Elfriede Gerstls Arbeitsjournal' von 1955

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Elfriede Gerstls Arbeitsjournal' von 1955
Zeitschrift für Germanistik und Gegenwart

                           Konstanze Fliedl

Elfriede Gerstls ‚Arbeitsjournal‘ von 1955

                      DOI: 10.25365/wdr-01-02-03
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                       www.univie.ac.at/wdr
Elfriede Gerstls Arbeitsjournal' von 1955
Konstanze Fliedl

    Elfriede Gerstls ‚Arbeitsjournal‘ von 1955
1   Eine Notiz von Elfriede Gerstl aus dem Jahr 1991 lautet: „Tagebücher sind zwar Dokumente der Zeit,
    aber immer auch Dokumente persönlichen Unglücks.“ (Gerstl 2017: 145)1 Wohl auch aus diesem Grund
    hat Gerstl kein Tagebuch im eigentlichen Sinn geführt, obwohl es ‚Dokumente persönlichen Unglücks‘
    in ihren hinterlassenen Schriften durchaus gibt. Die betreffenden Aufzeichnungen sind im Nachlassband
    ihrer Werkausgabe nicht enthalten, weil das Herausgeberteam versuchte, ihrer Direktive zu folgen, dass
    allzu Privates unter Verschluss bleiben möge – eine Zurückhaltung, die Gerstl selbst in all ihrer Ambivalenz
    reflektiert hat:

        tagebuchseiten
        wegschmeissen
        in die man geweint hat
        weil kein gesprächspartner
               da war
        schwer ein stück eigenes
        leben in den müll zu schmeissen
        teile in den kopf
               zurückzustopfen
        aus schonung für wen
        für die gfraster
        die diese schonung
               gar nicht verdienen
        oder schont es mich
        erlittenes nicht
               einer gierigen
        öffentlichkeit
               auszuliefern
        (Gerstl 2017: 87, datiert 2001)

2   Diese Diskretion soll hier beibehalten werden: Verstreute private Notizen werden nicht behandelt, zumal
    diese Niederschriften ohnehin nicht in tagbuchähnlicher Konsequenz erfolgten. Eine klassische Diaristin
    ist Gerstl also nicht gewesen. Die formalen Vorgaben des Genres, eine bestimmte Regelmäßigkeit im
    täglichen Eintrag von Arbeitspensen, Erlebnissen oder Begegnungen, stehen auch quer zu ihrer Poetik der
    ‚Beiläufigkeit‘: Das Schreiben, so Gerstls dichterisches Programm, sollte sich gleichsam von selbst ergeben
    und keinesfalls pathetisch inszeniert werden. Als Instrument der Selbsterziehung oder Selbstbeobachtung
    – so die historischen Funktionen der Gattung – war ihr das Tagebuch vermutlich auch zu narzisstisch
    und egozentriert; als Kontrollorgan eigener schriftstellerischer Tätigkeit zu pedantisch, als ‚Dokument der
    Zeit‘ zu gravitätisch. Ihre Kindheitserfahrungen im Dritten Reich hat Gerstl bekanntlich in ausgesprochen
    diskreter Weise behandelt; wie Andreas Okopenko einmal bemerkt hat, hat sie es gerade nicht darauf
    angelegt, „ihre politische Kindheit (jüdisches ‚U-Boot‘) umzusellern in eine überlebende Anne Frank“.
    (Okopenko 2012: 173)

              Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
3   Dabei hat Gerstl aber nicht nur dem Freund Okopenko 2004 eine Hommage mit dem Titel verspätetes
    tagebuch gewidmet (siehe Gerstl 2015: 272–274), sondern auch und gerade dem Tagebuch der Anne Frank
    eine Besprechung (Gerstl 2015: 227–229), und zwar anlässlich einer dramatisierten Fassung, die im Mai 1957
    im Theater in der Josefstadt uraufgeführt worden war. Gerstls Rezension ist in der Neuen Generation, der
    Kulturzeitschrift des ‚Verbands Sozialistischer Studenten Österreichs‘, erschienen. Auf die Gemeinsamkeit
    des Schicksals deutet lediglich eine versteckte Parenthese:

        Es ist eine doppelte Wahrheit, die in diesen Aufzeichnungen lebt: die von uns kontrollierbare –
        vielleicht schmerzhaft erlebte – Realität, und die subjektive Erfahrung dieses erstaunlich hellsichtigen
        und früh gereiften Kindes. (Gerstl 2015: 228)

4   Die Sätze über die Gattung des Tagebuches selbst sind aber über den Anlass hinaus verallgemeinerbar:

        Sicher aber ist: das Tagebuch ist ein Kunstwerk und verträgt sogar einen strengen Maßstab, denn
        hier wird unbewußt ein künstlerisches Gesetz eingehalten, das lautet: Allgemeines werde durch ein
        Besonderes dargestellt, oder – anders formuliert: am Schicksal eines Individuums werde das seines
        Volkes (einer Gruppe, des Typus oder einer anderen Gemeinschaft) gezeigt. (Gerstl 2015: 228)

5   Wenngleich Gerstl sich selbst nicht in dieser Art des ‚Kunstwerks‘ versucht hat, hat sie dennoch datierte
    Aufzeichnungen geführt. Die frühesten stammen aus den Jahren 1954/55. Sie lassen sich am ehesten als
    Arbeitsjournal bezeichnen: Es sind Prosaskizzen und lyrische Versuche, die korrigiert und mitunter in
    Hinblick auf eine Veröffentlichung durchaus nachdrücklich redigiert worden sind.

