer kooperativen Gestaltung im Netzwerk
alten Quelle mit industriellem Kontext als konzeptionellen
                                                                    (Winby und Mohrman 2018). Die praktische Konse-
und methodischen Orientierungsrahmen für die Schulent-
                                                                    quenz für die Gestaltung ist, dass ein Mehr-Ebenen-
wicklung anzubieten, das hat die Menschen aus der Schul-
                                                                    Ansatz erforderlich wird, bei dem Arbeitssysteme, In-
praxis möglicherweise nicht überzeugt. Schließlich findet
                                                                    frastrukturen und die Gesamtorganisation mit Blick auf
sich bis heute kein weiterer Beitrag mit sozio-technischen
                                                                    strategische Ziele gestaltet werden (Pasmore et al. 2019;
Bezügen.
                                                                    Strohm und Ulich 1997).
                                                                 2. Techniknutzung als sozio-technische Innovation: Die
                                                                    namensgebende Erkenntnis des STS Ansatzes ist, dass
2 Das Angebot der sozio-technischen
                                                                    Arbeitssysteme aus einer Dualität von sozialem und
  Systemgestaltung
                                                                    technischem System bestehen. Die beiden Systeme un-
                                                                    terscheiden sich grundlegend in ihrer Steuer- und Plan-
Es ist nun keineswegs so, wie Schüpbachs Beitrag vermu-
                                                                    barkeit (Herrmann 2012). Technische Systeme werden
ten ließe, dass sich die sozio-technische Systemgestaltung
                                                                    von Menschen geplant, sind von außen steuerbar und in
ausschließlich mit der Einführung teilautonomer Arbeits-
                                                                    ihrem Verhalten verlässlich, während soziale Systeme
gruppen in der Industrie befasst hat (Mohr und van Amels-
                                                                    sich durch kommunikative Prozesse von innen heraus
voort 2016). Vielmehr hat sie sich beispielsweise auch mit
                                                                    entwickeln und sich gegenüber Steuerungsversuchen
der Gestaltung von kreativen Arbeitsfeldern in Bereichen
                                                                    von außen widersetzen können. Das sozio-technische
der Wissensarbeit (Austrom und Ordowich 2016), mit der
                                                                    Konzept wurde entwickelt, weil immer wieder gezeigt
Gestaltung der Arbeit mit Informationstechnologien (Mum-
                                                                    werden konnte, dass sich soziale Probleme und man-
ford et al. 2006) oder mit der Techniknutzung im Gesund-

K
Einführung digitaler Technik in Schulen als Anwendungsfall für die sozio-technische Systemgestaltung

   gelnde Leistungsfähigkeit von Organisationen auf Wi-                    resultiert daraus eine Multidimensionalität der Ziele der
   dersprüche zwischen sozialem und technischem System                     STS.
   zurückführen ließen. Daraus resultierte die Empfehlung,              5. Prozesskontrolle und Selbststeuerung: Der Systeman-
   beide Systeme komplementär und aufeinander bezogen                      satz geht davon aus, dass alle ungeplanten Ereignisse im
   zu gestalten (Clegg 2000). Denn das Wie der Nutzung                     System (z. B. Störungen, neue Anforderungen) am bes-
   technischer Systeme erlaubt grundsätzlich unterschied-                  ten direkt an dem Ort bearbeitet werden, an dem sie auf-
   liche Gestaltungs- und Nutzungsmöglichkeiten (Parker                    treten – ohne dass das Management oder Spezialisten
   und Grote 2022). Es gibt also einen Raum für innovative                 sich damit befassen müssen (Clegg 2000). Dies ermög-
   und feldspezifische Lösungen, die gemeinsam mit den                     licht eine effizientere Problemlösung und das Lernen aus
   Betroffenen entwickelt werden können. Dies gilt auch                    Fehlern. Es setzt eine gewissen Autonomie und Multi-
   bei Prozessen der Digitalisierung (Latniak et al. 2018).                funktionalität bei den Beschäftigten voraus. Die Übertra-
3. Menschenorientierte Gestaltung der Mensch-Maschi-                       gung der Prozesskontrolle betrifft nicht nur die Ausfüh-
   ne-Interaktion: Die STS vertritt die normative Position,                rung der Tätigkeiten, sondern v. a. in höherqualifizierten
   Menschen nicht als Anhängsel von Maschinen zu behan-                    Bereichen zunehmend auch die Gestaltung der Arbeits-
   deln, sondern ihnen die Kontrolle über die technischen                  bedingungen durch die Beschäftigten (Bendel und Latni-
   Systeme zu verschaffen. Die Arbeitsgestaltung folgt der                 ak 2020; Hardwig und Weißmann 2021b).
