Einführung ins Schwerpunkthema Nephrologie
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Fortbildung Einführung ins Schwerpunkthema Nephrologie Vor zwei Jahren hat ein Schwerpunktheft tet die evidenzbasierten, präventiven suffizienz bei gleichzeitig bestehender (HÄBL 7/8 2018) bereits mehrere Fortbil- Therapiemodalitäten. hochgradiger Niereninsuffizienz. Ihr zen- dungsartikel aus der Nephrologie vermit- Nephrologie ist immunologisch nicht nur trales Plädoyer ist, den mangels Verfüg- telt. Den aktuellen Autorinnen und Auto- beim Verständnis von glomerulären oder barkeit großer kontrollierter Studien oft ren sind wir sehr dankbar, dass sie drei interstitiellen Nierenerkrankungen gefor- vorbestehenden therapeutischen Neglect weitere, nephrologisch geprägte Fortbil- dert. Immunmodulatorische und immun- bei den vital hochgefährdeter Patienten dungen vorstellen: wiederum patienten- suppressive Therapien gehören bei trans- zu überwinden. Sie sprechen sich dafür orientiert mit Blick in die Breite sich plantierten Patienten zum Repertoire der aus, unter engen kardiologisch-nephrolo- vernetzender Schwerpunkte der Inneren Nephrologen. Die Nierenleistung beein- gischen Kontrollen durchaus moderne Medizin. flusst häufig auch die Pharmakokinetik RAAS- und Betarezeptorenblocker, die Zunächst ein nephrologischer Klassiker: solcher Medikationen. Das Altern des Im- Kombination Valsartan/Sacubitril, Aldos- die IgA-Nephropathie, die im oft schlei- munsystems und das Ausmaß der Niere- teron-Antagonisten sowie neue SGLT- chend chronischen Verlauf häufig erst im ninsuffizienz verändern darüber hinaus 2-Inhibitoren abgestuft einzusetzen. höheren Grad fortschreitender Nierenin- die Pharmakodynamik von Immunthera- suffizienz erkannt wird. Sie wird – für die peutika. Prof. Elisabeth Märker-Hermann Dr. med. Patienten meist erschreckend – nicht sel- und Dr. Christian von Kiel (beide Wiesba- H. Christian Piper Foto: Katarina Ivanisevic ten vom Symptom einer plötzlichen, den) gehen in ihrem Beitrag diesen neu Facharzt für Innere Virusinfekt-getriggerten Makrohämaturie erforschten Fragen mit spezieller Experti- Medizin/ akzentuiert. Prof. Claudia Sommerer (Hei- se und konkreten Handlungsvorschlägen Nephrologie, delberg) stellt die autoimmunologisch nach. Präsidiumsmitglied verstandene Pathophysiologie und die kli- Die Autoren des dritten Beitrages, Prof. der LÄKH nischen Verläufe dieser häufigen primär Gunnar Heine (Frankfurt) und PD Kyrill S. und Stellv. glomerulären Erkrankung dar. Sie emp- Rogacev (Schwerin) besprechen im neph- Verantwortlicher fiehlt strukturierte Diagnostik und bewer- rologisch-kardiologischen Diskurs die Redakteur des Pharmakotherapie bei schwerer Herzin- Hessischen Ärzteblattes IgA-Nephropathie: Pathogenese, Klinik und Therapie VNR: 2760602020169570006 Prof. (apl.) Dr. med. Claudia Sommerer Einleitung Proteinurie. Bei unzureichendem Anspre- aller Glomerulonephritiden, aus einzelnen chen können Glukokortikoide eingesetzt afrikanischen Ländern ist eine Prävalenz Die IgA-Nephropathie ist die häufigste werden. von 5 % bekannt. Die IgA-Nephropathie Glomerulonephritisform in Deutschland tritt zweimal häufiger bei Männern im und wird häufig als Zufallsbefund diagnos- Diagnostik Vergleich zu Frauen auf. Der Erkrankungs- tiziert. Die klinischen Verläufe sind sehr gipfel liegt im jüngeren Erwachsenenalter. variabel und reichen von einer Mikrohä- Die IgA-Nephropathie ist weltweit die Meist wird ein Verdacht auf eine IgA- maturie ohne sonstige Einschränkungen häufigste Ursache einer Glomerulonephri- Nephropathie bei der Abklärung einer ar- bis zum terminalen Nierenversagen. Sel- tis mit geographischer Variabilität hin- teriellen Hypertonie oder bei Routineun- ten zeigt sich ein rapid-progressiver Ver- sichtlich der Prävalenz. Typischerweise tersuchungen geäußert. Vor einigen Jah- lauf mit raschem Eintritt einer terminalen wird ein junger Mann aus Asien mit einer ren war die Musterung der Bundeswehr Niereninsuffizienz und Notwendigkeit ei- Makrohämaturie im Rahmen eines Infek- häufig der Ausgangspunkt zur weiterge- ner Nierenersatztherapie. Der Behand- tes als Beispiel für eine IgA-Nephropathie henden Untersuchung bei Vorliegen einer lungsschwerpunkt liegt auf supportiver herangezogen. Tatsächlich umfasst in Mikrohämaturie oder Proteinurie. Somit Therapie mit optimaler Blutdruckregulati- asiatischen Ländern die IgA-Nephropathie kommt den hausärztlich tätigen Kollegen on mittels ACE-Hemmer oder Angioten- etwa 40 % aller Glomerulonephritiden. Im eine wichtige Rolle in der Diagnose der sin-Rezeptorblocker zur Reduktion des in- Vergleich hierzu liegt die Prävalenz in IgA-Nephropathie zu. In der klinischen traglomerulären Drucks und damit der Europa und Nordamerika bei 10 bis 20 % Untersuchung zeigt sich eine Mikrohäma- 340 | Hessisches Ärzteblatt 6/2020
