Dritter Engagementbericht - Zentrale Ergebnisse Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter - BMFSFJ
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Dritter Engagementbericht Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter Zentrale Ergebnisse
Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, unser Alltag ist inzwischen in vielerlei Hinsicht durch die Digitalisierung geprägt. Der erste Griff zum Smartphone am Morgen, der Versand einer letzten E-Mail am Abend gehören für viele von uns zur Normalität. Die Digitalisierung verändert auch das freiwillige Engage- ment. Die Nachbarschaftshilfe organisiert sich digital, digitale Werkzeuge helfen bei der Spendenakquise und die Vereinszeitung wird zum digitalen Newsletter. Rund 30 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland. Wie verändern sich Engagement und Beteiligung gerade junger Menschen im Zeitalter der Digitalisierung? Was bedeutet die Digitalisierung für die Engagementorganisationen? Und wie können wir analoges und digitales Engage- ment künftig noch besser miteinander verknüpfen? Diesen und weiteren Fragen geht der Dritte Engagementbericht nach. Er bietet erst- mals einen Überblick, wie sich Beteiligung und Engagement durch die Digitalisierung verändern und welches Potenzial dadurch entsteht. Seine Zusammenfassung mit aufschlussreichen Ergebnissen liegt Ihnen mit diesem Monitor vor. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern viele neue Erkenntnisse und Anregungen für Ihr Engagement. Mit freundlichen Grüßen Dr. Franziska Giffey Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausarbeitung: Prof. Dr. Jeanette Hofmann (Vorsitzende der Dritten Engagementberichtskommission) Dr. Theresa Züger (Leiterin der Geschäftsstelle) Dr. Anja Adler (stellvertretende Leiterin der Geschäftsstelle) Dr. Julia Tiemann-Kollipost (Referentin der Geschäftsstelle) Geschäftsstelle des Dritten Engagementberichts Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) Französische Straße 9 10117 Berlin Telefon: 030 200 760 82 Fax: 030 206 089 60 info@dritterengagementbericht.de
Inhalt Vorwort 3 Einleitung 6 Kernaussagen des Dritten Engagementberichts 8 1. Engagement im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen 10 2. Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter 12 3. Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter 17 4. Die Digitalisierung des Engagementsektors und seiner Organisationen 21 5. Engagement und digitale Plattformen: Plattformisierung des Engagements? 25 6. Engagement im Wandel: Perspektiven auf das demokratische Zusammenleben 27 7. Zentrale Handlungsempfehlungen 29 Ziele 29 Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ziele 30 Mitglieder der Sachverständigenkommission des Dritten Engagementberichts 33 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 Engagementbereiche 13 Abbildung 2 Gründe für Internetnutzung im Engagement 14 Abbildung 3 Politische und gesellschaftliche Tätigkeiten im Internet 15 Abbildung 4 Einschätzung politischer Selbstwirksamkeit 16 Abbildung 5 Typ der aktiv Vordenkenden 22 Abbildung 6 Typ der tatkräftig Vermittelnden 22 Abbildung 7 Typ der ressourcenstark Gestaltenden 23 Abbildung 8 Typ der pragmatisch Nutzenden 23 Abbildung 9 Typ der zurückhaltend Skeptischen 23 5
Einleitung Einleitung Die heutige Zeit ist im Zuge der Digitalisierung der Bundesregierung sowie weiteren Akteurinnen geprägt von globalen, sozialen und wirtschaft und Akteuren Handlungsempfehlungen geben. lichen Umbrüchen. Auch die Zivilgesellschaft Der Erste Engagementbericht „Kultur der Mit erfährt große Veränderungen. Doch wie genau verantwortung im öffentlichen Raum“ von 2012 verändert sich gesellschaftliches Engagement in ist eine umfassende Bestandsaufnahme, die sich Deutschland? Welche Vorteile aber auch even schwerpunktmäßig mit dem bürgerschaftlichen tuelle Herausforderungen bringen die Möglich Engagement von Unternehmen beschäftigt. Vor keiten des digitalen Zeitalters für freiwilliges dem Hintergrund des demografischen Wandels Engagement mit sich? Wie kann freiwilliges wird im Zweiten Engagementbericht von 2017 der Engagement junger Menschen, die für die Zukunft Beitrag des Engagements zur lokalen Entwicklung der Zivilgesellschaft maßgeblich sind, gefördert untersucht. Der vorliegende Dritte Engagement- und gestärkt werden? Der Dritte Engagement bericht führt die in den Berichten begonnene bericht (DEB) richtet den Blick gemäß seinem Diskussion mit Schwerpunkt auf die Entwicklun- Auftrag auf aktuelle Entwicklungen, durch die gen des (jungen) Engagements in einer digitalen sich Engagement vor dem Hintergrund der Digi- Gesellschaft fort. talisierung aller Lebensbereiche verändert. Dabei wird besonders auf das Engagement junger Men- Der Aufbau dieser Kurzfassung des Dritten schen zwischen 14 und 27 Jahren eingegangen. Engagementberichts gliedert sich wie folgt: Dieser Einleitung schließt sich eine übersicht Die Bundesregierung ist durch Beschluss des liche Darstellung der Kernaussagen des Dritten Deutschen Bundestages vom 19. März 2009 Engagementberichts an.1 Darauf folgen fünf (Drucksache 16/11774) aufgefordert, einmal Abschnitte, die die jeweils zentralen Ergebnisse pro Legislaturperiode einen wissenschaftlichen der fünf thematischen Kapitel des Dritten Bericht einer jeweils neu einzusetzenden unab- Engagementberichts widerspiegeln: Abschnitt 1 hängigen Sachverständigenkommission mit dieses Engagementmonitors widmet sich den Stellungnahme der Bundesregierung vorzulegen. themengebenden Begriffen gesellschaftlichen Die Berichte, die jeweils einen neuen Schwer- Engagements und der Digitalisierung und geht punkt gesellschaftlichen Engagements beleuch- dabei auf Spannungsfelder ein, in denen sich ten, dienen der Unterstützung einer nachhaltigen Engagement heute bewegt. Abschnitt 2 stellt das Engagementpolitik. Sie sollen den politischen Engagement junger Menschen zwischen 14 und Diskurs über aktuelle Entwicklungen im Bereich 27 Jahren auf Grundlage der Jugendbefragung des gesellschaftlichen Engagements anregen und des Dritten Engagementberichts vor. 1 Im vorliegenden Engagementmonitor werden ausgewählte Themen und Ergebnisse des Dritten Engagementberichts vorgestellt. Er bildet den Bericht und die Ansichten der Kommission somit nicht vollständig ab, fasst dafür aber die zentralen Aspekte allgemeinverständlich zusammen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Lesbarkeit wurde in diesem Monitor auf Quellen- angaben verzichtet; diese finden sich ausführlich im Dritten Engagementbericht. 6