   Prämisse „Quality of working life“ bzw. den Kriterien                6. Auf permanenten Wandel orientiertes Vorgehensmo-
   humanorientierte Gestaltung von Arbeit (Bendel und                      dell: Die klassische STS behandelte den Organisations-
   Latniak 2020). Die STS hat schon früh auch Kriterien                    wandel als Projekte, d. h. als temporäre Veränderungspro-
   für die Gestaltung von Informationssystemen entwickelt                  zesse nach dem Modell „Unfreezing, Moving, Freezing“
   (Clegg 2000). In diesen wird sehr deutlich herausgear-                  (Lewin 1947). In diesem Prozess spielte die ausführliche
   beitet, dass die Informationssysteme dazu dienen müssen                 Analyse der Situation und das Feedback durch Expertin-
   die Ziele des Systems und dessen Art und Weise des Ar-                  nen oder Experten an die Betroffenen eine Schlüsselrolle
   beitens zu unterstützen. Einer proaktiven Gestaltung der                (Strohm und Ulich 1997). Da man aufgrund des Tem-
   Mensch-Computer Interaktion wird im Zuge der Digi-                      pos des gesellschaftlichen Wandels heute davon ausgeht,
   talisierung eine zentrale Rolle beigemessen (Parker und                 dass eine permanente „co-evolution“ sozialer und techni-
   Grote 2022). Zusätzlich zur Gestaltung der primären Ar-                 scher Systeme unverzichtbar ist, muss eine Organisation
   beitsaufgabe muss sich die Arbeitsgestaltung verstärkt                  die Fähigkeit zur laufenden aktiven Gestaltung und die
   mit der Gestaltung der Infrastruktur und der unterstüt-                 diesbezüglichen Kompetenzen bei ihren Mitgliedern
   zenden Netzwerke beschäftigen (Pasmore et al. 2019).                    entwickeln (Pasmore et al. 2019). Die Organisations-
4. Ganzheitlichkeit der Systemgestaltung: Die Grund-                       gestaltung wird zum permanenten Lern- und Entwick-
   idee STS basiert darauf, dass alle Systemelemente mit-                  lungsprozess mit Methoden und Vorgehensmodellen der
   einander verbunden sind und es keine Elemente gibt,                     Beteiligung vielfältiger Anspruchsgruppen (Winby und
   die anderen vorgezogen werden, alle müssen kongru-                      Mohrman 2018) und iterativen („agilen“) Vorgehensmo-
   ent aufeinander bezogen gestaltet werden (Clegg 2000).                  dellen (Herrmann und Nierhoff 2019). Letztere beruhen
   Ziele sozio-technischer Gestaltung sind eine adaptive,                  auf einem zyklischen Vorgehen der Planung, Erprobung
   innovative und leistungsfähige Organisation sowie gute                  und anschließenden Reflexion der gemachten Umset-
   Arbeitsbedingungen („Gute Arbeit“). Der Focus sozio-                    zungserfahrungen. Durch die Reflexionsphasen können
   technischer Gestaltung liegt auf der Arbeitsgestaltung im               die in komplexen Systemen nicht im Voraus antizipierba-
   Zusammenspiel von Menschen, Technik und Organisati-                     ren Wirkungen von Maßnahmen auf der Grundlage von
   on. Hinzu kommen die Qualifizierung und Kompetenz-                      empirischen Erfahrungen wahrgenommen und im weite-
   entwicklung der Beschäftigten („Personalentwicklung“)                   ren Vorgehen schrittweise realisiert werden. Vorhandene
   und die Gestaltung der Organisation als lernendes Sys-                  Erfahrungen mit kritischen Aspekten sozio-technischer
   tem (Organisationsentwicklung), um letztlich auch die                   Systemgestaltung können dabei anhand von Heuristiken
   Partizipation bei der Gestaltung zu ermöglichen. Im Zuge                zur Verfügung gestellt werden, um die Akteure gezielter
   der Digitalisierung der Arbeit sieht sich die moderne STS               zu unterstützen (Herrmann und Nierhoff 2019).
   mit dem Problem konfrontiert, unternehmensübergrei-
   fende Informationssysteme und ineinander verschach-                     Diese sechs Grundannahmen leiten nicht nur das Den-
   telte Systeme von Arbeitssystemen gestalten zu müssen                ken, sondern bilden vor allem eine Leitschnur für sozio-
   (Bendel und Latniak 2020). Im Zusammenhang mit dem                   technisch orientierte Praxis. Dafür liegen umfangreiche
   Anspruch, die Interessen aller Anspruchsgruppen bei                  Analyse- und Gestaltungsmethoden sowie partizipative
   der Gestaltung zu berücksichtigen (siehe 1. Ecosystems)              Vorgehensmodelle vor. Doch trotz der Breite der Anwen-
                                                                        dungsfelder der sozio-technischen Systemgestaltung fehlen

                                                                                                                          K
T. Hardwig

fundierte Erfahrungen aus dem System Schule. Es ist also        weil sie sich in ihrer Schulentwicklung auf die Umsetzung
im nächsten Abschnitt zunächst zu prüfen, ob die An-            des digital unterstützten Lernens ausrichten.
