Einige Bemerkungen zum Sach- und zum Beziehungsaspekt in der Lehrer-Schüler-Kommunikation
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(aus „System Schule“, Heft 4, Dezember 2002) Einige Bemerkungen zum Sach- und zum Beziehungsaspekt in der Lehrer-Schüler-Kommunikation Winfried Palmowski In meiner Erinnerung geistert ein 29. Dezember 2001 goldene Hochzeit Zeitungsbericht umher, den ich als Student gefeiert hätte... An jenem 19.November vor vielen Jahren gelesen habe, den ich frühstückten die Eheleute wie gewohnt und aber leider nicht mehr genau verorten lasen Zeitung. Wie immer nörgelte sie, den kann. In diesem Bericht ging es um Mord, alten Schwieger- vater rauszuschmeißen genauer um viele Morde, die sich alle nach und bis zur goldenen Hochzeit noch dies einem identischen Strickmuster abspielten, und das zu bauen...“ (TA 9.4.2002, 2). Das das auf den ersten Blick nur als belanglose war schon der ganze Anlass. Bagatelle angesehen werden kann. Etwa so: Niemand wird einen anderen Menschen umbringen wegen einer offen gebliebenen „Jeden Morgen lässt sie die Zahnpastatube Zahnpastatube, eine Frühstücksmessers in offen, jeden Morgen. Und dabei habe ich der Marmelade oder einer Nörgelei. Wenn ihr doch schon Tausend Mal gesagt ... Ich es aber doch passiert, dann sollte man bring sie um.“ einmal genauer hinsehen und sich fragen, was denn da eine so große Bedeutung hat Oder: und welche anderen entscheidenden Varia- blen eine Rolle spielen (können). Der „Jedes Mal beim Frühstück geht er mit Einfachheit halber beschränke ich mich im dem Messer in die Marmelade, jedes Mal. Folgenden auf das Beispiel mit der Zahn- Ich lege den Löffel schon extra daneben. pastatube, denke aber, dass sich der Hinter- Aber trotzdem ... Eines Tages werde ich grund generalisieren lässt. ihn noch einmal umbringen.“ Möglicherweise führt der Weg in die Der Mord als Endpunkt einer solchen Ge- Katastrophe über folgende Etappen: schichte ist die seltene Ausnahme, unmög- lich ist er nicht. Gelegentlich lassen sich 1. Sie lässt jeden Morgen ihre Zahn- entsprechende Berichte in der Literatur pastatube offen. /vgl. z.B. auch Simon 2001, 132ff.) oder in den Tageszeitungen finden. 2. Er ärgert sich jeden Morgen über die offene Zahnpastatube. Aus der „Thüringer Allgemeinen“ vom 9.4. dieses Jahres habe ich einen solchen 3. Sie tut dies, weil sie implizit genau Artikel ausgeschnitten: „Ein stiller Mann“. weiß, dass er sich darüber ärgert. Sie „Ein Mörder soll er sein, der 72-Jährige hat so eine einfache Möglichkeit, ihn auf der Anklagebank des Landgerichtes regelmäßig morgens zu ärgern. Meiningen. Der Mann mit den weißen Vielleicht hat sie auch einen anderen Haaren hat am 19. November vorigen Jah- Grund, sie möchte ihm beispiels- res seien Ehefrau erdrosselt... Er erwürgte weise auf diesem Weg mitteilen, dass an jenem Vormittag die Frau, mit der er sie keinen Wert darauf legt, von ihm seit 1951 verheiratet war und mit der er am erzogen zu werden. Die genaue
Ursache hat für den weiteren Verlauf Bedeutung dieser Bedeutungen für die allerdings immer weniger Bedeutung. Beziehung. 4. Er weiß genau, dass sie weiß, dass er Paul Watzlawick erklärt die Unterschei- sich ärgert, und er versteht nicht, dass dung in den Sach- und in den Beziehungs- sie darauf keine Rücksicht nimmt, aspekt am Beispiel der beiden Frauen, die sondern trotzdem (so würde er es sich treffen. Die eine trägt eine neue formulieren) oder sogar genau des- Perlenkette. Die andere sagt: „Oh du trägst wegen (so würde sie es sehen) die eine neue Perlenkette!