Ent, herent und ganz weit fuat: Bairisch im Woid und anderswo - Bayerischer Wald-Verein eV

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Ent, herent und ganz weit fuat: Bairisch im Woid und anderswo - Bayerischer Wald-Verein eV
Seite 2                                    Der Bayerwald                               Ausgabe 1/2019

      Ent, herent und ganz weit fuat: Bairisch im Woid
                       und anderswo
PD Dr. Nicole Eller-Wildfeuer (Universität Regensburg), Prof. Dr. Alfred Wildfeuer (Universität Augsburg)

Emerenz Meier, eine der wohl bekanntesten Dich-       und 15 Millionen Menschen, vor allem Altbayern,
terinnen des Bayerischen Waldes, die von sich         Österreicher und Südtiroler sind mit Bairisch als
selbst behauptete, sie sei „des freien Waldes         Erstsprache aufgewachsen. Bairisch hat damit
freies Kind“ (Göttler 2018: 12), wurde 1874 in        mehr Sprecher als z. B. Ungarisch, Griechisch oder
Schiefweg bei Waldkirchen geboren und wander-         Tschechisch und nimmt damit einen Platz unter
te 1906 nach Chicago aus (Göttler 2018: 20).          den 100 meistgesprochenen Sprachen der Welt
D‘Emerenz – wie sie liebevoll bis heute genannt       ein. Die folgende Abbildung aus Wikipedia zeigt die
wird – stellt ein prominentes Beispiel unter Mil-     Verteilung der Dialekte im süddeutschen Sprach-
lionen an deutschsprachigen Auswanderern dar.         raum, die hell- bis dunkelblauen Bereiche stehen
Eine heute manchmal vergessene, frühe Migrati-        für Bairisch in Bayern, Österreich und Südtirol:
onsbewegung des späten 19. und frühen 20. Jahr-       Wie Abbildung 2 verdeutlicht, herrscht in Bayern
hunderts, die deutliche Spuren in den Zielländern     eine enorme Sprachvielfalt vor: Angefangen von
in Übersee hinterlassen hat, auch sprachliche, ja     den bairischen Dialekten, die in Mittel-, Nord- und
bayerische und bairische Spuren. Doch zunächst
zu unserer Dichterin ausm Woid: Emerenz Meier
schrieb zahlreiche Gedichte in ihrer Varietät des
Unteren Bayerischen Waldes. Am bekanntesten ist
die Wödaschwüln, die sie im Bairischen verfasste.
Das Gedicht weist zahlreiche, für unsere Sprache
typische Merkmale auf, wie zum Beispiel Mensch
für ‚Mädchen‘. Emerenz Meier ist als Vorläuferin
der neuen Mundartdichtung zu bezeichnen, die
den Dialekt des Bayerischen Waldes bekannt ge-
macht und ihn sozusagen in die Welt hinausgetra-
gen hat bis nach Amerika, wo unter anderem bis
heute noch Bairisch gesprochen wird. Doch bevor
das Bairische im Bayerischen Wald und anderswo
vorgestellt wird, werden wir im Vorfeld zunächst
ein paar Zahlen und sprachliche Besonderheiten
darstellen.
Das Bairische stellt die größte Dialektlandschaft
Europas dar, denn nicht nur in Bayern wird Bai-
risch gesprochen, sondern auch im allergrößten
Teil Österreichs (nur das Bundesland Vorarlberg       Abbildung 1: https://commons.wikimedia.org/w/in-
spricht Alemannisch) und in Südtirol. Zwischen 14     dex.php?curid=20073609
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                                                    tern, wie zum Beispiel aper für schneefrei, Ertag
                                                    oder Irtag für Dienstag, Pfinztag für Donnerstag,
                                                    Scher für Maulwurf, Pfoad für (Nacht-)Hemd, tenk
                                                    für links, hal oder hai für glatt und eß/enk für ihr/
                                                    euch. Für die Erzählvergangenheit wird im Bairi-
                                                    schen überwiegend das Perfekt verwendet: So
                                                    sagt man i bin ganga und nicht i ging. Besonders
                                                    verbreitet sind im Bairischen Wendungen im Kon-
                                                    junktiv, in der sogenannten Wunsch- und Mög-
                                                    lichkeitsform. So ist es in Bayern nicht unüblich,
                                                    wenn sich ein Anrufender am Telefon mit i waads
                                                    oder i waars (ich bin es) meldet und sich mit der
                                                    Formel i gang iazt (ich gehe jetzt) verabschiedet.