wendung moderner sozio-technischer Gestaltungskonzepte              Dies sind Belege für die Notwendigkeit, auch die Einfüh-
für die Gestaltung der Implementierung und Nutzung von          rung und Nutzung von digitaler Technik für das Unterrich-
Technik zur Verbesserung des Lehrens und Lernens sinnvoll       ten als einen partizipativen, unterschiedliche Anspruchs-
erscheint.                                                      gruppen integrierenden Organisationsentwicklungsprozess
                                                                anzulegen. Dabei legt die Vielfalt der in diesen Beiträgen
                                                                identifizierten Einflussfaktoren nahe, die Gestaltung auf das
3 Implementierung digitaler Medien in                           Zusammenspiel von Menschen, Technik und Organisation
  Schulen als Anwendungsfall für die sozio-                     auszurichten, sich also an dem Kriterium Ganzheitlichkeit
  technische Systemgestaltung                                   im Sinne der STS zu orientieren. Denn aus Sicht der Schul-
                                                                entwicklung wird ein leistungsfähiger Unterricht durch ein
Im Rahmen empirischer Schulentwicklungsforschung ha-            Zusammenspiel von Unterrichts- (UE), Personal- (PE), Or-
ben Vanderlinde et al. (2014) auf der Basis einer quantitati-   ganisations- (OE), Kooperations- (KE) und Technologie-
ven Befragung von 433 Lehrkräften aus 53 Schulen gezeigt,       entwicklung (TE) erreicht (Waffner 2021).
dass Schulfaktoren für die Nutzung digitaler Medien im              Qualitative Fallanalysen von Schulentwicklungsprozes-
Unterricht eine zentrale Rolle spielen. Nicht die individuel-   sen zeigen darüber hinaus, unter welchen Bedingungen die
le Kompetenz der Lehrkräfte, sondern ein Zusammenspiel          Akteure in Schulen ihr schulspezifisches Konzept des digi-
von Professionalisierung und Kompetenzentwicklung von           tal unterstützten Lehren und Lernens erfolgreich realisieren
Lehrkräften, der Entwicklung gemeinsamer Vorstellungen          (Pettersson 2021) bzw. wie schulische Akteure innovative
guten Unterrichtens und der Entwicklung einer digitalen         pädagogische Nutzungsweisen der Technik hervorbringen
Schulstrategie erklärten die Ergebnisse am besten. Auch die     (Ilomäki und Lakkala 2018). Pettersson (2021) kommt zu
Unterschiede in der IT-Kompetenz von Lehrkräften standen        dem Schluss, dass es dabei vor allem darauf ankommt, sich
in einem deutlichen Zusammenhang zu ihrer Schulzugehö-          nicht auf den Technikeinsatz zu konzentrieren, sondern auf
rigkeit, was darauf verweist, dass schulbezogene Entwick-       den Nutzen, den dieser für die Schulgemeinschaft haben
lungsprozesse ausschlaggebend für die Weiterentwicklung         könne, und darauf, neue Wege des Arbeitens, Unterrich-
des Lehrens und Lernens sind (Vanderlinde et al. 2014).         tens und der Schulorganisation zu finden. Als Anforderung
   Diese Ergebnisse werden auch von den umfangreichen           an die Gestaltung formuliert sie die Notwendigkeit, einen
Studien zu den computer- und informationsbezogenen              mehrdimensionalen organisationalen Wandel auf mehreren
Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern (ICILS) be-           Ebenen der Schule gleichzeitig zu realisieren. Damit wird
stätigt (Eickelmann et al. 2019a). Gefragt wird hier nach       letztlich die Notwendigkeit dargelegt, die Techniknutzung
den Faktoren, welche die Leistungsfähigkeit von Schule als      als eine sozio-technische Innovation zu gestalten. Aufgrund
Organisation bestimmen. Als zentrales Zielkriterium für         der Komplexität des eingeleiteten Wandels und der großen
die Organisationsleistung wird die Entwicklung computer-        Bedeutung des individuellen und organisationalen Lernens
und informationsbezogener Kompetenzen der Schülerinnen          empfiehlt sich hier ein auf permanenten Wandel orientiertes
und Schüler, die in Assessments sorgfältig dokumentiert         Vorgehensmodell für die Schulentwicklung.
