Der Niedersachsen-Weg - Tarifregelungen, Einführungsprozesse und Wirkungen des ERA

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Der Niedersachsen-Weg – Tarifregelungen,
Einführungsprozesse und Wirkungen des ERA
                                                                                                           Martin Kuhlmann
                                                                                                       Hans Joachim Sperling

Die Hauptphase der Einführung der neuen Entgeltrahmentarifverträge (ERA) in der Metall- und Elektroindustrie ist in den Betrieben
mittlerweile abgeschlossen, was erste Bilanzierungen ermöglicht. Kann ERA als gelungene Nagelprobe für die Zukunftsfähigkeit des
Flächentarifvertrags gelten? Die Antworten müssen differenziert ausfallen. Da die tariflichen Regelwerke und die Orientierungen der
Akteure Unterschiede aufweisen, ist dies auch für ihre Umsetzung und Effekte zu erwarten. Begründen die besonderen Tarifregelun-
gen sowie die Erfahrungen und Orientierungen der Tarifparteien in Niedersachsen einen spezifischen Weg der ERA-Umsetzung? Wel-
che Varianten der Einführungsprozesse und welche Wirkungen lassen sich feststellen?

                                                den deshalb auch Aufschlüsse über die Re-      gerechtfertigt erscheinen, von einem „Nie-

1
Einleitung
                                                formfähigkeit des Flächentarifvertrags er-
                                                wartet. Von Seiten der Arbeitgeberverbän-
                                                de wie der IG Metall wurde die betriebliche
                                                                                               dersachsen-Weg“ zu sprechen, dessen Weg-
                                                                                               Markierungen in den Tarifregelungen ent-
                                                                                               halten sind, die Erfahrungen und Orientie-
                                                ERA-Umsetzung mit erheblichem Qualifi-         rungen sowie strategische Überlegungen
Mit den zwischen 2003 und 2005 verein-          zierungs- und Unterstützungsaufwand            der Tarifakteure ausdrücken.
barten Entgeltrahmentarifverträgen (ERA)        (Schulungen, Erfahrungsaustausche, Bera-
haben sich die Tarifparteien der Metall-        tungsangebote) begleitet. Obgleich die zen-
und Elektroindustrie nach langjährigen          tralen Grundlinien der ERA-Abkommen
Verhandlungen auf ein tarif- und gesell-        weitgehend identisch sind, zeichnen sich       1   Das Projekt wurde von der Hans-Böckler-Stiftung
schaftspolitisches Reformvorhaben ver-          die jeweiligen Tarifverträge durch eine Rei-       gefördert und vom Soziologischen Forschungsin-
                                                                                                   stitut (SOFI) an der Universität Göttingen durch-
ständigt, das auf eine zeitgemäße Neube-        he von Unterschieden aus, die den regiona-
                                                                                                   geführt. Empirische Basis des vorliegenden Textes
wertung von Arbeit und Leistung zielt und       len Besonderheiten Rechnung tragen.                (Stand: Herbst 2008) sind Expertengespräche mit
– als „größte Tarifreform der Nachkriegs-            Ausgehend von Zwischenergebnissen             für ERA zuständigen hauptamtlichen Gewerk-
geschichte“ und „Jahrhundertprojekt“ titu-      eines noch laufenden Forschungsprojektes           schaftsvertretern auf Verwaltungsstellenebene
                                                                                                   und in der Bezirksleitung sowie mit den ERA-Ex-
liert – mit beachtlichem publizistischen        zum ERA im Tarifgebiet Niedersachsen
                                                                                                   perten des Arbeitgeberverbandes Niedersachsen-
und organisatorischen Aufwand in die            sollen im Folgenden erste Befunde zur              Metall und Kurzfallstudien in 22 Betrieben, die
Phase der Umsetzung gestartet ist (Huber/       ERA-Umsetzung vorgestellt werden.1 Oh-             ERA fast durchweg bereits eingeführt haben. In
Schild 2004; Schulz 2004; Manthey/Meine         ne an dieser Stelle in einen systematischen        den Fallstudien wurden in der Regel Gespräche mit
                                                                                                   den zuständigen Betriebsräten und den Verant-
2004; Sadowsky 2004; Beraus 2004; Reichel       Vergleich der unterschiedlichen ERA-Tarif-
                                                                                                   wortlichen des Betriebes sowie Begehungen
et al. 2005; Brunkhorst et al. 2006). Die Mo-   verträge einzutreten (vgl. hierzu die synop-       durchgeführt und betriebliche Unterlagen und Da-
dernisierung bislang geltender Tarifnor-        tische Darstellung auf der CD-ROM in               ten gesichtet. Teilweise berücksichtigt wurden Er-
men erfolgt einerseits über die Anwendung       Brunkhorst et al. 2006 sowie Reichel 2005),        gebnisse aus Intensivfallstudien (Interviews mit
                                                                                                   Bereichsleitern, Gruppendiskussionen mit ERA-Be-
einer einheitlichen, anforderungsbezoge-        werden angesichts der regionalen Unter-
                                                                                                   troffenen). Im Rahmen des Forschungsprojektes
nen Bewertungssystematik, mit der die bis-      schiede zunächst einige Besonderheiten             noch geplant ist eine schriftliche Befragung aller
herige Trennung von Arbeiter- und Ange-         der tarifvertraglichen Regelungen in Nie-          Betriebe, die in den Geltungsbereich des ERA in
stelltentätigkeiten aufgehoben wird und         dersachsen dargestellt, die, so die These,         Niedersachsen fallen.
den technischen, organisatorischen und          insbesondere für den Verlauf des Umset-
sozialen Veränderungen der Arbeitswelt          zungsprozesses nicht ohne Folgen sind
Rechnung getragen werden soll. Anderer-         (Abschnitt 2). Basierend auf Fallstudien       Martin Kuhlmann, Dr., Soziologe, Mitarbei-
seits beinhaltet ERA eine Neuordnung von        stellen wir anschließend dominante Muster      ter am Soziologischen Forschungsinstitut an
Entgeltgrundsätzen und -methoden und            der ERA-Einführungsprozesse in Nieder-         der Universität Göttingen (SOFI). Arbeits-
damit eine Neujustierung des Verhältnisses      sachsen vor (Abschnitt 3), bevor in einem      schwerpunkte: Industrie- und Arbeitssozio-
von Entgelt und Leistung. Bei ERA handelt       nächsten Schritt ausgewählte, vorläufige       logie, Industrielle Beziehungen.
es sich um ein ambitioniertes Reformpro-        Befunde zu den Wirkungen von ERA prä-          e-mail: martin.kuhlmann@sofi.uni-
jekt, bei dem es angesichts abnehmender         sentiert werden (Abschnitt 4). In einer        goettingen.de
Tarifbindung und Verpflichtungsfähigkeit        abschließenden (Zwischen-)Bilanz (Ab-          Hans Joachim Sperling, Dr., Dipl.-Soziologe,
der Tarifparteien auch um die Frage der         schnitt 5) werden dann einige Einschät-        Mitarbeiter am SOFI. Arbeitsschwerpunkte:
Stabilisierung des Flächentarifvertragssys-     zungen zur Bewertung der bisherigen ERA-       Industrie- und Arbeitssoziologie, Industrielle
tems geht (Streeck/Rehder 2003; Huber           Umsetzung im Tarifgebiet Niedersachsen         Beziehungen.
et al. 2006; Bispinck 2007). Von der Umset-     formuliert. Der Grundtenor der bisher vor-     e-mail: joachim.sperling@sofi-uni-
zung der Entgeltrahmentarifverträge wur-        liegenden Untersuchungsergebnisse lässt es     goettingen.de

                                                                                                             WSI Mitteilungen 3/2009
                                                                                                                                              127
haften Tätigkeitsnennungen im Gehaltsbe-        jedoch keinen Druck auf die Betriebe aus-

