Erhalten als Chance - Architektenkammer Berlin

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Erhalten als Chance - Architektenkammer Berlin
BERLIN    [ DAB REGIONAL ]

                                                                                                   © Boris Trenkel
                                                                                                                     Hinter den Kulissen der Podcast-Produktion
                                                                                                                     (v.l.n.r.): Reinhart Bünger, Frauke Gerstenberg,
                                                                                                                     Theresa Keilhacker, Friederike Meyer,
                                                                                                                     Regula Lüscher, Uwe Rada

Erhalten als Chance
Beim Auftaktgespräch zum Tag der Architektur 2021 wurden Nachhaltigkeitsthemen in den Fokus gerückt.
Es zeigt sich, dass Berlin vorbildliche Projekte vorzuweisen hat. Da passt es gut, dass der Auftakt im Haus der
Statistik stattfand.

Text: Uwe Rada

D
            ie Krise als Chance begreifen. Die   Sanieren muss vor Neubau gehen und wenn                              Ebenfalls saniert wurde die Villa Heike in
            Architektenkammer Berlin hat die     Neubau, dann höchsten Ansprüchen an Nach-                            Alt-Hohenschönhausen, einer der ersten
            Coronakrise genutzt, um auch me-     haltigkeitskriterien genügen: Dieses Motto                           Stahlskelettbauten Berlins aus dem Jahre
            dial neue Wege zu gehen. „Der        Keilhackers bildete sich auch im Programm                            1910. Nach 20 Jahren Leerstand akut vom
erste Tag der Architektur, den man hören         des Tages der Architektur 2021 ab, der am 26.                        Verfall bedroht, wurde das Haus in den letz-
kann“, verkündete die Kammer schon im Vor-       und 27. Juni stattfand. Führungen gab es zum                         ten Jahren für eine Baugruppe von Christof
feld – und verwies auf den ersten Podcast zum    Beispiel zur Kita in die Malteserstraße von                          Schubert Architekten denkmalgerecht saniert.
Tag der Architektur. Darin kündigte Theresa      AMA Brandschutz (Architektur von baukind).                           Seit 2019 wird die Villa Heike als Atelier- und
Keilhacker, seit 20. Mai 2021 Präsidentin der    Es handelt sich dabei um eine Klosteranlage                          Bürohaus genutzt.
Berliner Architektenkammer, einen neuen          der Jahrhundertwende, die in den 1960ern                                Dem Nachhaltigkeitsgedanken, den Keil-
Schwerpunkt für ihre Arbeit an. „Ich habe mir    geschlossen und zum Sozialzentrum umge-                              hacker einfordert, entspricht auch das Bau-
vorgenommen, dass Nachhaltigkeit unser           baut wurde. Der Architekt nutzte damals die                          en mit Holz. So entstand an der Landsber-
selbstverständliches Leitbild im ausgewoge-      Gelegenheit und setzte ein Schwimmbad in                             ger Allee mit dem „Walden 48“ eines der
nen Dreiklang von ökologischen, ökonomi-         das alte Gemäuer. Und aus genau dem haben                            größten Holzgebäude Berlins. Eine Bau-
schen und sozialen Belangen wird und das         Fachplaner in Zusammenarbeit mit dem Büro                            gruppe realisierte dort mit dem Büro ARGE
Thema der ‚besonders erhaltenswerten Bau-        baukind jetzt eine Kita gemacht, in der die al-                      Scharabi | Raupach 43 Wohnungen und
substanz‘ (BEBS) für mich im Fokus steht. Der    te Schwimmhalle nach wie vor erkennbar ist.                         ­Gemeinschaftsräume auf sechs Geschossen
Bausektor ist für einen großen Anteil von Res-   In Sachen Erhalt grauer Energie also mehr als                        und 7.000 Quadratmetern Bruttogeschoss­
sourcenverwendung und CO2-Ausstoß verant-        vorbildlich: Man kann getrost sagen, dass ein                        fläche.
wortlich. Deshalb muss der Klimaschutz für       und dasselbe Bauwerk jetzt am Anfang seines                             Im Bereich Neubau stach auch die Rosa-­
uns viel mehr Priorität haben.“                  dritten Lebenszyklus steht.                                          Luxemburg-Stiftung bei den Führungen her-

DAB 08·21                                                                                                                                                               3
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vor. Sie steht nicht nur für ein positives Er-          der Statistik. „Der Paradigmenwechsel“, so
gebnis eines offenen Wettbewerbs, sondern               ­Lüscher, „ist die Hinwendung zu einer sehr viel
erreicht auch beim Bewertungssystem Nach-                mehr gemeinwohlorientierten Stadtentwick-
haltiges Bauen (BNB) den Silber-Standard.                lung.“ Das sei begleitet worden von einem
    Zu guter Letzt wurde in der Immanuel-                Top-Down-Ansatz zu einem eher partizipati-
kirchstraße 26 im Prenzlauer Berg ein Grün-              ven Prozess. „Kreativität zeigt sich nicht nur in
derzeitgebäude durch ein neues Dachge-                   der Architektur, im Räume gestalten, sondern
schoss in Holzbetonverbundkonstruktion auf-              auch sehr stark im Design, im Programmieren
gestockt. Auch das hatte Theresa Keilhacker              und Managen von Beteiligungsprozessen.“
im Podcast zum Auftakt des Tages der Archi-                  Zu welchen Ergebnissen das führt, zeigte
tektur angeregt: „Wenn wir nachverdichten,               sich beim anschließenden Rundgang durch
sollten wir vielleicht lieber in die Höhe gehen          das Haus der Statistik, zu dem Frauke Gersten-
und aufstocken als in die Freiräume reinzu­              berg, Professorin für Raumstrategien in Kiel,
grätschen, die ein sehr hohes Gut sind.“                 eingeladen hatte. So habe die „Material Mafia“,
    130 Führungen an mehr als 60 Orten wa-               eine der Pioniernutzungen im Haus, während
ren diesmal im Programm. Parallel dazu fand              der Pandemie großen Zuspruch bekommen.

                                                                                                                                                                © Philipp Obkircher
den ganzen Juni das Festival „Women in Ar-               Dort werden im Erdgeschoss an der Otto-­
chitecture“ WIA statt. Und Senatsbaudirekto-             Braun-Straße Reststoffe und Nebenprodukte
rin Regula Lüscher verabschiedete sich nach              aus Industrie und Handwerk, von Museen, Ga-
14 Jahren im Amt mit einer Werkschau in den              lerien und Messen gesammelt. Interessierte          Neubau Rosa-Luxemburg-Stiftung von
Räumen der Senatsverwaltung für Stadtent-                fragten nun an, ob sie dort auch Gegenstände        Kim Nalleweg + Trujillo Architekten
wicklung und Wohnen am Fehrbelliner Platz                einlagern könnten. So ist eine Art „Storage“
4. Dort werden 140 Projekte der Berliner Ar-             ohne kommerziellen Hintergrund entstanden.          Neubauten Platz für Verwaltungen und das
chitektur der vergangenen 15 Jahre gezeigt.                  Überhaupt ist das Haus der Statistik eine       Rathaus Mitte zu schaffen. Nachdem es Künst-
Im Podcast zum Auftakt des Tages der Archi-              Geschichte voller Energie. „Am Anfang war es        lerinnen und Künstler besetzt haben, ist dar-
tektur hatte Lüscher betont: „Diese 140 Pro-             eine kleine Gruppe, die die künstlerische Akti-     aus ein stadtentwicklungspolitisches Modell-
jekte stehen stellvertretend dafür, dass sich in         on durchgeführt hat“, erinnerte Frauke Gers-        projekt geworden. Die Architektenkammer
den vergangenen Jahren vieles in Berlin ver-             tenberg. „Das war die Initialzündung. Danach        Berlin gehörte zu den ersten Unterstützerin-
ändert hat.“                                             bekamen wir aber schon von der Stadt den            nen. Seitdem das Land Berlin das Gebäude mit
    An einigen Stellen habe es sogar einen Pa-           Auftrag, das ganze Verfahren mit zu begleiten.      seinen fast 100.000 Quadratmetern Geschoss-
radigmenwechsel gegeben, betonte die Se-                 So konnten wir nach und nach ein Team auf-          fläche gekauft hat, entwickeln dort die Genos-
natsbaudirektorin. Denn der Film zur Werk-               bauen. Jetzt sind wir von der Senatsverwal-         senschaft Zusammenkunft, der Senat, der Be-
schau beginne mit der Europacity, einem Pro-             tung für Stadtentwicklung und Wohnen mit            zirk, die Wohnungsbaugesellschaft Mitte und
jekt, das, so Lüscher, „sehr investorengetrieben         den ersten Planungsschritten beauftragt.“ Of-       die Berliner Immobilien Management GmbH
ist“. Am Ende des Films aber stehe das Haus              fiziell war das Haus der Statistik beim Tag der     gemeinsam die Sanierung des Bestands und
                                                         Architektur 2021 nicht dabei. Als Best              die Neubauten auf einer Fläche von 65.000
                                                         Practice-Beispiel für Prozessqualität aber hat      Quadratmetern. Im Haus der Statistik der Zu-
                                                         es jetzt schon seinen Platz im Berliner Archi-      kunft befinden sich nicht nur das Finanzamt
                                                         tekturgeschehen.                                    und das Rathaus Mitte, sondern auch Wohnun-
                                                             Für Kammerpräsidentin Theresa Keilhacker        gen und viel Platz für soziale und künstlerische
                                                         ist das Haus der Statistik auch deshalb ein         Projekte.
                                                         „besonderer Ort“. „Es ist ein Ort, mit dem Ber-         „Der Tag der Architektur ist ja jedes Jahr et-
                                                         lin werben kann. Die öffentliche Stadt schafft      was Besonderes“, sagte Theresa Keilhacker zu
                                                         Kooperation mit Andersmacherinnen in der            Beginn des Podcasts. Sie sollte Recht haben.
                                                         Stadt“, sagte sie. „Es wird anders und kreati-      Ganz konfliktfrei aber wird der Paradigmen-
                                                         ver entwickelt als unter dem normalen ökono-        wechsel, für den auch Keilhacker steht, nicht
                                                         mischen Verwertungsdruck.“                          verlaufen. Denn nicht nur Nachverdichtungen
                                                             Vor allem aber ist das Haus der Statistik ein   in Innenhöfen etwa der sechs landeseigenen
                                                         Beispiel für die veränderte Stadtentwicklungs-      Wohnungsbaugesellschaften rufen regelmäßig
                                                         politik der vergangenen Jahre. Ein gültiger Be-     Widerstand hervor. Auch viele der geplanten
                                               © HEJM

