Empfehlungen zur Erstversorgung des Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma bei Mehrfachverletzung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Seite 39 - 45 27.10.2003 10:41 Uhr Seite 1 VERBANDSMITTEILUNGEN Empfehlungen zur Erstversorgung des Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma bei Mehrfachverletzung*) Erarbeitet von dem Wissenschaftlichen Arbeitskreis Neuroanästhesie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Arbeitsgemeinschaft Intensivmedizin/Neurotraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie und der Sektion Rettungswesen und Katastrophenmedizin der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie sowie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie unter Beteiligung der Fachgesellschaften für Ophthalmologie, Urologie, Hals-Nasen- Ohren-Heilkunde und Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Erstversorgung des Patienten mit Schädel-Hirn- Polytraumatisierten konkurrierende Behandlungs- Trauma bei Mehrfachverletzung prinzipien gegenüberstehen können. So steht ein Der Wissenschaftliche Arbeitskreis Neuroanästhesie Therapieziel der Behandlung des Schädel-Hirn- der DGAI und die Arbeitsgemeinschaft Intensiv- Traumas, die Stabilisierung des arteriellen medizin/Neurotraumatologie der DGNC unterhalten Mitteldruckes über 90 mmHg, der bei penetrierendem eine Arbeitsgruppe "Neurotrauma", die unter ande- Bauchtrauma propagierten ”tolerierten Hypovol- rem Empfehlungen zur Versorgung hirnverletzter ämie” (3) entgegen. Gleiches gilt für die Kombination Patienten erarbeitet. Die von dieser Arbeitsgruppe aus Schädel-Hirn- und Thoraxtrauma: Exemplarisch erstellten "Leitlinien zur Primärversorgung von seien die Maßnahmen Beatmung, permissive Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma" sind 1997 in Heft Hyperkapnie und Hypothermie genannt. 2 dieser Zeitschrift (2a) veröffentlicht worden. Das Für das Ergebnis richtungweisend ist die frühe post- Schädel-Hirn-Trauma (SHT) bestimmt bei polytrau- traumatische Phase, ”the golden hour of shock”. matisierten Patienten die Prognose, deshalb erschien Voraussetzung für ein rationales Versorgungskonzept es notwendig, Empfehlungen zur Erstversorgung ist die kritische Standortbestimmung klinischer mehrfachverletzter Patienten mit SHT zu formulie- Verfahren auf der Basis physiologisch-pathophysiolo- ren. Dem interdisziplinären Ansatz der Versorgung gischer Erkenntnisse im Sinne der Evidence-based entsprechend wurden diese Empfehlungen in Medicine. Zusammenarbeit mit den beteiligten Fachgesell- Erarbeitet wurde die vorliegende Empfehlung von schaften und der Deutschen interdisziplinären den o.g. Organisationen. Sie baut auf der von den erst- Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) genannten Arbeitsgruppen veröffentlichten Leitlinie erarbeitet. Primärversorgung des Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma auf (2 a, b). Die Empfehlung zur Erstversorgung des Patienten mit Vorwort Schädel-Hirn-Trauma bei Mehrfachverletzung wendet sich an alle mit der Akutversorgung dieser Patienten Trauma ist die häufigste Todesursache in der befaßten Berufsgruppen. Ziel der Empfehlung ist die Altersgruppe der ein- bis 34jährigen (29). Bis zum Verbesserung der Versorgung des polytraumatisierten Jahre 2020 wird weltweit eine Zunahme traumabe- Patienten mit vermutetem oder gesichertem Schädel- dingter Todesfälle von 5,1 auf 8,4 Millionen jährlich Hirn-Trauma in der Akut- und der frühen prognostiziert (21). Von allen Traumen hat das Postakutphase auf der Grundlage eines