                                                    Der bairische Spruch heede, daade, waare (hätte
Abbildung 2: Renn/König 2009: 18
                                                    ich, täte ich, wäre ich, im Sinne von Wenn ich nur
                                                    könnte!) zeigt dies eindrücklich. Und ganz und
Südbairisch unterteilt werden und die in Nieder-    gar höflich bestellt man sein Bier im Wirtshaus
und Oberbayern und in der Oberpfalz verbreitet      oder Wirtsgarten mit I hed na gern a Bier ghod.
sind, über ostschwäbische und niederalemanni-       Unhöflich wäre es, dies mit Noch ein Bier! zu tun.
sche, hin zu den ober- und unterostfränkischen      Auch ist es im Bairischen nichts Ungewöhnliches
Dialekten und nicht zu vergessen die thüringi-      oder gar Fehlerhaftes, wenn nebensatzeinleitende
schen und rheinfränkischen Varietäten ganz im       Subjunktionen (z. B. dass, wenn) flektiert (gebeugt)
Norden des Freistaats. Im Bayerischen Wald wird     werden: I gfrai mi, wennst kimmst (Ich freue mich,
sowohl Mittel- als auch Nordbairisch gesprochen     wenn du kommst) oder Er sogt, dassma na a Hoi-
und es existiert ein Übergangsgebiet zwischen       we dringand (Er sagt, dass wir noch eine Halbe
dem mittel- und dem nordbairischen Dialektraum,     trinken). Überhaupt ist die Flexion (die Beugung) im
für den eine Auswahl an sogenannten gestürzten      Bairischen komplexer als in der Standardsprache.
Diphthongen (Zwielauten) charakteristisch ist:      Dies zeigt uns z. B. die Verbflexion im Plural, die
Für Bruder sagt man ganz im Nordwesten des          im Bairischen drei Möglichkeiten kennt, während
Bayerischen Waldes Brouda und die Kuh ist bis       es in der Standardsprache nur zwei sind: Entweder
in den Mittleren Wald herein die Kou, der Bub der   die Endung auf -en für die 1. und 3. Person Mehr-
Bou, wohingegen es im Mittelbairischen Bruada,      zahl (wir gehen, sie gehen) oder die Endung auf -t
Kua und Bua heißt. Neben dem bereits erwähnten      für die 2. Person Mehrzahl (ihr geht). Im Bairischen
Reichtum an Diphthongen ist die Verdumpfung         im Woid hingegen gibt es allein für die 1. Person
von a zu o typisch: Standardsprachlich Wasser       Mehrzahl zwei Möglichkeiten: mia gengma oder
wird im Bairischen zu Wossa, die Katze zur Kotz     mia gengand, die 2. Person Mehrzahl lautet eß
und machen zu mocha, um eine kleine Auswahl zu      gehts und die 3. Person se gengand. Ein weiteres
nennen. Darüber hinaus weist das Bairische auch     Beispiel für eine komplexe Grammatik ist die bai-
einen umfangreichen, eigenständigen Wortschatz      rische Verlaufsform. Wenn die Waidlerin oder der
auf. Man spricht hierbei von bairischen Kennwör-    Waidler ausdrücken möchte, dass etwas gerade
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Abbildung 3: Renn/König 2009: 102

eintritt, z. B. es gerade zu schneien anfängt, dann   die Hochsprache. Wer Bairisch als Erwachsener
heißt dies im Bairischen Iatz wiads schnaiwad.        erst lernen muss, kann einem wirklich leidtun.
Eine Form, die die Hochsprache gar nicht kennt.       Schwaar is leicht ebbs täte der Waidler sagen.
