Dritter Engagementbericht - Zentrale Ergebnisse Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter - BMFSFJ

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Dritter Engagementbericht - Zentrale Ergebnisse Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter - BMFSFJ
Dritter Engagementbericht
Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter

Zentrale Ergebnisse


Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,

unser Alltag ist inzwischen in vielerlei Hinsicht durch die
Digitalisierung geprägt. Der erste Griff zum Smartphone
am Morgen, der Versand einer letzten E-Mail am Abend
gehören für viele von uns zur Normalität.

Die Digitalisierung verändert auch das freiwillige Engage-
ment. Die Nachbarschaftshilfe organisiert sich digital,
digitale Werkzeuge helfen bei der Spendenakquise und
die Vereinszeitung wird zum digitalen Newsletter. Rund
30 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland.

Wie verändern sich Engagement und Beteiligung gerade
junger Menschen im Zeitalter der Digitalisierung? Was bedeutet die Digitalisierung für
die Engagementorgani­sationen? Und wie können wir analoges und digitales Engage-
ment künftig noch besser miteinander verknüpfen?

Diesen und weiteren Fragen geht der Dritte Engagementbericht nach. Er bietet erst-
mals einen Überblick, wie sich Beteiligung und Engagement durch die Digitalisierung
verändern und welches Potenzial dadurch entsteht. Seine Zusammenfassung mit
aufschlussreichen Ergebnissen liegt Ihnen mit diesem Monitor vor. Ich wünsche allen
Leserinnen und Lesern viele neue Erkenntnisse und Anregungen für Ihr Engagement.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Franziska Giffey
Bundesministerin für Familie, Senioren, ­Frauen und Jugend


     Ausarbeitung:

     Prof. Dr. Jeanette Hofmann (Vorsitzende der Dritten Engagementberichtskommission)
     Dr. Theresa Züger (Leiterin der Geschäftsstelle)
     Dr. Anja Adler (stellvertretende Leiterin der Geschäftsstelle)
     Dr. Julia Tiemann-Kollipost (Referentin der Geschäftsstelle)

     Geschäftsstelle des Dritten Engagementberichts
     Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG)

     Französische Straße 9
     10117 Berlin

     Telefon: 030 200 760 82
     Fax: 030 206 089 60
     info@dritterengagementbericht.de


Inhalt
Vorwort                                                                     3

Einleitung                                                                  6

Kernaussagen des Dritten Engagementberichts                                 8

1. Engagement im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen                  10

2. Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter                       12

3. Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter                      17

4. Die Digitalisierung des Engagementsektors und
   seiner Organisationen                                                   21

5. Engagement und digitale Plattformen:
   Plattformisierung des Engagements?                                      25

6. Engagement im Wandel: Perspektiven auf das
   demokratische Zusammenleben                                             27

7. Zentrale Handlungsempfehlungen                                          29
  Ziele                                                                    29
  Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ziele                                     30

Mitglieder der Sachverständigenkommission
des Dritten Engagementberichts                                             33

Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1    Engagementbereiche                                          13
Abbildung 2    Gründe für Internetnutzung im Engagement                    14
Abbildung 3    Politische und gesellschaftliche Tätigkeiten im Internet    15
Abbildung 4    Einschätzung politischer Selbstwirksamkeit                  16
Abbildung 5    Typ der aktiv Vordenkenden                                  22
Abbildung 6    Typ der tatkräftig Vermittelnden                            22
Abbildung 7    Typ der ressourcenstark Gestaltenden                        23
Abbildung 8    Typ der pragmatisch Nutzenden                               23
Abbildung 9    Typ der zurückhaltend Skeptischen                           23

                                                                                 5
Einleitung

Einleitung

Die heutige Zeit ist im Zuge der Digitalisierung                  der Bundesregierung sowie weiteren Akteurinnen
geprägt von globalen, sozialen und wirtschaft­                    und Akteuren Handlungsempfehlungen geben.
lichen Umbrüchen. Auch die Zivilgesellschaft                      Der Erste Engagementbericht „Kultur der Mit­
erfährt große Veränderungen. Doch wie genau                       verantwortung im öffentlichen Raum“ von 2012
verändert sich gesellschaftliches Engagement in                   ist eine umfassende Bestandsaufnahme, die sich
Deutschland? Welche Vorteile aber auch even­                      schwerpunktmäßig mit dem bürgerschaftlichen
tuelle Herausforderungen bringen die Möglich­                     Engagement von Unternehmen beschäftigt. Vor
keiten des digitalen Zeitalters für freiwilliges                  dem Hintergrund des demografischen Wandels
Engagement mit sich? Wie kann freiwilliges                        wird im Zweiten Engagementbericht von 2017 der
Engagement junger Menschen, die für die Zukunft                   Beitrag des Engagements zur lokalen Entwicklung
der Zivilgesellschaft maßgeblich sind, gefördert                  untersucht. Der vorliegende Dritte Engagement-
und gestärkt werden? Der Dritte Engagement­                       bericht führt die in den Berichten begonnene
bericht (DEB) richtet den Blick gemäß seinem                      Diskussion mit Schwerpunkt auf die Entwicklun-
Auftrag auf aktuelle Entwicklungen, durch die                     gen des (jungen) Engagements in einer digitalen
sich Engagement vor dem Hintergrund der Digi-                     Gesellschaft fort.
talisierung aller Lebensbereiche verändert. Dabei
wird besonders auf das Engagement junger Men-                     Der Aufbau dieser Kurzfassung des Dritten
schen zwischen 14 und 27 Jahren eingegangen.                      Engagementberichts gliedert sich wie folgt:
                                                                  Dieser Einleitung schließt sich eine übersicht­
Die Bundesregierung ist durch Beschluss des                       liche Darstellung der Kernaussagen des Dritten
Deutschen Bundestages vom 19. März 2009                           Engagementberichts an.1 Darauf folgen fünf
(Druck­sache 16/11774) aufgefordert, einmal                       Abschnitte, die die jeweils zentralen Ergebnisse
pro Legislaturperiode einen wissenschaftlichen                    der fünf thematischen Kapitel des Dritten
Bericht einer jeweils neu einzusetzenden unab-                    Engagement­berichts widerspiegeln: Abschnitt 1
hängigen Sachverständigenkommission mit                           dieses Engagementmonitors widmet sich den
Stellungnahme der Bundesregierung vorzulegen.                     themengebenden Begriffen gesellschaftlichen
Die Berichte, die jeweils einen neuen Schwer-                     Engagements und der Digitalisierung und geht
punkt gesellschaftlichen Engagements beleuch-                     dabei auf Spannungsfelder ein, in denen sich
ten, dienen der Unterstützung einer nachhaltigen                  Engagement heute bewegt. Abschnitt 2 stellt das
Engagementpolitik. Sie sollen den politischen                     Engagement junger Menschen zwischen 14 und
Diskurs über aktuelle Entwicklungen im Bereich                    27 Jahren auf Grundlage der Jugendbefragung
des gesellschaftlichen Engagements anregen und                    des Dritten Engagementberichts vor.

1 Im vorliegenden Engagementmonitor werden ausgewählte Themen und Ergebnisse des Dritten Engagementberichts vorgestellt.
  Er bildet den Bericht und die Ansichten der Kommission somit nicht vollständig ab, fasst dafür aber die zentralen Aspekte
  ­allge­meinverständlich zusammen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Lesbarkeit wurde in diesem Monitor auf Quellen-
   angaben verzichtet; diese finden sich ausführlich im Dritten Engagementbericht.

6
Einleitung

„Wie kann freiwilliges Engagement
junger Menschen, die für die Zukunft
der Zivilgesellschaft maßgeblich sind,
gefördert und gestärkt werden?“

                                                 „Welche Vorteile aber auch
                                             even­tuelle H
                                                         ­ erausforderungen
                                              bringen die Möglich­keiten des
                                          digitalen Zeitalters für frei­williges
                                                     Engagement mit sich?“

Abschnitt 3 befasst sich mit neuen Engagement-      ments eröffnet Abschnitt 6 abschließend Perspek-
formen und Engagement-relevanten Praktiken.         tiven auf ein demokratisches Zusammenleben im
Den Umgang von Engagement-Organisationen            Zeitalter der digitalen Gesellschaft. Es folgt in
wie Vereinen, Stiftungen oder Sozialunternehmen     Abschnitt 7 eine kondensierte Darstellung der
mit der Digitalisierung nimmt Abschnitt 4 in den    zentralen Handlungsempfehlungen, die konkrete
Fokus. Abschnitt 5 untersucht die Rolle digitaler   Maßnahmen zur Stärkung des digitalen Engage-
Platt­formen für den Engagementsektor. Ausge-       ments und der Digitalisierung des Engagement-
hend vom gegenwärtigen Wandel des Engage-           sektors begründen.