Einleitung „Wie kann freiwilliges Engagement junger Menschen, die für die Zukunft der Zivilgesellschaft maßgeblich sind, gefördert und gestärkt werden?“ „Welche Vorteile aber auch eventuelle H erausforderungen bringen die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters für freiwilliges Engagement mit sich?“ Abschnitt 3 befasst sich mit neuen Engagement- ments eröffnet Abschnitt 6 abschließend Perspek- formen und Engagement-relevanten Praktiken. tiven auf ein demokratisches Zusammenleben im Den Umgang von Engagement-Organisationen Zeitalter der digitalen Gesellschaft. Es folgt in wie Vereinen, Stiftungen oder Sozialunternehmen Abschnitt 7 eine kondensierte Darstellung der mit der Digitalisierung nimmt Abschnitt 4 in den zentralen Handlungsempfehlungen, die konkrete Fokus. Abschnitt 5 untersucht die Rolle digitaler Maßnahmen zur Stärkung des digitalen Engage- Plattformen für den Engagementsektor. Ausge- ments und der Digitalisierung des Engagement- hend vom gegenwärtigen Wandel des Engage- sektors begründen. 7
Kernaussagen des Dritten Engagementberichts Kernaussagen des Dritten Engagementberichts Ein relevanter Anteil des Engagements junger Für Engagement-Organisationen stellt die Menschen findet inzwischen digital vermittelt Digitalisierung einen Strukturwandel dar. Auf statt. Bestehende Formen des Engagements diesen Strukturwandel reagieren Organisationen werden durch Formen digitalen Engagements sehr unterschiedlich: Einige von ihnen sehen vor nicht ersetzt, sondern ergänzt. allem Herausforderungen, andere in erster Linie Potenziale. Das Engagement junger Menschen findet auch heute noch vor allem im Verein oder Verband Im Gegensatz zu neuen digitalen Formen des statt: Laut der DEB-eigenen Befragung der Ju- Engagements sind etablierte Engagement-Organi- gendlichen und jungen Erwachsenen benannten sationen wie Vereine, Stiftungen, Sozialunterneh- 64,2 Prozent der Befragten Vereine und Verbände men und Genossenschaften Teil eines historisch als organisationalen Rahmen für ihr Engagement. gewachsenen Sektors und nehmen Digitalisierung Unabhängig davon, in welchen Organisationsfor- daher als Strukturwandel wahr. Dieser bietet men sich junge Menschen heute gesellschaftlich große Potenziale, die die Arbeit der Engagement- einbringen, lässt sich jedoch auch ein Zuwachs Organisationen erleichtern können, beispiels der Nutzung digitaler Medien und Werkzeuge weise in der Öffentlichkeitsarbeit, der Personal- für das Engagement feststellen. So lassen sich und Programmentwicklung, der Gewinnung von 43,2 Prozent der Befragten als digital Engagierte Engagierten oder bei der Finanzierung. Aufgrund beschreiben, die ihr Engagement teilweise, über- von fehlenden Ressourcen und Kompetenzen wiegend oder sogar vollständig mittels digitaler wird die Digitalisierung allerdings für einige Medien ausüben. Zudem findet ein Viertel der Organisationen zur zusätzlichen Herausforderung jungen Menschen den Einstieg in gesellschaft und birgt die Gefahr, diese Potenziale nicht nutzen liches Engagement über das Internet. zu können oder den Anschluss zu verlieren. Digitalität erweitert nicht nur die Formen, sondern auch die Inhalte des Engagements. D igitalisierung wird zudem selbst zum Thema von Engagement. Vielen Engagierten ist bewusst, dass wir in einer technisch geprägten Gesellschaft leben, weshalb die Gestaltung der Digitalisierung auch zu ihrem Anliegen wird. Rund 29 Prozent der jungen Engagierten verfolgen laut der DEB-eigenen Jugendbefragung das Ziel, die digitale Welt zu einem besseren Ort zu machen. Datenschutz, die Bekämpfung von Hate Speech oder allgemein das Zusammenleben in einer digitalisierten Welt gehören zu neuen Themen des Engagements. 8
Kernaussagen des Dritten Engagementberichts Digitale Plattformen werden im Engagement Es zeichnet sich eine Entwicklung in Richtung sektor zunehmend wichtiger. Eine einheitliche, einer digitalisierten Zivilgesellschaft ab. Darin allgemeingültige Plattformlogik lässt sich der- gestalten zivilgesellschaftliche Akteurinnen und zeit nicht erkennen. Vielmehr gibt es eine Band- Akteure zunehmend aktiv den Prozess der gesamt- breite in den Arbeits- und Finanzierungsweisen gesellschaftlichen Digitalisierung mit. von Plattformen des Engagements. Im Kontext der Digitalisierung ist eine zunehmen- Für den Engagementsektor ist eine Koexistenz de Vielfalt der Aktivitäten im Engagement sowie international etablierter Plattformen neben eine wachsende Bandbreite im Einsatz digitaler kleineren, lokalen und Engagement-spezifischen Werkzeuge zu beobachten. Unabhängig von Orga- Plattformen charakteristisch. Letztere bieten nisationsformen sehen die zivilgesellschaftlichen Funktionen an, die besondere Elemente des Akteurinnen und Akteure die Gestaltung der digi- Engagements unterstützen, zum Beispiel das talen Infrastrukturen und Werkzeuge dabei nicht Sammeln von Spenden oder die Vermittlung von als eine rein technologische, sondern gesellschaft- Freiwilligen für gemeinwohlorientierte Projekte. liche Aufgabe. In den Open-Source- und Civic Tech- Während soziale Medien für die Organisation Gemeinschaften entwickeln und testen zivilgesell- und Netzwerkpflege im Engagement nahezu schaftliche Akteurinnen und Akteure Alternativen unverzichtbar scheinen, erfüllen die Engagement- zu privatwirtschaftlichen digitalen Diensten und spezifischen Plattformen nicht weniger wichtige damit auch ihre Kompetenzen zur Mitgestaltung Funktionen. Die Geschäftsmodelle und Rechts einer digitalen Gesellschaft. formen sind derzeit ebenso vielfältig wie der Umgang mit automatisierenden Algorithmen auf den verschiedenen Plattformen. 9
1 Engagement im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen 1 Engagement im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen Bestimmend für das Verständnis von Engagement für einen Arbeitsplatz oder ein Stipendium zu ist für die Sachverständigenkommission des verbessern, entsteht ein weiteres Spannungsfeld Dritten Engagementberichts der Bericht der zwischen Gemeinwohlorientierung und Handeln Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaft zum individuellen Nutzen. Die Frage nach der lichen Engagements“ von 2002. Diesem zufolge ist Grenzziehung zwischen der Zuständigkeit des bürgerschaftliches Engagement freiwillig, findet Staates – zum Beispiel im Bereich der Daseins im öffentlichen Raum statt, ist gemeinschafts vorsorge – und den speziellen Aufgaben des bezogen, dient dem Gemeinwohl und ist nicht bürgerschaftlichen Engagements wird ebenfalls auf materiellen Gewinn gerichtet. Der Begriff des immer wieder erörtert. Der Erste Engagement Engagements selbst wie auch die Engagement bericht von 2012 zeigt, dass sich Grenzverschie- praxis sind zahlreichen Spannungen ausgesetzt, bungen vor allem im Zusammenhang mit dem die eine große thematische und organisatorische Wandel der Staatlichkeit ergeben, wie im Falle Vielfalt und den gelebten Pluralismus der Gesell- des Aussetzens der Wehrpflicht und der damit schaft widerspiegeln. Engagement