Epidemiologisches Bulletin 9 2021 - RKI
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AKTUELLE DATEN UND INFORMATIONEN ZU INFEKTIONSKRANKHEITEN UND PUBLIC HEALTH 9 Epidemiologisches 2021 Bulletin 4. März 2021 FSME: Risikogebiete in Deutschland
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 2 Inhalt FSME: Risikogebiete in Deutschland (Stand: Januar 2021) 3 In Deutschland besteht ein Risiko für eine FSME-Infektion vor allem in Bayern und Baden-Württemberg, in Südhessen, im südöstlichen Thüringen und in Sachsen. Einzelne Risikogebiete befinden sich zudem in Mittelhessen, im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Niedersachsen. Nun kommen 5 neue Risikogebiete hinzu, von denen 4 an bekannte Risikogebiete grenzen. Als erster Kreis in Sachsen-Anhalt wird der Stadt- kreis Dessau-Roßlau Risikogebiet. Dieser grenzt nicht an bestehende Risikogebiete und ist somit nach dem Landkreis Emsland in Niedersachsen ein weiteres nördlich gelegenes FSME-Risikogebiet. Somit sind aktu- ell 169 Kreise als FSME-Risikogebiete definiert. Im Jahr 2020 wurde mit 704 FSME-Erkrankungen die bis- lang höchste Anzahl Erkrankungen seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 2001 gemeldet. Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten: 8. Woche 2021 21 Monatsstatistik nichtnamentlicher Meldungen ausgewählter Infektionen 24 Impressum Herausgeber Allgemeine Hinweise/Nachdruck Robert Koch-Institut Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung: Nordufer 20, 13353 Berlin www.rki.de/epidbull Telefon 030 18754 – 0 Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise Redaktion die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Dr. med. Jamela Seedat Dr. med. Maren Winkler (Vertretung) Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Telefon: 030 18754 – 23 24 Namensnennung 4.0 International Lizenz. E-Mail: SeedatJ@rki.de Nadja Harendt (Redaktionsassistenz) Telefon: 030 18754 – 24 55 Claudia Paape, Judith Petschelt (Vertretung) ISSN 2569-5266 E-Mail: EpiBull@rki.de Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 3 FSME: Risikogebiete in Deutschland (Stand: Januar 2021) In dieser Ausgabe des Epidemiologischen Bulletins Die STIKO empfiehlt eine FSME-Impfung für Per- wird – in Übereinstimmung mit den diesbezüg sonen, die in FSME-Risikogebieten zeckenexponiert lichen Ausführungen in den Empfehlungen der sind. Auch in Risikogebieten sind die Impfquoten Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert weiterhin auf niedrigem Niveau, insbesondere bei Koch-Institut (RKI) – eine aktualisierte Darstellung Personen im Alter über 60 Jahren, bei denen das der Risikogebiete der Frühsommer-Meningo Risiko einer schweren Erkrankung deutlich erhöht enzephalitis (FSME) in Deutschland in einer Eintei- ist. Die Mehrzahl (98 %) der 2020 gemeldeten lung nach Kreisgebieten als Grundlage für gezielte FSME-Erkrankten war gar nicht oder unzureichend präventive Maßnahmen publiziert. Sie beruht auf geimpft, d. h. die Grundimmunisierung war unvoll- den gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) dem RKI ständig oder Auffrischimpfungen fehlten. Ein hoher übermittelten FSME-Erkrankungsdaten aus den Anteil der auftretenden FSME-Erkrankungen könn- Jahren 2002 – 2020. Diese Karte ersetzt die Karte te also durch eine Steigerung der Impfquoten ins- der Risikogebiete vom Februar 2020.1 besondere in Risikogebieten mit hoher FSME-Inzi- denz verhindert werden. Zusammenfassung In Deutschland besteht ein Risiko für eine FSME- Hintergrund Infektion vor allem in Bayern und Baden-Württem- Die FSME wird durch das FSME-Virus verursacht, berg, in Südhessen, im südöstlichen Thüringen und das in der Regel durch Zecken auf den Menschen in Sachsen. Einzelne Risikogebiete befinden sich übertragen wird – in Deutschland bislang durch die zudem in Mittelhessen (Landkreis (LK) Marburg- Spezies Ixodes ricinus. Übertragungen durch den Biedenkopf), im Saarland (LK Saarpfalz-Kreis), in Verzehr von Rohmilch oder Rohmilchprodukten Rheinland-Pfalz (LK Birkenfeld) und in Niedersach- sind möglich, aber selten. Der typische Verlauf einer sen (LK Emsland). Im Jahr 2020 wurde mit 704 FSME-Erkrankung ist biphasisch und beginnt mit FSME-Erkrankungen die bislang höchste Anzahl unspezifischen allgemeinen Krankheitszeichen wie Erkrankungen seit Beginn der Datenerfassung im Kopfschmerzen und Fieber (Inkubationszeit meist Jahr 2001 gemeldet. Dies ist mehr als das Doppelte 7 – 14 Tage). Nach einem kurzen Intervall von ca. ei- des jährlichen Medianwertes von 301 Erkrankun- ner Woche folgen die spezifischen neurologischen gen. Nun kommen 5 neue Risikogebiete hinzu, von Manifestationen der FSME (Meningitis, Enzepha denen 4 an bekannte Risikogebiete grenzen: jeweils litis, Myelitis). Schätzungen zufolge verläuft ein ho- 1 Kreis in Bayern (LK Dillingen a. d. Donau), Hessen her Anteil der Infektionen (70 – 95 %) jedoch asymp (LK Fulda), Sachsen (LK Mittelsachsen) und Thürin- tomatisch oder die zweite Krankheitsphase bleibt gen (LK Weimarer Land). Als erster Kreis in Sachsen- aus.2,3 Anhalt wird der Stadtkreis (SK) Dessau-Roßlau Risikogebiet. Dieser grenzt nicht an bestehende Ri- Als FSME-Risikogebiete werden Endemiegebiete sikogebiete und ist somit nach dem LK Emsland in der FSME deklariert, in denen ein Erkrankungsrisiko Niedersachsen ein weiteres nördlich gelegenes für Personen mit Zeckenexposition besteht, welches FSME-Risikogebiet. Somit sind aktuell 169 Kreise nach Übereinkunft von ExpertInnen präventive als FSME-Risikogebiete definiert. Es wurden auch Maßnahmen begründet. Im Vordergrund steht die in Bundesländern ohne FSME-Risikogebiete verein- verfügbare und effektive FSME-Impfung für die Be- zelt FSME-Erkrankungen beobachtet, so dass be- völkerung bzw. beruflich Tätige in Risikogebieten, sonders während der Zeckensaison bei entspre- aber auch Personen, die Risikogebiete besuchen chender Symptomatik überall in Deutschland diffe- und durch Aufenthalt in freier Natur zeckenexpo- rentialdiagnostisch an FSME gedacht werden sollte. niert sind.
