ERA und Gute Arbeit Projekt - Arbeitshilfe des Projekts Gute Arbeit und des ERA-Projekts
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Herausgeber IG Metall Vorstand Projekt Gute Arbeit und das ERA-Projekt in Zusammenarbeit mit dem IG Metall-Bildungszentrum Sprockhövel Wilhelm-Leuschner-Straße 79 60329 Frankfurt am Main Marina Steinhardt Tel.:-Nr. 069/6603-2203 Autoren Christian Brunkhorst, IG Metall Vorstand, FB Tarifpolitik, Frankfurt am Main Andrea Fergen, IG Metall Vorstand, Frankfurt am Main Brigitte Kurzer, IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel Manfred Scherbaum, IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel Redaktion Christian Brunkhorst, IG Metall Vorstand, FB Tarifpolitik, Frankfurt am Main Andrea Fergen, IG Metall Vorstand, Frankfurt am Main Brigitte Kurzer, IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel Manfred Scherbaum, IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel Gestaltung Ulrike Emrich, IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel Christina Flügge, IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel Verantwortlich Berthold Huber, Wolfgang Rhode Juli 2005
ERA UND GUTE ARBEIT Inhalt Einleitung ............................................................................................................................ Seite 2 Teil 1: Physische und psychische Belastungen in Tarifverträgen und im Arbeitsschutz .............................................................................. Seite 5 Teil 2: Welche einschlägigen Regelungen enthält bzw. erfordert ERA? ....................................................................................................... Seite 13 Teil 3: Entgeltaufbau: Ansatzpunkte für Entgeltsicherung .................................................... Seite 17 Teil 4: Vorgehensweise bei der betrieblichen ERA-Einführung und Anknüpfungspunkte für das Thema Belastung ..................................................... Seite 19 Schaubild „Entgeltaufbau: Ansatzpunkte für Entgeltsicherung“ ................................................. Seite 20 Schaubild „Betriebliche ERA-Umsetzung“ ................................................................................ Seite 21 1
ERA UND GUTE ARBEIT Einleitung Mit dieser Arbeitshilfe verfolgen wir das Anliegen, Gleichzeitig möchten wir auch die Arbeits- und Ideen, Ansatzpunkte und Gestaltungsvorschläge GesundheitsschützerInnen ermutigen, sich aktiv in vorzustellen, mit denen der Prozess der betriebli- den ERA-Einführungsprozess einzumischen! chen ERA-Umsetzung mit dem Projekt „Gute Ar- beit“ und Ansätzen des Arbeits- und Gesundheits- Unumstritten ist, dass wir unseren Kolleginnen und schutzes verzahnt werden kann. Kollegen im Rahmen der ERA-Einführung das Einkommen sichern müssen. Ebenso notwendig Schon hören wir die Stimmen: „Ihr habt uns gera- ist es aber auch, ihre zunehmenden Arbeitsbelas- de noch gefehlt. Wir haben genug zu tun, zu viele tungen zu begrenzen, damit sie ihre Arbeitskraft drängende Probleme, und sind froh, wenn wir im überhaupt noch verkaufen können. Rahmen der ERA-Umsetzung ohne Entgeltverlus- te für die Beschäftigten herauskommen. Da fehlt Dabei liegen natürlich einige Zielkonflikte auf der uns der Gesundheitsschutz gerade noch!“ Hand. Eine Interessenvertretung kann sich bei dem Drängen auf Belastungs-Abbau anstelle von Gerade weil die Arbeit der Interessenvertretungen Bezahlung Widersprüche und Probleme einhan- immer schwieriger wird, wenden wir uns nicht nur deln. Die Schwierigkeit, dass unter Umständen an die tarifpolitischen BetriebspraktikerInnen. Wir erst eine Kombination aus Grundentgelt und Zu- verbinden mit dieser Arbeitshilfe die Hoffnung, lage für Belastung und Erschwernisse die Höhe viele Akteure für das Regelungsfeld von arbeits- des alten Grundentgelts für eine bestimmte Be- bedingten Belastungen zu gewinnen. schäftigtengruppe ergibt, verlangt bei der ERA- Vor allem aber geht es uns darum deutlich zu ma- Umsetzung eine genaue und systematische Vor- chen, dass die Verbindung der beiden betriebspoli- gehensweise. tischen Handlungsfelder Tarifpolitik und Arbeits- und Gesundheitsschutz letztendlich die Arbeit Die spannenden Fragen lauten also: „erleichtert“, denn eine genauere Ermittlung und X Kann es nicht Synergieeffekte (positive Wir- Beurteilung der Belastungsfaktoren ist unumgäng- kung, die sich aus der Zusammenarbeit zweier lich. Die Gefährdungsbeurteilung kann „Doppelar- Arbeitsfelder ergibt) bei der Belastungsermitt- beit“ ersparen und somit Synergieeffekte für den lung nach ERA mit den Ansätzen der Gefähr- ERA-Eingruppierungsprozess und den Gesund- dungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzge- heitsschutz ermöglichen. setz geben? 2
ERA UND GUTE ARBEIT X Müssen wir nicht prüfen, ob ein Belastungsab- nen Instrumentarien der Gefährdungsbeurteilung bau ohne Einkommensverlust möglich ist? (§§ 3-6 ArbSchG). Wenige Tarifverträge sehen Damit ist z.B. gemeint: Es sollte versucht wer- Regelungen über ein Ermittlungsverfahren vor und den, durch eine genaue Arbeitsbereichsbe- auch nicht alle Tarifverträge haben ein „Gebot“ zur schreibung mit der Summe aus Grundentgelt Vermeidung oder Minderung von Belastungen. (Entgeltgruppe plus ggf. Zusatzstufe) und ei- ner Vereinbarung eines Leistungsanteils ein Wie auch immer die konkreten tarifvertraglichen Entgelt zu erreichen, das dann keine Belas- Formulierungen lauten, die Interessenvertretung tungszulagen zur Absicherung der bisherigen muss eine Belastungsermittlung vornehmen, ent- Verdiensthöhe mehr benötigt. weder um sie durch geeignete Maßnahmen zu X Könnte es uns auf diesem Weg nicht gelingen, beseitigen oder zu mindern oder um sie schlech- die Bandbreite unterschiedlicher Belastungsar- testenfalls bezahlen zu lassen. ten und ihre Kombinationswirkungen in den Blick zu bekommen? Das ArbSchG fordert die Beseitigung oder die X Haben wir gar die Chance, Belastungen von Reduzierung der