                                                                                                     7
Kernaussagen des Dritten Engagementberichts

Kernaussagen des
Dritten Engagementberichts

Ein relevanter Anteil des Engagements junger             Für Engagement-Organisationen stellt die
Menschen findet inzwischen digital ­vermittelt          ­Digitalisierung einen Strukturwandel dar. Auf
statt. Bestehende Formen des Engagements                 diesen Strukturwandel reagieren Organisationen
werden durch Formen digitalen Engagements                sehr unterschiedlich: Einige von ihnen sehen vor
nicht ersetzt, sondern ergänzt.                          allem Herausforderungen, andere in erster Linie
                                                         Potenziale.
Das Engagement junger Menschen findet auch
heute noch vor allem im Verein oder Verband             Im Gegensatz zu neuen digitalen Formen des
statt: Laut der DEB-eigenen Befragung der Ju-           Engagements sind etablierte Engagement-Organi-
gendlichen und jungen Erwachsenen benannten             sationen wie Vereine, Stiftungen, Sozialunterneh-
64,2 Prozent der Befragten Vereine und Verbände         men und Genossenschaften Teil eines historisch
als organisationalen Rahmen für ihr Engagement.         gewachsenen Sektors und nehmen Digitalisierung
Unabhängig davon, in welchen Organisationsfor-          daher als Strukturwandel wahr. Dieser bietet
men sich junge Menschen heute gesellschaftlich          große Potenziale, die die Arbeit der Engagement-­
einbringen, lässt sich jedoch auch ein Zuwachs          Organisationen erleichtern können, beispiels­
der Nutzung digitaler Medien und Werkzeuge              weise in der Öffentlichkeitsarbeit, der Personal-
für das Engagement feststellen. So lassen sich          und Programmentwicklung, der Gewinnung von
43,2 Prozent der Befragten als digital Engagierte       Engagierten oder bei der Finanzierung. Aufgrund
beschreiben, die ihr Engagement teilweise, über-        von fehlenden Ressourcen und Kompetenzen
wiegend oder sogar vollständig mittels digitaler        wird die Digitalisierung allerdings für einige
Medien ausüben. Zudem findet ein Viertel der            Organisationen zur zusätzlichen Herausforderung
jungen Menschen den Einstieg in gesellschaft­           und birgt die Gefahr, diese Potenziale nicht nutzen
liches Engagement über das Internet.                    zu können oder den Anschluss zu verlieren.

Digitalität erweitert nicht nur die Formen, sondern
auch die Inhalte des Engagements. D  ­ igitalisierung
wird zudem selbst zum Thema von Engagement.

Vielen Engagierten ist bewusst, dass wir in einer
technisch geprägten Gesellschaft leben, weshalb
die Gestaltung der Digitalisierung auch zu ihrem
Anliegen wird. Rund 29 Prozent der jungen
Engagierten verfolgen laut der DEB-eigenen
Jugendbefragung das Ziel, die digitale Welt zu
einem besseren Ort zu machen. Datenschutz, die
Bekämpfung von Hate Speech oder allgemein
das Zusammenleben in einer digitalisierten Welt
gehören zu neuen Themen des Engagements.

8
Kernaussagen des Dritten Engagementberichts

Digitale Plattformen werden im Engagement­          Es zeichnet sich eine Entwicklung in Richtung
sektor zunehmend wichtiger. Eine ­einheitliche,     einer digitalisierten Zivilgesellschaft ab. Darin
allgemeingültige Plattformlogik lässt sich der-     gestalten zivilgesellschaftliche Akteurinnen und
zeit nicht erkennen. Vielmehr gibt es eine Band-    Akteure zunehmend aktiv den Prozess der gesamt-
breite in den Arbeits- und Finanzierungsweisen      gesellschaftlichen Digitalisierung mit.
von Plattformen des Engagements.
                                                    Im Kontext der Digitalisierung ist eine zunehmen-
Für den Engagementsektor ist eine Koexistenz        de Vielfalt der Aktivitäten im Engagement sowie
international etablierter Plattformen neben         eine wachsende Bandbreite im Einsatz digitaler
kleineren, lokalen und Engagement-spezifischen      Werkzeuge zu beobachten. Unabhängig von Orga-
Plattformen charakteristisch. Letztere bieten       nisationsformen sehen die zivilgesellschaftlichen
Funktionen an, die besondere Elemente des           Akteurinnen und Akteure die Gestaltung der digi-
Engagements unterstützen, zum Beispiel das          talen Infrastrukturen und Werkzeuge dabei nicht
Sammeln von Spenden oder die Vermittlung von        als eine rein technologische, sondern gesellschaft-
Freiwilligen für gemeinwohlorientierte Projekte.    liche Aufgabe. In den Open-Source- und Civic Tech-­
Während soziale Medien für die Organisation         Gemeinschaften entwickeln und testen zivilgesell-
und Netzwerkpflege im Engagement nahezu             schaftliche Akteurinnen und Akteure Alternativen
unverzichtbar scheinen, erfüllen die Engagement-­   zu privatwirtschaftlichen digitalen Diensten und
spezifischen Plattformen nicht weniger wichtige     damit auch ihre Kompetenzen zur Mitgestaltung
Funktionen. Die Geschäftsmodelle und Rechts­        einer digitalen Gesellschaft.
formen sind derzeit ebenso vielfältig wie der
Umgang mit automatisierenden Algorithmen
auf den verschiedenen Plattformen.

                                                                                                        9
1 Engagement im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen

     1                   Engagement im
                         Kontext gesellschaftlicher
                         Entwicklungen

Bestimmend für das Verständnis von Engagement                              für einen Arbeitsplatz oder ein Stipendium zu
ist für die Sachverständigenkommission des                                 verbessern, entsteht ein weiteres Spannungsfeld
Dritten Engagementberichts der Bericht der                                 zwischen Gemeinwohlorientierung und Handeln
Enquete-Kommission „Zukunft des Bürger­schaft­                            zum individuellen Nutzen. Die Frage nach der
lichen Engagements“ von 2002. Diesem zufolge ist                           Grenzziehung zwischen der Zuständigkeit des
bürgerschaftliches Engagement freiwillig, findet                           Staates – zum Beispiel im Bereich der Daseins­
im öffentlichen Raum statt, ist gemeinschafts­                             vorsorge – und den speziellen Aufgaben des
bezogen, dient dem Gemeinwohl und ist nicht                                bürgerschaftlichen Engagements wird ebenfalls
auf materiellen Gewinn gerichtet. Der Begriff des                          immer wieder erörtert. Der Erste Engagement­
Engagements selbst wie auch die Engagement­                                bericht von 2012 zeigt, dass sich Grenzverschie-
praxis sind zahlreichen Spannungen ausgesetzt,                             bungen vor allem im Zusammenhang mit dem
die eine große thematische und organisatorische                            Wandel der Staatlichkeit ergeben, wie im Falle
Vielfalt und den gelebten Pluralismus der Gesell-                          des Aussetzens der Wehrpflicht und der damit
schaft widerspiegeln. Engagement ist nicht frei                            verbundenen Folgen für die sozialen Dienste.
von Konflikten; es bewegt sich immer in einem                              In der Praxis wird allerdings deutlich, dass staat-
Gefüge aus individuellen und kollektiven Werten,                           liches Handeln und bürgerschaftliches Engage-
Normen und Interessen, die unter Umständen                                 ment auch Hand in Hand gehen können, wie
auch in Konkurrenz zueinander treten.                                      etwa im Blaulichtsektor oder im Fall des Bundes-
                                                                           freiwilligendienstes. Ein zunehmend wichtiger
Ein zentrales und bekanntes Spannungsfeld                                  werdendes Spannungsfeld entsteht zwischen
besteht fortdauernd zwischen Engagement und                                zivilem und unzivilem Engagement sowie zwi-
Erwerbsarbeit. Diese Spannungen zeigen sich                                schen ziviler und unziviler Online-Kommuni­
vor allem in der Kontroverse um die Moneta­ri­                             kation.2 In dem Maße, in dem Engagement sich
sierung von Engagement, die im Zweiten Engage­                             digitalisiert und über soziale Medien kommuni-
ment­bericht thematisiert wird. Das vermehrte                              ziert wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass
Auf­kommen von Sozialunternehmen, die aus                                  Engagierte unziviler Kommunikation begegnen
einer gemeinnützigen Idee Geschäftsmodelle                                 und auf diese reagieren müssen.
entwickeln, fügt dieser Debatte eine aktuelle
Dimension hinzu. Da Menschen auch unabhän-                                 Vor dem Hintergrund der Digitalisierung hat
gig von einer Monetarisierung innerhalb ihres                              sich der Dritte Engagementbericht vor allem
Engagements unter Umständen persönliche                                    mit den Spannungen, die zwischen institutio­
Vorteile erzielen, wie zum Beispiel hilfreiche                             nalisiertem und nicht-institutionalisiertem
Kontakte zu knüpfen oder die Voraussetzungen                               politisch-gesellschaftlichem Handeln bestehen,