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 4 Das FSME-Erkrankungsrisiko wird anhand der völkerung Rechnung zu tragen und zum anderen, kreisbezogenen Inzidenz der nach IfSG gemeldeten weil Naturherde kreisübergreifend sein können. Da- und dem RKI übermittelten FSME-Erkrankungen durch wird zudem eine Glättung zufälliger Inzidenz eingeschätzt.4 Aufgrund der kreisbezogenen Melde- unterschiede erreicht. pflicht ist es dabei nicht möglich, das Risiko klein- räumiger als auf Kreisebene abzubilden. Kreise va- Für Berechnungen, die nicht den Infektionsland- riieren jedoch in ihrer Größe und sind Kreisgebiets- kreis betreffen, werden alle dem RKI übermittelten reformen unterworfen. FSME-Herde sind oftmals FSME-Erkrankungen verwendet (n = 7.219, Stand: kleinräumig,5 so dass das FSME-Risiko auch inner- 18.01.2021). halb von Kreisen mit insgesamt niedriger Inzidenz stark schwanken kann. Diesbezüglich liegen den Wie bereits detailliert beschrieben,4 wird ein Kreis Gesundheitsämtern – auch in Kreisen, die nicht als als FSME-Risikogebiet definiert, wenn die Anzahl FSME-Risikogebiete definiert sind – unter Umstän- der übermittelten FSME-Erkrankungen in mindes- den detailliertere Daten vor, die für Beratungen von tens einem der Fünfjahreszeiträume 2002 – 2006, Personen mit erhöhtem Expositionsrisiko, z. B. 2003 – 2007, usw. bis 2016 – 2020 im Kreis ODER in Forstbedienstete, herangezogen werden können. der Kreisregion (bestehend aus dem betreffenden Kreis plus allen angrenzenden Kreisen) signifikant Derzeit bleibt die Surveillance menschlicher FSME- (p Ausgabe 9/2021 veröffent- Infektionslandkreis verwendet (n = 6.098 Erkran- licht. Dort sind auch die p-Werte verfügbar, die aus- kungsfälle, Stand: 18.01.2021, s. auch Kasten). Es sagen, ob die beobachtete Inzidenz signifikant hö- wurden 15 kreisbezogene gleitende Fünfjahresinzi- her als 1 Erkrankung/100.000 Einwohner liegt. denzen für die Zeiträume 2002 – 2006, 2003 – 2007, usw. bis 2016 – 2020 berechnet, um die Ver- Die in Abbildung 1 dargestellten Inzidenzen schlie- gleichbarkeit der FSME-Krankheitslast in den ein- ßen FSME-Fälle mit angegebenem Infektionsort in zelnen Kreisen zu gewährleisten. Als Zähler wird Bayern und Baden-Württemberg ein. Da der Kreis die Zahl der in einem Kreis erworbenen FSME- des Wohnortes in der großen Mehrzahl der Fälle Erkrankungen (also Erkrankungen bei im Kreis mit dem Kreis des Infektionsorts übereinstimmt wohnhaften und den Kreis besuchenden Personen) (s. u.), wurden weiterhin Fälle mit fehlendem Infek- und als Nenner der Mittelwert der Kreisbevölkerung tionsort berücksichtigt, bei denen der Kreis des im jeweiligen Fünfjahresintervall verwendet. Ferner Wohnortes in Bayern oder Baden-Württemberg lag wird das Infektionsrisiko in umliegenden Kreisen und somit als wahrscheinlicher Infektionsort ge- berücksichtigt, zum einen, um der Mobilität der Be- zählt wurde.
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 5 Anmerkungen zur Datenbasis Die übermittelten Daten zu gemeldeten FSME- nose wurde entweder zusätzlich ein erhöhter IgG-Ti- Erkrankungen unterlagen während des Datenzeit- ter oder ein signifikanter Titeranstieg gefordert. Die raums folgenden Einschränkungen: ab Beginn des Jahres 2004 gültige aktualisierte Fallde- Infektionsort: Ohne Hinweis zum vermutlichen finition8 hat dies berücksichtigt. Auch der alleinige Infektionsort (= „Expositionsort“) kann ein übermit- IgM-Antikörper-Nachweis im Liquor wird seit 2004 telter FSME-Fall nicht zur Präzisierung der FSME- nicht mehr akzeptiert; es wurde nunmehr der Nach- Risikogebiete genutzt werden. Daher haben die auf- weis einer intrathekalen Antikörpersynthese (erhöh- wendigen Ermittlungen seitens der Gesundheitsämter ter Liquor-Serum-Index) gefordert. einen hohen Stellenwert. Die Übermittlung des ver- Vor diesem Hintergrund wurden Fälle aus den Jahren mutlichen Infektionsortes fehlte im Jahr 2002 noch in 2002 und 2003 mit alleinigem FSME-spezifischen 49 % der Fälle; in den Jahren 2006 – 2019 jedoch nur IgM-Antikörper-Nachweis nur dann zur Datengrundla- noch in 1,6 – 11,8 % der Fälle, mit dem höchsten An- ge für die Karte gerechnet, wenn eine Symptomatik des teil im Jahr 2014 (11,8 %). Im Jahr 2020 fehlte der In- zentralen Nervensystems (ZNS) vorlag. fektionsort bei 10,1 % der Fälle. In der 2007 erneut aktualisierten Falldefinition9 (www. Falldefinition nach IfSG: Die von 2001 bis Ende 2003 rki.de/falldefinitionen) wird auch der Nachweis eines gültige Falldefinition7 des RKI war auch dann erfüllt, simultanen IgM- und IgG-Nachweises im Liquor – wie wenn labordiagnostisch nur ein serologischer FSME- im Serum – als Laborbestätigung anerkannt. Dies spezifischer IgM-Antikörper-Nachweis vorlag. Dies wurde in der Praxis bereits bei den in den Jahren wurde nachträglich von ExpertInnen als nicht ausrei- 2004 – 2006 übermittelten Fällen weitgehend so ge- chend spezifisch eingeschätzt. Zur sicheren Diag handhabt. Übermittelte FSME-Erkrankungen/100.000 Einw. 5,0 5,0 Durchschnitt Durchschnitt 2016‐2019 Durchschnitt 2016 – 20192016‐2019 2020 2020 2020 4,5 4,5 Übermittelte FSME‐Erkrankungen/100.000 Einw. 4,0 4,0 3,5 3,5 3,0 2,5 3,0 2,0 2,5 1,5 1,0 2,0 0,5 1,5 0,0 ♂ ♀ ♂ ♀ ♂ ♀ ♂ ♀ ♂ ♀ ♂ ♀ ♂ ♀ ♂ ♀ ♂ ♀ ♂ ♀ ♂ ♀ ♂ ♀ 0–4 5–9 10 – 14 15 – 19 20 – 24 25 – 29 30 – 39 40 – 49 50 – 59 60 – 69 70 + Gesamt 1,0 Abb. 1 | An das RKI übermittelte FSME-Erkrankungen (nach IfSG) aus Baden-Württemberg und Bayern pro 100.000 Einwohner nach Altersgruppe und Geschlecht, 2016 – 2020 0,5 0,0
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 6 Daten zum Impfstatus FSME-Diagnostik und das Meldeverhalten auch Daten zu Impfquoten aus Schuleingangsuntersu- während der Coronavirus Disease 2019-(COVID-19-) chungen auf Landkreisebene wurden dem RKI von Pandemie im Jahr 2020 nicht merklich beeinflusst den entsprechenden Landesstellen zur Verfügung wurden. Eine über 80-jährige Person verstarb an ih- gestellt; aus Baden-Württemberg, Bayern und Hes- rer FSME-Erkrankung. sen seit dem Jahr 2003 und aus Thüringen seit 2007. Das Risiko einer FSME-Erkrankung steigt ab dem Alter von 40 Jahren deutlich an (s. Abb. 1) und ist Zur FSME-Situation in Deutschland größer bei männlichen als bei weiblichen Personen im Jahr 2020 (2020: 3,1 vs. 1,9 Erkrankungen/100.000 Einwoh- Im Jahr 2020 wurden insgesamt 704 FSME-Erkran- ner). Im Jahr 2020 war die Inzidenzverteilung nach kungen übermittelt, die die Referenzdefinition des Alter und Geschlecht insgesamt ähnlich wie in den RKI erfüllten (Stand: 18.01.2021). Dies entsprach ei- Vorjahren mit deutlicher Zunahme im Vergleich zu ner Zunahme von 58 % gegenüber dem Vorjahr den Vorjahren in fast allen Alters- und Geschlechts- (445 FSME-Erkrankungen). Somit wurde nach dem gruppen (s. Abb. 1). bislang fallstärksten Jahr 2018 mit 583 FSME- Erkrankungen ein neuer Höchstwert erreicht. Die Die Mehrzahl der FSME-Erkrankungen findet in jährliche Fallzahl seit 2001 schwankte stark zwi- den Monaten Mai bis Oktober statt, so auch im Jahr schen 195 (2012) und 704 (2020), im Median 301. 