arbeitsbedingten Gesundheitsge- Beschäftigtengruppen ans Tageslicht zu be- fahren und es bleibt ein Widerspruch, wenn wir fördern, die in der Vergangenheit und heute betriebspolitisch eine Belastungszulage „erstrei- als „belastungsfrei“ galten wie z.B. der Ange- ten“. Viele der neuen Tarifnormen haben eine stelltenbereich? Die „alten“ Tarifverträge sa- wichtige Gemeinsamkeit: Sie fordern Belastungs- hen keine Regelungsansätze über Belastun- abbau vorrangig vor Kompensation. gen im Angestelltenbereich vor. Neben diesem Abwägen der Instrumente des Ta- Es ist also wichtig, die Belastung nicht voreilig zu rifvertrages und denen des Arbeitsschutzgesetzes Geld zu machen. gibt es aber viel handfestere Anlässe, sich diesem Problem zu stellen. Dies sind die Arbeitsbedingun- Alle Tarifverträge regeln Belastungen: Belastun- gen der Menschen selbst! gen der Muskeln, Sinne und Nerven oder hohe körperliche Belastungen, Reizarmut und beson- Nachdem zahlreiche körperliche Belastungen in ders starke Umgebungseinflüsse. der Arbeitswelt in den vergangenen Jahrzehnten Leider haben wir aber in keinem Tarifvertrag eine zurückgegangen sind, verharren sie seit einiger Bezugnahme auf das Arbeitsschutzgesetz mit sei- 3
ERA UND GUTE ARBEIT Zeit auf einem konstant hohen Niveau oder zeigen Diese Tatbestände allein sollten für uns schon sogar wieder eine aufsteigende Tendenz! Anlass sein, alle Möglichkeiten für einen Belas- Gleichzeitig haben die psychischen Belastungen tungsabbau sorgfältig zu prüfen und zu nutzen. drastisch zugenommen! Psychische Belastungen X Der erste Teil dieser Arbeitshilfe befasst sich und Stress nehmen in allen Bereichen der Ar- mit dem Belastungsbegriff, wie er uns in der beitswelt zu. Psychische und physische Belastun- Tarifvertragswelt begegnet, und stellt das ar- gen bilden außerdem einen dichten Problemkom- beitswissenschaftliche Belastungs-Beanspru- plex und verstärken sich gegenseitig. chungs-Konzept des Arbeits- und Gesund- heitsschutzes einschließlich der psychischen Zahlreiche Studien, vor allem aber die Erfahrun- Belastungen in Konturen vor. gen unserer KollegInnen belegen, dass alle Be- X Im zweiten Teil finden wir das Instrumentarium schäftigtengruppen in den verschiedensten Berei- der TarifpolitikerInnen, über die Regelungen chen und Tätigkeiten in hohem und wachsendem zu den Entgeltgrundsätzen der Leistungsin- Maße unter Leistungs- und Termindruck leiden. tensivierung entgegenzuwirken und somit ei- Sie müssen vielfach mehrere Arbeiten gleichzeitig nen quantitativen Belastungsabbau bei Über- bewältigen, haben häufige Unterbrechungen bei forderung bewirken zu können. Die Mitbe- der Arbeit zu verkraften, fürchten wegen hoher stimmungsrechte des Betriebsrates nach dem finanzieller Risiken bereits kleine Fehler, müssen Betriebsverfassungsgesetz im Rahmen von sich ständig in neue Aufgaben hineindenken und betrieblichen Bildungsmaßnahmen eröffnen arbeiten häufig bis an die Grenzen ihrer Leistungs- den Blick, qualitativen Belastungsabbau im fähigkeit. Zu den aufgeführten Belastungen gesellt Bereich der Überforderung vorzunehmen. sich in der Regel noch eine weitere Belastungsart. X Im dritten Teil finden wir die Erklärung des Seit geraumer Zeit können wir in vielen Betrieben Entgeltaufbaus, um Ansatzpunkte für eine eine Entgrenzung von Arbeitszeiten feststellen. Entgeltsicherung jenseits der Belastungszula- Jedoch nicht nur die tatsächlichen Arbeitszeiten, gen zu erreichen. sondern auch Schicht- und Wochenendarbeit ha- ben in den letzten Jahren zugenommen. Die Ar- X Im vierten Teil wird ein Vorschlag unterbreitet, beitszeit ist selbst ein Faktor psychischer Belas- welche Schrittfolge bei der betrieblichen ERA- tungen und gleichzeitig immer auch die Expositi- Umsetzung gewählt werden kann, und An- onszeit für weitere physische und psychische Be- knüpfungspunkte zum Thema Belastungen lastungen. (Exposition: Grad der Gefährdung für sind dargestellt. einen Organismus, der sich aus der Häufigkeit und Intensität aller äußeren Krankheitsbedingungen ergibt, denen ein Organismus ausgesetzt ist.) 4
ERA UND GUTE ARBEIT Teil 1 Physische und psychische Belastungen in Tarifverträgen und im Arbeitsschutz Arbeitschutz und Tarifpolitik sind zwei Handlungs- Beschäftigten wahrgenommen wird. Auf der felder, die traditionell weitgehend unabhängig von- anderen Seite verstößt ein tarifpolitischer An- einander agieren. Das gilt sowohl für die betriebli- satz, der Gesundheit zu Geld macht, auf Dau- che Interessenvertretungsarbeit als auch für ge- er gegen die Interessen der Beschäftigten. werkschaftliche Gremien und ihre Strategiebil- Und zwar sowohl gegen das Interesse an hu- dung. manen Arbeitsbedingungen als auch gegen das Interesse, langfristig ein angemessenes In beiden Arbeitsfeldern hat sich im Umgang mit Einkommen sicherzustellen. dem Thema Belastung ein spezifischer Zugang 3. Beide müssen sich mit einem gewachsenen herausgebildet: mit eigenen Zielen, Definitionen, betrieblichen Alltagsverständnis von Belastung Methoden, Instrumenten, rechtlichen Rahmenbe- auseinandersetzen, das oftmals nur körperli- dingungen usw. So sind aus dem traditionellen che Belastungen oder sogar ausschließlich Blickwinkel der TarifpolitikerInnen Belastungen vor Muskelbelastungen etwa durch schwere Arbeit allem als Argument für verschiedene Entgeltbe- erfasst. Dies wird aber nicht der Vielfalt heuti- gründungen von Bedeutung. Hierbei geht es dann ger Belastungen in der Arbeitswelt gerecht. um Belastungszulagen oder um eine höhere Ein- Deshalb gibt es seit langem Versuche in bei- gruppierung. Der Arbeitsschutz hat zum Ziel, Be- den Handlungsfeldern, das Belastungsver- lastungen abzubauen. ständnis zu erweitern. Aus dieser Situation heraus sind wechselseitige Wie weit die gewerkschaftliche Interessenvertre- Vorwürfe, Missverständnisse und Blockaden an tungsarbeit von einer systematischen und integ- der Tagesordnung. rierten Vorgehensweise in beiden Handlungsfel- dern häufig entfernt ist, zeigt die Frage der ERA- Ein genauer Blick würde aber zeigen: Einführung. Im Rahmen der Forderungserstellung haben die GesundheitsschützerInnen zu wenig 1. Beide arbeiten am gleichen Gegenstand, wenn ihre Sichtweise eingebracht und oft fehlt eine Nähe auch mit unterschiedlicher Intensität, Schwer- zum tarifpolitischen Instrumentarium, insbesonde- punktsetzung und Instrumenten. re der Leistungspolitik und der Arbeitszeitpolitik. 