Fortbildung Fotos: © Dr. med. Christoph Eckert, Pathologisches Institut, Universitätsklinikum Heidelberg a b Abbildung 1: Pathologische Veränderungen bei IgA-Nephropathie: a) Histologischer Nachweis einer diffusen mesangialen Matrix- und Zellvermehrung im Glomerulus. b) Immunhistologischer Befund mit Nachweis von IgA-Ablagerungen im Mesangium. turie im Urinstatus. Bei Auftreten einer beeinträchtigt. Makrohämaturie-Episoden Progression zur chronischen Niereninsuf- Hämaturie sollte immer ein Urinsediment treten bei 40 bis 50 % der Patienten auf fizienz entwickeln kann [1]. erstellt werden, um den Ursprung der Hä- und sind fast immer mit einer Infektion Gelegentlich tritt die IgA-Nephropathie maturie eingrenzen zu können. Einen Hin- der oberen Luftwege assoziiert (gleichzei- im Rahmen einer Schönlein-Henoch-Pur- weis auf eine glomeruläre Hämaturie ge- tig oder wenige Tage später). Die finale pura auf, die neben mesangialen IgA-Abla- ben dysmorphe Erythrozyten (Akantho- Diagnose kann nur histologisch gestellt gerungen vaskulitische intestinale Läsio- zyten) im Urinsediment. Häufig liegt eine werden, da der Nachweis von IgA-Ablage- nen mit folgenden abdominellen Be- milde bis moderate Proteinurie (0,5 bis rungen im glomerulären Mesangium weg- schwerden sowie Arthralgien und Purpura 2g/Tag) vor, sodass zunächst orientie- weisend ist. insbesondere im Bereich der Unterschen- rend Eiweiß im Spontan-urin bestimmt kel umfasst. Die Purpura Schönlein-He- wird, gefolgt von einer Quantifizierung Klinischer Verlauf noch ist ein typisches Krankheitsbild in mittels 24h-Sammelurin. Ein weiteres der Adoleszenz und im Erwachsenenalter Symptom ist die arterielle Hypertonie, die Die klinischen Verläufe einer IgA-Nephro- selten. vor allem bei fortgeschrittener Erkran- pathie sind heterogen und reichen von ei- Bei Vorliegen eines nephrotischen Syn- kung regelhaft vorliegt. Die Nierenfunkti- nem oligosymptomatischen Krankheits- droms (bis 10 %) ist das Risiko einer venö- on ist erst im späteren Erkrankungsstadi- bild bis zur Entwicklung einer rapid-pro- sen Thrombose deutlich erhöht. Diese um oder bei rasch progredientem Verlauf gressiven Glomerulonephritis mit Eintre- kann sich als Nierenvenenthrombose ma- ten einer terminalen Niereninsuffizienz. nifestieren. Tab. 1: Erkrankungen, die häufig mit Patienten, die lediglich eine Mikrohämatu- Zahlreiche weitere Erkrankungen können einer IgA-Nephropathie assoziiert rie und/oder eine minimale Proteinurie, mit einer IgA-Nephropathie assoziiert sein sein können. jedoch eine normale Nierenfunktion auf- (siehe Tabelle 1). · Alkoholische Lebererkrankung, weisen (etwa 70 % der Patienten), zeigen Leberzirrhose, Zöliakie, Colitis meist langfristig – häufig über Jahrzehnte Pathophysiologie ulcerosa, (Morbus Crohn) – einen stabilen Verlauf. Eine Spontanre- mission kann in bis zu 20 bis 30 % der Fälle Pathophysiologisch wurde lange Zeit die · Monoklonale IgA-Gammopathie, eintreten, 15 bis 30 % der Patienten erlei- autoimmune Genese der Erkrankung dis- Mycosis fungoides den eine chronisch fortschreitende Nie- kutiert. Allerdings ist der Anteil der Auto- · Rheumatoide Arthritis, Morbus renfunktionseinschränkung. In bis zu 50 % immunität bis heute noch nicht eindeutig Bechterew, Reiter-Syndrom, der betroffenen Patienten kann eine lang- geklärt. Etwa 50 % der Patienten mit IgA- Takayasu-Arteriitis, same Progression bis zur terminalen Nie- Nephropathie zeigen erhöhte Plasma-IgA- Myasthenia gravis reninsuffizienz im Verlauf über 20 bis 25 Spiegel, wobei die monomere Form den Jahre beobachtet werden. Jährliche neph- Hauptanteil des IgAs im Serum bildet [2]. · Sarkoidose rologische Verlaufsuntersuchungen wer- Entscheidend für die Pathogenese ist je- · Dermatitis herpetiformis den auch bei stabilen Patienten empfoh- doch das in mesangialen Ablagerungen len, da auch nach Jahren aus einer benigne nachgewiesene polymere IgA [3]. Eine · Hepatitis B, HIV verlaufenden IgA-Nephropathie sich eine wichtige physiologische Funktion des IgA- Hessisches Ärzteblatt 6/2020 | 341
Fortbildung Tab. 2: Oxford- MEST-C Klassifikation der IgA-Nephropathie [nach 10] Halbmondbildung umfassen. Häufig wird eine diffuse mesangioprolifative Glomeru- Grad 0 Grad 1 Grad 2 lonephritis und eine fokal segmentale Glo- M Mesangiale Hyperzellularität < 50 % > 50 % merulosklerose, in seltenen Fällen eine fokal segmental nekrotisierende und ex- E Endokapilläre Proliferation Nein Ja trakapilär proliferierende Glomeruloneph- S Segmentale Glomerulosklerose Nein Ja ritis detektiert (Abb. 1a). Fokal segmen- T Tubuläre Atrophie/interstitielle 0–25 % 26–50 % > 50 % tale oder globale glomeruläre Vernarbun- Fibrose gen weisen auf eine länger bestehende IgA-Nephropathie hin. Zusätzlich können C Glomeruläre Halbmonde 0 1–24 ≥ 25 hypertensive Läsionen im Sinne einer („crescent“) hypertensiven Nephrosklerose detektiert werden. Histomorphologisch erfolgt die Klassifika- Moleküls besteht in der Abwehr inhalativ Interessant ist, dass 40–50 % der direkten tion einer IgA-Nephropathie anhand der oder oral aufgenommener Antigene. Eine Familienmitglieder eines Patienten