2    Unter unzivilem Engagement sind Tätigkeiten zu verstehen, die nicht im Einklang mit der deutschen Verfassung und Rechtsordnung stehen.
     Die Verfasserinnen und Verfasser des Zweiten Engagementberichts plädieren für ein verbindlich an den Menschenrechten ausgerichtetes
     Verständnis von Engagement und grenzen es deutlich von nicht förderwürdigem Engagement extremistischer Gruppierungen ab. Diesem
     normativen Verständ­nis von Engagement schließt sich die Kommission des Dritten Engagementsberichts an.

10
1 Engagement im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen

beschäftigt. Unter nicht-institutionalisiertem          Für den Dritten Engagementbericht erscheinen
Handeln versteht der Dritte Engagementbericht           dabei zwei Perspektiven besonders relevant: die
informelles Engagement, das außerhalb förm­li­          Digitalisierung des bestehenden Engagement­
cher, langfristig angelegter Organisations­struk­       sektors und das sich neu herausbildende digitale
turen, wie etwa dem Verein oder der Partei,             Engagement. Die Digitalisierung des Engagement-
stattfindet. Der Unterschied zwischen institu­          sektors bezeichnet den Aufbau digitaler Infra-
tionalisiertem und nicht-institutionalisiertem          strukturen und die Nutzung digitaler Werkzeuge,
Handeln besteht somit weniger in den Zielen             also den Wandel von Kommunikationsformen
und Aktionsformen als im jeweiligen Organi­             und -verfahren. Im Unterschied dazu meint digi-
sationsgrad. Aus heutiger Sicht stützen sich            tales Engagement Organisationsformen und
moderne Demokratien auf beide Formen poli-              Handlungsmuster, die durch die Auseinander­
tisch-gesellschaftlichen Handelns. Allerdings           setzung mit digitalen Infrastrukturen, Diensten
hat sich das Verhältnis zwischen institutionali­        und Daten überhaupt erst zustande kommen, in
siertem und nicht-institutionalisiertem Han-            diesem Sinne also grundlegend neue Typen des
deln in den letzten Jahrzehnten immer wieder            Engagements darstellen.
neu aus­gerichtet. Bis in die späten 1960er-Jahre
wurde gesellschaftspolitische Beteiligung über-         Um beide Perspektiven gleichermaßen zu berück-
wiegend mit der Teilnahme an Wahlen sowie               sichtigen hat die Sachverständigenkommission
einem Engagement in Parteien, Gewerkschaften            im Prozess der Berichtsarbeit den Dialog mit
und Verbänden gleichgesetzt. Entsprechend               zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern aus
hatten spontane und nicht-institutionalisierte          der Praxis des Engagements gesucht. Zu Gast
Beteiligungsformen mit Legitimationsproble-             waren Sprecherinnen und Sprecher aus Vereinen,
men zu kämpfen. Seither hat nicht-institutio­           Verbänden, Aktivistinnen und Aktivisten sowie
nalisiertes politisches und zivilgesellschaftliches     engagierte Jugendliche und junge Erwachsene.
Handeln an Anerkennung und Selbstverständ­              Das Ziel der Gespräche mit ihnen war herauszu-
lichkeit gewonnen.                                      finden, welche Erfahrungen, Gestaltungsräume
                                                        und Effekte die Praktikerinnen und Praktiker
Ein zweites, für den Dritten Engagementbericht          aus den verschiedenen Feldern des Engagements
besonders relevantes, Spannungsfeld zeigt sich          mit der Digitalisierung verbinden. Neben den
zwischen Engagement und den Zugängen zum                wissenschaftlichen Befunden, die der Bericht
Engagement. So werden dem gesellschaftlichen            versammelt, bilden diese Gespräche eine wichtige
Engagement in der Fachdiskussion einerseits             zusätzliche Erkenntnisquelle, da Stimmen aus der
große Potenziale für die soziale Integration zu­        Praxis manche Bedarfe, Probleme oder Erfahrun-
geschrieben, andererseits wird in einschlägigen         gen besonders pointiert beschreiben können. Der
Studien immer wieder auf soziale Ungleichheiten         Bericht spiegelt die Mehrstimmigkeit, Methoden-
im Engagement verwiesen. Die Forschung bestä-           sowie Perspektivenvielfalt in den fünf Abschnitten
tigt bisher, dass sich Menschen aus ressourcen­         zu verschiedenen Aspekten des Engagements in
ärmeren Schichten deutlich seltener gesellschaft-       einer sich zunehmend digitalisierenden Gesell-
lich engagieren als jene mit höherem Einkommen          schaft wider.
und besserer Bildung.

Der Begriff der Digitalisierung, so wie er im
Dritten Engagementbericht verwendet wird,
bezeichnet schließlich eine vielschichtige
­Entwicklung, die in technischen Übersetzungs­
 prozessen ihren Ausgang nimmt und sukzessive
 sämtliche Bereiche der Gesellschaft durchdringt
 und damit auch auf die Spannungsfelder einwirkt.

                                                                                                            11
2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter

     2                  Engagement junger
                        Menschen im digitalen
                        Zeitalter

Einen Spendenaufruf für einen guten Zweck                                 Mit insgesamt 1.006 Jugendlichen und jungen
starten, zum nächsten Mitgliedertreffen des                               Erwachsenen wurden persönliche Interviews zu
Ver­eins per Social-Media-Aufruf einladen, auf                            ihrem Engagement durchgeführt. Die Ergebnisse
gesell­schafts­politische Themen mit einem Online-­                       der Untersuchung zeigen deutlich, welch hohen
Video aufmerksam machen, eine Petition unter-                             Stellenwert das gesellschaftliche Engagement für
zeichnen – die Möglichkeiten, sich über und/                              junge Menschen heute hat: 63,7 Prozent aller Be-
oder für das Internet zu engagieren, sind heute                           fragten gaben an, sich in den letzten zwölf Mona-
mannigfaltig. Die Frage danach, welche Rolle                              ten für einen gesellschaftlichen Zweck eingesetzt
Digitalisierungsprozesse für das gesellschaftliche                        zu haben. Obwohl Engagement immer noch am
Engagement insbesondere junger Menschen                                   häufigsten in klassischen Organisations- bezie-
spielen, ist aus zwei Gründen besonders relevant.                         hungsweise Vereinsbezügen stattfindet (64,2 Pro-
Zum einen eignen sich Kinder und Jugendliche                              zent), stellt sich dennoch heraus, dass die jungen
Medieninnovationen besonders schnell an und                               Engagierten vermehrt auch außerhalb traditionel-
unterscheiden kaum noch zwischen online und                               ler Strukturen agieren und informelle Gruppen
offline sein. Zum anderen gestaltet die junge                             gründen (30,3 Prozent). Viele Engagierte schätzen
Generation auch durch ihre digitale Lebenspraxis                          zudem die Möglichkeiten des Internets, um sich
und ihre Werte den zukünftigen, demokratischen                            einzubringen: Knapp jede beziehungsweise jeder
und partizi­pativen Stand der Gesellschaft mit.                           Fünfte (21,9 Prozent) ist in online organisierten
                                                                          Gruppen aktiv.
Bisher gibt es nur wenig aussagekräftige Studien,
die sich mit dem gesellschaftlichen Engagement                            Unabhängig vom strukturellen Rahmen des
junger Menschen im digitalen Zeitalter befassen.                          Engagements zeigt sich der zur Gewohnheit
Deshalb wurde im Rahmen der Arbeiten zum                                  gewordene Umgang der jungen Menschen mit
Dritten Engagementbericht eine eigene Jugend-                             digitalen Medien bei der Frage, welche Rolle
studie, die DEB-Jugendbefragung 2019, durch­                              Internet und soziale Medien für ihre Engagement-
geführt. Die Studie erfasst Inhalte, Formen und                           aktivitäten spielen. Immerhin 43,2 Prozent der
Organisationsweisen des Engagements Jugend-                               engagierten Befragten lassen sich als digital
licher. Darüber hinaus ermittelt sie die Relevanz                         Engagierte beschreiben, die ihr Engagement
und Rolle sozialer Medien für die Engagement­                             teilweise (26,1 Prozent aller Engagierten), über­
tätigkeiten junger Menschen.                                              wiegend (14,4 Prozent) oder sogar vollständig
                                                                          (2,7 Prozent) mittels digitaler Medien ausüben.3
                                                                          Ein relevanter Anteil des Engagements Jugend­
                                                                          licher findet damit digital vermittelt statt.