“ Auf der Sachebene Tube offen lässt.. Das ist der eigent- wird mitgeteilt, dass diese Frau sieht, dass liche Grund für seine Wut. die andere eine neue Perlenkette trägt. Aber durch die Art und Weise, wie sie diesen Satz intoniert, welche Silbe sie 5. Sie weiß ganz genau, dass er weiß, betont etc. gibt sie (auf der Beziehungs- dass sie das weiß, dass er sich ärgert ebene) zu erkennen, ob sie sich freut, ob und sie weiß auch, dass dies die Effi- sie eifersüchtig ist, überrascht oder was zienz ihrer Maßnahme noch ver- auch immer. Und diese Beziehungsebene stärkt. ist der wichtigere Teil der Kommunikation. Er wird beispielsweise darüber entschei- 6. Er weiß ganz genau, dass sie weiß, den, wie die Angesprochene reagieren und dass er weiß, dass sie weiß, dass er welchen Verlauf das Gespräch nehmen sich maßlos ärgert. wird. 7. Usw., usw. ... bis das Maß irgend- In einem Lehrbuch der Sozialpsychologie wann voll ist und überläuft. (Herkner 1996) finde ich in einem Ab- schnitt über „Meinungsbildung“ (278ff.) eine diesbezüglich sehr interessante Ge- Ein wichtiger Baustein in einer solchen wichtung: „Am ehesten ‚vertraut’ man Entwicklung ist offensichtlich die Unfä- dem Gesichtsausdruck, in zweiter Linie higkeit der Beteiligten, ihren Streit (oder dem Tonfall. Dem Inhalt wird fast gar ihr Spiel) zum Thema zu machen und keine Bedeutung beigemessen“ (ebd. 280). „metakommunikativ“ zu klären. Allerdings Herkner zitiert Autoren, die dies sogar in ginge es bei einer solchen Klärung nicht einer Gleichung darstellen: „Gesamtein- mehr um die offene Zahnpastatube, son- druck = 0,07 (Inhalt) + 0.38 (Tonfall) + dern um die Art, wie die beiden ihre 0,55 (Mimik)“ (ebd..). Beziehung gestalten, konkret, wie sie sich (gegenseitig) Verletzungen zufügen und Ohne diese Zahlen hier weiter erörtern um die bereits geschehenen Verletzungen, oder in Frage stellen zu wollen, machen sie die zu weiteren Boshaftigkeiten führen. doch deutlich, welch immense Bedeutung den Beziehungsanteilen in unserer Kom- Spätestens seit Paul Watzlawick (1969) ist munikation zukommt und welchen bekannt, dass jede Kommunikation einen „Informationen“ (oder eben „Bewertun- Sach- und einen Beziehungsaspekt enthält., gen“) wir wie viel Gewicht beimessen. die zueinander so organisiert sind, dass der Beziehungsaspekt des Sachaspekt domi- Es gibt meiner Ansicht nach relativ viele niert. Im obigen Beispiel wäre der Sach- Kommunikationsarrangements wie aspekt die offene Zahnpastatube, der Stammtisch, Kaffeeklatsch etc., in denen Beziehungsaspekt läge im Wissen um die die auf der Sachebene ausgetauschten wechselseitigen Bedeutungen, die diesem Inhalte weitestgehend irrelevant sind Sachverhalt beigemessen werden und der (außer natürlich wenn die Nichtanwe- senden gemeinsam durch den Kakao
gezogen werden). Man achtet nur einmal Ich habe mich gut angenommen gefühlt darauf, wie fast beliebig die Themen und durfte sogar allein unterrichten. gewechselt werden. Auf der Beziehungs- ebene macht man sich dagegen – nicht mit Ich bin mir vorgekommen wie ein Schü- Worten, sondern durch den Akt des ler, der schon aufs Lehrerklo darf. Miteinander-Redens – gegenseitig Kompli- mente: „Es ist schön, mit euch gemeinsam ich stand so auf halber Strecke zwischen zu reden und die Zeit zu verbringen!“ den Schülern und den Lehrern! Die Liste der Beispiele, die die Bedeutung Wehe dir, wenn du dich im Lehrer- des Beziehungsaspektes unterstreichen, zimmer auf den falschen Stuhl gesetzt lässt sich beliebig verlängern. hast. In der Beratungsstelle für Kinderschutz Übertragen wir das bisher Gesagte auf den wurde uns in der Arbeit mit Kindern, die Kontext Schule und auf die Lehrer- familiäre Gewalt erlebt hatten, schnell Schüler-Kommunikation, so ist in einem klar, dass es weniger die Schläge selbst ersten Schritt festzuhalten, dass auch hier waren, die den Kindern das Leben die Beziehungsebene die Sachebene domi- schwer machten, sondern die invol- niert. Luc Stevens hat dies unmiss- vierten Beziehungskomponenten: Gerade verständlich zum Ausdruck gebracht: bei den Personen, die ihnen Sicherheit und Geborgenheit geben sollten, und „Lehrer und Schüler begegnen sich genau in den Räumen, wo ihr Zuhause