ist nicht frei verbundenen Folgen für die sozialen Dienste. von Konflikten; es bewegt sich immer in einem In der Praxis wird allerdings deutlich, dass staat- Gefüge aus individuellen und kollektiven Werten, liches Handeln und bürgerschaftliches Engage- Normen und Interessen, die unter Umständen ment auch Hand in Hand gehen können, wie auch in Konkurrenz zueinander treten. etwa im Blaulichtsektor oder im Fall des Bundes- freiwilligendienstes. Ein zunehmend wichtiger Ein zentrales und bekanntes Spannungsfeld werdendes Spannungsfeld entsteht zwischen besteht fortdauernd zwischen Engagement und zivilem und unzivilem Engagement sowie zwi- Erwerbsarbeit. Diese Spannungen zeigen sich schen ziviler und unziviler Online-Kommuni vor allem in der Kontroverse um die Monetari kation.2 In dem Maße, in dem Engagement sich sierung von Engagement, die im Zweiten Engage digitalisiert und über soziale Medien kommuni- mentbericht thematisiert wird. Das vermehrte ziert wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Aufkommen von Sozialunternehmen, die aus Engagierte unziviler Kommunikation begegnen einer gemeinnützigen Idee Geschäftsmodelle und auf diese reagieren müssen. entwickeln, fügt dieser Debatte eine aktuelle Dimension hinzu. Da Menschen auch unabhän- Vor dem Hintergrund der Digitalisierung hat gig von einer Monetarisierung innerhalb ihres sich der Dritte Engagementbericht vor allem Engagements unter Umständen persönliche mit den Spannungen, die zwischen institutio Vorteile erzielen, wie zum Beispiel hilfreiche nalisiertem und nicht-institutionalisiertem Kontakte zu knüpfen oder die Voraussetzungen politisch-gesellschaftlichem Handeln bestehen, 2 Unter unzivilem Engagement sind Tätigkeiten zu verstehen, die nicht im Einklang mit der deutschen Verfassung und Rechtsordnung stehen. Die Verfasserinnen und Verfasser des Zweiten Engagementberichts plädieren für ein verbindlich an den Menschenrechten ausgerichtetes Verständnis von Engagement und grenzen es deutlich von nicht förderwürdigem Engagement extremistischer Gruppierungen ab. Diesem normativen Verständnis von Engagement schließt sich die Kommission des Dritten Engagementsberichts an. 10
1 Engagement im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen beschäftigt. Unter nicht-institutionalisiertem Für den Dritten Engagementbericht erscheinen Handeln versteht der Dritte Engagementbericht dabei zwei Perspektiven besonders relevant: die informelles Engagement, das außerhalb förmli Digitalisierung des bestehenden Engagement cher, langfristig angelegter Organisationsstruk sektors und das sich neu herausbildende digitale turen, wie etwa dem Verein oder der Partei, Engagement. Die Digitalisierung des Engagement- stattfindet. Der Unterschied zwischen institu sektors bezeichnet den Aufbau digitaler Infra- tionalisiertem und nicht-institutionalisiertem strukturen und die Nutzung digitaler Werkzeuge, Handeln besteht somit weniger in den Zielen also den Wandel von Kommunikationsformen und Aktionsformen als im jeweiligen Organi und -verfahren. Im Unterschied dazu meint digi- sationsgrad. Aus heutiger Sicht stützen sich tales Engagement Organisationsformen und moderne Demokratien auf beide Formen poli- Handlungsmuster, die durch die Auseinander tisch-gesellschaftlichen Handelns. Allerdings setzung mit digitalen Infrastrukturen, Diensten hat sich das Verhältnis zwischen institutionali und Daten überhaupt erst zustande kommen, in siertem und nicht-institutionalisiertem Han- diesem Sinne also grundlegend neue Typen des deln in den letzten Jahrzehnten immer wieder Engagements darstellen. neu ausgerichtet. Bis in die späten 1960er-Jahre wurde gesellschaftspolitische Beteiligung über- Um beide Perspektiven gleichermaßen zu berück- wiegend mit der Teilnahme an Wahlen sowie sichtigen hat die Sachverständigenkommission einem Engagement in Parteien, Gewerkschaften im Prozess der Berichtsarbeit den Dialog mit und Verbänden gleichgesetzt. Entsprechend zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern aus hatten spontane und nicht-institutionalisierte der Praxis des Engagements gesucht. Zu Gast Beteiligungsformen mit Legitimationsproble- waren Sprecherinnen und Sprecher aus Vereinen, men zu kämpfen. Seither hat nicht-institutio Verbänden, Aktivistinnen und Aktivisten sowie nalisiertes politisches und zivilgesellschaftliches engagierte Jugendliche und junge Erwachsene. Handeln an Anerkennung und Selbstverständ Das Ziel der Gespräche mit ihnen war herauszu- lichkeit gewonnen. finden, welche Erfahrungen, Gestaltungsräume und Effekte die Praktikerinnen und Praktiker Ein zweites, für den Dritten Engagementbericht aus den verschiedenen Feldern des Engagements besonders relevantes, Spannungsfeld zeigt sich mit der Digitalisierung verbinden. Neben den zwischen Engagement und den Zugängen zum wissenschaftlichen Befunden, die der Bericht Engagement. So werden dem gesellschaftlichen versammelt, bilden diese Gespräche eine wichtige Engagement in der Fachdiskussion einerseits zusätzliche Erkenntnisquelle, da Stimmen aus der große Potenziale für die soziale Integration zu Praxis manche Bedarfe, Probleme oder Erfahrun- geschrieben, andererseits wird in einschlägigen gen besonders pointiert beschreiben können. Der Studien immer wieder auf soziale Ungleichheiten Bericht spiegelt die Mehrstimmigkeit, Methoden- im Engagement verwiesen. Die Forschung bestä- sowie Perspektivenvielfalt in den fünf Abschnitten tigt bisher, dass sich Menschen aus ressourcen zu verschiedenen Aspekten des Engagements in ärmeren Schichten deutlich seltener gesellschaft- einer sich zunehmend digitalisierenden Gesell- lich engagieren als jene mit höherem Einkommen schaft wider. und besserer Bildung. Der Begriff der Digitalisierung, so wie er im Dritten Engagementbericht verwendet wird, bezeichnet schließlich eine vielschichtige Entwicklung, die in technischen Übersetzungs prozessen ihren Ausgang nimmt und sukzessive sämtliche Bereiche der Gesellschaft durchdringt und damit auch auf die Spannungsfelder einwirkt. 11