3    Alle anderen Befragten, die digitale Medien kaum oder gar nicht für ihr Engagement nutzen, werden im Rahmen der DEB-Jugendbefragung
     als „kaum digital Engagierte“ bezeichnet (56,8 Prozent aller Engagierten).

12
2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter

Engagementbereiche

           Sport und Bewegung                                                                                                              42
                                                                                                                                            43

                Sozialer Bereich                                                                            29
                                                                                                                                      40

       Freizeit und Geselligkeit                                                                     26
                                                                                                                               37

   Umwelt-, Natur-, Tierschutz
                                                                                              23
                                                                                                                     33
  Unfall- oder Rettungsdienst,                                                                23
         Freiwillige Feuerwehr                                                16
                Kirchlicher oder                                                     19
               religiöser Bereich                                        14

               Kultur und Musik
                                                                              16
                                                                                              23

      Schule oder Kindergarten                                                16
                                                                               17
 Außerschulische Jugendarbeit
       oder Bildungsarbeit für
                                                                            15
                  Erwachsene                                                                 22

            Gesundheitsbereich                                              15
                                                                            15
Berufliche Interessenvertretung                                 9
        außerhalb des Betriebes                                          14
           Politik und politische                               9
           Interessenvertretung                                                               23
                     Justiz oder                                9
         Kriminalitätsprobleme                                  9
                                     0                     10                      20                     30                     40                     50
                                                                                                   Kaum digital Engagierte            Digital Engagierte

Abbildung 1: Engagementbereiche (Antwort: „Trifft zu“, Mehrfachantworten möglich. Basis: Engagierte, n=639, geringe Abweichungen der Fallzahlen durch
einzelne fehlende Antworten; Quelle: Dritter Engagementbericht 2020), Angaben in Prozent

Vergleicht man die Engagementfelder der digital                                  Auch hinsichtlich der Motive zeigen sich Unter-
und der kaum digital Engagierten, zeigen sich                                    schiede zwischen den beiden Gruppen: „Spaß“
interessante Unterschiede. Beispielsweise sind                                   und „Geselligkeit“ nehmen für die kaum digital
in vielen Feldern wie Kultur, Freizeit, aber auch                                Engagierten die ersten Rangplätze ein, während
Politik und Umweltschutz die digital Engagier-                                   bei den digital Engagierten „etwas Sinnvolles zu
ten überproportional vertreten, während in den                                   tun“ und „für die Gesellschaft etwas bewegen“
Feldern des kirchlichen Engagements oder der                                     die obersten Ränge der Antworten belegen.
Rettungsdienste deutlich weniger digital Enga-                                   Unverbindlichkeit und zeitliche Selbstbestim-
gierte zu finden sind. Darüber hinaus eignen sich                                mung haben zudem bei ihnen ein stärkeres
digitale Medien laut der Befragten sehr gut, um                                  Gewicht als bei denjenigen, die sich seltener
sich auch informell für ein Thema einzusetzen:                                   digitaler Medien für ihr Engagement bedienen.
Mit 40 Prozent ist der Anteil der in selbstorgani-
sierten Gruppen Tätigen unter den digital Enga-                                  Generell erfüllen soziale Medien eine wichtige
gierten fast doppelt so hoch wie unter den kaum                                  Funktion im Engagement: Für 58,1 Prozent der
digital Engagierten (22,6 Prozent).                                              Befragten sind sie für Organisationszwecke wichtig.

                                                                                                                                                        13
2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter

Die Vorteile der sozialen Medien und des Inter-                                   Chats seine Meinung zu äußern (29,1 Prozent),
nets für das Engagement sehen die Befragten                                       Inhalte auf dem eigenen Profil zu teilen (28,1 Pro-
vor allem darin, freier entscheiden zu können,                                    zent) und die Meinung anderer öffentlich zu kom-
wofür (72,7 Prozent) und wann (71,9 Prozent)                                      mentieren (27,3 Prozent). Diese Aktivitäten, die
man sich engagiert. Ein großer Anteil der Befrag-                                 explizit politische oder gesell­schaft­liche Inhalte
ten gab zudem an, dass sich durch das Internet                                    thematisieren und die man durchaus als Engage-
und die sozialen Medien völlig neue Themenfel-                                    ment-relevant betrachten kann, fallen im Vergleich
der für soziale Aktivitäten auch jenseits des eige-                               zu den oben genannten Aktivitäten wie dem Wei-
nen Wohnortes ergeben (65,3 Prozent). Mehr als                                    terleiten von allgemeinen Beiträgen oder Teilen
ein Viertel der engagierten jungen Menschen                                       von Inhalten auf dem eigenen Profil anteilsmäßig
(28,7 Prozent) nutzt das Internet und soziale                                     deutlich geringer aus.
Medien, weil sie vor Ort sonst keine für sie passen-
den Engagementmöglichkeiten vorfinden. Online­                                    Fragt man die Jugendlichen nach ihren politisch-­
basierte Engagementangebote scheinen insbeson-                                    gesellschaftlichen Tätigkeiten im Internet, erzielen
dere für einen Teil der Jugendlichen in ländlichen                                die digital Engagierten zwar erwartbar die höchs-
Regionen eine Ersatzfunktion inne­zuhaben, die                                    ten Beteiligungswerte, politisch-gesellschaftliche
ihnen ein für ihre persönlichen Interessen sowie                                  Online-Aktivitäten gibt es aber durchaus auch in
zeitlichen und sozialen Ressourcen individuelles                                  den Gruppen, die angaben, kaum digitale Medien
Engagement ermöglicht.                                                            für ihr Engagement zu nutzen oder sich über-
                                                                                  haupt nicht zu engagieren. So üben die bisher
Schaut man nun auf konkrete Aktivitäten junger                                    nicht Engagierten Aktivitäten aus wie interes­sante
Menschen im Netz, so ist bei allen befragten                                      Beiträge mit politisch-gesellschaftlichem Inhalt
Jugendlichen das Weiterleiten von allgemeinen                                     weiterleiten (21,4 Prozent), Aussagen anderer
Beiträgen die beliebteste Aktivität (von 62 Pro-                                  öffentlich kommentieren (16,2 Prozent), öffent-
zent mindestens mehrmals pro Monat ausgeübt),                                     lich etwas auf dem eigenen Profil teilen (15,7 Pro-
gefolgt von allgemeinen Meinungsäußerungen im                                     zent) oder in Foren oder Chats die eigene Meinung
Internet und den sozialen Medien (52,7 Prozent)                                   zu politisch-gesellschaftlichen Themen sagen
sowie dem Teilen von Inhalten auf dem eigenen                                     (15,2 Pro­zent). Die Beteiligung am politischen
Profil (49,7 Prozent). Auch bei explizit politischen                              Diskurs im Netz und das Ausüben ent­sprechender
oder gesellschaftlichen Inhalten rangiert das Wei-                                kommunikativer Online-Aktivitäten haben damit
terleiten von interessanten Beiträgen an erster                                   in der Selbsteinschätzung der Jugendlichen nicht
Stelle (37,8 Prozent), gefolgt davon, in Foren oder                               zwangsläufig den Status eines Engagements.