erhöh- Oxford-MEST-C-Klassifikation (siehe Ta- gestörte mukosale Barriere kann zur Mi- te Spiegel an galaktosedefizientem IgA1 belle 2). Zur Beurteilung ist die Tripeldiag- gration von Plasmazellen aus der Mukosa aufweisen, jedoch nicht alle das typische nostik erforderlich aus licht-, immun- in das Knochenmark führen und die Frei- klinische Bild einer IgA-Nephropathie aus- und elektronenmikroskopischer Untersu- setzung von galaktosedefizienten poly- bilden [4]. Auch die auffallende geografi- chung des Biopsiematerials. meren IgA (GD-IgA1) induzieren. sche Variabilität in der Prävalenz weist auf Immunhistologisch finden sich insbeson- Bei der Entstehung der klinisch sympto- genetische Faktoren hin [7]. Genomweite dere mesangiale IgA-Ablagerungen matischen IgA-Nephropathie wird von ei- Assoziationsstudien (GWAS) haben Risi- (Abb. 1b), zusätzlich meist eine Komple- ner Multi-Hit-Hypothese ausgegangen, koallele identifiziert und damit Hinweise mentfaktor C3-Positivität und weniger d. h. mehrere Faktoren müssen zusam- auf eine genetische Ursache bestärkt richtungsweisend eine Ablagerung von men kommen, bis die Krankheit apparent [7, 8]. Ein Großteil der Gene kodiert für C1q und IgM. In bis zu 70 % der Fälle wird wird. Zunächst befinden sich IgA1-Mole- Proteine, die an der Regulation der muko- zusätzlich IgG im Glomerulus abgelagert. küle mit einer Defizienz in der Galaktosy- salen Immunantwort und Aufrechterhal- Nachweis von Fibrin ist ein Hinweis auf lierung (Gd-IgA1) im Blutsystem eines Pa- tung der Mukosabarriere beteiligt sind segmentale Nekrosen. tienten (Hit 1), die Bildung von Autoanti- [9]. Elektronenmikroskopisch lassen sich Im- körpern gegen Gd-IgA1-Moleküle wird in- munkomplexe im Bereich der peripheren duziert (Hit 2). Die zirkulierenden Gd- Histopathologie Basalmembranen nachweisen, die sowohl IgA1-Autoantikörper-Immunkomplexe subepithelial als auch intramembranös (Hit 3) lagern sich im glomerulären Me- Die Histopathologie kann sehr variabel oder subendothelial liegen können. Diese sangium ab (Hit 4), [4]. Die Ablagerung sein und minimale Veränderungen wie ei- scheinen eine eher ungünstige Prognose von Autoantikörper-Immunkomplexen ne leichte mesangiale Expansion bis zur zu haben. aktiviert das Komplementsystem (alter- nativer Weg und/oder „Mannose-binding- lectin-Pathway“), induziert eine Mesangi- umproliferation und Matrixakkumulation [5]. Proinflammatorische Mediatoren © Arzneiverordnung in der Praxis Band 43 Heft 4 Oktober 2016 werden sezerniert und können sekundär eine Fibrosierung induzieren. Patienten mit entzündlichen Darmerkran- kungen oder Zöliakie sind durch die ge- störte Mukosabarriere prädisponiert. Diä- tetische Maßnahmen können einen positi- ven Effekt haben [2]. Hinsichtlich der Ent- stehung der Autoantikörper gegen galak- tosedefizientes IgA1 wird ein molekulares Mimikry mit Viren (Virusbestandteilen) diskutiert. Es konnte gezeigt werden, dass Infektionen mit Viren oder gramnegativen Bakterien der Bildung von Autoantikör- pern vorausgehen [6]. Abbildung 2: Mögliches Vorgehen bei IgA-Nephropathie in Anlehnung an die Stop-IgAN-Studie und die KDIGO-Guidelines 2012 [9, 12]. 342 | Hessisches Ärzteblatt 6/2020
Fortbildung Progressionsfaktoren durch eine schwere glomeruläre Schädi- Tab. 3: Klinische Progressionsfaktoren gung durch einen nicht-immunologischen für die Entwicklung einer Nieren- Die Identifikation von Progressionsfakto- Prozess bedingt sein. insuffizienz ren ist für die Abschätzung von Krank- • Proteinurie > 1g/Tag heitsverlauf und Therapie unabdingbar. Differenzialdiagnose Folgende Risikofaktoren für eine Progre- • Persistierende Mikrohämaturie dienz der Erkrankung wurden identifiziert Bei Vorliegen der klinischen Trias Mikro- • Eingeschränkte Nierenfunktion zum (Tabelle 3): männliches Geschlecht, ein- hämaturie, milde Proteinurie und Hyper- Zeitpunkt der Diagnose geschränkte Nierenfunktion bereits bei tonie sind zahlreiche Differentialdiagno- Diagnose, arterielle Hypertonie und per- sen zu überdenken. Auch bei bioptisch ge- • Männliches Geschlecht sistierende Proteinurie > 1,5g/Tag. Weite- sicherten IgA-Ablagerungen im Mesangi- • Unzureichend regulierte arterielle re modifizierbare Risikofaktoren sind Adi- um können differierende Erkrankungsen- Hypertonie positas, Hyperlipidämie, Hyperurikämie titäten vorliegen, z. B. Purpura Schönlein- und Nikotinkonsum. Neben klinischen Henoch, Lupusnephritis, monoklonale • Adipositas Faktoren werden histopathologische Be- IgA-Gammopathie. Eine variable Breite • Nikotinkonsum funde zur Prognoseabschätzung herange- der Basalmembran kann an eine hereditä- zogen. Histologisch sind entsprechend re Nephritis vom Typ Alport-Syndrom er- • Histopathologische Kriterien, der Oxford-MEST-C-Klassifikation die fünf innern. Eine Mikrohämaturie und milde Ausmaß der tubulären Atrophie und Parameter mesangiale Hyperzellularität Proteinurie kann beim Syndrom der dün- interstitiellen Fibrose (M), endokapilläre Proliferation (E), seg- nen