                              Abbildung 1. Elfriede Gerstls Arbeitsjournal 1954/55, 1962.

             Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
6   Das Material aus dieser Zeit ist höchst divers und einigermaßen schwer zu ordnen. Wurde es
    zeitlebens publiziert, in Zeitschriften oder Sammlungen, findet man es in betreffenden Bänden der
    bei Droschl erschienen Werkausgabe (die weiteren Bände sind Gerstl 2013 und Gerstl 2014). Manche
    der unveröffentlicht gebliebenen, handschriftlich erhaltenen Texte sind im fünften Band, Das vorläufig
    Bleibende, als Inedita abgedruckt, und zwar unter verschiedenen Rubriken wie ‚Gedichte und Prosa‘ oder
    ‚Träume‘. Das Herausgeberduo Christa Gürtler und Manfred Wedl hat hier eine Auswahl getroffen; sie
    folgte verschiedenen Rücksichten, etwa auf die Intimsphäre der Autorin oder auf den literarischen Status
    des Niedergeschriebenen; manchmal kamen auch rein pragmatische Aspekte wie die Entzifferbarkeit der
    Schrift ins Spiel. Daher sind zahlreiche Notate aus dem Nachlass nach wie vor nicht ediert.

7   In der Tat sind aber viele dieser Texte chronologisch, also quasi-diaristisch aufgezeichnet worden.
    Im Nachlass sind sie in verschiedenen Notizbüchern und -blöcken überliefert, die Gerstl manchmal
    parallel, manchmal gegenläufig geführt hat, das heißt, bestimmte Eintragungen wurden nacheinander
    niedergeschrieben, andere auf dem gewendeten, von hinten nach vorne benutzen oder aber einem
    weiteren Textträger. Im Folgenden sollen die erhaltenen Aufzeichnungen eines Jahres rekonstruiert
    werden – ob publiziert oder nicht –, um aus ihnen so etwas wie ein Tagebuch zusammenzustellen. Gewählt
    wurde das Jahr 1955, und zwar deswegen, weil die frühesten Notizen zwar ins Jahr 1954 zurückgehen, aber
    noch kein ausreichendes Korpus bilden; erst ab Januar 1955 folgen datierte Aufzeichnungen mit einiger
    Regelmäßigkeit. Darüber hinaus wurden in diesem Jahr auch die ersten Texte aus dem ‚Journal‘ publiziert,
    es handelt sich also um den Zeitraum des ersten öffentlichen Auftretens.

8   Das betreffende Konvolut umfasst vier Notizblöcke,2 wobei der erste und der letzte jeweils auch
    Eintragungen von 1954 bzw. 1956 enthalten; die ersten beiden wurden alternierend beschrieben.
    Herangezogen werden nur Texte, die entweder durch Datierung oder Lage zweifelsfrei dem Jahr 1955
    zugordnet werden können; das sind insgesamt 49 Aufzeichnungen, von denen 28 zu Lebzeiten Gerstls
    gedruckt wurden, die meisten von ihnen in den Neuen Wegen zwischen 1955 und 1958 und im Jüdischen
    Echo von 1955 bis ins Folgejahr. Zwei Gedichte hat Gerstl später in Sammlungen aufgenommen, eines in
    die wiener mischung (1982), das andere in alle tage gedichte (1999). Dazu kommen zwei Texte, die sich
    jetzt im Nachlassband Das vorläufig Bleibende finden; die übrigen neunzehn sind unpubliziert. Einzelne
    weitere Veröffentlichungen Gerstls aus 1955 sind in den Notizblöcken nicht enthalten. Sie wurden hier
    nicht berücksichtigt, weil das Konvolut eben nicht nur als Entwurfs- oder Stoffsammlung gelesen werden
    soll; in den Blick genommen werden hingegen Thematik und Stilistik unter den von Gerstl selbst als
    diaristisch genannten Aspekten: der Zeitgenossenschaft und des ‚Persönlichen‘.

9   Freilich ist dabei die banale biographistische Basisannahme nicht zu umgehen, dass sich Privates wie
    Zeitgemäßes in literarischen Texten spiegelt. Diese Spiegelung ist in Gerstls Aufzeichnungen aber gerade
    durch die zeittypische Tendenz zur Chiffrierung in Naturmetaphern oder mythologischer Bildlichkeit
    vielfach zurückgenommen. Selten wird sie so konkret wie in den folgenden zwei Beispielen. Beim ersten
    handelt es sich um ein unveröffentlichtes Gedicht vom 21. Oktober 1955, Was der Teich Narziß zu sagen
    vergaß:

        Ich will dir gern deine Züge zeigen
        Brauchst dich nur über mich zu neigen
        Schon siehst du sie, die leere eitle Fratze,
        Du staunst und schleichst wie eine Katze
        Um mich herum?!

              Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
Der Kuckuck singt nur seine K.[uckucks?]lieder
         Komm’ doch und schau
         Schau dich nur immer wieder.3

10   Unter diesem Text steht folgende lapidare Fußnote: „(Nach einem Weigl Vortrag geschrieben)“. Die
     versifizierte Abrechnung mit dem autokratischen Publizisten Hans Weigel, der zu dieser Zeit mit Hermann
     Hakel, dessen Kreis Gerstl angehörte, um die Rolle des Supermentors der jungen österreichischen Literatur
     konkurrierte, lässt sich freilich auch auf andere Zeitgenossen übertragen.