Gründe für Internetnutzung im Engagement

           Freier entscheiden, wofür man sich engagiert                                                                                73
           Freier entscheiden, wann man sich engagiert                                                                                72
Für verschiedene Dinge und Themen gleichzeitig einsetzen                                                                               72
                Gut nutzbar für das Engagement vor Ort                                                                              69
                      Mehr für die Gesellschaft bewegen                                                                          66
      Eröffnet andere Themen als Engagement vor Ort                                                                             65
  Vor Ort gibt es keine Möglichkeit, sich zu engagieren                                        29
                                                                 0                20                40                 60                80                 100

Abbildung 2: Gründe für Internetnutzung im Engagement (Antwort: „Trifft eher zu“/„Trifft voll zu“. Basis: Engagierte, n=436–440, geringe Abweichungen der
Fallzahlen durch einzelne fehlende Antworten; Quelle: Dritter Engagementbericht 2020), Angaben in Prozent

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2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter

Politische und gesellschaftliche Tätigkeiten im Internet

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       Meinung in Foren oder
                                                                 15
Online-Gruppen/Chats gesagt
                                                                          22
                                                                                                                            56

     Inhalte öffentlich auf dem
                                                                 16
                                                                            23
          eigenen Profil geteilt
                                                                                                                      52

 Aussagen anderer im Internet
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                kommentiert
                                                                                                                   50

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  Blog oder Webseite gepflegt                       7
                                                                                         32

                                            2
        An Hashtag-Bewegung
                                                4
                     beteiligt
                                                                                   28

                                            2
   Bei Wiki-Seiten mitgemacht                   4
                                                                   17

                                            2
 Online-Gruppe mitgegründet                  3
                                                                 16

                                           1
 Online-Spendenaufruf geteilt               2
                                                                 15

                                         0
         Online Geld gespendet            1
                                                            14

                                     0                            20                            40                           60                             80

                                                                       Nicht-Engagierte              Kaum digital Engagierte            Digital Engagierte

Abbildung 3: Politische und gesellschaftliche Tätigkeiten im Internet (Antwort: „Täglich“/„Mehrmals pro Woche“/„Mehrmals im Monat“. Basis: Alle Befragte,
n=1.001–1.004, geringe Abweichungen der Fallzahlen durch einzelne fehlende Antworten; Quelle: Dritter Engagementbericht 2020), Angaben in Prozent

                                                                                                                                                            15
2 Engagement junger Menschen im digitalen Zeitalter

Ihre digitale politische Kommunikation nimmt                                           lage für politische Beteiligung, sondern auch für
ein Teil der jungen Menschen demnach selbst                                            gesellschaftliches Engagement. Laut der DEB-­
nicht als Engagement wahr und unterschätzt                                             Jugendbefragung schätzten die digital Engagierten
womöglich auch sein Einflusspotenzial auf gesell-                                      ihre eigene politische Kompetenz und ihren per-
schaftliche Entwicklungen. Die positive Selbst-                                        sönlichen Einfluss auf politische Prozesse als ein-
wahrnehmung des eigenen Wissens und eigener                                            zige Gruppe überdurchschnittlich ein. Die kaum
Kompetenzen, wenn es um gesellschaftliche                                              digital Engagierten liegen bei einem mittleren
Zusammenhänge, Themen und Einflussmöglich-                                             Wert, während sich die Nicht-Engagierten noch
keiten geht, ist nicht nur eine wichtige Grund­                                        klar darunter befinden.

Einschätzung politischer Selbstwirksamkeit

4

                                                                                                                               2,9
3

                         2,3                                                2,5
2

1

0

                   Nicht-Engagierte                                Kaum digital Engagierte                               Digital Engagierte

Abbildung 4: Einschätzung politischer Selbstwirksamkeit (Mittelwert der Antwortskala 1 „Trifft nicht zu“ bis 4 „Trifft voll zu“ von vier Frage-Items. Basis: Alle
Befragte, n=987, geringe Abweichungen der Fallzahlen durch einzelne fehlende Antworten; Quelle: Dritter Engagementbericht 2020), Angaben in Prozent

Die DEB-Jugendbefragung liefert vor dem Hinter-                                         Beteiligung junger Menschen des Hauptschul-
grund dieser unterschiedlichen Wahrnehmung                                              zweigs an politisch-gesellschaftlichen Themen
der Selbstwirksamkeit auch Erkenntnisse in Bezug                                        im Internet. Während bei der allgemeinen
auf bildungsbezogene Ungleichheiten des Engage-                                        ­Mediennutzung kaum Unterschiede bestehen,
ments, die sich im Bereich der digitalen Kommu-                                         kommentieren junge Menschen aus gymna­sia­
nikation eher fortsetzen als vermindern: Mit                                            len Bildungswegen häufiger Beiträge mit poli­
47,2 Prozent sind Jugendliche, die eine Haupt-                                          tisch-gesellschaftlichen Inhalten (33,7 versus
schule besuchen, seltener gesellschaftlich enga-                                        18,6 Prozent), äußern öfter ihre Meinung zu
giert als Jugendliche, die zur Realschule (61,1 Pro-                                    politisch-­gesellschaftlichen Themen in Foren
zent) oder zum Gymnasium (73,2 Prozent) gehen.                                          oder Online-Gruppen (36,6 versus 17,6 Prozent)
Hier ist ein deutliches bildungsbezogenes Gefälle                                       und leiten häufiger Inhalte mit politisch-gesell-
zu erkennen. Das Ausmaß dieser Kluft im Engage-                                         schaftlichem Inhalt an Dritte weiter (42,7 versus
ment zeigt sich zudem anhand der geringeren                                             27 Prozent).

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3 Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter

    3                   Neue Formen des
                        Engagements im digitalen
                        Zeitalter

Hier ein Klick, dort ein Klick – schon ist eine                              Das öffentliche Teilen (Sharing) von Inhalten so-
Online-Petition unterzeichnet oder ein Spenden-                              wie das öffentliche Reagieren auf diese geteilten
aufruf in sozialen Medien geteilt. Mit der Lang­                             Inhalte durch andere Nutzerinnen und Nutzer
fristigkeit und Verbindlichkeit von traditionellem                           in sozialen Medien sind wohl zwei der grundle-
Engagement hat dieses Handeln auf den ersten                                 gendsten und am weitesten verbreiteten digitalen
Blick wenig gemeinsam. Neue digitale Formen                                  Engagement-relevanten Praktiken. Das Teilen in
des Engagements sind zumeist punktuell, schnell                              sozialen Medien kann dann als überaus einfache
und häufig individuell. Nicht weiter verwunder-                              und voraussetzungsarme Form des Engagements
lich also, dass Online-Engagement und -Beteili-                              verstanden werden, wenn damit etwa politische
gung in den letzten 20 Jahren häufig vorschnell                              Anliegen vertreten, Proteste oder Spendenauf­
als Slacktivism abgetan wurden.4                                             rufe organisiert oder auf gemeinnützige Projekte
                                                                             hingewiesen wird. Es erfolgt durch die Veröffent­
Doch weder müssen neue Formen des Engage-                                    lichung von Links oder das Verfassen kurzer eige-
ments wirkungslos sein, noch ist es sinnvoll, Neues                          ner Texte, Bilder und/oder Videos, dem Micro­
und Altes gegeneinander auszuspielen. Denn neue                              blogging. Auf die in sozialen Medien geteilten
Varianten des Engagements ersetzen keineswegs                                Inhalte können andere Nutzerinnen und Nutzer
etablierte Formen, sie treten vielmehr an ihre Seite.                        reagieren, etwa durch das Klicken des Like-Buttons
Von jungen Menschen werden beide Formen des                                  bei Facebook oder indem sie den Beitrag kommen-
Engagements selbstverständlich kombiniert. Ob                                tieren. Zudem besteht in den sozialen Medien
das Teilen Engagement-relevanter Inhalte in                                  die Möglichkeit, Beiträge anderer Nutzerinnen
sozialen Medien, Crowdsourcing, Participatory                                und Nutzer wiederum mit dem eigenen Kontakt-
Mapping oder Civic Tech – gesellschaftlich Enga-                             netzwerk zu teilen. So bekommt der Beitrag eine
gierte nutzen die vielfältigen Möglichkeiten                                 öffentliche Aufmerksamkeit, welche das spezi­
digitaler Informations- und Kommunikations-                                  fische Kontaktnetzwerk der Nutzerin oder des
technologien auf innovative Weise.                                           Nutzers, die oder der den Beitrag ursprünglich
                                                                             veröffentlicht hat, übersteigt.