                                                         bauungsplan sah vor, das ehemalige Verwal-          Aufstockungen scheitern am Protest der Be-
Bauen im Denkmal: Kita Hisa Malteser von baukind         tungsgebäude der DDR abzureißen, um mit             wohnerinnen und Bewohner.                      p

4                                                                                                                                                   DAB 08·21
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Erlebnis Architektur: Tag der Architektur 2021

N
            achdem die Auftaktveranstaltung          in die Erzähl-Welt der Arche Noah aus der To-      den bereits geöffneten Höfe und der in Aus-
            noch ohne Öffentlichkeit stattfin-       ra ein. Pünktlich zur Eröffnung zogen auch die     sicht gestellten Öffnungen des EG und des
            den musste, war die Freude groß,         von ausgewählten Künstlern und Künstlerin-         1. OG für die Öffentlichkeit im Juli hielt sich
            dass der Senat die Auflagen für          nen kreierten, liebevoll gestalteten Tiere aus     die Enttäuschung derjenigen, die es nicht auf
Führungen und Veranstaltungen Ende Juni lo-          wiederverwertete n Materialien ein, die die        die Besucherlisten geschafft hatten, dann in
ckern konnte. Projektplanende und Kammer-            Kinder während der Führung allesamt begeis-        Grenzen.
mitglieder begrüßten Architekturinteressierte        terten.
am 26. und 27. Juni an vielen verschiedenen              Das Humboldt-Forum hatte bereits einen
Orten in Berlin, wo das Interesse an der ge-         sehr hohen Andrang während der Anmelde-
bauten Umwelt ungebremst war.                        zeit zu verzeichnen. Weit über 400 Interessier-        Presse-Medienresonanz:
    „Nach einem erfolgreichen Tag der Archi-         te standen auf der Warteliste. Dank der bei-           Der Tag der Architektur wurde von der
tektur kann ich sagen, dass es ein rundherum                                                                Berliner Tagespresse intensiv b
                                                                                                                                          ­ eworben,
gelungener Tag war. Wir verzeichneten über                                                                  auch rbb Rundfunk sowie rbb Abend-
die gesamte Öffnungszeit rund 100 Gäste in                                                                  schau haben Beiträge und Besucher-
unserem Büro und führten neben den ange-                                                                    tipps gebracht.
botenen Vorträgen viele interessante Gesprä-                                                                Über 31.000 Besucher informierten
che.“ Das Büro roedig . schop architekten, das                                                              sich über das Architekturprogramm
Führungen im Außenbereich der neu errich-                                                                   auf unserer Website ak-berlin.de.
teten Wohnanlage Johannisgärten in Adlers-
hof durchführte, meldet sich zurück mit den
Worten, „man hatte das Gefühl, dass die Men-
schen es vor allem auch genossen haben, wie-
der einmal real bei Veranstaltungen dabei sein
zu können.“
   Direkt gegenüber des Jüdischen Museums
eröffnete zum Tag der Architektur die Kinder-
welt ANOHA. Der Entwurf des US-amerikani-
schen Büros Olson Kundig Architecture and
Design ging aus einem international ausge-
schriebenen Wettbewerb hervor. Das in die
ehemalige Blumengroßmarkthalle integrierte
Herzstück ist ei­ne kreisförmige Arche-Struk-
tur aus Holz. Die Architekturführungen luden         ANOHA Kindermuseum, Kreuzberg                      Führung durch den Wohnungsbau th62, Pankow

                                                                                                                                                           alle Fotos © Architektenkammer Berlin

Offenes Büro ZRS Architekten Ingenieure, Kreuzberg                            Offenes Büro Burckhardt+Partner, Mitte

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Auf großes Interesse stieß auch die Führung        Michels öffnete neben Führungen durch Pro-          tektur teilzunehmen. Neben einer Führung
von zanderrotharchitekten durch den Woh-           jekte an den jeweiligen Adressen auch die Tü-       durch das Alfred-Wege­ner-Institut für Polar-
nungsneubau th62 in Pankow. Entstanden auf         ren ihres Friedrichshainer Bürostandorts. Ei-       und Meeresforschung in Potsdam präsentier-
einem ehemals gewerblichen Areal befinden          gens für den Tag der Architektur wurde die          te das Architekturbüro sei­ne Verbundenheit
sich die sechs freistehenden Stadthäuser in ei-    neu angemietete und noch unsanierte Büro­           mit der Schweiz: Per Live-Stream konnte man
ner parkähnlichen, autofreien Stadtlandschaft      etage kurzerhand zur riesigen Ausstellungs-         Andreas Ruby, den Direktor des Schweize­
mit vielfältig gestalteten Außenräumen. Zur        fläche umfunktioniert, in Pandemiezeiten mit        rischen Architekturmuseums S AM, auf einer
Verbesserung des Mikroklimas wurden auf            großem Abstandsbedarf perfekt. Vorträge             Fahrrad-Fahrt entlang des Baseler Rheinufers
den umlaufenden Terrassen und Dachflächen          über das Entstehen von Projekten sowie ein          begleiten.
2.460 Pflanztröge integriert, die die Holzfas-     Podium zu den Arbeitsprozessen aller Leis-              Wir danken allen Beteiligten für ihr En-
sade als „vertikale Gärten“ ergänzen werden.       tungsphasen lockten sowohl Fachpublikum als         gagement und die vielen kreativen Ideen, die
   Neben zahlreichen ausgebuchten Architek-        auch Architekturneulinge an.                        dazu beigetragen haben, Architektur erlebbar
turführungen lockten auch die offenen Büros           Das Büro Burckhardt+Partner lud dazu ein,        zu machen. Bis zum nächsten Mal!          p
viele Kurzentschlossene. Das Architekturbüro       vor Ort oder von zu­hause am Tag der Archi-

Vorstand der Architektenkammer Berlin würdigt Arbeit von
Senatsbaudirektorin Regula Lüscher