2
ERA in Niedersachsen:
                                                reich abgesehen, enthielt allerdings auch
                                                der vorherige Tarifvertrag keine Richtbei-
                                                spiele.
                                                                                                übte.
                                                                                                     Auch von der zuständigen Bezirkslei-
                                                                                                tung der IG Metall in Hannover wurden
Kontinuitäten und Wandel                             Ebenfalls spezifisch für ERA in Nieder-    für die ERA-Umsetzung nur in eher be-
                                                sachsen sind zwei für den Einführungspro-       schränktem Ausmaß zusätzliche Personal-
Bei der Beschreibung und Bewertung der          zess überaus bedeutsame tarifliche Vorga-       kapazitäten bereitgestellt; auf der Basis be-
Arbeitstätigkeiten, die bei ERA in jedem        ben. Der Einführungszeitpunkt kann nicht        stehender Strukturen auf bezirklicher Ebe-
Fall neu erfolgen müssen, orientiert sich der   einseitig vom Arbeitgeber festgelegt wer-       ne, in den Verwaltungsstellen und beim zu-
niedersächsische Tarifvertrag an dem bis-       den, sondern bedarf einer einvernehmli-         ständigen Bildungszentrum (Sprockhövel)
her schon praktizierten Verfahrensgrund-        chen Regelung. Die Besitzstandsicherung2        wurden jedoch vorhandene Ressourcen
satz der summarischen Arbeitsbewertung.         der Einkommen erfolgt tarifdynamisch, so-       mobilisiert und fokussiert. Der tarif- und
Man verzichtete auf die Einführung grund-       dass aus Arbeitgebersicht zumindest kurz-       betriebspolitische Gestaltungsanspruch,
sätzlich neuer Verfahren und damit auf ei-      fristig kein starker Anreiz besteht, im Rah-    der sich auf Seiten der IG Metall an ähnli-
nen Weg, den die Tarifparteien in Baden-        men von ERA-Eingruppierungen Perso-             chen Zielsetzungen (anforderungsbezoge-
Württemberg und in Nordrhein-Westfalen          nalkosten zu senken.                            ne Neu-Eingruppierung, Absicherung der
eingeschlagen haben. Mit dem Festhalten              Ein erster Befund zu ERA in Nieder-        bisherigen Entgeltniveaus, behutsame Mo-
an einer etablierten Bewertungssystematik,      sachsen lautet insofern, dass zentrale Rege-    dernisierung bestehender Entgeltsysteme
die sich aus Sicht beider Tarifvertragspar-     lungen sich durch einen eher konflikt-          ohne klare „Vorgaben“ hinsichtlich zu be-
teien im Großen und Ganzen bewährt hat,         dämpfenden Charakter auszeichnen und            vorzugender Lösungen) orientierte, wurde
bleibt der Qualifizierungs- und Umstel-         den betrieblichen Akteuren ein hohes Maß        über ein breit angelegtes Informations-,
lungsaufwand in Niedersachsen begrenz-          an Kooperation nahelegen. Während die           Qualifizierungs- und Beratungskonzept
ter. Gleichwohl distanzieren sich beide Ta-     Etablierung einer einheitlichen Entgelt-        aufgegriffen und umgesetzt. Durch die Ein-
rifseiten von einer rein rechnerischen Re-      systematik einen weitreichenden Eingriff        richtung von Steuerkreisen auf den Ebe-
gelüberleitung, bei der die Beschäftigten       darstellt, ist das Ausmaß von Kontinuitäten     nen des Bezirks und der Verwaltungsstel-
aufgrund ihrer bisherigen Eingruppierung        bei den technischen Regelungen der Ein-         len, die Durchführung von mehrstufigen
in eine neue Entgeltgruppe eingestuft wer-      gruppierung, bei Reklamationsverfahren          Schulungseinheiten (Ausbildung von ERA-
den. Die Notwendigkeit, alle Beschäftigten      sowie bei der Frage der Entgeltgrundsätze       Experten als Multiplikatoren), betriebs-
auf der Basis von anzufertigenden Tätig-        sehr viel größer. Typisch für die ERA-          nahen Erfahrungsaustausch sowie betrieb-
keitsbeschreibungen neu einzugruppieren,        Einführung im Tarifgebiet Niedersachsen         lichen Schulungen und Beratungen (In-
wollte man den Betrieben nicht ersparen,        ist, dass die Tarifvertragsparteien sich hier   house-Seminare und Coaching-Angebote)
da erst auf dieser Grundlage die Zielset-       nicht in der Rolle von Treibern der Verän-      wurden Wissen und Kompetenz bezogen
zung einer Neuordnung der betrieblichen         derung betrieblicher Entgeltlinien oder         auf Entgeltfragen bei gewerkschaftlichen
Eingruppierungsstrukturen zu erreichen          von Entgeltsystemen sehen. Beide Tarif-         und betrieblichen Funktionären neu aus-
war.                                            vertragsparteien betonten zwar die Not-         gebildet und auf eine breitere Basis gestellt.
     Während in der Verfahrensfrage „Sum-       wendigkeit einer neuen Eingruppierung al-
marik“ Einigkeit herrschte, war der Ver-        ler Beschäftigten und erhofften sich von
zicht auf einen Katalog von tariflichen
Richt- bzw. Niveaubeispielen, wie er zu-
nächst in Baden-Württemberg vereinbart
                                                der Korrektur überkommener Eingruppie-
                                                rungen ein höheres Maß an anforderungs-
                                                bezogener Gleichbehandlung. Im Mittel-
                                                                                                3
                                                                                                Betriebliche Umsetzungs-
und dann von einigen Tarifregionen in mo-       punkt der Verbandsaktivitäten standen           formen: Kooperative
difizierter Form übernommen wurde, Er-          jedoch nicht möglicherweise zu erreichen-       Konfliktverarbeitung
gebnis einer Nichteinigung. Nachdem die         de Kostensenkungen oder Entgeltzuwäch-          überwiegt
Übernahme der Niveaubeispiele aus Ba-           se, sondern es ging um eine fach- und
den-Württemberg abgelehnt und Ver-              sachgerechte Umsetzung der Regelungen           Die ERA-Umsetzung in Niedersachsen ist
handlungen über eigene Texte begonnen           des Tarifvertrags. Während andere Ar-           bislang vergleichsweise geräuscharm ver-
wurden, gelang es zunächst lediglich, Tarif-    beitgeberverbände zur Steuerung und             laufen und von Varianten eines Grund-
beispiele für den Bereich Zerspanung zu         Kontrolle der ERA-Umsetzung teilweise           musters der Konfliktpartnerschaft („ko-
verabschieden. Angesichts der von beiden        in erheblichem Umfang zusätzliche Res-
Seiten als zäh und langwierig beurteilten       sourcen mobilisierten und Verbandsinge-
Verhandlungen wurde dann jedoch ent-            nieure rekrutierten, verzichtete Nieder-
schieden, auf einen Katalog von Richtbei-       sachsenMetall bewusst hierauf und sah sich      2   Während die in anderen Tarifgebieten als „Über-
                                                                                                    schreiter“ bezeichneten Beschäftigten (Personen,
spielen zu verzichten. Offiziell standen da-    eher in der Funktion eines Dienstleisters,          die in der tariflichen Eingruppierung herunterge-
mit den betrieblichen Akteuren keine tarif-     der sich auf die Bereitstellung von Informa-        stuft worden sind, aber aufgrund einer Überlei-
lichen Richt- oder Niveaubeispiele als Ori-     tionsmaterial und Umsetzungshilfen sowie            tungszulage keine Einkommenseinbußen haben)
entierung für die Bewertung zur Verfügung       die Durchführung von Informations- und              zukünftig teilweise auf Tariferhöhungen verzich-
                                                                                                    ten müssen, ist dies durch die tarifdynamisch ge-
– informell spielte ein von Niedersachsen-      Erfahrungsaustausch konzentrierte und               sicherten und nicht anrechenbaren Überleitungs-
Metall erstellter Katalog in einigen Betrie-    auf Anfrage den Mitgliedsfirmen mit Be-             zulagen im Tarifgebiet Niedersachsen ausge-
ben aber durchaus eine Rolle. Von beispiel-     ratungsleistungen zur Verfügung stand,              schlossen.