werden, angenommen. Auf der Basis quantitativer Statistik           Beide qualitative Beiträge beobachten, dass die Reich-
wird gezeigt, dass die Leistungsfähigkeit von Schulen von       weite der Entwicklung neuer Lernformen größer ist, wenn
Schulmerkmalen sowie von Prozessen in Schule und Unter-         in der Schule eine gemeinsame Vision vom Zweck der Digi-
richt bestimmt wird. Zu den Schulmerkmalen gehören die          talisierung geteilt wird. Vor diesem Hintergrund sind Kon-
eingesetzten Medienkonzepte, die IT-Ausstattung, die Ein-       zepte notwendig, die eine menschenorientierte Gestaltung
stellungen der Akteure gegenüber der Technik, die digitalen     der Techniknutzung unter Beteiligung der Betroffenen in-
Kompetenzen der Lehrpersonen sowie der Verfügbarkeit            struieren können. Zudem ist es sinnvoll, eine Schulorganisa-
von pädagogischem und informationstechnischem Support           tion als ein „ecosystem“ zu behandeln, bei dem sowohl ler-
bei der Techniknutzung. Zu den Prozessmerkmalen zählen          nende und arbeitende Menschen als auch Organisationsmit-
die vereinbarten Zielsetzungen des Medieneinsatzes, die         glieder (Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte) und Externe
Prozesse des Wissens- und Kompetenzerwerbs zum Lehren           (Eltern, Schulverwaltung) einen Einfluss auf die Nutzung
und Lernen, die Schul- und Lernkultur. Es gibt Schulen, die     der digitalen Technik nehmen – und ausdrücklich dazu ein-
sich durch eine höhere Schulleistung auszeichnen („digita-      geladen werden. Die empirische Schulentwicklung geht da-
le Optimalschulen“, Eickelmann und Drossel 2020), sogar         von aus, dass Schulen Organisationen mit offenen Grenzen
unter ungünstigen Kontextbedingungen („resiliente Schu-         sind, zum einen in Richtung Elternhaus der Schülerinnen
len“, Eickelmann et al. 2019b). Diese Schulen erreichen         und Schüler, zum anderen in Richtung auf andere Schulen
trotz ungünstigerer Bedingungen eine höhere Leistung,           als Kooperationspartner sowie vor allem die Schuladminis-

K
Einführung digitaler Technik in Schulen als Anwendungsfall für die sozio-technische Systemgestaltung

tration als Ermöglicher oder Verhinderer von Innovation                 mente kongruent aufeinander bezogen werden sollen und
(Jeladze und Pata 2018). Diese Beispiele aus der empiri-                dabei Menschen, Technik und Organisationsaspekte zu be-
schen Schulentwicklungsforschung zeigen, dass die Tech-                 achten sind. Unterschiede sind jedoch darin zu sehen, dass
niknutzung in den Schulen ein geeigneter Anwendungsfall                 nicht alle aus sozio-technischer Sicht relevanten Aspekte in
für sozio-technische Gestaltungskonzepte darstellt.                     den Modellen enthalten sind und daher der Anspruch der
                                                                        Ganzheitlichkeit begrenzt ist.
                                                                            Das im Auftrag der Europäischen Kommission entwi-
4 Die Berücksichtigung sozio-technischer                                ckelte Rahmenwerk DigCompOrg (Kampylis et al. 2015)
  Erkenntnisse seitens der normativen                                   beschreibt in sieben Dimensionen detailliert (in 74 De-
  Schulentwicklung                                                      skriptoren), was eine digital kompetente Schule ausmacht:
                                                                        Eine auf digitales Lehren und Lernen orientierte Führung
Schulleitungen, Personalräte und Lehrkräfte sowie die                   und Leitung, eine darauf bezogene pädagogische Praxis,
Schulträger orientieren sich bei der Einführung von Tech-               die professionelle Entwicklung des Bildungspersonals, Be-
nik für das digitale Lehren und Lernen wahrscheinlich nicht             wertungspraktiken, Inhalte und Curricula, Zusammenarbeit
an der empirische Schulentwicklungsforschung. Vielmehr                  und Netzwerke sowie schließlich die digitale Infrastruktur.