2. Beide sind aufeinander angewiesen, wenn sie Der Vorwurf der GesundheitsschützerInnen an die im Betrieb erfolgreich Politik machen wollen. Adresse der TarifpolitikerInnen lautet: „Ihr wollt Der Arbeitsschutz wird keine nachhaltigen nicht ernsthaft die Belastungen abbauen und ihr betriebliche Erfolge erzielen, wenn er als ein habt einen verkürzten Belastungsbegriff, der nur Konzept gegen die finanziellen Interessen der auf körperliche Belastung zielt.“ Aus Sicht der be- 5
ERA UND GUTE ARBEIT trieblichen ERA-ExpertenInnen dominiert häufig von körperlichen Belastungen so ausgelegt, dass ein strategischer Ansatz, der das Thema Belas- darunter alle Umstände fallen, die auf den Men- tung aus Angst vor Einkommensverlust bewusst schen belastend einwirken und zu körperlichen ausblendet. Gängige Begründung: „In den letzten Reaktionen führen können. Jahren wurden im Betrieb Belastungen abgebaut. Jede Debatte darüber weckt schlafende Hunde!“ Solche Belastungen können zum Beispiel sein: Oder: „Wenn wir jetzt über Belastungen reden, dann baut der Arbeitgeber sie ab und wir verlieren Geld!“ Die Hinweise der GesundheitsschützerIn- nen werden bei den Befürwortern dieser „Vogel- „Ausschließlich stehende Tätigkeiten, notwen- Strauß-Strategie“ als kontraproduktiv gewertet. dige Körperhaltung, taktgebundene, repetitive Arbeit, nervliche Belastungen und Lärmeinwir- Diese wechselseitige Blockade wird sich nur auflö- kungen ...“ sen lassen, wenn zunächst eine Verständigung (BAG vom 27.4.1988 4AZR707/87 und 4AZR713/87) über den Belastungsbegriff hergestellt wird. Nur so lassen sich Missverständnisse ausräumen. Zum „Notwendige Körperhaltung, taktgebundene Zweiten ist für die weitere Strategiebildung der und repetitive Arbeit, nervliche und sensorische Interessenvertretung eine Einschätzung der Belas- Belastung, Lärm und sonstige Umwelteinwir- tung in den einzelnen Bereichen unerlässlich. Hier- kungen, soziale Belastungsfaktoren ... „ für müssen praktikable Verfahren gefunden wer- (BAG vom 29.7.1992 4AZR502/91) den. Was sind Belastungen? Auf der Basis dieser Rechtsauffassung haben die Zugänge aus Sicht der Tarifpolitik und des Tarifvertragsparteien in der Metall- und Elektroin- Gesundheitsschutzes dustrie in den neuen Entgeltrahmenregelungen diesen breiten Begriff von körperlichen Belastun- In der Tarifpolitik und der entsprechenden Recht- gen festgehalten und gleichzeitig das Ziel definiert, sprechung wurde das Verständnis von körperli- dass diese Belastungen auf Dauer zu keinen Ge- chen Belastungen im Laufe der Zeit breiter ge- sundheitsschäden führen dürfen. fasst. Das Bundesarbeitsgericht hat den Begriff 6
ERA UND GUTE ARBEIT In den Tarifverträgen finden sich etwa folgende Formulierungen zu Belastungen: ERA Küste Das Entgeltrahmenabkommen Küste nimmt im § 13 wie folgt auf das Thema Belastungen Bezug: Belastungszulagen sind zu zahlen, soweit bei Arbeiten Belastungen der Muskeln, der Sinne und Nerven, aus Umgebungseinflüssen im einzelnen oder zusammen vorliegen, die in nennenswertem Maße über die normalerweise auftretenden Belastungen hinausgehen. Zu diesen drei Belastungs-Formen (Muskeln, Sinne und Nerven, Umgebungseinflüsse) werden anschließend kurze Erläuterungen gegeben. ERA Baden-Württemberg Der ERA Baden-Württemberg beinhaltet in Anhang 2, § 3 folgende Norm: Zulagerelevante Belastungsarten im Sinne dieses Tarifvertrages sind Belastungen der Muskeln durch Reizarmut durch Umgebungseinflüsse Auch hier erfolgen anschließend Erläuterungen zu den drei Punkten aus der Aufzählung, wobei der dritte Punkt neben Lärm weitere „klassische“ Faktoren wie Schmutz, Fett, Öl, Hitze, Kälte, Zugluft etc. beinhaltet. In der Arbeitswissenschaft und im modernen sam und miteinander verschränkt auftreten. Aus Arbeitsschutzrecht (Arbeitsschutzgesetz von solchen Belastungen können sich gesundheitliche 1996 sowie weitere Rechtsverordnungen wie die Gefährdungen ergeben. Nach dem Arbeitsschutz- zur Bildschirmarbeit) ist ebenfalls dem Wandel und gesetz (ArbSchG) müssen Gefährdungen aus der Erweiterung von Belastungen Rechnung ge- physischen wie aus psychischen Belastungen tragen worden. Dabei wird zwischen körperlichen möglichst frühzeitig an der Quelle ermittelt sowie (physischen) und geistig-seelischen (psychi- mit entsprechenden Maßnahmen vermieden wer- schen Belastungen begrifflich unterschieden, den. wobei in der Regel beide Belastungsarten gemein- 7
ERA UND GUTE ARBEIT Quelle: Handlungshilfe, Psychische Belastungen beurteilen - aber wie? (Hrsg. IG Metall Vorstand, Projekt Gute Arbeit, Frankfurt 2005) Für den betrieblichen Praktiker ist angesichts der Welche Definitionen und rechtlichen Grundlagen unterschiedlichen Belastungsdefinitionen ent- sind hierfür nutzbar? scheidend: Das tatsächliche Belastungsspektrum in der Ar- Im Unterschied zum Alltagsverständnis wird in der beitswelt ist umfassend und ganzheitlich zu erfas- Arbeitswissenschaft zwischen Belastungen und sen und auf mögliche Gefährdungen für die Ge- Beanspruchungen unterschieden: sundheit der Beschäftigten zu bewerten. Eine Ein- X Belastung (was auf den Menschen einwirkt schränkung von Belastungen auf körperlich- und in vielen Fällen messbar ist) muskuläre widerspricht sowohl der tariflichen und Rechtsauffassung als auch dem modernen Ar- X Beanspruchung (die konkrete Auswirkung auf beitsschutzrecht. den Menschen in Abhängigkeit von der per- sönlichen Arbeitsvoraussetzung). Auf der Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes, das aus der Umsetzung der europäischen Rechtset- Diese Unterscheidung gilt für physische (körperli- zung zu Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit che) wie für psychische (geistig-seelische) Belas- entstanden ist, ergeben sich neue Möglichkeiten tungen bzw. Beanspruchungen. und Instrumente, Gefährdungen aus dem breiten Belastungsspektrum zu bekämpfen. 8