2020 (s. Abb. 2). Üblicherweise tritt die höchste Fall- Bei 50 % der 2020 übermittelten Erkrankungen zahl im Juni auf; im Jahr 2020 gab es jedoch im Juli wurde ein klinisches Bild mit neurologischen Mani- die meisten Erkrankungen. Ein ausgeprägter Er- festationen einer Meningitis, Enzephalitis oder krankungsgipfel im Herbst wie in einigen Vorjah- Myelitis angegeben. Dies entspricht dem Anteil des ren wurde 2020 nicht beobachtet. Vorjahres 2019 (52 %), was vermuten lässt, dass die Gemeldete FSME-Fälle 200 Median Median Mittlere 50% Min-Max Nur 2020 Median Mittlere50 Mittlere 50% % Min-Max Nur 2020 Median Mittlere 50% Min-Max Min-Max Nur 2020 Mittlere 50% Min-Max 150 Nur Nur2020 2020 100 50 0 Jan Feb März April Mai Juni Juli Aug Sep Okt Nov Dez Monat des Erkrankungsbeginns Abb. 2 | Verteilung der von 2001 – 2020 gemeldeten FSME-Fälle (N = 7.219) nach Monat der Erkrankung, mit Hervorhebung des Median Mittlere 50% Jahres 2020. Die dunkelblaue Fläche stellt die mittleren 50 % der Datenpunkte dar. Min-Max Nur 2020
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 7 Schleswig-Holstein Mecklenburg-Vorpommern Hamburg Bremen Niedersachsen Berlin Brandenburg Sachsen-Anhalt Nordrhein-Westfalen Sachsen Thüringen Hessen Rheinland-Pfalz Saarland Bayern Baden-Württemberg Abb. 3 | FSME-Risikogebiete in Deutschland (Basis: dem RKI übermittelte FSME-Erkrankungen in den Jahren 2002 – 2020 mit genanntem Infektionsort in einem Kreis in Deutschland, n = 6.098; Stand: 18.01.2021); siehe Tabelle 1 für namentliche Angaben der Stadt- und Landkreise Ein Kreis wird als FSME-Risikogebiet definiert, wenn die Anzahl der übermittelten FSME-Erkrankungen in mindestens einem der 15 Fünfjahreszeiträume im Zeitraum 2002 – 2020 im Kreis ODER in der Kreisregion (bestehend aus dem betreffenden Kreis plus allen angrenzenden Kreisen) signifikant (p < 0,05) höher liegt als die bei einer Inzidenz von 1 Erkrankung pro 100.000 Einwohner erwartete Fallzahl. Kreise, die im Jahr 2021 zum Risikogebiet ausgewiesen werden: LK Dillingen a. d. Donau, LK Weimarer Land, LK Fulda, LK Mittelsachsen, SK Dessau-Roßlau Kein Risikogebiet Kreise, die in Baden-Württemberg und Bayern keine Risikogebiete sind: Baden-Württemberg: SK Heilbronn; Bayern: SK Augsburg, LK Fürstenfeldbruck, SK München, SK Schweinfurt
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 8 Kreis (LK = Landkreis/SK = Stadtkreis) Baden-Württemberg Bayern Bayern (Fortsetzung) Bayern (Fortsetzung) LK Alb-Donau-Kreis LK Aichach-Friedberg LK Kulmbach LK Wunsiedel i. Fichtelgebirge SK Baden-Baden LK Altötting LK Landsberg a. Lech SK Würzburg LK Biberach SK Amberg SK Landshut LK Würzburg LK Böblingen LK Amberg-Sulzbach LK Landshut Hessen LK Bodenseekreis SK Ansbach LK Lichtenfels LK Bergstraße LK Breisgau-Hochschwarzwald LK Ansbach LK Lindau SK Darmstadt SK Aschaffenburg LK Main-Spessart LK Darmstadt-Dieburg LK Calw LK Aschaffenburg SK Memmingen LK Fulda LK Emmendingen LK Augsburg LK Miesbach LK Groß-Gerau LK Enzkreis LK Bad Kissingen LK Miltenberg LK Main-Kinzig-Kreis LK Esslingen LK Bad Tölz-Wolfratshausen LK Mühldorf a. Inn LK Marburg-Biedenkopf SK Freiburg i. Breisgau SK Bamberg LK München LK Odenwaldkreis LK Freudenstadt LK Bamberg LK Neuburg-Schrobenhausen SK Offenbach LK Göppingen SK Bayreuth LK Neumarkt i. d. OPf. LK Offenbach SK Heidelberg LK Bayreuth LK Neustadt a. d. Waldnaab Niedersachsen LK Heidenheim LK Berchtesgadener Land LK Neustadt/ LK Emsland LK Heilbronn Aisch-Bad Windsheim LK Cham Rheinland-Pfalz LK Hohenlohekreis LK Neu-Ulm SK Coburg LK Birkenfeld SK Karlsruhe SK Nürnberg LK Coburg Saarland LK Karlsruhe LK Nürnberger Land LK Dachau LK Saarpfalz-Kreis LK Konstanz LK Oberallgäu LK Deggendorf Sachsen LK Lörrach LK Ostallgäu LK Dillingen a. d. Donau LK Bautzen LK Ludwigsburg SK Passau LK Dingolfing-Landau SK Dresden LK Passau LK Main-Tauber-Kreis LK Donau-Ries LK Erzgebirgskreis LK Pfaffenhofen a. d. Ilm SK Mannheim LK Ebersberg LK Meißen LK Regen LK Neckar-Odenwald-Kreis LK Eichstätt LK Mittelsachsen SK Regensburg LK Ortenaukreis LK Erding LK Sächsische Schweiz- LK Regensburg Osterzgebirge LK Ostalbkreis SK Erlangen LK Rhön-Grabfeld LK Vogtlandkreis SK Pforzheim LK Erlangen-Höchstadt SK Rosenheim LK Zwickau LK Rastatt LK Forchheim LK Rosenheim Sachsen-Anhalt LK Ravensburg LK Freising LK Roth SK Dessau-Roßlau LK Rems-Murr-Kreis LK Freyung-Grafenau LK Rottal-Inn Thüringen SK Fürth LK Reutlingen SK Schwabach SK Gera LK Fürth LK Rhein-Neckar-Kreis LK Schwandorf LK Greiz LK Garmisch-Partenkirchen LK Rottweil LK Schweinfurt LK Hildburghausen LK Günzburg LK Schwäbisch Hall LK Starnberg LK Ilm-Kreis LK Haßberge LK Schwarzwald-Baar-Kreis SK Straubing SK Jena SK Hof LK Sigmaringen LK Straubing-Bogen LK Saale-Holzland-Kreis LK Hof SK Stuttgart LK Tirschenreuth LK Saale-Orla-Kreis SK Ingolstadt LK Tübingen LK Traunstein LK Saalfeld-Rudolstadt SK Kaufbeuren LK Tuttlingen LK Unterallgäu LK Schmalkalden-Meiningen LK Kelheim SK Ulm SK Weiden i. d. OPf. LK Sonneberg SK Kempten LK Waldshut LK Weilheim-Schongau SK Suhl LK Kitzingen LK Zollernalbkreis LK Weißenburg-Gunzenhausen LK Weimarer Land LK Kronach Tab. 1 | Land- und Stadtkreise (n = 169) nach Bundesland, die im Jahr 2021 als FSME-Risikogebiete ausgewiesen werden, neue Risikogebiete sind grau hinterlegt (Stand 18.1.2021)
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 9 Als mögliches Infektionsland wurde bei 614 Fällen Erkrankungen könnte möglicherweise mit dem Ver- nur Deutschland genannt. Bei 2 Fällen wurden zu- zehr infizierter Milch in Zusammenhang stehen. sätzlich Tschechien und Österreich als weitere mög- Seit Beginn der Erfassung der FSME nach IfSG im liche Infektionsländer angegeben. Bei 17 Fällen wur- Jahr 2001 wurde erstmals im Jahr 2016 eine FSME- den ausschließlich mögliche Infektionsländer Erkrankung durch den Verzehr infizierter Ziegen- außerhalb Deutschlands angegeben: 8-mal Öster- milch (verzehrt als Milch und Frischkäse) in Baden- reich, 2-mal Frankreich, 2-mal die Schweiz, je 1-mal Württemberg erworben. Im Jahr 2017 wurde eine Schweden, Tschechien, Litauen und Polen und 1-mal weitere Häufung mit insgesamt 8 FSME-Erkran- Litauen und Polen zusammen. Für 59 Fälle (8,4 %) kungen bei Personen, die Ziegenrohmilch getrun- wurde keine Angabe zum Infektionsland gemacht. ken hatten, an das RKI übermittelt. Die Rohmilch- proben waren negativ für das Virus, aber es wurden Von den im Jahr 2020 übermittelten Fällen wurde FSME-Antikörper bei