dürften sie Rat bei einer normativen Literatur zur Schulent-            Darauf aufbauend wurde mit SELFIE (Self-reflection on Ef-
wicklung suchen, die konkrete Vorschläge und Anleitungen                fective Learning by Fostering the Use of Innovative Educa-
formuliert, wie die Einführung der Technik und die Ge-                  tional Technologies) ein Werkzeuge zur Selbsteinschätzung
staltung von Schulentwicklungsprozesse gestaltet werden                 des Standes der Schulentwicklung vorgelegt, welches einen
können. Die hier berücksichtigte Gestaltungsliteratur zum               partizipativen Schulentwicklungsprozess unter Einbindung
digital unterstützten Lehren und Lernen gründet ihre Vor-               von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften vorsieht
schläge und Anleitungen auf empirischer Forschung, die                  (Castano Munoz et al. 2018; Costa et al. 2021). Wie eine
sie in der Regel auch selbst durchführen (Tab. 1). Im Fol-              Analyse der Begründungen des Konzeptes ergibt (Tab. 1),
genden wird vorgestellt, welches Ergebnis die Überprüfung               erfüllt DigiCompOrg das sozio-technische Kriterium der
auf Übereinstimmung zwischen den vorgestellten Kon-                     Ganzheitlichkeit der Systemgestaltung und empfiehlt auch
zepten und den sechs Grundannahmen sozio-technischer                    im sozio-technischen Sinne, Schulen als „ecosystems“ zu
Systemgestaltung (siehe 2.) ergeben hat.                                behandeln. Was aus sozio-technischer Sicht fehlt, ist eine
   Die ersten drei der im Folgenden vorgestellten Beiträ-               klare Vorstellung von der Dualität von sozialem und techni-
ge (Kampylis et al. 2015; Ilomäki und Lakkala 2018; La-                 schen System. Sie thematisieren auch nicht, dass es sich um
busch et al. 2020) stellen Bewertungskriterien bereit, die              ein Arbeitssystem handelt. Daraus ergeben sich Lücken v. a.
von Schulakteuren verwendet werden sollen, den Stand und                im Aspekt Techniknutzung als sozio-technische Innovation.
Fortschritt eines Schulentwicklungsprozesses zu bewerten,                   Das „Innovative Digital School Model“ (ID) von Ilo-
der auf die Gestaltung der Nutzung digitaler Technik für                mäki und Lakkala (2018) dient der Untersuchung, inwie-
das Unterrichten zielt. Außerdem kann die Schulverwal-                  weit die Schulen digitale Techniken in innovativer Weise
tung in die Lage versetzt werden, Transparenz über den                  zur Verbesserung des Unterrichtens und der Arbeit verwen-
Stand der Schulentwicklung erhalten. Diese Modelle bie-                 den. Das Modell beschreibt in sechs Dimensionen Anfor-
ten ein Werkzeug für die Schulentwicklung an, geben kei-                derungen an die Schulentwicklung auf zwei Ebenen: Auf
ne konkrete Hinweise zur Gestaltung der Umsetzungspro-                  der Unterrichtsebene werden Anforderungen an die Tech-
zesse. Sie formulieren normative Bezugspunkte für eine                  niknutzung für die pädagogische Praxis, den Wissensaus-
gelungene Techniknutzung, gehen aber damit von einem                    tausch zwischen den Beteiligten sowie an die Kompeten-
Vorgehensmodell aus, das die Schulentwicklung mit Hil-                  zen der verschiedenen Akteure beschrieben. Auf der Schul-
fe regelmäßiger Selbstevaluationen vorantreibt. Aufgrund                ebene werden Anforderungen für eine integrierende Vision
dieses Ansatzes erfüllen alle drei Beiträge implizit das so-            der Techniknutzung, für die Führungsprinzipien der Schul-
zio-technische Kriterium, ein Vorgehensmodell zu verfol-                leitung sowie die pädagogische Zusammenarbeit und das
gen, das einen permanenten Wandel gestaltet. Sie gehen                  Netzwerken definiert. Wie Tab. 1 dokumentiert, wird ge-
zudem davon aus, dass die verschiedenen Anspruchsgrup-                  genüber dem Beitrag von Kampylis et al. (2015) der Aspekt
pen in den Schulen (Schulleitung, Lehrkräfte, Schülerin-                sozio-technische Innovation stärker berücksichtigt und auch
nen und Schüler, weitere Fachkräfte) in geeigneter Weise                die Notwendigkeit, eines auf permanenten Wandel orien-
mindestens am Evaluationsprozess beteiligt werden müs-                  tierten Vorgehensmodells expliziter formuliert.