2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter 2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter Einen Spendenaufruf für einen guten Zweck Mit insgesamt 1.006 Jugendlichen und jungen starten, zum nächsten Mitgliedertreffen des Erwachsenen wurden persönliche Interviews zu Vereins per Social-Media-Aufruf einladen, auf ihrem Engagement durchgeführt. Die Ergebnisse gesellschaftspolitische Themen mit einem Online- der Untersuchung zeigen deutlich, welch hohen Video aufmerksam machen, eine Petition unter- Stellenwert das gesellschaftliche Engagement für zeichnen – die Möglichkeiten, sich über und/ junge Menschen heute hat: 63,7 Prozent aller Be- oder für das Internet zu engagieren, sind heute fragten gaben an, sich in den letzten zwölf Mona- mannigfaltig. Die Frage danach, welche Rolle ten für einen gesellschaftlichen Zweck eingesetzt Digitalisierungsprozesse für das gesellschaftliche zu haben. Obwohl Engagement immer noch am Engagement insbesondere junger Menschen häufigsten in klassischen Organisations- bezie- spielen, ist aus zwei Gründen besonders relevant. hungsweise Vereinsbezügen stattfindet (64,2 Pro- Zum einen eignen sich Kinder und Jugendliche zent), stellt sich dennoch heraus, dass die jungen Medieninnovationen besonders schnell an und Engagierten vermehrt auch außerhalb traditionel- unterscheiden kaum noch zwischen online und ler Strukturen agieren und informelle Gruppen offline sein. Zum anderen gestaltet die junge gründen (30,3 Prozent). Viele Engagierte schätzen Generation auch durch ihre digitale Lebenspraxis zudem die Möglichkeiten des Internets, um sich und ihre Werte den zukünftigen, demokratischen einzubringen: Knapp jede beziehungsweise jeder und partizipativen Stand der Gesellschaft mit. Fünfte (21,9 Prozent) ist in online organisierten Gruppen aktiv. Bisher gibt es nur wenig aussagekräftige Studien, die sich mit dem gesellschaftlichen Engagement Unabhängig vom strukturellen Rahmen des junger Menschen im digitalen Zeitalter befassen. Engagements zeigt sich der zur Gewohnheit Deshalb wurde im Rahmen der Arbeiten zum gewordene Umgang der jungen Menschen mit Dritten Engagementbericht eine eigene Jugend- digitalen Medien bei der Frage, welche Rolle studie, die DEB-Jugendbefragung 2019, durch Internet und soziale Medien für ihre Engagement- geführt. Die Studie erfasst Inhalte, Formen und aktivitäten spielen. Immerhin 43,2 Prozent der Organisationsweisen des Engagements Jugend- engagierten Befragten lassen sich als digital licher. Darüber hinaus ermittelt sie die Relevanz Engagierte beschreiben, die ihr Engagement und Rolle sozialer Medien für die Engagement teilweise (26,1 Prozent aller Engagierten), über tätigkeiten junger Menschen. wiegend (14,4 Prozent) oder sogar vollständig (2,7 Prozent) mittels digitaler Medien ausüben.3 Ein relevanter Anteil des Engagements Jugend licher findet damit digital vermittelt statt. 3 Alle anderen Befragten, die digitale Medien kaum oder gar nicht für ihr Engagement nutzen, werden im Rahmen der DEB-Jugendbefragung als „kaum digital Engagierte“ bezeichnet (56,8 Prozent aller Engagierten). 12
2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter Engagementbereiche Sport und Bewegung 42 43 Sozialer Bereich 29 40 Freizeit und Geselligkeit 26 37 Umwelt-, Natur-, Tierschutz 23 33 Unfall- oder Rettungsdienst, 23 Freiwillige Feuerwehr 16 Kirchlicher oder 19 religiöser Bereich 14 Kultur und Musik 16 23 Schule oder Kindergarten 16 17 Außerschulische Jugendarbeit oder Bildungsarbeit für 15 Erwachsene 22 Gesundheitsbereich 15 15 Berufliche Interessenvertretung 9 außerhalb des Betriebes 14 Politik und politische 9 Interessenvertretung 23 Justiz oder 9 Kriminalitätsprobleme 9 0 10 20 30 40 50 Kaum digital Engagierte Digital Engagierte Abbildung 1: Engagementbereiche (Antwort: „Trifft zu“, Mehrfachantworten möglich. Basis: Engagierte, n=639, geringe Abweichungen der Fallzahlen durch einzelne fehlende Antworten; Quelle: Dritter Engagementbericht 2020), Angaben in Prozent Vergleicht man die Engagementfelder der digital Auch hinsichtlich der Motive zeigen sich Unter- und der kaum digital Engagierten, zeigen sich schiede zwischen den beiden Gruppen: „Spaß“ interessante Unterschiede. Beispielsweise sind und „Geselligkeit“ nehmen für die kaum digital in vielen Feldern wie Kultur, Freizeit, aber auch Engagierten die ersten Rangplätze ein, während Politik und Umweltschutz die digital Engagier- bei den digital Engagierten „etwas Sinnvolles zu ten überproportional vertreten, während in den tun“ und „für die Gesellschaft etwas bewegen“ Feldern des kirchlichen Engagements oder der die obersten Ränge der Antworten belegen. Rettungsdienste deutlich weniger digital Enga- Unverbindlichkeit und zeitliche Selbstbestim- gierte zu finden sind. Darüber hinaus eignen sich mung haben zudem bei ihnen ein stärkeres digitale Medien laut der Befragten sehr gut, um Gewicht als bei denjenigen, die sich seltener sich auch informell für ein Thema einzusetzen: digitaler Medien für ihr Engagement bedienen. Mit 40 Prozent ist der Anteil der in selbstorgani- sierten Gruppen Tätigen unter den digital Enga- Generell erfüllen soziale Medien eine wichtige gierten fast doppelt so hoch wie unter den kaum Funktion im Engagement: Für 58,1 Prozent der digital Engagierten (22,6 Prozent). Befragten sind sie für Organisationszwecke wichtig. 13
2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter Die Vorteile der sozialen Medien und des Inter- Chats seine Meinung zu äußern (29,1 Prozent), nets für das Engagement sehen die Befragten Inhalte auf dem eigenen Profil zu teilen (28,1 Pro- vor allem darin, freier entscheiden zu können, zent) und die Meinung anderer öffentlich zu kom- wofür (72,7 Prozent) und wann (71,9 Prozent) mentieren (27,3 Prozent). Diese Aktivitäten, die man sich engagiert. Ein großer Anteil der Befrag- explizit politische oder gesellschaftliche Inhalte ten gab zudem an, dass sich durch das Internet thematisieren und die man durchaus als Engage- und die sozialen Medien völlig neue Themenfel- ment-relevant betrachten kann, fallen im Vergleich der für soziale Aktivitäten auch jenseits des eige- zu den oben genannten Aktivitäten wie dem Wei- nen Wohnortes ergeben (65,3 Prozent). Mehr als terleiten von allgemeinen Beiträgen oder Teilen ein Viertel der engagierten jungen Menschen von Inhalten auf dem eigenen Profil anteilsmäßig (28,7 Prozent) nutzt das Internet und soziale deutlich geringer aus. Medien, weil sie vor Ort sonst keine für sie passen- den Engagementmöglichkeiten vorfinden. Online Fragt man die Jugendlichen nach ihren politisch- basierte Engagementangebote scheinen insbeson- gesellschaftlichen Tätigkeiten im Internet, erzielen dere für einen Teil der Jugendlichen in ländlichen die digital Engagierten zwar erwartbar die höchs- Regionen eine Ersatzfunktion innezuhaben, die ten Beteiligungswerte, politisch-gesellschaftliche ihnen ein für ihre persönlichen Interessen sowie Online-Aktivitäten gibt es aber durchaus auch in zeitlichen und sozialen Ressourcen individuelles den Gruppen, die angaben, kaum digitale Medien Engagement ermöglicht. für ihr Engagement zu nutzen oder sich über- haupt nicht zu engagieren. So üben die bisher Schaut man nun auf konkrete Aktivitäten junger nicht Engagierten Aktivitäten aus wie interessante Menschen im Netz, so ist bei allen befragten Beiträge mit politisch-gesellschaftlichem Inhalt Jugendlichen das Weiterleiten von allgemeinen weiterleiten (21,4 Prozent), Aussagen anderer Beiträgen die beliebteste Aktivität (von 62 Pro- öffentlich kommentieren (16,2 Prozent), öffent- zent mindestens mehrmals pro Monat ausgeübt), lich etwas auf dem eigenen Profil teilen (15,7 Pro- gefolgt von allgemeinen Meinungsäußerungen im zent) oder in Foren oder Chats die eigene Meinung Internet und den sozialen Medien (52,7 Prozent) zu politisch-gesellschaftlichen Themen sagen sowie dem Teilen von Inhalten auf dem eigenen (15,2 Prozent). Die Beteiligung am politischen Profil (49,7 Prozent). Auch bei explizit politischen Diskurs im Netz und das Ausüben entsprechender oder gesellschaftlichen Inhalten rangiert das Wei- kommunikativer Online-Aktivitäten haben damit terleiten von interessanten Beiträgen an erster in der Selbsteinschätzung der Jugendlichen nicht Stelle (37,8 Prozent), gefolgt davon, in Foren oder zwangsläufig den Status eines Engagements. Gründe für Internetnutzung im Engagement Freier entscheiden, wofür man sich engagiert 73 Freier entscheiden, wann man sich engagiert 72 Für verschiedene Dinge und Themen gleichzeitig einsetzen 72 Gut nutzbar für das Engagement vor Ort 69 Mehr für die Gesellschaft bewegen 66 Eröffnet andere Themen als Engagement vor Ort 65 Vor Ort gibt es keine Möglichkeit, sich zu engagieren 29 0 20 40 60 80 100 Abbildung 2: Gründe für Internetnutzung im Engagement (Antwort: „Trifft eher zu“/„Trifft voll zu“. Basis: Engagierte, n=436–440, geringe Abweichungen der Fallzahlen durch einzelne fehlende Antworten; Quelle: Dritter Engagementbericht 2020), Angaben in Prozent 14
2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter Politische und gesellschaftliche Tätigkeiten im Internet Interessante Beiträge 21 weitergeleitet 35 64 Meinung in Foren oder 15 Online-Gruppen/Chats gesagt 22 56 Inhalte öffentlich auf dem 16 23 eigenen Profil geteilt 52 Aussagen anderer im Internet 16 22 kommentiert 50 10 Online Leute mit ähnlichen 15 Interessen gesucht 42 6 Video oder Story erstellt 9 29 3 Blog oder Webseite gepflegt 7 32 2 An Hashtag-Bewegung 4 beteiligt 28 2 Bei Wiki-Seiten mitgemacht 4 17 2 Online-Gruppe mitgegründet 3 16 1 Online-Spendenaufruf geteilt 2 15 0 Online Geld gespendet 1 14 0 20 40 60 80 Nicht-Engagierte Kaum digital Engagierte Digital Engagierte Abbildung 3: Politische und gesellschaftliche Tätigkeiten im Internet (Antwort: „Täglich“/„Mehrmals pro Woche“/„Mehrmals im Monat“. Basis: Alle Befragte, n=1.001–1.004, geringe Abweichungen der Fallzahlen durch einzelne fehlende Antworten; Quelle: Dritter Engagementbericht 2020), Angaben in Prozent 15
2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter Ihre digitale politische Kommunikation nimmt lage für politische Beteiligung, sondern auch für ein Teil der jungen Menschen demnach selbst gesellschaftliches Engagement. Laut der DEB- nicht als Engagement wahr und unterschätzt Jugendbefragung schätzten die digital Engagierten womöglich auch sein Einflusspotenzial auf gesell- ihre eigene politische Kompetenz und ihren per- schaftliche Entwicklungen. Die positive Selbst- sönlichen Einfluss auf politische Prozesse als ein- wahrnehmung des eigenen Wissens und eigener zige Gruppe überdurchschnittlich ein. Die kaum Kompetenzen, wenn es um gesellschaftliche digital Engagierten liegen bei einem mittleren Zusammenhänge, Themen und Einflussmöglich- Wert, während sich die Nicht-Engagierten noch keiten geht, ist nicht nur eine wichtige Grund klar darunter befinden. Einschätzung politischer Selbstwirksamkeit 4 2,9 3 2,3 2,5 2 1 0 Nicht-Engagierte Kaum digital Engagierte Digital Engagierte Abbildung 4: Einschätzung politischer Selbstwirksamkeit (Mittelwert der Antwortskala 1 „Trifft nicht zu“ bis 4 „Trifft voll zu“ von vier Frage-Items. Basis: Alle Befragte, n=987, geringe Abweichungen der Fallzahlen durch einzelne fehlende Antworten; Quelle: Dritter Engagementbericht 2020), Angaben in Prozent Die DEB-Jugendbefragung liefert vor dem Hinter- Beteiligung junger Menschen des Hauptschul- grund dieser unterschiedlichen Wahrnehmung zweigs an politisch-gesellschaftlichen Themen der Selbstwirksamkeit auch Erkenntnisse in Bezug im Internet. Während bei der allgemeinen auf bildungsbezogene Ungleichheiten des Engage- Mediennutzung kaum Unterschiede bestehen, ments, die sich im Bereich der digitalen Kommu- kommentieren junge Menschen aus gymnasia nikation eher fortsetzen als vermindern: Mit len Bildungswegen häufiger Beiträge mit poli 47,2 Prozent sind Jugendliche, die eine Haupt- tisch-gesellschaftlichen Inhalten (33,7 versus schule besuchen, seltener gesellschaftlich enga- 18,6 Prozent), äußern öfter ihre Meinung zu giert als Jugendliche, die zur Realschule (61,1 Pro- politisch-gesellschaftlichen Themen in Foren zent) oder zum Gymnasium (73,2 Prozent) gehen. oder Online-Gruppen (36,6 versus 17,6 Prozent) Hier ist ein deutliches bildungsbezogenes Gefälle und leiten häufiger Inhalte mit politisch-gesell- zu erkennen. Das Ausmaß dieser Kluft im Engage- schaftlichem Inhalt an Dritte weiter (42,7 versus ment zeigt sich zudem anhand der geringeren 27 Prozent). 16
3 Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter 3 Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter Hier ein Klick, dort ein Klick – schon ist eine Das öffentliche Teilen (Sharing) von Inhalten so- Online-Petition unterzeichnet oder ein Spenden- wie das öffentliche Reagieren auf diese geteilten aufruf in sozialen Medien geteilt. Mit der Lang Inhalte durch andere Nutzerinnen und Nutzer fristigkeit und Verbindlichkeit von traditionellem in sozialen Medien sind wohl zwei der grundle- Engagement hat dieses Handeln auf den ersten gendsten und am weitesten verbreiteten digitalen Blick wenig gemeinsam. Neue digitale Formen Engagement-relevanten Praktiken. Das Teilen in des Engagements sind zumeist punktuell, schnell sozialen Medien kann dann als überaus einfache und häufig individuell. Nicht weiter verwunder- und voraussetzungsarme Form des Engagements lich also, dass Online-Engagement und -Beteili- verstanden werden, wenn damit etwa politische gung in den letzten 20 Jahren häufig vorschnell Anliegen vertreten, Proteste oder Spendenauf als Slacktivism abgetan wurden.4 rufe organisiert oder auf gemeinnützige Projekte hingewiesen wird. Es erfolgt durch die Veröffent Doch weder müssen neue Formen des Engage- lichung von Links oder das Verfassen kurzer eige- ments wirkungslos sein, noch ist es sinnvoll, Neues ner Texte, Bilder und/oder Videos, dem Micro und Altes gegeneinander auszuspielen. Denn neue blogging. Auf die in sozialen Medien geteilten Varianten des Engagements ersetzen keineswegs Inhalte können andere Nutzerinnen und Nutzer etablierte Formen, sie treten vielmehr an ihre Seite. reagieren, etwa durch das Klicken des Like-Buttons Von jungen Menschen werden beide Formen des bei Facebook oder indem sie den Beitrag kommen- Engagements selbstverständlich kombiniert. Ob tieren. Zudem besteht in den sozialen Medien das Teilen Engagement-relevanter Inhalte in die Möglichkeit, Beiträge anderer Nutzerinnen sozialen Medien, Crowdsourcing, Participatory und Nutzer wiederum mit dem eigenen Kontakt- Mapping oder Civic Tech – gesellschaftlich Enga- netzwerk zu teilen. So bekommt der Beitrag eine gierte nutzen die vielfältigen Möglichkeiten öffentliche Aufmerksamkeit, welche das spezi digitaler Informations- und Kommunikations- fische Kontaktnetzwerk der Nutzerin oder des technologien auf innovative Weise. Nutzers, die oder der den Beitrag ursprünglich veröffentlicht hat, übersteigt. 4 Der sich aus dem englischen Verb „to slack“ (deutsch: trödeln) und dem Nomen „activism“ (deutsch: Aktivismus) zusammensetzende Begriff wird meist, aber nicht immer abfällig verwendet. 17