einer der Ziegen nachgewie- für 616 wenigstens je ein vermutlicher Infektionsort sen. Bei keiner Person wurden ZNS-Symptome an- (Kreis) in Deutschland angegeben. Es wurden ins- gegeben, jedoch wurde eine Person hospitalisiert. gesamt 135 (Vorjahr: 117) verschiedene Kreise als In- fektionsorte genannt (631 Nennungen; in 15 Fällen Aktuelle Änderungen im Jahr 2021 wurden 2 mögliche Infektionsorte genannt). Die Insgesamt sind aktuell 169 Kreise als FSME-Risiko- Nennungen verteilen sich wie folgt auf die Bundes- gebiete ausgewiesen (s. Abb. 3 und Tab. 1): länder: 299 (47 %) auf Baden-Württemberg, 260 ▶▶ 92 Kreise in Bayern (41 %) auf Bayern, 27 (4 %) auf Sachsen, 17 (3 %) auf (1 zusätzlicher Kreis: LK Dillingen a. d. Donau) Thüringen, 13 (2 %) auf Hessen, 5 (0,8 %) auf Nord- ▶▶ 43 Kreise in Baden-Württemberg (unverändert) rhein-Westfalen, je 2 (0,3 %) auf Niedersachsen, ▶▶ 12 Kreise in Thüringen Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Rheinland-Pfalz (1 zusätzlicher Kreis: LK Weimarer Land) und je 1 (0,2 %) auf Mecklenburg-Vorpommern und ▶▶ 10 Kreise in Hessen das Saarland. Auffällig ist, dass im Vergleich zum (1 zusätzlicher Kreis: LK Fulda) Vorjahr mehr als doppelt so viele Nennungen auf ▶▶ 8 Kreise in Sachsen Baden-Württemberg fielen (2019: 140, 2020: 299 (1 zusätzlicher Kreis: LK Mittelsachsen) Nennungen, Anstieg um 114 %). In Bayern lag dieser ▶▶ 1 Kreis in Niedersachsen (unverändert) Anstieg bei 49 % (2019: 174, 2020: 260 Nennun- ▶▶ 1 Kreis in Rheinland-Pfalz (unverändert) gen). Bei 558 (91 %) der 616 Fälle mit Angabe eines ▶▶ 1 Kreis im Saarland (unverändert) Infektionsortes in Deutschland ist dieser auch der ▶▶ 1 Kreis in Sachsen-Anhalt Kreis des Wohnortes. Dieser Anteil liegt nur leicht (1 zusätzlicher Kreis: SK Dessau-Roßlau) über dem der Vorjahre (2019 und 2018 jeweils 89 %), d. h. auch während der COVID-19-Pandemie In Bayern und Baden-Württemberg sind nur folgen- gab es keine wesentliche Veränderung im Anteil der de Kreise somit keine FSME-Risikogebiete: FSME-Infektionen, die außerhalb des Wohnkreises ▶▶ Baden-Württemberg: SK Heilbronn erworben wurden. ▶▶ Bayern: SK Augsburg, LK Fürstenfeldbruck, SK München, SK Schweinfurt Im Jahr 2020 lagen bei 637 Erkrankten (92 %) Angaben zur möglichen Infektionsquelle vor. Da- Die aktuellen Ergebnisse der für den Zeitraum von gaben 419 Fälle (66 %) einen Zeckenstich an, 2002 – 2020 ausgewerteten Daten bestätigen somit 6 Fälle (1 %) Rohmilchverzehr und 12 Fälle (2 %) so- weiterhin die Existenz größerer, weitgehend zu- wohl einen Zeckenstich als auch Rohmilchverzehr. sammenhängender FSME-Naturherde im Süden Bei 200 Fällen (31 %) lagen weder Zeckenstiche Deutschlands, vor allem in Baden-Württemberg, noch der Verzehr von Rohmilch im Expositionszeit- Bayern, Südhessen, im südlichen Thüringen und in raum vor. Der überwiegende Teil der FSME-Erkran- Sachsen. Die 4 neu hinzugekommenen Risikoge- kungen wird demnach durch Zeckenstiche übertra- biete in Bayern, Hessen, Thüringen und Sachsen gen, wobei etwa ein Drittel der Erkrankten den Stich grenzen an bestehende Risikogebiete an. Der hessi- vermutlich nicht bemerkte. Ein kleiner Anteil der sche LK Fulda wies 2016 – 2020 eine signifikant er-
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 10 höhte Inzidenz im Kreis selbst auf, in den weiteren Zusammenfassung des FSME-Infektionsrisikos drei Kreisen war die Inzidenz in der Kreisregion er- nach Bundesländern höht, nicht jedoch im Kreis selbst. In allen 4 Kreisen Bundesländer mit definierten FSME-Risikogebieten: traten aber in den letzten Jahren autochthone Einzel- Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersach- fälle auf (s. Tab. 3). Das neue Risikogebiet SK Dessau- sen, Thüringen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Roßlau in Sachsen-Anhalt grenzt nicht an bestehen- Sachsen-Anhalt de Risikogebiete. Hier traten 3 Fälle in den Jahren Bundesländer mit vereinzelt auftretenden autoch 2016 – 2017 auf. Die rechnerischen Kriterien für Ri- thonen FSME-Erkrankungen, in denen jedoch kein sikogebiete wurden jedoch aufgrund gesunkener Landkreis die Definition für ein FSME-Risikogebiet Bevölkerungszahl erstmalig im Fünfjahreszeitraum erfüllt: Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, 2016 – 2020 erfüllt. Deshalb wurde dieser Kreis erst Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Berlin 2021 Risikogebiet. Auch außerhalb dieser Risikoge- Bundesländer, in denen bisher keine FSME-Erkran- biete treten Einzelfälle in nördlichen und westlichen kungen erworben wurden: Bremen, Hamburg Regionen Deutschlands auf. In den 1960er Jahren war es zudem auch z. B. in Mecklenburg-Vorpom- mern und in Brandenburg vermehrt zu FSME- allein aufgrund einer in mindestens einem Fünfjah- Infektionen gekommen, diese Bundesländer weisen reszeitraum (s. o.) signifikant erhöhten Fünfjah- in den letzten Jahren aber nur noch Einzelfälle auf.10 resinzidenz (> 1 Erkrankungen/100.000 Einwohner) in der Kreisregion als Risikogebiete definiert. Abge- In 129 Kreisen wurde in mindestens einem Fünfjah- sehen von 5 Kreisen in Rheinland-Pfalz, die nicht reszeitraum zwischen 2002 – 2020 eine Inzidenz als Risikogebiete ausgewiesen wurden (s. Kasten berechnet, die signifikant höher als 1 Erkrankung/ links), wurden alle diese Kreise seit 1984 mindes- 100.000 Einwohner war. Weitere 44 Kreise wurden tens einmal als Infektionsort genannt. Darüber hinaus wurde wie in den Vorjahren ein weiterer Kreis abweichend von den Berechnungen als Risiko In 5 Kreisen in Rheinland-Pfalz (LK Alzey-Worms, gebiet ausgewiesen (s. Kasten). LK Germersheim, LK Rhein-Pfalz-Kreis, SK Speyer, SK Worms) wurde eine signifikant erhöhte FSME- Inzidenz in der Kreisregion, nicht jedoch in dem Kreis beobachtet. In diesen Kreisen sind noch nie Zum Vorgehen beim Auftreten von autochthone Fälle aufgetreten. Sie grenzen zwar for- FSME-Einzelfällen in Nichtrisikogebieten mal an Risikogebiete in Baden-Württemberg und Eine valide Bewertung von FSME-Fällen in Nicht Hessen, sind von diesen jedoch durch den Rhein ge- risikogebieten bedarf einer besonders sorgfältigen trennt. Weil der Rhein in dieser Region eine plausible klinischen, labordiagnostischen und epidemiologi- natürliche Grenze für Naturherde darstellt, wurden schen Untersuchung und Dokumentation. Dies gilt diese 5 Kreise nicht zu Risikogebieten erklärt. vor allem für Kreise, die nicht an bestehende FSME- Ein Kreis wurde abweichend von den Berechnungen Risikogebiete angrenzen und in denen vorher noch als Risikogebiet ausgewiesen. Im LK Aichach-Fried- keine FSME-Fälle beobachtet wurden. berg, der im Jahr 2005 als Risikogebiet ausgewiesen wurde, lag die Inzidenz in allen o. g. Zeiträumen we- Die Anamnese sollte sowohl durchgemachte FSME-, der im Kreis selbst, noch in der Kreisregion signifi- Gelbfieber-, Japanische Enzephalitis-, Denguefieber-, kant höher als 1 Erkrankung/100.000 Einwohner. Westnilvirus-(WNV-) und Zikavirus-Erkrankungen, Vor dem Hintergrund der im Vergleich zu 2006 im- als auch frühere Impfungen gegen FSME, Gelbfie- mer noch höheren Impfquoten wird dieser jedoch weiterhin für den festgelegten Mindestzeitraum von ber, Japanische Enzephalitis bzw. Aufenthalte in den 20 Jahren als Risikogebiet eingestuft. Eine ähnliche entsprechenden Endemiegebieten erfassen. Eine Abweichung galt im Zeitraum 2006 –2020 für den Exposition mit diesen Erregern/Impfungen kann SK Gera, welcher ab dem Zeitraum 2016 – 2020 je- zu einem falsch positiven Ergebnis im FSME-ELISA doch auch aufgrund der Kreisinzidenz die regulären führen. Denguefieber ist endemisch in Asien, Süd- Kriterien als Risikogebiet erfüllt. und Mittelamerika sowie in Afrika. WNV ist ende- misch in Nordamerika, Afrika, dem Mittleren Osten,