Und auch die Beugung von zwei in zwe Manna            Diese sprachliche Vielfalt Bayerns wird auch ein-
(zwei Männer) – zwo Fraun (zwei Frauen) – zwoa        drucksvoll anhand der Sprachkarte (Abbildung 3)
Kinna (zwei Kinder) ist in der Hochsprache unbe-      zum Wochentagsnamen Ertag/Irtag (Dienstag)
kannt. Bairisch ist also komplex, oft komplexer als
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veranschaulicht, wo eine ganze Palette an Aus-         Sprache) lernen und später, z. B. in der Schule, die
sprachemöglichkeiten präsentiert wird:                 Standardsprache. Diese Zweisprachigkeit fördert
Diese Vielfalt führt letztendlich dazu, dass man       die geistige Entwicklung deutlich. Zweisprachige
für den Süden Deutschlands von einem sprach-           Kinder und Jugendliche lernen auch leichter wei-
lichen Kontinuum zwischen den Basisdialekten           tere Sprachen. Und dass das immer noch dialektal
(A), den regionalen Umgangssprachen (B) und der        geprägte Bundesland Bayern die besten Schüle-
Standardsprache/Hochsprache (C) ausgehen kann          rinnen und Schüler hervorbringt, liegt an mehreren
(Abbildung 3):                                         Faktoren. Aber einer der positiv wirkenden Fakto-
                                                       ren ist sicher die weit verbreitete Mehrsprachigkeit
                                                       auf Basis unserer Dialekte. Kindern keinen Dialekt
                                                       beizubringen, schwächt nicht nur die kulturellen
                                                       Wurzeln unserer Region, sondern ist auch für die
                                                       sprachliche Entwicklung von großem Nachteil.
                                                       Die bairische Mehrsprachigkeit ist nicht nur auf
                                                       Bayern beschränkt, wie wir bereits eingangs ange-
                                                       deutet haben. Seit jeher verließen Menschen ihre
                                                       angestammten Territorien aufgrund von schlech-
                                                       ten wirtschaftlichen oder politischen Verhältnissen,
                                                       um ihr Glück in der Fremde zu suchen. Frühere
                                                       Migrationsbewegungen unterscheiden sich daher
                                                       grundsätzlich wenig von den heutigen, auch wenn
                                                       sich die Richtung umgedreht hat. Mitteleuropa
                                                       wandelte sich von einer Abwanderungs- zu einer
                                                       Zuwanderungsregion. Dies bildet somit auch den
                                                       ökonomischen Wandel Bayerns von einem armen
Abbildung 4: Renn/König 2009: 20                       zu einem der reichsten Staaten der Welt ab. Die
                                                       Vorfahren der von uns außerhalb Bayerns aufge-
Jeder Sprecher, der in der Lage ist, sich sprachlich   suchten bairisch sprechenden Menschen haben
in diesem Kontinuum zu bewegen, sprich von sei-        vor allem im Laufe des 19. Jahrhunderts ihre Hei-
nem Dialekt in die Standardsprache zu wechseln         mat im Böhmerwald und im Bayerischen Wald ver-
und umgekehrt, kann als mehrsprachig bezeichnet        lassen und ließen sich in Rumänien, der Ukraine,
werden. Er verfügt sozusagen über eine innere          Neuseeland, Brasilien und den USA nieder. Einige
Mehrsprachigkeit. Das Gegenteil dazu stellt die        wenige Nachfahren der Ausgewanderten sprechen
äußere Mehrsprachigkeit dar, wenn ein Mensch           noch einen mittel- oder nordbairischen Dialekt,
unterschiedliche Nationalsprachen spricht, zum         wie er in den grenznahen Regionen des Bayeri-
Beispiel Deutsch und Türkisch. Und, Mehrspra-          schen und Oberpfälzer Waldes vorherrschend ist.