interdiszi- Polytrauma die ungünstigste Prognose; schließt das plinären Behandlungskonzeptes. Verletzungsmuster ein Schädel-Hirn-Trauma ein, so ist Die Empfehlung basiert auf dem derzeitigen Stand dieses in der Regel prognoselimitierend (19, 28). gesicherter Erkenntnisse. Es liegt in der Natur der Wenn die Prävention versagt, steht eine menschlich, Sache, daß derartige Leitlinien in unregelmäßigen sozial und ökonomisch außerordentlich belastende Abständen überarbeitet werden müssen; für Hinweise Behandlung an – häufig mit ungewissem Ausgang. Das zur Fortschreibung sind die beteiligten Arbeits- Continuum von der präklinischen Primärversorgung gruppen dankbar. bis zur Rehabilitation ist nur bei interdisziplinärer Durchführung erfolgversprechend, weil sich bei 1. Organisation und Struktur der Erstversorgung *) Am 06.11.1998 vom Engeren Präsidium der DGAI und am 05.11.1999 vom Präsidium der DIVI gebilligt. Erscheint auch als Ergänzungslieferung zu den „Entschließungen, Empfehlungen, 1.1 Wege zum Krankenhaus Vereinbarungen, Leitlinien“ von H. W. Opderbecke und W. Wege zum Krankenhaus müssen eindeutig und klar Weißauer (Hrsg.). gekennzeichnet, ausreichend beleuchtet und jederzeit © Anästhesiologie & Intensivmedizin 2000, 41: 39-45 Blackwell Wissenschafts-Verlag GmbH. 39
Seite 39 - 45 27.10.2003 10:41 Uhr Seite 2 Verbandsmitteilungen freigehalten werden. Der Landeplatz für Rettungs- 1.3.3 Grundausstattung des Schockraums hubschrauber ist räumlich möglichst eng an den 1.3.3.1 Ausstattung Anästhesiologie Schockraum anzubinden. Narkosebeatmungsgerät (nach DIN-EN 740) Überwachungsgeräte (EKG-, Puls-, Blutdruck- 1.2 Schockraum monitor [für blutige und unblutige Messung], Im Schockraum sind alle räumlichen, medizintechni- Kapnometer, Pulsoxymeter) schen und personellen Voraussetzungen gegeben, um Notfallmedikamente und Infusionswagen jederzeit eine dem Verletzten angemessene Erst- 2 Absauggeräte versorgung zu gewährleisten. Dies bedeutet: Defibrillator unverzügliche Wiederherstellung und Aufrecht- Katheter- und Punktions-Sets erhaltung der Vitalfunktionen (Atmung, Kreislauf) Sets für die Atemwegssicherung Diagnostik, Bewertung und Akutbehandlung von Spritzenpumpen (mindestens 2) Funktionsstörungen der lebenswichtigen Organ- Wärmegeräte für Patienten systeme (Schädel, Thorax, Abdomen). Wärmegeräte für Infusionen Wärmegeräte für Blut und Blutbestandteile. 1.3 Organisatorische Voraussetzungen 1.3.1 Alarmierung des Krankenhauses 1.3.3.2 Ausstattung chirurgische Fächer Im Krankenhaus ist eine zentrale Anlaufstelle für Röntgenstrahlendurchlässige, mobile, verstellbare Notfälle einzurichten. In dieser zentralen Anlaufstelle Schockraumtrage ist für die Alarmierung ein Telefon mit bekannter Sonograph Rufnummer für Rettungsleitstellen und Rettungs- Röntgengerät dienste ("Rotes Telefon") ständig zu besetzen. Dopplersonograph Versehentlich dezentral gemeldete Patienten sind Fertige griffbereite Notfall-Sets für sofort an diese Zentrale zu melden und weiterzuleiten. Beckenzwinge Die zentrale Anlaufstelle übernimmt: Blasenkatheter die Aufnahme der Basisdaten* Bronchoskopie die Alarmierung des Schockraum-Basisteams Koniotomie (Tracheotomie) (1.3.4) Kraniotomie in Abhängigkeit vom Verletzungsmuster in Laparotomie Absprache mit dem verantwortlichen Arzt die Tamponaden des Nasen-Rachen-Raumes zusätzliche Alarmierung des erweiterten Schock- Thorakotomie raum-Basisteams (1.3.4). Thoraxdrainage Venae sectio Die Alarmierung erfolgt unverzüglich (zentraler Verbrennung Gruppenruf). Wundversorgung (große und kleine) Zervikalorthese (verschiedene Größen) 1.3.2 Räumliche und apparative Voraussetzungen Schienenmaterial. Der Schockraum ist in die zentrale Notaufnahme zu integrieren. Er hat eine Mindestgröße von 25 m2 je 1.3.4 Schockraum-Team Behandlungsplatz. Zu fordern sind eine zentrale Das Schockraum-Team arbeitet kooperativ und kolle- Gasver- und -entsorgung, eine Notstromversorgung, gial. Innerhalb des Teams übernimmt ein Arzt, der in Ausstattung mit mindestens zwei getrennt voneinan- der Versorgung mehrfachverletzter Patienten beson- der anwählbaren, fernamtsberechtigten Telefonen. In ders erfahren ist, die Koordination der Abläufe von unmittelbarer Nähe befinden sich: Diagnostik und Therapie (32). Raum für Noteingriffe Das Basisteam des Schockraums (Tab. 1) ist rund um Konventionelle Röntgeneinheit mit Durchleuch- die Uhr für die Erstversorgung der Verletzten einsatz- tungsmöglichkeit bereit und gewährleistet die (operative) Versorgung. Gerät(e) zur sofortigen Analyse von Blutgasen und Es erwartet den Verletzten im Schockraum. Bei Bestimmung von Hämoglobin, Hämatokrit, Bedarf wird es im Einvernehmen mit dem Natrium, Kalium und Blutzucker Schockraum-Koordinator durch Mitglieder des erwei- Computertomographie (günstig: Spiral-CT) terten Schockraum-Teams (Tab. 2) ergänzt. Angiographie-Einheit. Weitere Voraussetzungen sind die ständige Bereit- 2. Übergabe des Patienten durch den schaft/Verfügbarkeit von Labor (Tab. 7) und Blutbank/ Notarzt -depot. Die Übergabe des Patienten in der Notaufnahme ist wesentlicher Schnittpunkt der Behandlungskette (2a, b; 9). Bei Eintreffen des Patienten wird daher ein ärzt- * Anzahl und Altersgruppen der Verletzten, Transportart, Art liches Mitglied des Schockraum-Teams vom des Unfalls, Verletzungsmuster, Zustand der Vitalfunktionen, Notarzt/Rettungspersonal mündlich und schriftlich Maßnahmen (Intubation), voraussichtliche Eintreffzeit über den Patienten informiert (Tab. 3). Die schrift- Anästhesiologie & Intensivmedizin 2000, 41: 39-45 40
Seite 39 - 45 27.10.2003 10:41 Uhr Seite 3 Schädel-Hirn-Trauma Tabelle 1: Zusammensetzung des Schockraum- Tabelle 3: Obligate Informationen für die Übergabe Basisteams des Patienten Disziplin Qualifikation Anzahl Unfallzeitpunkt/-hergang Art des Unfalls Ärztliches Personal Besondere Rettungssituation Anästhesiologie Facharztqualität 1-2 Chirurgie/Unfallchirurgie Facharztqualität 1-2 Eigen-, Fremdanamnese (Vorerkrankungen) Neurochirurgie (Neurologie) Facharztqualität 1 Verletzungsmuster Pflegepersonal Notaufnahme Pflegekraft 2 Verdachtsdiagnosen (z.B. Blutungen, Aspiration, Anästhesie Fachpflegekraft 1-2 Intoxikation) Technisches Personal Untersuchungsergebnisse Radiologie MTA 1 Atmung Sonstige Transportaufgaben, Kreislauf Reinigung 1 Initialer neurologischer Befund (Bewußtseinslage, Motorik, Pupillenbefund) Periphere Durchblutung Tabelle 2: Zusammensetzung des erweiterten Schmerzlokalisation Schockraum-Basisteams Therapie Disziplin Qualifikation Anzahl Beatmung (Intubation, Respiratordaten) Ärztliches Personal Lagerung (Vakuummatratze) Augenheilkunde Facharztqualität 1 Immobilisierung (HWS, Extremitäten) Gefäßchirurgie Facharztqualität 1 Thoraxdrainage HNO-Heilkunde Facharztqualität 1 Venenzugänge Kinderchirurgie Facharztqualität 1 Medikation (Dosis, Zeitpunkt) MKG-Chirurgie Facharztqualität 1 Radiologie Sonstige Daten (Neuroradiologie) Facharztqualität 1 Patientendaten (Name, Anschrift, Angehörige) Thoraxchirurgie Facharztqualität 1 Transport Urologie Facharztqualität 1 Vergebliche Punktions- und Intubationsversuche Pflegepersonal OP-Personal Fachpflegekraft, ggf. ergänzt