Basalmembran auftreten. mentale Glomerulosklerose (S), tubuläre Die Diagnose muss daher immer in der Atrophie/interstitielle Fibrose (T) und Zusammenschau von klinischen Befunden gische Veränderungen) können mögli- glomeruläre Halbmonde (C) mit einer ne- und der Histologie getroffen werden. cherweise von einer immunsuppressiven gativen Prognose assoziiert (Tabelle 2) Therapie profitieren. [10]. Serologisch ist die galaktosedefi- Therapeutische Ansätze ziente IgA1 O-Glycoform mit einem rena- Supportive Therapiemaßnahmen len Risiko assoziiert [11]. Im Weiteren Zielparameter sind eine optimale Blut- wurden spezifischen Genotypen z. B. des druckregulation und eine Reduktion der Lifestyle-Modifikation ACE-Gens eine prognostische Bedeutung Proteinurie. Einen hohen Stellenwert ha- Die folgenden supportiven Maßnahmen zugewiesen [12]. ben supportive Maßnahmen mit unspezi- sollten vor Beginn einer immunsuppressi- In einer französischen Studie wurde ein fischen Therapieansätzen, die dem Verlust ven Therapie ausgeschöpft werden (Ta- 3-Punkte-Score (Proteinurie > 1g/Tag, der glomerulösen Filtrationsrate entge- belle 4). Lifestyle-Modifikation ist hierbei Hypertonie, fortgeschrittene histologi- genwirken. Durch den konsequenten Ein- ein wichtiges Standbein in der supporti- sche Veränderungen) zur Prognoseab- satz der supportiven Maßnahmen konnte ven Therapie bei Vorliegen einer Glome- schätzung entwickelt [13]. Die Vorhersa- der GFR-Verlust bei Patienten mit IgA- rulonephritis im Allgemeinen. gekraft der histopathologischen Verände- Nephropathie in der STOP-IgAN-Studie Adipositas ist ein bekannter Risikofaktor rungen wurde in mehreren Studien bestä- auf 1,5 ml/min pro Jahr reduziert werden für einen progredienten Verlauf einer IgA- tigt, u.a. auch in der STOP-IgAN-Studie (zur Verdeutlichung: Der GFR-Verlust von Nephropathie, ebenso aggraviert Rauchen [14], dabei kommt der tubulären Atrophie über 40-Jährigen liegt bei etwa 1 ml/min die Entwicklung einer Nierenfunktionsein- und interstitiellen Fibrose eine hohe prä- pro Jahr, [15, 16]). schränkung und erhöht bei IgA-Nephro- diktive Wertigkeit zu. Anhand der klinischen Symptome können pathie das Risiko für ein terminales Nie- Derzeit gibt es keinen spezifischen serolo- die Patienten in Behandlungskategorien renversagen um den Faktor 10 [17]. Pa- gischen Marker zur Identifikation einer eingeteilt werden (Abbildung 2). Patien- thophysiologisch scheint dies durch einen immunologischen Aktivität, so dass klini- ten mit einer isolierten Mikrohämaturie, Anstieg des zentralen Blutdrucks verur- sche Parameter zum Monitoring der minimaler Proteinurie und normaler glo- sacht zu werden. Entsprechend werden Krankheitsaktivität herangezogen wer- merulärer Filtrationsrate sollten regelmä- neben diätetischen Maßnahmen Beenden den. Eine persistierende Mikrohämaturie ßig in 6- bis 12-monatigen Abständen hin- eines Nikotinkonsums, Reduktion des Kör- ist ein Zeichen der immunologischen Akti- sichtlich Entwicklung einer Proteinurie/ pergewichts und Ausdauersport empfoh- vität, jedoch nicht unbedingt ein Progres- Albuminurie, Nierenfunktion und Blut- len. sionsmarker. Eine persistierende Proteinu- druck untersucht werden. Bei Patienten Hinsichtlich der Trinkmenge liegt die rie über 1 g/Tag sowie ein unzureichend mit einer persistierenden Proteinurie Empfehlung bei Vorliegen einer adäquaten regulierter Blutdruck sind wichtige Risiko- > 500 mg/Tag sollten supportive Thera- Diurese bei etwa 1,5 bis 2 Liter pro Tag. faktoren hinsichtlich Krankheitsprogressi- piemaßnahmen angewendet werden. Pa- Eine Erhöhung der Trinkmenge hat keinen on. Allerdings kann eine Zunahme der tienten mit einem schweren Verlauf (Pro- zusätzlichen positiven Effekt [18], son- Proteinausscheidung sowohl mit der teinurie im nephrotischen Bereich, einge- dern kann bei nephrotischen Patienten Krankheitsaktivität als auch sekundär schränkte Nierenfunktion, aktive histolo- negative Auswirkung hinsichtlich Ent- Hessisches Ärzteblatt 6/2020 | 343
Fortbildung Tab. 4: Supportive Maßnahmen zur Therapie der IgA-Nephropathie begonnen werden. Meist muss niedermo- lekulares Heparin (off-label use) oder • Antihypertensive Therapie mit einem Zielblutdruck von < 125/75 mmHg Phenprocoumon eingesetzt werden, da • Zielproteinurie 1g/Tag) oder eine progrediente (optimal < 6 g/Tag). Der Effekt einer mes Eintritieren eines RAS-Blockers kann Nierenfunktionsverschlechterung zu be- RAS-Blockade kann durch eine hohe Salz- mögliche orthostatische Probleme redu- obachten ist, sollte mit einer systemischen zufuhr aufgehoben werden, sodass auf ei- zieren. Immunsuppression begonnen werden. ne Salzrestriktion geachtet werden sollte. Von einer Kombinationstherapie mit ACE- Mögliche Wirkungen und Nebenwirkun- Es sollten möglichst keine Calcium-Anta- Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Blo- gen einer immunsuppressiven Therapie gonisten vom Dihydropyridintyp (Amlodi- cker wird abgeraten. In Studien mit einem müssen abgewogen