zunächst als Persönlichkeiten; sie war, konnten sie sich nicht zu Hause beurteilen sich gegenseitig aufgrund fühlen, weil Sicherheit und Geborgenheit persönlicher Werte. Der Unterricht hat nicht gegeben waren. Diese psychische also zunächst eine zwischenmenschliche Komponente verunsichert (nicht nur Bedeutung und erst danach eine Kinder) zutiefst. unterrichtliche oder professionelle Bedeutung. Erst im zweiten Schritt sehen Das Verletzende an einem „Seiten- sich Lehrer und Schüler in ihren sprung“ ist nicht das faktische Gesche- Funktionen und Rollen. Der Ton wird von hen, sondern die damit verbundenen Be- der persönlichen Begenung bestimmt“ ziehungsaussagen (analog zur Zahnpasta- (Stevens 2001, 18). tube). Die Alltagserfahrungen der meisten Lehrer Ein Strauß Blumen oder eine Rose haben dürften diese Unterscheidung bestätigen. sicher auch einen Sachwert. Die Freude Die Kinder in der Grundschule lernen oft über den Erhalt wird sich aber nur selten sehr viel mehr ihrer Lehrerin oder ihrem darauf beziehen. Lehrer zuliebe als das sie sich begeistert zeigen von deren dialektisch-methodischer Eine Gruppe von Praktikanten tauscht sich Meisterschaft. In einer Klasse, in der die aus über die während des Praktikum ge- Beziehung zwischen dm Lehrer und den machten Erfahrungen: Schülern „stimmt“, weil sie von Authenti- zität, Ernsthaftigkeit und Wertschätzung Meine Mentorin war total nett, die hat geprägt ist, sind die Schüler auch dann mich sogar einmal zu sich nach Hause bereit zu lernen, wenn die didaktisch- ein geladen. methodischen Schritte nicht unbedingt „das Gelbe vom Ei“ sind. Umgekehrt dürf- Mit mir wusste keiner was anzufangen, te erfolgreiches Lernen auch bei hervor- irgendwie stand ich nur im Weg. ragenden didaktischen Fähigkeiten des Lehrers sich um so schwieriger gestalten,
je problematischer die Beziehung sich im Umgang mit schwierigen Schülern zwischen den Beteiligten gestaltet. fühlen sie sich oft hilflos, weil sie in ihrer pädagogischen Arbeit auf ihr Alltags- Wenn wir an unsere eigene Schulzeit wissen zurückgeworfen sind. zurückdenken, an welche Lehrer können wir uns am besten erinnern? Doch wohl an Wenn man den Gedanken akzeptiert, dass die, die uns mehr als Menschen und weni- die Kommunikationen auf der Bezie- ger in ihrer Reduktion auf die Lehrerrolle hungsebene wichtiger sind als die begegnet sind. mitgeteilten Sachaspekte, dann kann dies nur bedeuten, dass den Fragen nach Um so erstaunlicher finde ich, dass diesem professionellen Gestaltungsmöglichkeiten Sachverhalt in der Lehrerausbildung wie in von Lehrer-Schüler-Beziehungen mehr vielen didaktischen Modellen gar keine Bedeutung beigemessen werden muss, und oder nur marginale Bedeutung beige- zwar sowohl in der Lehrerausbildung als messen wird oder dass – die hier beschrie- auch in der (kontinuierlichen) Fortbildung. benen kommunikationstheoretischen Über- Das heißt aber nichts anderes, als dass legungen ignorierend – sogar der Pädagogik Vorrang haben muss vor Fachdidaktik wieder mehr Bedeutung vor (Fach-)Didaktik, schließlich ist die Gestal- der Pädagogik eingeräumt werden soll und tung der Lehrer-Schüler-Beziehung eine wird. genuin pädagogische Fragestellung, die – ausgehend vom zugrunde liegenden Men- Wahrscheinlich gibt es durch die Schul- schenbild bis hin zu konkreten Formen der formen hindurch ein Gefälle, das sich do Realisation – der gründlichen Reflexion beschreiben lässt: Je höher die Schulform, und Übung bedarf. desto mehr Bedeutung wird dem Bildungs- auftrag der Schule beigemessen, und desto Der Unterschied zwischen Pädagogik und geringer ist der Stellenwert, der der Leh- anderen Wissenschaften ist durchaus nicht rer-Schüler-Beziehung (und dem Erzie- der, dass Pädagogik weniger wissen- hungsauftrag) beigemessen wird. Ein schaftlich wäre, sondern eher der, dass sich Verweis auf das Fachlehrersystem, das diejenigen, die