durch Schriftliche Dokumentation (empfohlen: auf dem fachspezifisches DIVI-Protokoll (8)1). OP-Personal mind. 2 Technisches Personal Labor, Blutbank, Radiologie MTA mind. 1 3. Erstversorgung Die Erstversorgung gliedert sich in mehrere Behandlungsphasen und umfaßt auch die Maßnahmen liche Übergabe erfolgt anhand eines standardisierten der Notfalldiagnostik. Protokolls (empfohlen: DIVI-Notarztprotokoll (8)1). Dieses ist lesbar und vollständig auszufüllen. Name 3.1 Reanimationsphase und Adresse des Notarztes/Rettungspersonals sind les- In der Reanimationsphase werden die Maßnahmen bar im Protokoll anzugeben. getroffen, die der unmittelbaren Wiederherstellung Der umfassenden Darstellung des neurologischen und Stabilisierung der Vitalfunktionen sowie der Befundes ist besondere Sorgfalt zu widmen. Dieser Blutstillung dienen (5, 7, 18). muß die Bewußtseinslage, Motorik (Beurteilung nach der Glasgow-Koma-Skala) und Pupillenmotorik ent- 3.2 Operative Phase I (12, 26, 27, 33) halten. Es ist zu vermerken, ob Besonderheiten vorla- Auf die Reanimationsphase folgt je nach dem klini- gen, die den neurologischen Befund beeinflußt haben schen Bild und einer prioritätenabhängigen könnten (Intoxikation, Hypoxämie, Hypotonie u.a.). Akutdiagnostik die operative Phase I. In dieser wird Während der Transportphase eingetretene Änderun- die unmittelbare Bedrohung operativ beseitigt (26). gen des Befundes sind zu dokumentieren. Mehrere vital bedrohliche Verletzungen müssen ggf. simultan versorgt werden. Die Reihenfolge der Untersuchungen richtet sich nach 1 ) Siehe auch nachstehende Veröffentlichung in diesem Heft. den klinischen Verdachtsmomenten, weil jede einzelne Anästhesiologie & Intensivmedizin 2000, 41: 39-45 41
Seite 39 - 45 27.10.2003 10:41 Uhr Seite 4 Verbandsmitteilungen Blutung für sich unmittelbar lebensbedrohlich sein Tabelle 5: Indikationen für Eingriffe der operativen kann. Anhaltspunkte ergeben sich aus dem Phase II Unfallhergang, dem Verlauf der Vitalfunktionen und der Kontrolle des neurologischen Status (der Weitere intrakranielle Verletzungen (z.B. Impres- Bewußtseinslage, Pupillenweite und –reaktion, und sionsfrakturen, direkt offenes Schädel-Hirn-Trauma, der motorischen Funktionen). Kontusionen) Epidurale und akute subdurale Hämatome sind im all- Gefäßverletzungen gemeinen sofort operationsbedürftig, wenn folgende Zunehmende Rückenmarkkompression Befundkonstellation vorliegt: Drohendes Kompartmentsyndrom Bewußtlosigkeit oder zunehmende Bewußtseins- Viszerale Verletzungen ohne Massenblutung störung Grob dislozierte Beckenfraktur einseitige Pupillenerweiterung Offene Frakturen Hemiparese. Ausgedehnte Weichteilverletzung Instabile Wirbelsäulenverletzung Im Computertomogramm findet sich dann eine Geschlossene Frakturen der langen Verlagerung der Mittellinienstrukturen und Kompres- Röhrenknochen (insbesondere des Femur und des sion der basalen Zisternen. Humerus) Bei Bewußtlosigkeit und Verdacht auf Schädel-Hirn- Offene Mittelgesichts- und Unterkieferfrakturen Trauma ist eine sofort operationspflichtige intrakrani- Bulbus-/Orbitaverletzungen elle Blutung so lange anzunehmen, bis sie nachgewie- Verletzungen des Urogenitaltraktes sen oder ausgeschlossen ist (Tab. 4). Perforationen der Luft- und Speisewege/Fremd- körper Tabelle 4: Untersuchungen zum Nachweis von Blutungen 3.5 Weitere operative Phasen Intrakranielle Blutung: kraniale Computertomo- Diese schließen sich nach hinreichender Stabilisierung graphie des Zustands des Patienten gegebenenfalls an die Erstversorgung an. Intrathorakale