D
             er 11. Vorstand der Architekten-      Städtebau, Stadtentwicklung, Baukunst und           als Kreislaufsystem zu begreifen, das sich als
             kammer Berlin bedankt sich bei        Lebensqualität sind gesellschaftliche Werte,        urbane Mine laufend aus sich selbst heraus er-
             der scheidenden Senatsbaudirek-       für die mit Weitblick über Legislaturperioden       neuert, ist eine solche unabhängige Stimme
             torin herzlich für 14 Jahre kons­     hinaus gekämpft werden muss – und das               unverzichtbar.
truktiven Miteinanders. Regula Lüscher hat in      fachlich fundiert und mit höchstem ethischen           Senatsbaudirektorin Lüscher hat diesen
ihrer Amtszeit enorm viel geleistet – für die      und sozialen Anspruch. In einer Zeit des Wan-       nachhaltig angelegten Prozess mit ihrer mo-
Stadt, ihre Baukultur und nicht zuletzt für An-    dels, in der es gilt, den Stadtumbau unter dem      derierenden Persönlichkeit intensiv begleitet.
sehen und Wertschätzung von Berlins Archi-         Vorzeichen des Klimawandels voranzutreiben,         Die künftige Ausgestaltung ihres Amts sollte
tektinnen und Architekten, Stadtplanerinnen        das Primat des Substanzerhalts durchzuset-          dieser Unabhängigkeit auch einen starken
und Stadtplanern.                                  zen und die Stadt, eingebettet in ihrer Region      strukturellen Rahmen geben.                p
    In ihrer eher leisen, aber nicht weniger
nachdrücklichen Art und mit einem guten Au-
ge für Qualität hat Regula Lüscher in Berlin ei-
ner Planungskultur zum Durchbruch verholfen,
in deren Mittelpunkt Prozessqualitäten stehen
und die deshalb auch in Zukunft auf Diskurs,
Debatte und Beteiligung setzen muss.
    Die Denkpause, die nun ansteht, bis die
Position nach den Wahlen im September neu
besetzt wird, sollte klug genutzt werden: we-
niger für die Personaldebatte, mehr jedoch,
um die Aufgaben der Senatsbaudirektion mit
Blick auf die Zukunft der Berliner Stadtent-
wicklung breit zu diskutieren. Geradezu
selbstverständlich muss die Rolle der Senats-
baudirektion gestärkt werden, um abseits von
                                                                                                                                                          © Boris Trenkel

der Tagespolitik Position zu zentralen Fragen
einer integrativen Stadtentwicklung einneh-
men zu können.                                     Regula Lüscher am 15. Juni 2021 während der TdA-Podcast-Produktion im Haus der Statistik

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Erhalten als Chance - Architektenkammer Berlin
BERLINAKTUELLES                                                                                                               [ DAB REGIONAL ]

Die zukünftige Bedeutung der Digitalisierung für die
Landschaftsarchitektur
Text: Dr. Elke Mertens

P
           lanungen entstehen heute üblicher-    bei einjährigen Sommerblumen über mehrere        sind weiterhin noch fehlende Tools zu entwi-
           weise in den Büros und Verwaltun-     Jahre bei Stauden und Sträuchern bis weit        ckeln, um Topografie, Kurven, unter- und
           gen an Computern, damit geht es       über hundert Jahre Lebenserwartung be-           oberirdische Bauwerke und Installationen ab-
           nicht mehr nur um die gezeichne-      stimmter Baumarten reicht. (Fast) unendlich      zubilden und auch die Folgearbeiten im An-
ten Striche, sondern um erzeugte digitale Da-    kann Rasen leben – eine gute, fachgerechte       schluss an die Fertigstellung verfolgen zu kön-
ten. Diese können im eigenen Büro verbleiben     Pflege vorausgesetzt. Diese notwendigen          nen. Die Landschaftsarchitektur hat neben
oder für gemeinsame Projekte mit Kooperati-      Pflegemaßnahmen können schon vor der             dem allgemeinen Nachholbedarf wie alle am
onspartnern ausgetauscht werden. Für die         Grundlagenermittlung grob, für die Ent-          Bau Beteiligten besondere Bedarfe.
Landschaftsarchitektur bedeutet die Digitali-    wurfsphase konkret ermittelt und kalkuliert         Neben der Projektentwicklung bietet
sierung zum einen das Schritthalten mit ande-    werden, die Einbindung in BIM ermöglicht die     künstliche Intelligenz oder das Machine Lear-
ren an Projekten Beteiligten und zum anderen     dauerhafte Pflege im Sinne der Entwurfsab-       ning für Flächenplanungen Möglichkeiten, um
neue Möglichkeiten für komplexe Aufgaben         sichten. Diese Phase nach der Fertigstellungs-   große anfallende Datenmengen (Stichwort:
beispielsweise im Bereich der gemeinsamen        und Entwicklungspflege wird leider nur allzu     Big Data) aus Boden-, Klima-, Luftverhältnis-
Projektentwicklung, der Landschaftsplanung       oft nicht ausreichend geplant und kontinuier-    sen, der Flora und Fauna zum Beispiel in der
einschließlich dem Natur- und Artenschutz        lich umgesetzt, obwohl mangelhafte Pflege        Eingriffsregelung zu bewerten, zu sortieren
und dem Freiflächenmanagement.                   der Vegetation sich später nicht immer aus-      und zukunftsfähige Lösungen für einen nach-
   Im Idealfall startet ein Bauprozess auf der   gleichen lässt.                                  haltigen Naturhaushalt zu generieren oder
Grundlage offener urbaner relevanter Daten           Heute werden kaum Freiflächenplanungen       Entscheidungen zu unterstützen. Eine solche
mit der digitalen Entwurfs- und Genehmi-         mit BIM durchgeführt, und die Pflege der         Verwendung der Verarbeitung naturbezoge-
gungsplanung mit Abstimmung aller Beteilig-      Pflanzen wird gerade in Zeiten des Klimawan-     ner Daten sollte keine persönlichen Ängste
ten über BIM. Dabei sollte die Landschaftsar-    dels kaum bis nie beispielsweise auf die hö-     schüren und unter Einhaltung des Datenschut-
chitektur von Anfang an in alle Prozesse und     heren Wasserbedarfe, die Anfälligkeit gegen-     zes konfliktarm einsetzbar sein. Vorausset-
Abstimmungen eingebunden werden, um die          über höheren Temperaturen und neuer              zung sind die Transparenz im Umgang mit
Planung von der Freiraumgestaltung sowie         Schädlinge und Krankheiten ausgerichtet. Be-     den Daten und die Beteiligung Betroffener.
dem Arten- und Biotopschutz vorzubereiten        rechnungen der unterschiedlichen Bedarfe         Die Auswirkungen der Digitalisierung können
und zu begleiten. Erfahrungsgemäß sind die       werden nicht verlangt oder geliefert, so dass    vielfältig sein; es ist unsere Aufgabe, sie sinn-
beteiligten Verwaltungsabteilungen noch          Freiflächen oder auch „nur“ die Straßenbäu-      voll zu entwickeln und einzusetzen und dabei
nicht ausreichend digital ausgestattet, dass     me nach der Pflanzung insgesamt zu wenig         die notwendige Offenheit zu entwickeln. Nicht
der Genehmigungsprozess zügig abgewickelt        betreut werden. Die Folgen sind den Pflanzen     nur für die Datenermittlung, auch für ihre
werden kann. Jede Baumaßnahme sollte weit        fast überall in den Städten anzusehen, unter     Speicherung, Verwendung und Weitergabe
vor der Grundlagenplanung durch geeignete        anderem durch schnellere Vergreisung oder        sind geeignete Verfahren und Sicherheiten
Datenbereitstellung vorbereitet werden und       früheren Laubfall. Sie leisten weniger Abküh-    noch zu entwickeln.                           p
nach der Fertigstellung von Gebäuden und         lung durch geringere Verdunstungsmöglich-
Freiräumen über die Fertigstellungs- und Ent-    keiten während der Vegetationsperiode und
wicklungspflege hinaus geplant und betreut       erreichen oft nur eine Lebensdauer, die nicht
werden. Der Life Cycle ist bei Freianlagen ei-   einmal bis zur vollen Leistungsfähigkeit der
nerseits abhängig von der Nutzung und der        Bäume reicht.
Lebensdauer der Materialien von Wegebelä-            Was ist zu verbessern? Landschaftsarchi-
gen und Spiel-/Sportgeräten sowie der            tektinnen und Landschaftsarchitekten müssen
Möblierung und anderen leblosen Werkstof-        von Beginn an in den Planungsprozess einge-
fen und Geräten. Andererseits ist ganz vorran-   bunden werden, alle Beteiligten stimmen sich
gig die Lebensdauer der einzelnen Pflanzen       über den geeigneten BIM-Workflow ab und
zu berücksichtigen, die von einigen Monaten      praktizieren diesen. Für die grüne Branche

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Erhalten als Chance - Architektenkammer Berlin
[ DAB REGIONAL ]   AKTUELLESBERLIN

