Elektromyografie: Hintergrund

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Elektromyografie: Hintergrund
Skelettmuskeln leisten bei der Fortbewegung und Unterstützung des animalischen Skeletts
den größten Teil der Arbeit. Jeder Muskel besteht aus einzelnen Muskelfasern, die in
Bündeln organisiert sind (Abbildung 1).

Abbildung 1. Struktur eines Skelettmuskels.

Jede einzelne Faser wird von einem Zweig eines motorischen Axons innerviert. Unter
normalen Umständen werden alle Muskelfasern, die von dem motorischen Neuron und seinen
axonalen Zweigen innerviert wurden, von einem neuronalen Aktionspotenzial aktiviert. Das
motorische Neuron sowie alle von ihm innervierten Muskelfasern werden als „motorische
Einheit“ bezeichnet (Abbildung 2).

Abbildung 2. Die Bestandteile einer motorischen Einheit.

Bei diesem Aktivierungsprozess wird ein Aktionspotenzial initiiert (entweder freiwillig oder
durch elektrische Reizung eines peripheren Nervs) und die Nervenfaser entlang
weitergeleitet. Dadurch kommt es zur Ausschüttung eines Neurotransmitters in den
synaptischen Spalt der motorischen Endplatte und zur Depolarisierung der Muskelmembran,
woraufhin sich die Muskelfasern zusammenziehen.

Die Elektromyografie ist ein Verfahren zur Messung der elektrischen Aktivität der Muskeln
und der muskelkontrollierenden Nerven. Die aufgezeichneten Daten werden
„Elektromyogramm“ genannt, auch unter der Bezeichnung „EMG“ oder „Myogramm“
bekannt. Es gibt zwei Aufzeichnungsmethoden: Bei der einen werden Nadelelektroden durch
die Haut in den Muskel eingeführt und bei der anderen Elektroden auf der Haut platziert.
Größe und Form der gemessenen Wellenform liefern Informationen über die Fähigkeit des
Muskels, auf Nervenreize zu reagieren. In der klinischen Praxis wird das EMG größtenteils
verwendet, wenn Menschen Schwächesymptome zeigen und die Untersuchung eine
beeinträchtigte Muskelkraft ergibt. Es kann helfen, Muskelschwächen zu unterscheiden, die
auf anderweitig begründete Nervenstörungen zurückzuführen sind.

Das EMG liefert eine Darstellung von Zeitabläufen und Mustern der Muskelaktivität
während komplexer Bewegungen. Das Rohsignal des Oberflächen-EMGs reflektiert die
elektrische Aktivität der Muskelfasern, die zum jeweiligen Zeitpunkt aktiv sind. Die
Aktivierung von motorischen Einheiten erfolgt asynchron und in manchen Fällen lässt sich
bei äußerst schwachen Kontraktionen der Anteil der einzelnen motorischen Einheiten am
EMG-Signal ermitteln. Mit zunehmender Stärke der Muskelkontraktion nimmt die Dichte der
Aktionspotenziale jedoch zu, und dann stellt das Rohsignal u. U. die elektrische Aktivität von
vielleicht Tausenden von einzelnen Fasern dar.

In der ersten Übung zeichnen Sie die EMG-Aktivität bei freiwilligen Kontraktionen der
Bizeps- und Trizeps-Muskeln des Arms auf (Abbildung 3).
Abbildung 3. Struktur eines Skelettmuskels.

Das EMG-Rohsignal bei freiwilligen Kontraktionen kann auf verschiedene Weise verarbeitet
werden, um die Intensität der EMG-Aktivität zu ermitteln. Bei der hier verwendeten Methode
werden die ins Negative gehenden Teile des EMGs invertiert. Anschließend wird das
gesamte Signal integriert, um einzelne Spitzen zu glätten und den zeitlichen Verlauf der
wechselnden Aktivität stärker zu verdeutlichen. In diesem Teil der Übung untersuchen Sie
die Koaktivierung - ein Phänomen, bei dem die Kontraktion eines Muskels zu mehreren
geringen Aktivitäten im antagonistischen Muskel führt. Die physiologische Bedeutung dieses
Phänomens ist nicht ganz geklärt, doch wird vermutet, dass es zur Stabilisierung des Gelenks
beiträgt.

Außerdem zeichnen Sie Reiz-EMG-Signale auf, die durch die elektrische Reizung eines
muskelversorgenden motorischen Nervs erzeugt werden. Der abductor pollicis brevis ist ein
Mitglied der Thenarmuskelgruppe an der Handfläche (Abbildung 4).

Abbildung 4. Muskeln von Unterarm und Hand.