sich mit Pädagogik be- dies begünstigt, unterstützt diese Sicht- schäftigen, immer selbst mitdenken weise zusätzlich und generiert einen müssen, weil sie gleichzeitig die Subjekte „Sachzwang“. Je niedriger die Schulform, und Objekte ihres Nachdenkens sind. Das desto wichtiger wird die Gestaltung der macht dieses Fach so faszinierend, aber Beziehung zwischen Lehrer (als Klassen- auch scheinbar so wenig objektiv oder lehrer) und Schülern (der Erziehungs- quantitativ fassbar. auftrag) vor dem Bildungsauftrag. Aus dieser Positionierung ergibt sich Auch wenn ich mich jetzt sehr weit aus weiterhin die Konsequenz, dass sich die dem Fenster lehne und Widerspruch ernten Pädagogiken, die sich bisher schwerpunkt- dürfte. Nach meinem Eindruck sind mäßig mit Fragen des Umgangs mit Sonderpädagogen in aller Regel gute Konfliktsituationen, mit Aspekten der Pädagogen, das heißt, sie verfügen über ein Gestaltung von Lehrer-Schüler-Bezie- umfangreiches Wissen und Können in hungen, mit professionellem Lehrerhan- einer professionellen Gestaltung ihrer deln und ähnlichem beschäftigt haben – Beziehungen in der Schule, aber sie und die betrifft vor allen anderen die messen didaktischen Aspekten oft sehr viel (Sonder-)Pädagogik bei Erziehungsschwie- weniger Bedeutung bei. rigkeiten – verstärkt in den allgemeinen Grund-, Regelschullehrer, Studienräte ve-r pädagogischen Diskurs werden einbringen fügen über umfangreiche fachdidaktische müssen. und unterrichtsbezogene Kenntnisse, aber
Pädagogisches Handeln könnte auch Literatur Profitieren von einem Blick auf das Feld der Beratung. Dorrmann, W. (1991): Suizid, Therapeutische Interventionen bei Selbsttötungsabsichten, Pfeiffer, München. In vielen Beratungskonzepten wird der Unterscheidung in die Sach- und in die Herkner, W. (1996): Sozialpsychologie, Huber, Beziehungsebene erhebliche oder gar Bern. entscheidende Bedeutung beigemessen (vgl. Weakland 1988, 24ff.), etwa wenn es Schulz von Thun, F. (1981): Miteinander reden 1, Rowohlt, Reinbek. um das Formulieren von Ratschlägen geht (Ratschläge sind auch Schläge!). Auf der Simon, F. (2001): Tödliche Konflikte, Zur Sachebene mag das, was der Berater Selbstorganisation privater und öffentlicher Kriege, seinen Klienten empfiehlt, sehr vernünftig Carl Auer, Heidelberg. und bedeutsam sein, auf der Beziehungs- Stevens, L. (2001): Denkpause, Ein Arbeitsbuch ebene verstehen die Klienten möglicher- für Lehrer zum Umgang mit Schülern beim Lehren weise aber Folgendes: „Wie dumm seid ihr und Lernen, Schneider, Hohengehren. eigentlich, das ihr auf diese einfache Lösung nicht selbst gekommen seid. Watzlawick, P. u.a. (1967): Menschliche Monatelang schlagt ihr euch mit diesem Kommunikation, Huber, Bern. Problem herum und ich weiß schon nach Weakland, J. (1988): Beratung älterer Menschen dreißig Minuten des Fragens und Zuhö- und ihrer Familien, Huber Bern. rens, wie die beste Lösung aussieht!“ Die Reaktion von Klienten auf Ratschläge ist bekannt: „Ratschläge (werden) von Klien- ten erst einmal entwertet, interessanter- weise auch von denen, die explizit einen Rat verlangen“ (Dormann 1991, 112). Ich frage mich, inwieweit sich diese Sichtweise auf unterrichtliches Geschehen übertragen lässt. Da mag der Lehrer auf der Sachebene sehr anschaulich und didaktisch geschickt reagieren, möglicher- weise erreicht der Stoff die Schüler aber nur marginal, weil sie sich auf der Bezie- hungsebene nicht wertgeschätzt oder ernstgenommen fühlen. In seinem Buch „Miteinander Reden“ schreibt Friedemann Schulz von Thun: „Jede Botschaft von der Art ‚Ich weiß bes- ser als du , was mit dir los ist’ schadet der Kommunikation und grenzt an Psycho- terror“ (1988, 78). Es findet sich kein Verweis des Autors, dass er das Miteinan- der-Reden im Unterricht oder als Unter- richt hiervon ausgenommen haben könnte.
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