4   Der sich aus dem englischen Verb „to slack“ (deutsch: trödeln) und dem
    Nomen „activism“ (deutsch: Aktivismus) zusammensetzende Begriff wird
    meist, aber nicht immer abfällig verwendet.

                                                                                                                                17
3 Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter

Digitales Engagement geht jedoch über die Nut-                              tory Mapping ist etwa Wheelmap. Die Initiatorin-
zung sozialer Medien weit hinaus. Digitale Infra-                           nen und Initiatoren von Sozialhelden e. V. wollen
strukturen ermöglichen nämlich auch gänzlich                                damit eine Karte barrierefreier Orte schaffen, die
neue Formen der kollektiven Bearbeitung von                                 mobilitätseingeschränkten Menschen den Alltag
und Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen                               erleichtert und gleichzeitig gesellschaftliche
Fragen und Problemen. Eine solche Engagement-                               Akteurinnen und Akteure anregt, mehr Orte
praxis ist beispielsweise das sogenannte Citizen                            barrierefrei zu gestalten.
Sourcing, eine Form des Crowdsourcings5. Dabei
mobilisieren politische Institutionen – wie Partei-                         Neben Engagement-relevanten Praktiken und
en oder Ministerien – Bürgerinnen und Bürger,                               Formaten ändern sich durch die Digitalisierung
bestimmte öffentliche Probleme zu adressieren                               auch die Themen des Engagements beziehungs-
beziehungsweise zu bearbeiten. Oft dient dabei                              weise die Arten und Weisen des Umgangs mit
eine App oder eine Website als Schnittstelle.                               ihnen. Die digitale Gesellschaft erhebt die Mit­
Insbesondere Kommunen nutzen es als Innova­                                 gestaltung der digitalen Gesellschaft selbst zum
tions- und Verwaltungsinstrument, um die kollek-                            Thema, wie zum Beispiel im Bereich der Netzpoli-
tiven Problemlösungskapazitäten der Bürgerin-                               tik. Rund um das Internet haben sich in jüngster
nen und Bürger mit digitalen Mitteln verfügbar                              Zeit insbesondere zu einem modernen Urheber-
zu machen. Dabei kann es etwa um Ideenwettbe-                               recht und der Meinungsvielfalt im Netz breite
werbe für politische Maßnahmen gehen, in denen                              Debatten entzündet. Auch die Themen Leistungs-
Bürgerinnen und Bürger Vorschläge für aktuelle                              schutzrecht, Netzneutralität oder die Regulierung
Problemstellungen artiku­lieren können. Ein ande-                           von Algorithmen haben zu netzpolitischen Initia-
rer Anwendungsfall sind Reporting-Platt­formen,                             tiven geführt. Um sich zu diesen Themen aktiv
bei denen zum Beispiel Mängel der städtischen                               einzubringen, organisieren sich junge Engagierte
Infrastruktur durch Bürgerinnen und Bürger ge-                              im Rahmen neuer Veranstaltungsformate wie der
meldet werden können. Ein Beispiel für letzteres                            TINCON oder mithilfe von Onlineplattformen
ist der Maerker Brandenburg.                                                wie OPIN.

 Participatory Mapping (deutsch: partizipative                              Durch die digitale Vernetzung mit Gleichgesinn-
 Kartierung) ist eine Engagement-relevante                                  ten sowie der möglichen Anonymität digitaler
 Praktik, die bereits in den 1970er-Jahren entstan-                         Medien werden auch sehr persönliche Themen
 den ist, aber durch digitale Werkzeuge breitere                            verhandelbar, die sonst womöglich nur im priva-
 Anwendung erfährt. Die Methode ermöglicht es                               ten Erfahrungsraum diskutiert werden. Beispiels-
 Bürgerinnen und Bürgern, mit ihrem Wissen                                  weise tauschen sich junge Menschen über ihre
 und ihren Anliegen die Erstellung von Karten zu                            Erfahrungen und Empfindungen zu geschlecht-
 unterstützen. Im Gegensatz zum traditionellen                              licher Vielfalt aus, was wiederum digitales Engage-
 Top-down-Ansatz, bei dem die Erstellung von                                ment inspirieren kann. Ein Beispiel dafür ist das
 Karten einer spezialisierten Gruppe wie Plane­                             Trevor Project. Dabei handelt es sich um ein
 rinnen und Planern, Ingenieurinnen und Inge-                               Selbsthilfeprojekt von LGBTQI*-Jugendlichen6.
 nieuren vorbehalten ist, versucht Participatory                            Durch den anonymen Austausch finden Jugend-
­Mapping lokales Wissen diverser Bevölkerungs-                              liche hier einen angemessenen und geschützten
 gruppen zu sammeln und zu bündeln. Der par­                                Raum im Netz, um Fragen der sexu­ellen Orientie-
 tizipative Ansatz des Mappings versucht also                               rung, der eigenen Identität und individueller
 Informationen zu demokratisieren, das heißt,                               Krisen in einem geschützten Raum verhandeln zu
 Informationen für alle Bürgerinnen und Bürger                              können. Auch junge feministische Bewegungen,
 verfügbar zu machen. Ein Beispiel für Participa­                           die sich für mehr Inklusion und Vielfalt in der

5    Crowdsourcing ist ein Beispiel dafür, wie digitale Infrastrukturen auch und gerade gänzlich neue Formen der kollektiven Bearbeitung von
     Problemen ermöglichen. Damit wird eine Form der Arbeitsteilung bezeichnet, mit der mittels digitaler Medien eine prinzipiell uneingeschränkte
     Menge von Nutzerinnen und Nutzern aufgerufen wird, sich kollektiv an einer bestimmten Arbeitsaufgabe oder Problemlösung zu beteiligen.
     Im Kontext von Engagement erlaubt Crowdsourcing Formen der Mit- und Zuarbeit, die wesentlich punktueller sein können als klassische
     analoge Formen.
6    Die Abkürzung LGBTQI* steht hier für die englischen Begriffe für lesbisch, schwul, sowie bi-, trans- und intersexuell.

18
3 Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter

Entwicklung von Technologien einsetzen, bieten      Entstehung und Vernetzung sowie zur Sichtbar-
Anlaufstellen um voneinander zu lernen und          keit der Bewegung beigetragen. Die Aktivistinnen
Räume für Vernetzung im Internet.                   und Aktivisten der Fridays for Future-Bewegung
                                                    greifen in ihrem Engagement auf eine Vielzahl
Des Weiteren machen Civic-Tech-Projekte digitale    digitaler Plattformen zurück, die sie für Tätigkei-
Infrastrukturen und Werkzeuge zum Gegenstand        ten wie die interne Organisation, die Planung
ihres Engagements. Mit Civic Tech sind Techno­      von Aktionen, die Gewinnung neuer Unterstütze-
logien bezeichnet, die aus der Zivilgesellschaft    rinnen und Unterstützer oder die Presse- und
heraus entwickelt werden. Im Rahmen des Pro-        Öffentlichkeitsarbeit einsetzen.
gramms Jugend hackt beispielsweise entwickeln
junge Teilnehmende mit der Unterstützung von        Wie die Beispiele zeigen, ändern sich neben den
ehrenamtlichen Mentorinnen und Mentoren             Praktiken und Inhalten auch die Organisationsfor-
Technologien und Konzepte für eine bessere          men von Engagement. Obwohl dauerhaft angeleg-
Zukunft. Die Ergebnisse reichen etwa von Luft­      te Organisationen wie Vereine und Verbände nach
verschmutzungsmessern über Zugverspätungs-          wie vor eine zentrale Rolle im Engagement spielen,
übersichten bis hin zu Apps zur Vermeidung von      lässt sich auch eine Zunahme von Engagement in
Lebensmittelverschwendung.                          flexibleren Organisationsformen wie Schwärmen,
                                                    Netzwerken und Gemeinschaften beobachten.
Am Beispiel der Bewegung Fridays for Future
wird deutlich, dass im jungen Engagement heute
gesellschaftlich bereits vertraute Themen neu
und radikaler adressiert werden, indem Jugend-
liche sie als ihre Themen besetzen. Initiiert von
einer einzelnen jungen Frau, Greta Thunberg, hat
sich innerhalb kurzer Zeit eine globale Bewegung
junger Aktivistinnen und Aktivisten vernetzt, die
ein gemeinsames Anliegen haben: den Klima-
schutz. Die Möglichkeiten sozialer Medien haben
maßgeblich zum Umfang, zur Schnelligkeit der