128        WSI Mitteilungen 3/2009
operative Konfliktverarbeitung“ (Weltz          ERA deshalb als gemeinsames Projekt ver-      3.2 KONFLIKTHAFTE
1977)) geprägt. Die Betriebsparteien be-        standen und betrieben haben. Ein hohes        ERA-UMSETZUNG
greifen ERA als betriebliches Projekt, das      Maß an Übereinstimmung herrschte in
Handlungs- und Gestaltungsspielräume            diesen Betrieben zudem bezogen auf die        Zwei weitere Typen der ERA-Umsetzung
ermöglicht, zugleich aber orientieren sie       Auslegung und Anwendung des Tarifver-         zeichnen sich demgegenüber durch größe-
sich vergleichsweise eng an den tarifver-       trags und den Einführungsprozess. Hin-        re Unterschiede in der Sichtweise bezogen
traglichen Vorgaben. Diese lassen ausrei-       sichtlich der konkreten Vorgehensweise        auf den Einführungsprozess und die bei
chend Spielräume und legen gleichzeitig         und der Arbeitsformen sind allerdings zwei    ERA angestrebten Ergebnisse aus. Folglich
eine kooperative Vorgehensweise nahe,           sehr unterschiedliche Konstellationen und     gibt es hier ein höheres Konfliktpotenzial.
schließen aber auch konflikthafte Zuspit-       damit Typen der ERA-Umsetzung zu un-          Teils spielen Konflikte in diesen Betrieben
zungen nicht aus. Insgesamt erweist sich        terscheiden.                                  generell eine größere Rolle, häufig sind sie
die ERA-Umsetzung – wie in anderen                   Als kooperativ-gemeinsam (Typ I, drei    Folge eines höheren Anteils von Beschäf-
Tarifgebieten auch – als zeitaufwendiger        Betriebe) lässt sich ein Umsetzungstyp be-    tigten mit Überleitungszulagen, mitunter
und komplexer als ursprünglich erwartet.        zeichnen, bei dem die Betriebsparteien        resultieren sie aber auch aus Versuchen des
Veränderungen bei Entgeltgrundsätzen            frühzeitig eine gemeinsame Arbeitsgruppe      örtlichen Managements, unternehmens-
und -methoden werden in der Regel ver-          bilden, die den gesamten ERA-Prozess          bzw. konzerneinheitliche Vorgaben umzu-
tagt, die Umsetzung richtet sich im We-         steuert und in der insbesondere die Ar-       setzen. Beim Typ III, begrenzte Konflikte
sentlichen auf die Frage der Beschreibung       beitsbeschreibungen und Eingruppierun-        (sieben Betriebe), trägt der ERA-Prozess
und Bewertung der Arbeitstätigkeiten. In        gen Schritt für Schritt gemeinsam erarbei-    zwar immer noch Züge einer kooperativen
den meisten Betrieben, aber nicht durch-        tet und innerbetrieblich abgeglichen wer-     Konfliktverarbeitung, in relevanten Punk-
gängig, werden zunächst Arbeitsbeschrei-        den. Konkret kann es sich hierbei um einen    ten gibt es in diesen Betrieben jedoch er-
bungen erstellt und zwischen den Betrieb-       langfristig angelegten Prozess handeln, in    hebliche Meinungsverschiedenheiten und
sparteien abgestimmt, bevor dann Ein-           dem neben den ERA-Experten auch weite-        der Gesamtprozess wird nicht mehr in to-
gruppierungen erfolgen. Unter Wahrung           re betriebliche Akteure (insbesondere zu-     to als von einem gemeinsamen Verständnis
tarifvertraglich vorgegebener, in den meis-     ständige Bereichsleiter) sowie die Beschäf-   getragen gesehen. Zumindest teilweise be-
ten Betrieben durch Betriebsvereinbarun-        tigten selbst eingebunden sind; es finden     gegnen sich die Betriebsparteien daher mit
gen jedoch verlängerter Beratungs- und          sich bei diesem Typ aber auch Beispiele für   Misstrauen; die Unsicherheit, inwieweit
Reklamationsfristen findet dann eine In-        einen stark konzentrierten Arbeitsprozess     sich die Gegenseite als sachlich-fachlich
formation des Betriebsrates und der Be-         „im kleinen Kreis“.                           orientierter Verhandlungspartner erweist,
schäftigten über ihre Eingruppierung statt.          Der quantitativ mit neun Betrieben am    wächst.
Nachdem die strittigen Eingruppierungen         stärksten in unseren Fallstudien vertretene       Auch im Tarifgebiet Niedersachsen gibt
(ggf. vorläufig) geklärt sind, tritt ERA dann   Typ II (kooperativ-getrennt) zeichnet sich    es schließlich Betriebe, in denen die ERA-
zum vereinbarten Zeitpunkt in Kraft. Cha-       ebenfalls durch ein hohes Maß an Koope-       Umsetzung im Grundzug konflikthaft er-
rakteristisch für die Einführungsprozesse       ration und ein konfliktpartnerschaftliches    folgt (Typ IV, drei Betriebe). Einführungs-
ist, dass die betriebliche Praxis in der        Grundverständnis aus, das Dissens in Ein-     prozess, Arbeitsbeschreibungen und Ein-
großen Mehrzahl der Betriebe in Punkten         zelfragen nicht ausschließt und von unter-    gruppierungen sind Felder einer in hohem
wie Information durch den Arbeitgeber so-       schiedlichen Interessenlagen ausgeht. Auch    Maße politisierten Auseinandersetzung,
wie Mitwirkung beim Thema Eingruppie-           in diesen Fällen legen die Akteure großen     bei der es im Kern darum geht, die eigene
rung über die im Tarifvertrag vorgesehe-        Wert auf eine korrekte Umsetzung des Ta-      Verhandlungsposition zu stärken und sich
nen Mindestanforderungen hinausgeht.            rifvertrags, zugleich sollen „Unruhe in der   in der betrieblichen Öffentlichkeit auf Kos-
Trotz vieler Detailunterschiede in der ERA-     Belegschaft“ sowie innerbetriebliche Kon-     ten der Gegenseite zu profilieren. Beide Sei-
Umsetzung lassen sich hierbei vier Grund-       flikte vermieden werden. Bei diesem Um-       ten versuchen, Informationsvorteile zur
typen identifizieren. Entlang dem Grad der      setzungstyp arbeiten die Zuständigen der      Durchsetzung der eigenen Interessen zu
Konflikthaftigkeit finden sich kooperativ-      Unternehmensseite und des Betriebsrates       nutzen, und der Umgang mit den Regeln
konsensuale, partiell konflikthafte und         jedoch zunächst getrennt in eigenen Ar-       des Tarifvertrags erfolgt instrumentell-
durchgängig konflikthafte Einführungs-          beitsgruppen, bevor (Zwischen-)Ergebnis-      strategisch. Im Mittelpunkt der Arbeits-
prozesse, wobei sich der erste Typ noch ein-    se dann in gemeinsamen Runden ausge-          weisen und (Ver-)Handlungsstrategien ste-
mal in eine gemeinsame und eine auf ge-         tauscht und verhandelt werden.                hen die Legitimierung der eigenen Position
trennten Arbeitsgruppen basierende Vor-              Die Unterschiede zwischen diesen bei-    und die Delegitimierung der Gegenseite.
gehensweise differenziert.                      den Typen liegen vor allem in den betrieb-
                                                lichen Traditionen, im Bereich der Inte-      3.3 RAHMENBEDINGUNGEN UND
3.1 KOOPERATIVE ERA-UMSETZUNG:                  ressenvertretungsstile und dem Charakter      GRUNDLINIEN DER UMSETZUNG
GEMEINSAM ODER GETRENNT?                        der betrieblichen Arbeitsbeziehungen. In
                                                den Betrieben des Typ II wird insbesonde-     Modifiziert wird die im Kern in den vier
Weitgehend konfliktfrei und konsensorien-       re von Seiten der betrieblichen Interessen-   Typen unterschiedlich ausgerichtete und
tiert ist ERA in Betrieben umgesetzt wor-       vertretung ein größeres Gewicht darauf ge-    verlaufende ERA-Umsetzung durch weite-
den, in denen die Betriebsparteien eine be-     legt, Eigenständigkeit gegenüber dem Ma-      re Faktoren bzw. Rahmenbedingungen, die
lastbare kooperative Zusammenarbeit             nagement auch nach außen zu demons-           jedoch eher fallweise wirken. Die wirt-
schon in der Vergangenheit praktiziert und      trieren.                                      schaftliche Lage des Unternehmens (der in