ERA UND GUTE ARBEIT Psychische Belastungen sind seit einigen Jahren umfelds und der Arbeitsorganisation. Stress ist ein auf Basis gesicherter arbeitswissenschaftlicher Zustand, der durch hohe Aktivierungs- und Belas- Erkenntnis definiert und zwar in der Norm DIN EN tungsniveaus gekennzeichnet ist und oft mit dem ISO 10075: 2000 „Ergonomische Grundlagen be- Gefühl verbunden ist, man könne die Situation züglich psychischer Arbeitsbelastung“. In Teil 1 der nicht bewältigen“. Norm werden die negativen psychischen Bean- spruchungsfolgen durch unzulänglich gestaltete Damit ist klar: Bei dem heute immer wichtiger wer- Arbeitsbedingungen beschrieben. Teil 2 enthält denden Bereich der psychischen Belastungen geht Leitsätze zur Vermeidung bzw. Verringerung nega- es nicht in erster Linie um Themen wie psychische tiver psychischer Arbeitsbelastungen. Zu den ne- Störungen oder psychiatrische Erkrankungen. Es gativen psychischen Beanspruchungsfolgen gehö- geht um die Auswirkungen und Einflüsse von kon- ren zum Beispiel Ermüdung sowie ermüdungsähn- kreten Arbeitsbedingungen auf den Menschen, auf liche Zustände, Monotonie, herabgesetzte Wach- seine Psyche und seinen Körper. Die erwähnte samkeit und psychische Sättigung. In Teil 3 wer- DIN-Norm definiert psychische Belastungen als die den Prinzipien der Messung und der Erfassung „Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von von psychischen Belastungen angegeben. außen auf den Menschen zukommen und psy- chisch auf ihn einwirken“. Eine psychische Bean- Für den Begriff Stress gibt es in der Norm (noch) spruchung ist - im Sinne der oben angeführten keine Definition, weil sich in der Wissenschaft his- arbeitswissenschaftlichen Unterscheidung - die torisch ganz unterschiedliche Stresstheorien ent- „unmittelbare Auswirkung der psychischen Belas- wickelt haben. Allerdings hat sich in der Arbeits- tung im Individuum von seinen jeweiligen über- psychologie mittlerweile ein weitgehender wissen- dauernden und augenblicklichen Voraussetzun- schaftlicher Konsens herausgebildet, der den gen, einschließlich der individuellen Bewältigungs- Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse zum strategien“. Stressbegriff darstellt und für den Arbeits- und Gesundheitsschutz genutzt werden kann. In einer Psychische Belastungen in der Arbeitswelt können Veröffentlichung der Europäischen Kommission beim Menschen negative Beanspruchungsfolgen (Generaldirektion V, Brüssel 1997) wird arbeitsbe- auslösen, die dann bei mangelnden Bewälti- dingter Stress definiert als „Reaktion auf ungünsti- gungsmöglichkeiten zu gesundheitlichen Störun- ge und schädliche Aspekte der Arbeit, des Arbeits- gen und ernsthaften Erkrankungen führen können. 9
ERA UND GUTE ARBEIT Wie werden Belastungen ermittelt? Gleichgültig, ob aus dem Blickwinkel des Gesund- Umgebungseinflüsse, Lärm, Heben und Tra- heitsschutzes oder aus der Perspektive der be- gen usw. weggefallen ist. trieblichen Tarifarbeit eine Auseinandersetzung mit Hierin sieht die Arbeitgeberseite ein Faust- Belastung und Belastungsabbau stattfindet, für pfand, um Betriebsrat und Beschäftigte bei beide gilt, dass eine gute Strategiebildung und neuen Eingruppierungen zu drücken oder eine angemessene Umsetzung nur erreicht wer- auch um eine Ermittlung der Belastungen zu den kann, wenn Belastungen ermittelt werden: verhindern. Eine genaue Analyse würde aber X Nur wenn die Interessenvertretung auch ein zeigen, dass neue Belastungen entstanden sind, zugleich auch höhere Anforderungen an Bild von der Belastungssituation in den einzel- Qualifikation, Verantwortung, Selbständigkeit nen Abteilungen oder Bereichen hat, können usw. gestellt werden, die das bisherige oder Prioritäten gesetzt und entsprechende Maß- gar ein höheres Eingruppierungsniveau recht- nahmen zum Belastungsabbau entwickelt fertigen können. werden. X Auch kann man den Anforderungen der ERA- Gleichgültig wie sich die konkrete Situation im Tarifverträge nur nachkommen, wenn man Betrieb darstellt, immer gilt: Die Interessenvertre- weiß, welche Belastungen vorliegen. (Zu den tung braucht Klarheit über die Belastungssituation. unterschiedlichen Bestimmungen der ERA- Ohne diese ist sie auf Mutmaßungen angewiesen Tarifverträge beachte Teil 2 dieser Arbeitshil- und kann auch den Strategien der Arbeitgebersei- fe.) te nicht wirksam begegnen. X Auch die Sicherung von Einkommen bei der ERA-Einführung verlangt eine Einschätzung Mit welchen Methoden Belastungen ermittelt wer- der vorliegenden Belastungssituation. So zeigt den können, wird damit zu einer Schlüsselfrage, die Erfahrung in vielen Betrieben, dass ein Teil die nicht nur im Handlungsfeld des Gesundheits- der alten Argumente für eine Belastungszula- schutzes, sondern auch in der Tarifpolitik von zent- ge oder für eine höhere Eingruppierung wie raler Bedeutung ist. 10