sen, was ansatzweise das Kriterium Prozesskontrolle und                     Eine „Transferbroschüre“ aus dem ICILS-Forschungs-
Selbststeuerung anspricht. Aus dem Anspruch eines ganz-                 team (Labusch et al. 2020) entwickelt ausgehend von dem
heitlichen Modells resultiert auch eine Übereinstimmung                 ICILS-Rahmenmodell der Schulentwicklung und den Er-
mit der sozio-technischen Prämisse, dass alle Systemele-                gebnissen der ICILS Erhebungen Evaluationsfragen in den

                                                                                                                         K
T. Hardwig

fünf Dimensionen der Schulentwicklung (UE, PE, OE,             an der Überbetonung der individuellen Handlungsmöglich-
KE, TE). Es stellt Instrumente (weitgehend praxisbezoge-       keiten und zum anderen an einer systematischen Unter-
ne Übertragungen der ICILS Fragen) dafür bereit. In der        schätzung der technischen und organisationalen Vorausset-
Broschüre wird deutlich, dass eine sehr kontrollierte Form     zungen für eine erfolgreiche Umsetzung digital unterstütz-
der Beteiligung vorgesehen wird, da man differenziert          ten Lehrens und Lernens. Eine leistungsfähige Hard- und
je nach Dimension unterscheidet, wer an der Evaluation         Software-Ausstattung und ein qualifizierter IT-Support ha-
beteiligt werden sollte. Bei der OE sind es die Schullei-      ben sich im pandemiebedingten Fernunterricht als Voraus-
tungen, bei der UE sind es Lehrkräfte und Schülerinnen         setzungen für erfolgreiche Schulen erwiesen (Beywl et al.
und Schüler, bei der TE Schulleitungen, Lehrkräfte und         2021) und gelten generell als Voraussetzung für eine hohe
IT-Koordinatoren. Auch der Veränderungsimpuls durch die        Schulleistung (Eickelmann et al. 2019a).
Selbstevaluationen bleibt unverbindlicher als bei SELFIE:          Der Beitrag von Rolff und Thünken (2020) stellt ihre
„Diese können einen möglichen Anlass für Diskussionen“         Vorstellungen von Schulentwicklung anhand von zwei qua-
über die in den jeweiligen Dimensionen des ICILS Modells       litativen Fallstudien vor. In denen haben sich Schulen auf
jeweils reflektierten Aspekte bieten; immerhin Diskussio-      den Weg gemacht, das „digital gestützte Lernen“ zu rea-
nen. Mit diesem begrenzten Beteiligungsansatz erfüllen sie     lisieren. Die Autoren beharren auf der Trias der Schulent-
das STS Kriterium Prozesskontrolle und Selbststeuerung         wicklung OE, PE, UE und fordern statt eines „Hinzuad-
nur ansatzweise. Im Unterschied zu den anderen beiden          dierens“ weiterer Aspekte (KE, TE) deren Integration. Sie
Konzepten betonen sie die Notwendigkeit der Gestaltung         betrachten diese Dimensionen ganzheitlicher. Während bei
der technischen Infrastruktur weniger.                         Labusch u. a. OE auf die „gemeinsamen schulischen Ziel-
   Weitere Beiträge aus der normativen Schulentwicklung        und Prioritätensetzungen für eine nachhaltige Verankerung
entwickeln im Unterschied zu den gerade diskutierten           des Lernens und Lehrens mit digitalen Medien“ (Labusch
Selbstbewertungsmodellen Vorschläge wie Schulentwick-          et al. 2020) beschränkt wird, wird bei Rolff und Thünken
lung konkret zu gestalten ist.                                 OE quasi in sozio-technischer Weise geöffnet: „Organisati-
   Das Konzept von Gilmore und Deos (2020) beschreibt          onsentwicklung ist ein offenes, zielorientiertes, planmäßiges
wie die Techniknutzung in das Unterrichtsgeschehen inte-       Vorgehen im Umgang mit Veränderungsanforderungen und
griert werden kann. Sie plädieren engagiert dafür, die Tech-   Veränderungsabsichten in sozialen Systemen. (...) Organi-
nik nicht als zusätzliches, belastendes Element („Add-on“)     sationsentwicklung will die technischen und menschlichen
zu sehen, sondern integrativ mit dem Curriculum und dem        Aspekte eines sozialen Systems integrieren, respektiert aber
Unterrichten zu verknüpfen. Wie Personen in unterschied-       gleichzeitig deren je eigene Gesetzmäßigkeiten. Sie betrach-
lichen Rollen (Lehrkräfte, Schulleitungen, IT-Verantwort-      tet die Bedürfnisse der Organisation und deren Mitglieder
liche, Schuladministration) dafür sorgen können, dass die      als gleichberechtigt. Organisationsentwicklung ist ein päd-
Techniknutzung zum natürlichen Element des Unterrichts-        agogischer Ansatz. Er schafft gezielt Lernsituationen im All-
handelns werden kann, wird bezogen auf das Unterrichten        tag für Personen, Gruppen und das gesamte System.“ (Rolff
und die Curriculumsentwicklung praxisnah illustriert. Das      und Thünken 2020, S. 11 f.) Entsprechend tauchen in der
Konzept basiert ebenfalls auf einem ganzheitlichen Kon-        Übersicht neben dem Schulprogramm Aspekte wie Erzie-
zept mit etwas anders akzentuierten Elementen (Purpose,        hungsklima, Change Management, Technische Infrastruk-
Mindset, Pedagogy, Curriculum, Resources, Leadership).         tur, Steuergruppe und Digital-Gremien auf. Im Unterschied
Widersprüchlich erscheint, dass sie einerseits betonen, dass   zu den bisher genannten Beiträgen kann die Verbesserung
diese untrennbar miteinander verknüpft seien, andererseits     der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften auch zu einem
jedoch dazu auffordern, auch bei ungünstigen infrastruk-       Zielkriterium der Schulentwicklung werden.