Der motorische Nerv des abductor pollicis brevis (Mediannerv) ist an Handgelenk und
Ellbogen leicht zu reizen. In dieser Übung werden flache Metallscheibenelektroden auf Ihrer
Haut angebracht. Kurze elektrische Impulse werden durch die Haut zum Nerv geleitet und es
wird aufgezeichnet, wie lange der Muskel braucht, um mit einer Kontraktion auf den
elektrischen Impuls zu reagieren. Die Geschwindigkeit der Reaktion hängt von der
Leitgeschwindigkeit ab. Im Allgemeinen liegt die normale Leitgeschwindigkeit im Bereich
von 50 bis 60 Metern pro Sekunde. Die normale Leitgeschwindigkeit kann jedoch je nach
Person und Nerv variieren.

Nerven- und Muskelstörungen führen zu anormalen Muskelreaktionen. Durch die Messung
der elektrischen Aktivität in Muskeln und Nerven kann festgestellt werden, ob, wo und in
welchem Ausmaß Muskelgewebe oder Nerven zerstörende Krankheiten vorliegen (z. B.
Muskeldystrophie bzw. amyotrophische Lateralsklerose (Lou-Gehrig-Krankheit)). Im Fall
von Nervenverletzungen kann häufig die betroffene Stelle ermittelt werden. In der klinischen
Praxis werden EMG- und Nervenleitungsstudien gewöhnlich gemeinsam durchgeführt.
Wenn ein externer Nervenreiz angelegt wird, fühlt der Proband ein kurzes „Stechen“, ein
Kribbeln und ein Zucken im Muskel. Das kann sich ähnlich anfühlen wie die statische
Entladung, die man spürt, wenn man seine Füße am Teppich reibt und dann einen
Metallgegenstand anfasst. In unseren Übungen sind die einzelnen elektrischen Impulse sehr
kurz (weniger als eine Millisekunde). Die Energie der elektrischen Impulse ist nicht hoch
genug, um Verletzungen oder Schäden hervorzurufen. Es gibt keinerlei Risiko im
Zusammenhang mit diesen kleinen Strömen. Da nichts in die Haut eingeführt wird, besteht
keine Infektionsgefahr.

Übung 1: Freiwillige Kontraktion
Studienfragen

   1. Im Gegensatz zu der diskreten Wellenform eines Elektrokardiogramms ist die Wellenform
      des Elektromyogramms unregelmäßig. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?
   2. Erklären Sie mit eigenen Worten, wie sich die EMG‐Spur bei Belastung des Arms veränderte.
      Was geschieht angesichts der erfassten Daten mit den Muskeln, wenn sie belastet werden?

Übung 2: Wechsel von Aktivität und Koaktivierung
Studienfragen

   1. Definieren Sie mit eigenen Worten den Begriff „Koaktivierung“. Wie lässt sich dieses
      Phänomen Ihrer Ansicht nach erklären?
   2. Die Koaktivierung von Bauchmuskeln und Muskeln, die zur Stützung der Wirbelsäule dienen,
      ist erwiesenermaßen unerlässlich für die aufrechte Haltung des Menschen. Ist Ihren Daten
      zufolge die Koaktivierung des Trizeps für die ordnungsgemäße Funktion des Bizeps nötig und
      umgekehrt?

Übungen 3 und 4: Reiz-EMG und
Nervenleitgeschwindigkeit
Studienfragen

   1. Listen Sie die physiologischen Ereignisse auf, die zwischen dem Reiz und dem Beginn der
      aufgezeichneten Reaktion auftreten (d. h. während der Latenzperiode).
   2. Welches der an der Latenzperiode beteiligten Ereignisse (die Sie in oben stehender Frage 1
      aufgelistet haben) hängt von der Position der Reizelektrode ab?
   3. Wie lange braucht ein Nervenimpuls Ihren Ergebnissen und der berechneten
      Nervenleitgeschwindigkeit zufolge, um vom Rückenmark zum großen Zeh zu gelangen?
      Nehmen Sie an, dass die zurückgelegte Strecke einen Meter beträgt.
   4. Gab es unter den Mitgliedern Ihrer Gruppe Abweichungen bei der
      Nervenleitgeschwindigkeit? Nennen Sie einige Erklärungen dafür.
Quiz:

1. A single motor neuron:
   A. Innervates only one muscle fiber.
   B. May innervate a number of muscle fibers.

2. The EMG is a recording of:
   A. The action potentials of the motor nerves supplying the muscle fibers.
   B. The action potentials of the innervated muscle fibers.
   C. The contractions of the innervated muscle fibers.

3. The phenomenon of ‘coactivation’:
   A. Is the relaxation of muscle antagonists during the contraction of the agonist
      muscle.
   B. Is the weaker contraction of muscle antagonists during the contraction of the
      agonist muscle.
   C. Is the simultaneous contraction of other agonist muscles.

4. In the evoked EMG:
   A. There is synchronous excitation of the muscles supplied by the stimulated
       nerve.
   B. The magnitude of the measured EMG is independent of the nerve stimulus
       intensity.

5. The conduction velocity of motor nerves is approximately:
   A. 10 m/s.
   B. 2 m/s.
   C. 50 m/s.
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