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 11 Asien, Australien und einigen europäischen Län- Das FSME-Infektionsrisiko in Kreisen, die dern (in den letzten Jahren: Griechenland, Rumä nicht als Risikogebiete eingestuft wurden nien, Italien, Ungarn, Zypern, Serbien, Israel und Von 2002 – 2020 traten insgesamt 197 Fälle außer- die Türkei; www.ecdc.europa.eu/en/west-nile-fever/ halb der im Jahr 2020 ausgewiesenen Risikogebiete surveillance-and-disease-data/historical). Das Zika- auf, davon 20 im Jahr 2020. Das waren 3,2 % der virus ist in vielen Ländern Asiens, Afrikas, Süd- und 6.092 Fälle mit einem Infektionsort in Deutschland Zentralamerikas endemisch; eine begrenzte lokale seit 2002. Davon traten 16 % in Hessen, 14 % in Bay- Zirkulation wurde auch aus den USA (Texas, Flori- ern, 13 % in Rheinland-Pfalz, 11 % in Niedersachsen, da) berichtet. Das Europäische Zentrum für die Prä- 7 % in Sachsen, 3 % in Thüringen, 1 % in Ba- vention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) den-Württemberg und 1 % im Saarland auf, und stellt auf seinen Internetseiten eine Karte zu Län- 35 % in Bundesländern ohne ausgewiesene Risiko- dern mit Zikavirus-Transmission zur Verfügung. gebiete (s. Tab. 2 und 3). Ein Teil dieser Fälle sind mit einer gewissen diagnostischen Unsicherheit be- Bei positiv auf FSME getesteten Personen, die sich haftet, insbesondere wenn sie in Kreisen auftraten, in der Expositionszeit nicht in FSME-Risikogebieten in denen FSME bisher noch nie oder kaum nachge- aufgehalten haben, sollte unbedingt eine (Rückstell-) wiesen worden war (s. o.). Im Jahr 2020 wurden Probe an das Konsiliarlabor für FSME geschickt Proben von 7 dieser 20 Fälle zusätzlich am Konsiliar werden, um die Diagnostik mit den dort verfügba- labor für FSME untersucht und anhand hoher ren Verfahren zu überprüfen. Dafür steht seit 2020 FSME-spezifischer Antikörperkonzentrationen be- ein Einsendeschein zur Verfügung. Die Überprü- stätigt. Einige Fälle hatten eine positive Impfanam- fung am Konsiliarlabor ist auch unbedingt bei Fäl- nese (s. Tab. 2 und 3); dies kann zu falsch positiven len mit vorliegender FSME-Impfung empfohlen, da serologischen Befunden führen.11,12 auch bei diesen das Risiko einer falsch positiven Diagnostik besteht. Alternativ können sequenzielle Serumproben (d. h. mind. 2 Proben in einem Ab- Bedeutung präventiver Schutz stand von ca. 2 – 4 Wochen) entnommen werden, maßnahmen, insbesondere der um einen Anstieg der spezifischen Antikörper zu FSME-Schutzimpfung dokumentieren. Ein signifikanter Anstieg FSME- Grundlage der Prävention ist die Aufklärung über spezifischer Antikörper (IgG) weist auf eine akute das erhöhte Risiko der FSME-Übertragung in den Infektion hin und ist üblicherweise nicht bei vorbe- ausgewiesenen Risikogebieten und über vorbeugen- stehenden (kreuzreaktiven) Antikörpern aufgrund de Maßnahmen. Typische Lebensräume für Zecken, einer der o. g. Impfungen oder durchgemachten In- die ausreichend Feuchtigkeit benötigen, sind unter fektionen zu erwarten. Gegebenenfalls kann eine anderem lichte Wälder oder Waldränder sowie Flä- Aviditätstestung darüber Aufschluss geben, ob es chen mit hohem Gras oder Büschen. Gute Bedin- sich um neugebildete (frische Infektion) oder schon gungen bieten auch Gärten und städtische Parks. länger bestehende Antikörper handelt. Die Untersu- Zeckenstiche können zum Teil durch Schutzmaß- chung der Serum- und Liquorproben sollte in ei- nahmen wie das Tragen heller, geschlossener Klei- nem virologischen Labor mit spezieller Erfahrung dung, das Vermeiden von Unterholz und hohen in der FSME-Diagnostik erfolgen. Neben dem Kon- Gräsern und das Verbleiben auf festen Wegen ver- siliarlabor für FSME am Institut für Mikrobiologie hindert werden. Repellents schützen nur begrenzt der Bundeswehr (IMB) (s. Kasten S. 20) bieten über einige Stunden. Bei Zeckenbefall sollte die auch die Landesgesundheitsämter in Bayern und Zecke immer umgehend entfernt und die Wunde Baden-Württemberg diesbezüglich fachliche Bera- möglichst desinfiziert werden. Im Gegensatz zur tung und weiterführende Diagnostik an (Kontakte Übertragung von Borrelien durch Zecken auf den s. u.). Bei Verdacht auf Kreuzreaktionen sollte ein Menschen, die erst ca. 24 Stunden nach Beginn des Neutralisationstest (NT) durchgeführt werden, der Saugakts erfolgt, gelangen die FSME-Viren bereits am Konsiliarlabor für FSME etabliert ist. bei Beginn des Saugakts von der Zecke in den Men- schen. Daher kann das Absuchen des Körpers nach Zecken und deren schnelle Entfernung zwar häufig
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 12 Bundesland (Anzahl Fälle) Kreis des Infektionsortes (Anzahl Fälle) Meldejahr (Anzahl wenn > 1) Weiterer möglicher Infektionsort Berlin SK Berlin Lichtenberg (1) 2017 (n = 2) SK Berlin Steglitz-Zehlendorf (1) 2013 SK Cottbus (3) 2007, 2016, 2019 LK Dahme-Spreewald (2) 2006, 2017 SK Frankfurt (Oder) (1) 2020ǂ Brandenburg LK Märkisch-Oderland (1) 2020ǂ (n = 18) LK Oberspreewald-Lausitz (2) 2006, 2013 LK Oder-Spree (4) 2006, 2016, 2019 (2, bei 1ǂ) LK Spree-Neiße (3) 2013, 2014, 2018 LK Uckermark (2) 2004, 2014 LK Ludwigslust-Parchim (1) 2011 LK Mecklenburgische Seenplatte (2) 2004ǂ, 2018 Fall 2018: SK München Mecklenburg-Vorpommern LK Rostock (1) 2016 (n = 10) LK Vorpommern-Greifswald (2) 2006, 2012ǂ LK Vorpommern-Rügen (4) 2005, 2010*, 2015*, 2020ǂ LK Aachen (1) 2007 LK Borken (1) 2015 SK Duisburg (1) 2018* LK Ennepe-Ruhr-Kreis (1) 2018 LK Euskirchen (1) 2020ǂ LK Lippe (1) 2018 Nordrhein-Westfalen LK Oberbergischer Kreis (1) 2020 (n = 23) SK Münster (1) 2018 LK Paderborn (2) 2018, 2020ǂ LK Rhein-Erft-Kreis (1) 2016 LK Rhein-Sieg-Kreis (5) 2013ǂ, 2017, 2018, 2020 (2) SK Solingen (3) 2013, 2016, 2018ǂ LK Steinfurt (3) 2013, 2014, 2018 LK Wesel (1) 2015* LK Anhalt-Bitterfeld (3) 2017, 2019 (2, bei 1ǂ) 1 Fall 2019: LK Harz LK Börde (1) 2004 SK Dessau-Roßlau (2) 2016, 2017 SK Halle (1) 2020 Sachsen-Anhalt SK Halle (Saale) (1) 2004 (n = 12) LK Harz (1) 2007 LK Jerichower Land (1) 2016 SK Magdeburg (1) 2020 LK Saalekreis (1) 2019ǂ LK Herzogtum Lauenburg (1) 2010 Schleswig-Holstein LK Pinneberg (1) 2017 (n = 4) LK Segeberg (1) 2010 LK Stormarn (1) 2009 Tab. 2 | Von 2002 – 2020 nach IfSG übermittelte FSME-Erkrankungen mit Infektionsorten ausschließlich in Nichtrisikogebieten in Bundesländern, in denen bis 2020 keine Risikogebiete ausgewiesen waren (n = 69) ǂ Labornachweis bestätigt (z. B. am Konsiliarlabor FSME oder mittels FSME-Antikörperanstieg) * Positive Impfanamnese (Diagnostik weniger valide) Blaue Einfärbung: Kreise, aus denen 2020 erstmalig autochthone FSME-Fälle gemeldet wurden; Graue Einfärbung: Kreise, die im Jahr 2021 zum Risikogebiet ausgewiesen werden