3 Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter Digitales Engagement geht jedoch über die Nut- tory Mapping ist etwa Wheelmap. Die Initiatorin- zung sozialer Medien weit hinaus. Digitale Infra- nen und Initiatoren von Sozialhelden e. V. wollen strukturen ermöglichen nämlich auch gänzlich damit eine Karte barrierefreier Orte schaffen, die neue Formen der kollektiven Bearbeitung von mobilitätseingeschränkten Menschen den Alltag und Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen erleichtert und gleichzeitig gesellschaftliche Fragen und Problemen. Eine solche Engagement- Akteurinnen und Akteure anregt, mehr Orte praxis ist beispielsweise das sogenannte Citizen barrierefrei zu gestalten. Sourcing, eine Form des Crowdsourcings5. Dabei mobilisieren politische Institutionen – wie Partei- Neben Engagement-relevanten Praktiken und en oder Ministerien – Bürgerinnen und Bürger, Formaten ändern sich durch die Digitalisierung bestimmte öffentliche Probleme zu adressieren auch die Themen des Engagements beziehungs- beziehungsweise zu bearbeiten. Oft dient dabei weise die Arten und Weisen des Umgangs mit eine App oder eine Website als Schnittstelle. ihnen. Die digitale Gesellschaft erhebt die Mit Insbesondere Kommunen nutzen es als Innova gestaltung der digitalen Gesellschaft selbst zum tions- und Verwaltungsinstrument, um die kollek- Thema, wie zum Beispiel im Bereich der Netzpoli- tiven Problemlösungskapazitäten der Bürgerin- tik. Rund um das Internet haben sich in jüngster nen und Bürger mit digitalen Mitteln verfügbar Zeit insbesondere zu einem modernen Urheber- zu machen. Dabei kann es etwa um Ideenwettbe- recht und der Meinungsvielfalt im Netz breite werbe für politische Maßnahmen gehen, in denen Debatten entzündet. Auch die Themen Leistungs- Bürgerinnen und Bürger Vorschläge für aktuelle schutzrecht, Netzneutralität oder die Regulierung Problemstellungen artikulieren können. Ein ande- von Algorithmen haben zu netzpolitischen Initia- rer Anwendungsfall sind Reporting-Plattformen, tiven geführt. Um sich zu diesen Themen aktiv bei denen zum Beispiel Mängel der städtischen einzubringen, organisieren sich junge Engagierte Infrastruktur durch Bürgerinnen und Bürger ge- im Rahmen neuer Veranstaltungsformate wie der meldet werden können. Ein Beispiel für letzteres TINCON oder mithilfe von Onlineplattformen ist der Maerker Brandenburg. wie OPIN. Participatory Mapping (deutsch: partizipative Durch die digitale Vernetzung mit Gleichgesinn- Kartierung) ist eine Engagement-relevante ten sowie der möglichen Anonymität digitaler Praktik, die bereits in den 1970er-Jahren entstan- Medien werden auch sehr persönliche Themen den ist, aber durch digitale Werkzeuge breitere verhandelbar, die sonst womöglich nur im priva- Anwendung erfährt. Die Methode ermöglicht es ten Erfahrungsraum diskutiert werden. Beispiels- Bürgerinnen und Bürgern, mit ihrem Wissen weise tauschen sich junge Menschen über ihre und ihren Anliegen die Erstellung von Karten zu Erfahrungen und Empfindungen zu geschlecht- unterstützen. Im Gegensatz zum traditionellen licher Vielfalt aus, was wiederum digitales Engage- Top-down-Ansatz, bei dem die Erstellung von ment inspirieren kann. Ein Beispiel dafür ist das Karten einer spezialisierten Gruppe wie Plane Trevor Project. Dabei handelt es sich um ein rinnen und Planern, Ingenieurinnen und Inge- Selbsthilfeprojekt von LGBTQI*-Jugendlichen6. nieuren vorbehalten ist, versucht Participatory Durch den anonymen Austausch finden Jugend- Mapping lokales Wissen diverser Bevölkerungs- liche hier einen angemessenen und geschützten gruppen zu sammeln und zu bündeln. Der par Raum im Netz, um Fragen der sexuellen Orientie- tizipative Ansatz des Mappings versucht also rung, der eigenen Identität und individueller Informationen zu demokratisieren, das heißt, Krisen in einem geschützten Raum verhandeln zu Informationen für alle Bürgerinnen und Bürger können. Auch junge feministische Bewegungen, verfügbar zu machen. Ein Beispiel für Participa die sich für mehr Inklusion und Vielfalt in der 5 Crowdsourcing ist ein Beispiel dafür, wie digitale Infrastrukturen auch und gerade gänzlich neue Formen der kollektiven Bearbeitung von Problemen ermöglichen. Damit wird eine Form der Arbeitsteilung bezeichnet, mit der mittels digitaler Medien eine prinzipiell uneingeschränkte Menge von Nutzerinnen und Nutzern aufgerufen wird, sich kollektiv an einer bestimmten Arbeitsaufgabe oder Problemlösung zu beteiligen. Im Kontext von Engagement erlaubt Crowdsourcing Formen der Mit- und Zuarbeit, die wesentlich punktueller sein können als klassische analoge Formen. 6 Die Abkürzung LGBTQI* steht hier für die englischen Begriffe für lesbisch, schwul, sowie bi-, trans- und intersexuell. 18
3 Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter Entwicklung von Technologien einsetzen, bieten Entstehung und Vernetzung sowie zur Sichtbar- Anlaufstellen um voneinander zu lernen und keit der Bewegung beigetragen. Die Aktivistinnen Räume für Vernetzung im Internet. und Aktivisten der Fridays for Future-Bewegung greifen in ihrem Engagement auf eine Vielzahl Des Weiteren machen Civic-Tech-Projekte digitale digitaler Plattformen zurück, die sie für Tätigkei- Infrastrukturen und Werkzeuge zum Gegenstand ten wie die interne Organisation, die Planung ihres Engagements. Mit Civic Tech sind Techno von Aktionen, die Gewinnung neuer Unterstütze- logien bezeichnet, die aus der Zivilgesellschaft rinnen und Unterstützer oder die Presse- und heraus entwickelt werden. Im Rahmen des Pro- Öffentlichkeitsarbeit einsetzen. gramms Jugend hackt beispielsweise entwickeln junge Teilnehmende mit der Unterstützung von Wie die Beispiele zeigen, ändern sich neben den ehrenamtlichen Mentorinnen und Mentoren Praktiken und Inhalten auch die Organisationsfor- Technologien und Konzepte für eine bessere men von Engagement. Obwohl dauerhaft angeleg- Zukunft. Die Ergebnisse reichen etwa von Luft te Organisationen wie Vereine und Verbände nach verschmutzungsmessern über Zugverspätungs- wie vor eine zentrale Rolle im Engagement spielen, übersichten bis hin zu Apps zur Vermeidung von lässt sich auch eine Zunahme von Engagement in Lebensmittelverschwendung. flexibleren Organisationsformen wie Schwärmen, Netzwerken und Gemeinschaften beobachten. Am Beispiel der Bewegung Fridays for Future wird deutlich, dass im jungen Engagement heute gesellschaftlich bereits vertraute Themen neu und radikaler adressiert werden, indem Jugend- liche sie als ihre Themen besetzen. Initiiert von einer einzelnen jungen Frau, Greta Thunberg, hat sich innerhalb kurzer Zeit eine globale Bewegung junger Aktivistinnen und Aktivisten vernetzt, die ein gemeinsames Anliegen haben: den Klima- schutz. Die Möglichkeiten sozialer Medien haben maßgeblich zum Umfang, zur Schnelligkeit der 19