Blutung: Röntgenaufnahme a.p., ggf. Spiral-CT 3.6 Zugänge, Blutabnahmen, Diagnostik Die Instrumentierung, Blutentnahme und Diagnostik Intraabdominelle Blutung: Sonographie, ggf. Spiral- erfolgen während der Phasen 3.1 bis 3.3. CT 3.6.1 Zugänge, Blutabnahmen Patienten mit Mehrfachverletzungen und Schädel- Die Reihenfolge der zu ergreifenden Maßnahmen Hirn-Trauma werden mit zwei bis drei großlumigen wird durch das Schockraum–Team festgelegt. peripher-venösen Zugängen versorgt, die sicher fixiert werden. Bei extremer Kreislaufzentralisation kann ein 3.3 Stabilisierungsphase mehrlumiger zentraler Katheter plaziert werden. Die Sobald die therapeutischen Ziele der operativen Phase Anlage eines Blasenkatheters ist obligat. Eine arteriel- I erreicht sind, beginnt die Stabilisierungsphase. In le Kanüle wird gelegt, wenn dies ohne dieser werden Sekundärschäden, wie z.B. Zeitverzögerung möglich ist. Eine großlumige Blutgerinnungsstörungen nach Behandlung o.g. Magensonde wird transnasal plaziert, wenn keine Blutungen oder eine ausgeprägte Hypothermie Hinweise auf Frakturen der Frontobasis oder des (Kerntemperatur unter 32OC), korrigiert. Die Mittelgesichts vorliegen (Tab. 6). In unklaren Reevaluierung leitet die operative Phase II ein. Situationen wird sie transoral plaziert. 3.4 Operative Phase II Tabelle 6: Zugänge Dringlichkeit, Reihenfolge und Ausmaß der Eingriffe in der operativen Phase II sowie die Organisation der 2-3 großlumige periphervenöse Zugänge Weiterbehandlung werden in Absprache mit den Arterielle Kanüle beteiligten Disziplinen festgelegt. Limitierend für den Ggf. zentraler Venenkatheter Umfang der Eingriffe sind die vitalen Funktionen Blasenkatheter Atmung und Kreislauf sowie das Ausmaß und der Magensonde Verlauf der zerebralen Schädigung. Um sekundäre Hirnschäden (intrakranielle Blutungen, Kongestion, Ödem, hämorrhagische Sofort nach Eintreffen im Schockraum werden Kontusionen) einzugrenzen, sind die in Tabelle 5 auf- Blutproben zur Bestimmung der wichtigsten geführten Eingriffe zeitlich und methodisch zu Laborwerte (Tab. 7) und Kreuzblut zur Bereitstellung begrenzten. Andere Eingriffe als die in Tabelle 5 von mindestens 5 Erythrozytenkonzentraten entnom- genannten werden zu einem späteren Zeitpunkt (siehe men. Die Proben sind sofort mit Entnahmezeitpunkt 3.5) durchgeführt. und Identität zu kennzeichnen und weiterzuleiten. Bei Anästhesiologie & Intensivmedizin 2000, 41: 39-45 42
Seite 39 - 45 27.10.2003 10:41 Uhr Seite 5 Schädel-Hirn-Trauma Tabelle 7: Laborbestimmungen Tabelle 9: Hinweise auf eine intrakranielle Druckerhöhung Kleines Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten, Thrombozyten) Klinisch: Arterielle Blutgasanalyse Bewußtseinsstörung, Anisokorie, Hypertonie bei Elektrolyte (Natrium, Kalium, Kalzium) Bradykardie, Strecksynergismen Blutgruppe Computertomographisch: Gerinnungsstatus (mit Quick, PTT, PTZ als Minimum) Raumfordernde intrakranielle Blutung Harnstoff, Kreatinin, Blutzucker Verstrichenes Kortexrelief GOT, GPT, γGT, LDH, CK Einengung der Ventrikel und/oder der perimesenze- phalen Zisternen speziellen Fragestellungen werden diese obligaten Kontusionen mit perifokalem Ödem Laborbestimmungen durch fakultative Tests (Bestimmung des Alkohols im Blut, Drogenscreening, Schwangerschaftstest) ergänzt. neurologischer Verschlechterung sowie gegebenen- falls vor längeren extrakraniellen Eingriffen auch 3.6.2 Diagnostik früher. Parallel zu den obligaten Blutuntersuchungen und der Anlage von Zugängen wird bei jedem Patienten die 3.6.2.1 Intrakranieller Druck Diagnostik der