Besonders erhaltenswerte Bausubstanz (BEBS)
als Chance für den Stadtumbau

K
            limaschutz ist das große Thema      loten, wie wir den Altbestand verträglich wie      zen können – ­alles Kriterien, die sehr wichtig
            unserer Zeit, womit auch unser      nachhaltig erneuern können. Den Begriff gibt       für eine erfolgreiche Stadterneuerung sind.
            Umgang mit der vorhandenen          es ja schon in § 105 des Gebäudeenergiege-
            Stadt zur Disposition steht. War-   setzes (GEG) und § 24 der Energieeinsparver-       Wer kann oder soll dabei definieren, was
um dabei der Begriff „besonders erhaltens-      ordnung (EnEV). Deshalb versuchen wir die-         „besonders erhaltenswerte Bausubstanz“
werter Bausubstanz“ eine große Rolle spielt,    sen Begriff nun auch in die Generalklausel         ist?
der uns den Stadtumbau sozial, baukulturell     beim § 3 der neuen Bauordnung einzubrin-
und nachhaltig erleichtern soll, diskutierten   gen. Im Juni gab es dazu eine Anhörung im          Wasmuth: Zunächst muss man deutlich ma-
Theresa Keilhacker, die neue Präsidentin der    Ausschuss für Stadt­entwicklung und Wohnen         chen, dass wir es erst einmal auch nicht genau
Architektenkammer Berlin, sowie Georg Was-      des Abgeordnetenhauses. Uns ging es unter          wissen. Wir sind auf der Suche, wie man den
muth, Mitglied des Arbeitskreises Denkmal-      anderem um die Erstellung eines Kriterienka-       Begriff füllen kann. So haben wir alle drei hier
schutz und Denkmalpflege, mit dem Archi-        talogs zur Bestimmung „besonders erhaltens-        am Tisch wohl unterschiedliche Vorstellungen
tekturkritiker Claus Käpplinger.                werter Bausubstanz.“ Kriterien wie struktur-       von „besonders erhaltenswerter Bausubstanz“
                                                typisch, stadtbildprägend oder geschicht-          (BEBS). Ich neige eher dazu, den Begriff zu
Der Modernisierungsdruck auf den Altbe-         lich-bedeutend haben wir benannt, aber auch        erweitern und andere dazu, ihn eher zu be-
stand hat sich hinsichtlich energetischer       dass Gebäude hohe Identifikationspotentiale        grenzen. Wenn dem so ist, dass es darüber
Sanierung in den letzten Jahren deutlich        für die Bewohnerinnen und Bewohner besit-          unterschiedliche Positionen gibt, muss inten-
erhöht. Vielen Architekten scheint jedoch
der Begriff „besonders erhaltenswerte
Bausubstanz“ noch nicht bekannt zu sein.
Wie kann uns gerade dieser Begriff beim
energetischen Stadtumbau helfen?

Keilhacker: Wir sind aktuell in einem Novel-
lierungsprozess zu einer neuen Berliner Bau-
ordnung. Die rot-rot-grüne Regierung will
noch vor der nächsten Wahl im September
diese Novellierung durch das Parlament brin-
gen. Gleichzeitig ist das Klimaschutzgesetz
durch das Bundesverfassungsgericht in Kar-
lsruhe gekippt worden und musste durch die
Bundesregierung gerade nachgebessert wer-
den. Dann gibt es noch das Pariser Klima-
schutzabkommen, das wir unterzeichnet ha-
ben und Europa veranlasst hat, das Tempo
der „renovation wave“ deutlich mit Förder-
mitteln zu erhöhen.
    Der Druck zu Veränderungen in unseren
Baubeständen und Quartieren wird also noch
                                                                                                                                                     © Torsten Bessel

größer werden. Dies alles bietet für unseren
Berufsstand große Chancen. Mit dem Begriff
der „besonders erhaltenswerten Bausubs-
tanz“ können wir unsere Spielräume neu aus-     Straßenansicht einer Gründerzeitfassade mit bestehenden Kastenfenstern

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Erhalten als Chance - Architektenkammer Berlin
BERLINAKTUELLES                                                                                                                [ DAB REGIONAL ]

siv ein offener Diskurs geführt werden. Archi-      wieweit der Neubau tatsächlich ökologischer      oder weniger gut ausgebildete Architekten
tektenschaft und Bevölkerung müssen ge-             und ökonomischer als der Bestand ist. Damit      darüber entscheiden. Wir bräuchten schon in
meinsam herausfinden, was erhaltenswert ist.        wird endlich graue Energie und die Lebenszy-     den Stadtplanungsämtern eine Instanz oder
Was gut oder schlecht ist, ist ungeheuer            klusanalyse mit einer Darlegungspflicht ver-     Person, die noch das Ganze im Blick hat.
schwierig zu beantworten, denn das, was wir         knüpft. In dieser Umkehr der Sichtweise sehe
heute vielleicht als schlecht ansehen, kann         ich große Chancen.                               Keilhacker: Ich denke hier anders. Die schiere
morgen als gut angesehen werden. Dabei                                                               Zahl von BEBS ist so groß, dass dies von kei-
werden wir auch damit konfrontiert, dass wir        Nicht wenige Architekten leben jedoch vor        ner einzelnen Person zu bewältigen ist. Wir
in der Vergangenheit Situationen geschaffen         allem vom Neubau. Wenn nun der Umbau             können aber in der Aus- und Fortbildung neue
haben, die wir heute deutlich anders betrach-       von Altbeständen in den Vordergrund rü-          Qualifikationen anbieten und uns alle dazu be-
ten. Doch wir müssen eher dazu kommen,              cken sollte und der Abriss erschwert wird,       fähigen, besser darüber zu entscheiden, was
Qualitäten zu erkennen, die ein Gebäude mor-        werden einige Architekten diese Verände-         relevant ist. Ich denke da etwa aktuell an das
gen schon ganz anders erscheinen lassen.            rungen wohl kaum begrüßen.                       alte Jugendzentrum in Moabit, dessen bruta-
Deshalb muss es sicherlich auch Leute geben,                                                         listische Anmutung vielleicht noch nicht für
die sich damit intensiver auseinandergesetzt        Keilhacker: Da sehe ich Ähnlichkeiten zu den     viele Bürger zugänglich ist, aber Spezialisten
haben, die Ahnung haben, diskutieren können         Diskussionen um die Kohleindustrie, wo viele     erkennen sofort, wo die Vorteile in der Ertüch-
und schiedsrichterartig eingreifen können.          Kohlekumpels ihre Jobs verlieren, aber in den    tigung eines solchen Bestands liegen und kön-
                                                    regenerativen Bereichen zugleich viele Jobs      nen diese auch vermitteln.
Soll der Begriff eher defensiv oder offensiv        neu entstehen. Veränderungsprozesse sind oft
interpretiert werden? Und wie können uns            schmerzhaft, aber ich sehe mit der Verlage-      Sie sprechen viel über größere Chancen
dabei Diskussionen und mehr Partizipation           rung von Tätigkeitsfeldern wirklich große        und Spielräume für die Architekten. Wer-
helfen, den Begriff zu definieren?                  Chancen für unseren Berufsstand. Viele unse-     den Umnutzungen und Transformationen
                                                    rer Kolleginnen und Kollegen arbeiten ja         damit leichter?
Keilhacker: Ich trete für mehr Partizipation        schon heute sehr erfolgreich in neuen Tätig-
ein, weil ich sie als große Chance für uns Ar-      keitsfeldern.                                    Keilhacker: Ja, sicher ergeben sich damit für
chitekten sehe, dienender und wertschätzen-                                                          die Architekten größere Spielräume, wenn
der aktiv zu werden. Für mich ist es einfach        Wasmuth: In der Vergangenheit wurde die          man mit dem Begriff „besonders erhaltens-
eine Selbstverständlichkeit, wenn Stimmen           Reparatur bzw. der Umgang mit dem Altbe-         werter Bausubstanz“ arbeitet, der viel mehr
laut werden, dass etwas nicht abgerissen wer-       stand nur wenig gefördert. Der Senat hat eher    Möglichkeiten für Transformationen lässt als
den soll, dass wir dafür offen sind und Projek-     gefördert, dass etwas Neues auf Kosten des       der Denkmalschutz. Selbstverständlich müs-
te überdenken. Das spielt uns doch in die           Alten entsteht, was heute in unserer Gesell-     sen heute viele Bestandsgebäude umgenutzt
Hand, weil wir deutlich mehr Mitstreiter fin-       schaft zu Recht nicht mehr verstanden wird.      und transformiert werden und dafür gibt uns
den, um stärker nachhaltige Aspekte wie             Warum muss ich immer ein Haus neu bauen?         der Begriff viel mehr Flexibilität.
graue Energie und Ressourcenschonung in             Warum muss ich das Alte abreißen? Das wird
unsere Projekte zu integrieren.                     heute nicht mehr verstanden und führt dazu,      Wasmuth: Momentan stellt die Denkmalpfle-
    Wir werden uns einfach in Zukunft mehr          dass nun viel differenzierter über den Bestand   ge die Substanzerhaltung so sehr in den Vor-
auf die Bestandsentwicklung konzentrieren           nachgedacht wird. Wann erneuere ich und          dergrund, dass die Architektur oft in den Hin-
müssen und weniger ganz neu zu bauen. Viel          wann nicht? Ich freue mich wirklich darauf,      tergrund tritt. So ist dem Denkmalschutz et-
differenziertere Herangehensweisen werden           dass nunmehr der Bestand Vorrang erhält.         wa beim Fenster wichtig, dass es in seiner
erforderlich sein. Abriss darf sich einfach nicht                                                    bauzeitlichen Substanz erhalten bleibt. Es ist
mehr lohnen. Abriss kann man nicht allein un-       Wer soll jedoch entscheiden, was „beson-         ihm oft nicht wichtig, wie es dann aussieht
ter ökonomischen Verwertungsaspekten be-            ders erhaltenswerte Bausubstanz“ ist? Die        und ob es wieder einwandfrei funktioniert.
trachten, sondern es geht hier vor allem um         Architekten, die Bevölkerung oder die Ver-       Das ist meines Erachtens ein Fehler. Wenn wir
Ressourcen, aber auch um Identität bzw.             waltung?                                         durch die BEBS die Möglichkeit erhalten, dies
Identifikation. Deshalb bin ich froh, dass wir                                                       anders zu betrachten und pragmatischer zu
in unserem Novellierungsvorschlag den Abriss        Wasmuth: Es muss eine Instanz geben, die         lösen, wäre das ein großer Erfolg für uns. Da-
erschweren. In unserem Entwurf der Novellie-        darüber urteilen kann. Ich bin schon dafür,      mit kann die Architektur und Geschichte ei-
rung steht, dass es nun dazu einer Genehmi-         dass die Architekten große Spielräume haben,     nes Ortes erlebbar erhalten werden.  p
gung bedarf und einer Darlegungspflicht, in         aber es kann nicht sein, dass einzelne, mehr