11   In die Rubrik ‚zeitläufig‘ der Sammlung wiener mischung von 1982 hat Gerstl dann folgenden, am 17. 9. 1955
     niedergeschriebenen Text aufgenommen:

         die zinnsoldatenrevue

         eins, zwei
         marschieren die soldaten
         die kleinen graugrünen zinnsoldaten
         in einer reih.
         eins, zwei
         kam der kasperl gesprungen
         und hat einen langen säbel geschwungen
         und schlug vielen grauen
                  den schädel entzwei
         die übrigen gingen
         in einer reih
         eins, zwei.
         dann kam ein könig
         ganz ohne fragen
         der hat gar viel
                  aufs haupt geschlagen
         (man musste sie nicht mehr
                          ins hospital tragen)
         die übrigen gingen
         in einer reih
         eins, zwei.
         dann kam ein irrer
                  im hemde gelaufen
         der schickte gleich einen grösseren haufen
         sich schnell mal mit zyankalium besaufen
         die übrigen gingen
         in einer reih
         eins, zwei

         u.s.w.

                  Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
12   Der Nachlasstext allerdings trägt den Titel: Das Kasperltheater EUROPA bringt wieder die
     Zinnsoldatenrevue:. Zehn Tage zuvor, am 7. September 1955, hatte der österreichische Nationalrat einen
     Gesetzesentwurf verabschiedet, der die Aufstellung eines Bundesheers und die allgemeine Wehrpflicht
     vorsah. Die Bundesrepublik Deutschland war in den vorhergehenden Monaten der NATO beigetreten, hatte
     einen Verteidigungspakt mit den USA geschlossen – inklusive der betreffenden Rüstungslieferungen –
     und die offizielle Gründung der Bundeswehr, die dann im November erfolgte, vorbereitet. Im Kontext der
     Wiederaufrüstungsdebatte liest sich Gerstls Text als ein unmittelbarer Reflex auf das Zeitgeschehen, der
     in der Groteskerie der Figuren auch ein wenig an Brechts Legende vom toten Soldaten (Brecht 1988: 112–
     115) von 1918 erinnert.

13   So direkt wird die ‚Dokumentation der Zeit‘ aber selten. Daher sollen im Folgenden andere Charakteristika
     der tagebuchähnlichen Eintragungen zur Sprache kommen, nämlich die Chronologie der Eintragungen,
     ihre Stilistik in Hinblick auf ihre Veröffentlichungsmöglichkeiten und die thematischen Kontinuitäten.
     Zuletzt geht es um die Frage, inwieweit diesen Aufzeichnungen die Selbstreflexion der werdenden
     Schriftstellerin Elfriede Gerstl abzulesen ist.

14   Was die Frequenz der Eintragungen betrifft, so fällt auf, dass fast ein Viertel der Jahreseintragungen im
     Januar gemacht wurden, bis zur Jahresmitte drei Viertel. Die abnehmende Häufigkeit ließe sich natürlich
     auch damit erklären, dass Gerstl andere Textträger benutzte, die nicht erhalten sind (für die nicht im
     Konvolut befindlichen, aber 1955 publizierten Texte muss das auch der Fall sein). Dennoch ist es vielleicht
     nicht ganz falsch, von einem Motivationsmangel auszugehen, sieht man auf die Publikationslage: Von den
     bis April entstandenen Texten wurden vierzehn in den Neuen Wegen gedruckt; von den zwischen Mai und
     August entstandenen erschienen sieben im Jüdischen Echo. Die meisten Texte der danach entstanden Texte
     blieben unpubliziert, was möglicherweise auch mit deren Qualität zu tun hat: Die letzten Eintragungen
     des Jahres fallen rein handwerklich hinter die früheren zurück. Der Versuch Gerstls, eine eigene Stimme
     zu finden, könnte paradoxerweise durch ihre Veröffentlichungsmöglichkeiten blockiert worden sein:
     Die kessesten Texte aus dieser Zeit sind jedenfalls weder in den Neuen Wegen noch im Jüdischen Echo
     erschienen. Die ersten verlangten offenbar einen symbolgesättigte, ‚schöne‘ Sprache, das zweite einen
     Bezug zur biblisch-jüdischen Tradition. Gerstl hat sich bemüht, diesen Anforderungen nachzukommen;
     ihre eigene Handschrift trat dem gegenüber im Lauf des Jahres deutlich zurück.

15   Stilistisch finden sich daher vollkommen unterschiedliche Techniken. So wird zum Beispiel bei den von
     den Neuen Wegen angenommenen Texten mehrmals ein traditionelles Verfahren der oppositionellen
     Platzierung übersemantisierter Dingsymbole eingesetzt, wie etwa in folgendem im Januar entstandenen
     Gedicht:

         Die runde Schale
         Schwer und voll von Wein
         Spiegelt den großen Garten
         In ganz anderen Bildern
         Als jener schwarze Krug mit Pflanzensäften
         In deren Bitterkeit d. ewig Kranken
         Ihre Heilung finden

16   Der Abdruck in den Neuen Wegen unterstreicht das noch durch den hinzugekommenen Titel Zweierlei
     Spiegel.

                Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
17   Dem Prinzip wiederholender und antithetischer Reihung, wie es sich zum Beispiel auch bei Erich Fried
     findet – den Gerstl 1956 übrigens wegen seiner „starke[n] skurrile[n] Effekte“ ausdrücklich gelobt hat
     (Gerstl 2015: 224) –, folgen ebenfalls zahlreiche Texte, zum Beispiel das ‚Schlaflied‘ Mama wird ..., Anfang
     Januar niedergeschrieben und im Märzheft der Neuen Wege gedruckt:

         Bist du müde?
         So schlaf
         Bist du wach?
         Mama wird dir singen
         Bist du fröhlich?
         Dann lach
         Und Mama lacht mit dir
         Bist du traurig mein Kind?
         Auch dann sollst du lachen
         Und Mama wird weinen mit dir.