                                                                                                       19
3 Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter

                                                         Schwarmhandeln meint hier die meist nicht aufeinan-
                                                         der abgestimmten, kollektiven Hand­lungen Einzelner.
                                                         So können Bürgerinnen und Bürger etwa unabhängig
                                                         voneinander Protestmaßnahmen unterstützen, Geld
                                                         für wohltätige Zwecke spenden oder aus politischen
                                                         Gründen Produkte boykottieren. Jede einzelne Hand-
                                                         lung ist für sich gesehen zwar flüchtig und gegebe­
                                                         nenfalls von geringer Tragweite, aber die kollektive
                                                         Anhäuf­ung solcher Handlungen ist potenziell sehr
                     SCHWARM                             wirkmächtig.

                                                         Engagement in Netzwerken erscheint demgegenüber
                                                         organisierter und zeitlich stabiler als das Schwarm­
                                                         handeln. Außerdem bestehen zwischen den Mitglie-
                                                         dern eines Netzwerks häufig (lose) Beziehungen. Eine
                                                         verbreitete Form des netzwerkförmigen Engagements
                                                         ist das Crowdsourcing, also auch das oben beschriebe-
                                                         ne Citizen Sourcing. In dieser Form der digital vermit-
                                                         telten Arbeitsteilung beteiligt sich eine prinzipiell
                                                         unbeschränkte Anzahl von Nutzerinnen und Nutzern
                  NETZWERK                               an der Lösung einer Aufgabe oder Problemstellung.

                                                         Als weiterer Typus entstehen auch digital vermittelte
                                                         Formen von Gemeinschaftlichkeit. Hier spielen geteilte
                                                         Werthaltungen und Identifikationsmöglichkeiten eine
                                                         entscheidende Rolle. Digital vermittelte Gemeinschaf-
                                                         ten bauen nicht auf Tradition und Herkunft auf.
                                                         Kollektive Identitäten können beispielsweise durch
                                                         geteilte Interessen, den Glauben an eine Leitidee (etwa
                                                         bei Open-Source-Software) oder gemeinsame politi-
                                                         sche Ziele entstehen und mithilfe digitaler Medien
                GEMEINSCHAFT                             gesellschaftliche Wirkungen entfalten.

                                                         Formale Organisationen sind der etablierte Fall, mit
                                                         dem sich Engagementhandeln strukturiert. Sie besit-
                                                         zen typischerweise eine eigene Rechtsform, eigene
                                                         Regelwerke und greifen arbeitsteilig auf gemeinsame
                                                         Ressourcen zu. Beispiele für Engagement-Organisatio-
                                                         nen sind vorrangig Vereine, Stiftungen oder gemein-
                                                         nützige GmbHs (gGmbHs). Eine detaillierte Auseinan-
                                                         dersetzung mit Engagement-­Organisationen erfolgt
                 ORGANISATION                            im nächsten Abschnitt.

20
4 Die Digitalisierung des Engagementsektors und seiner Organisationen

   4              Die Digitalisierung des
                  Engagementsektors und
                  seiner Organisationen

Vereine, Stiftungen, Sozialunternehmen und              In dieser Studie wurden 61 Vereine, Stiftungen
Genossenschaften – sie alle sind Organisationen,        und Sozialunternehmen (gGmbHs und gUGs)
in denen ein großer Teil des gesellschaftlichen         zu ihrer Auseinandersetzung mit der Digitalisie-
Engagements in Deutschland stattfindet. Da ist          rung, ihren allgemeinen Herausforderungen, aber
auch das Engagement junger Menschen keine               auch zu ihrem Engagement in Bezug auf Digita­
Ausnahme. Im Gegensatz zu neuen digitalen               lisierung befragt. Die Befunde der Studie zeigen,
Formen der Beteiligung bestehen Engagement-­            dass sich im heterogenen Engagementsektor auch
Organisationen häufig über einen langen Zeit-           der Umgang mit Digitalisierung sehr unterschied-
raum. Sie nehmen die Digitalisierung daher als          lich darstellt. Dieser unterschiedliche Umgang
Strukturwandel wahr. Dieser Strukturwandel              mit Digitalisierung lässt sich in fünf verschiede-
bietet große Potenziale, die Arbeit der Engage­         nen Typen von Engagement-Organisationen
ment-­Organisationen zu erleichtern, beispiels­         bebildern und genauer darstellen: den aktiv Vor-
weise in der Öffentlichkeitsarbeit, der Personal-       denkenden, den tatkräftig Vermittelnden, den
und Programmentwicklung, der Gewinnung                  ressourcenstark Gestaltenden, den pragmatisch
von Engagierten oder in der Finanzierung. Aller-        Nutzenden und den zurückhaltend Skeptischen.
dings stellt die Digitalisierung für einige Organi­
sationen auch eine zusätzliche Herausforderung
dar und Potenziale bleiben ungenutzt. Wie gehen
also Engagement-Organisationen mit den Mög-
lichkeiten und Herausforderungen der Digitalisie-
rung um, wie gestalten sie den digitalen Wandel?

Um den Umgang des organisierten Engage­
mentsektors mit der Digitalisierung besser zu
verstehen, wurde im Rahmen des Dritten Enga­
gementberichts eine qualitative Studie unter
Engagement-Organisationen durchgeführt.

                                                                    „Wie gestalten
                                                      Engagement-­Organisationen
                                                           den digitalen Wandel?“

                                                                                                              21
4 Die Digitalisierung des Engagementsektors und seiner Organisationen

Abbildung 5 und 6: Typ
                                         Rechtsform: Sozialunternehmen, Stiftungen und Vereine
                                         Personal: Vorrangig hauptamtlich, vereinzelt ehrenamtlich
                    AKTIV
                                         Digitalisierung der Organisation: Organisationen sind digitalisiert
                    VORDENKEN
                                         Motivation: Entwicklung von Konzepten und politischen Forderungen
                                         Herausforderungen und Hürden: Politische Regulierungen, Datenschutz,
                                         finanzielle Ressourcen
                                         Einstellung zu Digitalisierung: Proaktiv

                                         Rechtsform: Sozialunternehmen, Stiftungen, Vereine und Verbände

                   TATKRÄFTIG            Personal: Häufig von Engagierten getragen, teilweise haupt­amtliches Personal
                                         Digitalisierung der Organisation: Nutzung digitaler Tools für Bildung und Vermittlung
                   VERMITTELN
                                         Motivation: Multiplikatoren für Digitalisierung
                                         Herausforderungen und Hürden: Medienkompetentes Personal, geeignete Tools
                                         Einstellung zu Digitalisierung: Proaktiv

                                         Abbildung 5 und 6: Typ der aktiv Vordenkenden und Typ der tatkräftig Vermittelnden.
                                         Quelle: Dritter Engagementbericht 2020

Zu den aktiv Vordenkenden gehören Sozialunter-                      voranzutreiben, entweder in Schulen, in außer-
nehmen, Stiftungen und Vereine, die in der Regel                    schulischen Bildungsinstitutionen oder auch in
hauptamtlich getragen werden. Sie nutzen die                        der Gemeinde vor Ort. Es geht ihnen dabei vor
Potenziale der Digitalisierung und widmen sich in                   allem um die alltäglichen Hürden der Digitalisie-
proaktiver Weise auch inhaltlich Digitalisierungs-                  rung, wie etwa den Umgang mit Hate Speech, die
themen. Sie bringen sich in den politischen Dis-                    Schulung von Seniorinnen und Senioren in der
kurs über Digitalisierung ein, indem sie Veranstal-                 Nutzung des Internets oder die Unterstützung
tungen organisieren, Lobby-Gespräche führen                         von anderen Engagement-Organisationen in
oder Diskussionspapiere zur Digitalisierung der                     Digitalisierungsfragen.
Zivilgesellschaft veröffentlichen. Organisationen
dieses Typs selbst sind digitalisiert und es eint sie               Bei den ressourcenstark Gestaltenden handelt
ein ausgeprägtes Engagement für die Sache.                          es sich überwiegend um Verbände. Sie haben
                                                                    hauptamtliches Personal und in der Regel weitere
Die tatkräftig Vermittelnden eint der Anspruch,                     Ressourcen, die es ihnen erlauben, Anforderungen
das Thema Digitalisierung über Bildungsangebote                     der Digitalisierung umzusetzen und Potenziale zu