werden. Falls immun- pin, Nitrendipin etc.), insbesondere wenn kurzen Beobachtungszeitraum konnte suppressive therapeutische Maßnahmen kein ACE-Hemmer oder Angiotensin-Re- zwar ein zusätzlicher antiproteinurischer ergriffen werden, sollte diese Therapie zeptor-Blocker eingenommen wird, einge- Effekt beobachtet werden, jedoch zeigte durch eine Nephrologin/einen Nephrolo- setzt werden, da diese über eine präglo- die ONTARGET-Studie, dass eine Kombi- gen gesteuert werden. meruläre Vasodilatation einen intraglome- nationstherapie mit vitalbedrohlichen Ne- rulären Druckanstieg verursachen können. benwirkungen (z. B. Hyperkaliämie, Ver- Glukokortikoide Die Eiweißzufuhr sollte bei etwa 0,8 g/kg/ schlechterung der Nierenfunktion) asso- Eine systemische Steroidtherapie ist der Tag liegen. Eine eiweißreiche Ernährung ziiert sein kann [20]. bisher einzige etablierte Ansatz einer im- oder Eiweißshakes im Rahmen von Mus- munsuppressiven Therapie. Eine antiin- kelaufbau-Training erhöhen den extrazel- Omega-3-Fettsäuren flammatorische Therapie mit Glukokorti- lulären Wassergehalt im Körper und den Omega-3-Fettsäuren (Fischöl) werden koiden kann bei Patienten mit aktiven Filtrationsdruck in den Glomeruli und soll- anti-inflammatorische Eigenschaften zu- Krankheitszeichen (Hämaturie, persistie- ten bei IgA-Nephropathie auf keinen Fall geschrieben. Eine Cochrane-Meta-Analy- rende Proteinurie > 1g/Tag, proliferative eingenommen werden. Vor einer zu star- se konnte keine eindeutig positiven Effek- Veränderungen in der Histologie) und ken Proteinrestriktion insbesondere bei te auf die Nierenfunktion oder Proteinurie progressivem Krankheitsverlauf unter ma- fortgeschrittener Niereninsuffizienz wird nachweisen [19]. ximalen supportiven Maßnahmen ein- aufgrund der Gefahr der Malnutrition ge- schließlich RAS-Blockade über drei bis warnt. Antikoagulation sechs Monate eingesetzt werden. Begon- Bei Vorliegen eines nephrotischen Syn- nen wird im Allgemeinen mit 1 mg/kgKG Renin-Angiotensin-Aldosteron-Blockade droms (Proteinurie > 3g/Tag) ist das Risi- Prednisolonäquilvalent unter Infektions- Eine Inhibition des Angiotensins mittels ko einer Thrombose erhöht. Eine Ursache und Knochenprophylaxe und folgender ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezep- liegt in dem erhöhten Antithrombin III- Reduktion über sechs Monate. torblockade beeinflusst die Progression Verlust. Ab einem Serum-Albumin von un- In einer retrospektiven Analyse der gro- proteinurischer Nierenerkrankungen posi- ter 20 g/l sollte mit einer Antikoagulation ßen europäischen VALIAGA-Kohorte 344 | Hessisches Ärzteblatt 6/2020
Fortbildung konnte gezeigt werden, dass Glukokorti- nische Remission bei 14 Patienten, die ei- lungsarm, so dass die Studie aus Sicher- koide das Risiko einer Progression unab- ne immunsuppressive Therapie erhielten heitsbedenken abgebrochen wurde. hängig von der Nierenfunktion und pro- (17 versus 5 %). Eine Remission wurde Entsprechend der KDIGO-Guidelines sind portional zur Höhe der Proteinurie redu- v. a. bei Patienten, die nach dem POZZI- beide Steroidbehandlungsregime (oral zierten [22]. Schema behandelt wurden, erreicht oder i. v. Boli) bei IgA-Nephropathie ein- In einer Meta-Analyse von neun klinischen (POZZI-Schema [24]: Steroidboli mit 1 g setzbar [26]. Aufgrund der zum Teil gra- Studien mit insgesamt 536 Patienten, die Methylprednisolon Monat 1, 3 und 5 so- vierenden Nebenwirkung einer hochdo- eine Proteinurie von über 1 g/Tag aufwie- wie 0,5 mg/kg orales Prednisolon jeden sierten Steroidtherapie muss die Indikati- sen, wurde gezeigt, dass eine Steroidthe- zweiten Tag). Allerdings zeigte eine im- on streng geprüft werden. Insbesondere rapie die Inzidenz von renalen Ereignissen munsuppressive Therapie keinen Vorteil bei nachlassender Nierenfunktion steigt (50 % Reduktion der GFR, Verdopplung hinsichtlich Nierenfunktion. Zudem hat- die Komplikationsrate an [27]. des Kreatinins, terminales Nierenversa- ten Patienten mit Immunsuppression ein gen) signifikant reduziert [23]. Allerdings deutlich höheres Risiko für typische Ste- Immunsuppressive traten in der Behandlungsgruppe auch roidnebenwirkungen wie Infektionen, ge- Kombinationstherapie signifikant häufiger unerwünschte Ereig- störte Glukosetoleranz und Gewichtszu- nisse auf. nahme. Immunsuppressive Kombinationsthera- Die deutsche STOP-IgAN-Studie, eine der Neben dem Steroidregime nach POZZI pien spielen heute in der Therapie der IgA- größten randomisierten klinischen Studi- wurde ein Behandlungsschema mit ora- Nephropathie nahezu keine Rolle mehr, da en zur Behandlung der IgA-Nephropathie, lem Glukokortikoid (Prednison 0,8 bis 1 sie sich als unzureichend wirksam erwie- erbrachte vergleichbare Ergebnisse [15]. mg/kg pro Tag über zwei Monate gefolgt sen und mit teils schweren Nebenwirkun- Die sechsmonatige Run-In Phase der Stu- von 0,2 mg/kg pro Tag über vier Monate) gen assoziiert waren [15, 28, 29]. Zu die- die zeigte, dass bei 30 % der Patienten untersucht [24, 25]. In dieser Studie ser Schlussfolgerung kam auch das kürz- mit konsequenten supportiven Therapie- konnte eine Steroidtherapie den Verlauf lich publizierte Cochrane-Review zur im- strategien (z. B. optimale Blutdruckregu- der Nierenfunktion positiv beeinflussen munsuppressiven Therapie der IgA-Neph- lation < 125/75 mmHg mittels RAS-Blo- (renaler Endpunkt 4 % im Vergleich zu ropathie, das 58 randomisierte klinische ckade, Ernährungshinweise wie salzarme 27 % in der Kontrollgruppe). Studien mit 3.933 Teilnehmern analysier- Kost, Vermeiden eines exzessiven Pro- Einen weiteren Hinweis auf ein erhöhtes te [30]. teinkonsums, Nikotinkarenz) eine Reduk- Risiko für schwere Nebenwirkungen bei Bei schweren Erkrankungszeichen mit ra- tion der Proteinurie auf < 0,75 g pro Tag Steroidtherapie gibt die prospektive ran- pid progressivem Verlauf oder schweren erzielt werden kann. Es konnten 162 der domisierte TESTING-Studie [23]. Die Pa- histologischen Inflammationszeichen kön- 337 eingeschlossenen Patienten mit einer tienten erhielten eine orale Steroidthera- nen Kombinationstherapien in Erwägung eGFR ≥ 30 ml/min/1.73 m2 und einer pie (Methylprednisolon 0,6–0,8 mg/kg/ gezogen werden. Zu beachten ist jedoch, persistierenden Proteinurie von 0,75 bis Tag, maximal 48 mg/Tag) oder Placebo. dass nur eine sehr begrenzte Anzahl an 3,5 g/Tag randomisiert werden (Kontrol- Im Ergebnis zeigte sich zwar ein Vorteil Studien und Patientenverläufen vorliegt. larm: Fortführung der maximal supporti- der Steroidtherapie im Hinblick auf die Er- Das Therapieregime nach Ballardie basier- ven Therapie, Interventionsarm: Immun- reichung des primären Endpunkts, die Be- te auf einer monozentrischen Studie an le- suppression additiv zur maximal supporti- handlung erhöhte aber signifikant das Ri- diglich 38 Patienten mit fortgeschrittener ven Therapie). Nach drei Jahren Behand- siko für schwerwiegende Infektionen. Niereninsuffizienz (Kreatinin 1,5 bis 2,8 lungsdauer zeigte sich eine komplette kli- Zwei Patienten verstarben im Behand- mg/dL) und einer Proteinurie von 4 g/Tag [31]. Die Patienten erhielten eine Kombinationstherapie aus Prednisolon Multiple Choice-Fragen (40 mg pro Tag mit Reduktion auf 10 mg/d über zwei Jahre) kombiniert mit Die Multiple Choice-Fragen zu dem Ar- Die Fortbildung ist mit zwei Punkten niedrig-dosiertem Cyclophosphamid (1,5 tikel „IgA-Nephropathie: Pathogenese, zertifiziert. Mit Absenden des Fragebo- mg/kg pro Tag oral) über zwei Jahre. Die Klinik und Therapie“ von Prof. (apl.) gens bestätigen Sie, dass Sie dieses immunsuppressive Kombinationstherapie Dr. med. Claudia Sommerer finden Sie CME-Modul nicht bereits an anderer führte zu einer signifikanten Reduktion im Mitglieder-Portal der Landesärzte- Stelle absolviert haben. der Proteinurie innerhalb der ersten 6 Mo- kammer Hessen (https://portal.laekh. nate und ein über 5 Jahre verbessertes re- de) sowie auf den Online-Seiten des Dieser Artikel hat ein Peer-Review-Ver- nales Überleben. Hessischen Ärzteblattes (www.laekh. fahren durchlaufen. Nach Angaben der Eine Kombination von Azathioprin zu Glu- de). Die Teilnahme zur Erlangung von Autorin sind die Inhalte des Artikels pro- kokortikoiden hat keinen zusätzlichen Fortbildungspunkten ist ausschließlich dukt- und/oder dienstleistungsneutral, Vorteil zu einer Steroid-Monotherapie online über das Mitglieder-Portal vom es bestehen keine Interessenkonflikte. (n=207 Patienten, S-Kreatinin < 2 mg/dl, 25. Mai 2020 bis 24. Mai 2021 möglich. Proteinurie > 1g/Tag) [32]. Allerdings hatten Patienten, die zusätzlich Azathio- Hessisches Ärzteblatt 6/2020 | 345
Fortbildung prin erhielten, ein hohes Risiko für schwer- cebo-kontrollierte multizentrische Studie, ist immer noch begrenzt. Mit der Stop- wiegende Nebenwirkungen. mit Einsatz von 16 mg Budesonid pro Tag IgAN-Studie lagen erstmals Daten aus ei- zusätzlich zu einer optimalen RAS-Blocka- ner größeren randomisierten kontrollier- Mycophenolat Mofetil de reduzierte signifikant die Proteinurie bei ten klinischen Studie vor. Zunächst wird Mycophenolat Mofetil spielt heute bei der IgA-Nephropathie, wodurch eine Progres- eine kontrollierte supportive Therapie Therapie der IgA Glomerulonephritis kei- sionshemmung zu erwarten ist [36]. durchgeführt. Bei Patienten mit einer Pro- ne Rolle mehr, u.a. weil die Ergebnisse zur Weitere Studien umfassen Angiotensin- teinurie zwischen 0,75 und 3,5 g pro Tag Effektivität einer Mycophenolat Mofetil und Endothelinrezeptorblockade, Hem- kann eine Steroidtherapie die Proteinurie (MMF)-Therapie bei IgA-Nephropathie mung der Lymphozytenaktivierung mit signifikant reduzieren. Allerdings ist der sich widersprüchlich zeigten. Eine doppel- Belimumab, Atacecept, Bortezomib, Fosta- Einfluss der Immunsuppression auf den blinde placebo-kontrollierte Studie zum matinib bis hin zu Komplementinhibitoren. Verlauf der Nierenfunktion fraglich und Einsatz von MMF bei IgA-Nephropahtie Eine Inhibition des Komplementsystems die Immunsuppression