18   Interessanterweise stehen unmittelbar neben diesen Texten auch solche, die ganz andere Verfahren
     einsetzen, etwa dieser vom 17. Januar:

         Traurige Fahrt

         Ohneland
         Ging Hand in Hand
         Mit Zeitlos
         Auf Maisfloß
         Mais zerbrach
         Ufer fern
         Kein Stern
         Lob dem Herrn.

19   Die lapidare Kürze, die Lakonik der Chiffrierung und die ironische Pointe antizipieren Merkmale von
     Gerstls späterem Schreiben; veröffentlicht wurde das Gedicht damals und bis heute nicht. Dass die
     Rücksicht auf die raren Publikationsmöglichkeiten sich dämpfend auf Gerstls inventive und innovative
     Potentiale niederschlugen, belegt folgendes thematisches Beispiel: Einige Anfang des Jahres verfasste
     Texte kreisen um das Thema Schuld. Die Assoziation zu einer biblischen Urschuld bildet dann offenbar das
     Gelenk zum noch im Januar entstandenen Text Befund (in der Handschrift ursprünglich Göttlicher Befund):

         Name des Patienten: Kain.
         Geboren: als Gott für einen Augenblick das Antlitz wandte.
         Beruf: Hirte und Schlächter.
         Diagnose: Finsternis der Seele bei Klarheit des Geistes, asoziale Persönlichkeit, krankhafte Eifersucht,
         gewalttätig (siehe besondere Bemerkungen).
         Therapie: Brandmal zwischen Augen.
         Es ist zugleich das Zeichen des obersten Arztes; er wird seinen Patienten daran erkennen – nur ER
         darf seine Behandlung beenden.
         Besondere Bemerkungen: erschlug seinen Bruder Abel.

               Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
20   Den parodistischen Umgang mit Genres – hier als Kreuzung von Krankenakte und biblischer Erzählung –
     wird Gerstl als satirisches Verfahren später wieder aufnehmen.4 Zwischen Meditation und Medizin bildet
     das kleine Prosastück eine für diese Phase charakteristische Schnittmenge. Der Text gehörte zu den
     allerersten Publikationen Gerstls; er erschien bereits im Februarheft der Neuen Wege.

21   Auf „Mai 55“ datiert ist dann die Parabel Unsere Namen sind böser Herkunft. Sie erzählt von der Verbindung
     von Individuation und Schuld: Im Anfang hätten die Menschen noch keine Namen gehabt und Gott habe
     sie alle kollektiv gerufen. Dann habe er sie in ‚Männer‘ und ‚Weiber‘ geschieden. Nach dem Abfall Luzifers
     habe sich aber eine Frau darüber beklagt, dass die Männer nach Gottes Ebenbild geschaffen wurden, die
     Frauen diesem Abbild aber nur mehr ähnlich seien:

         Nur wenige verstanden, was sie sagte, aber das Böse in ihnen wuchs und immer mehr verstanden die
         Worte und es gab immer neue Worte. Nun gaben sie sich untereinander Namen: diejenigen, in denen
         die Worte des Bösen wuchsen, und die anderen, um nicht mit jenen verwechselt zu werden. Und auch
         die Männer gaben sich Namen: Kain hießen sie oder Abel und waren böse oder gut, aber schon in ihren
         Söhnen und Töchtern lagen die Samen beider Worte.

22   Als alternative Sündenfallgeschichte hält der Text immerhin am weiblichen Vergehen gegen Gottes Willen
     fest; vermutlich hätte sich Gerstl in späteren Jahren von dieser Umerzählung distanziert. Für Das jüdische
     Echo war aber die Fortschreibung des Genesis-Berichts akzeptabel, der Text erschien unter dem Titel
     Unsere Namen in Heft 2/3 von 1956.

23   Schließlich gibt ein auf November 1955 datiertes, Fragment gebliebenes Gedicht die die biblische Erzählung
     aus der Perspektive der Mutter wieder:

               Eva hat nun ein Zeichen.

         Wo mag so lange nur mein Abel bleiben
         Schwarz dunkelt in den Büschen schon d. Nacht
         Er wollte doch d. Lämmer heimwärts treiben
         Die er im grünen Tale hat bewacht!?

         Schleicht da nicht Kain heran, mein andrer Sohn?
         Oh Herr, gib mir von Abel jetzt ein Zeichen
         Mir wird so bang bei seiner Schritte Ton
         Laß mich von seiner Rede nicht erbleichen!
               riß

         Da fiel von Kains Gesicht d. Maske Nacht
               sprang

         1. Drauf bracht er flammend dar d. Gotteszeichen.
         2. Dort flammte brennend rot ...
         3. Drauf brannte ...

              Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
24   Generell haben der fünfhebige Jambus und der Kreuzreim dem Schreiben Gerstls nicht besonders
     gutgetan. Gegenüber dem kecken Umgang mit der Überlieferung in Befund ist hier ein überaus
     traditioneller Weg der Bibelparaphrase gewählt; dass das Gedicht weder fertiggestellt noch publiziert
     wurde, nimmt nicht wunder.