3 Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter Schwarmhandeln meint hier die meist nicht aufeinan- der abgestimmten, kollektiven Handlungen Einzelner. So können Bürgerinnen und Bürger etwa unabhängig voneinander Protestmaßnahmen unterstützen, Geld für wohltätige Zwecke spenden oder aus politischen Gründen Produkte boykottieren. Jede einzelne Hand- lung ist für sich gesehen zwar flüchtig und gegebe nenfalls von geringer Tragweite, aber die kollektive Anhäufung solcher Handlungen ist potenziell sehr SCHWARM wirkmächtig. Engagement in Netzwerken erscheint demgegenüber organisierter und zeitlich stabiler als das Schwarm handeln. Außerdem bestehen zwischen den Mitglie- dern eines Netzwerks häufig (lose) Beziehungen. Eine verbreitete Form des netzwerkförmigen Engagements ist das Crowdsourcing, also auch das oben beschriebe- ne Citizen Sourcing. In dieser Form der digital vermit- telten Arbeitsteilung beteiligt sich eine prinzipiell unbeschränkte Anzahl von Nutzerinnen und Nutzern NETZWERK an der Lösung einer Aufgabe oder Problemstellung. Als weiterer Typus entstehen auch digital vermittelte Formen von Gemeinschaftlichkeit. Hier spielen geteilte Werthaltungen und Identifikationsmöglichkeiten eine entscheidende Rolle. Digital vermittelte Gemeinschaf- ten bauen nicht auf Tradition und Herkunft auf. Kollektive Identitäten können beispielsweise durch geteilte Interessen, den Glauben an eine Leitidee (etwa bei Open-Source-Software) oder gemeinsame politi- sche Ziele entstehen und mithilfe digitaler Medien GEMEINSCHAFT gesellschaftliche Wirkungen entfalten. Formale Organisationen sind der etablierte Fall, mit dem sich Engagementhandeln strukturiert. Sie besit- zen typischerweise eine eigene Rechtsform, eigene Regelwerke und greifen arbeitsteilig auf gemeinsame Ressourcen zu. Beispiele für Engagement-Organisatio- nen sind vorrangig Vereine, Stiftungen oder gemein- nützige GmbHs (gGmbHs). Eine detaillierte Auseinan- dersetzung mit Engagement-Organisationen erfolgt ORGANISATION im nächsten Abschnitt. 20
4 Die Digitalisierung des Engagementsektors und seiner Organisationen 4 Die Digitalisierung des Engagementsektors und seiner Organisationen Vereine, Stiftungen, Sozialunternehmen und In dieser Studie wurden 61 Vereine, Stiftungen Genossenschaften – sie alle sind Organisationen, und Sozialunternehmen (gGmbHs und gUGs) in denen ein großer Teil des gesellschaftlichen zu ihrer Auseinandersetzung mit der Digitalisie- Engagements in Deutschland stattfindet. Da ist rung, ihren allgemeinen Herausforderungen, aber auch das Engagement junger Menschen keine auch zu ihrem Engagement in Bezug auf Digita Ausnahme. Im Gegensatz zu neuen digitalen lisierung befragt. Die Befunde der Studie zeigen, Formen der Beteiligung bestehen Engagement- dass sich im heterogenen Engagementsektor auch Organisationen häufig über einen langen Zeit- der Umgang mit Digitalisierung sehr unterschied- raum. Sie nehmen die Digitalisierung daher als lich darstellt. Dieser unterschiedliche Umgang Strukturwandel wahr. Dieser Strukturwandel mit Digitalisierung lässt sich in fünf verschiede- bietet große Potenziale, die Arbeit der Engage nen Typen von Engagement-Organisationen ment-Organisationen zu erleichtern, beispiels bebildern und genauer darstellen: den aktiv Vor- weise in der Öffentlichkeitsarbeit, der Personal- denkenden, den tatkräftig Vermittelnden, den und Programmentwicklung, der Gewinnung ressourcenstark Gestaltenden, den pragmatisch von Engagierten oder in der Finanzierung. Aller- Nutzenden und den zurückhaltend Skeptischen. dings stellt die Digitalisierung für einige Organi sationen auch eine zusätzliche Herausforderung dar und Potenziale bleiben ungenutzt. Wie gehen also Engagement-Organisationen mit den Mög- lichkeiten und Herausforderungen der Digitalisie- rung um, wie gestalten sie den digitalen Wandel? Um den Umgang des organisierten Engage mentsektors mit der Digitalisierung besser zu verstehen, wurde im Rahmen des Dritten Enga gementberichts eine qualitative Studie unter Engagement-Organisationen durchgeführt. „Wie gestalten Engagement-Organisationen den digitalen Wandel?“ 21
4 Die Digitalisierung des Engagementsektors und seiner Organisationen Abbildung 5 und 6: Typ Rechtsform: Sozialunternehmen, Stiftungen und Vereine Personal: Vorrangig hauptamtlich, vereinzelt ehrenamtlich AKTIV Digitalisierung der Organisation: Organisationen sind digitalisiert VORDENKEN Motivation: Entwicklung von Konzepten und politischen Forderungen Herausforderungen und Hürden: Politische Regulierungen, Datenschutz, finanzielle Ressourcen Einstellung zu Digitalisierung: Proaktiv Rechtsform: Sozialunternehmen, Stiftungen, Vereine und Verbände TATKRÄFTIG Personal: Häufig von Engagierten getragen, teilweise hauptamtliches Personal Digitalisierung der Organisation: Nutzung digitaler Tools für Bildung und Vermittlung VERMITTELN Motivation: Multiplikatoren für Digitalisierung Herausforderungen und Hürden: Medienkompetentes Personal, geeignete Tools Einstellung zu Digitalisierung: Proaktiv Abbildung 5 und 6: Typ der aktiv Vordenkenden und Typ der tatkräftig Vermittelnden. Quelle: Dritter Engagementbericht 2020 Zu den aktiv Vordenkenden gehören Sozialunter- voranzutreiben, entweder in Schulen, in außer- nehmen, Stiftungen und Vereine, die in der Regel schulischen Bildungsinstitutionen oder auch in hauptamtlich getragen werden. Sie nutzen die der Gemeinde vor Ort. Es geht ihnen dabei vor Potenziale der Digitalisierung und widmen sich in allem um die alltäglichen Hürden der Digitalisie- proaktiver Weise auch inhaltlich Digitalisierungs- rung, wie etwa den Umgang mit Hate Speech, die themen. Sie bringen sich in den politischen Dis- Schulung von Seniorinnen und Senioren in der kurs über Digitalisierung ein, indem sie Veranstal- Nutzung des Internets oder die Unterstützung tungen organisieren, Lobby-Gespräche führen von anderen Engagement-Organisationen in oder Diskussionspapiere zur Digitalisierung der Digitalisierungsfragen. Zivilgesellschaft veröffentlichen. Organisationen dieses Typs selbst sind digitalisiert und es eint sie Bei den ressourcenstark Gestaltenden handelt ein ausgeprägtes Engagement für die Sache. es sich überwiegend um Verbände. Sie haben hauptamtliches Personal und in der Regel weitere Die tatkräftig Vermittelnden eint der Anspruch, Ressourcen, die es ihnen erlauben, Anforderungen das Thema Digitalisierung über Bildungsangebote der Digitalisierung umzusetzen und Potenziale zu 22