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Erhalten als Chance - Architektenkammer Berlin
[ DAB REGIONAL ]     AKTUELLES BERLIN

Lernen aus Erfahrungen zur Büronachfolge,
Folge 5
Text: Dr. Gloria Gaviria

D
           as vom BMWi geförderte Projekt         nieren könnten, gegeneinander abgewogen.
           der Architektenkammer Berlin           Als das Thema für alle Beteiligten konkreter
           „Plattform Unternehmensnachfol-        wurde, hat man auf beiden Seiten – der der
           ge in Architektur- und Stadtpla-       Mitarbeitenden und der des Inhabers – mit
nung“ präsentiert eine Reihe von Artikeln, die    Hilfe von Gutachtern den potentiellen Kauf-
auf Erfahrungsberichten von Übergebenden          wert des Büros ermitteln lassen, welcher un-
und Übernehmenden basieren.                       gleich hoch ausfiel, was zur ersten größeren
                                                  zu überwindenden Hürde im Prozess führte.
Genossenschaft als solidarische Form der          Außerdem stand der bisherige Büroinhaber
Unternehmensnachfolge                             dem vorgeschlagenen Übernahmemodell und
In der fünften Geschichte unserer Reihe be-       der Gründung einer Genossenschaft anfangs             beide Parteien einen Verhandlungsführer bzw.
richtet Ellen Daßer, Stadtplanerin und Ge-        eher skeptisch gegenüber. „Irgendwann wur-            eine Mediation ein, um die finanziellen und
schäftsführende Vorständin eines Stadtpla-        de beschlossen, eine Genossenschaft zu grün-          aufgabenbezogenen Aspekte zu regeln. Zu-
nungsbüros in Berlin Charlottenburg, über ih-     den, was in unserem Beruf eher selten – da-           dem holten sich Ellen Daßer und ihre Kollegin-
re herausfordernden Erfahrungen mit der           mals sogar utopisch war. Wir Mitarbeiter ha-          nen und Kollegen Beratung durch den Genos-
Gründung einer Genossenschaft als alternati-      ben uns gesagt, das passt am besten zu uns,           senschaftsverband, um den Prozess neutral zu
ve Unternehmensform zur Unternehmens-             diese Unternehmensform. Ebenso eine solida-           begleiten „Wir haben allein zu dem Thema
nachfolge. Das Anfang der 1970er Jahre ge-        rische Unternehmensform. Dann begannen                Genossenschaft Beratung bekommen, vom
gründete und bis zuletzt als Einzelunterneh-      zwei Arbeitsstränge: Einmal, was braucht es           Genossenschaftsverband. Die haben uns ei-
men mit städtebaulichem Schwerpunkt               überhaupt, so eine Genossenschaft zu grün-            gentlich, von dem Zeitpunkt an, wo die Ent-
geführte Büro wurde 2012 von 16 engagier-         den, also was sind die Grundlagen, die recht-         scheidung getroffen war, dass es eine Genos-
ten Mitarbeitern übernommen, die sich zu die-     lichen Dinge und so weiter – und auf der an-          senschaft werden soll, begleitet. Und jetzt ist
sem Zweck zu einer Genossenschaft zusam-          deren Seite, die weiteren Verhandlungen mit           es auch so, als Genossenschaft muss man ei-
mengeschlossen haben. Das Büro ist überwie-       dem alten Eigentümer, der am Anfang noch              nem Verband beitreten, wir haben da noch
gend für öffentliche Auftraggeber aus der         Probleme mit dem Gedanken hatte, das Un-              immer den Bezug zu einander. Wir haben uns
Stadtverwaltung in und um Berlin tätig. In den    ternehmen an eine Genossenschaft zu über-             dort viel Beratung geholt“, sagt Ellen Daßer.
letzten Jahren hat sich die Zahl der Aufträge     geben, weil es eben nicht vorstellbar war, wie           Im Laufe der Mediation wurde aus den ur-
deutlich erhöht, was zu einem Wachstum des        das funktionieren kann und wer denn dann              sprünglichen Erwartungen, die zwischen allen
Büros geführt hat. Heute zählt das Büro 30        der Verhandlungspartner ist, also es war ein-         Beteiligten stark divergiert hatten, eine Über-
Mitarbeitende. Die meisten von ihnen sind,        fach alles zu neu und für beide Seiten zu un-         einstimmung über den Kaufpreis sowie die
was gewünscht, aber nicht zwingend ist, ak-       klar, worauf sie sich da einlassen“, erklärt ­Ellen   Bereitschaft erreicht, sich auf die Unterneh-
tive Mitglieder der Genossenschaft.               Daßer.                                                mensform einer Genossenschaft einzulassen.
    Ellen Daßer beschäftigte sich schon früh,         Obwohl der bisherige Büroinhaber den              Die 16 Genossenschaftsmitglieder hatten ein
eigentlich schon 2009, als sie in das Büro kam,   Wunsch hatte, das Büro an seine Mitarbeiten-          festes Budget aus den von ihnen eingezahlten
mit dem Gedanken eines Nachfolgeprozesses.        de zu übergeben, gab es keine Einigung über           Anteilen, die den Kaufpreis darstellten. Außer-
Die Gewissheit, dass der bisherige Inhaber ir-    die finanziellen Erwartungen zwischen den             dem hatten sie mit dem ehemaligen Eigentü-
gendwann das Büro altersbedingt aufgeben          Parteien, was dazu führte, dass der bisherige         mer vereinbart, dass er noch einige Jahre am
würde, motivierte die Mitarbeitenden, nach        Inhaber versuchte, das Büro an eine externe           Gewinn beteiligt wird sowie er für einen ver-
Möglichkeiten einer späteren Übernahme zu         Partei zu verkaufen. Nach dem erfolglosen             einbarten Zeitraum noch als Angestellter im
suchen. Zu Beginn des Prozesses wurden ver-       Versuch wurden die internen Verhandlungen             Büro weiterarbeitet. Als Mitglied der Genos-
schiedene Unternehmensformen und finanzi-         wiederaufgenommen. Doch nachdem diese                 senschaft hat der bisherige Büroinhaber als
elle Aspekte, die für alle Beteiligten funktio-   dann ins Stocken geraten waren, schalteten            Mitarbeiter inhaltlich an verschiedenen Pro-