22
4 Die Digitalisierung des Engagementsektors und seiner Organisationen

                  Abbildung 7, 8 und 9
                                         Rechtsform: Verbände

           RESSOURCEN-                   Personal: Mitgliedsorganisation mit hauptamtlichem Überbau
                                         Digitalisierung der Organisation: Einrichtung von Stellen und Strukturen zur Digitalisierung
           STARK GESTALTEN
                                         Motivation: Optimierung der eigenen Organisation und der Verbandsmitglieder
                                         Herausforderungen und Hürden: Digitalisierungsprozesse managen, medienkompetentes
                                         Personal
                                         Einstellung zu Digitalisierung: Proaktiv

                                         Rechtsform: Vereine

           PRAGMATISCH                   Personal: Fast ausschließlich Mitglieder und Engagierte, wenige Hauptamtliche
                                         Digitalisierung der Organisation: Nutzung digitaler Tools für Verwaltung und
           NUTZEN
                                         ­Öffentlichkeitsarbeit
                                         Motivation: Optimierung der eigenen Organisation
                                         Herausforderungen und Hürden: Finanzierung, Zeit, ­medienkompetentes Personal,
                                         geeignete Tools
                                         Einstellung zu Digitalisierung: Pragmatisch

                                         Rechtsform: Vereine
                                         Personal: Fast ausschließlich Mitglieder und Engagierte, wenige Hauptamtliche
            ZURÜCKHALTEND
                                         Digitalisierung der Organisation: Digitale Tools für Verwaltung
            SKEPTISCH                    Motivation: Andere Themen als Digitalisierung werden als drängender empfunden
                                         Herausforderungen und Hürden: Zeitliche und finanzielle Ressourcen
                                         Einstellung zu Digitalisierung: Reaktiv

                                         Abbildung 7, 8 und 9: Typ der ressourcenstark Gestaltenden, Typ der pragmatisch Nutzenden und
                                         Typ der zurückhaltend Skeptischen. Quelle: Dritter Engagementbericht 2020

realisieren. Dabei geht es ihnen hauptsächlich                      auf hauptamtliche Unterstützung zurückgreifen
darum, den eigenen Verband zu digitalisieren, um                    können und deren Engagement sich auf den
die eigene Arbeit aufrechterhalten und weiterent-                   Vereinszweck konzentriert, etwa die Förderung
wickeln zu können. Großorganisationen durchle-                      von Kultur, die Organisation einer Sportart oder
ben dabei oft komplizierte Abstimmungsprozesse,                     die Integration Geflüchteter.
denn Untergliederungen eines Verbandes können
auf der lokalen oder regionalen Ebene unterschied­                  Zuletzt gibt es den Typ der zurückhaltend Skep­
lich mit Digitalisierungsprozessen umgehen.                         tischen. Dies sind fast ausschließlich Vereine, die
                                                                    überwiegend ehrenamtlich und in der Regel auf
Für den Typ der pragmatisch Nutzenden ist die                       regionaler Ebene arbeiten. Sie eint eine gewisse
Digitalisierung ein Mittel zum Zweck, zum Bei-                      Skepsis bezüglich der Digitalisierung, die sie im
spiel um die Mitgliederverwaltung effizienter zu                    Vergleich zu den anderen Organisationstypen vor
gestalten. Einen Gestaltungsanspruch in Bezug                       allem als Herausforderung wahrnehmen. Beson-
auf digitale Themen haben diese Organisationen                      ders wenn Engagierte wenig digital affin sind und
eher nicht. Hier finden sich Vereine, die nur selten                daher die Risiken der neuen Möglichkeiten

                                                                                                                                         23
4 Die Digitalisierung des Engagementsektors und seiner Organisationen

systematisch über- und die Potenziale unterschät-                            Viele Engagement-­
zen, kann es dazu kommen, dass die Organisation                              Organisationen sind
unterstützende Optionen für sich nicht gewinn-                               hier – neben finanziellen
bringend nutzen kann. Insbesondere Zeit- und                                 Bedarfen – auf das Wissen
Geldknappheit, aber auch fehlende Kompetenzen                                und die zeitlichen Ressourcen
führen dazu, dass Organisationen den Anschluss                               ihrer Engagierten angewiesen, die
an digital agierende Zielgruppen und Engagierte                              sich in der Regel jedoch eher dem inhaltlichen
zu verlieren drohen.                                                         Kern ihres Engagements widmen wollen als
                                                                             der Digitalisierung ihrer Organisation. Obwohl
Aus diesen fünf Organisationstypen lassen sich                               Crowdfunding- und Engagement-Plattformen
grundsätzlich zwei unterschiedliche Herange-                                 für den Engagementsektor an Relevanz gewinnen,
hens- und Umgangsweisen mit der Digitalisie-                                 werden diese von vielen Organisationen kaum
rung im Engagementsektor erkennen: Ein Teil                                  genutzt. Gleiches gilt für Daten, die im Rahmen
der Orga­nisationen nimmt die Digitalisierung                                der Organisationsarbeit anfallen. Darüber hinaus
als eine schwer greifbare Herausforderung wahr,                              gibt es große Unsicherheiten im Umgang mit der
ein anderer Teil setzt die Potenziale einer gemein-                          Datenschutzgrundverordnung.
wohlorientierten Digitalisierung bereits aktiv um.
                                                                             Doch nicht alle Engagement-Organisationen
Der Teil der Organisationen, der in der Digitali­                            sehen in der Digitalisierung eine Herausforde-
sierung eher eine Herausforderung wahrnimmt,                                 rung. Der Teil der Engagement-Organisationen,
würde von gezielter Unterstützung stark profi­                               der die Potenziale einer gemeinwohlorientierten
tieren. Für diese Organisationen sind das Angebot                            Digita­lisierung bereits aktiv umsetzt, engagiert
an digitalen Infrastrukturen und die Vielfalt an                             sich in einem breiten Feld gesellschaftlicher
kommerziellen wie auch offenen Open-Source-­                                 Aktivitäten für digitale Themen. Als wichtige
Lösungen sehr unübersichtlich: Die DEB-Orga­                                 Multiplikatorinnen im Engagementsektor sollten
nisationenbefragung hat ergeben, dass die 61 be-                             diese Organi­sationen in ihren Aktivitäten unter-
fragten Organisationen in den unterschiedlichsten                            stützt werden, zum Beispiel durch spezifische
Bereichen ihrer Arbeit, wie Mitgliederverwaltung,                            Förderlinien. Als Digitalisierungsexpertinnen
Buchhaltung oder Kommunikation, 125 unter-                                   können sie weiterhin zum Aufbau regionaler und
schiedliche Tools verwenden. Darüber hinausge-                               thematischer Kom­petenzzentren beitragen. Die
hende Recherchen zu digitalen Infrastrukturen                                Beratungs-, Vernetzungs- und Interessenvertre-
für das Engagement haben zu einer Datenbank                                  tungsangebote solcher Kompetenzzentren
von mehr als 215 angebotenen Diensten geführt.7                              würden die langfris­tige und niedrigschwellige
Aufgrund von lückenhaften IT-Kenntnissen und                                 Förderung der Digitalisierung des Engagement-
-Kompetenzen in den Organisationen ist häufig                                sektors unterstützen.
unklar, welche Software für die Arbeit der eigenen
Organisation überhaupt geeignet und nutzbar ist.

7    Der Anhang 2 des Dritten Engagementberichts enthält die Übersicht zu den ermittelten Diensten und digitalen Infrastrukturen, die
     im ­Engagementsektor genutzt werden. Der Bericht empfiehlt an dieser Stelle keine Anbieter, sondern zeigt vor allem Einsatzgebiete und
     ­Potenziale digitaler Infrastrukturen auf.

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