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 13 Bundesland (Anzahl Fälle) Kreis des Infektionsortes (Anzahl Fälle) Meldejahr (Anzahl wenn > 1) Weiterer möglicher Infektionsort Baden-Württemberg SK Heilbronn (2) 2008, 2012 (n = 2) SK Augsburg (4) 2013 (3); 2014 LK Dillingen a.d.Donau (2) 2018, 2020 Bayern LK Fürstenfeldbruck (1) 2002 (n = 26) SK München (19) 2008, 2009, 2011*, 2015, 2016 (2), 2017, 2018 (3, bei 1ǂ), 2019 (6, bei 4ǂ), 2020 (3, bei 1ǂ) SK Frankfurt am Main (1) 2013* LK Fulda (9) 2003, 2004, 2013, 2016 (2), 2017, 2018 (2, bei 1*ǂ), 2020ǂ LK Hochtaunuskreis (2) 2014, 2019 LK Kassel (1) 2017 LK Paderborn LK Lahn-Dill-Kreis (2) 2004, 2016 Hessen LK Limburg-Weilburg (1) 2008* (n = 32) LK Rheingau-Taunus-Kreis (3) 2013 (2), 2017 LK Schwalm-Eder-Kreis (6) 2004, 2006, 2009, 2011 Fall 2006: SK Frankfurt am Main (2, bei 1*), 2013 LK Waldeck-Frankenberg (1) 2010 LK Werra-Meißner-Kreis (2) 2006, 2017 LK Wetteraukreis (2) 2012, 2017 SK Wiesbaden (2) 2005, 2013 LK Celle (2) 2016, 2017 LK Cuxhaven (4) 2004, 2007, 2019ǂ, 2020 Fall 2007: LK Oldenburg LK Goslar (1) 2011 LK Göttingen (1) 2019ǂ Niedersachsen Region Hannover (5) 2008, 2010, 2011, 2015, 2019ǂ (n = 22) LK Helmstedt (2) 2005*, 2018 LK Hildesheim (2) 2008*,2017 LK Nienburg (Weser) (3) 2011, 2016, 2017 LK Rotenburg (Wümme) (1) 2002 SK Wolfsburg (1) 2016 LK Ahrweiler (1) 2016 LK Altenkirchen (3) 2011, 2014, 2020 LK Bad Dürkheim (3) 2005, 2010ǂ, 2015* LK Bad Kreuznach (8) 2003, 2004, 2005*, 2012, 2013 (3, bei 1*), 2018 LK Bitburg-Prüm (1) 2020 Rheinland-Pfalz SK Kaiserslautern (1) 2016 (n=25) LK Kaiserslautern (1) 2016 SK Koblenz (2) 2013, 2018 SK Pirmasens (1) 2016* LK Rhein-Lahn-Kreis (2) 2011, 2013ǂ LK Südliche Weinstraße (1) 2008 SK Zweibrücken (1) 2018 Saarland LK Stadtverband Saarbrücken (1) 2020 (n = 1) SK Chemnitz (3) 2002, 2012ǂ, 2019ǂ LK Görlitz (4) 2006, 2013, 2014*, 2018ǂ Sachsen (n = 14) LK Leipzig (2) 2009, 2016 Fall 2009: LK Nordsachsen LK Mittelsachsen (4) 2002*, 2017, 2019, 2020 LK Nordsachsen (1) 2016
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 14 Bundesland (Anzahl Fälle) Kreis des Infektionsortes (Anzahl Fälle) Meldejahr (Anzahl wenn > 1) Weiterer möglicher Infektionsort LK Eichsfeld (1) 2018ǂ Thüringen LK Wartburgkreis (1) 2005 (n = 6) SK Weimar (1) 2014 LK Weimarer Land (3) 2002, 2010, 2014 Tab. 3 | Von 2002 – 2020 nach IfSG übermittelte FSME-Erkrankungen mit Infektionsorten ausschließlich in Nichtrisikogebieten in Bundesländern, in denen bis 2020 mindestens 1 Kreis als Risikogebiet ausgewiesen war (n = 128) ǂ Labornachweis bestätigt (z. B. am Konsiliarlabor FSME oder mittels FSME-Antikörperanstieg) * Positive Impfanamnese (Diagnostik weniger valide) Blaue Einfärbung: Kreise, aus denen 2020 erstmalig autochthone FSME-Fälle gemeldet wurden; Graue Einfärbung: Kreise, die im Jahr 2021 zum Risikogebiet ausgewiesen werden eine Borreliose verhindern, bietet jedoch wenig Zusätzlich ist die Impfung von der STIKO und nach Schutz vor FSME. Die Bundeszentrale für gesund- der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge heitliche Aufklärung (BZgA) stellt nützliche Hin- (ArbMedVV) für Personen empfohlen, die beruflich weise zu Präventionsmaßnahmen auf ihren Inter- gefährdet sind (in Risikogebieten Tätige, z. B. expo- netseiten zur Verfügung. nierte Personen, die in der Forst- oder Landwirt- schaft arbeiten, sowie exponiertes Laborpersonal). Den zuverlässigsten Schutz gegen die FSME bietet die FSME-Impfung. Diese ist von der STIKO emp- Eine Impfung für bestimmte Personen, z. B. solche, fohlen für die aufgrund von beruflichen oder bestimmten frei- ▶▶ Personen, die in Risikogebieten wohnen oder zeitbedingten Tätigkeiten einer besonders inten arbeiten und dabei ein Risiko für Zeckenstiche siven Zeckenexposition ausgesetzt sind, kann auch haben, und in Nichtrisikogebieten, in denen sporadische FSME- ▶▶ Personen, die sich aus anderen Gründen in Einzelerkrankungen auftreten (s. o.), nach individu- Risikogebieten aufhalten und dabei ein Risiko eller Risiko-Nutzen-Bewertung sinnvoll sein (s. aktu- für Zeckenstiche haben. elle Empfehlungen der STIKO, Epid Bull 34/2020, S. 8). So wurde z. B. die FSME-Impfung seit 2014 in Ein zeitlich begrenzter Impfschutz (etwa für Ferien- Niedersachsen seitens des Arbeitgebers für alle gäste aus Nichtrisikogebieten) erfordert mindestens Forstbedienstete angeboten.13,14 Da Naturherde der 2 Gaben des Impfstoffs; ein länger bestehender FSME jedoch örtlich sehr begrenzt sind, können Impfschutz jedoch 3 Gaben. Die erste Auffrischungs- Mitarbeitende der zuständigen Gesundheitsämter impfung erfolgt nach 3 Jahren; weitere Auffri- unter Umständen differenziertere Risikoeinschät- schungsimpfungen werden je nach Altersgruppe zungen vornehmen.15 und verwendetem Impfstoff in Abständen von 3 – 5 Jahren empfohlen. In der Beratungspraxis sollten Außerhalb Deutschlands ist die FSME-Impfung für immer Art, Ausmaß und Dauer der Gefährdung so- Reisende empfohlen, die in Endemiegebieten wie die Mobilität der Personen, die ein Risikogebiet zeckenexponiert sind. In den Nachbarländern be- bewohnen oder besuchen, berücksichtigt werden. steht ein Infektionsrisiko vor allem in Tschechien Eine Pflicht zur Kostenerstattung der Impfung sei- und Österreich (www.virologie.meduniwien.ac.at/ tens der Krankenkassen besteht nach der Schutz fileadmin/virologie/files/Epidemiologie/2017/ impfungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesaus- 0417s.pdf) sowie in großen Teilen der Schweiz und schusses (www.g-ba.de/richtlinien/60/) nur für den Polens. In Frankreich wurden in den letzten Jahren empfohlenen Personenkreis. In Baden-Württem- vereinzelt FSME-Fälle aus dem Elsass beschrieben, berg wird durch die zuständige Landesbehörde die mit einem Höchstwert von 29 bestätigten Fällen im Impfung gegen FSME ohne geografische Einschrän- Jahr 2016.16 Zudem werden seit 2016 vereinzelte kung empfohlen. Hier ist als einziger Kreis nur der autochthone FSME-Erkrankungen in den Nieder- SK Heilbronn nicht als Risikogebiet eingestuft. landen diagnostiziert und zwar meist in der Region