10                                                                                                                                          DAB 08·21
Erhalten als Chance - Architektenkammer Berlin
BERLIN AKTUELLES                                                                                                                  [ DAB REGIONAL ]

jekten mitgearbeitet sowie eine beratende
Rolle nach außen, aber auch intern eingenom-       Für alle, die die Genos­                           Kollegen oder von Mitarbeitenden zu Vor-
                                                                                                      stand miteinander sprachen.
men. Das war für alle ein Lernprozess, damit                                                                Die Auftraggebenden reagierten positiv
umzugehen, und diente als Eingewöhnungs-           senschaft als Nachfol­                             auf dieses atypische Unternehmensmodell.
phase, die mit der Zeit gut funktioniert hat.                                                         Sie erhielten einen Brief mit dem Titel „Wir
     Für alle, die die Genossenschaft als Nach-    gemodell in Betracht                               sind jetzt eine Genossenschaft“, was zu einer
folgemodell in Betracht ziehen, zeigt Ellen                                                           großen Unterstützung seitens der Auftragge-
­Daßer, die seit der geglückten Übernahme auf      ziehen, zeigt Ellen                                benden führte. Es hat sich eher eine positive
 zehn erfolgreiche Jahre zurückschauen kann,                                                          Akzeptanz über die Kontinuität des Büros
 dass dies keine Utopie in der Nachfolge und       Daßer, dass dies keine                             ­herauskristallisiert, als eine Skepsis gegenüber
 Unternehmensform eines Planungsbüros                                                                  der Unternehmensform. „Wir wissen es von
 mehr ist. Ellen Daßer erklärt, wie die Genos-     Utopie in der Nach­                                 ein paar Wenigen, die das Büro schon kann-
 senschaft funktioniert: „So eine Genossen-                                                            ten, aber nicht als Genossenschaft. Für die
 schaft hat eine gewählte Geschäftsführung,        folge und Unterneh­                                 war es spannend und ein Stück weit ein Expe-
 das ist der Vorstand (der alle fünf Jahre ge-                                                         riment. Und eigentlich nach außen hin, gegen-
 wählt wird), der wird aus den Genossen-
 schaftsmitgliedern – bei uns sind es vier Vor-
                                                   mensform eines Pla­                                 über unseren Auftraggebenden, ist da gar
                                                                                                       nicht so viel Unterschied, weil wir früher schon
 stände – darauf hatten wir uns vorher ver­
 ständigt – gewählt, der dann eben die
                                                   nungsbüros mehr ist.                                immer ein Büro waren, in dem die Mitarbei-
                                                                                                       tenden auch nach außen treten“, so Ellen
 Geschäftsführung übernimmt. Vom Ver­              hier vorgestellten Fall müssen neue Kollegin-       ­Daßer. Inhaltlich hat sich das Büro nach der
 ständnis her, es gibt den Vorstand, quasi die     nen und Kollegen mindestens ein Jahr mitar-          Gründung der Genossenschaft nur geringfü-
 Chefs, die die Geschäftsführung alleine durch-    beiten, bevor ihnen der Vorschlag gemacht            gig neuen und aktuellen Themen zugewandt
 führen und die Genossenschaftsmit­glieder         wird, in die Genossenschaft eintreten zu kön-        wie z.B. dem Klimaschutz. „Im Grundsatz ist
 sind im klassischen Sinne dann eher die Mit-      nen. Dieser Eintritt ist dann auch gewünscht,        es so geblieben wie es vorher schon war, wir
 arbeiter, die einmal im Jahr – da gibt es eine    nicht aber zwingend notwendig und kein Aus-          hatten eine gute Außenwirkung, die weiter
 Generalversammlung – alle zusammenkom-            schlusskriterium für eine Mitarbeit. „Also ei-       vorhanden ist. Wir sehen gar nicht so die Not-
 men und wichtige Themen besprechen bezie-         gentlich ist unser Ziel ja, dass jeder Mitarbei-     wendigkeit, uns komplett neu aufzustellen,
 hungsweise auch den Jahresabschluss mit der       tende auch Genossenschaftsmitglied wird. Es          sondern nutzen eigentlich das, was der Altei-
 Gewinnverteilung beschließen, den neuen           ist nicht zwingend nötig, aber das ist eigent-       gentümer aufgebaut hat und wollen es auch
 Vorstand und Aufsichtsrat wählen oder Inves-      lich unser Ziel. Und natürlich haben wir auch        weiter bestätigen, also zum Beispiel, dass wir
 titionen mit beschließen müssen. Es müssen        so was wie die Strategie der Nachfolge, also         eine gute Qualität liefern und einen guten Um-
 nicht immer alle Mitglieder mitreden und ent-     die jungen Mitarbeiter aufzubauen, die Nach-         gang miteinander pflegen. Diese Außenwir-
 scheiden. Bei vielen Themen ist klar definiert,   folge irgendwie zu generieren d.h. sobald Vor-       kung finden wir wichtig und wollen diese eher
 was die Geschäftsführung darf und was sie         standsmitglieder in Rente gehen und so war           nochmal verfeinern oder ein bisschen breiter
 nicht darf, ohne die Zustimmung der Mitglie-      es jetzt auch schon mal, gibt es eine neue           aufstellen, aber an sich, Organisation, Name,
 der“, und „Das Positive an der Genossenschaft     Wahl und jemand Neues wird zum Vorstand              Strategie, wurden nur im Detail angepasst“,
 ist, mit jeder Vorstandswahl lebt die Genos-      gewählt“, so Ellen Daßer.                            erklärt Ellen Daßer.
 senschaft weiter. Also diesen Nachfolgepro-           Für Ellen Daßer selber war der Wechsel               Die abschließenden Empfehlungen von
 zess, den wir durchlaufen haben, müssen wir       von einer Mitarbeitenden zum Mitglied des            ­Ellen Daßer für eine Übernahme sind, sich
 als Genossenschaft nicht mehr durchlaufen“.       vierköpfigen Vorstandes, dem sie nach der             frühzeitig mit der Nachfolge auseinanderzu-
     Die Voraussetzung für die Teilnahme an        letzten Wiederwahl jetzt bereits zehn Jahre           setzen, eine Recherche über den Prozess
 der Genossenschaft sind die folgenden: „Man       angehört, eine spannende Erfahrung. So ent-           durchzuführen, mögliche Barrieren zu analy-
 kauft sich mit einem festgelegten Anteil ein.     standen unweigerlich unterschiedliche Verant-         sieren und während des Prozesses mit Media-
 Der ist für jede Genossenschaft flexibel. An-     wortungsebenen zwischen den Mitarbeiten-              toren oder Beratern zusammenzuarbeiten.
 ders als bei einer GbR ist auch das Grün-         den und Vorständen, obwohl das Hierarchie-               In den Interviews werden die persönlichen
 dungskapital in einer Genossenschaft nicht        gefälle in der Genossenschaft – auch wenn             Ansichten und Einschätzungen der Ge-
 festgelegt. Es sind zwei Anteile, die bei uns     sich diese teils nur in der Art, wie man mitei-       sprächspartner als Zitate veröffentlicht. Die
 mindestens einzuzahlen sind, es können aber       nander kommuniziert widerspiegeln – so ge-            Architektenkammer Berlin weist hiermit aus-
 auch mehr sein“, erklärt Ellen Daßer.             ring, wie möglich gehalten wird. So mussten           drücklich auf ihre neutrale Position zu den In-
     Jede Genossenschaft kann für sich selbst      alle mit der Zeit lernen richtig einzuordnen, zu      halten in den Interviews hin.               p
 entscheiden, wie sie im Sinne von Regelungen      welchen Themen und Situationen sie in der lo-
 oder gesetzlichen Bestimmungen vorgeht. Im        ckeren Umgangsform von Kolleginnen und             p ak-berlin.de/unternehmensnachfolge

DAB 08·21                                                                                                                                             11
Erhalten als Chance - Architektenkammer Berlin
[ DAB REGIONAL ]     AKTUELLES BERLIN

Women in Architecture
Paritätische Baukultur und Chancengleichheit gehen uns alle an!