                                                                                                         WSI Mitteilungen 3/2009
                                                                                                                                    129
einigen Fällen Standortsicherungsabkom-        Tabelle 1: Beschäftigte mit Überleitungszulage (Überschreiteranteile)
men im Zusammenhang mit der ERA-Ein-           Überleitungszulagen (ÜLZ):                                                  Fallstudien                Rückmeldebögen
führung Rechnung tragen), belegschafts-        Beschäftigtenanteile in %                                                    (Betriebe)               (53 Betriebe) in %
strukturelle Besonderheiten und bislang        0–19 ÜLZ-Anteil                                                                  6                            25
vorherrschende Eingruppierungspraktiken        20–49 ÜLZ-Anteil                                                                 5                            40
                                               50–79 ÜLZ-Anteil                                                                 2                            23
(die in einigen Fällen eine erhebliche posi-
                                               80–100 ÜLZ-Anteil                                                                2                            13
tive Lohndrift bewirkt haben) oder auch
die Betriebsform (Konzernbetriebe oder         Quelle: Fallstudien SOFI; Erhebung IG Metall; Berechnungen der Autoren.
Eigentümer-Betriebe) prägen Sichtweisen
und Vorgehensweisen bei der ERA-Umset-
zung in unterschiedlicher Weise und füh-       ßere Konflikte) konfrontiert sein werden.                         schäftigten mit Überleitungszulagen er-
ren im Einzelfall zu Verzögerungen, Blo-       Auf der Basis der Fallstudien, Betriebsdaten                      geben sich in Betrieben typischerweise
ckaden und Konflikten. Haupttendenz der        und Experteneinschätzungen lassen sich                            dann, wenn die arbeitsmarktbedingte be-
ERA-Umsetzung im Tarifgebiet Nieder-           aber dennoch bereits einige Grundzüge der                         triebliche Lohndrift gering ausgeprägt war,
sachsen sind bisher jedoch Variationen ei-     ERA-Wirkungen umreißen.                                           teilweise in Betrieben mit geringem Ange-
nes Grundmusters der Konfliktpartner-                                                                            stelltenanteil sowie bei besonders guter
schaft.3 Unterschiedliche Interessen wer-      4.1 GROßE SPANNBREITE BEI                                         wirtschaftlicher Lage bzw. expandierenden
den als legitim angesehen, ein betrieblich     ÜBERSCHREITERANTEILEN                                             Betrieben.
vermittelbarer und tragfähiger Kompro-                                                                                Da sich in der Frage der Eingruppie-
miss gilt dennoch als gemeinsam geteilte       Auch wenn tarifvertraglich geregelt ist, dass                     rung sehr unterschiedliche betriebsstruk-
Zielperspektive. Angestrebt wird eine sach-    durch ERA keine individuellen Einkom-                             turelle, historische und strategische Ein-
lich-fachlich korrekte Umsetzung des Tarif-    mensnachteile entstehen, spielt die soge-                         flussfaktoren überlagern, lassen sich die
vertrags, die aber pragmatische Anpassun-      nannte „Überschreiter-Frage“ (Personen                            Überschreiteranteile kaum auf einzelne
gen an betriebliche Gegebenheiten nicht        mit Überleitungszulage) in den Betrieben                          Konstellationen zurückführen. Erwartungs-
ausschließt.                                   eine erhebliche Rolle. Ungeachtet der tarif-                      konform ist allerdings der Befund, dass es
    Unter Beteiligungsgesichtspunkten –        dynamischen Absicherung werden Über-                              einen engen Zusammenhang zwischen den
Beteiligung und Mitgliederbindung haben        leitungszulagen von den Beschäftigten als                         Typen der ERA-Umsetzung und dem An-
programmatisch in der IG Metall durchaus       Ausdruck eines Verlustes an betrieblicher                         teil von Überleitungszulagen gibt (Abbil-
eine Rolle gespielt – stellen die ERA-Ein-     Anerkennung und Zeichen verringerter                              dung 1): Betriebe mit hohen Anteilen von
führungsprozesse nur in einer Minderheit       Wertschätzung der eigenen Arbeit erlebt.                          Überleitungszulagen gehören fast durch-
der Betriebe eine Veränderung der eher re-     Teile des Einkommens gelten mit einem                             weg zu den Typen III und IV (begrenzte
präsentativen Interessenvertretungspraxis      Male als „nur noch zugestanden“, aber                             Konflikte, konflikthafte ERA-Umsetzung).
dar. Eine systematische, breitflächige Ein-    nicht mehr als „verdient“. Vor diesem Hin-
beziehung der Belegschaft beim zentralen       tergrund erstaunt es daher auch nicht, dass
Thema Eingruppierung ist nur in wenigen        der Anteil von Personen mit Überleitungs-
Betrieben erfolgt.4 Verbreitet sind Vorge-     zulagen in hohem Maße für das Ausmaß                              3       Bezogen auf die 22 durchgeführten Kurzfallstu-
                                                                                                                         dien lässt sich dieser Befund insofern konkretisie-
hensweisen, bei denen Beschäftigte eher        an Unruhe in den Betrieben verantwortlich                                 ren, als bei der Mehrheit der Betriebe der Umfang
fallweise aufgefordert wurden, Arbeits-        ist.                                                                      von Reklamationen unter 10 % lag und in nur fünf
platzbeschreibungen zu überprüfen. Ein              Bei den Überschreiteranteilen lassen                                 Betrieben eine Quote von mindestens einem Drit-
Beteiligungsschub hat in der großen Mehr-      sich zwischen den Betrieben erhebliche                                    tel erreicht wurde. Ein ähnliches Bild einer geringen
                                                                                                                         Zahl von Reklamationen ergibt sich auch auf der
heit der Betriebe nicht stattgefunden. Der     Unterschiede feststellen (Tabelle 1). In den                              Grundlage von Daten, die auf Rückmeldungen
notwendige zeitliche Aufwand und die           Fallstudienbetrieben finden sich nicht we-                                von Betriebsräten an die Bezirksleitung der IG Me-
Komplexität sowie Brisanz der Thematik         nige Betriebe mit Quoten, die unter 20 %                                  tall basieren: Knapp 30 % der Betriebe hatte kei-
haben vielfach eher dazu geführt, dass der     liegen, es gibt jedoch auch Fälle, in denen                               ne Konfliktfälle, in über zwei Dritteln der Betriebe
                                                                                                                         lag die Quote bei bis zu 10 %.
Einführungsprozess auf beiden Seiten in        über 80 % der Beschäftigten eine Überlei-                         4       Die Beteiligung der Beschäftigten durch den Be-
den Händen einer überschaubaren Gruppe         tungszulage erhalten. In gut einem Drittel                                triebsrat im Prozess der Eingruppierung vor Be-
betrieblicher Experten lag.                    der Betriebe, aus denen Daten vorliegen,                                  kanntgabe des Ergebnisses reicht von kompletter
                                               übersteigt der Überschreiteranteil 50 %. In                               Nichtbeteiligung über persönliche Ansprache in
                                                                                                                         klärungsbedürftigen Einzelfällen bis hin zu syste-
                                               den jeweiligen Quoten schlagen sich ver-