25   Thematisch spiegeln die Eintragungen vielfach die zeittypische Existentialimus- und Kafka-Rezeption, so
     eine Aufzeichnung vom 7.1.1955:

         Bei der Geburt werden wir zu lebenslänglichem In-der-Welt-Sein verurteilt.
         Wer flieht hat seine Schuld nicht verbüßt und ihn erwartet eine unbekannte Str[afe].
         Begnadigt wird man immer nur zum Leben – den Tod muß man verdient haben.

                             Abbildung 2. Auszug aus Elfriede Gerstls Arbeitsjournal, 1955.

              Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
26   Interessanterweise gibt es eine frühere Variante: „Wer flieht hat seine Schuld nicht verbüßt (und muß
     die Strafe (in anderer Gestalt) von Neuem antreten.“ Dieser offenbar allzu buddhistische Gedanke ist
     dann ersetzt worden, was die Anklänge an Sartres und Camus’ Aussagen zum Suizid noch schärft. Die
     Neuen Wege haben den Eintrag, zusammen mit anderen ‚Fragmenten‘, 1956 gedruckt. Direkt an Camus
     angelehnt ist das Gedicht Wo bleibt Antigone? vom 23. März: In dieser Phantasie ist die Erde bevölkert
     mit unbestatteten Leichen, die auf jemanden warten, der „die Strafe“ verachtet. In einer überarbeiteten
     Version wurde sie bereits 1955 in den Neuen Wegen veröffentlicht. Auch andere Texte, wie die Gedichte
     Ödipus oder Ophelia (Januar und Mai 1955), benutzen mythologische oder archetypische Figurationen,
     die zeitgemäß als Protagonisten des In-die-Welt-Geworfen-Seins auftreten. Unpubliziert blieb das im
     Februar aufgezeichnete Prosastück Traum vom 1. Nachtdienst, das eine kafkaeske Situation nachstellt: Vier
     Patienten verurteilen das Erzähler-Ich – die Ärztin im Nachtdienst – aufgrund einer unbekannten Schuld
     der Medizin:

         Der Zeuge stand in seinem Bett auf: Wir haben die Medizin verurteilt sagte er langsam u betonte jedes
         Wort und da gerade [S]ie heute Dienst haben werden wir an [I]hnen das Urteil vollziehen.

27   Die Vollstreckung besteht darin, dass der Ärztin die Schädeldecke entfernt und das Gehirn entnommen
     wird, was sie aber relativ unbeschadet übersteht. Nachdem man ihr das Schädeldach wieder aufgesetzt hat
     – „wie einen alten Hut“ –, entfernt sie sich freundlich grüßend.

28   Entlastet von dieser philosophischen und intertextuellen Schwere wird der (gewaltsame) Tod danach als
     gesellschaftliches und soziales Problem thematisiert. Besonders im Sommer entstehen da bedrängend viele
     Texte. Das Kindergebet vom 14. Juni richtet sich an Gott, damit er eine zerbrochene Puppe wiederherstelle
     – während die Mutter des Kindes, offenbar wegen der Untreue ihres Mannes, Selbstmord begangen hat.
     Ebenfalls im Juni niedergeschrieben wurde das Prosastück Barbara wohnt[e] nebenan, die Geschichte einer
     einsamen Witwe, die sich mit Leuchtgas vergiftet. Am 25. Juni, also neun Tage nach Gerstls 23. Geburtstag,
     entstand der Text Der Geburtstag – im Jüdischen Echo abgedruckt unter dem Titel Sein Geburtstag –, in
     dem sich die Feier für einen Kranken in einen expressionistisch anmutenden Totentanz verwandelt. Und
     das Gedicht Eine Liebesgeschichte vom 7. Juli findet sarkastische Brecht’sche Töne für den Suizid:

         Sie wußte, daß sie dennoch häßlich war
         Auch wenn sie sich die Lippen färbte und die Brauen
         Sie brauchte gar nicht in den Spiegel schauen
         Sie wußte, daß sie dennoch häßlich war.

         Mitunter lachte laut ihr großer Mund
         Doch ihre Augen waren dabei naß
         Das machte einem jungen Manne Spaß
         Der wußte, daß er gar nicht häßlich war.

         Am Heimweg kaufte sie noch einen Strick
         Und als sie ihre Wäsche in die Sonne hängte
         Schlang sich der Strick ganz fest um ihren Hals
         (Der merkte gar nicht, daß sie häßlich war)
         Und liebte sie noch länger als sie lebte.

              Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
29   Die ironische Pointe, dass die ‚Liebesgeschichte‘ eigentlich vom Strick handelt, wird auch formal getragen
     von dem Umstand, dass die ersten Strophenteile dem klassischen Bau des Sonetts folgen, der dritte aber
     Reim- und Zeilenschema durchbricht und so das zu früh abgebrochene Leben durch die fehlende letzte
     Zeile abbildet.

30   Trotz Gerstls notorischer Diskretion hinsichtlich autobiographischer Themen enthält das Konvolut auch
     zwei Texte, die unmittelbar mit ihren Erinnerungen zu tun haben, so das Gedicht Braun u. Grün, das
     zwischen April und Mai, also zu den zehnten Jahrestagen der Gründung der Zweiten Republik Österreich
     (27. April) und dem offiziellen Kriegsende (8. Mai) aufgezeichnet worden ist:

                Braun u. Grün.
         Braun u grün waren die Kacheln des Kamins
         In Großmutters Zimmer
         Braun u. grün erinnern seither an Wärme
         Braun war die Decke auf meinem Krankenbett
         Braun ist auch haarig und weich
         Grün war die Wiese im Park
         Wo ich meinen Ball verlor
         Und das Grün duftete und war diesmal von Sonne so warm
         Braun war die Tür aus der man Großmutter tot heraustrug
         Br. d. Tür hinter der man beriet ob ich sterben sollte oder leben
         Br. d. niedrige Tür die hinter mir zufiel
         Und mir kurze Zeit Schutz gewährte
         Br. sprang sie auf mich freizulassen
         u. wieder war das Holz warm von Sonne
         Und ich ging hinaus u. saß wieder unter den alten Bäumen
         Nähe [!] der Wiese auf der ich einen Ball verloren
         Und diesmal war das Grün schützend u kühl
         Und nahm meinen Schatten auf
         In den Seinen

31   Bereits am 11. Jänner niedergeschrieben wurde eine Kindheitserinnerung, die eine Vorstufe bildet zu
     dem 1981 erschienenen autobiographischen Beitrag Das kleine Mädchen, das ich war (jetzt in Gerstl 2015:
     279–283), den man lange für Gerstls erste Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit im Dritten Reich
     gehalten hat. Der Text von 1955, im Septemberheft der Neuen Wege erschienen, heißt Mein Lichtstrahl und
     beginnt mit den Sätzen:

         Als Kind habe ich einen Lichtstrahl gekannt; im Sommer 1942 lernte ich ihn kennen.
         Es war ein freundlicher Lichtstrahl: wenn es nicht gerade regnete, kam er durch einen Riß in den
         Verdunkelungsrouleaux in mein Zimmer. Er schnitt einen lichten Flimmerstreifen in den dämmrigen
         Raum, so daß man für zehn bis zwölf Minuten lesen konnte.

               Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
Abbildung 3. Auszug aus Elfriede Gerstls Arbeitsjournal, 1955.

32   Die Qual, die es bedeutet haben muss, als Halbwüchsige weder laut reden noch sich irgendwie bewegen zu
     dürfen, kommt in dem stillen und völlig unsentimentalen Bericht selbst nicht zur Sprache; und die Panik
     beim Herannahmen von ‚Stiefeln‘ auf der Treppe wird auf psychologische Begriffe gebracht:

         Sonderbar – ich hatte die Gewohnheit, in diesen Sekunden oder Minuten die Augen zu schließen und
         den Atem anzuhalten; Totstellreflex nennt man dieses Verhalten bei Tieren, die sich in Lebensgefahr
         wissen, und die Wissenschaft definiert ihn als Schutzreflex.

33   Thematisch liest sich das Arbeitsjournal also auch als ein Diarium der Traumabewältigung, als
     Auseinandersetzung mit Schuld, Leid, Tod und versehrter Körperlichkeit. Daneben gibt es aber
     auch noch eine andere Dimension: Das Journal begleitet Gerstls Selbstreflexion als Schriftstellerin.
     Interessanterweise sind die beiden einschlägigsten Texte zu Lebzeiten unpubliziert geblieben. Gleich zu
     Anfang des Jahres niedergeschrieben wurde folgendes Gedicht:

              Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
Mit dem Herzblut schreib’ der Dichter
         Sagen manche, die’s nicht sind
         Und in ihrem Munde schmeckt
         Süsser Kannibalenkonfekt.
         Und ich träumte, dass ich meine Adern ritzte
         All mein arterielles Blut verspritzte
         Blatt um Blatt füllt es mit krausen Zeichen
         Ohne dass ich eine meiner bleichen
         Hände zu dem Werk benützte.
         Als zuletzt die Herzbluttropfen
         (Denn das Herz stand ohne Klopfen)
         Meinen Innenraum verliessen
         Wusst’ ich plötzlich was sie hiessen:
         Mich macht kein Skalpell zum Dichter
         Und verschied (der Wecker schrillte)
         Unverseh’ns zu neuem Leben.

34   Poetisch mögen die Verse noch Einiges zu wünschen übriglassen, in der ironischen Poetologie weisen
     sie auf Gerstl-typische Verfahren voraus. Das Menschenfresserische der Gesellschaft wendet sich hier
     gegen ‚den Dichter‘, der sein Letztes zu geben habe. Dabei ist die Rede vom ‚Blut‘ des Dichters
     durchaus kanonisch; in Nietzsches Also sprach Zarathustra (1883–1885) beispielsweise heißt es: „Von
     allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt. Schreibe mit Blut: und du
     wirst erfahren, dass Blut Geist ist.“ (Nietzsche 1999: 48) Gegen solch Über- und Herrenmenschliches
     wenden sich Gerstls Verse mit der intrikaten Volte, dass zwar aus dem Blut Zeichen entstehen, diese aber
     einfach das Gegenteil besagen: Nur mit dem Blut schreibt man nicht gut. Die paradoxe Pointe der letzten
     beiden Zeilen zeigt die Leichtfüßigkeit ihres späteren antiautoritären Gestus gegenüber philosophischen
     Doktrinen. Einigermaßen raffiniert ist der Einsatz vom Reimen, die immer dort fehlen, wo man es eben
     nicht mit dem Dichterischen zu tun hat. Biographisch gelesen, ließe sich das Gedicht auch auf die
     Situation der Medizinstudentin Gerstl zwischen klinischer und literarischer Praxis beziehen („arterielles
     Blut“, „Skalpell“); im Kontext der Aufzeichnungen ist es ein selbstironisches poetisches Programm zum
     Jahresanfang.

35   Zu Ende des Jahres, am 22. November, findet sich schließlich folgender Text:

         Ad me ipsum.
         Ein So-nett.

         Wüstensand
         Riesenei
         Sonnverbrannt
         Birst entzwei

         Ausgekrochen
         Riesenviech
         (Angestochen)

              Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
Ich.