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 15 Sallandse Heuvelrug, unweit der Grenze zum nie- 39 % (Grundimmunisierung plus ggf. Auffri- dersächsischen LK Emsland.17,18 Eine Übersicht über schung). Die bundeslandbezogenen Impfquoten das Risiko in der europäischen Region findet sich in (Erwachsene, nur Risikogebiete) waren 20 % in Bay- Literaturstelle19. Bei Reisen außerhalb Deutschlands ern, 16 % in Baden-Württemberg, 30 % in Thürin- sollte bedacht werden, dass Infektionen mit den in gen und 16 % in Hessen. Während sehr junge Er- anderen Regionen vorkommenden fernöstlichen wachsene relativ häufig geimpft waren, war der und sibirischen Subtypen des FSME-Virus häufiger Impfschutz bei Personen über 60 Jahren deutlich schwerwiegendere gesundheitliche Folgen nach geringer.21 Die bei den Schuleingangsuntersuchun- sich ziehen können als eine Infektion mit dem zen- gen erhobenen Impfquoten bei Kindern in den traleuropäischen Subtyp, welcher in Deutschland 4 Bundesländern mit der Mehrzahl der Risikogebie- vorkommt. In manchen Ländern zirkulieren beide te stiegen bis zu den Jahren 2009/2010 an, haben Virustypen, z. B. in Finnland.20 jedoch seitdem fast überall abgenommen (s. Abb. 4). Besonders in Baden-Württemberg sind mit wenigen Ausnahmen niedrige Impfquoten zu verzeichnen. FSME-Impfstatus Die Impfquoten von Erwachsenen in Risikogebie- Um Erkrankungen zu verhindern ist eine hohe ten sind insgesamt eher niedrig und variieren stark. Impfquote bei Erwachsenen besonders wichtig, da Nach einer Auswertung der Daten aus der lediglich 5 – 10 % aller übermittelten Fälle bei Kin- KV-Impfsurveillance (KV – Kassenärztliche Vereini- dern
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 16 Verordnete Impfdosen/100.000 Personen der Altersgruppe 40.000 35.000 30.000 25.000 20.000 15.000 10.000 5.000 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 0 < 15 Jahre ≥ 15 Jahre Abb. 5 | Verordnete Dosen FSME-Immun® und Encepur® in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, und Thüringen nach Alter, 2006 – 2020, Daten von Insight Health® Median der kreisbezogenen Kindern < 15 Jahren als auch bei älteren Personen in Impfquoten bei Kindern† (Spanne) den 4 Bundesländern mit langjährig bekannten Ri- Risikogebiete mit Inzidenz 36 % (6 – 74 %) sikogebieten von 2009 – 2017 weitgehend stagnierte im oberen Tertil* und erst in den letzten beiden Jahren wieder einen Alle anderen Risikogebiete† 28 % (5 – 69 %)‡ leichten Anstieg verzeichnet (s. Abb. 5). Nicht-Risikogebiete** 7 % (2 – 33 %) Tab. 4 | Impfquoten in FSME-Risikogebieten nach Höhe der Eine Steigerung der Impfquoten, insbesondere in FSME-Inzidenz und in Nicht-Risikogebieten Kreisen mit hoher FSME-Inzidenz, könnte einen er- * ≥ 8,4 Erkrankungen/100.000 Einwohner im Zeitraum heblichen Teil der Erkrankungen verhindern. So er- 2016 – 2020 ** in Bundesländern mit Risikogebieten warben 68 % (1.133) der 1.660 Fälle, die sich in den ‡ p < 0,05 für Vergleich mit den beiden jeweils anderen Jahren 2016 – 2020 in den 169 im Jahr 2021 als Kategorien Risikogebiet ausgewiesenen Kreisen infiziert hatten, † Daten der Schuleingangsuntersuchungen für das Schuljahr 2019 in Baden-Württemberg & Thüringen, ihre Erkrankung in nur 56 dieser Kreise mit der 2018 in Hessen und 2017 in Bayern höchsten Inzidenz (im oberen Tertil, s. Abb. 6). In diesen 56 Kreisen lagen die Impfquoten bei Kindern zwar höher als in den Risikogebieten mit niedrigerer Infektion ein im Vergleich zu Kindern deutlich hö- Inzidenz (s. Tab. 4). Eine weitere Steigerung hätte heres Risiko schwer zu erkranken und Komplikati- jedoch ein erhebliches Präventionspotenzial, insbe- onen oder bleibende Schäden zu erleiden.22 Daher sondere da die Impfquoten von Erwachsenen eher hat die Aufklärung über die Relevanz des Impf- darunter liegen. schutzes in den Risikogebieten weiterhin hohe Prio rität, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass die Bei den weiterhin eher niedrigen und weitgehend Zahl der verordneten Impfstoffdosen sowohl bei stagnierenden Impfquoten in den Risikogebieten
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 17 FSME-Inzidenz Erkrankungen/100.000 Einwohner / 5 Jahre 0,00 bis < 2,65 (56 Kreise) ≥ 2,65 bis < 8,39 (57 Kreise) ≥ 8,39 bis < 52,42 (56 Kreise) Abb. 6 | FSME-Risikogebiete 2020 (N = 169) eingefärbt nach Höhe der Inzidenz im Zeitraum 2016 – 2020
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 18 verbleiben humane FSME-Erkrankungen weiterhin nem veränderten Freizeitverhalten zusammenhängt. ein relativ verlässlicher Indikator für ein regional Erste Ergebnisse werden im Jahr 2021 erwartet. vorhandenes FSME-Risiko. In Risikogebieten mit hohen Impfquoten, aber auch in Regionen, in denen erstmals FSME-Fälle auftreten, wären jedoch neben Zusammenfassende Einschätzung humanen Erkrankungsfällen weitere Indikatoren In Deutschland besteht vor allem in Bayern und für ein Infektionsrisiko hilfreich. Zwar sind Nach- Baden-Württemberg, in Südhessen, im südöstli- weise des FSME-Virus in Zecken für die Bestätigung chen Thüringen und in Sachsen ein Risiko, durch von Naturherden sehr hilfreich; doch eignen sie sich Zeckenstiche mit dem FSME-Virus infiziert zu wer- aufgrund der niedrigen Virusdurchseuchung und den. Zusätzlich befinden sich einzelne Risikogebie- der Kleinräumigkeit der FSME-Naturherde eher te in Mittelhessen (LK Marburg-Biedenkopf), im nicht für eine landesweite systematische Überwa- Saarland (Saarpfalz-Kreis), in Rheinland-Pfalz (LK chung. Vielversprechender sind daher serologische Birkenfeld), in Niedersachsen (LK Emsland) und in Untersuchungen an standorttreuen Wild- oder Nutz- Sachsen-Anhalt (SK Dessau-Roßlau). Ein kleiner tieren23,24 oder serologische Untersuchungen an Na- Teil der erfassten FSME-Erkrankungen trat zudem gern, in denen das Virus über Monate nach der In- in Nicht-Risikogebieten auf, die zum Teil nicht an fektion nachgewiesen werden kann. PCR-Untersu- bestehende Risikogebiete angrenzen, vor allem in chungen in Nagetieren können das Virus v. a. im Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Winter über längere Zeit im Gehirn der Tiere nach- Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-West weisen.25,26 Bislang wurden derartige Untersuchun- falen. Es muss sorgfältig beobachtet werden, ob gen jedoch in erster Linie zu Forschungszwecken FSME-Naturherde sich nachhaltig in nördlichen eingesetzt und nicht zur systematischen Überwa- und westlichen Regionen