ERA UND GUTE ARBEIT Zur Ermittlung physischer (körperlicher) Belastungen gibt es den längsten Erfahrungsvorlauf. Für solche Bereiche - wie sie das ArbSchG in § 5 Abs. 3, Ziffer 1 bis 3 aufführt, also Arbeitsstätte und Arbeitsplatz, physikalische, chemische und biologische Einwirkungen sowie die Gestaltung von Arbeitsmitteln - liegt eine Reihe bewährter Hilfen vor, die in Form von Fragebögen bzw. Checklisten von den Berufsgenossen- schaften oder auch von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin u.a.m. zur Verfügung gestellt werden. (Wir empfehlen hierzu den „Leitfaden für die Gefährdungs-/Belastungsanalyse“, der von der VMBG [Metall-Berufsgenossenschaften] im Verlag Technik & Information herausgegeben wurde und bei der jeweils zuständigen BG bezogen werden kann. Für einzelne Betriebsarten wie z.B. Metallbearbei- tung werden zusätzlich spezifische Gefährdungs-/Belastungs-Kataloge angeboten. Ihr Einsatz sollte aller- dings in eine ganzheitliche Gefährdungsermittlung eingebettet werden.) Für die Ermittlung von Belastungen, die das X unzureichende Qualifikation und Unterrichtung ArbSchG in § 5 Abs. 3 Ziffer 4 und 5 benennt und für die Arbeitsaufgaben; die sich aus der Gestaltung von Arbeits- und Ferti- X Erschwerungen, Unterbrechungen und Behin- gungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit, derungen in der Arbeit usw. mangelnder Unterrichtung und fehlender Qualifika- tion ergeben, mussten in den letzten Jahren neue Da sich psychische Belastungen nicht messen Erfahrungen gesammelt sowie praktikable Verfah- lassen wie z.B. Lärmbelastungen und keine festen ren und Instrumente entwickelt und erprobt wer- Grenzwerte bestehen, müssen andere - inzwi- den. schen erprobte - Ermittlungsmethoden eingesetzt werden. Dazu zählen: Dieser Komplex der psychischen Belastungen kann auf vielgestaltige Ursachen zurückgeführt X Schriftliche Befragung der Beschäftigten (Fra- werden, nämlich z.B.: gebögen); X Termindruck, Zeitdruck, Hektik; X mündliche Befragungen (z.B. im Rahmen von Gesundheitsgruppen, -zirkeln oder ähnlichem); X belastende Arbeitszeiten, Überstunden; X Konflikte, Reibereien, Mobbing; 11
ERA UND GUTE ARBEIT X zusätzlich Fremdeinschätzung und Arbeit- Für eine eigene Strategiebildung im Betriebsrat ist platzbeobachtung (z.B. mit Checklisten); es allerdings nicht erforderlich, sofort eine umfas- X ergänzende Auswertung aller bereits vorlie- sende Ermittlung aller Belastungen und somit ar- beitsbedingter Gesundheitsgefährdungen vorzu- genden betrieblichen Daten (z.B. Unfall- und nehmen! BK-Anzeigen, Krankenstand usw.). Notwendig ist der Blick auf die wichtigen Bereiche! Das heißt, wir brauchen ein Verständnis von Be- Mittlerweile existieren zahlreiche Verfahren und lastungen, die in bestimmten Abteilungen, bei be- Instrumente zur Ermittlung psychischer Belas- stimmten Tätigkeiten besonders hoch sind. Dies tungen, die von der Bundesanstalt für Arbeits- kann bei ganz unterschiedlichen Beschäftigten- schutz und Arbeitsmedizin in einer „Toolbox“ gruppen und/oder Tätigkeiten der Fall sein. Somit im Internet angeboten werden. (Toolbox: In- geht es in einem ersten Schritt darum, einen Be- strumente zur Erfassung psychischer Belas- reich, eine Beschäftigtengruppe auszuwählen und tungen dann diesen Bereich, diese Tätigkeit oder Belas- http://www.baua.de/prax/toolbox_inhalt.htm) tungsart als Pilotprojekt zum Ausgang der Ermitt- Allerdings kann die Vielfalt und Kompliziertheit lung zu machen. mancher Vorgehensweisen auch den prakti- schen Umsetzungsprozess erschweren. Die IG Metall hat deshalb Verfahren für ein praktikab- les betriebliches Vorgehen entwickelt, die sich nicht allein auf externen Sachverstand stützen, sondern den Betriebsräten selbst Instrumente in die Hand geben, die sie mit dem Arbeitgeber aushandeln können. Dazu zählt der Einsatz eines einfach konstruierten, schriftlichen Fra- gebogens. Zwei empfehlenswerte Fragebogen, die auf die jeweiligen betrieblichen Bedingungen ange- passt werden müssen, werden in der Hand- lungshilfe der IG Metall: Psychische Belastun- gen beurteilen - aber wie? Eine betriebliche Handlungshilfe für Gefährdungsbeurteilungen, vorgestellt. 12
ERA UND GUTE ARBEIT Teil 2 Welche einschlägigen Regelungen enthält bzw. erfordert ERA? Im folgenden Abschnitt sollen die prinzipiellen X In summarischen Systemen ist oftmals das Möglichkeiten aufgezeigt werden, über Regelun- Muster eingebaut, dass zunächst das Anforde- gen zu Belastung, zu den Entgeltgrundsätzen so- rungsniveau gemäß der abgeforderten Qualifi- wie zu Qualifizierung etwas für den Belastungsab- kation zu bestimmen ist. Das Maß der Belas- bau bei den Beschäftigten zu unternehmen. In tung kann dann den Anspruch begründen, diesem Zusammenhang werden auch Hinweise gemessen hieran eine oder zwei Lohngruppen dazu gegeben, wie sich die bisherigen und die höher eingruppiert zu werden. neuen Regelungsmöglichkeiten von einander un- X In summarischen Systemen findet sich eben- terscheiden. falls oft das Muster, dass Belastung gar nicht im Rahmen der Grundentgeltdifferenzierung Das Thema Belastung (Eingruppierung) geregelt wird, sondern in ei- nem separaten Zulagen-System. In den bisher gültigen Lohn- und Gehaltsrahmen- X Für den Angestellten-Bereich finden sich in tarifverträgen finden wir im wesentlichen folgende den Gehaltsrahmentarifverträgen keine Rege- Grundmuster von Regelungen: lungen zu diesem Thema. X In analytischen Systemen sind Belastungen und Umgebungseinflüsse anhand verschiede- Die ERA-Tarifbestimmungen zu Belastung regeln ner vorgegebener Merkmale zu bewerten. in allen Fällen (außer den Tarifgebieten Berlin I Diese Bewertung fließt in die Bewertung der und II), insgesamt gestellten Anforderungen ein. Aus X dass es gemeinsam gültige Regelungen für dieser Gesamtbewertung ergeben sich Ar- Gewerbliche und Angestellte zu diesem The- beitswerte bzw. Arbeitswertgruppe (Lohngrup- ma gibt; pe) und damit Geld. X dass Belastungen/Erschwernisse in einem X Je nach konkreter Ausgestaltung reagieren Zulagen-System geregelt werden (und nicht Analytik-Systeme mehr oder weniger feinfühlig mehr im Grundentgelt). auf Veränderungen bei der Belastung, d.h. (In den Tarifgebieten I und II von Berlin und Bran- verbesserte Arbeitsbedingungen können sich denburg wurde von den Tarifparteien keine Rege- in Form von Lohnverlust auswirken. lung zu Belastung vereinbart.) 13