N
             ach einer erfolgreichen Finissage
             und Übergabe der manifestA an
             die Co-Schirmfrau und Staats­
             sekretärin Wenke Christoph,
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und
Wohnen, blicken die Akteurinnen und Akteu-
re des Women in Architecture Berlin Festi-
vals auf einen facettenreichen Monat mit
über 100 Veranstaltungen zurück. Deutlich
wurde und ist: Die Abschlussveranstaltung
des Festivals am 1. Juli im B-Part Am Gleis-
dreieck ist nicht das Ende der Baustelle
Gleichstellung. Vielmehr soll fortgeführt wer-
den, was in über zwei Jahren größtenteils
ehrenamt­lichen Engagements mit dem Fes-
tival erreicht wurde: die Arbeit von Frauen

                                                                                                                                                       © Boris Trenkel
in und rund um die Architektur in Berlin
sichtbar zu machen.
   Über 34 institutionelle Akteurinnen und         WIA-Akteurinnen und Gäste der Finissage am 1. Juli 2021
Akteure haben sich mit den drei definierten
Schwerpunkten des Women in Architecture            dern Aussagen und Erkenntnisse möglichst            talog entwickelt, der auch ganz persönliche
Festivals – Sichtbarkeit, Dialog, Diversität –     vieler Akteurinnen und Akteure in Online-           Erfahrungen, Perspektiven und Sichtweisen
auseinandergesetzt. Vor und während des            Umfragen und Präsenz-Workshops gesam-               beleuchtete. Die gesammelten Antworten
Festivals wurden zu den drei Handlungsfel-         melt. Je Handlungsfeld wurde ein Fragen­ka­         wurden noch am Nachmittag vor der Finis­
                                                                                                       sage gemeinsam mit den Akteurinnen und
                                                                                                       Akteuren kondensiert und verabschiedet.
     manifestA                                                                                            Herausgekommen ist dabei die manifestA –
                                                                                                       eine öffentliche Erklärung von Zielen und Ab-
      WIA BERLIN fordert die Einrichtung von festen Stellen für Gleichstellung in allen
     ‡‡                                                                                                sichten, die von WIA Akteurinnen symbolisch
      Länderkammern und eine Berichterstattung im zweijährigen Baukulturbericht der                    an die Politik übergeben wurde.
      Bundes­stiftung Baukultur.                                                                          Diese Forderungen sind nur ein Bruchteil
      WIA BERLIN fordert eine selbstverständlich paritätische Besetzung auf allen Ebenen.
     ‡‡                                                                                                der vielschichtigen Meinungen und Haltun-
      Das erfordert Gleichwertigkeit von CARE und Erwerbsarbeit!                                       gen, die sich im Zuge des Festivals gebildet
      WIA BERLIN fordert, dass Institutionen der Baukultur als Vorbilder agieren, Chancen-
     ‡‡                                                                                                und geschärft haben. Und auch wenn am En-
      gleichheit und Gleichstellung zügig umsetzen und dabei die Sensibilisierung für das              de des Workshops ein Kondensat auf den
      Thema auch außerhalb der Bauwelt erhöhen.                                                        Weg gebracht wurde, hört der Prozess hier
                                                                                                       nicht auf. Die vielen wertvollen Untertöne und
      WIA BERLIN fordert die Abkehr vom „Starkult“ hin zu einer sozialen, partnerschaftlichen,
     ‡‡
                                                                                                       Aspekte verdienen die gleiche Aufmerksam-
      kollaborativen, offenen und diversen Baukultur, die sich an alle richtet.
                                                                                                       keit und Sichtbarmachung wie berufspolitisch
      WIA BERLIN fordert den Fokus auf New Role Models und einen generationen- und
     ‡‡                                                                                                bereits wirksame Schlagwörter.
      länder­übergreifenden Dialog.                                                                       Die manifestA ist daher insbesondere ein
      WIA BERLIN fordert die Architektenkammern auf, endlich einen Namen zu wählen,
     ‡‡                                                                                                Impuls für die notwendige weiterführende
      der alle Disziplinen und Geschlechter abbildet.                                                  Auseinandersetzung mit dem Thema, so dass
                                                                                                       das Festival nachhaltig wirkt.

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BERLIN AKTUELLES                                                                                                                  [ DAB REGIONAL ]

Wenke Christoph betonte im Rahmen der Ver-         die Materialqualität eines Gebäudes, sondern       Denn das Festival hat gezeigt: Durch Förde-
anstaltung die Bedeutung der Forderungen:          auch eine Frage, wie Entwurfs- und Arbeits-        rung, Forderung, Beteiligung und Dialog er-
„Stadtentwicklung und auch Baukultur waren         prozesse, das Büroklima oder die Kommuni-          reicht man in vier Wochen weit mehr als jede
lange Zeit ein männlich geprägtes Terrain.         kationsformen gestaltet werden.“                   theoretische Gesetzeslage, jede Quote und
Umso wichtiger ist es, dass wir Frauen als Ge-        In diesem Sinne gilt es vor allem auch bei      jede gut gemeinte Teilnahmebedingung in ei-
stalterinnen von Stadt empowern und ihre Ar-       uns selbst anzufangen, um die Strukturen           nem Jahr. Im Hinblick auf die gesamtgesell-
beit sichtbar machen. Gleichzeitig geht es da-     aufzubrechen, die einer paritätischen Baukul-      schaftliche Verantwortung unseres Tuns
rum, dass gebaute Architektur und die Gestal-      tur im Wege stehen. Im Berufsstand und in          müssten wir demnach schon längst mit gu-
tung der Städte eine wesentliche Bedeutung         der Vertretung nach außen braucht es echte         tem Beispiel vor­angehen.                p
für die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Le-   Bereitschaft, Gleichstellung umzusetzen.           p wia-berlin.de
ben haben. Der Anspruch einer Stadt für alle
und umfassender Teilhabe ist damit eng ver-
bunden sowohl mit der Umsetzung von
Gleichstellung in der Planung als auch in der
Gestaltung und Nutzung öffent­licher Räume.“
    Auch Jette Hopp, Architektin und Ge-
schäftsführerin von Snøhetta aus Norwegen,
machte mit ihrer Kurzpräsentation Mut zum
Wandel. Essentiell ist insbesondere der Um-
bau des Berufsbildes aus Sicht der Gesamt-
gesellschaft, um die Werke, Mitarbeit und
Rolle von Frauen im Planungsberuf so selbst-
verständlich werden zu lassen, wie es in
Nord­europa schon vollzogen scheint. Denn
auch wenn die anwesenden Gäste noch über
die Anekdote vom arabischen Bauherren
lachten, der angesichts der vielen leitenden
Frauen auf seiner Baustelle in Bahrain fragte:
„What’s wrong with the Norwegian men?“ ist
es bittere Realität, dass Frauen auf Baustellen
in Berlin noch immer gefragt werden, ob sie        Übergabe der manifestA an die Staatssekretärin für Wohnen Wenke Christoph (Mitte rechts)
sich verlaufen hätten.
    WIA Berlin 2021 hat vieles angestoßen.
Am meisten wohl bei den aktiv Beteiligten,
aber auch bei den vielen Gästen, Teilnehmen-
den vor Ort sowie online. Auf dem YouTu-
be-Kanal ist ein durch die Pandemie fast
schon erzwungener Dokumentationsschatz
entstanden. Über 65 Stunden aufgezeichne-
tes Material sind nun dauerhaft zugänglich
und harren der Weiterverarbeitung.
    Es gilt nun das Fundament zu nutzen und
darauf aufzubauen. Die Architektin Elke Du-
da, die als eine der Ersten das Festival initi-
ierte, sagte im Zuge eines Interviews zum
Festival: „Insbesondere in der Bauwirtschaft
herrscht extremer Druck bei den Arbeitsbe-
                                                                                                                                                      Fotos © Boris Trenkel

dingungen: Permanente Verfügbarkeit und
eine alles bestimmende Dienstleistungsmen-
talität prägt leider oft den Planungsprozess.
Dabei ist Baukultur in meinem Verständnis
nicht nur ein Prädikat für das Aussehen und        Netzwerken bei der Finissage im B-Part Am Gleisdreieck

DAB 08·21                                                                                                                                        13
[ DAB REGIONAL ]      AKTUELLESBERLIN