           Lang schon vorbei?
                                            Sehnsucht
                                            nach
                                            Wüstenei!

36   Nur als Satire auf Hofmannsthals feierliches Ad me ipsum (Hofmannsthal 2015) – mit seiner These der
     Präexistenz – ist der Text poetologisch lesbar; da „angestochen“ wohl nicht nur in Bezug auf das Ei,
     sondern auch in der wienerischen Bedeutung als „betrunken“ zu verstehen ist, handelt es sich um die
     tumultuarische Selbstbeschreibung einer aus dem Ei gekrochenen Dichterin, die sich in die Präexistenz
     („Wüsten-Ei“) oder in die Einsamkeit („Wüstenei“) sehnt. Mit dieser Form von Selbstironie, Komik und
     Vieldeutigkeit weist das Gedicht auf Kommendes voraus. Im Zusammenhang des Journals ist dieser Text
     auch ein Widerspruch gegen die Domestizierung durch die Rücksicht auf Veröffentlichungsmöglichkeiten
     und eine Vorwegnahme dessen, was die späteren Aufzeichnungen zeigen werden: Gerstl als Meisterin des
     poetisch-witzigen Understatements.

     Anhang

             Datum               Titel                               Block       Erstdruck                          Werke

     1.      4. 1.               Kannibalen                          B2          Neue Wege 102 (1955)               IV,71f.

     2.                          Mit dem Herzblut                    B2                                             V,36

     3.                          Mama wird ...                       B2          Neue Wege 103 (1955)               IV,74f.

     4.      5. 1.               Schuld                              B2          Neue Wege 102 (1955) („Du bist     IV,70f.
                                                                                 schuld“)

     5.                          Befund                              B2          Neue Wege 102 (1955)               IV,72

     6.      7. 1.               Bei der Geburt ...                  B1          Neue Wege 113 (1956)               IV,101

     7.      11. 1.              Mein Lichtstrahl                    B2          Neue Wege 106 (1955)               IV,82f.

     8.                          Ödipus                              B2          Neue Wege 103 (1955)               IV,73

     9.                          Der nervöse Briefkasten             B2

     10.                         Traum vom ersten Nachdienst         B2

     11.     13. 1.              Erst das Unendliche ...             B1

     12.                         Die runde Schale                    B1          Neue Wege 103 (1955) („Zweierlei   IV,76
                                                                                 Spiegel“)

     13.     17. 1.              Traurige Fahrt                      B1

     14.     22. 2.              Kreuzabnahme                        B2          Das jüdische Echo 7 (1956)         IV,96

                     Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
15.                       Mondlicht                           B2          Neue Wege 109 (1955)                IV,88f.

16.   22. 3.              Wo bleibt Antigone?                 B1          Neue Wege 105 (1955)                IV,80

17.                       „Logische“ Schlüsse                 B1

18.                       Nur in die Dunkelheit               B1

19.                       Hände, die sich ...                 B1

20.                       Die böse Stiefmutter                B1

21.                       Wenn die Störche ...                B1          Neue Wege 113 (1956)                IV,101

22.                       Und Sonnennetze                     B1

23.   März                Der Tod und der Gärtner             B3          Neue Wege 109 (1955)                IV,87f.

24.   März                Gute Vorsätze                       B3          Neue Wege 113 (1956)                IV,102

25.   April               Schlaflos                           B3          Neue Wege 112 (1956)                IV,97f.

26.   8. 4.               Die alte Marie                      B3          Das jüdische Echo 7 (1956)          IV,97

27.   14. 4.              Was uns gehört                      B3          Neue Wege 105 (1955)                IV,78f.

28.                       Traurig                             B3

29.                       Braun u. Grün                       B3          alle tage gedichte (1999)           III,179

30.   Mai                 Gericht zu Babel                    B3          Das jüdische Echo 7 (1956)          IV,94

31.   Mai                 Ophelia                             B3

32.   Mai                 Unsere Namen sind böser             B3          Das jüdische Echo 2/3 (1956)        IV,106f.
                          Herkunft                                        („Unsere Namen“)

33.   14. 6.              Kindergebet                         B3          Das jüdische Echo 1 (1955)          IV,83

34.   Juni                Barbara wohnte nebenan              B3          Das jüdische Echo 7 (1956)          IV,93f.
                                                                          („Barbara wohnt nebenan“)

35.   25. 6.              Der Geburtstag                      B3          Das jüdische Echo 1 (1955) („Sein   IV,85f.
                                                                          Geburtstag“)

36.   7. 7.               Eine Liebesgeschichte               B3          Das jüdische Echo 1 (1955)          IV,84

37.   8. 8.               Der Stern namens Mutti              B3          Neue Wege 107 (1955)                IV,86f.

38.   14. 8.              Die schwerere Bürde                 B3          Das jüdische Echo 1 (1955) („Ben    IV,84f.
                                                                          Akiba“)

39.   17. 9.              Das Kasperltheater EUROPA ...       B3          wiener mischung (1982) („Die        II,86
                                                                          Zinnsoldatenrevue“)

              Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
40.   Sept.           Warten                              B3

    41.   8. 10.          Verlorenes Lied                     B4          Neue Wege 135 (1958)              IV,119

    42.   21.10.          Was der Teich Narziß zu             B4
                          sagen ...