4
                                                                                                                         matischer Ansprache und/oder der Aufforderung,
                                               schiedene Einflussfaktoren sowie spezifi-                                 eigene Arbeitsbeschreibungen zu erstellen. Bei der
                                               sche betriebliche Konstellationen nieder.                                 Beteiligung von Bereichsleitern erstreckt sich die
ERA-Wirkungen                                  Wobei neben der aktuellen wirtschaftli-                                   Bandbreite von Beispielen, in denen Arbeitsbe-
                                                                                                                         schreibungen und Eingruppierung von diesen
                                               chen Situation und der Bedeutung von Per-                                 komplett selbst erstellt wurden, bis hin zu Fällen,
Zwar ist ERA im Tarifgebiet Niedersachsen      sonalkostenreduktionsstrategien bei der                                   in denen vom Personalbereich erstellte Beschrei-
im Herbst 2008 erst in der Hälfte der knapp    ERA-Einführung vor allem das Ausmaß ei-                                   bungen und Eingruppierungen lediglich gegenge-
200 Betriebe eingeführt, und es ist nicht      ne Rolle spielt, in dem in früheren Zeiten                                lesen und abgeglichen wurden. Eher die Ausnah-
                                                                                                                         me – und eher in kleineren Abteilungen sowie in
auszuschließen, dass die Späteinführer in      betriebliche Lohnpolitik betrieben wurde,                                 Angestelltenbereichen anzutreffen – sind Fälle, in
höherem Maße mit besonderen Bedingun-          die zu einer positiven Lohndrift geführt                                  denen die Bereichsleiter ihrerseits die Beschäftig-
gen (höhere Kostensteigerungen oder grö-       hat. Besonders niedrige Anteile von Be-                                   ten einbezogen haben.

130       WSI Mitteilungen 3/2009
Abb. 1: Beschäftigte mit Überleitungszulage nach Umsetzungstypen                                                            lierer“), deutliche und vergleichsweise
  (Überschreiter) - in % -                                                                                                    einheitliche Muster feststellen.5 Je nach
                                                                                                                              konkreter betrieblicher Situation und bis-
                                                Betriebe                                                                      heriger Eingruppierungspraxis können
                                          System (84%*)
                                                                                                                              Tätigkeitsbereiche oder Personengruppen
                konflikthaft

                                                                                                                              zwar unterschiedlich betroffen sein, im
                  Typ IV

                                          Maschinenbau
                                                                                                                              Kern finden sich jedoch wiederkehrende
                                               D (53%)
                                             Aggregate                                                                        Einflussfaktoren.
                                                 (16%)                                                                             Aus tarifsystematischen Gründen ent-
                                            Verpackung                                                                        stehen niedrigere Eingruppierungen bzw.
                begrenzte Konflikte

                                                 (20%)
                                              Transport
                                                                                                                              Überleitungszulagen insbesondere bei mitt-
                                                                                                                              leren Angestellten: teils weil berufserfah-
                      Typ III

                                                 (45%)
                                              Antrieb A                                                                       rungsbedingte Gehaltsstufensprünge ent-
                                                 (50%)                                                                        fallen, häufiger noch jedoch deshalb, weil
                                              Anlagen
                                                                                                                              mittlere Angestellte aufgrund der geringen
                                                 (64%)
                                          Feinmechanik                                                                        Anzahl von Gehaltsgruppen im alten Sys-
                                                 (60%)                                                                        tem besonders hoch eingruppiert waren
                kooperativ-getrennt

                                             Rohr (20%)                                50%                                    (Tabelle 2). Effekte, die sich aus der bisheri-
                                           IT-Zulieferer
                                                                                                                              gen Eingruppierungspraxis ergeben, spie-
                                                                                                                              len insgesamt eine große Rolle. Beschäftig-
                      Typ II

                                                 (39%)
                                             Gießerei A                                                                       te mit Überleitungszulagen finden sich in
                                                 (20%)                                                                        der Hauptsache in Tätigkeitsbereichen bzw.
                                          Maschinenbau
                                               B (35%)
                                                                                                                              bei Personengruppen, die aus unterschied-
                                              Elektronik                                                                      lichen Gründen (arbeitsmarktbedingt, be-
                                                 (50%)                                                                        sonderer betrieblicher Stellenwert) bisher
                                          Maschinenbau
                kooperativ-
                              gemeinsam

                                                                                                                              besonders gut eingruppiert waren. Auf-
        Typ I

                                               C (50%)
                                             Navigation                                                                       grund der Ausrichtung der Entgeltgruppen
                                                 (37%)                                                                        an Anforderungsniveaus, die mit formalen
                                                                                                                              Qualifikationsniveaus einhergehen (Meis-
                                                       0%         20%          40%          60%       80%         100%
                                                                                                                              ter-, Techniker-, Fachhochschulniveau),
  *Anteil Angestellte in %.                                                                                                   kommt es gerade im mittleren Bereich
  Quelle: Fallstudien SOFI.                                                                                                   gehäuft zu Überleitungszulagen.
                                                                                                                                   Von tarifsystematischen Effekten und
Tabelle 2: Überschreiteranteile (ÜLZ) nach Entgeltclustern – in % –                                                           Folgewirkungen historisch gewachsener
Entgeltcluster:        Lohn- Überschreiter-                         Gehalts-    Überschreiter-    Entgelt-   Überschreiter-   Eingruppierungspraktiken zu unterschei-
Anforderungs-         gruppen anteil nach                           gruppen      anteil nach      gruppen     anteil nach     den sind Überleitungszulagen, die sich eher
niveau der                       alter                                          alter Gehalts-               neuer Entgelt
Tätigkeiten                   Lohngruppe                                            gruppe                     -gruppe        als Folge technologischen Wandels sowie
                        LG 1                                                                                                  veränderter Ausbildungsinhalte erklären
                                                                                                    E2
Keine
                        LG 2
                                                                        GG 1                                                  lassen. D.h. sie greifen dann, wenn die Ar-
3-jährige               LG 3                                                                                                  beitstätigkeit im Zuge veränderter Rahmen-
                                 11,5                                                39,1           E3           27,4
Ausbildung              LG 4
erforderlich                                                                                                                  bedingungen geringere formale Qualifika-
                        LG 5
                                                                        GG 2                        E4                        tionen erfordert. Eher unspezifisch, quan-
                        LG 6
3-jährige Ausbildung LG 7                                                                           E5           18,5
                                                                                                                              titativ aber sehr wohl bedeutsam, sind
(evtl. mit betrieb-     LG 8                                                                        E6                        schließlich Überleitungszulagen, die da-
licher Weiterbildung)            17,6                                   GG 3         44,2
                        LG 9                                                                        E7                        raus resultieren, dass individuelle Tätig-
3-jährige Ausbildung                                                                                E8                        keitswechsel auf geringerwertige Arbeits-
und berufliche                                LG 10        27,6         GG 4         56,0           E9           56,5         plätze in der Bezahlung bisher nicht nach-
Weiterbildung                                                                                      E 10                       vollzogen wurden.
Fachhochschul-                                                          GG 5         72,3          E 11          71,6
abschluss                                                                                                                          Diesem Bündel von Verursachungszu-
Universitätsabschluss                                                   GG 6                       E 12                       sammenhängen für niedrigere Eingruppie-
                                                                                     71,2                        46,4
                                                                        GG 7                       E 13

Quelle: Fallstudien SOFI.                                                                                                     5   In finanzieller Hinsicht erleidet die hier als „Verlie-
                                                                                                                                  rer“ bezeichnete Personengruppe aufgrund der
                                                                                                                                  Überleitungszulage keinen Verlust, die betriebli-
4.2 STRUKTURELLE WIRKUNGEN:                                               stark differieren, lassen sich bei der Frage,           chen Entgelte werden sogar tarifvertraglich abge-
GEWINNER UND VERLIERER                                                    welche Tätigkeiten bzw. Personengruppen                 sichert. Wir folgen jedoch den Situationsdeutun-
                                                                                                                                  gen und Selbst-/Fremdwahrnehmungen in unse-
                                                                          eher mit höheren Tarifentgelten zu rechnen              rem Untersuchungsfeld, bei denen die Aspekte
Während die Anteile von Beschäftigten mit                                 haben („Gewinner“) und wo typischerwei-                 fehlender Anerkennung und Unsicherheitsgefüh-
Überleitungszulagen zwischen Betrieben                                    se Überleitungszulagen entstehen („Ver-                 le eine erhebliche Rolle spielen.