[FRAU] ARCHITEKT*IN
Text: Reinhart Bünger

P
           apst Franziskus betete kürzlich da-   Ernst-Reuter-Platz die Ausstellung FRAU AR-      wies darauf hin, dass die erstmals in Frankfurt
           für, dass jeder zum Architekten des   CHITEKT*IN eröffnet, ein Beitrag der Architek-   am Main gezeigte Ausstellung mit der Ge-
           Dialogs und der Freundschaft wer-     tenkammer Berlin, des Instituts für Architek-    schichte der Emilie Winkelmann begann. Sie
           de, dem Nächsten die Hand reiche      tur sowie des Architekturmuseums der TU          war die erste freiberufliche Architektin
und Feindschaften und Konflikten keinen          Berlin in Kooperation mit dem BHROX bau-         Deutschlands. 1907 eröffnete sie in Berlin ihr
Raum gebe. Recht hat er – und irritiert. Das     haus reuse zum Festival Women in Architec-       Büro.
hätte auch eine Päpstin sagen können. Das        ture WIA Berlin 2021.                                Heute sind knapp über fünfzig Prozent der
hätte auch eine Architektin sagen können.            Die Bauhaus-Box hatte es ob der Variatio-    Architekturstudierenden Frauen, beobachtet
Oder nicht?                                      nen des Themas in sich: Da war die vom Deut-     Kristin Wellner, Professorin für Planungs- und
   Festzustehen scheint immerhin, dass wohl      schen Architekturmuseum (DAM) Frankfurt          Bauökonomie/Immobilienwirtschaft der TU
keine Institution so typisch männlich domi-      am Main übernommene Video-Lounge der             Berlin. Zwei Drittel ihrer Promovierenden sind
niert ist wie die Katholische Kirche. Danach     Ausstellung „Frau Architekt“, deren Titel für    weibliche Absolventinnen.
folgen – mit etwas Abstand – Architektur und     das Berliner Vorhaben mit Gendersternchen            In der Zusammenschau hat das Projekt
Bauwesen.                                        gebrandet wurde. Das Architekturmuseum           versucht zu erkennen, wo Architektinnen
   Am 3. Juni 2021 wurde deshalb für vier        (TU Berlin) zeigte Diplomarbeiten von Archi-     männlich dominierte Rollenbilder in Architek-
Wochen im BHROX bauhaus reuse auf dem            tekturstudentinnen aus den 1950er- bis           tur und Gesellschaft hinterfragt und teilweise
                                                 1970er-Jahren – „ein kleiner Schatz, der         überwunden haben. „Doch wir haben gese-
                                                 längst noch nicht gehoben ist“, so Museums-      hen, dass viele Diskriminierungen und Stereo-
                                                 leiter Hans-Dieter Nägelke. Das Fachgebiet       type trotzdem immer noch stattfinden“, sag-
                                                 Bau- und Stadtbaugeschichte der TU Berlin        te Architekturhistoriker Prof. Hermann
                                                 präsentierte „Berliner Architekt*innen: Oral     Schlimme (TU Berlin) zur Ausstellung in der
                                                 History“. Zu sehen war zudem eine intersek-      BHROX bauhaus reuse. Das Thema ist also
                                                 tionale „Survival Lounge“ und – gleich am Ein-   höchst relevant. „Change is happening, aber
                                                 gang der Ausstellung die „fem*MAP Berlin         es ist noch so viel zu tun: Es gibt den Ruf
                                                 2049“, die Studierende des Fachgebiets Städ-     nach mehr Inklusion, nach mehr Diversität“,
                                                 tebau und Urbanisierung (TU Berlin) zeichne-     so der Ausblick von Sarah Rivière. Beten al-
                                                 ten. Eine Verortung weiblicher Architek-         lein hilft eben nicht.                      p
                                                 tur(-vorstellungen) in der Berliner Stadtland-
                                                 schaft.                                          p ak-berlin.de/frauarchitektin
                                                     „Die „Baustelle Gleichstellung“ hat somit
Berliner Architekt*innen: Oral History           begonnen“, sagte Elke Duda, Koordinatorin
                                                 des WIA-Festivals, in der Auftaktveranstal-
                                                 tung. Zwar fanden mehr als 100 WiA-Veran-
                                                 staltungen in vier Wochen statt, doch unter
                                                 dem gemeinsamen Nenner dürfte es in den
                                                 kommenden Jahren noch vieles zählen. „Ar-
                                                 chitektur ist mitnichten Männersache“, sagte
                                                 Andrea Männel aus dem Vorstand der Archi-
                                                 tektenkammer Berlin. Der Umbau in Richtung
                                                                                                                                                  alle Fotos © Michael Setzpfandt

                                                 Gleichgewicht hat erst begonnen. „Aus Sicht
                                                 der Architektinnen ist die Beteiligung der un-
                                                 terschiedlichsten Gruppierungen an Planun-
                                                 gen eine der wichtigsten Aufgaben“, sagte
                                                 Andrea Jürges, Vizedirektorin des Deutschen
Fem*MAP Berlin 2049                              Architekturmuseums (DAM) zum Auftakt. Sie        Ausstellungsdesign Team Dis+Ko

14                                                                                                                                    DAB 08·21
BERLIN TERMINE                                                                                                                                        [ DAB REGIONAL ]

                             da! Architektur in und aus Berlin 2022

                                                                                                                                 Ein siebenköpfiges Gremium mit Vertreterinnen und Vertretern aus al-
                                                                                                                                 len vier Fachrichtungen und einer Person aus dem Bereich Kultur/Me-
                                                                                                                                 dien wird im September 2021 tagen und aus allen eingereichten Ar-
                                                                                                                                 beiten die Projekte für die Ausstellung im Frühjahr 2022 und das Jahr-
                                                                                                                                 buch auswählen.

                                                                                                                                 Gremiumsmitglieder „da! Architektur in und aus Berlin“ 2022:
                                                                                                                                 ‡‡ Theresa Keilhacker, Präsidentin der Architektenkammer Berlin
                                                                                                                                    (Architektur)
                                                                                                                                 ‡‡ Robert Marlow, Präsident der Architekten­kammer Niedersachsen
                                                                                                                                    (Architektur)

                                                                                                    © Architektenkammer Berlin
                                                                                                                                 ‡‡ NN (Fachrichtung Stadtplanung)
                                                                                                                                 ‡‡ Prof. Dr. Norbert Palz, Präsident Universität der Künste, Profes-
                                                                                                                                    sor für Entwerfen, digitale Medien, Fakultät Gestaltung (Kultur/
                                                                                                                                    Medien)
                                                                                                                                 ‡‡ Hubertus Schäfer, greenbox, Köln (Landschaftsarchitektur)
                             Wir freuen uns über 140 Bewerbungen, die bis zum Einsendeschluss                                    ‡‡ Ines Wrusch, freie Innenarchitektin, Hamburg (Innenarchitektur)
                             am 15. Juni 2021 bei uns eingetroffen sind!                                                         ‡‡ Melanie Zirn, RHWZ Architekten, Hamburg (Architektur)

                             Die Architektenkammer Berlin                                                                        SAVE THE DATE: SOMMERFEST
                             zu Gast im Klick Kino in Charlottenburg
                             19. August 2021, 20.00 Uhr
                             Klick Kino, Windscheidstraße 19, 10627 Berlin
                             Film: Haus Tugendhat
                             Zu Gast: Ayhan Ayrilmaz, Vizepräsident der Architektenkammer
                             Berlin
                             Klick Kino zeigt den Film: „Haus Tugendhat“ anlässlich der Wiederer-

                                                                                                                                                                                                          © Henning-Hattendorf
                             öffnung der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe im August
                             2021. Im Anschluss an den Film hat das Publikum Gelegenheit, sich
                             dazu mit dem Vizepräsidenten und Architekten Ayhan Ayrilmaz aus-
                             zutauschen.
                                                                                                                                 Zum traditionellen Sommerfest der Architektenkammer Berlin laden wir
                             Tickets können auch online gebucht werden unter                                                     Sie in diesem Jahr herzlich in die Ladestraße des Deutschen Technik-
                             p klickkino.de/tickets/                                                                             museums ein.

                                                                                                                                 SAVE THE DATE:
                                                                                                                                 27. August 2021, Einlass ab 18.00 Uhr, Beginn 19.00 Uhr
                                                                                                                                 Eintritt kostenfrei, Anmeldung erforderlich
                                                                                                                                 Ort: Möckernstraße 26, 10963 Berlin
© Architektenkammer Berlin

                                                                                                                                 Wir freuen uns auf Ihr Kommen!
                                                                                                                                 Bitte informieren Sie sich kurzfristig auf unserer Website über die
                                                                                                                                 dann geltenden Corona-Maßnahmen.
                                                                                                                                 p ak-berlin.de/sommerfest

                             DAB 08·21                                                                                                                                                              15
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