Akutperiode durchgeführt - soweit 3.6.2.1.1 Indikationen zur Messung (6, 22, 30, 24) nicht schon in der Reanimationsphase geschehen. Die Die gezielte Senkung des erhöhten intrakraniellen Reihenfolge der diagnostischen Maßnahmen (Tab. 8) Druckes setzt dessen kontinuierliche Messung voraus. wird in Absprache mit dem Schockraum-Team festge- Anhaltspunkte für einen erhöhten intrakraniellen legt. Druck ergeben sich aus der Bewußtseinslage, dem Verlauf des neurologischen Befundes und dem Tabelle 8: Diagnostik während der Akutphase Läsionstyp im CT. Die Indikation zur intrakraniellen Druckmessung ist im allgemeinen bei bewußtlosen Röntgenaufnahme des Thorax (a.p.) Patienten bzw. bei höchstens 8 Punkten auf der Röntgenaufnahme der gesamten Wirbelsäule Glasgow-Koma-Skala und einem pathologischen CT (in 2 Ebenen) gegeben. Röntgenaufnahme des Beckens (a.p.) Sonographie des Abdomens 3.6.2.1.2Verfahren Computertomographie des Schädels einschließlich Der intrakranielle Druck kann an verschiedenen des kranio-zervikalen Übergangs (günstig: Spiral-CT) Meßorten registriert werden. Vor- und Nachteile der verschiedenen Meßorte sind in Tabelle 10 wiederge- geben. Ein primär unauffälliges kraniales Computer- An das Meß- und Registriersystem sind folgende tomogramm schließt eine sekundäre intrakranielle Anforderungen zu stellen: Blutung nicht aus (9, 11, 12, 15, 20, 23, 24, 31). Daher Validität des Meßwertes (Tab. 11) wird bei bewußtlosen/sedierten Patienten nach späte- Kontinuierliche Registrierung in Kurvenform stens 6 Stunden ein Kontroll-CT durchgeführt, bei (Papier oder Monitor) Tabelle 10: Vor- und Nachteile der ICP-Messung in Abhängigkeit vom Meßort Lokalisation Vorteile Nachteile Ventrikulär Rekalibrierung möglich; bei Systemen Infektions- und Punktionsrisiko, Gefahr der mit extrakraniellem Druckaufnehmer sind Verstopfung des kommunizierenden Systems, Liquordrainage und Bestimmung von bei engen Ventrikeln ist die Punktion Compliance/Elastance möglich; genau. erschwert. Parenchymatös Ubiquitäre Plazierung ist möglich. Das System ist nicht rekalibrierbar; Die Trepanation ist kleiner als beim Ventrikel- Infektions- und Punktionsrisiko. katheter. Subdural Ausweichmöglichkeit, wenn andere Technische und methodische Meßfehler sind Verfahren nicht möglich sind. häufig; das System ist nicht rekalibrierbar Epidural Relativ einfach durchführbar, Infektions- Technische und methodische Meßfehler sind gefahr gering. häufig, das System ist nicht rekalibrierbar, die Kurve ist gedämpft Anästhesiologie & Intensivmedizin 2000, 41: 39-45 43
Seite 39 - 45 27.10.2003 10:41 Uhr Seite 6 Verbandsmitteilungen Tabelle 11: Meßtechnische Anforderungen an ICP- Tabelle 12: Transport Monitore (nach AAMI*) Spezielle Trage Meßbereich: 0 - 100 mmHg Zusatzausstattung (fahrbar) Meßgenauigkeit: ± 2 mmHg im Bereich Transportrespirator von 0 - 20 mmHg Absaugeinheit Monitoring-Einheit (siehe unten) Maximaler Meßfehler: 10 % im Bereich Spritzenpumpen von 20 - 100 mmHg Notfallmedikamenten-Set * Brown E: Intracranial pressure monitoring devices, Druckinfusions-Einheit Association for the Advancement of Medical Reanimations-Set Instrumentation. 