mit einer höheren konnte keinen Unterschied in den Be- wiederum erscheint aufgrund von dessen Rate an unerwünschten Ereignissen kom- handlungsarmen hinsichtlich Proteinurie Aktivierung bei der Entstehung der IgA- biniert. zeigen [28]. Glomerulonephritis als vielversprechender Eine Steroidbolus-Therapie oder eine im- Ansatz [5, 37]. Mehrere Phase II- und III- munsuppressive Kombinationstherapie Calcineurininhibitoren Studien sind derzeit zu den genannten kann bei rapid progressivem Verlauf oder Ciclosporin A und Tacrolimus wurden in Substanzen in der Durchführung, die Er- schweren histologischen Inflammations- kleinen randomisierten Studien unter- gebnisse sind ausstehend. zeichen mit glomerulären Halbmondbil- sucht [33, 34]. Der Einsatz von Calcineuri- dungen in Erwägung gezogen werden. Bei ninhibitoren wird aufgrund der potenziel- Therapie der rapid-progressiven fortgeschrittener Erkrankung mit ausge- len Nephrotoxizität nicht empfohlen. Zu- IgA-Glomerulonephritis prägter Fibrose und Glomerulosklerose dem wurde ein hohes Rezidivrisiko beob- wird keine Immunsuppression empfohlen. achtet. Zur Behandlung der rapid-progressiven Das therapeutische Vorgehen sollte indivi- IgA-Glomerulonephritis liegen keine ran- duell nach Abwägung der jeweiligen Vor- Alternative Interventionen domisierten Studien vor. Ergebnisse von teile und Risiken gewählt werden. Innova- älteren Beobachtungsstudien deuten da- tive Therapien wie Einsatz eines verkap- Tonsillektomie rauf hin, dass intravenöse Steroidboli oder selten Steroidpräparates mit enterischer Wenige prospektive Beobachtungen v. a. orales Cyclophosphamid mit/ohne Plas- Freisetzung sowie Inhibition des Komple- in asiatischen Populationen gaben einen mapherese einen positiven Einfluss auf mentsystems basierend auf neuen Er- Hinweis auf einen positiven therapeuti- den Verlauf haben können, solange keine kenntnissen zur Pathogenese der IgA- schen Effekt einer Tonsillektomie in Kom- fortgeschrittenen fibrotischen Verände- Nephropathie werden derzeit in klinischen bination mit einer immunsuppressiven rungen in der Nierenbiopsie zu detektie- Studien überprüft und können potenziell Therapie. Allerdings fehlen große rando- ren sind [38]. vielversprechende Behandlungsoptionen misierte Studien mit einem ausreichenden bieten. Follow-up, ebenso ist die Übertragbarkeit Schlussfolgerungen auf Kaukasier kritisch zu betrachten. In der VALIAGA-Kohorte konnte keine Kor- Die IgA-Glomerulonephritis stellt eine Prof. (apl.) Dr. med. relation zwischen Tonsillektomie und Nie- häufige Glomerulonephritisform dar und Claudia Sommerer renfunktionsverlauf detektiert werden ist mit einer Mikrohämaturie und/oder Sektion Nephrologie, Foto: Uniklinik Heidelberg [35]. Aktuell wird die Tonsillektomie bei Proteinurie unterschiedlichen Ausmaßes Medizinische Klinik IgA-Nephropathie bei Kauskasiern nicht assoziiert. Eine Vielzahl an Risikofaktoren Heidelberg mehr empfohlen. sind bekannt, dabei sind etliche modifi- Im Neuenheimer zierbar (z. B. Adipositas, Nikotinkonsum). Feld 162, Alternative immunsuppressive Ansätze Die Grundlage therapeutischer Maßnah- 69120 Heidelberg Eine Vielzahl neuer Therapieansätze wird men sind supportive Strategien. Eine The- E-Mail: claudia.sommerer@ in klinischen Studien derzeit untersucht. rapie mit ACE-Hemmer oder Angiotensin- med.uni-heidelberg.de Eines der am weitesten evaluierten Sub- Rezeptor-Blocker zur Senkung des intra- stanzen mit einem aus pathophysiologi- glomerulären Drucks sowie eine optimale scher Sicht erfolgsversprechenden Ansatz Regulation des Blutdrucks sollten immer Die Literaturhinweise finden Sie auf ist der Einsatz eines verkapselten Steroids. einer immunsuppressiven Therapie vo- unserer Website www.laekh.de unter Budesonid ist ein Glukokortikoid mit spe- rausgehen. Eine Verbesserung eines meta- der Rubrik „Hessisches Ärzteblatt“. zieller enterischer Formulierung und Frei- bolischen Syndroms sowie eine Nikotinka- setzung in der Ileozökalregion (Peyersche renz müssen angestrebt werden. Plaques). Die multizentrische NEFIGAN- Die Datenlage zur Therapie einer IgA- Studie, eine randomisierte prospektive pla- Nephropathie mittels Immunsuppression 346 | Hessisches Ärzteblatt 6/2020
Fortbildung Multiple Choice-Fragen: IgA-Nephropathie: Pathogenese, Klinik und Therapie VNR: 2760602020169570006 (nur eine Antwort ist richtig) 1. Welche Aussage zur IgA-Nephropa- 4) 50 % der Patienten zeigen eine lang- Ablagerungen sind häufige (immun-) thie ist richtig? same Progression mit Erreichen der histologische Befunde. 1) Weltweit beträgt die Prävalenz der terminalen Niereinsuffizienz in 20 bis 2) Hypertensive Läsionen werden bei IgA-Nephropathie etwa 40 %. 25 Jahren. IgA-Nephropathie in den histologi- 2) Die IgA-Nephropathie ist mit etwa schen Schnitten sehr selten detek- 20 % Prävalenz die häufigste Glome- 5. Welcher Aussage zur Pathogenese ist tiert. rulonephritis in Deutschland. nicht korrekt? 