    43.   Nov.            Eva hat nun ein Zeichen             B4

    44.   22. 11.         Ad me ipsum                         B4

    45.   26. 11.         Alter Vater u. Sohn                 B4

    46.   28. 11.         In der Schule                       B4                                            V,8

    47.   11. 12.         Junger Dichter träumt               B4

    48.   23.12.?         Drehorgellieder vor Gott            B4

    49.   23. 12.         Frei gab Gott die Wahl ...          B4

Literaturverzeichnis
Brecht, Bertolt (1988): Legende vom toten Soldaten, in: Gedichte I. Sammlungen 1918–1938. Bearb. v. Jan Knopf u. Gabriele
    Knopf. Berlin/Weimar: Auf bau / Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Werke 11), S. 112–115.
Gerstl, Elfriede (o.J.): Literarischer Teilnachlass Elfriede Gerstl. Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek,
    LIT 370/10.
Gerstl, Elfriede (2012): Mittellange Minis. Hg. u. mit einem Nachwort v. Christa Gürtler und Helga Mitterbauer in
    Zusammenarbeit mit dem Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Graz/Wien: Droschl (Werke 1).
Gerstl, Elfriede (2013): Behüte behütet. Hg. und mit einem Nachwort von Christa Gürtler und Helga Mitterbauer in
    Zusammenarbeit mit dem Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Graz/Wien: Droschl (Werke 2).
Gerstl, Elfriede (2014): Haus und Haut. Hg. u. mit einem Nachwort v. Christa Gürtler und Martin Wedl in Zusammenarbeit
    mit dem Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Graz/Wien: Droschl (Werke 3).
Gerstl, Elfriede (2015): Tandlerfundstücke. Hg. u. mit einem Nachwort v. Christa Gürtler und Martin Wedl in
    Zusammenarbeit mit dem Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Graz/Wien: Droschl (Werke 4).
Gerstl, Elfriede (2017): Das vorläufig Bleibende. Texte aus dem Nachlass und Interviews. Hg. u. mit einem
    Nachwort v. Christa Gürtler und Martin Wedl in Zusammenarbeit mit dem Literaturarchiv der Österreichischen
    Nationalbibliothek. Graz/Wien: Droschl (Werke 5).
Hofmannsthal, Hugo von (2015): Ad me ipsum, in: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe. Bd. 37: Aphoristisches,
    Autobiographisches, frühe Romanpläne. Hg. v. Ellen Ritter. Frankfurt a.M.: S. Fischer, S. 117–158.
Nietzsche, Friedrich (1999): Also sprach Zarathustra I–IV. Hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München:
    Deutscher Taschenbuch Verlag (= Kritische Studienausgabe 4).
Okopenko, Andreas (2012): Zu: Elfriede Gerstl: Spielräume, 1977, in: Gerstl: Mittellange Minis, S. 173–175.

Anmerkungen
1    Mein Dank gilt Herbert J. Wimmer für seine freundliche Zustimmung zur Wiedergabe bisher unveröffentlichter Texte
     aus Elfriede Gerstls Nachlass. Martin Wedl danke ich für die Überlassung von Transkripten, Christa Gürtler für
     zahlreiche Informationen zur Werkedition.
2    Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, LIT 370/10: Literarischer Teilnachlass Elfriede Gerstl,
     Archivbox „Werke 1“, Blöcke 1–4. Die Synopse im Anhang zeigt Datierung, Textträger, allfällige Erstpublikation und
     Abdruck in der Werkausgabe.

              Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
3   Die Texte werden auch im Folgenden in der Nachlassfassung, also in der betreffenden Orthographie und mit dort
    verwendeten Kürzeln, Auslassungen usw. wiedergegeben.
4   So stellt etwa das Hörspiel du bist nicht allein (1973) die eigene Gattung satirisch in Frage (Gerstl 2012: 47–61).

Zusammenfassung
Eine Notiz von Elfriede Gerstl aus dem Jahr 1991 lautet: „Tagebücher sind zwar Dokumente der Zeit, aber immer
auch Dokumente persönlichen Unglücks.“ Wohl auch aus diesem Grund hat Gerstl kein Tagebuch im eigentlichen
Sinn geschrieben, obwohl sie dennoch datierte Aufzeichnungen geführt hat. Die frühesten stammen aus den Jahren
1954/55. Sie lassen sich am ehesten als ‚Arbeitsjournal‘ bezeichnen: Es sind Prosaskizzen und lyrische Versuche, die
korrigiert und mitunter in Hinblick auf eine Veröffentlichung durchaus nachdrücklich redigiert worden sind. Sie zeigen
sowohl zeitgenössisch typische wie poetisch-witzige Formen der Vergangenheitsbewältigung, der Erinnerung und der
Selbstreflexion.

Abstract
Elfriede Gerstl’s work journal of 1955: A note by Elfriede Gerstl from 1991 says: “Diaries may be documents of their time,
but they always are documents of personal tragedy, too.” As Konstanze Fliedl states in her contribution, this may be one
of the reasons Gerstl did not keep a diary in the proper sense, although she still kept dated notes. The earliest ones
date from the years 1954-55. They may best be characterized as ‘work journal’: They include prose sketches and lyrical
attempts that were corrected and sometimes emphatically revised for publication. They present some forms of coming
to terms with the past, of remembering and self-reflection that are typical of their time, but also poetic-witty ones.

Schlagwörter: Elfriede Gerstl, Aufzeichnungen, Diaristik, Nachlass

Keywords: Elfriede Gerstl, notations, diaristics, literary estate

Autor/in
Konstanze Fliedl
Universität Wien

            Fliedl (2020): Elfriede Gerstls Arbeitsjournal von 1955. doi:10.25365/wdr-01-02-03
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