3330 Washington Boulevard, Suite Monitoring 400, Arlington, VA 22201-4598, 1988 (nach 18). EKG/Defibrillator nicht invasive Blutdruckmessung invasive Druckmessung (Blutdruck, ICP) Bei Monitorsystemen Speicherung der Werte Pulsoxymetrie Ausreichende mechanische Stabilität Kapnometrie (17) Einfaches Entfernen bzw. Auswechseln. Personelle Voraussetzung Arzt mit intensivmedizinischer Qualifikation Die intrakranielle Druckmessung wird im Rahmen der Pflegekraft mit intensivmedizinischer Qualifikation Operation einer akuten raumfordernden Blutung Pflegekraft in der Notaufnahme angelegt, sonst sobald dies in der Operativen Phase II ohne zusätzliche Gefährdung des Patienten möglich ist. 3.6.2.1.3 Behandlung 3. Bickell WH, Wall MJ, Pepe PE et al.: Immediate versus Verschlechtert sich die Bewußtseinslage des Patienten delayed fluid resuscitation for hypotensive patients with und treten Zeichen der Einklemmung (Anisokorie, penetrating torso injuries. N Engl J Med 331: 1105 - 1109 (1994) Hemiparese oder Strecksynergismen) als Hinweis auf 4. Brandt M, Schwab R, Eck J et al.: Eine neue Beatmungs- eine intrakranielle Drucksteigerung auf, ist die und Überwachungseinheit für innerklinische Transporte von Kurzinfusion von Mannitol (0,3 - 1,5 g/kg KG über 15 Notfallpatienten. Notfallmed 13: 575 - 577 (1987) min) indiziert. Für Patienten mit Schädel-Hirn- 5. Bullock R, Chesnut RM, Clifton G et al.: Guidelines for Trauma ist die Wirksamkeit einer speziellen the management of severe head injuries. Eur J Emerg Med Medikation (z.B. mit Kortikosteroiden, Kalziumant- 2: 109 - 127 (1996) agonisten, Barbituraten, Trispuffer) im Sinne einer 6. Clark WC, Mühlbauer MS, Lowrey R et al.: Complica- Ergebnisverbesserung nicht belegt. tions of intracranial pressure monitoring in trauma patients. Neurosurg 25: 20 - 24 (1989) 7. Dinkel M, Hennes J: Innerklinische Akutversorgung des Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma. Anästh Intensivmed 39: 4. Transport und Überwachung im 399 - 412 (1998) 8. DIVI: Das bundeseinheitliche Protokoll der Deutschen Krankenhaus Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI). Anästh Intensivmed 2000, 41: 46-49 Das Schockraum-Team muß die Versorgung so planen, 9. Domenicucci M, Signorini P, Strzelecki J et al.: Delayed daß nur ein Minimum an Transporten notwendig wird, posttraumatic epidural hematoma. A review. Neurosurg Rev um ein zusätzliches Transporttrauma zu vermeiden (1, 18: 109 - 122 (1995) 4, 10, 14, 16, 25). Die Ausstattung der Transportmittel 10. Engelhardt W: Innerklinische Transporte von Patienten mit erhöhtem intrakraniellem Druck. Anästh Intensivmed (Tab. 12) orientiert sich an den Normen DIN EN 1789, 38: 385 (1997) 794-3, 740, 864 und 865 (inner- und außerklinisch). 11. Foroglou G, Patsalas I, Kontopoulos B: The timing of CT. Neurosurg Rev 12: S169 - S174 (1989) 12. Gutman MB, Moulton RJ, Sullivan I et al.: Relative inci- Literatur dence of intracranial mass lesions and severe torso injury after accidential injury: implications for triage and manage- 1. Andrews PJD, Piper IR, Dearden NM et al.: Secondary ment. J Trauma 31: 974 - 977 (1991) insults during intrahospital transport of head-injured pa- 13. Harloff M: Nadelöhr Krankenhauseinweisung. Notarzt 8: tients. Lancet 335: 327 - 330 (1990) 165 - 166 (1992) 2. Arbeitsgemeinschaft Intensivmedizin und Neuro- 14. Huf R, Madler C, Maiwald G et al.: Intensiv- traumatologie der Deutschen Gesellschaft für Neuro- Transporthubschrauber - Konzept und Realisierung. Notarzt chirurgie und Wissenschaftlicher Arbeitskreis Neuro- 9: 2 - 6 (1993) anästhesie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie 15. Huneidi AH, Afsahar F: Delayed intracerebral haemato- und Intensivmedizin: Leitlinien zur Primärversorgung von mas in moderate to severe head injuries in young adults. Ann Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma. (a) Anästh Intensivmed R Coll Surg Engl 74: 345 - 349 (1992) 38: 89 - 93 (1997) (b) Zbl Neurochir 58: 13 - 17 (1997) 16. Hurst JM, Davis K, Branson RD et al.: Comparison of Anästhesiologie & Intensivmedizin 2000, 41: 39-45 44