turellen Voraussetzungen pragmatisch mit der Technikin-            Der Beitrag empfiehlt eine Planung der Schulentwick-
tegration anzufangen. Als ob eine Veränderung allein vom       lung von der Zukunft her, die in Projekten realisiert und
individuellen Engagement in seiner oder ihrer individuellen    im Rahmen einer rollenden Planung laufend an eintretende
Rolle (z. B. als Lehrkraft oder Schulleitung) abhängig wäre.   Veränderungen und veränderte Bedürfnisse angepasst wird.
Insofern wird in diesem Beitrag das sozio-technische Krite-    Die rollende Planung wird mit dem disruptiven Charak-
rium Ganzheitlichkeit nicht erfüllt. Es fehlt zudem auch an    ter des Wandels und von der Unmöglichkeit her begrün-
einem Verständnis der wechselseitigen Abhängigkeiten von       det, diese Disruptionen bei der Planung vorwegnehmen zu
technischem und sozialem System und den daraus resultie-       können (Rolff und Thünken 2020). Entsprechend muss das
renden Anforderungen an die Gestaltung der Schnittstel-        Change Management Raum für neues Denken und Han-
le von Mensch und Computer. Trotz verschiedener Vorge-         deln schaffen. Eine wichtige Rolle dafür spielen systema-
hensmodelle (z. B. für die Curriculumsentwicklung, für die     tische, auf Unterrichtsentwicklung bezogene Evaluationen
Technikintegration) bleibt der Aspekt der Organisationsent-    und der Aufbau einer Feedback-Kultur (Rolff und Thün-
wicklung am Ende merkwürdig blass. Dies liegt zum einen        ken 2020). Das Vorgehen erfolgt in Phasen. In der ersten

K
Einführung digitaler Technik in Schulen als Anwendungsfall für die sozio-technische Systemgestaltung

Phase werden alle Akteursgruppen, also auch Eltern und                  5 Das Potenzial einer systematischen
Schülerschaft an der Diagnose der Situation beteiligt. In                 Berücksichtigung sozio-technischer
der zweiten Phase werden mit einer komplexen Beteili-                     Ansätze für die Schulentwicklung
gungsarchitektur Entwicklungsfahrpläne für die Bereiche
Strategie, Struktur (Binnenarchitektur), Kultur (Werte, Hal-            Ausgehend von der Vermutung, dass sich der Rückstand
tungen, Widerstand) und Steuerung (Qualität, Evaluation)                vieler Schulen bei der Nutzung digitaler Medien für das
erstellt. Zentrale Fragestellung: „Wie soll digital gestütztes          Unterrichten auf Schwierigkeiten mit der Gestaltung von
Lernen an unserer Schule weiterentwickelt werden?“ Nicht                Schulentwicklungsprozessen zurückführen lässt, wurde die
mehr erwähnt wird die sicherlich dann folgende dritte Phase             Frage aufgeworfen, welchen Nutzen eine stärkere Berück-
der Umsetzung, die im Rahmen der rollenden Planung ei-                  sichtigung sozio-technischer Ansätze für die Schulentwick-
ne schrittweise Weiterentwicklung der konkreten Vorhaben                lung haben könnte.