3) Das histologische Bild kann variabel 3) Typischerweise erkranken mehr Frau- 1) Es ist gesichert, dass die IgA-Nephro- sein und von minimalen mesangialer en an IgA-Nephropathie als Männer. pathie durch Allergien ausgelöst wird. Expansion bis zur fokal segmental ne- 4) Das typische Alter bei Erstdiagnose 2) Autoimmunität spielt bei der Entste- krotisierenden und extrakapilär proli- liegt zwischen 50 bis 60 Jahren. hung einer IgA-Nephropathie eine ferierenden Glomerulonephritis rei- Rolle. chen. 2. Die Diagnose wird ... 3) Bei der Entstehung der IgA-Nephropa- 4) Zur Diagnosestellung ist eine Tripeldi- 1) ...im Rahmen von Vorsorge-Check- thie wird von einer Multi-Hit-Hypo- agnostik aus licht-, immun- und elek- ups gestellt. these ausgegangen, d. h. mehrere tronenmikroskopischer Untersuchung 2) ...bei Vorliegen einer Hämaturie und Faktoren müssen zusammenkommen empfohlen. Proteinurie gestellt. bis die Krankheit apparent wird. 3) ...mit Vorliegen einer großen Protei- 4) Polymere galaktosedefizientes IgA 8. Welches sind die drei typischen negati- nurie, Makrohämaturie und Nieren- und zirkulierende galaktosedefizien- ven Prädiktoren für den Verlauf einer funktionsverschlechterung gestellt. te-IgA1-Autoantikörper-Immunkom- IgA-Nephropathie? 4) ...anhand klinischer Symptome und plexe scheinen eine entscheidende 1) Blutdruck 125/80 mmHg, postprandi- dem histologischen Ergebnis einer Rolle in der Pathogenese der IgA- al erhöhter Blutzucker, Adipositas. Nierenbiopsie gestellt. Nephropathie zu spielen. 2) Nikotinabusus, Blutdruck 150/90 mmHg, Proteinurie 3 g pro Tag. 3. Welches ist keine zwingend notwendig 6. Auf genetische Faktoren in der Entste- 3) Weibliches Geschlecht, milde Protei- diagnostische Maßnahme bei Verdacht hung einer IgA-Nephropathie weisen nurie, Vorliegen von mesangialen IgA- auf IgA-Nephropathie? nicht hin: Ablagerungen 1) Anamnese, klinische Untersuchung, 1) 40–50 % der direkten Familienmit- 4) Metabolisches Syndrom, Fettleber, Erheben des Praxisblutdrucks. glieder eines Patienten können erhöh- Vorliegen peripherer Ödeme. 2) Anamnese, 24h-Blutdruckmessung, te Spiegel an galaktosedefizientem Urinstatus. IgA1 haben, jedoch nicht alle das typi- 9. Welche Aussage zu therapeutischen 3) Praxisblutdruck, Bestimmung der Nie- sche klinische Bild einer IgA-Nephro- Strategien bei Vorliegen einer IgA- renwerte, erhöhte Plasma-IgA-Spie- pathie zeigen. Nephropathie ist falsch? gel. 2) geografische Variabilität in der Präva- 1) Zentrale Bestandteile der Therapie 4) Quantifizierung der Proteinurie, Urin- lenz. sind eine optimale Blutdruckregulati- sediment, Sonographie der Nieren. 3) Genomweite Assoziationsstudien on mit einem Zielblutdruck von (GWAS) konnten Risikoallele identifi- 125/75 mmHg und eine Reduktion 4. Welche Aussage zum klinischen Ver- zieren. der Proteinurie. lauf ist falsch? 4) Das polymere galaktosedefiziente 2) Supportive Therapiemaßnahmen ha- 1) Die klinischen Verläufe sind interindi- IgA1 ist der Hauptbestandteil des bei ben einen wichtigen Stellenwert in der viduell differierend. IgA-Nephropathie immer erhöhten Therapie der IgA-Nephropathie. 2) Blande Verläufe werden in bis zu 70 % Serum-IgA-Spiegels. 3) ACE-Hemmer und Angiotensin-Re- der Fälle und rapid-progressive Ver- zeptorblocker werden bevorzugt ein- schlechterung der Nierenfunktionen 7. Welche Aussage trifft auf das histologi- gesetzt, da diese den intraglomerulä- in bis zu 15 % beobachtet. sche Bild einer Nierenbiopsie nicht zu: ren Druck und damit die Proteinurie 3) Eine Nachbeobachtung oder nephro- 1) Diffuse mesangioprolifative Glomeru- positiv beeinflussen können. logische Verlaufskontrollen sind bei lonephritis, eine fokal segmentale Glo- 4) Eine Reduktion der Salzzufuhr ist bei stabilen Verläufen nicht zwingend merulosklerose und mesangiale IgA- Patienten aus Deutschland mit IgA- notwendig. Nephropathie nicht erforderlich, da
Fortbildung die mitteleuropäische Ernährung an 2) Die Grundlage therapeutischen Vor- 3) Eine immunsuppressive Kombinati- sich wenig Salz enthält. gehens sind supportive Maßnahmen onstherapie ist risikoarm und von zen- (Blutdruckregulation, Senkung des traler Bedeutung hinsichtlich des re- 10. Welche therapeutischen Maßnahmen glomerulären Drucks, Nikotinkarenz, nalen Überlebens. werden bei histologisch gesicherter Salzrestriktion, ggf. Reduktion der Ei- 4) Neue therapeutische Ansätze wie Ein- IgA-Nephropathie vorgenommen? weißzufuhr, Erreichen des Normalge- satz eines verkapselten Steroids mit 1) Eine immunsuppressive Therapie mit- wichts, körperliche Aktivierung). Falls enterischer Freisetzung oder Komple- tels Glukortikoiden sollte immer erfol- unter maximaler supportiver Therapie mentinhibitoren scheinen pathophy- gen. Die Nebenwirkungen erscheinen keine ausreichende Reduktion der siologisch wenig sinnvoll zu sein. überschaubar und damit eine Thera- Proteinurie erzielt wird, können Glu- pie immer gerechtfertigt zu sein. kokortikoide oral oder als intravenöse Boli eingesetzt werden.
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