Seite 39 - 45 27.10.2003 10:41 Uhr Seite 7 Schädel-Hirn-Trauma blood gases during transport using two methods of ventila- treated between 1972 and 1991 at a German level I trauma tory support. J Trauma 29: 1637 - 1640 (1989) center. J Trauma 38: 70 - 78 (1995) 17. Jantzen J-P, Hennes HJ: Präklinische Kapnometrie - ein 29. Rivara FP, Grossman DC, Cummings P: Injury preven- richtungweisender Fortschritt. Notfallmed 12: 450 - 456 tion. First of two parts. N Engl J Med 337: 543 - 548 (1997) (1991) 30. Saul TG, Tucker TB: Effect of intracranial pressure moni- 18. Joint Section on Neurotrauma and Critical Care. toring and aggressive treatment on mortality in severe head Guidelines for the management of severe head injury. 1. injury. J Neurosurg 56: 498 - 503 (1982) 1995. New York, Brain Trauma Foundation. 31. Sprick C, Bettag M, Bock WJ: Delayed traumatic 19. Lehr D, Baethmann A, Reulen HJ et al.: Management of intracranial hematomas - a clinical study of seven years. patients with severe head injuries in the preclinical phase: a Neurosurg Rev 12: S228 - S230 (1989) prospective analysis. J Trauma 42: S71 - S75 (1997) 32. Committee on Trauma, ACS: Resources for optimal care 20. Miller EC, Derlet RW, Kinser D: Minor head injury: Is of the injured patient: 1999. The American College of computed tomography always necessary? Ann Emerg Med Surgeons, Chicago, 1998 27: 290 - 294 (1996) 33. Thomason M, Messick J, Rutledge R et al.: Head CT scan- 21. Murray C, Lopez AD: Alternative projections of mortali- ning versus urgent exploration in the hypotensive blunt trau- ty and disability by cause 1990 - 2020: global burden of dis- ma patient. J Trauma 34: 40 - 45 (1993) ease study. Lancet 349: 1498 - 1505 (1997) 34. White RJ, Likavec MJ: The diagnosis and initial manage- 22. Narayan RK, Kishore PR, Becker DP: Intracranial pres- ment of head injury. N Engl J Med 327: 1507 - 1511 (1992) sure: to monitor or not to monitor? J Neurosurg 56: 650 - 659 35. Winchell RJ, Hoyt DB, Simons RK: Use of computed (1982) tomography of the head in the hypotensive blunt-trauma 23. Nelson JB, Bresticker MA, Nahrwold DL: Computed patient. Ann Emerg Med 25: 737 - 742 (1995). tomography in the initial evaluation of patients with blunt trauma. J Trauma 33: 722 - 727 (1992) 24. O´Sullivan MG, Statham PF, Jones PA et al.: Role of intracranial pressure monitoring in severely head-injured Korrespondenzadressen: patients without signs of intracranial hypertension on initial computerized tomography. J Neurosurg 80: 46 - 50 (1994) Prof. Dr. J.-P. Jantzen 25. Pehl S, Brost F, Jantzen JP et al.: Innerklinischer Transport Klinik für Anaesthesiologie und Intensivmedizin von Intensivpatienten: Erste Erfahrungen. Notfallmed 14: Klinikum Hannover Nordstadt 949 - 954 (1988) Haltenhoffstraße 41 26. Prall JA, Nichols JS, Brennan R et al.: Early definitive D-30167 Hannover evaluation in the triage of unconscious normotensive blunt trauma patients. J Trauma 37: 792 - 797 (1994) Prof. Dr. J. Piek 27. Prough DS, Lang J: Therapy for patients with head inju- ries: Key parameters for management. J Trauma 42: S10 - S18 Neurochirurgische Klinik (1997) Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 28. Regel G, Lobenhoffer P, Grotz M et al.: Treatment results F.-Sauerbruch-Straße 8 of patients with multiple trauma: an analysis of 3406 cases D-17487 Greifswald. Anästhesiologie & Intensivmedizin 2000, 41: 39-45 45
Sie können auch lesen