zur Erreichung der Zielvision vorsieht.                                     Die Analyse empirische Beiträge aus der Schulentwick-
    Im Unterschied zu Gilmore und Deos (2020) reflektie-                lungsforschung zeigt, dass die Techniknutzung in Schulen
ren Rolff und Thünken (2020) die Notwendigkeit, die Ge-                 ein typischer Anwendungsfall für sozio-technische System-
staltung des sozialen und technischen Systems aufeinander               gestaltung ist. Ein erfolgreicher Einsatz digitaler Medien
beziehen zu müssen. Sie formulieren auch klarere Vorstel-               ist zu verzeichnen, wenn durch eine ganzheitliche Sys-
lungen dazu, wie die Ganzheitlichkeit der Systemgestaltung              temgestaltung menschliche, organisationale und technische
realisiert werden kann. Insgesamt stimmt dieser Beitrag                 Aspekte integrativ behandelt werden. „Allein die Ausstat-
mit den Grundannahmen sozio-technischer Systemgestal-                   tung mit digitaler Technik wird uns (...) nicht entscheidend
tung am stärksten überein.                                              voranbringen.“ (Schmid et al. 2017) Vielmehr bedarf es
    Alles in allem können wir festhalten, dass die fünf                 einer Prozessgestaltung welche einen Raum für sozio-tech-
hier analysierten Beiträge aus der Schulentwicklung in                  nische Innovationen schafft, in dem neue Formen des Leh-
einem hohen Maße Gestaltungsvorstellungen präsentieren,                 rens und Lernens entstehen, die von den sozialen Akteuren
die mit sozio-technischen Konzepten grundsätzlich über-                 im System getragen werden.
einstimmen. Die Konzepte der Schulentwicklung bieten                        Die Überprüfung von Übereinstimmungen zwischen der
sowohl Konzepte für eine ganzheitliche Bewertung der                    normativen Schulentwicklungsliteratur und dem sozio-tech-
Qualität der Techniknutzung und ihrer Voraussetzungen als               nischen Gestaltungsansatz, hat ergeben, dass viele Annah-
auch konkrete Anleitungen für die Gestaltung der Schul-                 men zur erfolgversprechenden Gestaltung von Prozessen
entwicklungsprozesse. Zwar streben sie alle an, im Rahmen               der Techniknutzung grundsätzlich geteilt werden. Sie be-
der Schulentwicklung einen Raum für innovative, feldspe-                ziehen sich vor allem darauf, dass es einer ganzheitlichen
zifische Lösungen anzubieten, formulieren aber mit einer                Systemgestaltung bedarf, die eine Beteiligung aller Ak-
Ausnahme (Rolff und Thünken 2020) keine klaren Vor-                     teure im System (Schulleitung, Lehrkräfte, Schülerinnen
stellungen davon, wie eine gemeinsame Optimierung von                   und Schüler, Fachkräfte) vorsehen muss und auch exter-
sozialem und technischem System gelingen kann. Insbe-                   ne Anspruchsgruppen (Eltern, Schulverwaltung) einzube-
sondere das stark voluntaristische Herangehen von Gilmore               ziehen sind. Organisationen sind als „Ecosystems“ zu be-
und Deos (2020) an die Techniknutzung ignoriert aus so-                 handeln und aufgrund der Komplexität der Einflussfaktoren
zio-technischer Sicht die wechselseitige Abhängigkeiten                 ist ein Schulentwicklungsprozess als permanenter Wandel
von sozialem und technischem System.                                    zu gestalten.
    Alle Beiträge verzichten darauf, die Techniknutzung aus                 Der Nutzen einer systematischen Berücksichtigung so-
einer Arbeitssystem-Perspektive zu gestalten, was sozio-                zio-technischer Ansätze für die konkrete Praxis der Schul-
technischem Denken völlig entgegensteht. Dies resultiert                entwicklung bei der Gestaltung des digital unterstützten
wahrscheinlich aus eine starken Skepsis, die vor allem sei-             Lehrens und Lernens könnte zunächst darin bestehen, be-
tens der traditionellen Pädagogik dem digital unterstütz-               reits erlangte Kenntnisse in einen breiteren Zusammenhang
ten Lehren und Lernen entgegengebracht wird. Der politi-                zu stellen und systematisch miteinander zu verknüpfen. Da-
sche Kompromiss besteht im „Primat des Pädagogischen“                   bei bilden die sechs Grundannahmen der STS einen inte-
(KMK 2017) beim Einsatz digitaler Medien in der Schule.                 grierenden Rahmen. Darüber hinaus könnte die STS da-
Dies hat die Folge, dass sich Schulleitungen und Lehrkräfte             bei helfen, die identifizierten Leerstellen der Schulentwick-
in der Praxis ganz auf die Gestaltung schulischer Lehr- und             lung substantiell zu füllen. Von einer Ausnahme abgesehen
Lernprozesse fokussieren und die konkreten Arbeitsbedin-                (Rolff und Thünken 2020) fehlt der Schulentwicklung ein
gungen von Lehrkräften aus dem Blick geraten.                           genaueres Verständnis von der Dualität von sozialem und
                                                                        technischen System und deren widersprüchlichen Steue-
                                                                        rungslogiken. Die führt zu voluntaristischen Verkürzungen
                                                                        (Gilmore und Deos 2020) und dem Appell an die Indi-

                                                                                                                          K
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