                                                                                                                                             WSI Mitteilungen 3/2009
                                                                                                                                                                                 131
rungen stehen auf der anderen Seite nur          Abb. 2: Differenzbeträge beim Entgelt - in Euro -
wenige Konstellationen gegenüber, die bei
ERA zu einer höheren Bezahlung oder gar                                                          20

                                                                                Unterschreiter
                                                 Anzahl der Abweichungen in %
höheren Eingruppierung führen und bei
                                                                                                 15
denen es sich zumeist um Effekte der
Durchsetzung des Gleichbehandlungs-                                                              10
grundsatzes handelt. Quantitativ bedeut-                                                         5
sam ist vor allem die Gruppe der bisherigen                                                       0

                                                                                Überschreiter
Zeitlöhner, bei denen sich höhere ERA-                                                            5
Entgelte tarifsystematisch aufgrund der ge-                                                      10
rade im Facharbeiterbereich deutlich an-
                                                                                                 15
gehobenen Grundentgelte ergeben. Ferner
profitieren vor allem jüngere Beschäftigte,                                                      20
                                                                                                      über    bis    bis   bis    bis       0      bis      bis     bis      bis    über
insbesondere im Angestelltenbereich. Die-                                                             -500   -500   -200   -50    -10              10       50      200      500    500
se Gruppe konnte altersbedingt an den Se-
nioritätsvorteilen, die das alte Tarifsystem                                                                  Höhe der Abweichungen in € (Überschreiter, Unterschreiter)
geboten hatte, ohnehin nicht partizipieren.                                                                                   Überschreiter: ca. 35 %
Die ERA-Einführung bedeutet für sie eine                                                                                      gleich geblieben: ca. 33 %
                                                                                                                              Unterschreiter: ca. 32 %
sofortige Höhergruppierung. Gleiches gilt
für weibliche Beschäftigte, vor allem für        Quelle: Fallstudien SOFI.

Produktionsarbeiterinnen, – zumindest
dann, wenn es vor ERA Frauen benachtei-
ligende Lohndifferenzen im Vergleich zu        Tabelle 3: Tarifliche Mehrkosten durch ERA
                                               Zunahme der Tarifentgeltsumme in %                                                          Fallstudien               Rückmeldedaten
männlichen Beschäftigten mit ähnlichen                                                                                                  (Anzahl Betriebe)          (n=46 Betriebe) in %
Tätigkeiten gab. Gleichwohl dürfte die „Ge-    0–1                                                                                              4                          24
winner/Verlierer-Bilanz“ unter Genderge-       über 1 bis unter 2                                                                               5                          35
sichtspunkten für Frauen bei ERA eher ne-      2–2,7                                                                                            2                          15
gativ ausfallen, weil in der Metall- und       ca. 2,79                                                                                         4                           9
Elektroindustrie die Anteile von Frauen in     über 2,79                                                                                        2                          17

der Produktion bzw. in gemischt-ge-            Quelle: Fallstudien SOFI; Erhebung IG Metall; Berechnungen der Autoren.
schlechtlichen Arbeitsbereichen ungleich
geringer sind als die der Frauen, die in den
durch ERA heruntergestuften Bereichen          4.3 MATERIELLE WIRKUNGEN                                                                 nicht für einen Zusammenhang zwischen
arbeiten: als mittlere, kaufmännische An-      BILANZIERT                                                                               den Umsetzungstypen und den materiellen
gestellte im Sekretariatsbereich oder als                                                                                               Ergebnissen beim Entgeltvolumen (Abbil-
technische Zeichnerin.                         Auch im Tarifgebiet Niedersachsen gilt,                                                  dung 3).
    Verglichen mit ersten vorliegenden Be-     dass Kostenneutralität laut Definition des                                                   Verteilungspolitisch fügt sich somit
funden aus anderen Tarifgebieten scheinen      Tarifvertrags bei betrieblichen Mehrkosten                                               auch die ERA-Bilanz in die seit einer
sich für das Tarifgebiet Niedersachsen recht   von 2,79 % gegeben ist.6 Auffällig ist bei                                               ganzen Reihe von Jahren konstatierte Ten-
ähnliche Gewinner- und Verlierergruppen        den Tarifentgelten als wichtigem Indikator                                               denz einer moderaten Lohnpolitik ein (Bis-
herauszubilden. Im Abgleich mit vorlie-        der materiellen Wirkungen von ERA zu-                                                    pinck 2007). Wie sich ERA in materieller
genden Daten aus Baden-Württemberg be-         nächst wiederum die große Spannbreite                                                    Hinsicht auf Dauer auswirkt, ist derzeit
wegen sich zudem die aggregierten Effekte      (Tabelle 3). Nur eine Minderheit der Be-                                                 nicht sicher einzuschätzen. Zunächst ein-
für Über- und Unterschreiter in vergleich-     triebe erreicht oder überschreitet eine Er-                                              mal lassen sich die Überleitungszulagen
baren Größenordnungen: Der derzeit et-         höhung der tariflichen Entgeltsumme um                                                   potenziell jedoch als von den Betrieben
was geringeren Überleitungszulagenquote        2,79 %. Dem stehen auf der anderen Seite                                                 mittel- und langfristig einzusparende Per-
von 43 % in Niedersachsen steht ein Über-      Betriebe gegenüber, die teils aufgrund von                                               sonalkosten interpretieren. Sobald Beschäf-
schreiteranteil von 54 % in der baden-         Standortsicherungsvereinbarungen keine                                                   tigte aus dem Betrieb ausscheiden, entfallen
württembergischen Befragung gegenüber          oder allenfalls eine geringe Steigerung der                                              die Überleitungszulagen für nachrückende
(vgl. Bahnmüller/Schmidt in diesem Heft).      Tarifentgeltsumme verzeichnen. Auch un-                                                  Personen; niedrigere Eingruppierungen
Ein ebenfalls über die verschiedenen Tarif-    ter der Annahme, dass im weiteren Verlauf                                                der ERA-Einführung werden dann entgelt-
gebiete hinweg ähnliches Ergebnis ist, dass    der ERA-Einführung die Quote der Betrie-                                                 wirksam. Ob sich die mit diesem Kalkül
die durchschnittlichen Euro-Beträge der        be mit Kosten über 2,79 % noch steigt,
Überleitungszulagen über den Entgeltzu-        dürfte bezogen auf das Tarifgebiet insge-
wächsen durch ERA liegen. Während im-          samt eine Quote von 2,79 % deutlich un-
merhin 17 % der Beschäftigten Überlei-         terschritten werden – sowohl nach Betrie-                                                6   Im Tarifgebiet Niedersachsen bezieht sich der Wert
                                                                                                                                            auf die Erhöhung der Tarifentgeltsumme einschließ-
tungszulagen von über 200 € haben, liegt       ben gerechnet als auch nach Beschäftigten.                                                   lich der Überleitungszulagen. In genau diesem
der Anteil von Entgeltsteigerungen über        Anders als bei der Frage der Überschreiter-                                                  Umfang waren Tariferhöhungen in den Jahren
200 € nur bei gut 10 % (Abbildung 2).          quoten sprechen unsere Befunde bislang                                                       2002 bis 2005 nicht tabellenwirksam geworden.