ERA UND GUTE ARBEIT In den ERA-Regelungen finden sich folgende X welche Bezugsgrößen es für Leistung gibt; Grundmuster: X ob die Leistung gemessen oder beurteilt wird; X Vorrangig ist der Abbau von Belastungen/ X wie viel Geld für wie viel Leistung zu zahlen Erschwernissen zu betreiben. ist; X Die Belastungsarten sind entweder von den X ... Tarifvertragsparteien im ERA bereits festgelegt oder sie müssen auf betrieblicher Ebene von Bei den heute gültigen Tarifbestimmungen haben den Betriebsparteien definiert werden. wir es mit der grundsätzlichen Problemstellung zu X Auf der betrieblichen Ebene ist zu klären, wie tun, dass es die im Betrieb bestehenden Belastungen/ Er- X für die gewerblichen ArbeitnehmerInnen Leis- schwernisse zu bewerten sind. tungslohn (Akkord, Prämie, Pensum-Lohn) X Ist ein Belastungsabbau nicht möglich, so hat und Zeitlohn gibt; ein Ausgleich in Geld zu erfolgen (je nach Ta- X für die Angestellten nur Gehalt gibt (abgese- rifvertrag ist auch ein Ausgleich in Zeit mög- hen von der Möglichkeit von Provisions-Re- lich). gelungen). X Die Höhe dieses materiellen Ausgleichs ist Dabei sind formal betrachtet in Zeitlohn und Gehalt entweder im Tarifvertrag definiert oder muss Leistungsvorgaben unzulässig, weswegen es auch von den Betriebsparteien definiert werden. in beiden Fällen kein Mitbestimmungsrecht über die abverlangte Leistung gibt. Die praktische Konsequenz hieraus ist, dass die Leistungsbedingungen gerade in Zeitlohn und Ge- Das Thema Leistung halt in den zurückliegenden Jahren nahezu flä- chendeckend deutlich verschärft worden sind. Beim Thema Leistung geht es unter anderem um Während im gewerblichen Bereich ein Wechsel die Fragestellungen, des Entlohnungsgrundsatzes über das Mitbestim- X ob Leistungsvorgaben überhaupt gemacht mungsrecht nach § 87 (1) Ziff. 10 BetrVG betrie- werden dürfen; ben werden kann, fehlt derzeit für Angestellte ein- X wie hoch die abgeforderte Leistung ist; fach ein alternativer Entlohnungsgrundsatz. X ob es Mitbestimmungs- und Reklamations- rechte gibt; 14
ERA UND GUTE ARBEIT Mit ERA werden gemeinsame leistungspolitische Je nach Tarifgebiet sind in den bislang abge- Regelungen für Gewerbliche und Angestellte ge- schlossenen ERA-Tarifverträgen (Stand: Mitte Juni schaffen. Dabei ist insbesondere Folgendes zu 2005) die drei skizzierten Varianten beachten: X entweder den Entgeltgrundsätzen Leistungs- X Die bisherigen Varianten Akkord und Prämie entgelt oder Zeitentgelt zugeordnet mit ihren Mitbestimmungs- und Reklamations- X oder unter dem Dach Leistungsentgelt rechten stehen als Regelungsmöglichkeiten zusammengefasst. Und es kommt auf den jeweili- vom Grundsatz her auch weiterhin zur Verfü- gen Tarifvertrag an, ob Kombinationen der drei gung – zum Teil unter gleicher Bezeichnung, o.g. Varianten zulässig sind. zum Teil unter dem Titel "Kennzahlen"- Systeme. Bei der ERA-Einführung wird es für die Interes- X Auch die bisherigen Systeme mit Leistungsbe- senvertretung vorrangig darauf ankommen, urteilung und Leistungszulagen (Zeitlohn und X einen wirksamen Schutz gegen leistungsmä- Gehalt) gibt es mit mehr oder minder großen ßige Überforderung der Beschäftigten zu ge- Veränderungen weiterhin. währleisten; X Zwischen den beiden o.g. Möglichkeiten ange- X Mitbestimmungs- und Reklamationsrechte in siedelt ist das tariflich neu geregelte System bezug auf Leistung/Leistungsbedingungen si- von Zielvereinbarungen. Dieses eröffnet unter cherzustellen bzw. auszuweiten; Umständen die Möglichkeit, in bisherigen Zeit- X den Arbeits- und Gesundheitsschutz gegen- lohn- und Gehalts-Bereichen Fortschritte in über dem Geldanreiz zu betonen sowie Sachen Mitbestimmung über die abverlangte X Verschlechterungen in der Relation Leistungs- Leistung sowie in Sachen Reklamierbarkeit Entgelt zu verhindern. der Leistungsbedingungen zu erreichen. Von der Regelungssystematik her neu ist der Tatbestand, dass die Rahmenregelung zwi- schen Arbeitgeber und Betriebsrat abge- schlossen wird, die konkrete Zielvereinbarung aber von den Beschäftigten bzw. von Beschäf- tigten-Gruppen vorgenommen wird. 15
ERA UND GUTE ARBEIT Das Thema Qualifizierung Das Thema Qualifizierung ist in keinem Entgelt- Diese Bestimmung des § 97 (2) BetrVG stellt dem rahmen-Tarifvertrag geregelt worden. In Baden- Betriebsrat ein wirksames Instrument zur Verfü- Württemberg gibt es eine Tarifregelung zu diesem gung, um Belastungen zu reduzieren, die aus un- Themenkomplex, die jedoch in einem separaten zureichender Qualifizierung bzw. Qualifizierungs- Tarifvertrag (bereits vor dem ERA-Abschluss) ver- druck resultieren. einbart wurde. Das novellierte Betriebsverfassungsgesetz bein- haltet jedoch in § 97 (2) einen deutlichen Rechts- fortschritt. Die bis dahin gültige Rechtslage gab dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht über die Ausgestaltung betrieblicher Berufsbildungsmaß- nahmen (§ 98). Nunmehr gibt es auch ein Mitbe- stimmungsrecht darüber, ob der Arbeitgeber be- triebliche Berufsbildungsmaßnahmen durchführen muss. Hat der Arbeitgeber Maßnahmen geplant oder durchgeführt, die dazu führen, dass sich die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ändert und ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkei- ten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen, so hat der Betriebsrat bei der Ein- führung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung mitzubestimmen. (...) 16
ERA UND GUTE ARBEIT Teil 3 Entgeltaufbau: Ansatzpunkte für Entgeltsicherung - Ergänzung zum Schaubild „Entgeltaufbau neu“ - Ein wesentliches Ziel bei der betrieblichen ERA- X Dem Grundentgelt kommt in zweifacher Hin- Umsetzung besteht darin, die bisherige Entgelthö- sicht eine besondere Bedeutung zu. he der Beschäftigten auf eine Art und Weise abzu- Einerseits macht das Grundentgelt den größ- sichern, dass die tarifvertraglich vorgesehenen ten Entgeltanteil aus. Instrumente für eine Verdienstabsicherung der Andererseits werden andere Entgeltbestand- Überschreiter (dies ist der tariftechnische Begriff teile im Regelfall als Prozentwert auf das für diejenigen Beschäftigten, deren Entgeltan- Grundentgelt bezogen, d.h. ein höheres oder spruch nach den bisherigen Lohn- und Gehalts- geringeres Grundentgelt wirkt sich auf andere Tarifverträgen höher ist als der Entgeltanspruch