Deutschlands etablieren chung. Eine detaillierte Verknüpfung von humanen bzw. weiter ausbreiten. Die vereinzelt auftretenden FSME-Daten mit einer Vielzahl von ökologischen FSME-Erkrankungen in den östlichen Bundeslän- Daten wird seit 2017 im Rahmen des großangeleg- dern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und ten Forschungsverbunds TBENAGER (Tick-Borne Sachsen-Anhalt, in denen das FSME-Virus bereits ENcephAlitis in GERmany) etabliert. Darin wird z. B. zwischen den 1960er bis Anfang der 1980er Jahre untersucht, inwieweit ein Nachweis von FSME- endemisch war, zeigen, dass das FSME-Virus dort Antikörpern in Wild- oder Haustieren oder des in geringem Umfang in Naturherden persistiert.27 – 29 FSME-Virus in Nagern tatsächlich ein Infektions Insbesondere während der Zeckensaison sollte des- risiko für den Menschen widerspiegelt. Diese halb überall in Deutschland die FSME bei entspre- Erkenntnisse sind erforderlich, um Daten zur FSME- chender Symptomatik in die Differentialdiagnose Infektion von Säugetieren auch in eine Risiko- einbezogen werden. Nutzen-Abwägung für eine routinemäßige Impfung von zeckenexponierten Personen in einer Gegend Die Impfquoten in den Risikogebieten sind nach wie einzubeziehen. Im Rahmen einer intensivierten vor unzureichend, um eine starke Zunahme der Surveillance (www.rki.de/DE/Content/Infekt/Imp- FSME-Fallzahlen wie im Jahr 2020 zu verhindern. fen/Forschungsprojekte/FSME-Studie/FSME-Stu- In Jahren mit hoher Krankheitslast war das Zusam- die.html) werden akute Symptome sowie mögliche menspiel von ökologisch-klimatischen Faktoren Langzeitschäden der FSME-Erkrankung detailliert wahrscheinlich besonders günstig für die Ausbrei- untersucht. Mittels eines Fall-Kontroll-Ansatzes wer- tung von Zecken und des Virus innerhalb seiner Na- den weiterhin die Effektivität der FSME-Impfung ge- turherde und/oder die humane Exposition. Es sollte schätzt, sowie mögliche Risikofaktoren für eine insbesondere in Kreisen mit hoher FSME- FSME-Infektion identifiziert. Unter anderem wur- Krankheitslast (s. Abb. 6) verstärkt über den Nutzen den dabei Freizeitaktivitäten mit Expositionsrisiko einer FSME-Impfung aufgeklärt werden, um höhere für Zeckenstiche abgefragt, z. B. Waldspaziergänge. Impfquoten zu erreichen. Dadurch könnte ein Groß- Diese Daten könnten Aufschluss geben, ob der deut- teil der Erkrankungen in Deutschland verhindert liche Anstieg der FSME-Erkrankungen während der werden. COVID-19-Pandemie 2020 möglicherweise mit ei-
Epidemiologisches Bulletin 9 | 2021 4. März 2021 19 13 Monazahian M, Beyrer K, Pulz M: Gibt es ein Literatur FSME-Infektionsrisiko in Niedersachsen? Nieder- 1 Robert Koch-Institut: FSME: Risikogebiete in sächsisches Ärzteblatt 2012;85:29-31. Deutschland (Stand: Januar 2019). Bewertung des örtlichen Erkrankungsrisikos. Epid Bull 2019:57-74. 14 Niedersächsisches Landesgesundheitsamt: Seroprävalenzstudie zu FSME und Echinokokkose 2 Lindquist L, Vapalahti O: Tick-borne encephalitis. bei niedersächsischen Forstbediensteten: The Lancet 2008;371:1861-71. Abschlussbericht 2006 – 2016. Niedersächsisches 3 Růžek D, Dobler G, Mantke OD: Tick-borne Landesgesundheitsamt, 2019. encephalitis: Pathogenesis and clinical implica- 15 Robert Koch-Institut: FSME in der Stadt und im tions. Travel Medicine and Infectious Disease Landkreis Passau. Epidemiologisches Bulletin 2010;8:223-32. 2009;28:267-9. 4 Robert Koch-Institut: Risikogebiete der Frühsommer- 16 Velay A, Solis M, Kack-Kack W, et al.: A new hot Meningoenzephalitis (FSME) in Deutschland. spot for tick-borne encephalitis (TBE): A marked Epidemiologisches Bulletin 2007;15:119-35. increase of TBE cases in France in 2016. Ticks and Tick-borne Diseases 2018;9:120-5. 5 Dobler G, Hufert FT, Pfeffer M, Essbauer S: Tickborne encephalitis: from microfocus to human 17 Vishal H, Barry R: Human Tick-Borne Encephalitis, disease. Berlin: Springer; 2011. the Netherlands. Emerging Infectious Disease jour- nal 2017;23:169. 6 Robert Koch-Institut: FSME: Risikogebiete in Deutschland (Stand: Mai 2013) Bewertung des 18 Dekker M, Laverman GD, de Vries A, Reimerink J, örtlichen Erkrankungsrisikos. Epidemiologisches Geeraedts F: Emergence of tick-borne encephalitis Bulletin 2013;18:151-62. (TBE) in the Netherlands. Ticks and tick-borne Diseases. 2019 Jan 1;10(1):176-9. 7 Robert Koch-Institut: Falldefinitionen für melde- 19 Beauté Julien, Spiteri Gianfranco, Warns-Petit Eva, pflichtige Infektionskrankheiten. Epidemiologisches Bulletin 2002;2:9-13. Zeller Hervé: Tick-borne encephalitis in Europe, 2012 to 2016. Euro Surveill. 2018;23(45):pii=1800201. 8 Robert Koch-Institut: Falldefinitionen des Robert 20 Suvi K, Teemu S, Kirsi R, et al.: Fatal Tick-Borne Koch-Instituts zur Übermittlung von Erkrankungs- Encephalitis Virus Infections Caused by Siberian oder Todesfällen und Nachweisen von Krankheits- and European Subtypes, Finland, 2015. Emerging erregern. Berlin: Robert Koch-Institut; 2003. Infectious Disease journal 2018;24:946. 9 Robert Koch-Institut. Falldefinitionen des Robert 21 Rieck T, Steffen A, Schmid-Küpke N, Feig M, Wich- Koch-Instituts zur Übermittlung von Erkrankungs- mann O, Siedler A: Impfquoten bei Erwachsenen oder Todesfällen und Nachweisen von Krankheits- in Deutschland – Aktuelles aus der KV-Impfsurveil- erregern. Berlin: Robert Koch-Institut; 2007. lance und der Onlinebefragung von Krankenhaus- 10 Süss J, Schrader C, Falk U, Wohanka N: Tick-borne personal OKaPII. Epid Bull 2020;47:3-26. DOI: encephalitis (TBE) in Germany – Epidemiological 10.25646/7658 data, development of risk areas and virus prevalence 22 Kaiser R: Frühsommer-Meningoenzephalitis. in field-collected ticks and in ticks removed from Prognose für Kinder und Jugendliche günstiger als humans. International Journal of Medical Microbio- für Erwachsene. Deutsches Ärzteblatt logy Supplements. 2004;293(Supplement 37):69-79. 2004;101:C1822-C6. 11 Robert Koch-Institut: Ergebnisse der bayerischen 23 Stefanoff P, Pfeffer M, Hellenbrand W, et al.: FSME-Studie 2007: Hohe diagnostische Sicherheit Virus Detection in Questing Ticks is not a Sensitive bei gemeldeten Fällen, aber zusätzliche Untersu- Indicator for Risk Assessment of Tick-Borne chungen notwendig bei Patienten mit früherer Encephalitis in Humans. Zoonoses Public Health FSME-Impfung. Epidemiologisches Bulletin 2012;60:215-26. 2011;17:145. 24 Imhoff M, Hagedorn P, Schulze Y, Hellenbrand W, 12 Treib J, Woessner R, Dobler G, Fernandez A, Holzer Pfeffer M, Niedrig M: Review: Sentinels of tick-bor- G, Schimrigk K: Clinical value of specific intrathecal ne encephalitis risk. Ticks and Tick-borne Diseases production of antibodies. Acta Virol 1997;41:27-30. 2015;6:592-600.
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