132       WSI Mitteilungen 3/2009
Abb. 3: Tarifliche Mehrkosten - in % -                                                                         schen den Betriebsparteien sowie prinzi-
                                                                                                                 piell einheitliche Vorstellungen über künf-
                                             Betriebe                                                            tige Systeme gibt es bisher nur vereinzelt.
                                                                                                                      Gleichwohl bedeutet diese eher skepti-
             konflikthaft

                                       System (84%*)
                                                                                                                 sche Einschätzung der qualitativen ERA-
               Typ IV

                                        Maschinenbau
                                              D (53%)                                                            Wirkungen nicht, dass in den von uns un-
                                            Aggregate 0 %                                                        tersuchten Betrieben keinerlei Bewegung
                                                (16%)                                                            in der Frage der Entgeltsysteme zu beob-
                                          Verpackung
                                                (20%)                                                            achten wäre. In einem Teil unserer Fallstu-
             begrenzte Konflikte

                                             Antrieb A                                                           dienbetriebe hat es seit den 1990er Jahren
                                                (50%)                                                            sehr wohl Veränderungen gegeben. Diese
                   Typ III

                                            Gießerei B
                                                (20%)                                                            werden bei ERA fortgeschrieben; in ein-
                                              Anlagen                                                            zelnen Fällen ist es im Umfeld der ERA-
                                                (64%)                                                            Einführung, teils im Vorgriff, teils nachge-
                                            Schrauben 0 %
                                              (< 20%)                                                            lagert, auch zu einer beschleunigten Ver-
                                         Rohr (20%)
                                                                                                                 breitung von seit Längerem eingeleiteten
                                                                                                                 Entgeltsystemveränderungen gekommen.
             kooperativ-getrennt

                                            Bremsen
                                              (45%)                                     2,79%                    Verdichtet man die in einzelnen Betrieben
                                       Maschinenbau                                                              zu beobachtenden Trends und die in den
                   Typ II

                                            B (35%)                                                              Interviews formulierten Zielvorstellungen
                                           Antrieb B
                                              (50%)                                                              zu Tendenzaussagen, dann lassen sich – al-
                                        IT-Zulieferer                                                            lerdings mit der gebotenen Vorsicht –
                                              (39%)                                                              durchaus ein paar typische, wenn auch in
                                           Elektronik
                                              (50%)                                                              der Fläche eher schwach ausgeprägte Ent-
             kooperativ-

                                                                                                                 wicklungslinien unterscheiden. So werden
                           gemeinsam

                                       Maschinenbau
     Typ I

                                            C (50%)                                                              beispielsweise stückzahlbasierte Leistungs-
                                          Navigation
                                              (37%)                                                              lohnsysteme auf neue Prämiengrößen um-
                                                                                                                 gestellt und Prämienentgeltsysteme ausge-
                                                   0,0% 0,5% 1,0% 1,5% 2,0% 2,5% 3,0% 3,5% 4,0%
                                                                                                                 weitet, die sich an neuartigen Leistungs-
  *Anteil Angestellte in %.                                                                                      merkmalen wie Liefertreue, Lagerbestände
  Quelle: Fallstudien SOFI.
                                                                                                                 oder Qualitätskennziffern ausrichten. An-
                                                                                                                 dererseits dürfte der bislang hohe Zeitent-
angestrebten Personalkosteneinsparungen                           Tarifgebiet Niedersachsen bisher nahezu        geltanteil kaum sinken und könnte, durch
wirklich realisieren lassen, bleibt allerdings                    keine Verbreitung gefunden. Zielvereinba-      beschäftigungsstrukturelle Umschichtun-
abzuwarten.                                                       rungen sind insbesondere in Angestellten-      gen hin zu Dienstleistungstätigkeiten ver-
                                                                  bereichen in einigen Betrieben zwar mitt-      stärkt, sogar eher noch ansteigen. Gerade
4.4 QUALITATIVE ERA-WIRKUNGEN                                     lerweile Alltag, allerdings nicht als Grund-   Klein- und Mittelbetriebe scheuen nicht
                                                                  lage für Entgeltbestandteile. Bei der Über-    selten den für Leistungsentgeltsysteme not-
Während sich bei den materiellen ERA-                             führung vorhandener Entlohnungssysteme         wendigen organisatorischen Aufwand und
Wirkungen – bezogen auf die Entgeltlinie                          in ERA wird zumeist das im Tarifvertrag        ziehen auch aus diesem Grund die Flexibi-
insgesamt wie auf die Betroffenheit von Be-                       ohnehin vorgesehene Verfahren der redak-       litätsvorteile des Zeitentgelts vor. Während
schäftigtengruppen – stark differenzierte                         tionellen Anpassung bestehender Regelun-       Zielentgelt nach wie vor eher für Angestell-
Effekte nachweisen lassen, ist die Ausge-                         gen praktiziert. Dies muss gleichwohl nicht    tentätigkeiten diskutiert wird und sich ins-
staltung der Entgeltgrundsätze und Ent-                           heißen, dass auch in Zukunft bei Entgelt-      gesamt zumeist im Ideenstadium befindet,
geltsysteme durch ein hohes Maß an Kon-                           grundsätzen und Entgeltsystemen alles          gibt es in einigen Betrieben Bestrebungen,
tinuität geprägt.7 Knapp zwei Drittel der                         beim Alten bleibt. In einer Reihe von Be-      zumindest produktionsnahe Angestell-
Beschäftigten hatten Zeitlohn bzw. Gehalt                         trieben wurde in den Gesprächen sogar be-      tentätigkeiten in Prämienentgeltsysteme
vor ERA und haben jetzt Zeitentgelt; der                          tont, dass man die bisherigen Entgeltsyste-    einzubeziehen. Bei den Leistungsbeurtei-
Prämienlohn bzw. Prämienentgeltanteil                             me nur im ersten Schritt nicht geändert        lungen im Zeitentgelt befinden sich forma-
liegt bei gut einem Drittel. Akkordentgelt                        habe, für die Zukunft aber durchaus Ände-      lisierte Beurteilungssysteme bislang noch
ist fast vollständig verschwunden. Die Ge-                        rungen angedacht oder bereits im Gespräch      deutlich in der Minderheit. Zudem spielen
haltsempfänger und die bisherigen Zeit-                           seien. Da die Vorstellungen in vielen Fällen   gleichmäßige Verteilungen von Leistungs-
löhner werden bei ERA ganz überwiegend                            allerdings überaus vage sind und von den
in den Grundsatz Zeitentgelt überführt.                           Betriebsparteien nicht selten unterschiedli-
Wechsel des Entgeltgrundsatzes (von Zeit-                         che Zielsetzungen geäußert wurden, bleibt      7   Auch arbeitspolitische Effekte sind bei ERA bislang
lohn/Gehalt ins Leistungsentgelt oder vom                         abzuwarten, inwieweit es zukünftig, durch          nicht zu beobachten oder allenfalls schwach aus-
                                                                                                                     geprägt. Charakteristisch ist vielmehr, dass ERA
Leistungslohn ins Zeitentgelt) bleiben bis-                       ERA angestoßen, wirklich zu einer breit-           bestehende Tendenzen der Re-Taylorisierung oder
lang die Ausnahme. Das neuerdings tarif-                          flächigen Durchsetzung neuer Entgeltsys-           Höherqualifizierung festschreibt oder allenfalls als
vertraglich geregelte Zielentgelt hat im                          teme kommt. Feste Verabredungen zwi-               Verstärker ohnehin vorhandener Tendenzen wirkt.