Entgeltbestandteile ebenfalls aus. gemäß ERA) gar nicht erst benutzt werden müs- X In den meisten ERA-Tarifverträgen besteht die sen. Möglichkeit, innerhalb des Grundentgelts Zu- Damit verbinden sich insbesondere folgende Über- satzstufen zu definieren, über die auch ein Teil legungen: der Entgeltdifferenz zur nächsthöheren Ent- X Solche Verdienstabsicherungen werden in der geltgruppe überwunden werden kann. Regel durch Tariferhöhungen später aufge- X Die Bestimmungen zur betrieblichen ERA- zehrt. Einführung sind von Tarifgebiet zu Tarifgebiet X Diese Verdienstabsicherungen sichern zwar unterschiedlich, weisen aber eine besonders die individuelle Entgelthöhe, aber nicht das wichtige Gemeinsamkeit auf: Für die (zeitlich Entlohnungsniveau im Betrieb. Später einge- begrenzte) Phase der betrieblichen ERA- stellte KollegInnen haben nichts davon. Einführung sind Mitbestimmungs- und Rekla- X Wenn die Summe aus Grundentgelt (Entgelt- mationsrechte definiert, die anschließend nicht gruppe plus ggf. Zusatzstufe) und Leistungs- mehr bestehen (anders in Nordrhein-West- anteil ausreichend hoch ist, kann auch die falen, wo ein besonderes Verfahren vereinbart Überlegung hinfällig werden, Belastungszula- werden kann, das anschließend für mehrere gen zur Absicherung der bisherigen Ver- Jahre gültig ist). diensthöhe zu verwenden. D.h., der Betriebsrat muss diese besonderen Rechte unbedingt nutzen, wenn es um Fragen Für die einzelnen Elemente der Entgeltsäule sollen des Grundentgelts geht! in diesem Zusammenhang zumindest folgende Hinweise gegeben werden: 17
ERA UND GUTE ARBEIT verhalten: Mal werden sie von den Tarifpar- X In der Mehrzahl der ERA-Tarifverträge sind teien definiert, mal wird diese Definition den Mindestbeträge für die Zusatzverdienste defi- Betriebsparteien überlassen. Unterschiede gibt niert, die im Betriebsdurchschnitt über Leis- es auch dahingehend, ob ein Ausgleich der tungsbeurteilung im Zeitentgelt oder über Ziel- Belastungen/Erschwernisse statt in Geld auch vereinbarungen erzielt werden müssen. in der Zeit möglich ist. Alle Tarifnormen haben Prämienlohn-Systeme (bzw. vergleichbare jedoch wieder eine wichtige Gemeinsamkeit: Kennzahlen-Systeme) bzw. Akkord-Systeme Sie fordern Belastungs-Abbau vorrangig vor (bzw. vergleichbare Kennzahlen-Systeme) er- Kompensation. möglichen in der Regel deutlich höhere Zuver- dienste. Dies bedeutet, dass diese Leistungs- entgelt-Systeme nicht allein wegen der Mitbe- stimmung über die abverlangte Leistung inte- ressant sind, sondern auch wegen der Ent- gelthöhe. Der ERA Baden-Württemberg kennt diese Unterscheidung zwischen Zeitentgelt und Leis- tungsentgelt nicht, sondern definiert für alle Beschäftigten ein einheitliches Leistungsent- gelt, unter dessen Dach Kennzahlen-Systeme, Zielvereinbarungen sowie Leistungsbeurtei- lungs-Systeme angesiedelt sind (ggf. auch in Kombination). Dieses einheitliche Leistungs- entgelt hat ein Volumen von im Durchschnitt 15%. X Die Welt der ERA-Regelungen zu Belastungen und Erschwernissen ist von relativ großer Viel- falt geprägt: So ist es einerseits möglich, dass die Tarifparteien Definitionen zu diesen Begrif- fen vorgenommen haben. Andererseits kann es aber auch sein, dass die Tarifparteien diese Definition den Betriebsparteien überlassen. Genauso kann es sich bei den Geldbeträgen 18
ERA UND GUTE ARBEIT Teil 4 Vorgehensweise bei der betrieblichen ERA-Einführung und Anknüpfungspunkte für das Thema Belastung Bei der betrieblichen ERA-Einführung geht es dar- in ERA abgesichert werden müssen. Die Not- um, zahlreiche Regelungsnotwendigkeiten, Inte- wendigkeit, solche Regelungen zu schaffen, ressenlagen, Zielsetzungen, Bedingungen etc. zu wird um so geringer sein, je größer die Ent- berücksichtigen, die in ihrem Zusammenwirken geltanteile ausfallen, die beim Grundentgelt eine ausgesprochen komplexe Handlungssituation sowie über Leistung durchgesetzt werden darstellen. können. Vor diesem Hintergrund kann bestenfalls ein ver- X Zum Thema Qualifizierung gibt es unter- gleichsweise "grobes" Raster für die Abfolge der schiedliche Zugänge: einzelnen Handlungsschritte bis zum Abschluss Einerseits kann für Beschäftigte eine Be- der betrieblichen ERA-Einführung vorgelegt wer- lastung daher rühren, dass Qualifizie- den. Die neun "großen" Handlungsschritte müssen rungsanforderungen zusätzlich zum regu- jeweils in mehrere "kleinere" Handlungsschritte lären Arbeitspensum bewältigt werden zerlegt werden. müssen. Eine angemessene Qualifizie- Das hier abgebildete Ablaufschema markiert die rungsregelung kann hier für Abhilfe sor- wesentlichen Anknüpfungspunkte für das Thema gen. Belastung. Dabei verdienen folgende Punkte eine Andererseits kann es darum gehen, mittels besondere Hervorhebung: Qualifizierung die Ausübung anspruchs- X Bereits in der Frühphase der Überlegungen in vollerer Arbeiten zu ermöglichen und da- der Interessenvertretung wird eine Auseinan- mit Grundentgeltansprüche abzusichern dersetzung darüber geführt werden müssen, oder zu erhöhen. Dies mindert den Druck, wie intensiv und mit welchen Zielsetzungen über Belastung "Geld zu machen". das Thema Belastung angegangen werden X Eine wichtige Entscheidung wird diejenige soll. über die Entgeltgrundsätze bzw. –methoden X Dabei wird unter anderem auch entschieden sein. Dabei sind für die Interessenvertretung werden müssen, in wieweit der Angestellten- folgende Überlegungen besonders wichtig: bereich zu einem Arbeitsschwerpunkt werden Einerseits geht es um Leistungsmaße, Mit- soll und in wieweit der ERA-Einführungs- bestimmungs- und Reklamationsrechte prozess auch dazu genutzt werden soll, die etc. (siehe Teil 2 dieser Arbeitshilfe). Auseinandersetzung um psychische Belastun- Andererseits muss auch berücksichtigt gen voranzutreiben. werden, welche Auswirkungen ggf. ein X Je nach bisheriger Tarifregelung und je nach Wechsel des Entlohnungsgrundsatzes auf den betrieblichen Gegebenheiten wird bislang die betrieblichen Kosten bei der ERA- ein größerer oder ein geringerer Anteil des Einführung hat. Unter Umständen kann es Einkommens von Belastungen abhängig sein. daher sinnvoll sein, zunächst den ERA- Unter Umständen wird über Belastungen ein Einführungsprozess formal abzuschließen Teil der heutigen Einkommen beim Übergang und danach separat einen Wechsel des Entgeltgrundsatzes zu betreiben. 19