4 Die Digitalisierung des Engagementsektors und seiner Organisationen Abbildung 7, 8 und 9 Rechtsform: Verbände RESSOURCEN- Personal: Mitgliedsorganisation mit hauptamtlichem Überbau Digitalisierung der Organisation: Einrichtung von Stellen und Strukturen zur Digitalisierung STARK GESTALTEN Motivation: Optimierung der eigenen Organisation und der Verbandsmitglieder Herausforderungen und Hürden: Digitalisierungsprozesse managen, medienkompetentes Personal Einstellung zu Digitalisierung: Proaktiv Rechtsform: Vereine PRAGMATISCH Personal: Fast ausschließlich Mitglieder und Engagierte, wenige Hauptamtliche Digitalisierung der Organisation: Nutzung digitaler Tools für Verwaltung und NUTZEN Öffentlichkeitsarbeit Motivation: Optimierung der eigenen Organisation Herausforderungen und Hürden: Finanzierung, Zeit, medienkompetentes Personal, geeignete Tools Einstellung zu Digitalisierung: Pragmatisch Rechtsform: Vereine Personal: Fast ausschließlich Mitglieder und Engagierte, wenige Hauptamtliche ZURÜCKHALTEND Digitalisierung der Organisation: Digitale Tools für Verwaltung SKEPTISCH Motivation: Andere Themen als Digitalisierung werden als drängender empfunden Herausforderungen und Hürden: Zeitliche und finanzielle Ressourcen Einstellung zu Digitalisierung: Reaktiv Abbildung 7, 8 und 9: Typ der ressourcenstark Gestaltenden, Typ der pragmatisch Nutzenden und Typ der zurückhaltend Skeptischen. Quelle: Dritter Engagementbericht 2020 realisieren. Dabei geht es ihnen hauptsächlich auf hauptamtliche Unterstützung zurückgreifen darum, den eigenen Verband zu digitalisieren, um können und deren Engagement sich auf den die eigene Arbeit aufrechterhalten und weiterent- Vereinszweck konzentriert, etwa die Förderung wickeln zu können. Großorganisationen durchle- von Kultur, die Organisation einer Sportart oder ben dabei oft komplizierte Abstimmungsprozesse, die Integration Geflüchteter. denn Untergliederungen eines Verbandes können auf der lokalen oder regionalen Ebene unterschied Zuletzt gibt es den Typ der zurückhaltend Skep lich mit Digitalisierungsprozessen umgehen. tischen. Dies sind fast ausschließlich Vereine, die überwiegend ehrenamtlich und in der Regel auf Für den Typ der pragmatisch Nutzenden ist die regionaler Ebene arbeiten. Sie eint eine gewisse Digitalisierung ein Mittel zum Zweck, zum Bei- Skepsis bezüglich der Digitalisierung, die sie im spiel um die Mitgliederverwaltung effizienter zu Vergleich zu den anderen Organisationstypen vor gestalten. Einen Gestaltungsanspruch in Bezug allem als Herausforderung wahrnehmen. Beson- auf digitale Themen haben diese Organisationen ders wenn Engagierte wenig digital affin sind und eher nicht. Hier finden sich Vereine, die nur selten daher die Risiken der neuen Möglichkeiten 23
4 Die Digitalisierung des Engagementsektors und seiner Organisationen systematisch über- und die Potenziale unterschät- Viele Engagement- zen, kann es dazu kommen, dass die Organisation Organisationen sind unterstützende Optionen für sich nicht gewinn- hier – neben finanziellen bringend nutzen kann. Insbesondere Zeit- und Bedarfen – auf das Wissen Geldknappheit, aber auch fehlende Kompetenzen und die zeitlichen Ressourcen führen dazu, dass Organisationen den Anschluss ihrer Engagierten angewiesen, die an digital agierende Zielgruppen und Engagierte sich in der Regel jedoch eher dem inhaltlichen zu verlieren drohen. Kern ihres Engagements widmen wollen als der Digitalisierung ihrer Organisation. Obwohl Aus diesen fünf Organisationstypen lassen sich Crowdfunding- und Engagement-Plattformen grundsätzlich zwei unterschiedliche Herange- für den Engagementsektor an Relevanz gewinnen, hens- und Umgangsweisen mit der Digitalisie- werden diese von vielen Organisationen kaum rung im Engagementsektor erkennen: Ein Teil genutzt. Gleiches gilt für Daten, die im Rahmen der Organisationen nimmt die Digitalisierung der Organisationsarbeit anfallen. Darüber hinaus als eine schwer greifbare Herausforderung wahr, gibt es große Unsicherheiten im Umgang mit der ein anderer Teil setzt die Potenziale einer gemein- Datenschutzgrundverordnung. wohlorientierten Digitalisierung bereits aktiv um. Doch nicht alle Engagement-Organisationen Der Teil der Organisationen, der in der Digitali sehen in der Digitalisierung eine Herausforde- sierung eher eine Herausforderung wahrnimmt, rung. Der Teil der Engagement-Organisationen, würde von gezielter Unterstützung stark profi der die Potenziale einer gemeinwohlorientierten tieren. Für diese Organisationen sind das Angebot Digitalisierung bereits aktiv umsetzt, engagiert an digitalen Infrastrukturen und die Vielfalt an sich in einem breiten Feld gesellschaftlicher kommerziellen wie auch offenen Open-Source- Aktivitäten für digitale Themen. Als wichtige Lösungen sehr unübersichtlich: Die DEB-Orga Multiplikatorinnen im Engagementsektor sollten nisationenbefragung hat ergeben, dass die 61 be- diese Organisationen in ihren Aktivitäten unter- fragten Organisationen in den unterschiedlichsten stützt werden, zum Beispiel durch spezifische Bereichen ihrer Arbeit, wie Mitgliederverwaltung, Förderlinien. Als Digitalisierungsexpertinnen Buchhaltung oder Kommunikation, 125 unter- können sie weiterhin zum Aufbau regionaler und schiedliche Tools verwenden. Darüber hinausge- thematischer Kompetenzzentren beitragen. Die hende Recherchen zu digitalen Infrastrukturen Beratungs-, Vernetzungs- und Interessenvertre- für das Engagement haben zu einer Datenbank tungsangebote solcher Kompetenzzentren von mehr als 215 angebotenen Diensten geführt.7 würden die langfristige und niedrigschwellige Aufgrund von lückenhaften IT-Kenntnissen und Förderung der Digitalisierung des Engagement- -Kompetenzen in den Organisationen ist häufig sektors unterstützen. unklar, welche Software für die Arbeit der eigenen Organisation überhaupt geeignet und nutzbar ist. 7 Der Anhang 2 des Dritten Engagementberichts enthält die Übersicht zu den ermittelten Diensten und digitalen Infrastrukturen, die im Engagementsektor genutzt werden. Der Bericht empfiehlt an dieser Stelle keine Anbieter, sondern zeigt vor allem Einsatzgebiete und Potenziale digitaler Infrastrukturen auf. 24
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