chigkeit ist sehr gesund, gesund für die geistige      Für Kuh wird sowohl die Bezeichnung Kua als auch
Entwicklung. Kinder, die mehrsprachig aufwach-         Kou verwendet, für Bub Bua und Bou, um zwei Bei-
sen, sind schlauer. Dies gilt auch für Kinder, die     spiele zu nennen. In den Auswanderungsgebieten
daheim Bairisch (oder einen anderen Dialekt oder       existieren unterschiedliche Benennungen für die
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(ehemalige) Familiensprache, die unter anderem       men kaum mehr verwendet. Und diese Mehrspra-
als Österreichisch, Deutschböhmisch, Bairisch,       chigkeit und der Wechsel zu anderen Sprachen
Boarisch, Schwobisch (!) und Behmisch tituliert      hinterließ seine deutlichen Spuren im dortigen
wird. Die Sprecher in Kansas/USA bezeichnen ih-      Bairisch, es veränderte sich wesentlich. Tony
ren Dialekt beispielsweise als Deutschböhmisch       Bayer, unser wichtigster Sprecher in Neuseeland,
oder auch Österreichisch, was in Zusammenhang        führte uns während der Befragung durch seinen
mit der Staatszugehörigkeit Böhmens im 19. Jahr-     großen Garten und zeigte uns seine zahlreichen
hundert, zur Zeit der Auswanderung, zu sehen         Bietschnbaam (‚Pfirsichbäume‘, von engl. peach
ist. Die Mehrzahl der Migranten hatte damals         ‚Pfirsich‘). Neue Wörter kamen hinzu, andere gin-
aufgrund ihrer Herkunft aus Westböhmen eine          gen verloren. Das für das bairische Sprachgebiet
österreichische Staatsbürgerschaft und wurde         kennzeichnende und aus dem Gotischen stam-
daher bei der Einwanderung in die USA meist als      mende Kennwort Pfoad (‚Hemd‘) ist in Neuseeland
Austrians registriert.                               und den USA nicht mehr geläufig, außer in einem
Eine mehrsprachige Prägung der Informanten war       Fall, wo der Bruder einer Sprecherin seit Kind-
vor und nach dem Verschwinden der deutschen          heitstagen den Spitznamen „da Pfoidlade“ (also
Sprache aus weiten Bereichen des gesellschaft-       wohl der, der immer im Nachthemd herumläuft)
lichen Lebens bei den befragten Personen und         trägt, wobei die eigentliche Bedeutung des Wortes
teilweise auch bei ihren Vorfahren die Konsequenz.   nicht mehr bewusst war.
Das Bairische war lange Zeit die Nischensprache      Eine der wenigen Ausnahmen, was den Erhalt des
innerhalb der Familie und wurde von Generation       Bairischen betrifft, stellen deutschböhmisch-bairi-
zu Generation weitergegeben. In wenigen Jahr-        sche Siedlungen im rumänischen Banat dar. Dort
zehnten wird die (ehemalige) bairische Familien-     wird der Dialekt noch immer an die nachfolgenden
sprache in den USA, Neuseeland, der Ukraine und      Generationen weitergegeben. Wir konnten dort
Brasilien meist verschwunden sein. Aber es gibt      einige jüngere Sprecher finden, die neben dem
Ausnahmen. Eine stellen die wachsende Glau-          Bairischen auch die deutsche Standardsprache
bensgemeinschaft der Hutterer dar, eine christ-      und selbstverständlich Rumänisch beherrschten.
liche Täufergruppe, die vor allem in Kanada und      Man kann somit durchaus etwas positiv in die
dem Norden der USA verbreitet ist und bis heute      Zukunft des Bairischen blicken. Der von uns hier
als Familiensprache vor allem Südbairisch spricht.   abgewandelte Spruch Aus is’s und gor is’s und ned
Deren Sprecherzahlen dürfte aktuell bei 40.000       schee is’s, dass’s wor is, wird auf das Bairische,
bis 50.000 liegen. Aber die Hutterer wären eine      zumindest in Bayern, Österreich und Südtirol so
ganz eigene Geschichte.                              schnell nicht zutreffen. Uns hoits na aus, ’s Boa-
Die sprachliche Situation in den bairischspra-       rische.
chigen Siedlungen war zu Beginn häufig durch
Einsprachigkeit geprägt, woraus sich dann allmäh-
lich mehrsprachige Verhältnisse entwickelten. Vor    Literatur:
allem die deutschböhmischen Nachfahren in den        Göttler, Hans (Hrsg.): Emerenz Meier. Aus dem Bayerischen
USA und in Neuseeland verweisen darauf, dass            Wald und aus Chicago. Geschichten, Gedichte und Briefe
                                                        einer sanften Rebellin. Grafenau.
bereits seit längerem das Englische dominiert,       Renn, Manfred/König, Werner (2009): Kleiner Bayerischer
der deutsche Dialekt wird bis auf wenige Ausnah-        Sprachatlas. München.
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