ERA UND GUTE ARBEIT Entgeltaufbau neu (vereinfachte Darstellung) - Ansatzpunkte für Entgelt-Sicherung - Die ERA-Tarifregelungen über den Umgang mit Belastungen bzw. Erschwernissen reichen von einer weitgehenden tariflichen Festlegung Belastungs- bis hin zu weitgehenden betrieblichen Zulagen Ausgestaltungs-Spielräumen. In den Tarifgebieten, in denen Leistungsbezogener Leistungsentgelt und Zeitentgelt zu unterscheiden sind, sind in Anteil: Akkord, Prämie oder Kennzahlen- • Zeitentgelt Systemen i. d. R. höhere Zuver- • Leistungsentgelt dienste erzielbar als in den anderen möglichen Varianten. In Baden-Württemberg gibt es bei ERA einheitliches Leistungsentgelt mit tariflich geregelter Zuverdienst- Stufung: Chance von 15 % im Durchschnitt. • Zeitstufen • Anforderungsbezug Durch die Definition der Anforde- rungen, die mit der Arbeit einhergehen, wird ein wesentlicher Teil des indivi- Grundentgelt: duellen Entgelt-Anspruchs bestimmt. Weitere Entgelt-Bestandteile werden i. d. R. prozentual aufgeschlagen. Anforderungsbezug Beachte die unterschiedlichen Regelungen der einzelnen Tarifgebiete sowie die tarifvertraglichen Regelungsdetails! 20
ERA UND GUTE ARBEIT Betriebliche ERA-Umsetzung - Vorschlag für eine Schrittfolge beim betrieblichen Vorgehen und Anknüpfungspunkte für das Thema Belastung - 1. Gesamtschau: Dimensionen des ERA-Prozesses und „technische“ Seite (Regelungsfelder) 2. Entwicklung von Arbeitshypothesen zu folgenden Fragestellungen: a) Wo vermuten wir die Gefahr einer Verschlechterung der Entlohnungs- oder Leistungs-Bedingungen? b) Wo sehen wir die Chance einer Verbesserung der *In dieser Phase geht es um Entlohnungs- oder Leistungsbedingungen?* eine erste Weichenstellung für die Schwerpunktsetzung der c) Wo kann oder soll ERA für Auseinandersetzungen um Interessenvertretung bei der z. B. Qualifizierung oder Belastung genutzt werden? betrieblichen ERA-Einführung d) Wie laufen die Diskussionen in der Belegschaft? e) Wo stehen wir als Interessenvertretung besser da und wo schlechter? f) ... Hier liegen inhaltliche Ansatzpunkte für Regelungen 3. Entwicklung einer Gesamtsicht der betrieblichen Prüfung/Beratung/Entscheidung Handlungssituation, inhaltliche Prioritätensetzung und Formulierung der wichtigsten Zielsetzungen Erneute Hieraus möglicherweise erwach- sene Handlungsfelder: • Belastung • Arbeitsorganisation 4. Vorbereitung der Regelungen zu Grundentgelt • Qualifizierung und Belastung Je nach Problemlage/ • Verhältnis zwischen tariflich Problemsicht, müssen geregeltem Entgelt und ÜT diese Komplexe in der Wechselbeziehung zu einander gesehen und bearbeitet werden. Frage des indiv. Entgelts Hieraus möglicherweise erwach- sene Handlungsfelder: Kosten-Frage/ • Belastung • Leistungs-Bezugsgrößen 5. Vorbereitung der Regelungen zu Leistung • Datenermittlung • Verhältnis zwischen tariflich geregeltem Entgelt und ÜT 21
ERA UND GUTE ARBEIT Frage des indiv. Entgelts Hieraus möglicherweise erwach- Kosten-Frage/ sene Handlungsfelder: 6. Vorbereitung der Regelungen zur individuellen • Arbeitsorganisation • Qualifizierung Entgeltanpassung* Achtung: Die Fragen des 7. Stichtagsbezogene Ermittlung der betrieblichen individuellen Entgelts und ERA-Einführungskosten der ERA-Einführungskosten werden vielfach schon früher auf BR- und Unternehmerseite in den Überlegungen und Aus- einandersetzungen eine Rolle spielen. 8. Stichtagsbezogene betriebliche ERA-Einführung 9. Individuelle Anpassungsprozesse und Kosten- Kompensation für 5 Jahre *Möglicher Widerspruch/mögliches Problem: „Belastung“ wird gebraucht, um Entgeltansprüche abzusichern. 22
Materialien zum Projekt Gute Arbeit www.igmetall.de/gutearbeit Gute Arbeit im Netz der IG Metall: Arbeitszeit-TÜV Gute Beispiele aus den Betrieben Arbeitsmappen Handlungshilfen Dokumentationen Präsentationen Termine und Bildungsangebote und noch vieles mehr... „Gute Arbeit – „Gute Arbeit im KFZ- „Schwarzbuch „Arbeit im Menschenge- Handwerk: wissen Krank durch Büro gesund ge- rechte Arbeits- wo es lang geht“ Arbeit, Arbeitsbe- stalten“ | Tipp 23 | gestaltung als (Arbeitsschutz dingungen – Ge- September 2004 | gewerkschaftliche im KFZ-Handwerk) sundheitsrisiken kostenlos Zukunftsaufgabe“ Arbeitshilfe 18 – Gegenwehr“ | Dokumentation Februar 2004 | 3 € Broschüre der IG Metall-Konferenz im Januar 2005 | Dezember 2002 | 8,18 € kostenlos „Schafft alter(n)s- gerechte Arbeit“ „Gute Arbeit ... Tipp 22 | Oktober „Der Arbeitszeit- „Das betriebliche – Menschenge- 2003 | kostenlos TÜV – Wie gesund- Eingliederungs- rechte Arbeits- heitsverträglich management gestaltung als sind unsere – Neue Wege der gewerkschaftliche Arbeitszeiten?“ Gesundheits- und Zukunftsaufgabe“ Arbeitsmappe Beschäftigungs- Informations- Januar 2005 sicherung älterer grundlage | Jürgen Peters/Horst kostenlos ArbeitnehmerInnen | Dokumenta- Schmitthenner | VSA-Verlag 2003 tion Workshop Schwerbehinder- | 278 Seiten | 16,80 € | ISBN 3- „Freiwillig die tenvertretung | Juni 2004 | 10 € 89965-025-5 | Zu bestellen über: Gesundheit ris- www.vsa-verlvag.de kieren? Indirekte „Gute Arbeit im Mitarbeitersteu- Büro – Neue erung und neue Bürokonzepte „Dauer-Sprinter Fragen zu Gefähr- gemeinsam ge- gibt es nicht“ „Schlechte Zeiten dungsbeurteilung sund gestalten“ | Tipp 24 für gute Arbeit?“ und Prävention im Betrieb“ Arbeitshilfe 20 | Dezember 2004 Tipp 21 Dokumentation des Workshop September 2004 kostenlos März 2004 im Juli 2004 | kostenlos 3€ kostenlos Download unter www.igmetall.de/gesundheit/material und www.igmetall.de/gutearbeit ga_hh_psych_bel_05_2005_titel.indd 4 21.07.2005 15:47:59
Sie können auch lesen