                                                                                                                               WSI Mitteilungen 3/2009
                                                                                                                                                                 133
zulagen nach wie vor eine große Rolle. Bei     nicht zuletzt mit Konflikten auf der Ebene      heit beanspruchen zu wollen oder zu kön-
den Beurteilungssystemen ist jedoch ein        der Verbände einherging, steht der „Nie-        nen. Von den Tarifparteien in Niedersach-
Trend erkennbar, der auf die Abkehr von        dersachsen-Weg“ für eine konfliktdämp-          sen wird das ERA-Reformprojekt deshalb
rein subjektiven Verfahren („Nasenprä-         fende, ein hohes Maß an Kooperation auf         als Zeichen einer Stabilisierung des Flä-
mie“) abzielt und formalisierte Verfahren      der betrieblichen Ebene ermöglichende           chentarifvertrags gewertet und nicht als
etabliert – zudem finden Mitarbeiterge-        Umsetzungsstrategie. Die Strategien der         Pfadwechsel wahrgenommen.
spräche eine stärkere Verbreitung. Letztlich   Tarifvertragsparteien sowie die Ausgestal-          Im Ergebnis lässt sich die ERA-Ein-
bestätigen die bisherigen Befunde der ERA-     tung der Tarifregeln selbst basieren auf        führung also eher als Beleg für die fortbe-
Umsetzung das Bild früherer Untersuchun-       Orientierungen einer kooperativen Kon-          stehende Gestaltungskraft des Flächenta-
gen, dass neue Entgeltsysteme bislang nur      fliktverarbeitung. Die ERA-Umsetzung            rifvertrags interpretieren und nicht für des-
in einer Minderheit von Betrieben im Ein-      wurde ausdrücklich nicht als betriebliche       sen Bedeutungsverlust, Aushöhlung oder
satz sind und auch bei deren Ausbreitung       Verteilungsauseinandersetzung betrieben.        Umnutzung. ERA ist bei den beteiligten
keineswegs mit sprunghaft steigenden Zah-      Der Verzicht auf Kontinuitätsbrüche und         Akteuren im Großen und Ganzen akzep-
len zu rechnen ist (Schmierl 1996; Lay/        die Absicherungskomponenten unterstüt-          tiert: auf Arbeitgeber- wie Gewerkschafts-
Rainfurt 1999; Bahnmüller 2001).               zen eine pragmatische, tarifkonforme An-        seite hat es in nennenswertem Umfang we-
                                               passung der Entgeltstrukturen, vermeiden        der Austritte noch Eintritte gegeben. Die
                                               aber gleichzeitig, dass ERA als ein techni-     Umsetzungsverläufe von ERA in Nieder-

5
(Zwischen-)Bilanz
                                               scher Vorgang weitgehend entpolitisierter
                                               Regelanwendung von den Betriebsakteu-
                                               ren lediglich exekutiert wird. Der tarifliche
                                                                                               sachsen haben die Verpflichtungsfähigkeit
                                                                                               der Tarifparteien erwiesen; die betriebliche
                                                                                               Praxis bei Eingruppierungsfragen und Ent-
                                               Gestaltungsanspruch wurde von den Be-           geltsystemen ist wieder stärker durch Tarif-
Auch wenn es angesichts des Einführungs-       triebsakteuren aufgegriffen, und der Flä-       normen geprägt. ERA fügt sich zugleich in
standes und der bislang durchgeführten         chentarifvertrag hat an Regulierungskraft       eine allgemeine Tendenz ein, der zufolge
Erhebungen noch zu früh ist, die ERA-Um-       gewonnen, wobei den betrieblichen Gege-         Tarifverträge über verbindliche Normen
setzung im Tarifgebiet Niedersachsen ab-       benheiten ausdrücklich Rechnung getra-          hinaus zunehmend Optionen bereitstellen
schließend zu bilanzieren, deuten sich         gen wird und der Spielraum der Betriebe         und Prozessregelungen formulieren, die
schon jetzt einige wichtige Befunde an. Im     insbesondere in der Frage der Gestaltung        von den betrieblichen Akteuren ausgefüllt
Vergleich mit den bereits vorliegenden Un-     der Entgeltsysteme groß ist und sich ten-       werden müssen. Die betriebliche Interes-
tersuchungsergebnissen zu Baden-Würt-          denziell erweitert. Die Notwendigkeit, die      senvertretung ist immer weniger (nur) ta-
temberg (Bahnmüller/Schmidt 2007, 2008         Handlungsfähigkeit der betrieblichen Ak-        rifpolitischer Exekutor, sondern wird in
sowie dieselben in diesem Heft) fällt ins      teure zu sichern, wird von beiden Seiten        hohem Maße zu einer eigenständigen Ak-
Auge, dass die Unterschiede im Bereich der     gesehen: Der regionale Arbeitgeberver-          teursebene. Insofern stellt auch das Tarifre-
materiellen Wirkungen (Betroffenheit der       band NiedersachsenMetall betont zwar die        formprojekt ERA neue Herausforderungen
verschiedenen Beschäftigtengruppen und         Ordnungsfunktion von Tarifverträgen, for-       an die Austarierung des Verhältnisses von
Tätigkeitsbereiche, Überschreiterquoten,       muliert anders als Südwestmetall gegen-         tariflicher und betrieblicher Ebene, die
betriebliche Kosten, Verteilungsbilanz) zu-    über den Betrieben jedoch keinen starken        über den Zeitrahmen der ERA-Einführung
meist eher gering sind,8 in der Frage des      Gestaltungsanspruch. Er agiert eher in der      hinausreichen.
Einführungsprozesses jedoch erheblich. In      Rolle eines Dienstleisters und weniger als
beiden Tarifgebieten stellt ERA einen poli-    Treiber. Mit diesem Rollenverständnis folgt
tisch brisanten und überaus arbeits- und       er nicht nur der bisherigen regionalen Ta-
verhandlungsaufwendigen Prozess dar, der       riftradition, sondern entspricht beim The-
in seinen materiellen Wirkungen von den        ma ERA auch den Erwartungen der Betrie-         8   Eine Ausnahme stellt hierbei der in Baden-Würt-
Tarif- und Betriebsparteien vielfach unter-    be. Die IG Metall stellt den Betriebsräten in       temberg deutlich gestiegene, in Teilen aber auch
schätzt wurde. Während der Einführungs-        erheblichem Maße Informationen und                  aus dem veränderten Umgang mit Belastungen re-
                                                                                                   sultierende Anteil von Eingruppierungen unterhalb
prozess in Baden-Württemberg in einer          Schulungen zur Verfügung und liefert da-            des Eckentgelts dar. Im Tarifgebiet Niedersachsen
ganzen Reihe von Betrieben erhebliche          mit praktisches Orientierungswissen, ohne           scheint diese Quote weniger stark gestiegen zu
Auseinandersetzungen produzierte und           dabei ihrerseits jedoch eine Handlungsho-           sein.

134       WSI Mitteilungen 3/2009
LITERATUR
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Bekleidungsindustrie und im Bankgewerbe, München/Mering                        109
Bahnmüller, R./Schmidt, W. (2007): Auf halbem Weg. Erste Befunde zur           Reichel, F.-G. (2005): Das Regelungswerk ERA zur Neugestaltung der ta-
ERA-Umsetzung in Baden-Württemberg, in: WSI-Mitteilungen 7, S. 358–            riflichen Vergütung in der Metall- und Elektro-Industrie, in: Angewandte
364                                                                            Arbeitswissenschaft 183, S. 2–26
Bahnmüller, R./Schmidt, W. (2008):Der ERA und seine Umsetzung. Er-             Reichel, F.-G./Hofmann, A./Gryglewski, S./Bossemeyer, A. (2005): ERA.
fahrungen aus Baden-Württemberg, in: Bispinck, R. (Hrsg.): Verteilungs-        Der neue Entgeltrahmen der Metall- und Elektroindustrie, Leistung und
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Hamburg, S. 78–118                                                             Sadowsky, R. (2004): Der Entgeltrahmentarifvertrag in NRW: was lange
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